HallscHlag I-III - Universität Stuttgart · Hallschlag I bis III Wohnen im Block – abgestempelt...

19
Seminar Heimatkunde II - Wohnen I Sommersemester 2014 Prof. Dr. phil. habil. Christine Hannemann I Vanessa Lorraine Kienzle M.A. Katharina Graf HALLSCHLAG I-III IWE Institut für Wohnen und Entwerfen FG Architektur und Wohnsoziologie

Transcript of HallscHlag I-III - Universität Stuttgart · Hallschlag I bis III Wohnen im Block – abgestempelt...

1

Institut für Baustofflehre, Bauphysik,Gebäudetechnologie und Entwerfen

Seminar Heimatkunde II - Wohnen I Sommersemester 2014 Prof. Dr. phil. habil. Christine Hannemann I Vanessa Lorraine Kienzle M.A.

Katharina Graf

HallscHlag I-III

IWE Institut für Wohnen und EntwerfenFG Architektur und Wohnsoziologie

Hallschlag I bis IIIWohnen im Block – abgestempelt zum Bürger zweiter Klasse?

Katharina GrafMatr.Nr. 2567813Architektur und Stadtplanung I Universität Stuttgart8. Semester

Universität Stuttgart I Institut für Wohnen und EntwerfenFachgebeit Architektur und WohnsoziologieProf. Dr. phil. habil. Christine HannemannVanessa Lorraine Kienzle M.A.

Seminar Heimatkunde II - Wohnen Sommersemester 2014

I

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Vorwort- Leben in der Hallschlagsiedlung

1. Sozialer Wohnungsbau in der Weimarer Republik 1.1 Entwicklung vor und während des ersten Weltkrieges 1.2 Entwicklungen in den Nachkriegsjahren 1.3 Die Rolle des Weimarer Staates 1.3.1 Wohnungsbestandspolitik 1.3.2 Wohnungsbauförderung 1.4 Sozialer Wohnungsbau – Bewertung

2. Sozialer Wohnungsbau in Stuttgart 2.1 Situation der Nachkriegszeit in Stuttgart 2.2 Maßnahmen zum Wohnungsbau in Stuttgart 2.3 Die Bauprojekte Hallschlag I bis III als Beispiel des städtischen Wohnungsbaus in Stuttgart 2.3.1 Baustandards der Stadt Stuttgart 2.3.2 Siedlung Hallschlag I – Kosteneinsparung durch Standardisierung 2.3.3 Hallschlag II – Kosteneinsparung durch Spezial- bauweise 2.3.4 Hallschlag III 2.4 Sozialer Wohnungsbau in Stuttgart – Bewertung 3. Wohnen im Hallschlag heutzutage 3.1 Bau-, und Verkehrsverhältnisse 3.2 Besitz- und Bevölkerungsverhältnisse 3.3 Wohnsituation in der Hallschlagsiedlung 3.3.1 Wohnsituation ausländischer Bürger 3.3.2 Wohnsituation für Kinder und Jugendliche

Fazit- Die Hallschlagsiedlung heute – abgestempelt zum Bürger zweiter Klasse?

Literaturverzeichnis

I

II

2

3344455

666

77

9

101111

121213131314

15

III

Inhaltsverzeichnis

II

abbildungsverzeichnis

Titelbild: Eigene Grafik.

Abb. 1: Standardgrundriss in Stuttgart für eine 2- und 3-Zimmerwohnung. (Gericke, Die Stadt als Bau- herr, S. 364). Abb. 2: Lageplan und Bauphasen. (Gericke, Hallschlag. S. 72; modifizierte).

Abb. 3: Grundriss 3-Zimmerwohnung im Hallschlag I. (Gericke, Die Stadt als Bauherr.S.317;modifizierte).

Abb. 4: Ansicht Hallschlag I. (Gericke, Die Stadt als Bau- herr. S. 317; modifiziert).

Abb. 5: Vergleich der Wohnungen. (Eigene Tabelle, Grundlage: Gericke, Die Stadt als Bauherr).

Abb. 6: Grundriss 3-Zimmerwohnung im Hallschlag II. (Gericke, Die Stadt als Bauherr. S.220, modifiziert).

Abb. 7: Ansicht Hallschlag II. (Gericke, Die Stadt als Bau- herr. S. 220, modifiziert).

Abb. 8: Grundriss Hallschlag III, Haustyp A-C. (Gericke, Die Stadt als Bauherr. S. 349, modifiziert).

Abb. 9: Grundriss Hallschlag III, Haustyp A-C. (Gericke, Die Stadt als Bauherr. S. 262, modifiziert).

7

8

9

9

9

10

10

11

11

2

leben in der Hallschlagsiedlung

Mit Überschriften wie „Keine Sau kann da mehr wohnen“1 oder „Fixer und Hascher – draußen vor der Tür“2 ist das Wohngebiet „Hallschlag“ in den 1980er-Jahren in die Schlagzeilen geraten. Es erhielt den Ruf eines „Assozialenviertels“.3

Doch wie konnte es soweit kommen, dass das Wohnareal, das zum Stuttgarter Stadtbezirk Bad Cannstatt gehört zu einem sozialen Brennpunkt der Schwaben-Metropole wurde?

Die eigentliche „Hallschlagsiedlung“, auf die die oben genannten Schlagzeilen gemünzt sind, entstand in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Auf dem ungefähr 10,5 ha großen Gebiet zwischen Düsseldorfer-, Dortmunder-, Bochumer und Essener Straße wurde durch die Stadt Stuttgart ein soziales Wohnungsbauprogramm ins Leben gerufen.4 Im Jahr 1926 tauchte für dieses Gebiet erstmals die Bezeichnung „Hallschlag“ auf.

In acht eigenständigen Bauvorhaben wurden in Summe 1.000 neue Wohnungen errichtet.5 Diese Siedlung, die auch heute noch den Kern des Stadtteils „Hallschlag“ ausmacht war überwiegend für Bewohner der „Unterschicht“ gedacht. Es entstand eine durchgehende Bebauung in

der Blockrandbauweise. Die Wohnungen waren allesamt in einfachster Ausführung gefertigt6 und wurden für Mieten, die sich selbst die sozial schwächsten Bewohner leisten konnten, vermietet. In den Jahren 1928 und 1929 wurden die Bewohner der Barackensiedlung „Holzhausen“, die im Volksmund als asozial galt im in das neu bebaute Gebiet umgesiedelt.7 Der Ruf der „Asozialensiedlung“ war entstanden.8

Der Schwerpunkt des sozialen Wohnungsbaus in Stuttgart während der Weimarer Republik erfolgt in den Bauprojekten Hallschlag I - III. Die sozialen Probleme, die bereits während der Bauzeit entstanden sind, liegen auch heute noch wie ein Fluch über der Siedlung. Um sie zu verstehen, ist es hilfreich die Hintergründe des Wohnungsbaus in dieser Zeit zu verstehen.

