Günter Platzdasch: Der Feind steht links

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8/15/2019 Günter Platzdasch: Der Feind steht links http://slidepdf.com/reader/full/guenter-platzdasch-der-feind-steht-links 1/1 RANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG MITTWOCH, 19. NOVEMBER 2014 ·  NR. 269 ·  SEITE N 3 Geisteswissenschaften  Was verbindet den Franco-Putsch 1936 oder die „Rote Socken“-Kampagne der CDU 1994 mit Warnungen vor einem Linkspartei-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow anno 2014? Das Symposion „Der Antikommunismus in seiner Epo- che“ des „Jena Center Geschichte des 20. Jahrhundert“ suchte am Wochenende  Antworten. Aber je länger diskutiert wur- de, desto größer wurden die Zweifel, wer überhauptdie Antikommunisten sindund wo sie am Werke waren. Schon der Veranstaltungstitel,eineAn- spielung auf Ernst Noltes Buch über den „Faschismusin seinerEpoche“, behandel- te den Antikommunismus als ein Vergan- genes. Im Eröffnungsvortrag definierte Noltes einstiger Assistent Anselm Do- ering-Manteuffel(Tübingen)Antikommu- nismus als „Angst vor einer materiellen und ideellen Bedrohung von außen mit  Agentenvon innen“.Währenddie Münch- ner Räterepublik als ausländisches Werk galt, wurde draußen im Lande von Mehr- heitssozialdemokraten dominierten Rä- ten,die normaleVerwaltungsaufgabener- ledigten, vertraut. In den zwanziger Jahren habe es kaum  Antikommunismus gegeben, eher Anti- marxismus und Antisozialismus, bezogen aufdieSPD,diesichim HeidelbergerPro- gramm noch zum Marxismus bekannte. Hauptfeind der NSDAP sei der westliche Liberalismus, exekutiert vom „internatio- nalen Judentum“, gewesen. Das ermög- lichte partiell Zusammenarbeit mit Kom- munisten, vom BVG-Streik bis zum Hit- ler-Stalin-Pakt. Ausdifferenzierten Anti- kommunismus sah Doering-Manteuffel eher in den Reihen der SPD. Als Hitler 1933 die „Überwindung des Marxismus“ proklamierte, habe er primär die SPD als innereund den BolschewismusRusslands alsäußere Gefahrgemeint.In ihrerBedeu- tungkaumzu unterschätzenfürden Anti- kommunismusnach 1945 seiendie Flücht- linge und Vertriebenen sowie die Kriegs- heimkehrer gewesen – Millionen, „die da- mals Bescheid wussten über ‚den Iwan‘“.  Adenauer habe, so Doering-Manteuffel, geradezu panisch auf den Abschied vom Marxismus im Godesberger Programm der SPD 1959 reagiert. Nun waren inner- gesellschaftlicher Antimarxismus und au- ßenpolitischer Antibolschewismus nicht mehr einfach gegen die SPD zu bündeln; die CDU lief vollends ins Leere mit Weh- ners Schwenk zur Westbindung 1960.  An die Anfänge des Antibolschewis- mus erinnerteRobert Gerwarth(Dublin).  Als Karl Liebknecht nach der Haftentlas- sung eine Demonstration in Berlin vom Potsdamer Platz zur sowjetischen Bot- schaft führte, wurde das Fremde akzentu- iert. Thomas Mann schauderte es wie  Winston Churchill vor der „Verschwö- rung“vonJudenundBolschewismus.Pol- nische Nationaldemokraten, so Grzegorz Krzywiec(Warschau),agitierten 1919 un- ter Verweisauf Trotzki gegeneinedrohen- de Machtübernahme der Juden in Polen. Gerd Koenen (Frankfurt), den ersten Satzdes „Manifests derKommunistischen Partei“ von 1848 zitierend – „Ein Ge- spenst geht um in Europa–, dasGespenst des Kommunismus“ – datierte dieGeburt des Antikommunismus früher und beton- te, dass die Bedrohung von außen keines- wegsbloße Einbildungwar,denn Kommu- nistische Parteienfungiertennur alsnatio- nale Sektionen der zentralistisch geführ- ten Kommunistischen Internationale. Es gab die Komintern-Hauptstadt Moskau mit Amtssprache Deutsch, später Rus- sisch – der Feind sprach Englisch oder Französisch.Die stärksteantikommunisti- sche Parteider Weimarer Republik sei die SPD gewesen. MichaelWildt (Berlin)stützte Koenens These: Die SPD-Zeitung „Vorwärts“ sei voll gewesen mit Berichten über kommu- nistische Greuel; Karl Kautsky veröffent- lichte 1919 die Broschüre „Terrorismus und Kommunismus“. 1948 erschien unter Lizenz der amerikanischen Militärregie- rungundmiteinerEinführungdesabtrün- nigen Ex-Kommunisten Sidney Hook eine Kautsky-Auswahl: „Sozialdemokra- tieund Kommunismus“.Trotzdes interna- tional aggressiven Antibolschewismus sei innenpolitisch die Haltung der NSDAP zur KPD geprägt gewesen vom „Respekt eines ebenbürtigen Gegners“ – Hitler wa- ren „unsere deutschen Kommunisten tau- sendmal sympathischer als ein Starhem- berg“. Nach 1933 hätten nichtjüdische Kommunisten, so Wildt, die Chance ge- habt, in die „Volksgemeinschaft“ zurück- zukehren. Dass der Antikommunismus auch Mär- tyrer schuf, zeigte Siegfried Weichlein (Fribourg) am Schicksal von Kardinal József Mindszenty. Dessen Gefangen- schaftin Ungarn ab 1948 verfilmte Holly- wood in „The Prisoner“ (mit Alec Guin- ness) und „Guilty of Treason“. Iris Schrö- der (Erfurt) illustrierte den neben der Komintern lange übersehenen liberalen Internationalismus mit der Internationa- len Arbeitsorganisation ILO, gegründet 1919, um antibolschewistisch den Kapita- lismus zu humanisieren.  Als es um den „Antikommunismus als regierende Partei“ ging, irritierte Stefanie Schüler-Springorum (Berlin), indem sie darlegte,dass FrancoinSpanien ursprüng- lich kaum kommunistische, mehr anar- chistische Gegner hatte. Seine Obsession war eher eine Freimaurerverschwörung. FürAxelSchildt(Hamburg),markiertdas Motto Ulrich von Hassells im Widerstand gegenHitler1943,dassman sichimÜber- lebenskampf des Abendlandes gegen den Bolschewismus befinde, eine Zäsur: Anti- kommunismus nicht mehr republik- und demokratiefeindlich, sondern westlichen Individualismus gegen östlichen Kollekti- vismus favorisierend. Wo Antisemitismus war, soll Abendland werden. Der Amerikanist Jörg Nagler (Jena) präsentierte die lange Kette amerikani- scher Überwachungsgesetze, vom Einrei- severbot für Anarchisten (1903) bis zur  Abschiebung noch nicht eingebürgerter Oppositioneller nach der Streikwelle 