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Grundfragen und Organisation des Archivwesens Norbert Reimann I. Grundfragen des Archivwesens 1 9 - 1 . Was ist ein Archiv? 19 • 2. Was ist Archivgut? 20 • 3. Das Provenienzprinzip als Grundprinzip des Archivwesens 23 4. Aufgaben der Archive - Archive in der Informationsgesellschaft 28 II. Die Organisation des Archivwesens 30 • 1. Archivsparten 30 • 2. Fachorganisa- tionen und Gremien 39 • 3. Aus- und Weiterbildung 42 I. Grundfragen des Archivwesens 1. Was ist ein Archiv? Der Begriff Archiv wird im allgemeinen Sprachgebrauch in sehr unter- schiedlicher Weise verwendet. Alle Stellen, an denen irgendetwas abge- legt, aufbewahrt oder gesammelt wird, werden häufig mit der Bezeich- nung „Archiv" versehen: in einem Büro die Kammer oder der Schrank, in dem sich die älteren, nicht mehr täglich benutzten Akten, Druckschriften oder sonstigen Unterlagen befinden, bei einem Verein die unter Umstän- den weit gefächerte Sammlung aller Dinge, die mit der Vereinsarbeit in Zusammenhang stehen, in einer Klinik u. a. der Aufbewahrungsort für die Röntgenbilder. Im Bereich der EDV bezeichnet man als Archiv oft Ver- zeichnisse oder Datenträger, auf denen Sicherungskopien oder Vor-Versi- onen aktueller Dateien abgelegt werden. All diesen Beispielen ist gemein- sam, dass es hier im weitesten Sinne um Aufbewahrung von Unterlagen oder Informationen geht, so dass damit tatsächlich ein wesentlicher As- pekt der archivischen Aufgaben zumindest berührt wird. Es gibt aber auch andere Anwendungen des Begriffes Archiv, die damit wenig oder nichts zu tun haben: So führen eine Fülle von wissenschaftlichen und anderen Zeit- schriften, Reihen und Handbüchern das Wort „Archiv" im Titel, z. B. „Ar- chiv für Diplomatik", „Archiv für Philosophie", „Marx-Engels-Archiv". Solche Publikationen kann man allenfalls deshalb als „Archiv" in übertra- genem, geistigen Sinne bezeichnen, weil hier grundlegende Erkenntnisse zu bestimmten Wissensgebieten dargelegt und festgehalten werden. Wenn somit zwar eine allgemeine Vorstellung von dem existiert, was sich hinter dem Begriff verbirgt, so ist diese insgesamt doch recht vage und unscharf. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass sich die Ar- beit der Archive selten im unmittelbaren Blickfeld der Öffentlichkeit vollzieht. Vor allem die Unterschiede zu den benachbarten Bereichen Bibliothek und Museum werden in der Öffentlichkeit wenig wahrge- nommen. Damit wird auch zwischen der Tätigkeit von Archivaren und Bibliothekaren und Museumsfachleuten kaum unverschieden. Es gibt in der Fachliteratur zahlreiche, teilweise sehr gelehrte und his- torisch weit ausgreifende Erläuterungen des Begriffs „Archiv", die hier

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Grundfragen und Organisation des Archivwesens

Norbert Reimann

I. Grundfragen des Archivwesens 1 9 - 1 . Was ist ein Archiv? 19 • 2. Was istArchivgut? 20 • 3. Das Provenienzprinzip als Grundprinzip des Archivwesens 23

4. Aufgaben der Archive - Archive in der Informationsgesellschaft 28II. Die Organisation des Archivwesens 30 • 1. Archivsparten 30 • 2. Fachorganisa-

tionen und Gremien 39 • 3. Aus- und Weiterbildung 42

I. Grundfragen des Archivwesens

1. Was ist ein Archiv?

Der Begriff Archiv wird im allgemeinen Sprachgebrauch in sehr unter-schiedlicher Weise verwendet. Alle Stellen, an denen irgendetwas abge-legt, aufbewahrt oder gesammelt wird, werden häufig mit der Bezeich-nung „Archiv" versehen: in einem Büro die Kammer oder der Schrank, indem sich die älteren, nicht mehr täglich benutzten Akten, Druckschriftenoder sonstigen Unterlagen befinden, bei einem Verein die unter Umstän-den weit gefächerte Sammlung aller Dinge, die mit der Vereinsarbeit inZusammenhang stehen, in einer Klinik u. a. der Aufbewahrungsort für dieRöntgenbilder. Im Bereich der EDV bezeichnet man als Archiv oft Ver-zeichnisse oder Datenträger, auf denen Sicherungskopien oder Vor-Versi-onen aktueller Dateien abgelegt werden. All diesen Beispielen ist gemein-sam, dass es hier im weitesten Sinne um Aufbewahrung von Unterlagenoder Informationen geht, so dass damit tatsächlich ein wesentlicher As-pekt der archivischen Aufgaben zumindest berührt wird. Es gibt aber auchandere Anwendungen des Begriffes Archiv, die damit wenig oder nichts zutun haben: So führen eine Fülle von wissenschaftlichen und anderen Zeit-schriften, Reihen und Handbüchern das Wort „Archiv" im Titel, z. B. „Ar-chiv für Diplomatik", „Archiv für Philosophie", „Marx-Engels-Archiv".Solche Publikationen kann man allenfalls deshalb als „Archiv" in übertra-genem, geistigen Sinne bezeichnen, weil hier grundlegende Erkenntnissezu bestimmten Wissensgebieten dargelegt und festgehalten werden.

Wenn somit zwar eine allgemeine Vorstellung von dem existiert, wassich hinter dem Begriff verbirgt, so ist diese insgesamt doch recht vageund unscharf. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass sich die Ar-beit der Archive selten im unmittelbaren Blickfeld der Öffentlichkeitvollzieht. Vor allem die Unterschiede zu den benachbarten BereichenBibliothek und Museum werden in der Öffentlichkeit wenig wahrge-nommen. Damit wird auch zwischen der Tätigkeit von Archivaren undBibliothekaren und Museumsfachleuten kaum unverschieden.

Es gibt in der Fachliteratur zahlreiche, teilweise sehr gelehrte und his-torisch weit ausgreifende Erläuterungen des Begriffs „Archiv", die hier

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außer Acht gelassen werden können. In Anlehnung an die Definition inder neuesten Brockhaus-Enzyklopädie erscheint folgende Umschreibungangemessen:

Archive sind Einrichtungen, deren Aufgabe die systematische Übernah-me, Erfassung, Ordnung, dauerhafte Aufbewahrung und Erschließung vonSchrift-, Bild- und Tonträgern sowie elektronischer Speichermedien aus öf-fentlichen Dienststellen, anderen Institutionen (Verbänden, Unternehmen)oder von Einzelpersonen ist.

Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Archiv" auf dreiunterschiedlichen Bedeutungsebenen verwendet wird:- Archiv als Arcbivgebäude, z.B. das Gebäude des Staatsarchivs Münster,- Archiv als Institution, z.B. das Stadtarchiv Dortmund, das Landes-

kirchliche Archiv Bielefeld,- Archiv als Zusammenfassung bestimmter Archivalien oder. Archivbe-

stände, z. B. das Archiv des Grafen von Kanitz auf Schloss Cappenbergoder das Archiv des Deutschen Städtetages im Landesarchiv Berlin.

Auch der Archivraum, d.h. der Lagerraum des Archivgutes (Magazin),wird meist als Archiv bezeichnet, wenn er sich in einem ansonsten für an-dere Zwecke genutzten Gebäude befindet (z.B. Rathaus oder Schloss).

Vom Substantiv „Archiv" abgeleitet sind die drei Adjektive: archivisch,archivalisch, archivarisch. Diese werden unterschiedlich verwendet:- archivisch bezieht sich auf das Archiv als Institution oder das Archiv-

wesen im allgemeinen,- archivalisch bezieht sich auf das Archivgut selbst, also die Archiva-

lien,- archivarisch bezieht sich auf die Tätigkeit in Archiven, vor allem auf

die Arbeit der Archivarinnen und Archivare.

2. Was ist Archivgut?

Das, was Archive erfassen, ordnen, verwahren, betreuen und erschließen,bezeichnet man insgesamt als Archivgut, die Einzelstücke als Archivalien(Singular: das Archivale). Was ist Archivgut, wie entsteht es und wiekommt es in die Archive?

Um diese Frage zu erörtern, müssen wir den Begriff Archiv zunächstenger fassen, und den Blick auf „klassische" Archive richten, die die Tä-tigkeit öffentlicher oder privater Einrichtungen dokumentieren: Bei jederArt von Verwaltungs- und Geschäftstätigkeit fallen Unterlagen an, die fürdie Durchführung dieser Tätigkeiten erforderlich sind. Dazu einige Bei-spiele: Wurde im Mittelalter ein Grundstück verkauft oder verpfändet,stellte man über diesen Vorgang eine Urkunde aus. Diese bestätigte dieRechtmäßigkeit des Geschäftes und diente dem neuen Besitzer als Beweisfür den Erwerb. Wenn städtische Behörden von ihren Bürgern Steuernerheben wollten, mussten sie diese zunächst einmal in Listen, oft zu Bür-

gerbüchern zusammengebunden, erfassen, in denen dann die Leistungder Abgaben vermerkt wurden. Bei einem Gerichtsverfahren wurdenund werden noch heute Protokolle über Vernehmungen, Verhandlungenund Urteile geführt, die dem Nachweis des ordnungsgemäßen und geset-zeskonformen Prozesses dienen. Diese Unterlagen zusammen bezeichnetman als Akten. Für ein Bauvorhaben werden umfangreiche Pläne gezeich-net und statische Berechnungen durchgeführt, die die Grundlage für dietechnisch einwandfreie Ausführung des Baues bilden.

Alle diese Unterlagen verdanken ihre Entstehung aktuellen Zwecken.Sobald der Entstehungszweck erfüllt ist, könnte man sie eigentlich ver-nichten. Wenn man sie dennoch weiterhin aufhebt, so geschieht dies imWesentlichen aus zwei Gründen: Zum einen könnte es sein, dass man zu ei-nem späteren Zeitpunkt doch noch einmal darauf zurückgreifen muss, z. B.um Ansprüche Dritter abzuwehren oder (z. B. bei Bauakten) Reparaturendurchzuführen. Der zweite Grund ist noch umfassender: Diese Unterlagengeben authentische Auskünfte über Geschehnisse in der Vergangenheit, siekönnen somit als Quellen für die historische Forschung dienen. Als solchebesitzen sie dauerhaften Wert und müssen unbegrenzt aufbewahrt werden.Geschäfts- und Verwaltungsunterlagen werden somit durch die Überfüh-rung in ein Archiv zu Kulturgut, das der Gesellschaft wichtige Informatio-nen über die Entwicklung in der Vergangenheit bietet.