Vorwort

1 vgl. Clemens, Stuttgarter Zeitung vom 05.04.1980.

4 vgl. Soko Praktizierte Vernetzung, S. 3.

7 vgl. Specht, Feldanalyse Hallschlag, S. 9.

2 vgl. Wochele, Stuttgarter Zeitung vom 23.1.1980.

5 vgl. Gericke, Hallschlag, S. 72.

8 vgl. Soko, Praktizierte Vernetzung, S. 3.

3 vgl. Soko Praktizierte Vernetzung, S. 3.

6 vgl. Soko, Praktizierte Vernetzung, S. 3.

3

9 vgl. Kähler, Geschichte des Wohnens, Anhang: Tabelle 2.10 vgl. Kähler, Nicht nur Neues Bauen!, S. 308 f.11 vgl. Kähler, Nicht nur Neues Bauen!, S. 310.

1.1 Entwicklung vor und während des ersten Weltkrieges

Die sozialen Probleme, insbesondere die Wohnungsknappheit der Weimarer Zeit zeichnete sich bereits vor Beginn des ersten Weltkrieges ab. Durch die in Deutschland aufkommende Industrialisierung kam es zu einer Wanderbewegung der Landbevölkerung in die industrialisierten Zentren. Als Folge davon wuchs die Bevölkerung in den Ballungsgebiete überdurchschnittlich an.9 Der Druck auf den Wohnungsmarkt in den Ballungsgebieten nahm entsprechend stark zu.

Die Verlierer dieses Prozesses waren die Arbeiter. Sie waren ständig auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum. Kleine Wohnungen waren durch die hohe Nachfrage überdurchschnittlich teuer. Aufgrund der geringen Einkommen der Arbeiter entstanden in vielen Fällen katastrophale Wohnsituationen.10 Diese äußerten sich in erster Linie in der Überfüllung der Wohnungen und den damit verbundenen katastrophalen hygienischen Bedingungen.11

Die Regierung des Kaiserreichs hatte den Handlungsbedarf erkannt, brachte jedoch keine Wohnungspolitik hervor, die das Problem hätte lösen können.Durch Ausbruch des ersten Weltkrieges im Jahr 1914

1. sozialer Wohnungsbau in der Weimarer Republik

entschärfte sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt zunächst. Ab 1916 verschlechterte sich die Wohnungssituation in den Zentren jedoch wieder. Arbeiter der Kriegsindustrie zogen in die Ballungsgebiete. Durch das Militär wurden Bauverbote erlassen, um der Kriegswirtschaft weder Baustoffe noch Bauarbeiter vorzuenthalten. Zum Ende des Jahres 1916 kam die Bautätigkeit im Reich fast gänzlich zum Erliegen.12

Zur Entschärfung der Probleme griff die Regierung erstmals in den Wohnungsmarkt ein. Sie beschränkte das Mietpreisrecht und führte eine öffentliche Bewirtschaftung des Wohnraumes ein.13

4

freien Wohnungsmarktes. Dazu verabschiedete sie eine Reihe von Gesetzesvorhaben. Die wichtigsten waren das Wohnungsmangelgesetz (1920), das Reichsmietengesetz (1922) und das Mieterschutzgesetz (1923).19

Der stärkste Eingriff in den Preisbildungsprozess der Marktwirtschaft erfolgte durch das Reichsmietengesetz. Hierbei wurden die Mieten unterhalb den Marktpreisniveau fixiert. Nach diesem Gesetz setzte sich die maximal zulässige Miete aus einer gesetzlichen Grundmiete und bestimmten Zuschlägen zusammen. Die Grundmiete entsprach dabei der am 1. Juli 1914, also vor Kriegsbeginn, erzielten Miete und wurde aus diesem Grund auch Friedensmiete genannt.20

Auch der Mieterschutz erfuhr eine wesentliche Erweiterung. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde insbesondere im Kündigungsrecht des Vermieters stark beschränkt. Es sollt so dem Vermieter unmöglich gemacht werden die Schwierigkeiten der Mieter auf dem Wohnungsmarkt zu verschleierten Mieterhöhungen zu nutzen.21

Damit entzog die Politik durch diese Regelungen den Eigentümern die Verfügungsgewalt über ihre Wohnungen.22 Durch die Eingriffe des Staates konnte ein Ausgleich von Wohnungsangebot und –nachfrage durch den Markt nicht mehr erfolgen. Zur Verteilung des vorhandenen Wohnraumes musste die Verwaltung nun lenkend eingreifen und die Wohnungen auf behördlichem Wege verteilen.23

Durch die Fixierung der Mieten auf einem zu niedrigen Niveau und einer zu langsamen Anpassung an die

19 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 63.20 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 63.

18 vgl. Kähler, Nicht nur Neues Bauen, S.315.

16 vgl. Schulz, Wohnungspolitik in Dt. und England, S.154.

14 vgl. Blumenroth, Deutsche Wohnungspolitik, S. 160 f.

17 vgl. Artikel 155 Weimarer Verfassung, zitiert in Blumenroth, Deutsche Wohnungspolitik, S. 163.

15 vgl. Kähler, Nicht nur Neues Bauen!, S. 315.

12 vgl. Blumenroth, Deutsche Wohnungspolitik, S. 160.13 vgl. Schulz, Wohnungspolitik in Dt. und England, S. 154.

