Grenzen und Möglichkeiten der Mathematik in der Kraftfahr-Haftpflichtversicherung

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Grenzen und Miiglichkeiten der Mathematik in der Kraflfahr-Haflpflichtversicherung Von Wol/gang Sacgs (Diisseldoff) Nach der Statistik des Bundesaufsichtsamtes hat 1959 die Pr~mieneinnahme der Lebensversicherung in Deutschland 2,6 Mrd. DM betragen, die der Kraftfahr-Haft- pflichtversicherung (im Folgenden kurz KHV) 1,6 Mrd. DM. Gemessen an der HShe der Betr~ge, die zur Deckung yon Risiko und Kosten zur Veffiigung standen, hatte also die bekanntlich such politisch exponierte KHV schon damals die erste Ste]le erreicht. Ich werde versuchen, herauszuseh~len, innerhalb welehen Bereichs die Auf- gabe der Mathematiker in diesem wichtigen Versicherungszweig liegt und welchen Charakter sie hat. DaB ich mieh dabei der heute teilweise unmodern gewordenen Ausdrucksweise bediene, die zur Zeit meines Studiums fiblieh war, bitte ich zu eut- schuldigen; es gndert nichts an der Sache. B. Sieht man yon Zusehl~gen alter Art und Zinsen ab, so hat die Formel ffir die ein- j~hrige Ri~ikopr~mie in alten Versicherungszweigen die gleiche Form; sie lautet immer p----q'S, wobei q die Sehadenswahrseheinlichkeit mad S die Versicherungsleistung bedeutet. In der Lebensversicherung, einer Summenversicherung, haben wir mit feststehenden Leistungen zu tun, und deshalb ist in ihr S eine im Einzelfalt vorgegebene GrSBe; dagegen keunt die KHV zwar eine HSchstgrenze der Leistung ffir den einzelnen Ver- sieherungsfaU, innerhalb dieser Grenze ist sie aber eine Versicherung auf erstes Risiko; folglich bediirfen hier q und S beid~ der statistischen Ermittlung, und es kann inihr unter S nur die zu erwartende durchsch~ittliche SchadenshShe verstanden werden; wir schreiben deshalb p----q.S. Eine Pr~mienkalkulation besteht darin, dab Effahrungen der Vergangenheit auf die Zukunft iibertragen werden. Das geht nur, weun sich im Laufe der Zeit, auf die wir unsere Berechnung beziehen wollen, die Verh£1tnisse so gut wie gar nieht oder naeh einer Gesetzm~fligkcit ~ndern, die wir im vorhinein iiberblicken kSnnen. Das ist in der Lebensversicherung bekanntlich der Fall. Wie welt gilt das auch yon den Werten, deren man sich zur Berechnung der KH-Pr~mie bedicnen mul3 ? Bereits yon unserer GrSBe S gilt es offenbar in aller Regel nicht; denn auf S haben Faktoren entscheidenden EinfluB, die sieh dem Schlul3 yore Vergangenen auf das Zukiinftige entziehen. Insbesondere steekt in S auch die Bewegung der Preise yon Waren und Dienstleistungen, die ihrerseits aus den jeweils herrschenden Anschau- ungen darfiber, was angemessen ist, und dem Wert der W~hrung resultieren. H~tten wir in der KHV unbegrenzte Deekungssnmmen, so wiirde sich also S exakt proportio- nal der erw~hnten Bewegung der Preise usw. gndern. Tats~chlich haben wir eine HSchstgrenze, sie ist jedoch welt hinausgeschoben, kann also nur geringen Einflu~ haben; man wird daher wenigstens in erster Ann~herung eine Proportionalit~t der erwghnten Art erwarten, und wenn man den Proportioualit~tsfaktor T nennt, so ~immt unsere Formel die Form an: p----q.T.g. 1) Vortrag auf der 14. ordentlichen MitgUederversammlung der DGVM am 30. April 1962 in Freudenstadt.

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Grenzen und Miiglichkeiten der Mathematik in der Kraflfahr-Haflpflichtversicherung

Von Wol/gang Sacgs (Diisseldoff)

A° Nach der Statistik des Bundesaufsichtsamtes hat 1959 die Pr~mieneinnahme der Lebensversicherung in Deutschland 2,6 Mrd. DM betragen, die der Kraftfahr-Haft- pflichtversicherung (im Folgenden kurz KHV) 1,6 Mrd. DM. Gemessen an der HShe der Betr~ge, die zur Deckung yon Risiko und Kosten zur Veffiigung standen, hatte also die bekanntlich such politisch exponierte KHV schon damals die erste Ste]le erreicht. Ich werde versuchen, herauszuseh~len, innerhalb welehen Bereichs die Auf- gabe der Mathematiker in diesem wichtigen Versicherungszweig liegt und welchen Charakter sie hat. DaB ich mieh dabei der heute teilweise unmodern gewordenen Ausdrucksweise bediene, die zur Zeit meines Studiums fiblieh war, bitte ich zu eut- schuldigen; es gndert nichts an der Sache.

B. Sieht man yon Zusehl~gen alter Art und Zinsen ab, so hat die Formel ffir die ein- j~hrige Ri~ikopr~mie in alten Versicherungszweigen die gleiche Form; sie lautet immer

p----q'S,

wobei q die Sehadenswahrseheinlichkeit mad S die Versicherungsleistung bedeutet. In der Lebensversicherung, einer Summenversicherung, haben wir mit feststehenden Leistungen zu tun, und deshalb ist in ihr S eine im Einzelfalt vorgegebene GrSBe; dagegen keunt die KHV zwar eine HSchstgrenze der Leistung ffir den einzelnen Ver- sieherungsfaU, innerhalb dieser Grenze ist sie aber eine Versicherung auf erstes Risiko; folglich bediirfen hier q und S beid~ der statistischen Ermittlung, und es kann inihr unter S nur die zu erwartende durchsch~ittliche SchadenshShe verstanden werden; wir schreiben deshalb

p----q.S.

Eine Pr~mienkalkulation besteht darin, dab Effahrungen der Vergangenheit auf die Zukunft iibertragen werden. Das geht nur, weun sich im Laufe der Zeit, auf die wir unsere Berechnung beziehen wollen, die Verh£1tnisse so gut wie gar nieht oder naeh einer Gesetzm~fligkcit ~ndern, die wir im vorhinein iiberblicken kSnnen. Das ist in der Lebensversicherung bekanntlich der Fall. Wie welt gilt das auch yon den Werten, deren man sich zur Berechnung der KH-Pr~mie bedicnen mul3 ? Bereits yon unserer GrSBe S gilt es offenbar in aller Regel nicht; denn auf S haben Faktoren entscheidenden EinfluB, die sieh dem Schlul3 yore Vergangenen auf das Zukiinftige entziehen. Insbesondere steekt in S auch die Bewegung der Preise yon Waren und Dienstleistungen, die ihrerseits aus den jeweils herrschenden Anschau- ungen darfiber, was angemessen ist, und dem Wert der W~hrung resultieren. H~tten wir in der KHV unbegrenzte Deekungssnmmen, so wiirde sich also S exakt proportio- nal der erw~hnten Bewegung der Preise usw. gndern. Tats~chlich haben wir eine HSchstgrenze, sie ist jedoch welt hinausgeschoben, kann also nur geringen Einflu~ haben; man wird daher wenigstens in erster Ann~herung eine Proportionalit~t der erwghnten Art erwarten, und wenn man den Proportioualit~tsfaktor T nennt, so ~immt unsere Formel die Form an:

p--- -q .T.g.