1918/21,undneueAktenfunde,diezeigen –wastrotz McCarthy-Paranoianicht über- sehen werden solle –, wie Kommunisten in den Vereinigten Staaten tatsächlich spionierten. Schildts Verwestlichungser- zählungkritisierte Nadlerals traditionelle Nationalgeschichte unter modernem Vor- zeichen, die massive amerikanische Machtpolitikin Westdeutschlandausblen- de – das Wort „Reeducation“ sei kein ein- ziges Mal gefallen. In der Abschlussdiskussion hatte der scheinbar klare Antikommunismus-Be- griff seine Eindeutigkeit verloren, von „Antikommunismen“ war die Rede. „Franco brauchte nicht den Antikommu- nismus, um seine Gegner umzubringen“, meinteGerdKoenenundentgegnetedem Einwand Albrecht von Luckes (Berlin), die Kontroversen um die Ukraine oder Bodo Ramelow zeigten, dass weder Kom- munismus noch Antikommunismus abge- goltenseien,dassdieFormationdesKom- munismus als Erscheinung des zwanzigs- ten Jahrhunderts an ihr Ende gekommen und die Historisierung mithin berechtigt sei. Wer Koenen, im von ihm so genann- ten„rotenJahrzehnt“Redakteureinerpe- kingorientierten Zeitung, zuvor neben Schildt, einst Redakteur der moskau-ori- entierten „Marburger Blätter“, nebenein- andersitzen und tuscheln sah, der hatte für einenAugenblick die Wirklichkeit die- ses Kommunismus-Untergangs beobach- ten können.  GÜNTERPLATZDASCH Die Entstehung einer modernen nationa- len kurdischen Kultur wurde lange durch die geographische Zerstreuung der Kur- den erschwert.In ihren Siedlungsgebieten in der Türkei, im Irak, in Iran und Syrien sprechendieKurdennichtnurverschiede- ne Sprachen und Dialekte, sondern sind auch durch die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen geprägt. Erst in der europäischen Diaspora wurde es ihnen möglich, einander näherzukom- men und dank grenzüberschreitender elektronischer Medien gemeinsam kultu- relle Aktivitäten zu entfalten. EinenSchwerpunktbildetdabeiseitan- derthalb Jahrzehnten der Film, der der türkischenAnthropologin und Medienkri- tikerin Suncem Koçer zufolge zu einem wichtigen Medium politischer und kultu- reller Selbstbehauptung der Kurden ge- wordenist(SuncemKoçer:„KurdishCine- ma as a Transnational Discourse Genre: Cinematic Visibility, Cultural Resilience and Political Agency“, in: International Journal of Middle East Studies, Bd. 46, Heft 3, Cambrigde 2014).  Wie eine Initialzündung scheint hier die Verleihung der Goldenen Kamera 2000 in Cannes an den iranisch-kurdi- schen Regisseur Bahman Ghobadi ge- wirkt zu haben. Das starke internationale Echo auf sein Filmdebüt „Die Zeit der trunkenen Pferde“ inspirierte kurdische Kulturaktivisten in London zu der Idee, ein kurdisches Filmfestival zu organisie- ren.DietreibendeKrafthinterderInitiati- ve war der Kurde Mustafa Gündogdu, der die erste derartige Veranstaltung denn auch schon 2001 mit Hilfe von Fördermit- teln auf den Weg brachte, mit denen die britische Regierung die Kulturpflege ein- heimischer Migrantengemeinden unter- stützt. Das Festival sollte, wie Gündogdu im Gespräch mit der Autorin erklärte, eine Antwort auf jede Art von Kulturim- perialismus sein, der das kurdische Erbe stets aus der kulturellen Landschaft zu verbannen versuche.Filme, dieKurden in ihren verschiedenen Heimatländern dre- hen, an einem Ort zu versammeln wurde als Teil des globalen kurdischen Kampfes um „Existenz und Sichtbarkeit“ verstan- den. Ähnliche Veranstaltungen folgten baldauchin Paris undWien,auch inHam- burg. Besonders in Deutschland werden, worauf die Verfasserin nicht weiter ein- geht, seit den Premieren in Frankfurt und Berlin im Jahr 2002 in mehreren Städten regelmäßigk urdische Filmfestivalsveran- staltet. Dem Londoner Festivalinitiator Musta- faGündogduwarvon Beginn andarange- legen, die Anfänge einer genuin kurdi- schen Filmgeschichte aufzuspüren. Fün- dig wurde er in Armenien, wo bis heute eine kleine kurdische Minderheit lebt. Im armenischen Staatsarchiv entdeckte er 2006 den 1926 entstandenen Stummfilm „Zaré“, den Gündogdu auf Festivals seit- her gerne als das allererste mit dem Kur- dentum befasste kinematographische  Werk präsentier t. Der Spielfilm handelt von der Liebe zwischen der Dorfschön- heit Zaré und einem Hirten, deren Schei- tern der Filmautor in sozialistischer Ma- nierauf feudaleVerhältnisseund denrigi- den Traditionalismus des Bergvolkes zu- rückführt – Ort der Handlung ist übrigens ein kurdisch-yezidisches Dorf. Obwohl der Konflikt zwischen Liebe und Tradition auch im zeitgenössischen kurdischen Film häufig thematisiert wird und „Zaré“ aus Gündogdus Sicht allein schon deshalb als eine Art Urmodell des kurdischen Films zu betrachten sei, trifft diese Einschätzung bei seinen Volksge- nossen auf Kritik. Denn der Stummfilm erfüllt keineswegs die Kriterien, die Gün- dogdus Kollegen für einen echten kurdi- schen Film für unabdingbar halten. „Zaré“ wurde nämlich nicht von einem Kurden, sondern von dem Armenier Hamo Beknazaryan gedreht, der als Be- gründer des armenischen Kinos gilt.  Auch wird nicht Kurdisch auf den darin eingeblendeten Schrifttafeln verwendet, sondernArmenisch,dieursprünglicheun- tertitelte Version ist in Russisch.  Auch ist nach Ansicht mancher heuti- ger kurdischer Cineasten das hier vermit- telteBildder Kurdenvielzu sehrvon Vor- urteilen geprägt, als dass es als realistisch gelten könnte. Trotz aller Meinungsver- schiedenheiten herrscht in der kurdi- schen Filmgemeinde Einigkeit darüber, dass „Zaré“ allein schon deshalb ein Mei- lenstein der nationalen Filmgeschichte ist, weil der Film die Kurden als Volk sichtbar gemacht habe – und das gerade in einer Zeit, in der ihnen ihr nationales Recht auf Selbstbestimmung verweigert wurde. Dass die Entdeckung des Stummfilms „Zaré“ von den Kurden in der Türkei be- geistert aufgenommen wird, versteht sich von selbst. So schätzt auch die angesehe- ne türkisch-kurdische Filmkritikerin und Regisseurin Müjde Arslan diesen Film, weil die Kurden darin zum ersten Mal auf der Leinwand als Volk dargestellt worden seien. Dazu sieht auch Müjde Ar slan sich verpflichtet, hat für sie doch das kurdi- sche Kino im Dienst der nationalen Revo- lution ihres Volkes zu stehen. Für die meisten Kurden in der Türkei ist aber bei der Beurteilung kurdischer Filmproduk- tionen die Verwendung des Kurdischen das entscheidende Kriterium. Einschlägi- ge Podiumsdiskussionen müssen aller- dings, wie die Anthropologin beobachten konnte, noch immer auf Türkisch geführt werden.  