1.2 Entwicklungen in den Nachkriegsjahren

Eine drastische Verschärfung der Situation am Wohnungsmarkt trat mit Ende des Krieges im Jahr 1918 ein. Im Vergleich zu 1914 verdoppelte sich die Zahl der Eheschließungen, daneben drängten Flüchtlinge auf den Wohnungsmarkt und auch die Besatzungstruppen beanspruchten Wohnraum. Die kriegsbedingten Zerstörungen führten zu einer zusätzlichen Verknappung. Die Neubautätigkeit erfuhr durch die vorhandene Baustoff- und Kapitalknappheit kaum eine Wiederbelebung.14 Nach Schätzung des Deutschen Städtetages fehlten nach Ende des ersten Weltkrieges rund 800.000 Wohnungen.15

1.3 Die Rolle des Weimarer staates

In den Nachkriegsjahren stiegen die Bau- und Hypothekenkosten an. Die Einkommen potentieller Mieter gingen jedoch zurück, so dass ein Wohnungsbau von privater Seite unrentabel wurde. Trotz der starken Nachfrage nach Wohnraum kam es zu keiner Steigerung der Bautätigkeit.16

In der am 11. August 1918 in Kraft tretende Verfassung der Weimarer Republik wurden erstmals wohnungs- und bodenreformerische Ziele aufgenommen. So wurde „jedem Deutschen ein gesunde Wohnung und jeder Familie eine bedarfsgerechte Wohn- und Wirtschaftsheimstätte“ zugesichert.17

Da der Wohnungsmarkt von privater Seite praktisch zum Erliegen gekommen war, musste der Weimarer Staat eingreifen. Hierzu bediente er sich zweierlei Instrumente: der Wohnungsbestandspolitik und der Wohnungsbauförderung.18

1.3.1 Wohnungsbestandspolitik

Die einzige Lösung der Wohnungsnot nach Kriegsende, sah die Weimarer Regierung in der Einschränkung des

5

23 vgl. Blumenroth, Deutsche Wohnungspolitik, S. 167.24 vgl. Blumenroth, Deutsche Wohnungspolitik, S. 169.

22 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 63.

21 vgl. Blumenroth, Deutsche Wohnungspolitik, S. 166.

Inflationsrate verloren die Mietpreise ihre Funktion als Wert- und Rechenmaßstab. Besser verdienende Arbeiter konnten sich eine im Verhältnis zu große Wohnung leisten. Dadurch kam es zur Unterbelegung von Wohnraum. Seitens der Vermieter wurde durch Fixierung der Mieten auf zu niedrigem Niveau Fehlanreize gesetzt. Für sie gab es dadurch kein Anlass für Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen.

1.3.2 Wohnungsbauförderung

Die Wohnungsbestandspolitik der Weimarer Regierung war alleine nicht in der Lage die Wohnungsnot der 1920er Jahr zu lösen. Es fehlte am Bau neuer Wohnungen. Eine Überwindung der Wohnungsmisere war nur durch eine Steigerung des Wohnungsangebots durch zusätzliche Neubauten möglich.

Da auf dem Kapitalmarkt die benötigten Finanzmittel nicht verfügbar waren, konnte diese Aufgabe von privatwirtschaftlicher Seite nicht gelöst werden. Durch die Verteuerung der Baukosten in Verbindung mit der Fixierung der Mieten fand das investierte Kapital des Investors in den Mieten keine ausreichende Verzinsung mehr.Von staatlicher Seite musste eine Förderung eingeführt werden, die den Teil der Baukosten abdeckt, die in der Miete keine Verzinsung mehr fanden.24 Dazu stellte die Reichsregierung bis zum Ende des Jahres 1919 insgesamt 650 Millionen Reichsmark zur Verfügung. Im Jahr 1920 lagen die Zuschüsse bei fast 2 Milliarden Reichsmark. Die Kapitalbeschaffung versuchte die Reichsregierung durch einen Solidarbeitrag von den Altbaumietern abzudecken. Das am 1. Juli 1921 beschlossene Wohnungsbauabgabengesetz sah einen Abgabensatz von 5% der Friedensmieten vor. Im Zuge der fortschreitenden Inflation wurden die Abgabensätze jedoch zu spät erhöht. was dazu führte, dass im Jahr 1923 nicht einmal mehr die Erhebungskosten der Abgabe gedeckt werden konnten.25

Eine nachhaltige Änderung der Umstände trat erst mit der am 1. April 1924 eingeführten Hauszinssteuer ein. Sie

wurde als Ausgleich der Geldentwertung vom bebauten Grundbesitz erhoben und musste von den Kommunen zu mindestens einem Zehntel zur Wohnungsbauförderung verwendet werden. Die öffentlichen Kassen wurden durch die Steuer mit gewaltigen Summen gefüllt. Ende der 1920er Jahre wurden vier von fünf neugebauten Wohnungen so gefördert.26 Durch diese Abgabe kam der Wohnungsbau wieder in Schwung.

1.4 sozialer Wohnungsbau – Bewertung

Im Mittepunkt des sozialen Wohnungsbaus der Weimarer Republik stand die Frage wie viel Wohnraum der Mensch benötigt. Es wurden Überlegungen zum menschlichen Mindeststandard angestellt. Die knappen Finanzmittel brachten hauptsächlich Einsparungen bei den Baukosten und den Grundrissen zu Tage. Es sollte die gerade noch zumutbare Wohnung gebaut werden. Die Lösungen mündeten zumeist in Barackenbauten. Häufig waren auch diese Bauten für die Arbeiter, für die sie bestimmt waren zu teuer.27

Aufgrund der großen Masse der schlecht verdienenden Arbeiter während der Weimarer Zeit, war der soziale Wohnungsbau für sie ein Segen. Nur durch diese Projekte wurde den Arbeitern ein Ausweg aus den katastrophalen Verhältnissen ermöglicht. Die Bewohner der Wohnungsbauprojekte waren also seinerzeit keineswegs Bewohner zweiter Klasse. Sie gehörten vielmehr zur „normalen“ Arbeiterschicht.

25 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 64.26 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 66 f.27 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 370 ff

6

2.1 situation der Nachkriegszeit in stuttgart

Die Sozialausgaben wurden in den Nachkriegsjahren auch in Stuttgart zur alles bestimmenden Größe. Tausende Bewohner wurden Opfer des Krieges. Nicht nur Versehrte, Hinterbliebene und Waisen, sondern auch tausende Rentner konnten sich ihre Lebensführung aus eigener Kraft nicht mehr ermöglichen. Im Jahr 1924 benötigte jeder siebte bis achte Bewohner der Stadt öffentliche Unterstützung. Im Jahr 1932 wurden die städtischen Sozialausgaben zu Hauptposten des Finanzhaushalts.28

Wie im restlichen Reichsgebiet herrschte auch in Stuttgart eine gravierende Wohnungsnot. Die Wohnsituation war katastrophal. Familien mit Kindern mussten in schlecht belüfteten Räumen ohne Küche und Bad hausen. Anfang der 1920er-Jahre wurde ein Fehlbestand von 6.000 Wohnungen gezählt.29