1) Vortrag auf der 14. ordentlichen MitgUederversammlung der DGVM am 30. April 1962 in Freudenstadt.

Nun werden zwar die so herausgesch~lten Werte ffir § schwerlich ganz yon unberecben- baren Einfliissen frei sein. Es kann ja beispielsweise ein einziges Gerichtsurteil oder eine einzige technische Neuerung das gesamte Leistungsniveau ver~ndern. Immerhin haben wir aber den mutmaBlich grSBten unberechenbaren EinfluB in den den Tarif normierenden Faktor T hineingelegt; wir diirfen jetzt annehmen, dab unsere § sich im Laufe der Zeit nur langsam und schwaeh ~ndem. Praktisch miissen dann die ~-Werte fiir verschiedene Kategorien yon KH-Versicherungen in einem einigermaBen kon- stanten Verh~ltnis stehen. Soweit unsere Effahrungen reichen, ist dies der Fall: Die durchsehnittlichen Schadenssnmmen innerhalb groBer Gruppen der Personenkraft. wagen sind ann~hernd die gleichen, die der Motorradfahrer machen davon einen einigermaBen konstanten Bruehteil aus usw. Aueh weun uns auBerdem die q unserer Formel bekannt sind -- ausffihrlich wollen wir diese Seite der Sache erst sp~ter erSrtern -- ist auf jeden Fall nur ein Tefl der KH- Pr~mie mathematisch kalkulierbar. Denn unser Faktor T entzieht sich der Voraus- bereehnung. Wir kSnnen ihn statistisch beobachtmn und dadurch Vorstellungen dariiber gewinnen, welche Zukunftsentwieklung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist; er kann sich aber immer noch in einem bedeutenden Spielraum in nicht vor- hersehbarer Weise ver~ndern. Indessen ist er ffir den ganzen Tarif einheitlich. Also kann der Mathematiker dem Praktiker der KHV zwar allenfalls sagen, wie sieh die Pr~mien f'tir die einzelnen Versicherungsrisiken untereinander verhalten miissen; aber die Festlegung des Tarifniveaus, die schon durch eine einzige Pr~mie effolgt -- denn alle anderen ergeben sich aus dieser einen ja nach festen Regeln -- beh~lt niehtmathe- matischen Charakter. Mit dem Risiko der Ver~nderlichkeit yon T kann man sich auf die verschiedensten Weisen auseinandersetzen: Man kann es auf die Versicherungs- gesellschaft iibernehmen, obwohl es in gewissem Sinne versicherungsfremd ist. Man kann einen reiehlichen Sicherheitszuschlag in die Pr~mien einreehnen; dann kann ein Ansprueh der Versicherten auf irgendeine Pr~mienriiekvergiitung entstehen. Man kann auch die Pr~niens~tze dureh fiir alle Versieherungen einheitliche Zu- oder Abschl~ge an die sich ~ndernden Preise und Entsch~ligungsbetr~ge im nachhiuein anpassen; da man damit aber immer zu sp~t kommt, bedaffes such dann noch eines Sieherheitszuschlags. Wie man sich aber auch entscheiden mSge: es handelt sieh hier stets um eine gesch/~ftliche, eine kaufm~nnische Frage, nicht eine mathematische.

C.

Die mathematischen Schwierigkeiten der KHV liegen in der Schadenswahrscheinlich- keit q. Wir wissen, dab sie fiir verschiedene Kategorien yon Versicherungen ver- schieden hoch ist, und dab sie je danach variiert, wieviele Seh~den auf die ver- schiedenen Gruppen yon Versicherten in der Yergangenheit entfaUen sind. Daher miissen wir nun, wenn wit in der Formulierung yon Mises folgen, den RfickschluB aus wiederholten Beobachtungen auf die Grundwahrseheinlichkeiten machen. Zum ersten Mal behandelt wurde diese Aufgabe bekanntlich yon Bayes, nach dem sie genannt zu werden pflegt; seine Arbeit dariiber wurde nach seinem Tode, vor nunmehr 199 Jahren, yon Price ver6ffentlicht. GewShnlich nennt man dabei die urspriingliche Annahme fiber die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses Wahrscheinlichkeit a priori, die auf Grund der Effahrung beriehtigte Wahrseheinlichkeit a posteriori; yon Mises spricht stattdessen yon Anfangs- und Endwahrscheinlichkeiten und kommt damit der Verst~ndlichkeit entgegen. In einer letztes Jahr erschienenen Abhandlung fiber das ,,Problem des Bonus in" der KHV" heiBt es, die klassisehe Pr~miendifferenzierung versuche, jedes individuelle Risiko yon vornherein endgul" rig und ,,riehtig" einzustufen, w~hrend man es in der

KHV neuerdings mit dem Versuch einer nachtr~glichen Prgmiendifferenzierung nach dem tats~ichlichen Schadensverlauf zu tun babe. Wenn man sieh fiber den gedanklichen Inhalt dieser Antithese klar werden will, dann sieht man, dab es darauf ankommt, weshalb bisher so vorgegangen worden sein soil Hat man geglaubt, mit propheti- schen F~higkeiten begabt zu sein ? Offenbar nicht; Versicherungen werden ja ab- geschlossen, weft man die Zukunft nicht voraus weiB! Hat man bisher Schadens- erfahrungen nach dem AbschluB der Versicherungen deswegen nicht mehr verwerten k6nnen, weil der Eintritt des Schadens don Abschlu[3 weiterer Versicherungen unm6g. lich machte ? So liegen die Dinge in der Lebensversicherung, aber fast nirgends sonst ! Oder geh6rt es zu den Grunds~tzen der Versicherung, aus Effahrungen, auch aus schlechten, nichts zu lernen ? Niemand wird behaupten, die Versicherer w~ren so ~Sricht: Jeder Feuer-, Transport- oder Unfallversicherer wird vielmehr, wenn in einem bestlmmten Komplex der Schadensverlauf yon den urspriinglichen Annahmen ab- weicht, die Pr~mie an der Effahrung korrigieren. Dazu er6ffnet ihm das Versicherungs- vertragsgesetz auch rechflich die M6glichkeit, denn jede Versicherung kann nach dem Eintritt eines Schadens gekiindigt werden. Und der Mathematiker kann nur best~ti- gen, dab die Anfangswahrscheinliehkeit des Eintritts yon Sch~den im allgemeinen etwas anderes als die Endwahrschelnlichkeit ist, und da~ man die erste dureh die zweite ersetzen muB, sobald man praktische Effahrungen hat. Die Behauptung h~tte also lauten soUen, dab man sich in der KHV mit Schadenseffahrungen w~hrend des Be- stehens des Versicherungsschutzes sehr viel 5fter auseinandersetzen muB als irgendwo sonst. In der Tat ist es ja nut die selbstverst~ndliche Forderung, dab man aus Er- fahrungen auch Folgerungen ziehen mul3, die man fiir die KHV spezieU dahin formu- liert hat, man mfisse in ihr einen Bonus oder einen Schadenfreiheitsrabatt einr~umen.

