Häufige Komplikationen bei Patienten im Wachkoma · Häufige Komplikationen bei Patienten im...

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wachkoma 08/2012 pro care 16 © Springer-Verlag Häufige Komplikationen bei Patienten im Wachkoma Kenntnis, Erkennen und adäquates Reagieren als Herausforderung A. Steinbach, J. Donis 1 Menschen mit dem klinischen Bild eines apallischen Syndroms, in der anglo ameri- kanischen Literatur als „vegetative state“ und umgangssprachlich als „Wachkoma“ bezeichnet, sind eine in jeder Hinsicht bemerkenswerte Patientengruppe. Mit einer über Monate oder auch Jahre hin- weg reduzierten Bewusstseinslage und neurologisch wie neuropsychologisch definierten äußerst auffälligen Verhal- tensmustern stellen sie ohne Zweifel eine enorme Herausforderung dar. Das gilt sowohl für betreuende professionelle Gruppen wie Ärzte, Pflegepersonal, Phy- siotherapeuten, Ergotherapeuten, Logo- päden und Psychologen als insbesondere auch für die betroffenen Angehörigen. Daher ist auch die Kenntnis und das Er- kennen der wichtigsten Komplikationen sowie das adäquate Reagieren besonders im Langzeitbereich eine Herausforderung für das betreuende Personal, aber auch für betreuende Angehörige. Hier findet man immer wieder fehlende Erfahrung und Wissen, was wiederum Unsicherheit und Ängste verursacht. Häufige neurologische Komplikationen Epileptische Anfälle Hydrocephalus und Shunt Critical illness Polyneuropathien und Bed rest Syndrom Heterotope Ossifikationen Epileptische Anfälle Die schwere Schädigung des Gehirns, ins- besondere der Gehirnrinde führt nicht selten akut oder in der Folge zu epilepti- schen Anfällen. Die Notwendigkeit einer entsprechenden erapie ergibt sich bei 30 bis 50 Prozent aller Wachkoma-Patien- ten. Anfälle finden sich häufiger bei trau- matisch bedingtem Wachkoma, bei Wach- koma nach intrazerebralen Blutungen und Subarachnoidalblutungen und nach intrakraniellen Infektionen. Nach der Art finden wir sowohl primär generalisierte Anfallstypen, meist in Form eines typischen Grand Mal-Anfalls, oder aber fokale Anfälle mit einfacher (zum Beispiel einfache motorische Anfälle – so genannte Jackson Anfälle) oder mit kom- plexer Symptomatik. Während die Dia- gnose der ersten beiden Anfallstypen meist schon klinisch möglich ist, ist die Diagnose eines fokalen Anfalls mit kom- plexer Symptomatik bei Patienten im Wachkoma schwierig, da oft nur sehr dis- krete motorische Auffälligkeiten zu beob- achten sind und sich diese Anfallstypen bei Nicht-Wachkoma-Patienten durch eine Veränderung der Bewusstseinslage, des Verhaltens, der Ansprechbarkeit oder Kommunikationsfähigkeit manifestieren. Sie sind also bei Wachkoma-Patienten in der Regel klinisch nicht oder nur sehr schwer zu erkennen. Hier ergeben erst die Zusatzuntersuchungen, insbesondere ein Elektroenzephalogramm – EEG – eine sichere Diagnose. Hydrocephalus und Shunt Eine Erweiterung der inneren Gehirn- hohlräume (Ventrikel) findet man bei Wachkoma-Patienten in 37 bis 51 Prozent. Diese Erweiterung wird als Hydrocepha- lus bezeichnet. Gründe sind in erster Linie eine Schädigung des Gehirngewebes durch eine einwirkende mechanische Ge- walt bei einem Schädel-Hirn-Trauma oder die Schädigung des Gehirngewebes durch mangelnde Sauerstoff- oder Blutversor- gung. Zugrundegegangenes Gewebe ver- narbt, was letztlich zu einer Schrumpfung des Gesamtgehirns führt. Man spricht dann von einem Hydrocephalus ex vacuo. Problematischer sind Erweiterungen der Ventrikel, wenn die auslösenden Ursa- chen für das Wachkoma eine traumatisch bedingte oder spontane Subarachnoidal- blutung oder eine intrazerebrale Blutung sind. Besonders bei dieser Ursachen- gruppe kann Blut auch in das Ventrikel- system eindringen. Blut und Blutreste können zu Verklebungen insbesondere an den Engstellen dieses Systems führen. Die Folge ist eine bedrohliche Zirkula- tionsbehinderung der Gehirnflüssigkeit, des Liquor cerebrospinalis, mit einem zu- nehmenden intrakraniellen Druckanstieg. Seltenere Ursachen können auch eine Li- quorüberproduktion oder eine Liquorre- sorptionsstörung sein, besonders nach entzündlichen Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute. Dementsprechend kann man auch zwischen einem Hydro- cephalus unterscheiden, bei dem die Li- quorzirkulation unterbrochen ist (nicht kommunizierender Hydrocephalus), und einem Hydrocephalus, bei dem die Zirku- lation nicht unterbrochen ist, aber ein Missverhältnis zwischen Produktion und Resorption besteht (kommunizierender Hydrocephalus). Bei Patienten, die sich nicht im Wachkoma befinden, würde sich ein derartiges Ereignis in erster Linie durch eine zunehmende Bewusstseinstrü- bung, eine verstärkte Gangstörung sowie eine Harninkontinenz manifestieren. Beim Wachkoma-Patienten aber blei- ben diese Symptome zunächst unerkannt. Hier werden andere Symptome wie zunehmende Schläfrigkeit, reduzierte Weckbarkeit, eine Zunahme der vegetati- ven Symptomatik, ein Stillstand oder eine Verschlechterung einer erreichten Remis- sionsstufe den Verdacht darauf lenken, dass sich möglicherweise ein Hydroce- phalus entwickelt hat. Bei jedem Verdacht muss daher umgehend eine kraniale Computertomographie oder eine kraniale Magnetresonanztomographie durchge- führt werden. Implantierte Shuntsysteme müssen auch regelmäßig überwacht werden. Trotz korrekter Implantation kann es zu Ver- stopfungen im Bereich des Ventils oder des Schlauchsystems kommen. Der Shunt kann zu viel oder zu wenig Liquor fördern, was im ersten Fall zu einem Kollaps des Ventrikelsystems führen kann und im letz- teren Fall wieder zu einer Vergrößerung der Ventrikel mit allen genannten klini- schen Konsequenzen. Shuntsysteme kön- nen dislozieren oder sich dyskonnektie- ren. Wir empfehlen eine routinemäßige klinische und computertomographische Shuntkontrolle, auch bei unkomplizier- tem Verlauf, einmal im Jahr. 1 Anita Steinbach, Dr. Johann Donis Neurologische Abteilung mit Apalliker Care Unit im Geriatriezentrum am Wienerwald, Wien