JOSEPHCROITORU Gewiss, ein wenig konstruiert und rechenhaft – und doch: Ein renovierter und neugebauter Bi-  schofssitz, der architektonisch  gelungen scheint und überdau- ern wird, kostet 31,7 Millionen Euro und wird unter Beschuss  genommen von einem neuen, al- lein für die Tagesschau erbauten TV-Studio, das 23,8 Millionen, und einem allein für die Nach- richtensendung „heute“ erbau- ten Studio, das „rund 30 Millio- nen“ benötigt. Beide Studios werden in zehn Jahren (wie das klassische Fernsehen) überholt  sein. Mithin beschießen 53,8 Millionen nebst allerhand Hilfs- truppen aus Presse, Funk und Heidentum einen nur schlecht bewehrten Kirchenbau, für den die Gläubigen selbst auf- kommen. Die zwei schnöden TV-Studios indes sind alle zu bezahlen genötigt. Thomas Kapielski: „Kompost“, in: Tumult. Vierteljahrsschrift für Konsensstörung, Herbst 2014 M it Veranstaltungen vom archai- schenGriechenlandbiszur Ge- genwart wurde auf dem kürz- ch zu Ende gegangenen Historikertag ie Einheit einer Geschichtswissen- chaft zelebriert, die es so nicht mehr ibt. Denn inzwischen ist zur räumli- henund epochalen Differenzierungdie methodische gekommen und kennt die Vielfalt der Themen keine Grenzen mehr. Diese Entwicklung hat die Ge- chichtswissenschaft so gut wie gar icht kritisch begleitet. Ihr ist daher entgangen, in welchem Umfangein wesentlichesKonstituensder inheit einer Wissenschaft verlorenging, ämlich die Kommunikation zwischen enen, die ihr angehören. Trotz des ge- etsmühlenhaftwiederholten Rufes nach nterdisziplinarität wird schon gar nicht mehr erwartet, dass die Ergebnisse über ie Teildisziplinen eines Faches hinweg ur Kenntnis genommen werden. Auch n diesen selbst verhallt zu vieles unge- ört. In jahrelanger Arbeit fördern im- mer umfangreichere monographische tudien tiefschürfende Einsichten zuta- e. Doch wozu, wenn deren Ergebnisse ch nicht einmal mehr in thematisch zu- ammenfassenden Untersuchungen oder Gesamtdarstellungen niederschlagen? Hätte es nicht eine kritische Selbstre- exion anstoßen müssen, dass die Spe- ialisierung auf immer kleinere Gebiete icht mehr Tiefe gebracht hat, sondern ur mehr Detailuntersuchungen, deren chicksal es ist, in Antiquariaten und Bi- liotheken Staub anzusetzen? Ein schö- esIndizdafür,in welcheAporieSpezia- sierungund gleichzeitigeÜberprodukti- n geführt haben, ist der Topos, mit dem nzwischen fast jede Studie eingeleitet wird. Zunächst wird darüber geklagt, ass viel zu viel erscheine, um sogleich as vorgelegte Werk damit zu rechtferti- en, dass zu dem behandelten Komplex och nie etwas gesagt worden sei. Der Geschichtswissenschaft steht mit en Rezensionen ein Instrumentarium urVerfügung,mitdemsieÜberspeziali- erung und Massenproduktion wenigs- ens ansatzweise hätte in den Griff be- ommen können. Dass dies nicht ge- ngt, liegt zum einen daran, dass die Re- ensenten sich vor der Publikationsflut mmermehrin den Schnellschussretten. um anderen suchen die Fachzeitschrif- en den Ausweg in der Kürzung der Be- prechungen, der Ausweitung des Be- prechungsteils oder dessen Auslage- ung ins Internet. Solche Maßnahmen teigern aber nicht die Qualität. Statt auf Ausweitung hätte man sich auf das kon- entrieren sollen, was einer kritischen rüfung wert ist. kteneditionen, die niemand liest okönntendie RezensioneneinMedium ubstantieller Information und diskursi- erStandardbildung werden.Das könnte uch ein Schritt sein, den kritischen Dis- urs, doch die Essenz jeder Geisteswis- enschaft, auszuweiten und zu beleben. hn von der Sterilität der ziemlich ge- chlossenen Netzwerke von Forschern ubefreien,die nurnochdieselbenPubli- ationen zur Kenntnis nehmen, sich in enselben Fachzeitschriften austau- chen und sich auf denselben Symposien egegnen. So wie es derzeit läuft, wird ie Herausforderung durch die Öffnung u den anderen hin eher vermieden als esucht. Einer kritischen Überprüfung müsste ch auch einmal die institutionalisierte Großforschungstellen, die sichüber Jahr- ehnte einemThemawidmet.DasGroß- rojekt„AufstiegundNiedergangder rö- mischenWelt“hatsichin84 Bändennie- ergeschlagen, deren Umfang öfters 000 Seiten übersteigt. Es war kaum be- ndet, da wurden diese auch schon ver- amscht. Dieses Jahr wurde das Unter- ehmenderEditionderAktenzum West- älischenFriedenskongressvon 1648 ein- estellt; schon zuvor war den „Briefen nd Akten zur Geschichte des Dreißig- ährigen Krieges“ das gleiche Schicksal widerfahren. Innerhalb derZunft jeweils icht die geringste Reaktion. Woraus och nur geschlossen werden kann, dass DutzendevoluminöserBände,diein jah- elanger kostspieliger Arbeit hergestellt wurden, niemand vermisst außer denen, ie davon leben. Die Geschichtswissenschaft präsen- ert sich also als eine Wissenschaft, die ichzufriedengibtmitdemAnhäufenvon Wissen, das sie selbst nicht mehr über- lickt, geschweige denn geistig noch urchdringen kann. Die Produktion leicht in erheblichen Teilen mehr einer wilden Wucherung als einem zweckge- chtetenProzess.Ein Zeichendafür,dass n der Geschichtswissenschaft schon ängst keine Einigkeit mehr darüber be- teht,wassiewillundkann,dassihrinsge- amt ein Orientierung gebendes Wissen onsich selbstfehlt.Eine Folge diesesfeh- enden Selbstbewusstseins ist die Anpas- sungan vonaußen vorgegebeneThemen. Die Geschichtswissenschaft glaubt, sich auch dadurch rechtfertigen zu müssen, dass sie tatsächliche oder vermeintliche  Wünsche