D.

Mit der Feststellung, dab wir auch in der KHV die Schadenswahrscheinliehkeiten und damit die Bedaffspr~mien selbst laufend an der Effahrung korrigieren mfissen, ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob wir denn iI¢ ~ed~m Jahr eine nach MaBgabe der uns verffigbaren Erkenntnis berichtigte Bedaffspr~mie erheben miissen oder zu Durchschnittsbfldungen irgendwelcher Art schreiten k6nnen. Zwar ist es im gesamten Bereich der Sach- und der Schadensversicherung herk6mmlich, dab man gerade die j~hrllche Bedarfspr~mle fordert. Aber immerhin wird es in der Lebens- versicherung anders gehandhabt, in ihr wird in der Regel die Pr~mie so berechnet, dab sie w~hrend der ganzen Zahlungsdauer gleich bleibt. Das nennt man bekanntlich Anwartschaftsdeckungsverfahren. Es beruht darauf, dab die Reihe der sich yon Jahr zu Jahr ~ndernden q-Werte im vorhinein mit hinreichender Genauigkeit be- kannt ist -- wir brauchen ja nur in die Sterbetafel zu schauen -- und darauf, dab es sich bei ihnen um eine monoton steigende Reihe handelt; denn ein Ausgleich zwischen der Belastung verschiedener Jahre setzt ja voraus, dab wir zuerst mehr erheben kSnnen, als wir brauchen. In der KHV -- und fibrigens im gesamten Bereich der Sach- und der Schadensversicherung -- liegen die Dinge aber anders: Zwar haben wir auch hier eine Reihe yon aufeinander folgenden q-Werten, aber beispie]sweise den des (n + 1)ten Versicherungsjahres kSnnen wir erst gewinnen, wenn uns die Er- fahrungen der vorhergehenden n Versicherungsjahre vorliegen, und zwar verwenden wir die Endwahrscheinlichkeit des ersten, zweiten, dritten Jahres als Anfangswahr- scheinlichkeit des zweiten, dritten, vierten usf. Au~erdem steigt auch die Reihe der q.Werte nicht monoton. Wir wissen lediglich, dab in ihr mit wachsendem n die urspriingliche Anfangswahrscheinlichkeit immer starker an Gewicht verliert, so da~ ihre Werte im allgemeinen oszillieren werden; bei schadensfreiem oder schadensarmem

Verlauf werden sie sogar zun~chst monoton abnehmen. Beide Voraussetzungen ffir die Anwendung des Anwartsehaftsdeekungsveffahrens der Lebensversicherung sind also nieht gegeben. Trotzdem hat man yon einem Anwartschaftsdeekungsveffahren in der KHV gesproehen. Was darunter verstanden werden sell, ist nnklar. Ebenso muB man wohl beanstanden, wenn hn gleiehen Zusammenhang veto Umlagever- fahren gesproehen worden ist. Dieses besteht darin, dab man zuerst abwartet, wieviel man braueht, und den Betrag nachtr~glich yon den Beteiligten erhebt. Das kommt darauf hinaus, dab man keinerlei Risiko fibernimmt; eine Versicherung aber besteht darin, dab der Versieherer ein Risiko fibernimmt und dabei dutch eine zweckent- sprechende Kalkulation auf seine Kosten zu kommen sucht. In den gleichen Bereich geh6rt es, wenn wir yon negativen Reserven in der KHV hSren. Obwohl die Mathe- matik im Rahmen des Prinzips der Permanenz der formalen Gesetze solche Bezeich- nungen verwendet, ist eine negative Reserve doch keine Reserve, sondem ein Fehl- betrag, so daB sagen wir etwa Buehhalter und Steuerprfifer, die yon negativen Reserven reden, damit bestenfalls eine Gedankenlosigkeit begehen. Ich m5ehte die Liste nicht noch verl~ngem; Goethe hatte aber wohl recht, als er warnte: ,,Eben we Begriffe fehlen, da stellt ein Weft zu rechten Zeit sieh ein." Da eine zeitliche Durchschnittsbfldung, wie sie in der Lebensversicherung unter dem Namen Anwartschaftsdeekungsveffahren effolgt, in der KHV aus den erw~hnten Grfinden unm6glich ist, spielt sie auBerhalb nicht zu Ende gedachter VerSffent- lichungen auch keine RoUe. Es gibt aber auch eine Durehschnittsbildung fiber ver- sehiedene Kategorien yon Versicherten hinweg, und sie hat als sog. Einheitstarif in der historischen Entwicklung Bedeutung gehabt. Mathematiseh bedeutet sie einfach, dab man yon Anfangswahrscheinliehkeiten auch noch ausgeht, wenn man schon Endwahrscheinlichkeiten haben kann. Das ist natfirlich falsch. Mathematisch brauche ich das nicht darzutun; wirtschaftlich ist klar, dab man sich keine Durchschnitts- bildung gestatten kann, wenn man die dadurch zu schlecht behandelten Risiken an die Konkurrenz verlieren und auf den zu gut behandelten Risiken sitzen bleiben kann, so dab man keine ausreichende Pr~mieneinnahme mehr hat. Ein solches Veffahren ist n u r durehffihrbar, wenn es keinen Wettbewerb gibt, m. a. W. wenn man sich auf staatlichen Zwang stiitzen kann; dann aber ~ es durchffihrbar. In der Tat bezieht sich ja die Berichtigung, die wir vornehmen, indem wir die Anfangswahrschelnlleh- keiten dureh die Endwahrscheinlichkeiten ersetzen, nur auf die Verteilung, nicht aber auf das Gesamtergebnis. Durchschnittsbildungen unter Zwang kSnnen auch anderswo versueht werden, man denke z.B. an die Lebensversicherung mit technischer Durch- schnittspr~mie. Wir finden uns hier offenbar nicht nur vor einem technischen, sondern auch vor einem sittlichen Problem, n~mlich dem Vorgehen des edlen R~ubers, der, wenn auch wohl nieht ohne Seitenblick auf das eigene Interesse, den einen plfindert, um dem anderen zu geben. Der Einfaehheit halber mSehte ieh also im Fotgenden eine unter Zwang effolgende Durchschnittsbfldung zu Gunsten einer Kategorie von Ver- sicherten und zu Ungunsten einer anderen R i ~ i ~ i m e t h o & nennen. Wie wir gesehen haben, passen im Rahmen eines Wettbewerbssystems in die KHV Rinaldinimethoden nieht.