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wachkoma

08/2012 pro care16 © Springer-Verlag

Häufige Komplikationen bei Patienten im Wachkoma

Kenntnis, Erkennen und adäquates Reagieren als Herausforderung

A. Steinbach, J. Donis1

Menschen mit dem klinischen Bild eines apallischen Syndroms, in der anglo ameri­kanischen Literatur als „vegetative state“ und umgangssprachlich als „Wachko ma“ bezeichnet, sind eine in jeder Hinsicht bemerkenswerte Patientengruppe. Mit einer über Monate oder auch Jahre hin­weg reduzierten Bewusstseinslage und neurologisch wie neuropsychologisch definierten äußerst auffälligen Verhal­tensmustern stellen sie ohne Zweifel eine enorme Herausforderung dar. Das gilt sowohl für betreuende professionelle Gruppen wie Ärzte, Pflegepersonal, Phy­siotherapeuten, Ergotherapeuten, Logo­päden und Psychologen als insbesondere auch für die betroffenen Angehörigen.

Daher ist auch die Kenntnis und das Er-kennen der wichtigsten Komplikationen sowie das adäquate Reagieren besonders im Langzeitbereich eine Herausforderung für das betreuende Personal, aber auch für betreuende Angehörige. Hier findet man immer wieder fehlende Erfahrung und Wissen, was wiederum Unsicherheit und Ängste verursacht.