der Gesellschaft bedient. Sie nimmt aktuelle Tendenzen auf, legiti- miert sie historisch und verstärkt sie so. Nunist kaumetwas dagegeneinzuwen- den, dass eine Wissenschaft ihre Ergeb- nisse der Öffentlichkeit vermittelt und sich in die Debatten einschaltet. Doch problematisch wird es, wenn die For- schung immer zeitgeistkonformer wird. Nicht nur dadurch, dass sie aufnimmt, was gerade im Schwange ist, sondern in- dem sie dem Zeitgeist liefert, was er er- wartet. Selbst Programme von Institutio- nen der Forschungsförderung sind da- von nicht frei. Wissenschaft dient einer Gesellschaft aber doch wohl mehr da- durch, dass sie ihre Autonomie wahrt, als durch vordergründige Anpassung.Sie darf sich Themen und Sichtweisen nicht aufdrängen lassen, sondern muss sie aus sich heraus festlegen. Dann erfüllt sie auch ihre kritische Funktion. EineFolge dieser geistigenVerfassung ist eine schier unbegrenzte Beliebigkeit. Historiker sind gelegentlich von dem Komplex geplagt, ihrer Zeit hinterherzu- hinken. Irritationen sind dann wohl kaum mehr zu vermeiden. Im vergange- nen Jahr wurden etwa Wissenschaftler verschiedener Disziplinen zu einer Ta- gung mit dem Thema „Das stille Ört- chen: Fäkalien und ihre Entsorgung im Mittelalter“ gerufen. Ranke-Briefe mit groben Fehlern Doch es sind nicht nur Verwerfungen des Wissenschaftsbetriebs, die das Bild trüben, sondern auch das Verhalten der  Wissenschaftler selbst. So hat leider auch die Geschichtswissenschaft ihren Beitrag zu den plagiierten Dissertatio- nen geleistet. Dabei wurde deutlich, dass wissenschaftlich belangloseThemen ver- geben werden, die Kompetenz zu deren Beurteilung nicht immer ausreicht und vor allem, dass sie schlampig begutach- tet werden. Merkwürdig nur, dass weder  Wissenschaftspolitiker noch die Univer- sitäten sich dadurch dazu gedrängt sa- hen, über institutionelle Sicherungen nachzudenken, die solches Fehlverhal- ten in Zukunft verhindern. Mehr Solidität und Beachtung des Be- rufsethos sind auch der einen oder ande- ren wissenschaftlichen Kommission zu empfehlen.DaslegtzumindestderSkan- dal um den ersten Band der Ranke-Brie- fe nahe. Von den Fachleuten der Kom- mission und besonders vom jahrelangen Betreuer des Bearbeiters ist nicht be- merkt worden, dass dieser einen völlig untauglichen Text vorgelegt hat. Er ent- hielt so grobe Lesefehler, dass diese selbst ohne Kenntnisse der Vorlage er- kennbar waren. Erst als sich ein von außen kommender Ranke-Kenner die Mühe machte, das Elaborat genauer an- zusehen, wurde das Desaster offenbar. Hier wird über den Einzelfall hinaus ein Grundproblem des Wissenschaftsbe- triebs deutlich: Es sitzen in zu vielen Kommissionen immer dieselben Leute. Obwohl sie sich deswegen mit einigem Recht überlastet fühlen, kommen sie nicht auf den Gedanken, ihren Einsatz zu reduzieren. Folge dieses Rundum-En- gagements ist, dass Zeit und Kraft feh- len, um die jeweilige Aufgabe ordentlich zu machen. Es wird wohl nicht nur mehr geschrie- ben, als überhaupt noch aufgenommen werden kann, sondern es gibt anschei- nendauchmehrTagungenalskompeten- te Veranstalter und interessierteTeilneh- mer. Ein aufschlussreicher Beleg dafür sind die immer beliebteren „Calls for Pa- pers“.Dennwasbesagtder wahlloseHil- feruf in die Gemeinschaft der Wissen- schaftler? Doch wohl zuallererst, dass der Veranstalter einer Konferenz, der ja Experte des Themas sein sollte, um das es geht, keine Ahnung davon hat, wer sich damit befasst. Und wer meldet sich da? Vermutlich zunächst diejenigen, die schon etwas zum Thema in der Schubla- dehaben,meistschon Solchesoder Ähn- lichesanandererStelleveröffentlichtha- ben. Das Ergebnis ist Abgestandenes, das den Berg von schon hundertmal Ge- sagtem und Geschriebenem vermehrt. Dabeigehörtes inzwischenzum schlech- ten Ton, dass mancher Referent frühes- tens zu seinem Vortrag anreist und so- fort danach wieder verschwindet. Eine besondere Form, seine Wertschätzung gegenüber dem Veranstalter und den an- deren Referenten zu bekunden. Dass kollegiale Solidarität erkennbare Grenzen hat, hat überdeutlich die Auflö- sung des Max-Planck-Instituts für Ge- schichte gezeigt. Die deutsche Ge- schichtswissenschafthat nämlicheine ih- rer angesehensten Einrichtungen verlo- ren, weil bei der Wiederbesetzung der beiden Direktorenstellen persönliche und gruppenegoistische Motive bei den Kandidaten wie bei den in die Entschei- dung eingebundenen Historikern in ei- nemsolchenMaßeim Vordergrundstan- den, dass sich der Vorstand der Max- Planck-Gesellschaft dafür entschied, das Institutaufzulösen.Die Zunft derHistori- ker, die sich sonst ihren kritischen Um- gang mit allem und jedem zugutehält, hat an der Aufarbeitung dieses Akts kol- legialer Destruktion nie ein Interesse ge- zeigt. Doch braucht man die Hoffnung noch nicht aufzugeben. Die Historiker habensichja aucherstdannindie inzwi- schen unüberschaubare Schar derer ein- gereiht,diedieRolleihrerführendenVer- treter in der Zeit des Nationalsozialis- musdurchleuchten,als esniemand mehr weh tat. KARSTENRUPPERT Limburg undHamburg Um eine kritische Geschichte bittend  Als Volk sichtbar werden  Kurdisches  Kino Der Feind steht links  Alle Wegedes Marxismus führten nach Moskau: Historisierter Antikommunismus Man beobachtet Spezia- isierung, verbunden mit Überproduktion, dazu mangelnde Kommunikation der Fachvertreter: Die deut- che Historiographie muss Wege aus dem Konformismus finden. 1951 kam der Film „I Was a Communist for the FBI“ in die Ki- nos. Er gehörte zu den rund zwei Dutzend antikommunisti-  schenProduktionen der frühen fünfziger Jahre, die gern der Äs- thetik des Film noir folgten. Unser Bild zeigt Frank Lovejoy in der Rolle des Matt Cvetic, der im Auftrag des FBI die Partei von innen beobachtet, und Dorothy Hart als Eve Merrick, eine kommunistische Lehrerin, die inzwischen von der Partei ent- täuscht ist. Foto imago/Entertainment Pictures

