Grüne Gentechnik: Pflanzen nach Wunsch?

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Editorial Grª Gentechnik: Pflanzen nach Wunsch? Pflanzenzª ist nach der Defini- tion von Sanchez-Monge ,~eine voto Menschen vorgenommene Auswahl der besten, als potentielle Sorten in Frage kommenden Pflanzen innerhalb einer variablen Population,,. Den meisten Menschen der heuti.gen Zeit wird sicher nicht bewuf~t sera, dai~ derartige menschlir Aktivit~iten bereits aus dem Neolithikum bekannt sind. In weniger als 10 000 Jahren hat die Selektion durch den Menschen auf Ertrag und Anpas- sung dazu beigetragen, eine grof~e Zahl lokaler Variet~iten der Kulturpflanzen- arten zu etablieren, Diese Ausweitung der intraspezifischen genetischen Varia- bilit~it der Kulturpflanzen endete mit dem Beginn der modernen Pflanzen- Durch sie wurde in den ver- gangenen 40 Jahren die Mechanisierung des Kulturpflanzenanbaus, insbeson- dere durch simultane Abreife und Stabi- lit~it von Pflanzenteilen bei der mecha- nischen Ernte, erm6glicht. Mit dem Aufkommen von Genetik und Gentechnik bieten sich den Menschen experimentelle M6glichkeiten, Pflanzen zu agronomischen Zwecken in ihren Eigenschaften zu modifizieren. Zu den transgenen Pflanzen der ersten Ent- wicklungsphase (etwa seit 1990) geh6- ren solche, die mittels gentechnischer Methoden eine Resistenz gegenª be- stimmten Herbiziden oder gegen den Befall durch besdmmte phytopathogene Schaderreger (z. B. Viren, Bakterien, Pilze, Insekten oder Nematoden) er- worben haben. Sie sind entweder bereits den Anbau zugelassen oder befinden sich ira Stadium von Freiland- versuchen. Die gentechnischen Ver~in- derungen der transgenen Pflanzen einer zweiten Entwicklungsphase (etwa seit 1993) zielen auf eine Ver~inderung oder Optimierung der p fl.anzlichen Speicher- stoffe (Proteine, Ole, Kohlenhydrate oder Faserstoffe) und die einer dritten Entwicklungsphase (etwa seit 1995) auf eine Verbesserung der geschmacklichen Eigenschaften, der Verarbeitungsm6g- lichkeiten nach der Ernte, der Lager- f~ihigkeitoder des Ern~ihrungswertes ab. Dieser dritten Entwicklungsphase sind auch die Bemª zuzurechnen, Kulturpflanzen dahin gehend gentech- nisch zu modifizieren, daf~ - ohne wei- tere Aufarbeitung - ein spezifischer Impfschutz durch ihren Verzehr er- reicht werden kann. Hatte ich in mei- neto Vortrag (Kurzfassung in diesem Heft) im Januar diesen Jahres noch er- w~ihnt, dai~ innerhalb der n~ichsten vier Jahre ein Prototyp fª einen ~,ei~baren Impfstoff,, entwickelt werden wird, so wurde bereits im Mai ª erste erfolgreiche klinische Tests berichtet: 1) Der Arbeitsgruppe ,~Research in the Plants and Human Health,, aro Boyce Thompson Institute for Plant Research an der Cornell University gelang es nachzuweisen, dai~ Menschen durch Verzehr entsprechend gentechnisch ver- ~inderter Kartoffeln immunisiert werden k6nnen gegen von E. coli ausgel6ste Durchfallerkrankungen [Tacket et al., 1998, Nature Medicine 4, 607-609]. 2) Eine Arbeitsgruppe am Guy's Hospi- tal in London wies nach, daf~ mittels transgener Tabakpftanzen synthetisierte SIgA gegen Streptococcus mutans er- folgreich in einer pr~iventiven Immuno- therapie eingesetzt werden k6nnen, um kari6se Sch~.digungen der Z~ihne zu mi- nimieren [Ma et al., 1998, Nature Medi- cine 4, 601-606]. Diese geradezu stª sche Entwicklung auf dem Gebiet des ~,Molecular Farming,, l~ii~t erkennen, dai~ es unter Umst~inden gar nicht mehr so lange dauern wird, bis die zust~indi- gen Beh6rden bewerten mª ob und welche Risiken mit der Verwendung derartiger transgener Pflanzen der drit- ten Entwicklungsphase verbunden sein k6nnten. Peter Brandt Bundesgesundhbl. 7/98 277

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Editorial

Grª Gentechnik: Pflanzen nach Wunsch?