E.

Mit der Erkenntnis, dab w/r auf Durchschnittsbildungen verzichten mfissen, wird das theoretische Leitbild der KHV klar: Wir mfissen allj~hrlich die Bedarfspr~mie erheben, sie zun~chst nach denjenigen Kenntnissen bemessen, die wir beim Eintret~n eines Risikos in den Versicherungsschutz haben, und sie dann laufend an der Er- fahrung, d.h. am Sehadensverlauf korrigieren. Solche Korrekturen k5nnen freilich

nicht alle in der gleiehen Riehtung erfolgen, vielmehr zeigt schon das einfachste Beispiel, dal] es Korrekturen nach unten und nach oben geben mull Wir brauchen uns nur vorzustellen, dab wir eine Gruppe yon Versieherten haben, die vor einem Jahr unter gleichen Verh~ltnissen in den Versicherungssehutz eingetreten sind, die also alle zun~ehst die gleiche Pr~mie zahlen. Wenn sich in dieser Gruppe der gesamte Schadensverlauf nicht iindert, wohl aber ein Tell der Versicherten wegen schadens- freien Verlaufs eine Pr~mienerm~13igung erh~lt, so reicht die Pr~mieneinnahme ins- gesamt nur noch aus, sofern gleichzeitig die Pr~mie ffir die anderen Versieherten im entspreehenden AusmaB erhGht wird. Sind die beiden neu entstandenen Untergruppen zuf~]lig gerade gleich groB, dann erh~lt also jeder Versicherte der einen Gruppe eine bestimmte Pr~mienerm~13igung und jeder der anderen die gleiche Pr~mienerh6hung; umfaflt die Untergruppe derjenigen, die die Erm~l]igung erhalten, zwei Drittel der ursprfinglichen Gruppe, so wird der Zuschlag, den die Versieherten der anderen Untergruppe zahlen mfissen, doppelt so hoch sein wie die Erm~Bigung usw. : Pr~mien- erm~Bigungen und Pr~mienerhGhungen mfissen sich aufwiegen. Wenn in einem Bereich die durchschnittllche Schadenssumme yore Fahrzeugtypus unabh~ngig ist -- und es gibt bekanntlich reeht umf~ngliche Bereiche dieser Art --, dann ergibt sieh in ibm die Abstufung der Pr~mien, die wir beim Eintritt in den Versicherungsschutz erheben, einfach aus der durchschnittlichen Zahl der Sch~den, die wir erwarten. Beriehtigen wir dann die Pr~mien nach dem Schadensverlauf, so werden die der folgenden Jahre je l~nger desto weniger yon jener ursprfinglichen Annahme und je l~nger desto mehr yore Schadensverlauf abh~ngen. Die Aufgabe, vor der wir uns finden, n~mlich jedes Jahr jede KH-Pr~mie neu zu berechnen, reduziert sich deshalb mathematisch im wesentlichen darauf, die q-Werte abzustufen; in dem besonderen Fall, daB wit eine konstante Schadensh~ufigkeit beobachten, wird des- hall) die Reihe unserer aufeinandeffolgenden q-Werte asymptotisch verlaufen. Mit unserem Veffahren werden wir offenbar selbst dann auf die Dauer zu immer besseren Ergebnissen kommen, wenn die Einstufung beim Eintritt in die Versicherung fehler- haft war. Baye~ hat bekanntllch postuliert, wenn man nichts N~heres wisse, so]le man einfach yon der Gleichwahrscheinliehkeit a]ler denkbaren Ursachen ausgehen. Um- gekehrt bedeutet das, daft man damn, wenn man Anhaltspunkte hat, sie auch ver- werten so]l, und wenn man sie erst allm~hlich bekommt, schrittweise vorgeht. Man engt damn also den Bereich, innerhalb dessen man die zu verwendenden Wahrschein- lichkeiten zu suchen hat, immer starker ein. Diesen letzteren Fall haben wir bei unserem Verfahren vor uns. In Bohlmann~ Artikel fiber die Lebensversieherungsmathematik in der Enzyklop~die der Mathematischen Wissenschaften werden Sic die Bemerkung finden, es g~be Autoren, die sich auch ffir die Begrfindung der Lebensversicherungsmathematik der Bayes'schen Regel bedienten. Indessen genfige es, stattdessen in erster Ann~he- rung die beobachtete Sterblichkeit mit der wahrscheinlichen Sterblichkeit zu identi- fizieren. Betrachtet man diese Bemerkung im Licht unserer bisherigen Festste]lungen, so wird klar, w~halb das m6glich ist: Es bedeutet einfach, dal3 der Prozel] der sehrittweisen Einengung des Bereichs, aus dem man die Wahrscheinliehkeiten zu w~hlen hat, schon ein Stfick fortgeschritten ist, und zwar yon der Gleichbehandiung aller Altersklassen bis zur Differenzierung nach dem Alter. Abgeschlossen ist er indessen nieht, denn es gibt auch jetzt noch sog. erh6hte Risiken, die wir einer Sonder- behandlung unterweffen. Von hier aus kann man vie]leieht zu einer Definition des Begriifs ,,erhShtes Risiko" kommen. Mit der Feststellung, ein erh6htes Risiko sei kein normales oder umgekehrt, ist ja nichts definiert. Wir kSnnen aber vie]leicht sagen, daft ein erh6htes Riaiko ein solches ist, dessen Einstufung in eine hShere als die seinem