Archivalien sind also im Regelfall keine literarischen Erzeugnisse,die bei ihrer Entstehung bereits auf den Zweck der historischen Über-lieferung hin ausgerichtet gewesen wären. Vielmehr sind ArchivalienÜberreste von Verwaltungshandeln, Geschäftstätigkeit oder sonstigerKommunikation zwischen Menschen. Bei ihrer Übernahme ins Archiverfahren diese Unterlagen eine grundlegende Änderung ihres Zwecks:Aus Geschäftsschriftgut werden historische Quellen.

Bei Bibliotheksgut ist dies anders: Bücher werden von vorn hereinzu dem Zweck verfasst, Wissen oder Gedanken an Dritte weiter zuvermitteln, seien es historische Darstellungen oder solche aus anderenWissensgebieten oder auch unterhaltende Literatur (z.B. Romane). BeiBibliotheksgut erfolgt somit keine Zweckänderung mit der Aufnahme ineine Bibliothek, vielmehr unterstützt die Bibliothek den ursprünglichenZweck des Buches dadurch, dass sie es einem großen Kreis von Lesernzugänglich macht und dauerhaft aufbewahrt.

Bei Museumsgut gibt es beide Möglichkeiten: Kunstwerke werdenhäufig dazu geschaffen, in Museen oder anderen öffentlichen Einrich-tungen ausgestellt zu werden. Hier ist die museale Zweckrichtung vonvorn herein intendiert. Hingegen wurde und wird z.B. sakrale Kunstfür kirchliche und religiöse Zweck geschaffen. Wenn diese, wie nachden umfassenden Klosterauflösungen während der Säkularisation von1803, in Museen gelangte, wurde ihr Zweck ebenfalls verändert. Inbesonderem Maße gilt dies natürlich für Gebrauchsgegenstände, die inein Museum überführt werden. Ein alter Pflug z.B., der sich in einemMuseum befindet, wird nicht aufbewahrt, um ihn noch einmal für seinen

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ursprünglichen Zweck zu nutzen, sondern als Zeugnis der bäuerlichenArbeit in früheren Zeiten.

Es gibt weitere grundlegende Merkmale, die Archivgut von Bibli-otheksgut und Museumsgut unterscheiden: Bibliotheken wie Museenkaufen und sammeln das Material, das für ihre Aufgabe wichtig ist: EineStadtbücherei ohne wissenschaftlichen Auftrag kauft z.B. Jugendbücher,Romane und Sachbücher, eine medizinische Fachbibliothek entsprechen-de Fachliteratur. Ein Kunstmuseum kauft Kunstwerke entweder direkt beiden Künstlern oder auf Auktionen, im Kunsthandel oder bei Sammlern.Für beide Einrichtungen ist der Ankaufsetat daher von grundlegender Be-deutung, wenn die Bestände kontinuierlich den aktuellen Anforderungenangepasst werden sollen.

Bei Archiven verhält sich dies grundlegend anders: Ihre Kernbestän-de entstehen aus den Abgaben der ihnen zugeordneten Einrichtungen:Ein Stadtarchiv übernimmt die Akten, die bei der Verwaltung der Stadtentstehen, sobald diese - wie oben dargelegt - für ihren ursprünglichenVerwaltungszweck nicht mehr benötigt werden, ein Unternehmensarchiverhält seine Akten von der Unternehmensleitung, ein Universitätsarchivvon der Verwaltung und den Einrichtungen der jeweiligen Hochschule,jedes Archiv hat somit einen oder auch mehrere sog. Registraturbildner.Das sind die Behörden, Einrichtungen oder Personen, bei denen dasSchriftgut ihm Rahmen ihrer jeweiligen Tätigkeit entstanden ist, dasspäter im Archiv zu Archivgut wird. Diese Abgaben erfolgen natürlichkostenlos. Einen Ankaufsetat benötigen Archive daher nicht, allenfallszur Ergänzung ihrer Bestände in Ausnahmefällen.

Ein weiteres wichtiges Merkmal des Archivgutes ergibt sich ebenfallsaus seinem Charakter als Überreste von Verwaltungstätigkeit: ArchivischeQuellen sind keine abstrakten Informationen, die in beliebiger Weise fest-gehalten werden, sondern es sind Sachzeugnisse (konkrete Briefe, Akten,Amtsbücher), auf denen schriftliche Informationen niedergelegt sind. Istüber einen Verkauf beispielsweise eine Urkunde ausgefertigt, so ist es dieseUrkunde als individuelles Schriftstück, die den Kauf dokumentiert. Infor-mationsträger und Information bilden beim Archivgut eine untrennbareEinheit, die authentische Quelle. Genau so wenig wie z. B. in einem Muse-um eine Reproduktion, auch wenn sie von höchster Qualität wäre, das Ori-ginal ersetzen könnte, kann man authentische archivalische Quellen durchKopien, Mikrofilme oder digitale Speicherung erhalten. In ihrem Charak-ter als Sachzeugnisse gleicht Archivgut weitgehend dem Museumsgut. DerUnterschied liegt darin, dass es sich beim Museumsgut um Gebrauchs- oderKunstgegenstände und beim Archivgut um Informationsträger handelt.

Einen solchen authentischen Charakter kann das Bibliotheksgut imRegelfall nicht aufweisen. Bücher sind keine Sachzeugnisse, sondern ei-gens zum Zwecke der Informationsverbreitung erstellte Medien. Nochauffallender ist jedoch ein anderer Unterschied zwischen Archiv- und Bi-bliotheksgut: Bücher - wenn man von handschriftlich erstellten Kodizesaus der Zeit vor Erfindung des Buchdrucks 1454 absieht - sind grund-

sätzlich vervielfältigte Medien. Selbst bei Klein- oder Kleinstauflagen sindes durchweg zumindest einige hundert Exemplare, die von jedem Buchhergestellt werden. Somit ist nahezu jedes Buch in mehreren, bisweilensogar in Tausenden von Bibliotheken vorhanden.

Beim Archivgut ist dies ganz anders: Da das Archivale, d. h. Einzelstückeines Archivbestandes, ein Überrest eines bestimmten konkreten Vor-gangs darstellt, ist es normalerweise einmalig, z.B. ein bestimmter Briefan einen bestimmten Empfänger oder eine in einer Behörde zu einerkonkreten Person angelegte Personalakte. Daher wird jedes Archivaleund jeder Archivbestand insgesamt stets nur in einem Archiv aufbewahrtund sonst nirgendwo. Während ein Forscher für die Literaturbeschaffunggrundsätzlich jede entsprechend leistungsfähige Bibliothek aufsuchenkann - z. B. die am nächsten gelegene Universitätsbibliothek -, richtetsich das Archiv, das er benutzen muss, nach seiner ganz konkreten Fra-gestellung. So findet er z. B. bestimmte Quellen zur Geschichte der Stadt

Münster nur im StadtarchivMünster, für andere Quel-len, die ebenfalls Aussagenzur Geschichte der StadtMünster machen, muss erdagegen unter Umständendas Staatsarchiv Münsteroder das BistumsarchivMünster aufsuchen. Unterdiesem Gesichtspunkt sindalle Archive gewisserma-ßen gleich bedeutsam: dieBestände in einem kleinenGemeindearchiv sind ge-nau so unersetzlich und fürdie Geschichte dieses Ortesgenau so wichtig wie die

Abb. 1: Archivgut des großen Bundesarchivs

für die Geschichte derBundesrepublik insgesamt. Kein Archivale das verloren geht, kann imRegelfall ersetzt werden. Für den Forscher bedeutet dies, dass er vor Be-ginn seiner Nachforschungen erst prüfen muss, in welchem Archiv sichdie schriftlichen Überreste des Vorgangs, dem er nachspüren möchte,erhalten haben könnten.

3. Das Provenienzprinzip als Grundprinzip des Archivwesens

Mit dieser Überlegung sind wir bereits beim Grundprinzip des Archivwe-sens, dem sog. Provenienzprinzip angelangt. Provenienz (lateinisch) heißtHerkunft. Jedes Archiv verwahrt Quellen einer oder auch mehrerer

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Provenienzen, d.h. die schriftliche Hinterlassenschaft ganz bestimmterBehörden, Einrichtungen und Personen. Im Gegensatz zum Provenienz-prinzip steht das Pertinenzprinzip (von lateinisch pertinere = betreffen).Dieses Prinzip besagt, dass Materialien - unabhängig von ihrer Her-kunft- nach sachlichen oder regionalen Betreffen zusammengeführt, ge-ordnet und erschlossen werden. Für den Laien mag diese Vorgehensweisezunächst plausibler erscheinen; alle Archivalien, die einen bestimmtenGegenstand betreffen, werden zusammengeführt. Tatsächlich haben dieArchivare im 19. Jahrhundert oft versucht, nach diesem Grundsatz ihreArchive zu ordnen. Diese Bemühungen sind vollständig gescheitert, weilsich die vielfältigen Zeugnisse des Lebens nicht in ein künstlich erdachtesSystem einordnen lassen und jede noch so klug erdachte Systematik istnach kürzerer oder längerer Zeit von der Realität überholt.

Das Provenienzprinzip bestimmt das Archivwesen auf mehreren Ebe-nen. Es ist1. Organisationsprinzip des Archivwesens insgesamt,2. Gliederungsprinzip innerhalb eines Archivs,3. Ordnungs- und Erschließungsprinzip von Archivbeständen,4. Forschungsprinzip hei der Auswertung von Archivgut.

1. Organisationsprinzip des Archivwesens:Da bei der Tätigkeit aller Behörden, Unternehmen und InstitutionenSchriftgut anfällt, das früher oder später, wenn die jeweilige Aufgabeerledigt ist, nicht mehr gebraucht wird, ist der Kern eines Archivs imGrunde überall dort gelegt, wo eine solche Einrichtung über einen län-geren Zeitraum bestanden hat und tätig gewesen ist. Jedes Büro, ja jederkleine Handwerksbetrieb hat somit im Ansatz ein Archiv, auch wenn esin den meisten Fällen nur eine ungeordnete Ansammlung alter Papiereist. Je länger eine Einrichtung tätig ist, desto umfangreicher und bedeut-samer ist dieses Archiv, das man zunächst zutreffender als Aktenablageoder Registratur bezeichnen sollte. Bei größeren und bedeutsameren Ein-richtungen ist irgendwann der Zeitpunkt gekommen, dass es notwendigerscheint, diese Registratur zu ordnen, das Unwichtige zu vernichten unddas dauerhaft Bedeutsame zu erschließen, um es auf Dauer zur Verfügungzu haben.

