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Ingenieurholzbau Wildbrücke 36 mikado 10.2012 Grünbrücke Es bewegt sich was Seit Juni 2012 ist Deutschlands zweite Grünbrücke in Holzbauweise montiert. Die Brücke könnte Vorbild werden für die bundesweit beschlossenen Querungsbauten zur Wiedervernetzung von Naturräumen. Holz hat dabei alle Argumente auf seiner Seite. D ie Bundesstraße B 101 ist neben den beiden Bundesautobahnen A 9 und A 13 die wichtigste Ver- bindung zwischen Berlin und Süd- brandenburg. Damit sich Städte und Gemeinden hier wirtschaftlich ent- wickeln können, ergänzen Bundes- und Landstraßen das weitmaschige Autobahnnetz. Um die Verkehrsströ- me zu bündeln, wird die B 101 im Streckenabschnitt von Luckenwalde bis zum Autobahnanschluss bei Lud- wigsfelde vierspurig ausgebaut. Seit August überspannt bei Luckenwalde eine Grünbrücke die Fahrbahn. Grünbrücke schützt Mensch und Tier Grünbrücken sind erdüberschüttete und bepflanzte Überführungsbau- werke, die für den gefahrlosen Wild- wechsel besonders von Reh-, Rot- und Schwarzwild gedacht sind. Sie sorgen dafür, dass Naturräume, die von Straßen zerschnitten sind, für die Fauna vernetzt bleiben. Wild wan- dert auf bestimmten Wegen, die oft quer über Straßen führen, zur Paa- rung in fremde Reviere. Ohne Über- gänge bedeuten solche Wildwechsel eine tödliche Gefahr für Tiere und Menschen. Mit Blick auf die vielen Wild- kollisionen und Verkehrstoten aus Wildunfällen pro Jahr sind sich Na- turschützer und Straßenbaulastträ- ger inzwischen darin einig, dass die Zahl der Querungshilfen zur Wieder- vernetzung der Naturräume deutlich erhöht werden muss. Also hat das Bundeskabinett Ende Februar 2012 ein Programm für 93 neue Querungs- bauwerke im Bestand der Fernstraßen beschlossen. Etwa 180 Mio. Euro ste- hen dafür zur Verfügung. Das Skelett wird montiert: Dreigelenk-Bögen in Korb- bogenform bilden einen 40 m langen, schalen- artigen Deckel R. LEGRAND IM AUFTRAG DER DEGES

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Ingenieurholzbau Wildbrücke

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Grünbrücke

Es bewegt sich was Seit Juni 2012 ist Deutschlands zweite Grünbrücke in Holzbauweise montiert. Die

Brücke könnte Vorbild werden für die bundesweit beschlossenen Querungsbauten zur

Wiedervernetzung von Naturräumen. Holz hat dabei alle Argumente auf seiner Seite.

Die Bundesstraße B 101 ist neben den beiden Bundesautobahnen

A 9 und A 13 die wichtigste Ver-bindung zwischen Berlin und Süd-brandenburg. Damit sich Städte und Gemeinden hier wirtschaftlich ent-wickeln können, ergänzen Bundes- und Landstraßen das weitmaschige Autobahnnetz. Um die Verkehrsströ-me zu bündeln, wird die B 101 im Streckenabschnitt von Luckenwalde bis zum Autobahnanschluss bei Lud-wigsfelde vierspurig ausgebaut. Seit August überspannt bei Luckenwalde eine Grünbrücke die Fahrbahn.

Grünbrücke schützt Mensch und Tier

Grünbrücken sind erdüberschüttete und bepflanzte Überführungsbau-werke, die für den gefahrlosen Wild-wechsel besonders von Reh-, Rot- und Schwarzwild gedacht sind. Sie sorgen dafür, dass Naturräume, die von Straßen zerschnitten sind, für die Fauna vernetzt bleiben. Wild wan-dert auf bestimmten Wegen, die oft quer über Straßen führen, zur Paa-rung in fremde Reviere. Ohne Über-gänge bedeuten solche Wildwechsel

eine tödliche Gefahr für Tiere und Menschen.