Alter entsprechende Risikoklasse in der Meinung effolgt, dab damit unsere einzelnen Risikoklassen ,,homogener" werden, m. a. W., dab damit die Streuung um die yon uns zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeiten geringer wird. Festgehalten werden muB dabei vor allem, dab wir immer im Bereich der Wahrscheinlichkeitsaussagen bleiben und nicht prophezeien. Infolgedessen ist es denn auch durchaus mSglich, dab ein nor- males Risiko friih stirbt; der gegenteilige Fall des fr0_her einmal als erhShtes Risiko Abgelehnten, der uns alljghrUch eine Postkarte schreibt, er lebe immer noch, ist vielen unter uns gelgufig. Aueh fiir die KHV besteht die Aufgabe darin, anhand der Schadenserfahrungen m6glichst homogene Risikoklassen zu schaffen. Es steht ja fest, dab wires in der KHV zungchst mit stark inhomogenen Bestgnden zu tun haben, so dab sich die End- wahrseheinlichkeiten in aller Regel stark yon den Anfangswahrscheinliehkeiten unter- scheiden werden (ich brauche da nur unseren Kollegen Tr6bliger zu neunen), fiir die KHV sind unsere ~berlegungen also alles andere als theoretischer Natur. Damit sind wir ftir die KHV ebenso wie fiir die Lebensversieherung bei dem Prinzip der nmximum likelihood angekommen, also bei der Forderung, unsere Annahmen so zu wghlen, dab die Wahrscheinliehkeit der Riehtigkeit unserer Beobaehtungen m6gliehst groB wird. Es gibt bekanntlich eine Sehule, welche dieses Prinzlp im axiomatisehen Aufbau der Wahrseheinliehkeitsrechnung an die Stelle der Bayes'schen Regel setzen m6chte. Unser Problem illustriert, dab es sich hierbei nur um einen Untersehied in der Blick- richtung handelt. Diese miteinander austauschbaren beiden Axiome der Wahrschein- lichkeitsreehnung stehen an sich in einem ebensolchen Verhgltnis zueinander wie in der enk|idischen Geometrie das Parallelenaxiom und der Satz, dab die Winkelsumme im Dreieck zwei Reehte betrggt; nur ist die Bayes'sche Regel seheinbar anschaulich, wghrend das Prinzip der maximum likelihood die ganzen Schwierigkeiten der Saehe in den Vordergrund rfiekt und insbesondere erkeunen hiBt, dab wir uns vor einem Optimalproblem der Art finden, wie sie in der Spieltheorie und der Untemehmens- forsehung (operations' research) behandelt werden, und dab bier die MSgliehkeiten der Streuung der Beobachtungswerte um die Mittelwerte ngher zu untersuchen shad. Die Streuung selbst hat man zwar auch schon elementar an der Zahl ocler der Summe der Absolutwerte der Abweiehungen bei reehnungsmgBigem Verlauf veto rechnungs- mgBigem Durehschnitt zu messen versucht; dies er~nnert an die Versuehe, die ge- macht wurden, bevor Legendre 1806 und Gaufl 1809 zeigten, dab die Methode der kleinsten Quadrate mit viel weniger Miihe viel weiter fiihrt -- wobei es allerdings nicht mehr ohne die sog. h6here Mathematik abgeht. Ganz besonders gilt dies, da es ja nieht geniigt, die Streuung zu messen, sondern die Aufgabe darin besteht, sie m6glichst klein zu machen, ohne dab sie verschwinden k6nnte. Denn aueh bei optimalem Aufbau des Prgmientarifs bleibt immer die zufalls- bedingte Streuung iibrig, die dem Versicherungseffekt entspricht. Nur Fehler im Aufbau des Prgmientarifs, also eine wesensbedingte Streuung, sollen ellmluiert werden. Daraus folgt, dab immer diejenige LSsung die bessere ist, die eine geringere Streuung zur Folge hat. Aber erheblich bleibt sie immer, und sie versehwgnde nur dann, wenn die Versicherung durch den reinen Sparvorgang ersetzt wiirde.

F.

Die Frage einer mSglichst zweekmgBigen Festsetzung der ersten Anfangswahrschein. lichkeiten, d.h. des Anfangstarifs, ist offenbar fiir die KHV yon gro6er Bedeutung. Um sie richtig zu beantworten, miissen wir auf die Grundlagen zur/ickgehen. Wenn wir zungchst unterstellen, wir besgBen keine andere Unterlage als eine Statistik, aus welcher nach technischen Eigensehaften der Fahrzeuge geordnet die Sehadensquoten

hervorgehen, dann haben wir nach dem Prinzlp der maximum likelihood eben diese Schadensquoten der Berechnung unserer Anfangspr~mien zugrunde zu legen. Unser Anfangstarif entspricht dann vollst~ndig dem frfiheren Einheitstarif; nut wurde dieser w~hrend der ganzen Dauer der Versicherungen angewandt, w~hrend die Grundprinzipi- en der Wahrscheinlichkeitsrechnung fordern, da~ die Anfangspr~mien sparer entspre- chend dem Schadensverlauf abgestuft werden. Wer diese Abstufung ablehnt, verwirft damit woh! geradezu die Wahrscheinlichkeitsrechnung, die Mathematik als solche.

G. Als der Einheitstarif aufgelockert und der ~bergang zu individuellen Tarifen vor- bereitet werden soUte, beschloB man, als ersten Schritt yon dem AusmaB der Schadens- freiheit abh~ngige Pr~mienerm~Bigungen einzuffihren. Wir werden diese kurzweg als Bonus bezeichnen, weiles im Rahmen unserer Betrachtung unerheblich ist, wie man die Erm~igung nennt und ob man sie vorweg auf die Prgmie oder erst im nachhinein aus den Uberschfissen einrgumt. DaB damit das Kernproblem angefaBt wurde, kSnnen wir angesichts unseres Leitbfldes nur best~tigen. Die Pr~mien des Einheitstarifs hSr- ten damit auf, Mindestpr~mien zu sein. Sie blieben aber noch H5chstpr~mien. Anders ausgedrfickt, man hatte einen gewissen, wenn auch begrenzten Wettbewerb zun~chst nur fiir den Bereich der Versicherungen mit unterdurchschnittlichem Schadensver- lauf eingeffihrt; fiir die fibrigen blieb es einstweilen noch bei dem herkSmmlichen Rinaldiniveffahren. Damit entstand die Frage, wie der Pr~mienausfaU gedeckt wet- den sollte. Die Antwort lautete damals: Wit fiihren nunmehr einen Bonuszuschlag ein; so lange man an dem H5chstpr~miencharakter des Einheitstarifs festhalten muBte, war dies ja der einzige gangbare Weg. Dabei handelt es sich also um das Symptom eines Ubergangsstadiums; der Bonuszuschlag wird nur gebraucht, solange man fiir Versicherungen, die schadenbehaftet sind, zu wenig Prgmie erhebt, er wird aber gegenstandslos, sobald man ffir al~ Versicherungen die Bedarfspr~mie bekommt.