Häufige neurologische Komplikationen

■■ Epileptische Anfälle■■ Hydrocephalus und Shunt■■ Critical illness Polyneuropathien und

Bed rest Syndrom■■ Heterotope Ossifikationen

Epileptische Anfälle

Die schwere Schädigung des Gehirns, ins-besondere der Gehirnrinde führt nicht selten akut oder in der Folge zu epilepti-schen Anfällen. Die Notwendigkeit einer entsprechenden Therapie ergibt sich bei 30 bis 50 Prozent aller Wachkoma-Patien-ten. Anfälle finden sich häufiger bei trau-matisch bedingtem Wachkoma, bei Wach-koma nach intrazerebralen Blutungen

und Subarachnoidalblutungen und nach intrakraniellen Infektionen.

Nach der Art finden wir sowohl primär generalisierte Anfallstypen, meist in Form eines typischen Grand Mal-Anfalls, oder aber fokale Anfälle mit einfacher (zum Beispiel einfache motorische Anfälle – so genannte Jackson Anfälle) oder mit kom-plexer Symptomatik. Während die Dia-gnose der ersten beiden Anfallstypen meist schon klinisch möglich ist, ist die Diagnose eines fokalen Anfalls mit kom-plexer Symptomatik bei Patienten im Wachkoma schwierig, da oft nur sehr dis-krete motorische Auffälligkeiten zu beob-achten sind und sich diese Anfallstypen bei Nicht-Wachkoma-Patienten durch eine Verände rung der Bewusstseinslage, des Verhaltens, der Ansprechbarkeit oder Kommunikationsfähigkeit manifestieren. Sie sind also bei Wachkoma-Patienten in der Regel klinisch nicht oder nur sehr schwer zu erkennen. Hier ergeben erst die Zusatzuntersuchungen, insbesondere ein Elektroenzephalogramm – EEG – eine sichere Diagnose.

Hydrocephalus und Shunt

Eine Erweiterung der inneren Gehirn-hohlräume (Ventrikel) findet man bei Wachkoma-Patienten in 37 bis 51 Prozent. Diese Erweiterung wird als Hydrocepha-lus bezeichnet. Gründe sind in erster Linie eine Schädigung des Gehirngewebes durch eine einwirkende mechanische Ge-walt bei einem Schädel-Hirn-Trauma oder die Schädigung des Gehirngewebes durch mangelnde Sauerstoff- oder Blutversor-gung. Zugrundegegangenes Gewebe ver-narbt, was letztlich zu einer Schrumpfung des Gesamtgehirns führt. Man spricht dann von einem Hydrocephalus ex vacuo. Problematischer sind Erweiterungen der Ventrikel, wenn die auslösenden Ursa-chen für das Wachkoma eine traumatisch bedingte oder spontane Subarachnoidal-blutung oder eine intrazerebrale Blutung sind. Besonders bei dieser Ursachen-gruppe kann Blut auch in das Ventrikel-system eindringen. Blut und Blutreste können zu Verklebungen insbesondere an den Engstellen dieses Systems führen.

Die Folge ist eine bedrohliche Zirkula-tionsbehinderung der Gehirnflüssigkeit, des Liquor cerebrospinalis, mit einem zu-nehmenden intrakraniellen Druckanstieg. Seltenere Ursachen können auch eine Li-quorüberproduktion oder eine Liquorre-sorptionsstörung sein, besonders nach entzündlichen Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute. Dementsprechend kann man auch zwischen einem Hydro-cephalus unterscheiden, bei dem die Li-quorzirkulation unterbrochen ist (nicht kommunizierender Hydrocephalus), und einem Hydrocephalus, bei dem die Zirku-lation nicht unterbrochen ist, aber ein Missverhältnis zwischen Produktion und Resorption besteht (kommunizierender Hydrocephalus). Bei Patienten, die sich nicht im Wachkoma befinden, würde sich ein derartiges Ereignis in erster Linie durch eine zunehmende Bewusstseinstrü-bung, eine verstärkte Gangstörung sowie eine Harninkontinenz manifestieren.

Beim Wachkoma-Patienten aber blei-ben diese Symptome zunächst unerkannt. Hier werden andere Symptome wie zunehmende Schläfrigkeit, reduzierte Weckbarkeit, eine Zunahme der vegetati-ven Symptomatik, ein Stillstand oder eine Verschlechterung einer erreichten Remis-sionsstufe den Verdacht darauf lenken, dass sich möglicherweise ein Hydroce-phalus entwickelt hat. Bei jedem Verdacht muss daher umgehend eine kraniale Computertomographie oder eine kraniale Magnet re sonanztomographie durchge-führt werden.