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RANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG MITT WOCH, 19. NOVEMBER 2014  ·  NR. 269  ·  SEITE N 3Geisteswissenschaften

 Was verbindet den Franco-Putsch 1936oder die „Rote Socken“-Kampagne derCDU 1994 mit Warnungen vor einemLinkspartei-Ministerpräsidenten BodoRamelow anno 2014? Das Symposion„Der Antikommunismus in seiner Epo-che“ des „Jena Center Geschichte des 20.Jahrhundert“ suchte am Wochenende

 Antworten. Aber je länger diskutiert wur-de, desto größer wurden die Zweifel, werüberhauptdie Antikommunisten sindundwo sie am Werke waren.

Schon der Veranstaltungstitel, eine An-spielung auf Ernst Noltes Buch über den„Faschismusin seinerEpoche“, behandel-te den Antikommunismus als ein Vergan-genes. Im Eröffnungsvortrag definierteNoltes einstiger Assistent Anselm Do-ering-Manteuffel(Tübingen) Antikommu-nismus als „Angst vor einer materiellenund ideellen Bedrohung von außen mit

 Agentenvon innen“.Währenddie Münch-ner Räterepublik als ausländisches Werkgalt, wurde draußen im Lande von Mehr-heitssozialdemokraten dominierten Rä-ten,die normaleVerwaltungsaufgabener-ledigten, vertraut.

In den zwanziger Jahren habe es kaum Antikommunismus gegeben, eher Anti-marxismus und Antisozialismus, bezogenaufdie SPD, diesichim Heidelberger Pro-gramm noch zum Marxismus bekannte.Hauptfeind der NSDAP sei der westlicheLiberalismus, exekutiert vom „internatio-nalen Judentum“, gewesen. Das ermög-lichte partiell Zusammenarbeit mit Kom-munisten, vom BVG-Streik bis zum Hit-ler-Stalin-Pakt. Ausdifferenzierten Anti-kommunismus sah Doering-Manteuffeleher in den Reihen der SPD. Als Hitler1933 die „Überwindung des Marxismus“proklamierte, habe er primär die SPD alsinnereund den BolschewismusRusslandsalsäußere Gefahrgemeint.In ihrerBedeu-tungkaumzu unterschätzen für den Anti-kommunismusnach 1945 seiendie Flücht-linge und Vertriebenen sowie die Kriegs-heimkehrer gewesen – Millionen, „die da-mals Bescheid wussten über ‚den Iwan‘“.

 Adenauer habe, so Doering-Manteuffel,geradezu panisch auf den Abschied vomMarxismus im Godesberger Programmder SPD 1959 reagiert. Nun waren inner-

gesellschaftlicher Antimarxismus und au-ßenpolitischer Antibolschewismus nichtmehr einfach gegen die SPD zu bündeln;die CDU lief vollends ins Leere mit Weh-ners Schwenk zur Westbindung 1960.

 An die Anfänge des Antibolschewis-mus erinnerteRobert Gerwarth(Dublin).

 Als Karl Liebknecht nach der Haftentlas-sung eine Demonstration in Berlin vomPotsdamer Platz zur sowjetischen Bot-schaft führte, wurde das Fremde akzentu-iert. Thomas Mann schauderte es wie

 Winston Churchill vor der „Verschwö-rung“vonJudenund Bolschewismus.Pol-nische Nationaldemokraten, so GrzegorzKrzywiec(Warschau),agitierten 1919 un-ter Verweisauf Trotzki gegeneine drohen-de Machtübernahme der Juden in Polen.

Gerd Koenen (Frankfurt), den erstenSatzdes „Manifests derKommunistischenPartei“ von 1848 zitierend – „Ein Ge-spenst geht um in Europa–, dasGespenstdes Kommunismus“ – datierte dieGeburtdes Antikommunismus früher und beton-te, dass die Bedrohung von außen keines-wegsbloße Einbildungwar,denn Kommu-nistische Parteienfungiertennur alsnatio-nale Sektionen der zentralistisch geführ-ten Kommunistischen Internationale. Esgab die Komintern-Hauptstadt Moskaumit Amtssprache Deutsch, später Rus-sisch – der Feind sprach Englisch oderFranzösisch.Die stärksteantikommunisti-sche Parteider Weimarer Republik sei dieSPD gewesen.

MichaelWildt (Berlin)stützte KoenensThese: Die SPD-Zeitung „Vorwärts“ seivoll gewesen mit Berichten über kommu-nistische Greuel; Karl Kautsky veröffent-lichte 1919 die Broschüre „Terrorismusund Kommunismus“. 1948 erschien unterLizenz der amerikanischen Militärregie-rungundmiteinerEinführungdesabtrün-

nigen Ex-Kommunisten Sidney Hookeine Kautsky-Auswahl: „Sozialdemokra-tieund Kommunismus“.Trotzdes interna-tional aggressiven Antibolschewismus seiinnenpolitisch die Haltung der NSDAPzur KPD geprägt gewesen vom „Respekteines ebenbürtigen Gegners“ – Hitler wa-ren „unsere deutschen Kommunisten tau-sendmal sympathischer als ein Starhem-berg“. Nach 1933 hätten nichtjüdischeKommunisten, so Wildt, die Chance ge-

habt, in die „Volksgemeinschaft“ zurück-zukehren.

Dass der Antikommunismus auch Mär-tyrer schuf, zeigte Siegfried Weichlein(Fribourg) am Schicksal von KardinalJózsef Mindszenty. Dessen Gefangen-schaftin Ungarn ab 1948 verfilmte Holly-wood in „The Prisoner“ (mit Alec Guin-ness) und „Guilty of Treason“. Iris Schrö-der (Erfurt) illustrierte den neben derKomintern lange übersehenen liberalenInternationalismus mit der Internationa-len Arbeitsorganisation ILO, gegründet1919, um antibolschewistisch den Kapita-lismus zu humanisieren.

 Als es um den „Antikommunismus alsregierende Partei“ ging, irritierte StefanieSchüler-Springorum (Berlin), indem siedarlegte,dass Franco inSpanien ursprüng-lich kaum kommunistische, mehr anar-chistische Gegner hatte. Seine Obsessionwar eher eine Freimaurerverschwörung.FürAxelSchildt (Hamburg),markiert dasMotto Ulrich von Hassells im WiderstandgegenHitler1943,dassman sichimÜber-lebenskampf des Abendlandes gegen den

Bolschewismus befinde, eine Zäsur: Anti-kommunismus nicht mehr republik- unddemokratiefeindlich, sondern westlichenIndividualismus gegen östlichen Kollekti-vismus favorisierend. Wo Antisemitismuswar, soll Abendland werden.

Der Amerikanist Jörg Nagler (Jena)präsentierte die lange Kette amerikani-scher Überwachungsgesetze, vom Einrei-severbot für Anarchisten (1903) bis zur

 Abschiebung noch nicht eingebürgerterOppositioneller nach der Streikwelle1918/21,undneue Aktenfunde,die zeigen– wastrotz McCarthy-Paranoianicht über-sehen werden solle –, wie Kommunistenin den Vereinigten Staaten tatsächlichspionierten. Schildts Verwestlichungser-zählungkritisierte Nadlerals traditionelleNationalgeschichte unter modernem Vor-zeichen, die massive amerikanischeMachtpolitikin Westdeutschlandausblen-de – das Wort „Reeducation“ sei kein ein-ziges Mal gefallen.