Aus der Altregistratur der Einrichtung entsteht dadurch ein Archiv.Es liegt jedoch im Interesse der Stelle, bei der das Schriftgut entstandenist, dass dieses möglichst in der eigenen Verfügungsgewalt verbleibt. Danatürlich nicht jede kleine Einzelbehörde und sonstige Einrichtung einfachkundig betreutes Archiv unterhalten kann, bemüht man sich, dassdas Schriftgut in ein Archiv übergeht, das zumindest mittelbar mit derEinrichtung verbunden ist. Daher wird alles staatliche Schriftgut einesLandes oder eines Landesteils in ein regional zuständiges Staatsarchivüberführt. Alle Ämter und Einrichtungen einer Stadt übergeben ihrSchriftgut dem jeweiligen Stadtarchiv, kirchliche Einrichtungen' demjeweiligen Bistums- oder Landeskirchenarchiv. Große Unternehmen un-

terhalten oft für den gesamten Konzern ein Konzernarchiv, für kleinereFirmen gibt es vielfach regionale Wirtschaftsarchive, die deren Schriftgutübernehmen können. So ist das Provenienzprinzip das oberste Organisa-tionsprinzip des gesamten Archivwesens.

Grundsätzlich sollte daher vermieden werden, Archivgut an prove-nienzfremde Archive abzugeben: Die ältere Überlieferung einer Stadtgehört nicht in ein Staatsarchiv, ebenso wenig wie z. B. kirchliches Schrift-gut in ein Staats- oder Stadtarchiv überführt werden sollte. Von diesemGrundsatz sollte man nur abweichen, wenn es für eine Einrichtung keinprovenienzgerechtes Archiv gibt. Dies ist natürlich in vielen Bereichender Fall, insbesondere bei Firmen, Verbänden, Organisationen und Pri-vatpersonen. Hier sind öffentliche Archive aufgerufen, über ihre eigeneprovenienzbegründete Zuständigkeit hinaus sich um die Übernahme undSicherung dieses Schriftgutes zu bemühen, wenn es historisch wertvoll zusein scheint.

2. Gliederungsprinzip innerhalb eines Archivs:Auch innerhalb eines Archivs ist der Provenienzgrundsatz für die Struk-tur der Bestände maßgebend. Ein Stadtarchiv ist für die Überlieferungder gesamten Stadtverwaltung sowie der politischen Vertretungsgremi-en zuständig. Die Stadtverwaltung besteht aber aus einer großen Zahlnebeneinander arbeitenden Ämtern und Einrichtungen. Personalamt,Einwohnermeldeamt, Gesundheitsamt, Stadtreinigung, Theater - umnur einige zu nennen - werden jeweils als eigene Registraturbildnerverstanden, deren Überlieferung sich in von einander abgegrenzten Be-ständen widerspiegelt. Das hat zur Folge, dass sich Unterlagen zu einembestimmten Betreff in ganz unterschiedlichen Beständen finden können.So können z.B. Archivalien, die sich auf eine bestimmte städtischeSchule beziehen, je nach Entstehungszusammenhang in den BeständenSchulverwaltungsamt (betreffend die Organisationsfragen der Schule),Planungsamt (betreffend Bedarfsermittlung im Rahmen der Stadtpla-nung), Hochbauamt (Bau und Unterhaltung der Schule) oder Feuerwehr{betreffend vorbeugender Brandschutz) vorliegen. Neu hinzukommendeAkten aus der Verwaltung werden den jeweiligen Beständen angefügt,falls sie nicht wegen eines deutlichen Zeitschnitts unter Umständen einenneuen Bestand bilden. Da in den heutigen Verwaltungen organisatorischeZuordnungen immer häufiger wechseln, ist es ratsam, diese Beständeweniger an der organisatorischen Einbindung in die Verwaltung sondernan der fachlichen Aufgabe auszurichten.

Werden schon die Bestände unterschiedlicher Verwaltungseinheitenarchivisch getrennt behandelt, gilt dies umso mehr für sog. Fremdprove-nienzen, d. h. für Registraturgut, das von nicht unmittelbar zugeordnetenRegistraturbildnern übernommen wird. In einem Stadtarchiv könnendies z.B. Abgaben von Vereinen und Verbänden oder Nachlässe bedeu-tender Persönlichkeiten sein, die das Archiv übernommen hat, weil siewichtige Bereiche des städtischen Lebens dokumentieren und eigenen

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Archive dieser Einrichtungen nicht bestehen. Grundsätzlich gilt: Abga-ben unterschiedlicher Provenienz dürfen nicht miteinander vermischtwerden!

Natürlich gibt es in fast allen Archiven auch Archivgut, das ohne einenProvenienzzusammenhang ist. Dies sind im Wesentlichen Sammlungen,die angelegt werden, um bestimmte wichtige Bereiche zu dokumentie-ren. In einem Stadtarchiv kommen dafür z.B. Postkartensammlungenund sonstige Bilder, Flugblätter, Plakate usw. in Betracht. Da die örtli-chen Tageszeitungen stets besonders der wichtigsten Quellen zur Stadt-geschichte darstellen, werden in vielen Fällen Zeitungsauschnittsamm-lungen angelegt. Diese wie auch die anderen Sammlungen, müssen nachbestimmten Kriterien geordnet werden, Bilder und Zeitungsausschnittein der Regel nach Sachbetreffen, Plakate und Flugblätter oft auchchronologisch. Hier kann also nicht das Provenienzprinzip angewendetwerden, sondern muss das Pertinenzprinzip eintreten. (Siehe Kapitel:Sammlungen, S. 127ff.)

3. Ordnungs- und Erschließungsprinzip von Archivbeständen:Doch auch für die Ordnung des Archivgutes ist das Provenienzprinzipvon Bedeutung: Ausgangspunkt ist hier der Registraturbildner mit seinenAufgaben und seiner Arbeitsweise. Nach Möglichkeit sollten nämlich dieArchivalien in der logischen Ordnung verbleiben, in der sie beim Regist-raturbildner entstanden und in der Registratur abgelegt worden sind. ImIdealfall sind die einzelnen Aktenordner entsprechend gekennzeichnetund geordnet. Aber auch, wenn diese z. B. beim Transport durcheinandergeraten sein sollten, kann man die Ordnung an Hand des Aktenplans und

Abb. 2: Ungeordnete Altregistratur

der auf den Schriftstückenbefindlichen Aktenzeichenoft ohne große Mühe wieder-herstellen. Dadurch wird derinnere Zusammenhang dereinzelnen Schriftstücke ambesten gewahrt und der Vor-gang kann am objektivstennachvollzogen werden. Auchaus Gründen der Arbeitsöko-nomie wäre es unsinnig, einenach einem gut durchdachtenAktenplan abgelegte Regis-tratur bei der Übernahmein das Archiv grundlegendzu verändern und dadurchmögliche Zusammenhängezu zerstören.

Dies setzt freilich eineordentliche Aktenführungbei der registraturbildendenStelle voraus, was nicht nurnicht die Regel, sondernheute zunehmend eher dieAusnahme darstellt. Die

meisten Behörden und Verwaltungen verwenden heute nur noch sehrwenig Mühe auf eine geordnete Aktenablage. Vielfach müssen von denArchiven sogar Registraturen übernommen werden, die keinerlei Ord-nungsmerkmale wie Aktenzeichen oder Ordnungsziffern auf dem Rückender Ordner aufweisen, oder aber die Ablage erfolgte so chaotisch undunsystematisch, dass sie für die Archivordnung schlichtweg unbrauchbarist. Aber auch in diesen Fällen wird der Archivar nicht hingehen und dasMaterial einfach nach schlagwortartigen Sachbetreffen zu Archiveinhei-ten zusammenfassen. Vielmehr muss er versuchen, vor dem Hintergrundder Aufgaben, die die abgebende Stelle wahrzunehmen hatte, eine sinn-volle Aktenordnung zu rekonstruieren bzw. nachträglich zu erstellen.Dies bietet die größte Chance, innerlich zusammenhängende Vorgängewieder zusammenzuführen. Auch in diesen Fällen ist also, wenn auch in-direkt und auf Umwegen, das Provenienzprinzip für die Bestandsordnungmaßgebend. (Siehe Kapitel: Archivische Erschließung, S. 97 ff.)

4. Forschungsprinzip bei der Auswertung von Archivgut:Für das Auffinden bestimmter Bestände und Archivalien zu Auswertungs-zwecken ist ebenfalls das Provenienzprinzip entscheidend. Um das oderdie für seine Forschungen einschlägigen Archive zu ermitteln, muss sichder Benutzer darüber Kenntnis verschaffen, welche Behörde oder Ein-

Abb. 3: Geordneter, fachgerecht magazinierterBestand im Archivdepot

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richtung mit dem zu erforschenden Vorgang befasst war und in welchenArchiven deren Akten - entsprechend dem Provenienzprinzip - verblie-ben sein könnten. Hat er das entsprechende Archiv ausfindig gemacht,kann er mit Hilfe des Provenienzprinzips innerhalb der Überlieferungder entsprechenden Behörde die relevanten Teilbestände oder Einzelar-chivalien ausfindig machen. Hierbei hilft ihm meist die Einleitung unddie systematische Gliederung des Findbuchs. Stets sollte erst versuchtwerden, auf diesem Wege fündig zu werden. Der allen modernen Find-büchern angefügte alphabetische Personen-, Orts-.oder Sachindex solltedagegen nur ein zusätzlicher Weg sein, um unter Umständen noch auf Ar-chivalien zu stoßen, die bei der systematischen Durchsicht nicht ins Augegefallen sind. Ein solcher Index baut nämlich immer auf dem Wortlautder im Findbuch gegebenen Inhaltsbeschreibungen der Einzelarchivalienauf. Hier kann unter Umständen für die selbe Sache ein anderer Begriffgewählt worden sein, z. B. „Grundschule'' statt „Volksschule" oder „Kran-kenhaus'1 statt „Hospital", sodass sich der gesuchte Begriff im Index nichtfindet, obwohl die Sache selbst in dem Bestand durchaus behandelt ist.Die provenienzgerechte Erschließung im Findbuch lässt außerdem diesachlichen Zusammenhänge viel deutlicher hervortreten.

4. Aufgaben der Archive - Archive in der Informationsgesellschaft

Für jede Gemeinschaft - vom privaten Lebensraum angefangen überVereine, Gemeinden, Städte bis hin zur Nation - ist die gemeinsameErinnerung ein Faktor, der für die Entwicklung eines Gemeinschafts-bewusstseins von großer Bedeutung ist. Über einen längeren Zeitraumhinweg ist zuverlässige Erinnerung jedoch nicht allein über das menschli-che Gedächtnis und die mündliche Weitergabe von Wissen möglich. Nurschriftliche Aufzeichnungen sind in der Lage, Erinnerung über Genera-tionen hinweg sicherzustellen. Aufgabe der Archive ist es, die Vorausset-zungen dafür durch Aufbewahrung und Erschließung der vorhandenenZeugnisse zu schaffen.