Implantierte Shuntsysteme müssen auch regelmäßig überwacht werden. Trotz korrekter Implantation kann es zu Ver-stopfungen im Bereich des Ventils oder des Schlauchsystems kommen. Der Shunt kann zu viel oder zu wenig Liquor fördern, was im ersten Fall zu einem Kollaps des Ventrikelsystems führen kann und im letz-teren Fall wieder zu einer Vergrößerung der Ventrikel mit allen genannten klini-schen Konsequenzen. Shuntsysteme kön-nen dislozieren oder sich dyskonnektie-ren. Wir empfehlen eine routinemäßige klinische und computertomographische Shuntkontrolle, auch bei unkomplizier-tem Verlauf, einmal im Jahr.

1 Anita Steinbach, Dr. Johann DonisNeurologische Abteilung mit Apalliker Care Unit im Geriatriezentrum am Wienerwald, Wien

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Critical illness Polyneuropathien und Bed rest Syndrom

Klinisch manifestieren sich Polyneuropa-thien durch oft schmerzhafte Missempfin-dungen, besonders an den distalen Extre-mitätenabschnitten, Lähmungen und einer zunehmenden Verschmächtigung des Muskelreliefs an den Extremitäten. Hier soll eine bei Wachkoma-Patienten nicht selten zu beobachtende Polyneuro-pathieform genannt werden, die als so ge-nannte Critical illness Polyneuropathie bekannt ist. Sie wird fast ausschließlich auf Intensivstationen bei bis zu 70 Prozent der Patienten beobachtet und manifestiert sich vorwiegend mit peripheren schlaffen Lähmungen, fehlenden Reflexen und zu-nehmenden Muskelatrophien.

Besonders betroffen sind Patienten, die eine Sepsis überstanden haben. Die genaue Ursache einer Critical illness Poly-neuropathie ist nicht bekannt. Die Prog-nose ist bei früh einsetzender Mobilisa-tion günstig. Doch genau das wird bei Patienten im Wachkoma oft nur zögerlich durchgeführt. Eine oft erst viel später ein-setzende Mobilisation wird dann durch bereits bestehende massive Muskelatro-phien erschwert oder unmöglich gemacht.

Im Zusammenhang mit der Problema-tik der abnehmenden Muskelmasse bei Patienten im Wachkoma soll auch kurz auf den immer wieder genannten Begriff des Bed rest Syndroms eingegangen werden. Es ist eine Tatsache, dass Immobilität und Immobilisierung eine Reihe negativer Auswirkungen auf den Organismus haben – Auswirkungen, die sich schon innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen auch bei völlig gesunden und auch jungen Proban-den dramatisch manifestieren.

Hier sind eine Abnahme der Muskel-masse mit Muskelatrophien, Kontrakturen,

heterotopen Ossifikationen, Koordina-tions-, Gleichgewichts- und Bewegungs-störungen zu nennen, Abnahme der Kno-chendichte bis hin zu einer manifesten Inaktivitätsosteoporose, Probleme mit der Integrität der Haut bis hin zu Dekubitalul-zera, eine erhöhte Infektionsgefahr, Ver-änderungen im Flüssigkeitshaushalt, Stö-rungen der Darmmotorik bis hin zur Darmatonie und letztlich ein zunehmen-der Wahrnehmungsverlust der eigenen Person und der Umwelt bis hin zu psychi-atrischen Auffälligkeiten mit depressiven Symptomen. Die Gesamtheit dieser Symp-tome wird mit dem Begriff Bed rest Syn-drom zusammengefasst. Es besteht kein Zweifel, dass Menschen im Wachkoma bei inadäquater Betreuung und mangelnder oder fehlender Mobilisation Symptome eines Bed rest Syndroms mit allen Konse-quenzen aufweisen. Umso mehr kann nicht deutlich genug auf die Themen Mobilisation, Positionierung, Vertikalisie-rung, aktive und passive Bewegungsübun-gen und letztlich auf die adäquate Hilfs-mittelversorgung hingewiesen werden.