In der Abschlussdiskussion hatte derscheinbar klare Antikommunismus-Be-griff seine Eindeutigkeit verloren, von„Antikommunismen“ war die Rede.„Franco brauchte nicht den Antikommu-

nismus, um seine Gegner umzubringen“,meinteGerdKoenenundentgegnetedemEinwand Albrecht von Luckes (Berlin),die Kontroversen um die Ukraine oderBodo Ramelow zeigten, dass weder Kom-munismus noch Antikommunismus abge-goltenseien,dassdieFormationdesKom-munismus als Erscheinung des zwanzigs-ten Jahrhunderts an ihr Ende gekommenund die Historisierung mithin berechtigtsei. Wer Koenen, im von ihm so genann-ten„rotenJahrzehnt“ Redakteureinerpe-kingorientierten Zeitung, zuvor nebenSchildt, einst Redakteur der moskau-ori-entierten „Marburger Blätter“, nebenein-andersitzen und tuscheln sah, der hattefür einenAugenblick die Wirklichkeit die-ses Kommunismus-Untergangs beobach-ten können.   GÜNTERPLATZDASCH

Die Entstehung einer modernen nationa-len kurdischen Kultur wurde lange durchdie geographische Zerstreuung der Kur-

den erschwert.In ihren Siedlungsgebietenin der Türkei, im Irak, in Iran und Syriensprechendie Kurden nicht nurverschiede-ne Sprachen und Dialekte, sondern sindauch durch die jeweiligen politischen undgesellschaftlichen Bedingungen geprägt.Erst in der europäischen Diaspora wurdees ihnen möglich, einander näherzukom-men und dank grenzüberschreitenderelektronischer Medien gemeinsam kultu-relle Aktivitäten zu entfalten.

EinenSchwerpunktbildet dabei seitan-derthalb Jahrzehnten der Film, der dertürkischenAnthropologin und Medienkri-tikerin Suncem Koçer zufolge zu einemwichtigen Medium politischer und kultu-reller Selbstbehauptung der Kurden ge-wordenist (Suncem Koçer:„Kurdish Cine-ma as a Transnational Discourse Genre:Cinematic Visibility, Cultural Resilienceand Political Agency“, in: InternationalJournal of Middle East Studies, Bd. 46,Heft 3, Cambrigde 2014).

 Wie eine Initialzündung scheint hierdie Verleihung der Goldenen Kamera2000 in Cannes an den iranisch-kurdi-schen Regisseur Bahman Ghobadi ge-wirkt zu haben. Das starke internationale

Echo auf sein Filmdebüt „Die Zeit dertrunkenen Pferde“ inspirierte kurdischeKulturaktivisten in London zu der Idee,ein kurdisches Filmfestival zu organisie-ren.Dietreibende KrafthinterderInitiati-ve war der Kurde Mustafa Gündogdu, derdie erste derartige Veranstaltung dennauch schon 2001 mit Hilfe von Fördermit-teln auf den Weg brachte, mit denen diebritische Regierung die Kulturpflege ein-heimischer Migrantengemeinden unter-stützt. Das Festival sollte, wie Gündogduim Gespräch mit der Autorin erklärte,eine Antwort auf jede Art von Kulturim-perialismus sein, der das kurdische Erbestets aus der kulturellen Landschaft zuverbannen versuche.Filme, dieKurden inihren verschiedenen Heimatländern dre-hen, an einem Ort zu versammeln wurdeals Teil des globalen kurdischen Kampfesum „Existenz und Sichtbarkeit“ verstan-den. Ähnliche Veranstaltungen folgtenbaldauchin Paris undWien,auch inHam-burg. Besonders in Deutschland werden,worauf die Verfasserin nicht weiter ein-geht, seit den Premieren in Frankfurt undBerlin im Jahr 2002 in mehreren Städten

regelmäßigk urdische Filmfestivalsveran-staltet.Dem Londoner Festivalinitiator Musta-

faGündogduwarvon Beginn andarange-legen, die Anfänge einer genuin kurdi-schen Filmgeschichte aufzuspüren. Fün-dig wurde er in Armenien, wo bis heuteeine kleine kurdische Minderheit lebt. Imarmenischen Staatsarchiv entdeckte er2006 den 1926 entstandenen Stummfilm„Zaré“, den Gündogdu auf Festivals seit-her gerne als das allererste mit dem Kur-dentum befasste kinematographische

 Werk präsentier t. Der Spielfilm handeltvon der Liebe zwischen der Dorfschön-heit Zaré und einem Hirten, deren Schei-tern der Filmautor in sozialistischer Ma-nierauf feudaleVerhältnisseund denrigi-den Traditionalismus des Bergvolkes zu-rückführt – Ort der Handlung ist übrigensein kurdisch-yezidisches Dorf.

Obwohl der Konflikt zwischen Liebeund Tradition auch im zeitgenössischenkurdischen Film häufig thematisiert wirdund „Zaré“ aus Gündogdus Sicht alleinschon deshalb als eine Art Urmodell deskurdischen Films zu betrachten sei, trifftdiese Einschätzung bei seinen Volksge-

nossen auf Kritik. Denn der Stummfilmerfüllt keineswegs die Kriterien, die Gün-dogdus Kollegen für einen echten kurdi-schen Film für unabdingbar halten.„Zaré“ wurde nämlich nicht von einemKurden, sondern von dem ArmenierHamo Beknazaryan gedreht, der als Be-gründer des armenischen Kinos gilt.

 Auch wird nicht Kurdisch auf den darineingeblendeten Schrifttafeln verwendet,sondern Armenisch,dieursprünglicheun-tertitelte Version ist in Russisch.

 Auch ist nach Ansicht mancher heuti-ger kurdischer Cineasten das hier vermit-telteBildder Kurden vielzu sehrvon Vor-urteilen geprägt, als dass es als realistischgelten könnte. Trotz aller Meinungsver-schiedenheiten herrscht in der kurdi-schen Filmgemeinde Einigkeit darüber,dass „Zaré“ allein schon deshalb ein Mei-lenstein der nationalen Filmgeschichteist, weil der Film die Kurden als Volksichtbar gemacht habe – und das geradein einer Zeit, in der ihnen ihr nationalesRecht auf Selbstbestimmung verweigertwurde.