2.2 Maßnahmen zum Wohnungsbau in stuttgart

Um die Wohnungsnot zu mildern, wurden durch das Wohlfahrts-, das Wohnungs- und das Hochbauamt der Stadt Stuttgart Wohnungsbauprogramme aufgestellt, mit dem Ziel stadteigene Wohnungen zu bauen, die den Bedürftigen direkt zur Verfügung gestellt werden können. Bis ins Jahr 1930 wurden durch dieses Maßnahmen 5.650 stadteigene

Wohnungen errichtet. Dies entsprach einem Anteil von ca. 30% am gesamten Wohnungsbau.30

Neben der Beseitigung des Wohnungsmangels, sollte durch die stadteigenen Neubauten die lokale Wirtschaft wieder angekurbelt werden. So wurden ausschließlich ortsübliche Baumaterialien, Handwerker, Lieferanten und Architekten beauftragt.31

Zusätzlich zum städtischen Eigenbau wurde der Wohnungsbau gemeinnütziger Baugenossenschaften gefördert. Ab 1924 trat eine Förderung des privaten Wohnungsbaus hinzu. Ziel war es den Anteil des städtischen Eigenbaus schrittweise zu senken. Hierzu gewährte die Stadt neben der Übernahme von Bürgschaften und Abgabe von Baugeländen Baudarlehen und Zinszuschüsse. In den Jahren 1924 bis 1931 konnten mit Hilfe der Baudarlehen der Stadt 5.824 Wohnungen gebaut werden. Dies waren in etwa 50% aller von privater und genossenschaftlicher Hand errichteter Bauten in der Zeit.32

28 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 359.

31 vgl. Ebenda, S. 361.

29 vgl. Ebenda, S. 360.

32 vgl. Ebenda S. 361 ff.

30 vgl. Ebenda, S. 360 f.

2. sozialer Wohnungsbau in stuttgart

7

Grundriss für den stadteigenen Wohnungsbau. Die Grundrisse für Zwei- und Dreizimmerwohnungen sahen wie in Abb. 1 stets eine zweibündige Erschließung vor, auf der Seite des Treppenhauses lagen die Nutzräume und eine offene Veranda. Auf der anderen Seite befanden sich die Wohnräume. Die Nutzräume waren in Richtung Nord bis Ost oder zur Straße hin ausgeführt. Die Wohnräume lagen dagegen in Richtung Süd bis West bzw. zum ruhigen Innenhof hin.33

In 75 Projekten entstanden insgesamt 5.612 Wohnungen nach dem standardisierten Grundriss. Der überwiegende Anteil der Wohnungen hatte drei Zimmer. Die Wohnungsgröße schwankte zwischen den einzelnen Baujahren stark.34

Abb. 1: Standardgrundriss in Stuttgart für eine 2- und 3-Zimmerwohnung

2.3 Die Bauprojekte Hallschlag I bis III als Beispiel des städtischen Wohnungsbaus in stuttgart

2.3.1 Baustandards der stadt stuttgart

Die Eigenbauten der Stadt Stuttgart entstanden im Unterschied zu anderen deutschen Großstädten tatsächlich in Eigenregie der Stadt. Der Gemeinderat übernahm die Aufgabe des Bauherrn, das Hochbauamt die des Architekten. Eine stadteigene Wohnungsbaugesellschaft wurde mit Verweis des Gemeinderates auf unnötige Kosten nicht gegründet. Bis ins Jahr 1921 erlangten die städtischen Eigenbauten einen Anteil von 82%. Die Stadt Stuttgart wurde damit zur deutschen Großstadt mit dem höchsten Anteil von Eigenbauten.

Im Unterschied zu anderen deutschen Großstädten einigte man sich in Stuttgart früh auf einen standardisierten

33 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 364 f.34 vgl. Ebenda, S. 364.

8

Standort

Hallschlag I, 1925/26

Hallschlag II, 1926/27

Hallschlag III, 1929/30

Hallschlag I, 1925/26

Standort

Hallschlag I, 1925/26

Hallschlag II, 1926/27

Hallschlag III, 1929/30

Hallschlag II, 1926/27

Standort

Hallschlag I, 1925/26

Hallschlag II, 1926/27

Hallschlag III, 1929/30Hallschlag III, 1929/30

Standort

Hallschlag I, 1925/26

Hallschlag II, 1926/27

Hallschlag III, 1929/30

Abb. 2: Lageplan und Bauphasen

9

2.3.2 siedlung Hallschlag I – Kosteneinsparung durch standardisierung

Mit der Siedlung Hallschlag I entstanden in den Jahren 1925 und 1926 rund 200 Wohnungen zwischen der Römer- und der Hallschlagstraße.

Von den sechs Gebäuden der Anlage wurden fünf parallel zueinander in nordwestlich-südöstlicher Richtung angeordnet. Das sechste Gebäude steht senkrecht zu den anderen Gebäuden am nordwestlichen Ende und verbindet diese dadurch. Durch die Reihung der Häuser wurde die Blockstruktur aufgelockert. Es entstand eine Vorstufe späteren Zeilenbebauung.35 Der abgeschlossene Raum mit innenliegende Hof war passé. Eine Trennung zwischen privater und öffentlicher Fläche fand nicht mehr statt, da die Straßen zwischen die Häuserzeilen gelegt wurden.36

Bei der Siedlung wurde die Standardisierung der Grundrisse konsequent eingehalten. In der gesamten Siedlung wurde nur der Wohnungstyp einer dreizimmerigen Wohnung mit 71 m² Wohnfläche erstellt. Der Grundriss entspricht dabei völlig dem Standard des Stuttgarter Hochbauamtes.37

Die Fassade der Wohnanlage, die komplett aus Gebäuden mit drei Wohnstockwerken und einem Dachgeschoss besteht, wurde bewusst schlicht gehalten. Das einzig schmückende Element stellte ein Natursteinband über dem ersten Wohngeschoss dar.38 Als Gliederungselement der einzelnen Häuser dient das Treppenhaus. Es befindet sich in der Gebäudemitte und ist durch halbgeschossig versetzte Fenster, die von offenen Loggien eingerahmt werden, gut erkennbar.39

35 vgl. Gericke, Hallschlag, S. 72.

38 vgl. Ebenda, S. 72

36 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 211.

39 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 213.

37 vgl. Gericke, Hallschlag, S. 72.