Heterotope Ossifikationen

Ein Problem, das besonders im Langzeitbe-reich nicht selten übersehen wird, sind he-terotope Ossifikationen. Es handelt sich hier um Ossifikationen – Verknöcherungen in den periartikulären Weichteilen. Im Akut- und Subakutstadium ist das Gelenk schmerzhaft geschwollen und in der Be-weglichkeit eingeschränkt. Neben entzün-dungshemmenden Medikamenten, wie nicht-steroidalen Antirheumatika, kann auch eine operative Entfernung und Mobi-lisation der Verknöcherungen notwendig werden.

Probleme bereiten unerkannte hete-rotope Ossifikationen beim Versuch, den

Patienten zum Beispiel in den Rollstuhl zu mobilisieren, was durch ein verknöchertes und dadurch versteiftes Hüftgelenk massiv behindert wird. Bei Immobilität und Fehl-haltungen an Gelenken sollte neben der Möglichkeit von Kontrakturen auch an eine heterotope Ossifikation und die Möglich-keit einer operativen Therapie gedacht wer-den. Die Diagnose kann durch eine einfa-che Röntgenuntersuchung gestellt werden.

Häufige nicht neurologische Komplikationen

Patienten im Wachkoma sind schwerst-kranke und schwerstbehinderte Men-schen. Auch Komplikationen, die nicht primär dem neurologischen Fachgebiet zuzuordnen sind, müssen erkannt und entsprechend behandelt werden. Ziel soll es sein, die Aufmerksamkeit der Betreu-enden zu schärfen und die Notwendigkeit einer qualifizierten Betreuung zu unter-streichen.

Wir können an dieser Stelle nur die wichtigsten Aspekte anführen, die im All-tag immer wieder zu Problemen führen können.

Bezüglich der Themen Ernährungs-management, PEG-Sonden-Management, Tracheostoma- und Trachealkanülen-Ma -nagement, Dekubitusprophylaxe, Stuhlre-gulation, Mund-, Zahnhygiene und Ma-nagement harnableitender Systeme mit allen Facetten und Problemen verweisen wir auf die einschlägige Fachliteratur aus Medizin und Pflege.

Wir wollen aber einige Bereiche anfüh-ren, die fast regelhaft besonders im Lang-zeitbereich Grund für Diskussionen sind:■■ Schluckstörungen – Dysphagie und

Aspirationspneumonie■■ Fieber – zentrales Fieber■■ Inaktivitätsosteoporose

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Schluckstörungen – Dysphagie und Aspirationspneumonie

Schluckstörungen – Dysphagie – bis hin zur Unmöglichkeit, Flüssigkeiten und Nahrung zu schlucken, sind ein regelhaft bei Menschen im Wachkoma vorhande-nes Problem. Es gibt kaum Patienten, die nicht über eine PEG-Sonde ernährt wer-den müssen. Schlucken ist ein äußerst komplexer Mechanismus, bei dem an die 50 Muskelgruppen, die Hirnnerven V, VII, und IX bis XII, motorische und prä-motorische Rindenareale im Großhirn sowie mehrere Bahnsysteme beteiligt sind. Es ist daher verständlich, dass schwere Schädigungen des zentralen Nervensystems fast immer mit Schluck-störungen einhergehen. Beim Schluckab-lauf sind eine orale Phase, also die Zer-kleinerung, die Vorbereitung und der Transport der Nahrung, eine pharyngeale Phase mit Anheben und Abdecken des Kehlkopfes, Abdichten des Rachens zum Nasenraum und schließlich wieder Senken des Kehlkopfes und eine ösopha-geale Phase mit dem Weitertransport der Nahrung in den Magen zu unterschei-den. Alle diese Schritte müssen genau koordiniert sein, um ein Eindringen von Nahrung und Flüssigkeit in die oberen Luftwege und letztendlich in die Lunge zu verhindern.