Dass die Entdeckung des Stummfilms„Zaré“ von den Kurden in der Türkei be-geistert aufgenommen wird, versteht sichvon selbst. So schätzt auch die angesehe-ne türkisch-kurdische Filmkritikerin undRegisseurin Müjde Arslan diesen Film,weil die Kurden darin zum ersten Mal auf der Leinwand als Volk dargestellt wordenseien. Dazu sieht auch Müjde Ar slan sichverpflichtet, hat für sie doch das kurdi-sche Kino im Dienst der nationalen Revo-lution ihres Volkes zu stehen. Für diemeisten Kurden in der Türkei ist aber beider Beurteilung kurdischer Filmproduk-tionen die Verwendung des Kurdischendas entscheidende Kriterium. Einschlägi-ge Podiumsdiskussionen müssen aller-dings, wie die Anthropologin beobachtenkonnte, noch immer auf Türkisch geführtwerden.   JOSEPHCROITORU

Gewiss, ein wenig konstruiert und rechenhaft – und doch: Einrenovierter und neugebauter Bi- schofssitz, der architektonisch gelungen scheint und überdau-ern wird, kostet 31,7 MillionenEuro und wird unter Beschuss genommen von einem neuen, al-lein für die Tagesschau erbautenTV-Studio, das 23,8 Millionen,und einem allein für die Nach-richtensendung „heute“ erbau-

ten Studio, das „rund 30 Millio-nen“ benötigt. Beide Studioswerden in zehn Jahren (wie dasklassische Fernsehen) überholt  sein. Mithin beschießen 53,8Millionen nebst allerhand Hilfs-truppen aus Presse, Funk undHeidentum einen nur schlecht bewehrten Kirchenbau, für den die Gläubigen selbst auf-kommen. Die zwei schnödenTV-Studios indes sind alle zubezahlen genötigt.Thomas Kapielski: „Kompost“, in: Tumult.Vierteljahrsschrift für Konsensstörung,Herbst 2014

Mit Veranstaltungen vom archai-schenGriechenland biszur Ge-genwart wurde auf dem kürz-

ch zu Ende gegangenen Historikertagie Einheit einer Geschichtswissen-chaft zelebriert, die es so nicht mehribt. Denn inzwischen ist zur räumli-henund epochalen Differenzierungdie

methodische gekommen und kennt dieVielfalt der Themen keine Grenzenmehr. Diese Entwicklung hat die Ge-chichtswissenschaft so gut wie garicht kritisch begleitet.Ihr ist daher entgangen, in welchem

Umfangein wesentlichesKonstituensderinheit einer Wissenschaft verlorenging,

ämlich die Kommunikation zwischenenen, die ihr angehören. Trotz des ge-etsmühlenhaft wiederholten Rufes nachnterdisziplinarität wird schon gar nicht

mehr erwartet, dass die Ergebnisse überie Teildisziplinen eines Faches hinwegur Kenntnis genommen werden. Auchn diesen selbst verhallt zu vieles unge-ört. In jahrelanger Arbeit fördern im-

mer umfangreichere monographischetudien tiefschürfende Einsichten zuta-e. Doch wozu, wenn deren Ergebnissech nicht einmal mehr in thematisch zu-ammenfassenden Untersuchungen oder

Gesamtdarstellungen niederschlagen?Hätte es nicht eine kritische Selbstre-

exion anstoßen müssen, dass die Spe-ialisierung auf immer kleinere Gebieteicht mehr Tiefe gebracht hat, sondernur mehr Detailuntersuchungen, derenchicksal es ist, in Antiquariaten und Bi-liotheken Staub anzusetzen? Ein schö-esIndizdafür,in welche AporieSpezia-sierungund gleichzeitigeÜberprodukti-n geführt haben, ist der Topos, mit demnzwischen fast jede Studie eingeleitet

wird. Zunächst wird darüber geklagt,ass viel zu viel erscheine, um sogleichas vorgelegte Werk damit zu rechtferti-en, dass zu dem behandelten Komplexoch nie etwas gesagt worden sei.Der Geschichtswissenschaft steht mit

en Rezensionen ein InstrumentariumurVerfügung,mit demsie Überspeziali-erung und Massenproduktion wenigs-

ens ansatzweise hätte in den Griff be-ommen können. Dass dies nicht ge-ngt, liegt zum einen daran, dass die Re-ensenten sich vor der Publikationsflutmmermehrin den Schnellschussretten.um anderen suchen die Fachzeitschrif-

en den Ausweg in der Kürzung der Be-prechungen, der Ausweitung des Be-prechungsteils oder dessen Auslage-ung ins Internet. Solche Maßnahmenteigern aber nicht die Qualität. Statt auf 

Ausweitung hätte man sich auf das kon-entrieren sollen, was einer kritischenrüfung wert ist.

kteneditionen, die niemand liest

okönntendie Rezensionen einMediumubstantieller Information und diskursi-erStandardbildung werden.Das könnteuch ein Schritt sein, den kritischen Dis-urs, doch die Essenz jeder Geisteswis-enschaft, auszuweiten und zu beleben.

hn von der Sterilität der ziemlich ge-chlossenen Netzwerke von Forschernubefreien,die nurnochdieselbenPubli-ationen zur Kenntnis nehmen, sich inenselben Fachzeitschriften austau-chen und sich auf denselben Symposienegegnen. So wie es derzeit läuft, wirdie Herausforderung durch die Öffnungu den anderen hin eher vermieden alsesucht.

Einer kritischen Überprüfung müsstech auch einmal die institutionalisierte

Großforschungstellen, die sichüber Jahr-ehnte einemThema widmet.DasGroß-rojekt„ Aufstiegund Niedergangder rö-

mischenWelt“hat sichin84 Bändennie-ergeschlagen, deren Umfang öfters000 Seiten übersteigt. Es war kaum be-ndet, da wurden diese auch schon ver-amscht. Dieses Jahr wurde das Unter-ehmender EditionderAktenzum West-

älischenFriedenskongressvon 1648 ein-estellt; schon zuvor war den „Briefennd Akten zur Geschichte des Dreißig-ährigen Krieges“ das gleiche Schicksal

widerfahren. Innerhalb derZunft jeweilsicht die geringste Reaktion. Worausoch nur geschlossen werden kann, dass

DutzendevoluminöserBände,diein jah-elanger kostspieliger Arbeit hergestelltwurden, niemand vermisst außer denen,

ie davon leben.Die Geschichtswissenschaft präsen-

ert sich also als eine Wissenschaft, dieich zufriedengibtmitdem Anhäufen von

Wissen, das sie selbst nicht mehr über-lickt, geschweige denn geistig nochurchdringen kann. Die Produktionleicht in erheblichen Teilen mehr einer

wilden Wucherung als einem zweckge-chtetenProzess.Ein Zeichendafür,dass

n der Geschichtswissenschaft schonängst keine Einigkeit mehr darüber be-teht,wassiewillundkann,dassihrinsge-amt ein Orientierung gebendes Wissenonsich selbstfehlt.Eine Folge diesesfeh-enden Selbstbewusstseins ist die Anpas-

sungan vonaußen vorgegebeneThemen.Die Geschichtswissenschaft glaubt, sichauch dadurch rechtfertigen zu müssen,dass sie tatsächliche oder vermeintliche

 Wünsche der Gesellschaft bedient. Sie

nimmt aktuelle Tendenzen auf, legiti-miert sie historisch und verstärkt sie so.Nunist kaumetwas dagegen einzuwen-

den, dass eine Wissenschaft ihre Ergeb-nisse der Öffentlichkeit vermittelt undsich in die Debatten einschaltet. Dochproblematisch wird es, wenn die For-schung immer zeitgeistkonformer wird.Nicht nur dadurch, dass sie aufnimmt,was gerade im Schwange ist, sondern in-dem sie dem Zeitgeist liefert, was er er-wartet. Selbst Programme von Institutio-nen der Forschungsförderung sind da-von nicht frei. Wissenschaft dient einerGesellschaft aber doch wohl mehr da-durch, dass sie ihre Autonomie wahrt,als durch vordergründige Anpassung.Siedarf sich Themen und Sichtweisen nichtaufdrängen lassen, sondern muss sie aussich heraus festlegen. Dann erfüllt sieauch ihre kritische Funktion.