HALLSCHLAG I, 1925/26

Wohneinheiten

3 ZI 231

231

71

16400

14000

14506

qm RMAnzahl Fläche Kosten/ WE

Ansicht von der Düsseldorfer Straße

Lageplan

Grundriss 1. OG

Bauherr: Stadt StuttgartArchitekten: Karl Heim & Friedrich Seezer

HALLSCHLAG I, 1925/26

Wohneinheiten

3 ZI 231

231

71

16400

14000

14506

qm RMAnzahl Fläche Kosten/ WE

Ansicht von der Düsseldorfer Straße

Lageplan

Grundriss 1. OG

Bauherr: Stadt StuttgartArchitekten: Karl Heim & Friedrich Seezer

Abb. 4: Ansicht Hallschlag I (unmaßstäblich)

Abb. 5: Vergleich der Wohnungen

Abb. 3: Grundriss 3-Zimmerwohnung im Hallschlag I (unmaßstäblich)

Siedlung, BaujahrArchitekt

962 ZI-WHG.

1123 ZI-WHG.

1263 ZI-WHG.

204 ZI-WHG.

47 m2

49 m2

53 m2

62 m2

11 RM

12 RM

AnzahlWohneinheiten

FlächeWohneinheiten

Jahresmiete pro m2

Hallschlag I, 1925/26

Hallschlag II, 1926/27

Hallschlag III, 1929/30

Karl Heim & Friedrich Seezer

Albrecht Wagner

P. Schmitthenner, E. Schwaderer

2313 ZI-WHG.

49 m2 11 RM

10

40 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 222 f.

43 vgl. Gericke, Hallschlag, S. 73.

41 vgl. Ebenda, S. 223.

44 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 223.

42 vgl. Ebenda, S. 222 f.

2.3.3 Hallschlag II – Kosteneinsparung durch spezialbauweise

Die in den Jahren 1926 und 1927 entstandene Siedlung besteht wie das Vorgängerprojekt aus fünf Häusererzeilen in Nord-Süd-Richtung. Eine sechste Zeile, senkrecht dazu stehend, bildet den Abschluss nach Norden. Ein siebtes Gebäude, das wie ein Winkel zur Anlage steht, bildet den Abschluss nach Westen.40 Die Gebäudeerschließung erfolgt vierspännige. Wiederum wird nur ein Wohnungstyp, der einer Zweizimmerwohnung, verwendet. Der Wohnstandard liegt jedoch unterhalb des sonst in Stuttgart üblichen Niveaus.41

Die Anlage ist von der Düsseldorfer Straße, Auf der Steig und Hallschlag Straße umschlossen. Die Straßen wurden nicht mehr in die Anlage hinein geführt. Die Bereiche zwischen den Zeilen dienen neben der Wohnraumerschließung der Verwendung als Gemüsegärten und Trockenplätze. Insgesamt entsteht städtebaulich ein besseres Gesamtbild als bei der Vorgängersiedlung.42

Die wirkliche Neuerung des Projekts stellte die Bauweise der Anlage dar. Die Stadt versuchte hier die Kosteneinsparung durch Verwendung eines neuen Bausystems umzusetzen. Dazu kam die Spezialeisen-Bauweise von Albrecht Wagner zum Einsatz. Im Unterschied zur Massivbauweise wurden die Decken sowie die Innen- und Außenwände mit einem Spezialeisengerippe auf dem betonierten Kellergeschoss errichtet. Danach konnten die Außenwände völlig ohne Gerüst dadurch errichtet werden, dass die Eisenkonstruktion mit Bimshohlköpersteinen ummauert wurde. Die Innenwände wurden aus Schwemmsteinen aufgebaut. Unmittelbar nach der Fertigstellung des Rohbaus wurden die Gipsarbeiten durchgeführt und das Gebäude fünf Tage mittels Heißluft getrocknet. Im Gegensatz zur Massivbauweise ergab sich eine Zeitersparnis von zwei bis vier Wochen.43

Die Ersparnis in der Bauzeit führte aufgrund des komplizierten Aufbaus zu keiner Kosteneinsparung. Während der Bau einer Wohnung in Massivbauweise in den Jahren 1926 und 1927 zwischen 143,00 und 160,00 Reichsmarkt pro m² kosteten, schlugen die Baukosten der Spezialeisen-Bauweise mit 170,00 Reichsmark pro m² zu Buche. Da aus

der Spezialeisen-Bauweise keine Kostenvorteile entstanden, wurde im Stuttgarter Wohnungsbau fortan nur noch die Massivbauweise eingesetzt.44

HALLSCHLAG II, 1926/27

Wohneinheiten

2 ZI

3 ZI

96

126

47

53

8300

9000

222 11190 8568

qm RMAnzahl Fläche Kosten/ WE

Straßenansicht

Lageplan

Grundriss 1. OG- Zweispännertyp

Bauherr: Stadt StuttgartArchitekten: Albrecht Wagner

HALLSCHLAG II, 1926/27

Wohneinheiten

2 ZI

3 ZI

96

126

47

53

8300

9000

222 11190 8568

qm RMAnzahl Fläche Kosten/ WE

Straßenansicht

Lageplan

Grundriss 1. OG- Zweispännertyp

Bauherr: Stadt StuttgartArchitekten: Albrecht Wagner

Abb. 7: Ansicht Hallschlag II (unmaßstäblich)

Abb. 6: Grundriss 3-Zimmerwohnung im Hallschlag II (unmaßstäblich)

11

2.3.4 Hallschlag III

Ebenso wie die anderen beiden Anlagen wurde die, in der Zeit 1929 bis 1930 errichtete Wohnsiedlung, als kammartiger Gebäudekomplex ausgeführt. Die Hauszeilen öffnen sich nach Norden hin zur Straße „Auf der Steig“. Die Siedlung wird im Norden durch drei parallel zur Straße angeordnete Häuserzeilen abgeschlossen. Die Gebäude könne von Süden oder Osten über Innenhöfe erschlossen werden.45 Alle Gebäude sind dreigeschossig und mit Walmdächern ausgeführt.

Im Gegensatz zu den anderen zwei Bauprojekten gibt es vier verschiedene Haustypen. Die Haustypen A, B und C befinden sich in der kammartigen Gebäudestruktur. Haustyp C bildet dabei das südliche Verbindungsstück. Typ D bildet den Abschluss des Komplexes im Norden. Die Haustypen A, B und C sind in Massivbauweise hergestellt. Typ D wurde mit einer Fachwerkaußenwand aufgebaut.46

Bei den Fassaden aller Haustypen wechseln sich quadratische Fenster mit raumhohen französischen Fenstern ab. In den Haustypen A, B und C befinden sich dahinter die Küchen. Die raumhohen Fenster befinden sich rechts und links von der Treppenachse und bilden mit einer kleinen Gaube den einzigen Fassadenschmuck. Im Haustyp D befinden sich hinter den französischen Fenstern die Wohnräume.47

Die Grundrisse aller Haustypen sind alle als Dreizimmerwohnung ausgeführt. Bei den Haustypen A, B und C liegt der Wohnungseingang im hinteren Drittel des Grundrisses. Ein Flur erschließt die zwei Zimmer sowie die Küche und das Bad. Das dritte Zimmer ist als gefangener Raum nur von den anderen beiden Zimmern aus erreichbar. Im Haustyp D befindet sich das dritte Zimmer zwischen Küche und Bad auf der Nordseite. Die südlich gelegenen beiden Zimmer können dabei nur durch das dritte Zimmer erreicht werden.