Archive sind zunächst dafür verantwortlich, dass Urkunden und sons-tige Schriftstücke, deren rechtliche Beweiskraft in der Gegenwart oderauch in Zukunft noch von Bedeutung sein könnte, sicher aufbewahrtund erhalten werden, damit Verwaltungen und Einzelpersonen ggf. da-rauf zurückgreifen können. Wenn eine rechtliche Bedeutung nicht mehrgegeben ist und die Unterlagen für die Erfüllung der ursprünglichenAufgaben nicht mehr benötigt werden, brauchten diese eigentlich nichtweiter aufbewahrt zu werden. Der mengenmäßig größte Teil des in heuti-gen Verwaltungen anfallenden Schriftgutes wird auch tatsächlich danachvernichtet. Nur solche Schriftstücke, die Vorgänge dokumentieren, diedauerhaft in Erinnerung bleiben sollen und die für die Erforschung derVergangenheit wichtige Informationen enthalten, werden zu Archivgut,das von den Archiven auf Dauer aufgehoben wird.

Archive sind damit das Gedächtnis der Gesellschaft. Sie erhalten Erin- Gnerung an das Handeln einzelner Personen wie auch das von Behördenund Institutionen wach und ermöglichen dadurch, gegenwärtige Zustän-de zurückzuverfolgen und zu verstehen.

Diese Aufgabe hat in der heutigen Zeit erheblich an Bedeutung ge-wonnen. In der vorindustriellen Zeit änderten sich die Verhältnisse nursehr langsam, die Lebensumstände blieben über viele Generationenhinweg weitgehend gleich. Daher war die persönliche Erinnerung vielumfassender, zur ihrer Unterstützung genügten wenige schriftliche Auf-zeichnungen. Mit dem Beginn der Industrialisierung um die Mitte des19. Jahrhunderts setzte eine fortschreitende Beschleunigung ein, zuerstallmählich, dann in immer kürzeren Zyklen. Schriftliche Aufzeichnungenwurden immer wichtiger, um Erinnerung wach zu halten, Gegenwärtigesverstehen und Zukünftiges planen zu können.

In der heutigen Zeit hat die fortwährende Veränderung ein früherunvorstellbares Tempo erreicht. Technik, Wirtschaft, Mode - alle Le-bensumstände sind davon betroffen. Besonders augenfällig ist diese Ent-wicklung im Informationsbereich: Die Zahl der täglich erscheinendenDruckerzeugnisse ist ebenso unübersehbar wie die der Nachrichten undBilder, die tagaus tagein über Funk und Fernsehen verbreitet werden.Auch die Menge der bei Behörden und Institutionen anfallenden Aktenund sonstigen Informationen ist um ein vielfaches gegenüber früherenZeiten angewachsen. Den Archiven kommt die schwierige Aufgabe zu,aus dieser Informationsflut das auszuwählen, was dauerhaft wichtig ist,d.h. also das, was notwendig ist, um in das Gedächtnis der GesellschaftEingang zu finden. Konkret muss diese Aufgabe jedes Archiv für denBereich leisten, für den es seinen Überlieferungsauftrag hat, d. h. ein Stad-tarchiv für die jeweilige Stadt, ein Kirchenarchiv für die entsprechendekirchliche Einrichtung, eine Unternehmensarchiv für das jeweilige Unter-nehmen. (Siehe Kapitel: Bewertung und Übernahme, S. 77 ff.)

Am deutlichsten wird der stetig fortschreitende Veränderungsprozess Inin der Informationstechnologie selbst. Computer und Programme, heutegekauft, sind oft schon nach wenigen Wochen von Neuentwicklungenüberholt. Gleichzeitig ist die Zahl und der Umfang der Informationen,die nur noch elektronisch über E-Mail, Internet oder Intranet erzeugt,verbreitet und verarbeitet werden, unübersehbar geworden und steigt im-mer noch weiter an. Obgleich die elektronischen Speichermedien immergrößere Kapazitäten aufweisen, sind sie doch allesamt für eine dauerhafteÜberlieferungsbildung kaum geeignet. Nicht nur, weil die dort abgelegtenInformationen ständig verändert werden können und die Informations-träger selbst nur eine sehr begrenzte Lebensdauer haben, bei Diskettenund CD-ROMs z.B. maximal zwei Jahrzehnte: Der technische Wandelführt vielmehr dazu, dass ständig neue Betriebssysteme und Datenformateauf den Markt kommen und die älteren verdrängen, so dass ältere Dateienoft schon nach wenigen Jahren nicht mehr gelesen werden können bzw.mit hohem Aufwand und unter Umständen großen Informationsverlusten

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konvertiert werden müssen. Die Archive stehen auch hier vor der schwie-rigen Aufgabe, aus diesem Überangebot von Informationen die wichtigenherauszufiltern und sie auf Dauer so zu sichern, dass auch die kommendenGenerationen darauf zurückgreifen können. Während die Technik und dieaktuellen Anwenderprogramme in der Regel die Stabilität ihrer Systemeauf einige Jahre, in Ausnahmefällen auf ein oder zwei Jahrzehnte anlegen,muss die Arbeit der Archive darauf zielen, diese Informationen tatsächlichdauerhaft, also auf Jahrhunderte und darüber hinaus, der Menschheit ver-fügbar zu halten. (Siehe Kapitel: EDV und Archive, S. 201 ff.)

Es klingt paradox, ist aber wahr: Keine Epoche der Menschheitsge-schichte hat jemals auch nur annähernd so viele Informationen über sichselbst hervorgebracht wie die heutige. Dennoch war die Gefahr, dass diehistorische Erinnerung kommender Generationen große Lücken erhaltenoder gar abreißen könnte, noch nie so groß wie heute. Dies zu verhin-dern, ist der eigentliche gesellschaftliche Auftrag der Archive. Unter die-sem Aspekt dürften leistungsfähige Archive für die Gesellschaft künftigimmer wichtiger werden.

II. Die Organisation des Archivwesens

1. Archivsparten

Wie im vorhergehenden Kapitel bereits kurz angesprochen, gliedert sichdas Archivwesen in unterschiedliche Sparten. In Deutschland ist dieser„Archivpluralismus" besonders stark ausgeprägt. Dies hängt zum einenmit unserem föderalistischen Staatsaufbau zusammen: Bund und Länderhaben von einander strikt getrennte Zuständigkeitsbereiche. WichtigsterGesetzgebungsbereich der Länder ist die sog. „Kulturhoheit". Für das Ar-chivwesen bedeutet dies, dass das Archivwesen der Länder von dem desBundes völlig unabhängig ist. Das Bundesarchiv ist daher kein Zentral-archiv (wie etwa das Nationalarchiv in Paris), dem die Archive der Län-der unterstellt wären (wie die französischen Departementalarchive demNationalarchiv). Zum anderen ist in Deutschland auch die kommunaleSelbstverwaltung besonders ausgeprägt. Dies hat zur Folge, dass auch dieKommunen ihre Archive weitgehend unabhängig von den Länderarchi-ven einrichten und verwalten können. Die Landesarchivgesetze gebennur ganz grundsätzliche Rahmenbedingungen vor. Die Führung allernichtöffentlichen Archive (z. B. Kirchenarchive, Privatarchive, Unterneh-mensarchive, Medienarchive} unterliegt keinerlei staatlicher Aufsicht.

Insgesamt teilt man die Archive in Deutschland üblicherweise in achtSparten ein:1. staatliche Archive2. kommunale Archive3. kirchliche Archive

4. Herrschafts-, Haus- und Familienarchive (Adelsarchive)5. Wirtschaftsarchive6. Parlaments-, Partei- und Verbandsarchive7. Medienarchive8. Hochschularchive und Archive wissenschaftlicher Institutionen.

Alle Archive in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind in folgen-dem Buch mit Adressen, Telefonnummer und E-mail sowie Namen allerdort jeweils tätigen Archivarinnen und Archivaren aufgeführt: Archivein der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz, heraus-gegeben vom Ardey-Verlag in Zusammenarbeit mit dem VdA - Verbanddeutscher Archivarinnen und Archivare e.V., 17. Ausgabe Münster 2002.Dem Buch beigelegt ist auch eine CD-ROM mit einer Datenbank allerArchive.

1 Staatliche Archive

Archive des BundesDas Bundesarchiv ist für die zentralen Behörden und Einrichtungen des EBundes zuständig. Es hat seinen Hauptsitz in Koblenz; wichtige Abtei-lungen (u.a. Deutsches Reich, Deutsche Demokratische Republik, Filmar-chiv) befinden sich in Berlin, die Abteilung Militärarchiv in Freiburg, dieAbteilung Lastenausgleichsarchiv in Bayreuth; daneben gibt es weitereAußenstellen an anderen Orten. Das Bundesarchiv bewahrt derzeit rund200 Regalkilometer Archivgut auf und beschäftigt mehr als 800 Mitar-beiter. Zum Bundesarchiv am Standort Berlin gehört auch die StiftungArchiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv.Dort wird das Schriftgut der DDR-Parteien und Organisationen (SED,FDGB usw.) aufbewahrt.

Organisatorisch und rechtlich unabhängig vom Bundesarchiv ist dasPolitische Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. Hier werden die Aktendes Außenministeriums, insbesondere die Urschriften oder beglaubigtenAbschriften der völkerrechtlichen Vereinbarungen des Deutschen Rei-ches, der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland sowiealle Unterlagen des diplomatischen Verkehrs aufbewahrt.

Auf einer eigenen gesetzlichen Grundlage arbeitet auch das Archiv derBundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes derehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), die frühere sog.„Gauck-Behörde", die Ihren Hauptsitz in Berlin, sowie 14 Außenstellenin den neuen Bundesländern unterhält. Aufgabe dieser Behörde ist es,die im Zusammenhang mit der Überwachungs- und Spitzeltätigkeit desStaatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR entstandenen Unterlagen- rund 200 Regalkilometer - zu sichern und zu erschließen, um dieseinsbesondere für die Wiedergutmachungsansprüche von Regimegegnernsowie für die historische und publizistische Aufarbeitung der DDR-Ge-schichte nutzen zu können.

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Weiterhin zählt zu den Archiven des Bundes das Geheime StaatsarchivPreußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem. Dieses bewahrt die zentraleÜberlieferung des 1947 endgültig aufgelösten Staates Preußen auf.