Pflanzenzª ist nach der Defini- tion von Sanchez-Monge ,~eine voto Menschen vorgenommene Auswahl der besten, als potentielle Sorten in Frage kommenden Pflanzen innerhalb einer variablen Population,,. Den meisten Menschen der heuti.gen Zeit wird sicher nicht bewuf~t sera, dai~ derartige menschlir Aktivit~iten bereits aus dem Neolithikum bekannt sind. In weniger als 10 000 Jahren hat die Selektion durch den Menschen auf Ertrag und Anpas- sung dazu beigetragen, eine grof~e Zahl lokaler Variet~iten der Kulturpflanzen- arten zu etablieren, Diese Ausweitung der intraspezifischen genetischen Varia- bilit~it der Kulturpflanzen endete mit dem Beginn der modernen Pflanzen- zª Durch sie wurde in den ver- gangenen 40 Jahren die Mechanisierung des Kulturpflanzenanbaus, insbeson- dere durch simultane Abreife und Stabi- lit~it von Pflanzenteilen bei der mecha- nischen Ernte, erm6glicht.

Mit dem Aufkommen von Genetik und Gentechnik bieten sich den Menschen experimentelle M6glichkeiten, Pflanzen zu agronomischen Zwecken in ihren Eigenschaften zu modifizieren. Zu den transgenen Pflanzen der ersten Ent- wicklungsphase (etwa seit 1990) geh6- ren solche, die mittels gentechnischer Methoden eine Resistenz gegenª be-

stimmten Herbiziden oder gegen den Befall durch besdmmte phytopathogene Schaderreger (z. B. Viren, Bakterien, Pilze, Insekten oder Nematoden) er- worben haben. Sie sind entweder bereits fª den Anbau zugelassen oder befinden sich ira Stadium von Freiland- versuchen. Die gentechnischen Ver~in- derungen der transgenen Pflanzen einer zweiten Entwicklungsphase (etwa seit 1993) zielen auf eine Ver~inderung oder Optimierung der p fl.anzlichen Speicher- stoffe (Proteine, Ole, Kohlenhydrate oder Faserstoffe) und die einer dritten Entwicklungsphase (etwa seit 1995) auf eine Verbesserung der geschmacklichen Eigenschaften, der Verarbeitungsm6g- lichkeiten nach der Ernte, der Lager- f~ihigkeit oder des Ern~ihrungswertes ab.

Dieser dritten Entwicklungsphase sind auch die Bemª zuzurechnen, Kulturpflanzen dahin gehend gentech- nisch zu modifizieren, daf~ - ohne wei- tere Aufarbeitung - ein spezifischer Impfschutz durch ihren Verzehr er- reicht werden kann. Hatte ich in mei- neto Vortrag (Kurzfassung in diesem Heft) im Januar diesen Jahres noch er- w~ihnt, dai~ innerhalb der n~ichsten vier Jahre ein Prototyp fª einen ~,ei~baren Impfstoff,, entwickelt werden wird, so wurde bereits im Mai ª erste erfolgreiche klinische Tests berichtet:

1) Der Arbeitsgruppe ,~Research in the Plants and Human Health,, aro Boyce Thompson Institute for Plant Research an der Cornell University gelang es nachzuweisen, dai~ Menschen durch Verzehr entsprechend gentechnisch ver- ~inderter Kartoffeln immunisiert werden k6nnen gegen von E. coli ausgel6ste Durchfallerkrankungen [Tacket et al., 1998, Nature Medicine 4, 607-609]. 2) Eine Arbeitsgruppe am Guy's Hospi- tal in London wies nach, daf~ mittels transgener Tabakpftanzen synthetisierte SIgA gegen Streptococcus mutans er- folgreich in einer pr~iventiven Immuno- therapie eingesetzt werden k6nnen, um kari6se Sch~.digungen der Z~ihne zu mi- nimieren [Ma et al., 1998, Nature Medi- cine 4, 601-606]. Diese geradezu stª sche Entwicklung auf dem Gebiet des ~,Molecular Farming,, l~ii~t erkennen, dai~ es unter Umst~inden gar nicht mehr so lange dauern wird, bis die zust~indi- gen Beh6rden bewerten mª ob und welche Risiken mit der Verwendung derartiger transgener Pflanzen der drit- ten Entwicklungsphase verbunden sein k6nnten.

Peter Brandt

Bundesgesundhbl. 7/98 277