Mit Blick auf die vielen Wild-kollisionen und Verkehrstoten aus Wildunfällen pro Jahr sind sich Na-turschützer und Straßenbaulastträ-ger inzwischen darin einig, dass die Zahl der Querungshilfen zur Wieder-vernetzung der Naturräume deutlich erhöht werden muss. Also hat das Bundeskabinett Ende Februar 2012 ein Programm für 93 neue Querungs-bauwerke im Bestand der Fernstraßen beschlossen. Etwa 180 Mio. Euro ste-hen dafür zur Verfügung.

Das Skelett wird ▴montiert:

Dreigelenk-Bögen in Korb-

bogenform bilden einen 40 m

langen, schalen-artigen Deckel

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Holz auf dem Weg zum Standard

Der Großteil der bestehenden Grün-brücken in Deutschland ist in Be-ton- oder Stahlverbundbauweise ge-baut – lediglich zwei sind aus Holz. Die eine überspannt seit 2004 bei Wilmshagen, südöstlich von Stral-sund, die B 96, den sog. „Rügen-Zu-bringer“. Sie war bis vor Kurzem noch deutschlandweit – vermutlich sogar weltweit – die erste Grünbrücke aus Holz. Die andere Brücke spannt ih-ren Bogen seit Sommer 2012 über die B 101 bei Luckenwalde. Sie orientiert sich an den Planungsgrundsätzen der ersten, die sich nach sieben Jahren rundum bewährt haben.

Beide Bauwerke entwickelte und betreute die Deutsche Einheit Fern-straßenplanungs- und -bau GmbH – kurz DEGES – im Auftrag des Bundes und der Länder Mecklenburg-Vor-pommern bzw. Brandenburg.

Holz gewinnt Variantenvergleich

Im Vorfeld der Ausschreibung erstell-te die DEGES einen Variantenver-gleich zwischen einem Stahlbeton-rahmen und einem Dreigelenkbogen in Holzbauweise. Das Ergebnis lau-tete: „Aus technischen, funktiona-len und wirtschaftlichen Gründen ist eine Holzkonstruktion zu bevor-zugen.“

Neben den Aspekten Konstrukti-on, Kosten und Gestaltung sprach vor allem die kurze Montagezeit für die Holzbauweise, da die Brücke

Grünbrücken unterscheiden sich von Straßenbrücken vor allem durch geringere Nutzlasten. In Ausnahme-fällen können sie aber auch Fahrzeug-lasten tragen. Für Straßenbrücken entwickelte Gestaltungsrichtlinien lassen sich nicht auf diesen Brücken-typ übertragen. Es gibt einige Regeln, die zu berücksichtigen sind:

Der Brückenstandort muss im ▸Bereich eines Hauptwanderweges der Tiere liegen.Das Geländeprofil muss für den ▸Wildwechsel so gestaltet werden, dass die Tiere es annehmen.Die Nutzungsbreite im Scheitel ▸der Brücke sollte im Mittel 50 m betragen, kann aber im einge-schnürten Scheitelbereich auf etwa 40 m verringert werden.Besonderes Augenmerk ist ▸auf Bepflanzung, Blend- und

über fließendem Verkehr zu errich-ten war.

Hervorzuheben sind zwei Krite-rien: Brennt ein Fahrzeug unter der Brücke, wird Holz weniger geschädigt als Beton. Tragwerksteile lassen sich relativ einfach austauschen. Dassel-be gilt für mechanische Schäden am Tragwerk durch Unfälle. Zusätzliche Argumente für Holz waren die bes-sere Ökobilanz und die landschafts-gestaltende Wirkung des nachwach-senden Baustoffs.

Auch der gegenüber Beton kaum höhere Aufwand für die Erhaltung und die gute Dauerhaftigkeit über-zeugten beim Pilotprojekt. Den Nach-weis lieferte u. a. im Oktober 2011 die Überprüfung der Holzfeuchte: Sie lag in 4 cm Tiefe zwischen 13,4 und 15,3 %, was der Nutzungsklasse 2 nach DIN 1052 entspricht.