H. In Wirklichkeit geh5rt, wie wir schon gesehen haben, zum Bonus, der Pr~miener- m~igung fiir schadensarme und schadensfreie Versicherungen, die Prgmienerh5hung fiir schadensreiche Versicherungen, der Malus. Diese letztere MSglichkeit ist der deutschen KHV erst vor verhgltnism~Big kurzer Zeit dadurch erSffnet worden, dab jetzt schlechten Risiken bis zum Doppelten der normalen Anfangspr~mie angelastet werden kann. Theoretisch befriedigt diese Ma6nahme noch nicht. Denn mehr als die doppelte Pr~mie kann ja nicht verlangt werden. Die Zahl der sog. ,,Unf~llsr" im ge- samten Bestand ist aber verh~ltnism~Big gering, und auf sie enff~llt ein unverh~ltnis- m~6ig holler Anteil der Sch~den. Die Regelung reieht also nicht aus, um alle Unf~ller gerecht heranzuziehen, und daher ist es dann auch nicht mSglich, alle schadensfrei oder schadensarm verlaufenden Versicherungen so billig zu gestalten, wie das bei Erhebung der Bedarfsprgmie ffir alle Versicherungen m5glich w~re. Auch ergibt sich die erlaubte Mehrpr~mie aus der fiir die betreffende Fahrzeugart allgemein festge- legten Anfangspr~mie; denjenigen Unf~ller, der zufMlig ein Fahrzeug eines im Durch- schnitt des gesamten Versicherungsbestandes mit wenig Sch~kIen behafte~en Typus f~hrt, kann man also auch nur in unterdurchschnittlichem Ausma~ heranziehen. Auch tiber diese Ungerechtigkeiten hinaus vertr~gt sich wie gesag~ eine H5chstpr~mie gleich welcher Art mit einem Wettbewerbssystem grunds~tzlich nicht. Indessen ist die Frage mit der Forderung, die H5chstgrenze ffir die Pr~mie abzuschaffen, nicht ausdiskutiert, denn bereits eine Verdoppelung der an sich erheblichen Pr~mien schl~g~ zu Buche und wird also den Anteil der Unf~Uer am gesam~en Scha- densaufwand herabdriicken. Wiirde or schon jetzt s~hr gering, dann verlSron die

grunds~tzlichen Bedenken ihr Gewieht. Dieser Gegenstand wird nicht ganz treffend als ,,Annahmezwang" erSrtert. Nun ist aber auch die HSchstzahl der Sch~den, die ein Unf~ller in einem Jahr anrichten kaun, aus natftrlichen Griinden begrenzt, selbst solche Risiken sind also versicherbar, vorausgesetzt nur, dal~ man ffir sic die nStige Pr~mie erhglt; sie sind sogar in gewisser Hinsicht besonders interessant, wenn man sie richtig eintarifiert, denn je grSBere Risikopr~mien man erh~.lt, desto friiher erreicht man den versicherungstechnisehen Ausgleich. Das Wort ,,Annahmezwang" kSnnte also ohne Schaden aus der Diskussion versehwinden; es wird genfigen, wenn man ffir jedes Risiko die angemessene Pr~mie fordern kaun und wirklich fordert.

FAn Bedaffspr~mientarif wird natiirlich yon den Anfangspr~mien ausgehen und diese in einer Anzahl yon Klassen ffir sehadensarme und schadensfreie Versicherungen naeh unten, ffir schadensreiehe Versicherungen naeh oben abstaffeln. Offenbar hat also der Mains seine endg/iltige Form noch nicht gefunden. Um ihn erheben zu kSnnen, braueht man Feststellungen fiber den Sehadensverlauf in der zurfickliegenden Zeit, einsch]ieBlich der Jahre, w~hrend deren die Versicherung bei einem anderen Ver- sicherer bestanden haben mag. Man finder sich damit vor der Notwendigkeit, eine Antragsprfifung einzuriehten, einem technischen Problem, das zur Zeit des Einheits- tarifs nicht existierte. Liel3e man es ungclSst, so mfil3te es offenbar in gewissen Be- reichen der KHV endgiiltig beim Rinaldiniverfahren bleiben. Das w~re allerdings mit der herrsehenden Auffassung kaum zu vereinbaren; ganz abgesehen davon, da6 man jetzt, wo bereits eine ganze Anzahl yon Schritten zur HersteUung des freien Wettbe- werbs getan worden ist, vermutlieh gar nicht mehr auf halbem Wege stehen bleiben kann. Das ist die eine Bemerkung, die zur jetzigen Tarifgestaltung gemacht werden muB. Die andere ist die, da6 durch den Ubergang auf Bedaffspr~mien das Veffahren der Bonusgew~hrung seincn Inhalt ~ndert. Man hat angefangen mit einem Rabatt, der das Tarifsystem auflockem sollte; dabei waren die gew~hlten Bonuss~tze das Prim~re, und man versuchte dann, Konsequenzen fiir die Bereehnung der Tarif. pr~mien zu ziehen, wie das in dem Wort Bonuszuschlag zum Ausdruck kommt. In einem Tarifsystem mit Bedarfspr~mien stellt sich die Frage umgekehrt: Es handelt sich nun darum, welches der Unterschied zwisehen der anf~nglichen Pr~mie und der Bedarfspr~mie des jeweiligen Versicherungsjahres ist, und nur diese Differenz kann sis Bonus - - weun sie ein negatives Vorzeichen hat, als Malus -- in Frage kommen. M. a. W., der Ubergang zu einem System der Bedarfspr~mien stellt die Frage, oh das jetzt iibliche Bonussystem nicht in dieser oder jener Hinsicht verbesserungsfiihig oder sogar verbesserungsbed/irftig ist. Soweit die sehadenfreien und schadenarmeu Ver. sicherungen in Frage kommen, ist das bisherige Veffahren einfach und international bew~hrt, Vorziige, auf die zu verzichten ~richt w~re. Man wird also nicht leichten Herzens an ihm ~ndem; aber auf jeden Fall mu6 es auf den Bereich der mit Sch~den behafteten Versieherungen ausgedehnt werden. Das mathematische Idealbild unseres Tarffsystems besteht also aus einer Reihe yon Ri- sikoklassen... K-4, K-3, K-2, K-l , Ko, K1, K2, K3, K4... Dabei sell Ko die Risikoklasse sein, in die unsere Anfangspr~mien gehSren, yon ihr nach rechts schreiten wir fort zu den niedrigeren Risikoklassen (Bonusklassen) K1, K2 usw., nach links zu den h5heren Risikoklassen (Malusklassen) K-l, K-2 usw. In welche Risikoklasse eine Versicherung nach n Jahren gehSrt, ergibt sich aus dem Verh~ltnis qn/qo; dabei ist qn die Endwahr- scheinlichkeit, die ihrerseits durch die Anfangswahrscheinlichkeit qn-1 in Verbindung mit dem Sehadensverlauf bestimmt ist. Ein besonders einfaches Veffahren ergibt sieh dann, wenn man der Klasseneinteilung die geometrisehe Reihe zugrunde legt.