Archive der LänderDie Archive der einzelnen Bundesländer werden teilweise als Staatsarchi-ve, teilweise als Landesarchive bezeichnet, ohne dass darin ein sachlicherUnterschied begründet wäre. Sowohl die Organisation des staatlichenArchivwesens wie auch die Zahl der jeweiligen Staatsarchive ist in deneinzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. Saarland, Schleswig-Holstein, Brandenburg und die Stadtstaaten verfügen jeweils nur überein Staatsarchiv. In Nordrhein-Westfalen bestehen drei Staatsarchive, jeeines in Düsseldorf, für die Regierungsbezirke Köln und Düsseldorf, inMünster, für die Regierungsbezirke Münster und Arnsberg und Detmold,für den Regierungsbezirk Detmold. Das Staatsarchiv in Düsseldorf istgleichzeitig für die Archivierung der Akten der obersten Landesbehör-den, insbesondere der Landesregierung, zuständig und führt daher dieBezeichnung Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv. Neuerdingssind die nordrhein-westfälischen Staatsarchive organisatorisch zu einemLandesarchiv mit Sitz in Düsseldorf zusammengefasst worden.

Die Staatsarchive der Länder übernehmen und sichern die Überliefe-rung alier staatlichen Behörden in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich.Dazu gehören z.B. Bezirksregierungen, staatliche Forstämter, Schulauf-sichtsbehörden usw. Die Zuständigkeit eines Staatsarchivs bezieht sichjedoch nicht nur auf die aktuell bestehenden Behörden, sondern umfasstauch solche Einrichtungen, deren Rechts- und Vermögensnachfolge derStaat angetreten hat. Insbesondere zu Beginn des 19. Jahrhunderts habendie damaligen deutschen Staaten bei der sogenannten „Säkularisation"zahlreiche Klöster und sonstigen kirchlichen Einrichtungen aufgelöstund sich deren beträchtliches Vermögen angeeignet. Zum Vermögen ei-ner kirchlichen Einrichtung gehörte immer auch das Archiv und ggf. dieBibliothek. Daher finden sich heute die alten Kloster, Stifts- und Dom-kapitelsarchive in der Regel nicht in kirchlichen Archiveinrichtungensondern in den Staatsarchiven. Die meisten Klosterbibliotheken sind inUniversitäts- oder Landesbibliotheken überführt worden.

2 Kommunale Archive

Neben den staatlichen Archiven stellen die kommunalen Archive dennach Größe und inhaltlicher Bedeutung wichtigsten Teil des ÖffentlichenArchivwesens dar. Unter kommunalen Archiven versteht man die Archiveder kommunalen Gebietskörperschaften, d. h. der Städte, Gemeinden undKreise. Insgesamt dürfte es etwa 1.500 kommunale Archive in Deutschlandgeben.

Kommunale Gebietskörperschaften sind keine untergeordneten Be-hörden der staatlichen Verwaltung, sondern besitzen nach den Bestim-

mungen des Grundgesetzes und den Verfassungen der Länder das Rechtder Selbstverwaltung. Dieses bedeutet, dass die Kommunen innerhalbdes von den Gesetzgebern (Bundestag und Bundesrat sowie Landtageder Bundesländer) gesetzten Rahmens ihre Angelegenheiten selbst undeigenverantwortlich zu regeln haben.

Hieraus folgt, dass die Gemeinden, d.h. also die Städte, Gemeinden,Kreise, prinzipiell für alle öffentlichen Belange zuständig sind, die derGesetzgeber nicht ausdrücklich anderen öffentlichen Organen vorbehal-ten hat. In dieser Allzuständigkeit der Gemeinden ist die Vielfalt der kom-munalen Aufgaben begründet, die letztendlich auch ihren Niederschlag inder kommunalen Aktenüberlieferung findet und auf der anderen Seite dieKommunalarchive verpflichtet, das kommunale Leben in seiner gesamtenVielfalt zu dokumentieren.

Entsprechend der Struktur der kommunalen Gebietskörperschaftengibt es verschiedenen Arten von Kommunalarchiven:

StadtarchiveDie Stadtarchive haben unter den kommunalen Archiveinrichtungen dielängste Tradition. Bereits die mittelalterlichen Städte bewahrten ihre Ur-kunden und Privilegien, ihre Stadt- und Grundbücher, Bürgeraufnahme-und Ratsverzeichnisse und vor allem ihre Ratsprotokolle sorgfältig auf.Erhaltene Archivladen oder -truhen und barocke Registraturschränke inden Ratsstuben, aber auch feuersichere Archivgewölbe in alten Rathäuserngeben hiervon noch heute Zeugnis. Mit der Betreuung des Archivs warin der Regel der städtische Jurist, der sog. Stadtsyndicus, unterstützt vomStadtschreiber, beauftragt. Manche erhaltenen und unter Umständen nochin Gebrauch befindlichen Urkundenrepertorien wurden bereits in der Ba-rockzeit (ca. 1650-1800) angelegt. Vielfach verfügten die Städte früherüber ein geordneteres Archivwesen als die jeweiligen Landesherren.

GemeindearchiveUnter den Städten und Gemeinden nehmen nach den heute gültigen CGemeindeordnungen nur noch die kreisfreien Städte, in der Rege!Großstädte, eine besondere rechtliche Stellung ein. Sie sind aus demKreisverband herausgelöst und nehmen die Aufgaben der Kreise selbstwahr. Einen rechtlichen Unterschied zwischen kreisangehöriger Stadtund (Land-)Gemeinde gibt es praktisch nicht mehr. Daher gibt es auchkeine prinzipiellen Unterschiede zwischen Stadt- und Gemeindearchiven.Die Tatsache, dass Landgemeinden in der Regel eine geringere Einwoh-nerzahl haben und dementsprechend auch ihre Verwaltungen kleiner undweniger differenziert sind, wirkt sich naturgemäß auch auf die Archiveder Gemeinden aus.

Obgleich durch die kommunale Gebietsreform, die in NRW 1975abgeschlossen wurde, auch die Landgemeinden heute unter Umständen10.000 und mehr Einwohner aufweisen, sind deren Gemeindeverwal-tungen vielfach zu klein, um die hauptamtliche Leitung eines eigenen

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Archivs sinnvoll und finanziell tragbar zu machen. Wenn die Gemeindeneigene Archive unterhalten, werden diese durch Archivare des mittlerenoder gehobenen Dienstes, anderweitig vorgebildete Kräfte oder neben-amtlich betreut. Vielfach ist eine Mitbetreuung durch das zuständigeKreisarchiv üblich. Auch Gemeinschaftsarchive mehrerer Gemeindensetzen sich mehr und mehr durch.

KreisarchiveDie Kreisarchive sind die jüngsten Archiveinrichtungen im kommunalenBereich. In den westlichen Bundesländern existieren Kreisarchive in un-terschiedlicher Dichte, flächendeckend jedoch nur in Baden-Württem-berg. Einen Sonderfall bildet Bayern, das Kreisarchive bislang noch garnicht kennt.

Ganz anders verlief die Entwicklung der Kreisarchive auf dem Gebietder ehemaligen DDR. Hier wurden auf Grund staatlicher Verordnung be-reits ab 1951 flächendeckend Kreisarchive eingerichtet. Die Kreisarchivewaren grundsätzlich auch für das Archivgut der kreisangehörigen Städteund Gemeinden sowie für das Schriftgut der Betriebe innerhalb des Kreis-gebietes zuständig, soweit dieses nicht dem Staatsarchiv vorbehalten war.Wenn auch die personelle und sachliche Ausstattung der Kreisarchiveoft zu wünschen übrig ließ und lässt, ist die flächendeckende archivischeBetreuung auf kommunaler Ebene ein großer Vorteil.

Oberhalb der Ebene der Kreise gibt es eine eigenständige Einrichtungder kommunalen Selbstverwaltung mit umfassenden Zuständigkeitenheute nur noch in Nordrhein-Westfalen. Dort wurden 1953 die beidensog. Landschaftsverbände, hervorgegangen aus den preußischen Provin-zialverbänden, als kommunale Gebietskörperschaften höherer Ordnungdurch Landesgesetz eingerichtet und mit besonderen, ortsübergreifendenSelbstverwaltungsaufgaben (u.a. Archivpflege) betraut. Sie unterhaltenfür ihren Zuständigkeitsbereich eigene Archive, die ebenfalls den fürKommunalarchive geltenden gesetzlichen Bestimmungen unterliegen.Dagegen unterhalten die gleichfalls kommunal verfassten bayerischenBezirke keine eigenen Archive. Deren Schriftgut wird von den staatlichenArchiven übernommen.

3 Kirchliche Archive

Da das ältere Überlieferungsgut der kirchlichen Institutionen sich zumgrößten Teil in den Staatsarchiven befindet (siehe oben), hat sich dasmoderne kirchliche Archivwesen durchweg erst im 20. Jahrhundert ent-wickelt. Kirchliche Archive sind zwar rechtlich nicht dem öffentlichenArchivwesen zuzurechnen, hinsichtlich ihrer Organisationsstrukturen,Aufgaben und Arbeitsweise aber weitgehend mit diesen zu vergleichen.Ähnlich der staatlichen Archivgesetzgebung haben auch die evangelischenLandeskirchen und die katholischen Bistümer für ihren Bereich eigenerechtliche Rahmenbedingungen geschaffen.

Das Archivwesen der evangelischen KircheEntsprechend ihrer Gliederung in einzelne Landeskirchen ist auch das EArchivwesen strukturiert. Die zentralen Bestände der EKD (EvangelischeKirche in Deutschland) und der EKU (Evangelische Kirche der Union)werden vom Evangelischen Zentralarchiv in Berlin verwaltet, das dane-ben über einige interessante Sonderbestände (8000 Kirchenbücher, Öku-menisches Archiv, Archiv zur Geschichte des Kirchenkampfes) verfügt.Jede Landeskirche unterhält ein Landeskirchliches Archiv, das neben derÜberlieferung der landeskirchlichen Organe und Verwaltungen in derRegel auch die archivpflegerische Betreuung der Archive der Pfarrge-meinden, die unter Umständen über sehr alte Überlieferungen verfügen,übernimmt. Jedoch liegt das Eigentums- und Verfügungsrecht über diePfarrarchive (sowohl evangelische wie katholische) grundsätzlich beijeder Kirchengemeinde selbst bzw. deren Vertretungsorganen (Presbyte-rium bzw. Kirchenvorstand). Andere kirchliche Organisationen, z.B. ausdem karitativen Bereich, verfügen über eigene Archiveinrichtungen, dienicht der Aufsicht der landeskirchlichen Archive unterstehen.