Auf Widerlagern ◂angeschlossen, werden die Träger im First zum Bogen zusam-mengeschlossen

Das Tragwerk ▸bilden BS-Holz-

Binder in Korbbogenform,

kombiniert mit einer Decke

aus Brettsperrholz

Visualisierung ▸der Primär-

konstruktion in Holzbauweise

auf Betonwider-lagern

bzw. Streifen-fundamenten

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Lärmschutz sowie die Absturz-sicherung zu legen. Die Schutz-wände sollten mindestens 2 m hoch sein und sich über die Brü-ckenenden hinaus trichterförmig aufweiten.Die Bepflanzung entlang der ▸Zäune und auf der Brücke ist abhängig von der Wurzeltie-fe. Im Scheitelbereich sollten die Überschüttung und die mögli-che Wurzeltiefe bei etwa 50 cm liegen. Zu den Widerlagern hin wird sie dann schnell größer.

Bogen ist optimales Tragwerk

Wie bei der ersten Grünbrücke wähl-ten die Planer auch für die neue, knapp 40 m lange Überführung Dreigelenk-bögen aus Lärchen-Brettschichtholz als Haupttragwerk (GL28h, Gesims-balken: GL24h). Anders als bei der ersten nutzten sie dafür jedoch nicht

den klassischen Druckbogen mit ei-nem Radius, sondern einen Korbbo-gen, der drei Radien (R1 = 9,55 m, R2 = 19,35 m, R3 = 33,50 m) vereint. Bei dieser Bogenform verstärkt sich die Krümmung zum Widerlager hin. Das ist sowohl für das notwendige Licht-raumprofil als auch für den Kraftfluss im Tragwerk von Vorteil.

Mit einer lichten Höhe von 7,50 m überspannen die 100 cm hohen und 20 cm breiten Bögen rund 32 m. Stahlgelenke auf den Widerlagern und im First bilden das statische Sys-tem aus. Im Achsabstand von 80 cm reihen sie sich zu einem „Tunnel“ aneinander.

Im Portalbereich sind die Bö-gen um 45° nach innen geneigt. Die Zwickel sind mit entsprechen-den Bogensegmenten und Querhöl-zern konstruktiv geschlossen. Die Schrägstellung ermöglicht eine vor-teilhafte Ausleuchtung der „Röhre“

und erlaubt die Anlage standfester Böschungen.

Das Sekundärtragwerk bilden ge-krümmte Lenotec-Brettsperrholz-elemente (Sonderanfertigung) mit 142 mm Dicke. Sie überdecken die Bogenbinder, an die sie von oben mit Senkkopfschrauben aus Edelstahl an-geschlossen sind. Die Scheibenwir-kung dieser „Beplankung“ sorgt für die Aussteifung und Stabilisierung des Gesamtsystems in Querrichtung. Die gekrümmte Schale trägt außer-dem die Auflast aus der Erdüber-schüttung (bis etwa 130 kN/m²) und leitet sie in die Bogenbinder ein.

Montage erfolgt von der Bauwerksmitte nach außen

Nach Herstellung der Gründung und der Unterbauten in Stahlbeton samt Verankerungspunkten dauerte die Montage der gesamten vorgefertigten

Brückenquerschnitt

Die ◂Konstruktion leitet die Auflasten aus der Erdüber-deckung auf kürzestem Weg zu den Wider- lagern ab

Die Abdichtung ▴wurde erst vor Ort aufgebracht

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Steckbrief

Bauvorhaben: Grünbrücke in Holzbauweise bei Luckenwalde

Bauzeit Unterbauten: 5 Wochen je Widerlagerseite

Bauzeit Überbau: Februar bis Oktober 2012 (inklusive Vorfertigung der Holz-träger, Erdbau und Irritations-schutzwände)

Baukosten: 3 Mio. €

Bauherr:DEGES – Deutsche Einheit Fernstraßen-planungs- und -bau GmbH D-10117 Berlin www.deges.de im Auftrag des Bundes und des Landes Brandenburg

Tragwerksplanung:Schwesig + Lindschulte GmbH D-18055 Rostock www.lindschulte.de

Prüfingenieure:Blaß & Eberhart D-76227 Karlsruhe www.ing-bue.de

Holzbauarbeiten, Projektleitung und Ausführung:

Schaffitzel Holzindustrie GmbH & Co. KG D-74523 Schwäbisch Hall www.schaffitzel.de

und Schaffitzel+Miebach Faszination Brücken GmbH D-53797 Lohmar www.schaffitzel-miebach.com

Holzkonstruktion lediglich vier Tage (je zwei Tage an zwei Wochenen-den). Eine Vollsperrung der B 101 war nur für sehr kurze Zeit erforderlich. Die weiteren Arbeiten an der Brücke konnten danach bei fließendem Ver-kehr mit halbseitiger Sperrung erle-digt werden.

Zur Stabilisierung bzw. Kippsiche-rung für Transport und Montage ha-ben die Monteure jeweils zwei Halb-rahmen mit 100 cm hohen und 20 cm breiten Druckhölzern (b = 24 bzw. 28 cm im Bereich der Portalbögen) über durchgehende Gewindestan-gen zu Zwillingsträgern zusammen-gespannt. Montiert haben sie sie von der Mitte des Bauwerks aus mithilfe von vier Autokränen. Dabei wurden die gegenüberliegenden Binderpaare jeweils zuerst auf den Widerlagern fi-xiert und dann durch Absenken im First zusammengeführt.

Die je nach Position auf den Bö-gen unterschiedlich gekrümmten BSP-Platten wurden – und das in Wiesenhagen erstmals – exakt auf die Steigung der BS-Holz-Binder an-gepasst. Auch die Unterkonstruktion für die Portalträger wurde im Werk vorgefertigt. Die Verschalung mit Fassadenprofilen aus Accoya-Holz dagegen erfolgte vor Ort. In der Ver-schalung befinden sich mehreren Re-visionsklappen, damit der Zustand der Träger jederzeit überprüft wer-den kann.

Eine Besonderheit stellen die bei-den als Randabschluss liegenden Por-tal- bzw. Gesimsbalken mit einem

Querschnitt von b/h = 40/40 cm dar: Wegen der geneigten Portalbögen sind sie zweifach gekrümmt.

Schutz vor Feuchtigkeit

Zum Schutz vor Feuchtigkeit folgt auf die BSP-Schale ein mehrlagiger Abdichtungs-Sonderaufbau aus Bi-tumen-Schweißbahnen, ergänzt mit Durchwurzelungsschutz, eine Drai-nage an den Kämpferlinien zur Ver-hinderung von Stauwasser sowie eine ausgetüftelte Konstruktion zur Feuchtigkeitskontrolle. Ein Feuchte-monitoring sorgt hier zukünftig da-für, dass bei Undichtigkeiten sofort eingegriffen werden kann.

Die Holzkonstruktion erhielt ei-nen Lasuranstrich, u. a. als Schutz vor aufgewirbeltem Wasser. Gegen wechselnde Durchfeuchtung schützt auch die natürliche Belüftung, die sich mit den durchfahrenden Fahr-zeugen ergibt. Sie sorgt für schnelles Abtrocknen von Spritzwasser. Eine Tausalzbeaufschlagung hat sogar konservierende Wirkung.

Zuletzt folgte die Erdüberschüt-tung der gesamten Fläche zur Be-pflanzung des Geländes mit Rasen

und Buschwerk. Dafür wurden im Firstbereich 70 cm Boden und im Traufbereich 7,0 m aufgebracht. Auf dem Bauwerk und längs der B 101 ha-ben die Planer 2 m hohe Irritations-schutzwände vorgesehen.

Der Holzbrückenbau entwickelte sich in den vergangenen zehn Jahren sehr positiv. Dauerhafte Brückenbau-werke sind möglich. Die Planung und der Bau einer Grünbrücke in Holz verbinden Natur und Verkehr in op-tisch ansprechender Art und Weise.

Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag,

Karlsruhe ▪

Die Verschalung ◂der Portal- bögen mit Accoya- Holz erfolgte ebenfalls vor OrtSC

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Ein Datenblatt mit weiteren In-formationen über die Grünbrücke können mikado-Abonnenten im Internet kostenlos herunterladen: www.mikado-online.de/Downloads

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