45 vgl. Gericke, Hallschlag, S. 74.46 vgl. Ebenda, S. 74..47 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 263.

2.4 sozialen Wohnungsbaus in stuttgart- Bewertung

Der soziale Wohnungsbau in Stuttgart unterscheidet sich zu den anderorts üblichen Überlegungen grundlegend. In Stuttgart wurde nicht die Frage diskutiert, was dem Bewohner gerade noch zugemutet werden kann, sondern man hat einen Mindeststandard herausgearbeitet und fix-iert. Die konsequente Anwendung dieses Standards verhinderte Diskussionen über städtebauliche Grund-satzfragen oder Baustile für das Existenzminimum. Durch diese Normierung konnte die Zusammenarbeit der Hand-werker mit dem Architekten rationalisiert werden. Die Bauqualität und Ausführung konnte trotz geringer Kosten auf ein hohes Niveau gebracht werden und dadurch die Mieten gering gehalten werden. Im Vergleich zum deutschen Reich erreichte der soziale Wohnungsbau in Stuttgart die Zielgruppe der Arbeiter tatsächlich.48

48 vgl. Gericke, Die Stadt als Bauherr, S. 370 ff.

HA

LLSC

HLA

G I

II, 1

929/

30

Lage

plan

Gru

ndris

s 1.

OG

Gru

ndris

s 1.

OG

Woh

nein

heite

n

3 ZI

4 ZI

112

20

49

62

9100

1090

0

132

6728

93

73

qmRM

Anz

ahl

Fläc

heKo

sten

/ WE

Bauh

err:

Stad

t Stu

ttga

rtA

rchi

tekt

en: P

aul S

chm

itthe

nner

, Ern

st S

chw

ader

er

Abb. 8: Grundriss Hallschlag III, Haustyp A-C (unmaßstäblich, gefangener Raum farbig markiert)

HALLSCHLAG III, 1929/30

Lageplan

Grundriss 1. OG

Grundriss 1. OG

Wohneinheiten

3 ZI

4 ZI

112

20

49

62

9100

10900

132 6728 9373

qm RMAnzahl Fläche Kosten/ WE

Bauherr: Stadt StuttgartArchitekten: Paul Schmitthenner, Ernst Schwaderer

Abb. 9: Grundirss Hallschlag III, Haustyp D (unmaßstäblich, gefangener Raum farbig markiert)

12

3.1 Bau-, und Verkehrsverhältnisse

Der Stadtteil Hallschlag liegt auf der Gemarkung des Stadtbezirks Bad Cannstatt und macht ungefähr 1% der Fläche der Gesamtgemeinde Stuttgart aus. Neben der Hallschlagsiedlung, bestehend aus den Bauprojekten Hallschlag I bis III sowie fünf weiteren Bauprojekten, setzt sich der Stadtteil aus dem Altenburgviertel, der Daimlersiedlung, sowie den Wohngebieten an der „Löwentorstraße“ und „Auf der Steig“ zusammen.49

Der Gebäudeanteil des Stadtteils liegt bei ungefähr 70%. Es sind keine Parks oder begrünte städtische Erholungsräume vorhanden.50

Der gesamte Stadtteil ist in den Straßenverkehr Stuttgarts stark integriert. Hervorzuheben ist die Hallschlagstraße, die eine direkte Verbindung der Statteile Bad Cannstatt mit Zuffenhausen sowie Freiberg mit Rot darstellt. Die Lärmentwicklung entlang dieser Straße ist dementsprechend hoch. Der Stadtteil Hallschlag ist im öffentlichen Verkehrsnetz der Stadt Stuttgart mit den Bussen 52, 55 und 56 eingebunden. Die Stadtbahnlinie U 12 fährt seit Herbst 2013 wieder zum Hallschlag.

Das Angebot an öffentlichen Einrichtugnen im Hallschlag wurde in den letzten Jahren stark ausgebaut. Für Kinder

3. Wohnen im Hallschlag heutzutage

49 vgl. Soko, Praktiziert Vernetzung, S. 3 ff.50 vgl. Specht, Feldanalyse Hallschalg, S. 10 f.51 vgl. Zukunft Hallschlag/ Einrichtungen.

und Jugendliche wurden neben dem Kinder- und Jugendhaus zwei Abenteuerspielplätze errichtet. Schulen und Kindertagesstätten sind auf den Baufeldern der Hallschlagsiedlung I bis III nicht zu finden. Sie befinden sich in den benac hbarten Teilgebieten des Stadtteils Bad Cannstatts. Für die Erwachsenenbildung ist die Einrichtung der fahrenden Bücherei der Stadtbücherei Stuttgart sowie zahlreiche Nachbarschaftstreffs zu nennen. Sportbegeisterte können derzeit im Großraum der Siedlung 10 verschiedene Sportvereine finden. Kirchengemeinden beider christlichen Konfessionen grenzen an das Gebiet der Wohnsiedlung unmittelbar an. Im Bereich der Altenversorgung ist die Tätigkeit der AWO Stuttgart zu erwähnen.51

Einkäufe des täglichen Bedarfs sind in der Blocksturktur der Wohnsiedlung nicht vorhanden. Sie können jedoch mit dem Öffentlichen Nahverkehr innerhalb des Stadtbezirks Bad Cannstatt schenll erreicht werden.

13

52 vgl. Soko, Praktizierte Vernetzung, S. 4.53 vgl. Specht, Feldanalyse Hallschlag, S. 14.54 vgl. Soko, Praktizierte Vernetzung, S. 3.