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J,

Zu dem allgemeinen Versicherungsbestand ksnn ein Sonderbestand hinzutreten, der sich durch irgendein Kriterium nicht technischer Art vom Allgemeinbestand abhebt mad andere Sehadensquoten aufweist. Allerdings kSnnen wit in diesem Zusammen- hang nicht jedes beliebige Kriterium gelten lassen; vielmehr kSnnen wir nut Kriterien verwenden, deren Bedeutung sich vom Beginn ihrer statistischen Beobachtung ab bis zum Ende der Verwendung der Resultate nicht ~ndert und die auch nicht der Oefahr der F/i]schung ausgesetzt sind; sonst sind es keine Kriterien mehr, oder, wenn Sie so woUen, sonst haben wir ei~ Kriterium beobachtet und nachher ein a~eres ange- wandt. M. a. W., die Konstanz oder doch mindestens Stabilit~t unserer Kriterien, ihre leichte Kontrollierbarkeit und die tats~chliche Kontrolle ihrer Anwendung sind yon entscheidender Bedeutung. Insbesondere daft ihre Stabilit/~t nicht schon durch die Gestaltung unseres Pr~mientarffs ins Wanken geraten. Dabei kommt es aber nicht darauf an, was theoretisch m6glich ist, sondem darauf, was wirklich geschieht; die Praxis kann theoretische Bedenken s]S unn6tig erweisen. Betrachten wit bspw. den geographischen Bereich, in welchem ein Kraftfahrzeug verwendet wird; er hat be- kanntlieh EinfluB auf das Risiko. Diesen kSnnen wir statistisch absch~tzen, denn his- her war es mSglich, den Standort eines Fahrzeuges und den Wohnort des Halters, an welchem es zugelassen wird, in erster Ann~iherung a]s identisch zu betrachten. Sobald jedoch die Pr~mie geringer wird, wenn ein Kraftfahrzeug in A start in B zugelassen wird, kommt es darauf an, in welchcm Umfang Fahrzeuge, die an sich nach B geh6ren, in A zugelassen werden. Eine Firms, die einen grol3en Wagenpark in B hat, wird wohl stets den Weg finden, sich den Pr~mienunterschied zu Nutze zu machen. Eine andere Frage ist, ob das gleiche such dann geschehen kann, wenn der Halter und der Fahrer des Kraftfahrzeuges miteinsnder identisch sind, d. h. im Falle des Privatwagens, und wieder eine andere, wieweit es dann, wenn es geschehen lcann, auch w~rldi~h geschieht. Man sieht, der Wert oder Unwert des Kriteriums Wohnort h/ingt such davon ab, wie und woes im Anfangspr~mientarif zur Geltung kommt, und nicht nur clavon, sondem welter davon, ob solche Bestimmungen lax oder streng angewandt werden. Analoges gilt natoxlich such yore Beruf des Halters als Einsch/itzungsmerkmal. Kriterien dieser Art haben fibrigens die unangenehme Eigenschaft, dal3 mit ihrer Anwendung auch das Problem der GefahrerhShung akut wird: Wenn jemand den Wohnort oder den Beruf ~ndert, muB ja nun wenigstens im Grundsatz such das Fahrzeug in eine andere Tarifposition eingereiht werden. Ob man sich darfiber ebenso wie in der Lebensver- sicherung hinwegsetzen kOnnte, w~re mindestens zuerst zu untersuchen. Lassen Sie uns nun annehmen, dal3 wir es mit einem Kriterium zu tun haben, welches wir gelten lassen kSnnen. Wie sieht dann unsere Anfangspr~mienskala fox den Sonder- bestand aus ? Offenbar haben wir in Anwendung des Prinzips der maxdmum likelihood einfach mit der in der Statistik ausgewiesenen Schadensquote zu beginnen. Diese ge- h6rt freilich nun nicht in unsere Risikoklasse K0, sondern in irgendeine andere, sagen wir etwa Ks. Wenn wir dann bestimmte Schadenserfahrungen machen, gestaltet sich das weitere Schicksal einer solchen Versicherung nicht anders a]s das einer Versiche- rung, die nach irgendwelchen anderen Schicksalen schlieBlich in der gleichen Risiko- klasse gelandet ist und yon jetzt ab die gleichen Schadenseffshrungen aufweist; denn die Endwshrscheinlichkeiten der einzelnen Jahre werden in beiden F~illen durch gleiche Anfangswahrscheinlichkeiten und gleiche Sehadenseffahrungen bestlmmt, sie mfissen daher such ihrerseits iibereinstimmen. Die Einordnung yon Sonderbest~nden in unser Idea]system ist daher sehr einfsch; wit reihen die Versicherungen beim Be- ginn der Deekung in die entsprechende Risikoklasse ein, und sUes weitere ergibt sich dann ebenso wie fOx Versicherungen unseres Allgemeinbestandes.

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Leider llegen die Dinge wesenffieh komplizierter, so lange man zwar Bonusse ein- r~umt, aber noeh keine Malusse erhebt. Geht man n~mlich davon aus, dab der Sonder- bestand sieh selbst tragen sell, so ffihrt das dazu, dab sehadensarme und sehadensfreie Versicherungen des Sonderbestandes au] die Dauer billiger gew~hrt werden als solche des Allgemeinbestandes. Anders als eine g/instigere Einstufung der Versieherungen des Sonderbestandes nur ffir den Anfang wird das, wohl mit Reeht, als Privilegierung empfunden werden, lassen sich doch alle Pr~mienunterschiede nut durch Untersehiede im Sehadensverlauf rechtfertigen. Will man diese Klippe vermeiden, so muB man den Sonderbestand in irgendeiner Form starker belasten. Damit wird dann zwar die Gleichbehandlung innerhalb des Unternehmens hergestellt, nun geht aber die Wett- bewerbsf~higkeit gegenfiber anderen Unternehmen verloren, die vielleicht nur Ver- sicherungen der Art absehlieBen, wie sie in den Sonderbestand gehSren. Die ungleieh- m~Bige Auswirkung des Rinaldiniveffahrens je nach der HShe der Anfangspr~mien fiihrt also in ein Dilemma hinein; ibm entgehen kann man nur, indem man das Rinal. diniverfahren selbst beseitigt, also aueh ffir schadensreiehe Versieherungen die ange- messene Pr~mie und nicht nut die Anfangspr~mie erhebt. Natfirlich gibt es aueh Keuntnisse nicht statistiseher Art, die berfieksichtigt werden mfissen. Wie fiberall sonst k6nnen also auch in der KHV individuelle Momente dazu ffihren, dab man glaubt, yon dem allgemeinen Anfangstarif abweichen zu soUen. In der Theorie kann das ebenso gut zu Pr~mienerm&Bigungen wie zu -erhShungen ffihren. H~lt man sich aber die analogen Effahrungen der Lebensversicherer vor Augen, dann wird man vermuten, dab sich die ]allweise Unterschreitung der tariflichen Pr~mien aueh in der KHV als gef~hrlich erweisen wird.