Das Archivwesen der katholischen KircheEine zentrale Archiveinrichtung der katholischen Kirche in Deutschlandgibt es nicht, abgesehen vom Archiv des Sekretariats der Deutschen Bi-schofskonferenz in Bonn. Hier wäre auf das Vatikanische Archiv in Romzurückzugreifen, das allerdings auf Grund seiner langen Sperrfristen (der-zeit normalerweise nur bis zum Jahre 1922 für die Forschung zugäng-lich) für zeitgeschichtliche Forschungen kaum in Betracht kommt. Denlandeskirchlichen Archiven entsprechen auf katholischer Seite die Diö-zesan- oder Bistumsarchive, die es in sämtlichen Diözesen gibt. Sie übenebenfalls die archivpflegerische Betreuung der - rechtlich selbständigen- Pfarrarchive aus. Auch im katholischen Bereich unterhalten kirchlicheOrganisationen eigenen Archive. Von großer Bedeutung - besonders fürdie Geschichte des Schul- und Erziehungswesens, der Krankenpflege undder Betreuung geistig und körperlich Behinderter - sind die Archive derkatholischen Klöster und Orden, die in großer Zahl seit dem 19. Jahr-hundert neu entstanden sind.

Sonstige kirchliche EinrichtungenDie Zahl der kirchlichen Archive in Deutschland außerhalb der beidengroße Religionsgemeinschaften ist gering. Zu nennen ist hier vor allemdas in Heidelberg ansässige Zentralarchiv zur Erforschung der Geschich-te der Juden in Deutschland.

4 Herrschafts-, Haus- und Familienarchiv'e (Adelsarchive)

Die zahlreichen in Privatbesitz befindlichen Herrschafts-, Guts-, Haus- Pund Familienarchive (= Adelsarchive) in Deutschland verwahren einenerheblichen Teil der älteren Überlieferung (insbes. bis zur Mitte des

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19. Jahrhunderts). Nur wenige dieser Archive werden jedoch haupt-amtlich von Fachpersonal betreut (wie z.B. das Fürst Thurn und TaxisZentralarchiv in Regensburg, das Fürstlich Fürstenbergische Archiv Do-naueschingen oder das Archiv des Fürsten zu Ysenburg und Büdingen inBüdingen). Bei den übrigen ist die Betreuung und Zugänglichkeit sehr un-terschiedlich. Bisweilen betreuen Staats-, Stadt- oder Kreisarchive die inihrem Zuständigkeitsgebiet gelegenen Privatarchive nebenher im Auftragdes Eigentümers. Mit Ausnahme eines Bundesgesetzes, das den Verkaufnational wichtiger Privatarchive ins Ausland verbietet, unterliegen privateArchive keiner gesetzlich geregelten Aufsicht durch staatliche Behörden.

Abb. 4: Aufschwörungstafel zu 16 Ahnen, 18. Jh.

Eine eigenständige Lösung findet sich in Nordrhein-Westfalen: Hier be-treuen - nach gegenseitiger Übereinkunft - die Archivpflegestellen derLandschaftsverbände sämtliche Privatarchive. Dies sind allein im Lan-desteil Westfalen etwa 100. Westfalen ist auch die einzige Region, fürdie eine komplette Beständeübersicht aller Adelsarchive vorliegt. DieseArchive verbleiben nach Möglichkeit in ihren angestammten Häusern,die Benutzung erfolgt hingegen grundsätzlich in den Archivämtern derLandschaftsverbände. Da die Eigentümer noch heute in der Regel großeGutsherrschaften und andere Wirtschaftsbetriebe unterhalten, sind dieseArchive lebende Archive, die (wie öffentliche Archive) regelmäßige Abga-ben aus den zugeordneten Verwaltungen erhalten. Nur in Ausnahmefällen(z.B. beim Verkauf eines Schlosses) können die Archive in eigens dafüreingerichteten Depots unter Eigentumsvorbehalt hinterlegt werden.

in den neuen Bundesländern bestehen keine selbständigen Adelsarchi-ve, da diese im Zuge der Bodenreform 1945-1949 generell verstaatlicht

wurden und heute - sofern erhalten - in den Staatsarchiven aufbewahrtwerden.

5 Wirtschaftsarchive

Das Archivwesen der Wirtschaft ist sehr unterschiedlich strukturiert. In \einigen Bundesländern bestehen regionale Wirtschaftsarchive: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen {je eines in Kölnund in Dortmund) und Sachsen. Diese werden meist hauptsächlich vonden Industrie- und Handelskammern getragen und übernehmen - nebenden Kammerakten - insbesondere Registraturgut aufgelöster Unterneh-men. Auch betreiben sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten Archivpflegeim Bereich der Wirtschaft. Als einziges größeres Branchenarchiv bestehtseit 1969 das Bergbauarchiv in Bochum. Die Basis des Wirtschaftsar-chivwesens bilden jedoch die Unternehmensarchive. Ihre Zahl ist kaumanzugeben, da im Prinzip jedes Unternehmen nach einer gewissen Zeitseines Bestehens über ein „Archiv", meist jedoch nur eine Registratur,verfügt. Nur größere Unternehmen unterhalten in der Regel institutionellausgebaute und mit Fachkräften besetzte Archive, von denen es etwa 200in Deutschland gibt,

In der ehemaligen DDR mussten die Wirtschaftsbetriebe ihr ausgeson-dertes Schriftgut regelmäßig den Staatsarchiven anbieten. Diese übernah-men jedoch nur das der überregional wichtigeren Betriebe. Schriftgut vonnur örtlicher Bedeutung kam in die Stadt- und Kreisarchive. Für die neu-en Bundesländer sind die Altregistraturen aufgelöster Unternehmen ausder DDR-Zeit von Bedeutung. Diese ca. 200 laufenden Kilometer Aktenwurden zunächst von der „Treuhand", dann von der „Bundesanstalt fürvereinigungsbedingte Sonderaufgaben" verwaltet. Vor einigen Jahrenwurde die Betreuung dieser Archive, die zunächst im Wesentlichen fürRenten-, Beschäftigungsauskünfte u.a. genutzt werden, der privat geführ-ten DISOS GmbH in Berlin übertragen, die hierzu fünf Landesdepots un-terhält. Im Laufe der Zeit werden die Bestände, soweit sie archivwürdigsind, in öffentliche Archive (Staats- oder Kommunalarchive) überführt.

6 Parlaments-, Partei- und Verbandsarchive

Obgleich die Registraturen der Bundes- und Länderparlamente na-turgemäß staatliches Schriftgut darstellen und somit eigentlich in dieKompetenz der Staatsarchive fallen, unterhalten sämtliche Parlamente inDeutschland - Bundestag, Bundesrat, Länderparlamente - eigene Archi-ve, da die Parlamente als gesetzgebende Gewalt („Legislative1') die Verfü-gung über ihr Schriftgut nicht der staatlichen Verwaltung („AusführendeGewalt", „Exekutive") überlassen wollen. Die wichtigste Aufgabe derParlamentsarchive ist die Dokumentation der parlamentarischen Arbeitfür die Praxis. Sämtliche Redebeiträge sowie alle Parlamentsdrucksa-chen können nachgewiesen und auf Anforderung zur Verfügung gestellt

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werden. Archivische Aufgaben in engerem Sinne (Schriftgutverwaltung)übernehmen die Parlamentsarchive natürlich auch. Diese stehen jedochhinter den dokumentarischen Aufgaben zurück.

Nicht in die Parlamentsarchive gelangt in der Regel das Schriftgut derFraktionen und politischen Parteien. Diese unterhalten vielmehr eigeneArchive, so die CDU bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in St. Augustinbei Bonn, die SPD bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, die FDPbei der Friedrich-Naumann-Stiftung in Gummersbach, die Grünen beider Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin und die CSU bei der Hans-Seidel-Stiftung in München. Zu dieser Gruppe der Archive rechnen auch dieArchive von Gewerkschaften und Verbanden.

7 Medienarchive

live Dass im heutigen „Medienzeitalter" den Medienarchiven eine besonderswichtige Rolle im Gesamtbereich der archivischen Arbeit zukommt,bedarf keiner näheren Begründung. Gleichzeitig sind MedienarchiveSchnittstellen zwischen archivarischer und dokumentarischer Arbeit. Be-sonders die Archive der Rundfunk- und Fernsekanstalten haben die Auf-gabe, die Produkte ihrer Sender, die - im Unterschied zu den Produktender Printmedien - nur Augenblickscharakter haben, auf Dauer zu sichern,einmal, damit die Sender selbst darauf zurückgreifen können, aber auchals Lebensäußerungen unserer Zeit und Teil unseres kulturellen Erbes.Darüber hinaus sind sie auch dafür verantwortlich, die für die Produktionvon Beiträgen erforderlichen Hintergrundinformationen bereitzuhaltenund zur Verfügung zu stellen, und erfüllen somit dokumentarische Auf-gaben.

Eine besondere Rolle spielt das Deutsche Rundfunkarchiv mit Sitzen inFrankfurt am Main und Potsdam: Neben seiner Aufgabe als Archiv desehemaligen Reichsrundfunks vor 1945 und der Deutschen Welle wurdeihm nach der Wende die Sicherung der Rundfunk- und Fernsehüberliefe-rung der Rundfunkanstalten der ehemaligen DDR übertragen.

Dokumentarische Aufgaben stehen bei den Archiven der Printmedien(Zeitungen, Zeitschriften) in der Regel im Vordergrund. Insbesonderedie Archive großer überregionaler Tages- und Wochenzeitungen, z. B. dasF.A.Z.-Archiv in Frankfurt sowie der Nachrichtenmagazine, z. B. Spiegel-Archiv in Hamburg, haben als umfassende zeitgeschichtliche Dokumen-tationsstellen eine Bedeutung, die weit über das eigene Unternehmen hi-nausreicht. Sie werden daher auch von der zeitgeschichtlichen Forschung(unter Beachtung besonderer Bedingungen und ggf. gegen Gebühren) vielgenutzt. Natürlich sind den Medienarchiven meist auch die traditionellenAufgaben der Schriftgutarchivierung übertragen.

Zu den Bildarchiven zahlen z.B. die Archive der Bildagenturen undder Landesbildstellen aber auch die entsprechenden Abteilungen vonPressearchiven, Bibliotheken und Museen. Sie stellen Recherchedienst-leistungen, Filmkopien und Bildabzüge zumeist kostenpflichtig zur Ver-

fügung. Ihre Bestände setzen sich aus Eigenproduktionen, Leihgaben undAnkäufen zusammen. Das Archivgut der Bildarchive, z.B. Fotos, Filmeund Dias werden in der Regel nach ihren Motiven und ihrem Bildgehaltsortiert und in Sachgruppen entsprechend einer Klassifikation eingeord-net. Beispiele für Bildarchive sind das Bildarchiv Preußischer Kulturbesitzin Berlin und das Landesmedienzentrum Westfalen-Lippe in Münster.