3.2 Besitz- und Bevölkerungsverhältnisse

Im Stadtteil Hallschlag leben ca. 7.250 Einwohner.51

Mit einer Zahl von rund 4.000 52 lebt fast die Hälfte in der Hallschlagsiedlung. Im Hinblick auf die Zielsetzung dieser Arbeit, wird nachfolgend ausschließlich das Teilgebiet der Hallschlagsiedlung näher untersucht. Die Hallschlagsiedlung ist durch einen relativ häufigen Bewohnerwechsel gekennzeichnet. Die Siedlung wird heute überwiegend von ausländischen Arbeitnehmern bewohnt. Hinzu kommt noch ein Obdachlosenquartier am nordwestlichen Ende der Siedlung. Hier wurden rund 200 Einfachstwohnungen mit 30,6 m² Wohnfläche errichtet.53

Rund ein Drittel aller Sozialhilfeempfänger des Stadtbezirks Bad Cannstatt lebt in der Hallschlagsiedlung.54 Die Bevölkerungsdichte ist mit 2,2 Einwohnern pro Wohneinheit sehr hoch.

Die Hallschlagsiedlung ist geprägt von einem anhaltenden Zuzug von Ausländern. Sie mieten sie sich in freiwerdenden Wohnungen ein, die den Deutschen nicht mehr gut genug sind. Die Fluktuationsraten und der Anteil an ausländischen Mitbewohnern sind verhältnismäßig hoch. Der Anteil ausländischer Bürger beträgt 40,7% 55,der städtische Durchschnitt nur 23,8%.56

Getrennt nach der Herkunft können hier sieben ethnische Gruppen gezählt werden. Die Bewohner mit türkischem Pass bilden dabei, gefolgt von den Griechen die größte Gruppe.57 Der Anteil von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ist mit 25,7 % fast ein Drittel höher als der der Gesamtstadt. Der Einwohneranteil von über 65 Jährigen ist dagegen sehr gering.58

Mit ca. 2.000 Wohnungen ist der größte Eigentumsanteil der Stadt Stuttgart zuzurechnen. 298 Wohnungen befinden sich im Eigentum der „Stuttgarter Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH“, 1.000 Wohnungen dem „Bau- und Wohlfahrtsheim“, einer genossenschaftlichen Baugesellschaft.

3.3 Wohnsituation in der Hallschlagsiedlung

Die Bevölkerungsstruktur der Hallschlagsiedlung ist mit 40,7%59 von einem überproportional hohen Ausländeranteil und mit 25,7%60 von einem hohen Anteil an Kinder und Jugendlichen geprägt.

3.3.1 Wohnsituation ausländischer Bürger

Am häufigsten sind es die Kinder ausländischer Arbeiter, die unter den Veränderungen durch einen Wechsel in ein fremdes Land leiden. Sie stehen vor der Wahl entweder bei Verwandten in der Heimat zu verbleiben oder mit ihren Eltern in die Bundesrepublik zu ziehen. In Deutschland angekommen treffen sie meist auf ungeahnte Probleme. Oft müssen beide Elternteile arbeiten und haben wenig Zeit. Auch fehlt es an einer ausreichenden Wohnraumversorgung. Zuletzt wachsen sie in einer Umgebung auf, die sie von den Normen und Werten ihres Herkunftslandes entfremdet.61

Diese Misere trifft auf die meisten ausländischen Familien in der Hallschlagsiedlung zu. Die Ansiedlung von Ausländern konzentriert sich auf die Straßenzüge „Am Römerkastell“, „Auf der Steig“, Düsseldorfer und Dessauer Straße. Die Folgen sind eine starke Isolierung der Einwohner und die Bildung von Ausländergettos.62 Speziell für ausländische Kinder und Jugendliche tritt eine schwindende Kontaktmöglichkeit zu Deutschen hinzu.

62 vgl. Specht, Feldanalyse Hallschlag, S. 21.

59 vgl. Datenkompass Stadtbezirke Stuttgart 2012/2013.

57 vgl. Specht Feldanalyse Hallschlag S. 18.

60 vgl. Ebenda, S. 10. 61 vgl. Specht, Feldanalyse Hallschlag, S. 20.

58 vgl. Ebenda, S. 75.

55 vgl. Datenkompass Stadtbezirke Stuttgart 2012/2013.56 vgl. Gericke, Hallschlag S. 75.

14

Begegnung und Integration finden nicht statt - Vorurteile und Segregation entstehen.

Um solche Tendenzen zu verhindern, wird in der Hallschlagsiedlung bewusst entgegengewirkt. Es werden Begegnungsstätten außerhalb von Schule und Arbeitsplatz geschaffen.63 Einige hier zu nennende Initiativen sind z.B. das sprachlich-soziale Förderprogramm der evangelischen Kirchengemeinde, die Jugendarbeit der Sportvereine, insbesondere des VfR Bad Cannstatt und das städtische Jugendhaus.64

3.3.2 Wohnsituation für Kinder und Jugendliche

Die Wohnsituation für Kinder und Jugendliche in der Hallschlagsiedlung ist oft gekennzeichnet von Arbeitslosigkeit, Einsamkeit, sozialer Isolation und Langeweile. Aus dieser Situation heraus rutschen die Jugendlichen oft in ein kriminelles Milieu ab. Oft werden sie auch Alkohol- oder Drogenabhängig.65 Dabei sind es nicht die Jugendlichen selbst, die die Ursache dieses Problems sind. Es ist zu einem Großteil durch ihren Wohnort bedingt.

Durch die völlige nutzungsbestimmte Planung der Flächen zeichnet sich die gesamte Wohnsiedlung Hallschlag durch eine Kinderfeindlichkeit aus. Die engen, einfachen Wohnungen bilden dabei nur den Anfang. Zwischen den Häuserzeilen und Straßen finden die Kinder selten eine Möglichkeit zum Spielen. Kinderspielplätze sind oft weit von der Wohnung entfernt und werden so nicht oder nur selten aufgesucht. In Ermangelung dieser Möglichkeiten versuchen die Kinder ihren Spieltrieb und ihre Lust auf Abenteuer und Gefahr oft auf illegale Weise zu befriedigen.66

Auch wenn es den Bewohnern der Siedlung anders erscheint, ist die in der Stadtteilstatistik erfasste Jugendkriminalitätsquote seit den 1980er-Jahren im gesamtstädtischen Vergleich anhalten überdurchschnittlich hoch geblieben. Anhand der Zahl der abgeschlossenen Jugendgerichtsverfahren kann man ablesen, dass die Belastung der Hallschlagsiedlung mit Jugendkriminalität 69 vgl. Ebenda, S. 41 ff.

67 vgl. Specht, Feldanalyse Hallschlag, S. 35 und 39.68 vgl. Ebenda, S. 37 f.