Während die orale Phase willkürlich gesteuert werden kann, laufen die beiden anderen Phasen reflektorisch ab. Somit sind Wachheit und bewusste Wahrneh-mung eine Grundvoraussetzung, um den Schluckakt sicher zu ermöglichen. Zei-chen einer Störung des Schluckens sind schon äußerlich zu erkennen. Vermehrte Speichelproduktion, Speichelfluss aus dem Mund und vermehrte Verschlei-mung sind eindeutige Hinweise darauf, dass sicheres Schlucken nicht möglich ist. Neben der klinischen Untersuchung wird vor allem die flexible transnasale Laryngos kopie eingesetzt, eine einfache und für den Patienten nicht belastende,

beliebig oft wiederholbare endoskopi-sche Beobachtung des Schluckaktes. Diese Untersuchung kann auch bei be-wusstseinsgestörten und motorisch schwerst beeinträchtigten Pa tienten durchgeführt werden. Mit dieser Technik kann eindeutig geklärt werden, ob der Schluckakt komplett oder inkomplett ab-läuft und ob Nahrung und Flüssigkeiten über den Kehlkopf eventuell in die Luft-wege und die Lungen gelangen. Eine Vi-deofluoroskopie, eine röntgenologische Beurteilung des gesamten Schluckaktes, ist zwar noch genauer in der Aussage-kraft, ist aber bei Wachkoma-Patienten oft nicht möglich, da die Untersuchung in sitzender Position durchgeführt werden muss und eine gewisse Kooperation des Patienten erforderlich ist.

Ein Eindringen der Nahrung in die Luftwege und die Lunge wird als Aspira-tion bezeichnet. Die Folge ist eine meist schwere Lungenentzündung mit allen therapeutischen Konsequenzen. Die Aspi-rationspneumonie ist eine der häufigsten Pneumonieformen und auch heute noch mit einer hohen Mortalität von bis zu 60 Prozent verbunden. Besonders problema-tisch sind sogenannte stille Aspirationen. Hier scheint der Schluckvorgang nach au-ßen hin, besonders bei ungenügendem oder fehlendem Hustenreflex, ungestört, Speisereste bleiben aber oberhalb der Epi-glottis hängen und dringen verzögert in die Luftwege ein. Oft fällt eine stille Aspi-ration dadurch auf, dass der Patient ver-mehrt verschleimt ist, häufig beim Liegen oder nachts hustet, ein gurgelndes Atem-geräusch zu bemerken ist und schließlich immer wieder scheinbar unerklärliche Fieberzacken und erhöhte Entzündungs-parameter im Blut auftreten. Werden diese Symptome beobachtet, besteht rascher Handlungsbedarf.

Die eigene Erfahrung zeigt, dass es oft schwierig ist, den besorgten Angehörigen klar zu machen, dass der Patient nicht schlucken kann und nicht schlucken darf. Die Verabreichung von Nahrung ist unbe-

stritten eine besondere Form der Zuwen-dung und es bedarf oft vieler Gespräche und Mitintegration in die Untersuchun-gen zur Schluckabklärung, um die Ange-hörigen davon zu überzeugen, dass die „Liebe, die durch den Magen geht“ den Patienten vital gefährden kann. Umso mehr muss in diesen Fällen auf die Mög-lichkeiten der oralen Stimulation, gerade durch den betreuenden Angehörigen, hingewiesen werden.

Fieber – zentrales Fieber

Veränderte Körpertemperatur und Fieber sind bei Wachkoma-Patienten ebenfalls ein häufiges Problem. Nur wenige Ereig-nisse erregen die Aufmerksamkeit der be-treuenden professionellen Gruppen und der Angehörigen so sehr wie Fieber und der damit immer verbundene Verdacht einer Infektion, in erster Linie der Lunge oder im Bereich der harnableitenden Wege. Sehr häufig ergeben sich Diskussi-onen, ab wann man von Fieber spricht, da die „Alarmmeldung, dass der Patient fiebert“, oft mehrfachste Konsequenzen hat, bis zur akuten Krankenhauseinwei-sung bei zu Hause betreuten Wachkoma-Patienten. Wir haben für unsere Wach-koma-Station festgelegt, dass Fieber dann vorliegt, wenn bei wiederholten Messungen mit einem Ohrthermometer im Abstand von zumindest einer Stunde eine Temperatur von mehr als 38  °C festgestellt wird.

Der nächste Schritt ist die klinische Untersuchung und ein orientierendes Set an Zusatzuntersuchungen, das ein Blut-bild mit Differenzialblutbild, Nierenpara-meter, Entzündungsparameter wie C-re-aktives Protein – CRP, einen kompletten Harnbefund, Blut- und Harnkultur sowie ein Thoraxröntgen umfasst. Ergeben sich daraus Hinweise für eine bakterielle Infek-tion, erfolgt eine entsprechende antibioti-sche Therapie gemäß Antibiogramm.