8 Hochschularcbive und Archive wissenschaftlicher Institutionen

Die Archive der Universitäten und Hochschulen sind, da es sich inder Regel um Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft handelt, denöffentlichen Archive zuzurechnen und unterliegen damit auch den Be-stimmungen der Archivgesetze. Dennoch sind sie infolge der Autonomie,der Hochschulen von den staatlichen Archivbehörden unabhängig undregeln ihre Angelegenheiten auf der Basis einer Hochschulsatzung. Zuihren Aufgaben gehört natürlich zunächst einmal die Archivierung desSchriftgutes der zentralen Hochschulverwaltung. Bei den Archiven alterUniversitäten reicht dieses unter Umständen Jahrhunderte weit zurück(z.B. Universitätsmatrikel). Das Schriftgut der Fakultäten und Institute,besonders aber die Gelehrtennachlässe, fallen hingegen dem Hochschul-archiv nicht ohne weiteres zu, sind aber für die Dokumentation des Wis-senschaftsbetriebes von großer Bedeutung. Für den Hochschularchivar istdaher die aktive Einbindung in den Forschungs- und Lehrbetrieb wichtig,da dieses Schriftgut in der Regel nur über persönliche Kontakte demArchiv zugeführt werden kann.

Neben den Hochschularchiven gibt es eine Fülle von sonstigen wissen-schaftlichen Institutionen in privater oder öffentlicher Trägerschaft, dieArchive unterhalten. Oft sind deren Aufgaben im QuerschnittsbereichArchiv - Bibliothek - Dokumentation angesiedelt. Ein Beispiel ist das1975 gegründete Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft,das die Unterlagen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und späteren Max-Planck-Gesellschaft sowie die Nachlässe ihrer wissenschaftlichen Mitglie-der sichert und erschließt.

Ebenfalls in diese Gruppe fallen die Literaturarchive. Bedeutende Ar-chive dieser Art in Deutschland sind z. B. das Goethe- und Schiller-Archivin Weimar und das Deutsche Literaturarchiv in Marbach. Aufbewahrtwerden in diesen hochspezialisierten Einrichtungen vor allem Nachlässevon Schriftstellern, Verlags- und Redaktionsarchive und Einzelautogra-phen.

2. Fachorganisationen und Gremien

Die große Gesamtaufgabe der Archive für unsere Gesellschaft ist nur inArbeitsteilung zu erfüllen. Sie müssen sich daher untereinander abspre-chen, Erfahrungen austauschen und ihre Aufgabe in der Öffentlichkeit

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deutlich machen. Diese Aufgabe nehmen verschiedene Fachorganisatio-nen und Gremien wahr. Die wichtigsten von ihnen werden im folgendenkurz vorgestellt:

\ Der bedeutendste und größte Fachverband des deutschen Archivwesensist der im Jahre 1946 gegründete Verein deutscher Archivare, heute VdA- Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V. Sein Zweck ist dieFörderung und die Wahrnehmung der Interessen des Archivwesens, ins-besondere durch wissenschaftliche Forschung, Erfahrungsaustausch undfachliche Weiterbildung. In ihm sind Archivarinnen und Archivare allerArchivsparten zusammengeschlossen. Persönliches Mitglied kann wer-den, wer eine archivfachliche Ausbildung hat oder hauptamtliche archi-varische Tätigkeit ausübt. Archive und Träger von Archiveinrichtungenkönnen die korporative Mitgliedschaft erwerben.

Gerade wegen der Vielgestaltigkeit des deutschen Archivwesens kommtdem VdA eine besonders wichtige Aufgabe zu. Er vertritt die Gesamtin-teressen des deutschen Archivwesens nach außen und fördert Kontakteund den Erfahrungsaustausch zwischen den Archivarinnen und Archivensowie den unterschiedlichen Archiveinrichtungen. Da es in Deutschlandwegen der föderalistischen Struktur kein allen Archiven übergeordnetesNationalarchiv gibt, muss der VdA die Koordination aller übergreifendenFragen sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene übernehmen. Diewichtigste Aufgabe des VdA ist die jährliche Durchführung des DeutschenArchivtags (siehe unten).

Der VdA gliedert sich in acht Fachgruppen, die der oben dargestelltenfachlichen Gliederung des deutschen Archivwesens entsprechen. JedeFachgruppe entsendet - je nach Mitgliederzahl - eine bestimmte AnzahlVorstandsmitglieder in den Gesamtvorstand. Der Vorsitzende wird vonder Mitgliederversammlung direkt gewählt, die übrigen Vorstandsämter(I. und 2. stellv. Vorsitzende, Schatzmeister, Schriftführer) werden vomVorstand aus seinen Reihen bestimmt.

Im Unterschied zum Bibliothekswesen, das eine Vielzahl von Fachorga-nisationen und Verbänden, gegliedert sowohl nach Laufbahnebenen wienach Bibliothekstypen, aufweist, gibt es für das deutsche Archivwesennur diesen einen gemeinsamen Verband, der zugleich sowohl Fachver-band wie auch berufsständischer Verband ist. Er hat derzeit rund 2.500Mitglieder.

Auf eine Ausnahme ist jedoch hinzuweisen: Die ursprüngliche star-ke Ausrichtung des Vereins deutscher Archivare auf wissenschaftlicheArchivare an öffentlichen Archiven führte in den 1950er Jahren zuIntegrationsproblemen hinsichtlich der Archivare im Bereich der Wirt-schaft, insbesondere der Unternehmensarchivare. Diese hatten nämlichnur selten eine spezielle Fachausbildung aufzuweisen. Daher kam es1957 zur Gründung eines eigenen Verbandes, der Vereinigung deutscherWirtschaftsarchivare e. V. (VdW). Ihr gehören zahlreiche Archivare in Un-ternehmensarchiven an, die nicht Mitglied im VdA sind. Im übrigen ar-beiten beide Verbände eng zusammen, nicht zuletzt auch über personelle

Verbindungen in den Vorständen beider Vereine. Die VdW veranstaltetim Frühjahr jeden Jahres eine eigene mehrtägige Fachtagung. Sie gibtzudem seit 1967 eine eigene, vierteljährlich erscheinende FachzeitschriftArchiv und Wirtschaft heraus. Einen besonderen Schwerpunkt ihrerTätigkeit sieht die VdW in der Durchführung von Veranstaltungen zurAus- und Fortbildung für Wirtschaftsarchivare.

Die Abstimmung und Kooperation zwischen den staatlichen Archi-ven der Bundesrepublik in wichtigen Grundsatzfragen ist Aufgabe derKonferenz der Archivreferenten bzw. Leiter der Archivverwaltungen desBundes und der Länder (ARK). Die Beschlüsse der ARK haben zwar fürdie einzelnen Archivverwaltungen einen gewissen Verbindlichkeitscha-rakter, sind aber gleichwohl nur Empfehlungen, deren Umsetzung in dasErmessen der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder gestelltist. Die ARK tagt in der Regel zweimal im Jahr. Für spezielle Fachfragenunterhält die sie drei Fachausschüsse, je einen für Fototechnik, EDV undRestaurierung.

Für den Bereich der kommunalen Archive wurde 1990 die Bundes-konferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag (BKK) ge-gründet. Deren Mitglieder (ca. 25) werden vom Deutschen Städtetagin Abstimmung mit dem Deutschen Landkreistag und dem DeutschenStädte- und Gemeindebund berufen und setzen sich im Wesentlichenaus den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaften der Stadt- und Kreis-archivare, die es in den allen Bundesländern gibt, zusammen. Über dieregionalen Arbeitsgemeinschaften können die Beschlüsse der BKK, diegleichzeitig über die kommunalen Spitzenverbände als Empfehlungen andie Kommunen ergehen, direkt an die Archive aller Städte, Gemeindenund Kreise weitergeleitet werden. Die BKK, die in der Rege! zweimaljährlich tagt, unterhält mehrere Fachausschüsse, so für Fragen der EDV,der Restaurierung und Konservierung, Bewertung, Aus- und Fortbildungund historischen Bildungsarbeit.

Für die Kirchenarchivare bestehen ebenfalls institutionelle Leitungs-gremien. Bei den Archiven der katholischen Kirche ist dies die Bun-deskonferenz der Kirchenarchive, die der Deutschen Bischofskonferenzzugeordnet ist. Auf evangelischer Seite besteht der Verband kirchlicherArchive als Teil der Arbeitsgemeinschaft Bibliotheken und Archive in derEvangelischen Kirche.

Die Zahl der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise ist zu groß, alsdass sie hier im einzelnen aufgeführt werden könnten. Sie bestehen aufLänderebene oder sind den Verbänden zugeordnet, wie z.B. die Arbeits-kreise Gehobener Dienst und Archivpädagogik im VdA. Auch innerhalbder Fachgruppen des VdA bestehen teilweise gesonderte Arbeitskreise.Andere sind den institutionellen Gremien zugeordnet.

Auf internationaler Ebene vertritt der Internationale Archivrat (engl.:ICA - International Council on Archives, französisch: CIA - ConseilInternational des Archives ) mit Sitz in Paris die Interessen der Archiveweltweit. Die Organisation ist an die UNESCO (Organisation für Un-

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terricht, Wissenschaft und Kultur der Vereinten Nationen) angegliedert.Als Leitungsgremium des ICA fungiert der Exekutivausschuss, an dessenSpitze der Präsident steht. Dieses Amt hat traditionell vier Jahre lang derDirektor des Nationalarchivs des Landes inne, in dem der letzte Interna-tionale Archivkongress stattgefunden hat.

Der ICA unterhält zahlreiche Unterorganisationen: Regionale, nachKontinenten gegliederte Zweige {Regional Brauches), Sektionen undKommissionen. Der europäische Zweig EURBICA (European Brancheof ICA) hat seinen Sitz ebenfalls in Paris. Die wichtigste der Kommissi-onen ist die International Conference of the Round Table on Archives/Conference international de la Table ronde des Archives (CITRA). Diesewird jährlich einberufen, an ihr nehmen delegierte Vertreter aller im ICAzusammengeschlossenen Länder teil.

Der ICA und die CITRA erarbeiten auch grundsätzliche Papiere fürdas weltweite Archivwesen. Hierzu ist vor allem der vor einigen Jahrenbeschlossene Kodex ethischer Grundsätze für Archivare (Code of Ethics)zu rechnen, der die grundlegende Prinzipien der archivarischen Arbeitdarlegt und die Verantwortung der Archivare für eine objektive Überlie-ferungsbildung und deren dauerhafte Erhaltung deutlich macht. Der Textist den Anlagen abgedruckt.