EineFolge dieser geistigenVerfassungist eine schier unbegrenzte Beliebigkeit.Historiker sind gelegentlich von demKomplex geplagt, ihrer Zeit hinterherzu-hinken. Irritationen sind dann wohlkaum mehr zu vermeiden. Im vergange-nen Jahr wurden etwa Wissenschaftlerverschiedener Disziplinen zu einer Ta-gung mit dem Thema „Das stille Ört-chen: Fäkalien und ihre Entsorgung imMittelalter“ gerufen.

Ranke-Briefe mit groben Fehlern

Doch es sind nicht nur Verwerfungendes Wissenschaftsbetriebs, die das Bildtrüben, sondern auch das Verhalten der

 Wissenschaftler selbst. So hat leiderauch die Geschichtswissenschaft ihrenBeitrag zu den plagiierten Dissertatio-nen geleistet. Dabei wurde deutlich, dasswissenschaftlich belangloseThemen ver-geben werden, die Kompetenz zu derenBeurteilung nicht immer ausreicht undvor allem, dass sie schlampig begutach-tet werden. Merkwürdig nur, dass weder

 Wissenschaftspolitiker noch die Univer-sitäten sich dadurch dazu gedrängt sa-hen, über institutionelle Sicherungennachzudenken, die solches Fehlverhal-ten in Zukunft verhindern.

Mehr Solidität und Beachtung des Be-rufsethos sind auch der einen oder ande-ren wissenschaftlichen Kommission zuempfehlen. Daslegtzumindest derSkan-dal um den ersten Band der Ranke-Brie-fe nahe. Von den Fachleuten der Kom-

mission und besonders vom jahrelangenBetreuer des Bearbeiters ist nicht be-merkt worden, dass dieser einen völliguntauglichen Text vorgelegt hat. Er ent-hielt so grobe Lesefehler, dass dieseselbst ohne Kenntnisse der Vorlage er-kennbar waren. Erst als sich ein vonaußen kommender Ranke-Kenner dieMühe machte, das Elaborat genauer an-zusehen, wurde das Desaster offenbar.Hier wird über den Einzelfall hinaus einGrundproblem des Wissenschaftsbe-triebs deutlich: Es sitzen in zu vielenKommissionen immer dieselben Leute.Obwohl sie sich deswegen mit einigemRecht überlastet fühlen, kommen sienicht auf den Gedanken, ihren Einsatzzu reduzieren. Folge dieses Rundum-En-gagements ist, dass Zeit und Kraft feh-len, um die jeweilige Aufgabe ordentlichzu machen.

Es wird wohl nicht nur mehr geschrie-ben, als überhaupt noch aufgenommenwerden kann, sondern es gibt anschei-nendauchmehrTagungenalskompeten-te Veranstalter und interessierte Teilneh-mer. Ein aufschlussreicher Beleg dafürsind die immer beliebteren „Calls for Pa-pers“. Dennwasbesagtder wahlloseHil-feruf in die Gemeinschaft der Wissen-schaftler? Doch wohl zuallererst, dassder Veranstalter einer Konferenz, der jaExperte des Themas sein sollte, um dases geht, keine Ahnung davon hat, wersich damit befasst. Und wer meldet sichda? Vermutlich zunächst diejenigen, dieschon etwas zum Thema in der Schubla-dehaben,meistschon Solchesoder Ähn-lichesan andererStelleveröffentlichtha-ben. Das Ergebnis ist Abgestandenes,das den Berg von schon hundertmal Ge-sagtem und Geschriebenem vermehrt.Dabeigehörtes inzwischenzum schlech-ten Ton, dass mancher Referent frühes-tens zu seinem Vortrag anreist und so-fort danach wieder verschwindet. Einebesondere Form, seine Wertschätzunggegenüber dem Veranstalter und den an-deren Referenten zu bekunden.

Dass kollegiale Solidarität erkennbareGrenzen hat, hat überdeutlich die Auflö-sung des Max-Planck-Instituts für Ge-schichte gezeigt. Die deutsche Ge-schichtswissenschafthat nämlicheine ih-rer angesehensten Einrichtungen verlo-ren, weil bei der Wiederbesetzung derbeiden Direktorenstellen persönliche

und gruppenegoistische Motive bei denKandidaten wie bei den in die Entschei-dung eingebundenen Historikern in ei-nemsolchenMaßeim Vordergrundstan-den, dass sich der Vorstand der Max-Planck-Gesellschaft dafür entschied, dasInstitutaufzulösen.Die Zunft derHistori-ker, die sich sonst ihren kritischen Um-gang mit allem und jedem zugutehält,hat an der Aufarbeitung dieses Akts kol-legialer Destruktion nie ein Interesse ge-zeigt. Doch braucht man die Hoffnungnoch nicht aufzugeben. Die Historikerhaben sichja aucherstdann indie inzwi-schen unüberschaubare Schar derer ein-gereiht, diedieRolleihrerführendenVer-treter in der Zeit des Nationalsozialis-musdurchleuchten,als esniemand mehrweh tat.  KARSTENRUPPERT

LimburgundHamburg

Umeine kritische

Geschichte bittend

 Als Volk sichtbar werden

 Kurdisches

 Kino

Der Feind steht links

 Alle Wegedes Marxismus führten nach Moskau: Historisierter Antikommunismus

Man beobachtet Spezia-isierung, verbunden

mit Überproduktion,

dazu mangelndeKommunikation derFachvertreter: Die deut-che Historiographie

muss Wege aus demKonformismus finden.

1951 kam der Film „I Was a Communist for the FBI“ in die Ki-nos. Er gehörte zu den rund zwei Dutzend antikommunisti-

 schenProduktionen der frühen fünfziger Jahre, die gern der Äs-thetik des Film noir folgten. Unser Bild zeigt Frank Lovejoy in

der Rolle des Matt Cvetic, der im Auftrag des FBI die Parteivon innen beobachtet, und Dorothy Hart als Eve Merrick, einekommunistische Lehrerin, die inzwischen von der Partei ent-täuscht ist.  Foto imago/Entertainment Pictures