Ein Tell der Schwierigkeiten, auf die man beim Tarifaufbau st6Bt, geht darauf zu- rfick, dab der Versicherungsschutz dem Halter des Kraftfahrzeuges gew~hrt wird; die H6he der Bedarfspriimie h~ngt aber, wie wit gesehen haben, zun~chst im wesent- lichen yon der Beschaffenheit des Fahrzeuges, sparer immer starker und schlieBlich iiberwiegend vom Schadensverlauf, d. h. yon der Eigenart des Fahrers im weitesten Sinne ab, und clieser brauch~ nicht mit dem Halter des Fahrzeuges identiseh zu sein. Die Abh~ngigkeit der Pr~imie veto Fahrer pflegt als das subjektive Risiko bezeichnet zu werden, ein Ausdruck, der insofern nicht ganz glfieklieh ist, als er in den fibrigen Versicherungszweigen auf die sittliehe Beschaffenheit des Versicherten zu zielen pflegt; in der KHV handelt es sich aber auch um Momente ganz anderer Art, wie z. B. die rasehe Reaktionsf~higkeit, den Wohnort, den Grad, in welehem der Fahrer das Fahrzeug tats~chlich benutzt u. dgl. -- aUes Dinge, die zwar in seiner Person liegen, aber sehr viel mehr als das, was in den iibrigen Versieherungszweigen das subjektive Risiko genannt wird; wir haben es sozusagen mit einem Integral fiber einen Bereich zu tun, yon dem das sub]ektive Risiko im herkSmmllehen Sinn nur einen Teil bildet. Es w~re also vielleicht besser, veto persSnlichen oder veto Fahrerrisiko zu sprechen. Mathematisch und wohl aueh praktisch k~me man vermutlich mit einem etwas ge- ~nderten Tarifaufbau leichter zu Rande: Zwar muB aus reehtlichen Grfinden der Versicherungssehutz dem Halter gew~hrt werden; das ist indessen kein zwingender Grand daffir, die Abh~ngigkeit der Pr~mie veto Fahrer nur indirekt, um nieht zu sagen verf~lscht, zur Geltung kommen zu ]assen. Jetzt wird ja der Sehadensverlauf /atent dutch die Wahl des Fahrers beeinfluBt, die der Kraftfahrzeughalter trifft; diese Abh~ngigkeit k6nnte man evident machen, wenn man die Bemessung der Pr~mie di. rekt an die Person des Fahrers knfipfte. Die Pr~mie wiirde sieh daun beim Fahrer- weehsel ~ndern, wie das der Vernunft entspricht; man k~me aus einer Anzahl sender-

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barer Dilemmata heraus, wie sie jetzt bspw. eintreten, wenn der Ehemann stirbt, der als Halter des Wageus aufgetreten ist, den die Ehefrau fghrt, oder wenn sich mehrere Fahrer in einen Wagen teilen, oder wenn jemand, der ursprfinglich einen Geschgfts- wagen fuhr, auch einen Privatwagen erwirbt usw. ; aueh die Fehlerquellen, die in der Verwendung yon Kriterien wie Zulassungsort oder Beruf des Halters stecken, writ- den zum mindesten geringer. So ghnlich wird in den USA veffahren; ein Umbau uuseres deutsehen Systems in dieser Richtung w/~re freilieh nicht einfach.

L.

Von den Problemen der KHV, die wir nun -- freilich nur recht oberflgehlich -- haben Revue passieren lassen, ist eines so gut wie vol]stgndig mathematisch-statistischen Charakters, ngmlich wie aus den Anfangsprgmien je nach der Schadenseffahrung die Prgmien fiir spgtere Jahre abgeleitet werden mfissen; es kann auch als die Frage nach dem zweckmg$igen Bonus- und Malussystem beschrieben werden. Aueh die Frage nach der Bemessung jener Anfangsprgmien selbst hat zu einem Teil mathe- matisch-statistisehen Charakter, sie enthglt aber auBerdem noch ein kaufmgnnisches Problem, ngmlich das der Voraussehgtzung unserer den Tarif normierenden Kon- stanten T, welehe die yon auBen her in die durchschnittlichen Sehadeussnmmen hineingetragenen Schwankungen reprgsentiert. Mit zu den beiden genaunten Prob- lemen gehSrt natfirlich die Einordnung der Prgmien in Klassen und die Frage der Sicherheitszuschlgge. Dagegen haben Kostenzusehlgge und eine etwaige eehte Ge- winnbeteiligung wieder geschgftspolitisehen Charakter. Jedenfalls ist hier noch viel mathematische Detailarbeit zu leisten. Im grollen Ganzen stehen aber die Maflmd~men, die die Praxis getroffen hat, mit der mathematischen Theorie nicht in Widerspruch. Dagegen kann man kaum behaupten, die bisherige D/skus,/on wgre der Saehe gerecht geworden. Uber die Frage, ob in der KHV die Prgmien dem Schadensverlauf angepaBt werden mfissen, auf die man nut ei~ Ant- wort geben kann und die auch mathematisch seit mlndestens 199 Jahren geklgrt ist, sind grebe Mengen unsehuldiger Tinte vergossen worden. Das wirkliche Problem liegt nieht im Ob, sondern im Wie: In den fibrigen Zweigen der Sach- und der Schadens- versicherung wird, schon der geringen Schadensquoten wegen, diese Frage nur ge- legentllch akut, und deshalb reicht die bisher fibliche Handhabung aus. Dagegen hat die gleiche Aufgabe in der K_HV ein riesengroBes AusmaB; man mull also systemati- sieren und technisieren. Dall die Diskussion in gewissem Sinne schief gelaufen ist, er- klgrt sieh wohl zungchst durch den Versueh, an die Lebensversicherung anznknfipfen, weft sie der Versicherunsgzweig mit den am besten durchgebfldeten Kalkulations- methoden ist. Indessen ist sie aueh der einzige, in dem die Anpassung der Prgmien bestehender Versicherungen an den Schadeusverlauf kein Problem fist, well Lebens- versieherungen mit dem Ted der Versicherten erl6schen. Man hat dann auch die Ter- miuologie der Lebensversicherung fibemehman wollen, ohne sich fiber den Inhalt dieser termini teehnici Reeheuschaft zu geben, und dar/iber hinaus viele weitere Fachausdrficke geschaffen, fiber deren Wert und begrifflichen Inhalt das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. So wurde es vor lauter Bgumen schlieBlich sehwer, noch den Wald zu sehen. Wenig termini techniei, aber prgzise Definitionen werden im be- sonderen gebraueht werden, um die Anpassung der Prgmien der KHV an den Scha- deusverlauf zweckmgBig zu gestalten. Lassen Sic uns unsere Kollegen yon der KHV vet allem bei der LSsung dieser aueh mathematisch schwierigen und hohe Ausprfiehe stellenden Aufgabe unterstfitzen.

Eingegangen am 25. Januar 1962.

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