3. Aus- und Weiterbildung

Ausbildungsgänge für Archivarinnen und Archivare

Es gibt in Deutschland für die Ausbildung von Archivarinnen und Archi-varen drei unterschiedliche Ebenen: Eine berufspraktische Ausbildungbietet der Lehrberuf des/der Fachangestellten für Medien- und Informa-tionsdienste. Dieser dreijährige Ausbildungsgang ist im ersten Kapitel die-ses Buches eingehend beschrieben. Nur in Bayern gibt es eine zweijährigeBeamtenausbildung für den mittleren Archivdienst, die zum Abschlussdes Archivassistenten führt. Einen vergleichbaren Ausbildungsgang gabes auch in der früheren DDR.

Weiterhin gibt es die Fachhochschulausbildung mit dem Abschluss Di-plomarchivar FH. Voraussetzung für diesen Studiengang ist das Abitur,einige Bundesländer verlangen darüber hinaus auch den Nachweis vonfranzösischen und lateinischen Sprachkenntnissen. Zum DiplomarchivarFH kann man auf zwei Wegen gelangen: Der traditionelle ist der überdie verwaltungsinterne Ausbildung bei den staatlichen Archivverwaltun-gen. Die Bewerber werden als Staatsarchiv-Inspektorenanwärter/innenbei einem Staatsarchiv auf drei Jahre im Beamtenverhältnis auf Widerrufeingestellt und erhalten in dieser Zeit eine entsprechende staatliche Be-soldung. Etwa die Hälfte der Ausbildungszeit wird beim ausbildendenStaatsarchiv verbracht, die andere Hälfte an der Archivschule in Mar-burg. Die Ausbildung endet mit der Laufbahnprüfung für den gehobenen

Archivdienst und dem Diplom als Diplomarchivar FH. In Bayern bestehteine eigene Archivschule.

Dieses Ziel kann man auch im Direktstudium an der FachhochschulePotsdam - Fachbereich Informationswissenschaften - erreichen. Hierhandelt es sich um ein normales Fachhochschulstudium, also ohne An-stellung bei einem Archiv, das sich über acht Semester erstreckt und mitder Diplomprüfung abgeschlossen wird. Das Besondere an dem Potsda-mer Ausbildungsgang ist, dass hier - ähnlich wie bei der praktischen Aus-bildung für den Fachangestellten Medien- und Informationsdienste - vonAnfang an das Konzept eines integrierten Studiums im ABD (= Archiv-Bibliothek-Dokumentation)-Bereich verfolgt wird, bei dem das Grund-studium weitgehend identisch ist und die Spezialisierung auf einen derdrei Bereiche im Wesentlichen erst im Hauptstudium erfolgt.

Schließlich gibt es noch die Laufbahn des wissenschaftlichen Archi-vars. Diese setzt ein abgeschlossenes Universitätsstudium, meist im FachGeschichte, gelegentlich auch Jura oder Wirtschaftswissenschaften,voraus, an das sich eine zweijährige Referendariatszeit bei einem Staats-archiv und der Archivschule in Marburg (bzw. für Bayern in München)anschließt. Die Ausbildung endet mit der „Zweiten Staatsprüfung" (As-sessorprüfung) für den höheren Archivdienst. Bis zum Ende der 1990erJahre gab es noch die (aus der DDR-Zeit vorläufig übernommene)Möglichkeit eines wissenschaftlichen Studiengangs „Archivwesen" ander Humboldt-Universität in Berlin, der inzwischen aber aufgehobenworden ist.

Fachliche Weiterbildung

Gerade die Archive sind von den gesellschaftlichen und technischenVeränderungen unserer Zeit in besonderem Maße betroffen, da siediese dokumentieren und dazu ihre Zeugnisse in immer neuen Formenübernehmen und dauerhaft sichern müssen. Auch die Arbeitsmittel und-methoden sind einem immer schnelleren Wandel unterworfen. Aus die-sem Grunde ist eine kontinuierliche fachliche Weiterbildung für jedenArchivar eine unverzichtbare Notwendigkeit. Diese kann und muss aufverschiedenen Wegen erfolgen.

Zum einen sind es Fachzeitschriften, die ständig über neue Probleme Frund Methoden berichten. Hier ist zunächst die Zeitschrift Der Archivar zunennen, die vierteljährlich erscheint und für jedes Archiv eine unverzicht-bare Lektüre darstellt. Mitglieder des VdA erhalten sie im Rahmen ihrerMitgliedschaft kostenlos. Weite Verbreitung insbesondere in kommuna-len Archiven hat die vom Westfälischen Archivamt in Münster heraus-gegebene zweimal jährlich erscheinende Zeitschrift Archivpflege in West-falen-Lippe. Diese berücksichtigt in ihren Beiträgen besonders Themen,die für kleinere Archive von Bedeutung sind. In einigen Bundesländernwerden von den Landesarchivverwaltungen oder den Landesverbändendes VdA kleinere, meist unregelmäßig erscheinende Mitteilungsblätter

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herausgegeben, die wichtige und vor allem praktische Informationenzur Archivarbeit enthalten. Dagegen enthält die jährliche erscheinendeArchivaliscbe Zeitschrift hauptsächlich größere wissenschaftliche Beiträgezu grundlegenden archivischen Fachfragen.

Zunehmende Bedeutung haben in den Setzten Jahren die von nahezuallen Archiven und Archivverwaltungen, aber auch von Verbänden (z.B.VdA), Archivschulen und Institutionen erstellten Internetseiten gewon-nen, die sich vor allem durch große Aktualität auszeichnen. Ein Verzeich-nis der wichtigsten Adressen findet sich im Anhang.

Auch Tagungen und Seminare sind für die Weiterbildung und den Er-fahrungsaustausch von großer Bedeutung. Die wichtigste Archivtagungist der Deutsche Archivtag, der vom VdA in der Rege! jährlich veranstaltetwird. Mit meist mehr als 800 Teilnehmern ist er der größte regelmä-ßig stattfindende Archivfachkongress in Europa. Der fachliche Teil derTagung besteht aus meist zwei Plenarsitzungen, auf der grundsätzlicheFragen vorgetragen werden, sowie aus vier zeitgleich stattfindendenSektionssitzungen, die der Erörterung verschiedener Aspekte des Rah-menthemas an konkreten Einzelbeispielen dienen. Ein Vormittag ist denacht Fachgruppen gewidmet, die dann eigene Sitzungen über bestimmteProbleme ihrer Archivsparten abhalten. Die Wirtschaftsarchive, Parla-ments- und Parteiarchive, die Medienarchive und die Hochschularchiveveranstalten darüber hinaus jedes Jahres eigene Fachtagungen.

Von hohem Informationswert ist zweifellos die mit den Deutschen Ar-chivtagen verbundene archivtechnische Ausstellung unter dem NamenArchivistica - Fachmesse für Archivtechnik. Etwa 30 bis 40 Aussteller ausden Bereichen Regalbau, Restaurierung, Verpackung, Reprotechnik, EDV,aber auch Fachverlage stellen dort ihre Produkte und Dienstleistungenvor. Die Kongressteilnehmer haben dadurch die Möglichkeit, sich inkurzer Zeit über die neuesten Entwicklungen in allen Bereichen der dieArchive betreffenden Technik zu informieren.

Eine wichtige Ergänzung dieser bundesweiten Fachtagungen stellen dieregionalen Archivtage dar, die inzwischen in allen Bundesländern jährlichveranstaltet werden. Gerade durch den engen räumlichen Bezug weisendiese Tagungen einen besonders hohen Praxiswert auf.

Alle vier Jahre wird ein Weltkongress der Archive, der vom Internatio-nalen Archivrat veranstaltete Internationale Archivkongress durchgeführt,zuletzt im Jahr 2000 in Sevilla. Im Jahre 2004 wird diese Tagung in Wienstattfinden.

Tagungen und Kolloquien zu bestimmten Fachthemen werden unab-hängig davon meist aus konkreten Anlässen veranstaltet. Informationenüber alle Archivtagungen sind entweder den Fachzeitschriften oder demInternet zu entnehmen.

Während Tagungen sowohl dem Erfahrungsaustausch wie auch derWeiterbildung dienen, steht der letzte Zweck bei Fortbildungssemina-ren ganz im Vordergrund. Auch diese werden von vielen verschiedenenEinrichtungen angeboten. Hier sind zunächst die Ausbildungsstätten zu

nennen {Archivschule Marburg und FH Potsdam), die gezielt Fortbil-dungsseminare zu unterschiedlichen Themen anbieten. Auch das Westfä-lische Archivamt in Münster und das Rheinische Archiv- und Museum-samt führen regelmäßig solche Schulungen durch. Für die kommunalenArchive ist das jährliche zentrale Fortbildungsseminar der BKK wichtig.Auch einzelne Fachgruppen und Landesverbände des VdA sowie Archiv-verwaltungen bieten derartige Veranstaltungen an. Hierüber sollte mansich ebenfalls über die Fachzeitschriften oder das Internet regelmäßiginformieren.

Literatur

Die Archive am Beginn des 3. (dritten) Jahrtausends - Archivarbeit zwi-schen Rationalisierungsdruck und Serviceerwartungen (Nr. 10).

Archive im zusammenwachsenden Europa: Referate des 69. Deut-schen Archivtags und seiner Begleitveranstaltungen 1998 in Münster(Nr. 11).

Archive in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz(Nr. 12).

Archive und Gesellschaft: Referate des 66. Deutschen Archivtags, 25.-29.September 1995 in Hamburg (Nr. 13).

Archive und Herrschaft: Referate des 72. Deutschen Archivtages 2001in Cottbus (Nr. 14).

Bockhorst, Wolfgang: Adelsarchive in Westfalen: die Bestände der Mit-gliedsarchive der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive, Münster(Nr. 15).

Brenneke, Adolf; Leesch, Wolfgang: Archivkunde (Nr. 16).50 (fünfzig) Jahre Verein deutscher Archivare: Bilanz und Perspektiven

des Archivwesens in Deutschland (Nr. 17).Handbuch der Wirtschaftsarchive (Nr. 4).Leesch, Wolfgang: Vom Wesen und von den Arten des Archivgutes

(Nr. 5).Regionale Archivtage in Deutschland (Nr. 18).Rogalla von Bieberstein, Johannes: Archiv, Bibliothek und Museum als

Dokumentationsbereiche (Nr. 72).Vom Findbuch zum Internet: Erschließung von Archivgut vor neuen

Herausforderungen; Referate des 68. Deutschen Archivtags; 23.-26.September 1997 in Ulm (Nr. 19).

Zeitschriften:1. Der Archivar2. Archivpflege in Westfalen-Lippe3. Archivalische Zeitschrift