65 vgl. Ebenda, S. 28.66 vgl. Ebenda, S. 28 ff.

fast 4 Mal so hoch ist, wie im Stadtteil Botnang und das bei annähernd gleicher Einwohnerzahl.67

Viel häufiger als Einzeltäter sind Gruppentaten anzutreffen. Die Gruppen vermitteln den Jugendlichen oft die Anerkennung und den Status den sie in ihrer Familie nicht erhalten.68

Auch der Alkohol- und Drogenmissbrauch unter Jugendlichen im Hallschlag hat bereits bedenkliche Ausmaße angenommen. Neben Gefährdungen und Problemen durch legale Drogen, wird bereits über den verstärken Valiumgebrauch von Schülern berichtet. Bei den Jugendlichen steht oft das Erleben eines gemeinsamen Rauschgefühls in der Clique, als Alternative zur Situation in Familie, Schule oder Beruf im Mittelpunkt.69

Ein weiteres Problem ausländischer Jugendlicher in der Hallschlagsiedlung ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit. So erhalten nur ca. 50 % aller ausländischen Schulabgänger ein Ausbildungsverhältnis. Ein Drittel findet noch eine Anlerntätigkeit, ein Fünftel bleibt ohne Beschäftigung. Für diese Jugendlichen ist es nicht mehr möglich sich in Beruf und Familie durch Erfolg Anerkennung zu verschaffen.

63 vgl. Specht, Feldanalyse Hallschlag, S. 21.64 vgl. Ebenda, S. 21.

15

Die Hallschlagsiedlung heute – abgestempelt zum Bürger zweiter Klasse?

Der Segen, den der soziale Wohnungsbau während der Weimarer Zeit brachte, ist in der Heutzeit Armut, Arbeitslosigkeit und Kriminalität gewichen. Einerseits bringen die Siedlungen massenhaft Wohnungen zu Niedrigpreisen, jedoch sind die dabei entstehenden soziologischen Probleme über lange Zeit unbeachtet geblieben. Ausländer- und Arbeitslosenviertel sind entstanden, die sich in Stuttgart durch Gewalt, Drogen und Kriminalität schnell zum sozialen Brennpunkt entwickelten und sich von den benachbarten Stadtteilen stark unterscheiden. Die Historikerin Claudia Weinschenk ist jedoch der Auffassung, dass viele Bewohner der umliegenden Viertel ein falsches Bild von der Hallschlagsiedlung im Kopf haben.70

Diese falschen Vorstellungen gehen zurück auf eine seit jeher herrschende Distanzierung und Solidarisierung der Bewohner untereinander. Diese auf Traditionen und Schichtenzughörigkeiten beruhenden Vorurteile trennen seit jeher den Hallschlag entlang der Hallschlagstraße in den guten und den schlechten Hallschlag.

Diese Bild verzerrt jedoch mittlerweile die Wirklichkeit. Der Stadtteil befindet sich im Aufbruch. So hat sich im Römerkastell ein Medizinzentrum entwickelt.71 Der Stadtteil wurde im Rahmen des Bund-Länder-Programmes „Die Soziale Stadt“ aufgenommen und gefördert und erhielt wichtige Impulse.72

Fazit

70 vgl. Baur, Stuttgarter Zeitung online-Ausgabe vom 04.09.2012.71 vgl. Baur, Stuttgarter Zeitung online-Ausgabe vom 04.09.2012.72 vgl. Zukunft Hallschlag, Sanierung Bad Cannstatt 20- Hallschlag- im-Bund-Länder-Programm.

III

Baur , Annina 2012: Der Hallschlag befindet sich im Aufbruch ; http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.heimat-stuttgart-der-hallschlag-befindet-sich-im-aufbruch.b7c319bf-d300-472f-8b5c-31e081e3880c.html ; 01. Mai 2014.

Blumenroth, Ulrich 1975: Deutsche Wohnungspolitik seit der Reichsgründung. Darstellung und kritische Würdigung. In: Ernst, Werner; Thoss, Rainer (Hg.): Beiträge zum Siedlungs- und Wohnungswesen und zur Raumplanung. (Band 25). Münster: Zentralinstitut für Raumplanung. S. 159ff.

Freytag, Antonia 2000: Politische Intention und städtebauliche Entwicklung. Städtische Wohnungspolitik in der Weimarer Republik 1918-1933 dargestellt an den Beispielen Berlin, Frankfurt am Main und Köln. Seminararbeit am Kunsthistorischen, Universität Bonn.

Landeshauptstadt Stuttgart 2012: Datenkompass Stadtbezirke Stuttgart 2012/2013. Statistik undInformationsmanagement. Stuttgart: Ohne Verlag.

Gericke, Frank 2002: Hallschlag. Stuttgart- Bad- Cannstatt. In: Simon, Christina; Hafner Thomas (Hg.): Wohnorte. 50 Wohnquartiere in Stuttgart von 1890 bis 2002. Stuttgart: Karls Krämer Verlag. S. 72-75.

Gericke, Frank 1997: Die Stadt als Bauherr. Stuttgarter Wohungsbau der 20er Jahre. Dissertation an der Fakultät Architektur und Stadtplanung, Universität Stuttgart.

Internet: Zukunft Hallschlag. Ämter, Einrichtungen und Vereine http://www.zukunft-hallschlag.de/einrichtungen. 12. Mai 2014.

Kähler, Gerd: Nicht nur Neues Bauen!. Stadtbau, Wohnung, Architektur. In: Kähler, Gerd (Hg.): Geschichte des Wohnens. 1918-1945 Reform- Reaktion- Zerstörung (Band 4). Stuttgart: Deutsche Verlags- Anstalt. S. 305ff.

Schulz, Günther: Wohnungspolitik in Deutschland und England 1900-1939. Generelle Linien und ausgewählte Beispiele. In: Zimmermann, Clemens (Hg.): Europäische Wohnungspolitik in vergleichender Perspektive 1900-1939. Stuttgart: Fraunhofer IRB Verlag. S. 153ff.

Sozialpädagogische Kooperative Hallschlag e.V. 1995: Die SOKO - Praktizierte Vernetzung: Vom Planungsopfer zum Planungstäter. Menschen in Einrichtungen, Vereinen, Kirchen, Gruppen und Initiativen erkennen, planen und gestalten gemeinsam ihren Stadtteil. Stuttgart: SOKO.

Specht, Walter 1980: Feldanalyse Hallschlag zur Vorbereitung eines Jugendberatungs- Projektes. Stuttgart: Ges. für Mobile Jugendarbeit.

literaturverzeichnis