Sofern nicht eine akute lebensbedro-hende Situation vorliegt, ist die „blinde“ Gabe eines Breitbandantibiotikums als erste Maßnahme kontraindiziert. Nicht selten kann man bei Wachkoma-Patien-ten, insbesondere wenn noch eine be-trächtliche vegetative Instäbilitat vorliegt, ein so genanntes zentrales Fieber beob-achten. Dabei treten oft Temperaturen bis 40 °C auf, ohne typische Tagesschwan-kung wie bei infektbedingtem Fieber. Trotz sorgfältiger Untersuchung findet man keinen Hinweis auf eine bakterielle oder virale Infektion. Typischerweise sprechen die üblichen antipyretisch wirk-

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samen Medikamente hier nicht an, wäh-rend aber pflegerische und physikalische Maßnahmen durchaus eine Wirkung zei-gen. Ursachen für ein zentrales Fieber sind Störungen der hypothalamischen Zent-ren, die für die Regulation der Körpertem-peratur verantwortlich sind.

Inaktivitätsosteoporose

Ein unterschätztes und wenig beachtetes Problem ist die in der Regel auch bei jun-gen Wachkoma-Patienten und häufig schon nach wenigen Monaten feststell-bare oft hochgradige Inaktivitätsosteo-porose. Mit dieser verminderten Kno-chenfestigkeit ist ein deutlich erhöhtes Frakturrisiko verbunden. Da es aber aus den verschiedensten Gründen notwendig und wichtig ist, Menschen im Wachkoma zu mobilisieren, zu bewegen, zu vertikali-sieren, wird man in der Regel ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Frakturen in Kauf nehmen müssen. Andererseits ist es gerade diese motorische Aktivierung und Belastung durch die Schwerkraft, die ein weiteres Fortschreiten der Inaktivitäts-

osteoporose verhindern kann. Das unter-streicht wieder die Wichtigkeit einer professionellen Berührungs- und Mobili-sierungsqualität besonders im Pflege- und Therapiebereich. Trotzdem wird man Frakturen nie ganz verhindern können. Es ist aber wichtig, das Risiko zu kennen und darauf im Umgang mit Wachkoma-Patien-ten zu achten. Es ist durchaus sinnvoll, ein Osteoporose Basisassessment mit ent-sprechenden Laborbefunden und eventu-ell eine Knochendichtemessung durchzu-führen.

Alle unsere Patienten erhalten eine entsprechende Calcium- und Vitamin-D-Prophylaxe im Rahmen einer optimalen Ernährung und wir nützen alle Möglich-keiten einer entsprechenden Tageslicht- und Sonnenlichtexposition, um unter an-derem auch die Vitamin-D-Produktion anzuregen – ein zusätzlicher Grund, Wach-koma-Patienten regelmäßig ins Freie zu bringen. Inwieweit eine Therapie mit in-travenösen Bisphosphonaten indiziert ist, muss im Einzelfall entschieden werden, ist aber derzeit sicherlich eine „off label“-Therapie. n

KorrespondenzAnita SteinbachAkad. Health Care ManagerinNeurologisches Rehabilitationszentrum RosenhügelPflegedirektorinRosenhügelstraße 192a 1130 Wien Tel. +43 1 88032 / 42531Fax. +43 1 88032 / 42563E-Mail: [email protected]

Prim. Dr. Johann Donis Vorstand der Neurologischen Abteilung mit Apalliker Care Unit

im Geriatriezentrum am Wienerwald Akad. Manager im Gesundheits- und Krankenhauswesen Vorsitzender der Österreichischen Wachkoma Gesellschaft zertifizierter Qualitätsmanager, NLP Master Jagdschlossgasse 59 1130 WienTel.: 01/80110 3421 Fax: 01/80110 3711 E-Mail: [email protected]: Anita Steinbach, Johann Donis: Langzeitbetreuung Wachkoma. Eine Herausforderung für Betreuende und Angehörige, Springer WienNewYork 2011, ISBN 978-3-7091-0394-4. Mit freundlicher Genehmigung der Autoren

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