Handbuch - BMFSFJ

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Handbuch für eine kultursensible Altenpflegeausbildung. Modul III: Kultursensible Kommunikation/Beratung

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Handbuch für eine kultursensible Altenpflegeausbildung.

Modul III: Kultursensible Kommunikation/Beratung

Herausgeber:

Bundesministerium

für Familie, Senioren, Frauen

und Jugend

11018 Berlin

www.bmfsfj.de

Projektbearbeitung:

Evangelische Fachhochschule Hannover

Blumhardtstraße 2

30625 Hannover

Internet: www.efh-hannover.de

Projektleitung:

Prof. Dr. Barbara Hellige

Projektmitarbeit:

Dorothee Michaelis (Dipl.-Päd.)

Gestaltung:

Evangelische Fachhochschule Hannover

Evaluation:

Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung GmbH

an der Universität Hannover

Lister Straße 15

30163 Hannover

Internet: www.ies.uni-hannover.de

Projektbearbeitung:

Beate Seusing (Magister Artium)

Stand:

Dezember 2005

Das Forschungsprojekt wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert.

Das Handbuch ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung; es wird kostenlos abgegeben und ist

nicht zum Verkauf bestimmt.

Hinweise zum Aufbau des Handbuches Zur Arbeitserleichterung ist das Handbuch in vier PDF-Dateien und zwei MP3-Dateien er-stellt worden.

PDF 1 Einführung in das Handbuch PDF 2 Modul I PDF 3 Modul II PDF 4 Modul III MP3 1 Hörspiel 1 (13,6 Mbyte) MP3 2 Hörspiel 2 (10,5 Mbyte)

Diese können einzeln herunter geladen werden. Zum Anhören der Hörspiele benötigen Sie ein entsprechendes Audioprogramm. Hörspiel 1 ist für Modul II, Lernsequenz 6 vorgesehen, Hörspiel 2 für Modul III, Lernsequenz 5. In der PDF 1 „Einführung in das Handbuch“ finden Sie

o Benutzerhinweise für das Handbuch o eine Beschreibung des Modellprojektes o Ausführungen zu den Ausbildungsrahmenbedingungen o eine Annäherung an den Begriff „Kultursensible Altenpflege“ o Hinweise zum methodisch-didaktischen Aufbau o eine Skizzierung des Projektverlaufs o und die Ergebnisse der Evaluation

Zum besseren Verständnis und zum effektiven Arbeiten empfiehlt es sich, diese Hintergrund-informationen zu lesen.

Modul III

Kultursensible Kommunikation und Beratung

Kompaktübersicht Modul III Übersicht: Modul III: Kultursensible Kommunikation und Beratung ..................................... I Didaktischer Kommentar ........................................................................................................... 1 Legende für die Piktogramme .................................................................................................... 3 Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation ................................................................ 5

III.LE 1.LS 1 Nonverbale Kommunikation ..................................................................... 5 III.LE 1.LS 2 Kommunikation bei Sprachbarrieren ...................................................... 12 III.LE 1.LS 3 Verständigungshilfen bei Sprachbarrieren .............................................. 15 III.LE 1.LS 4 Dolmetschdienste .................................................................................... 23

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung.......................................................................... 35 III.LE 2.LS 5 Beratungsbedarf ermitteln ....................................................................... 35 III.LE 2.LS 6 Beratungsgespräche durchführen ............................................................ 79 III.LE 2.LS 7 Beratungsangebote für Migranten und Migrantinnen sowie

Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen.................................................. 97 III.LE 2.LS 8 Umgang mit schwierigen Beratungssituationen.................................... 100

Modul III Kultursensible Kommunikation und Beratung I

Übersicht: Modul III: Kultursensible Kommunikation und Beratung Gesamtzeit: 27 Stunden Zielsetzung: Übergreifende Zielsetzung dieses Moduls ist, dass die Auszubildenden – aufbauend auf den bisher erworbenen Kenntnissen zur kultur-sensiblen Pflegeprozessgestaltung – ihre sozial-kommunikativen und methodischen Kompetenzen erweitern. Sie sollen die Bedeutung der Kommuni-kation zur Gestaltung des Pflegeprozesses kennen lernen und ihre Handlungskompetenz erweitern, indem sie erste methodische Ansätze einer kultur-sensiblen Pflegeberatung kennen lernen und erproben. LE 1 Kultursensible Kommunikation Zielsetzung Methode Sozialform Medien Zeit LS 1 Nonverbale Kommunikation Erfahren, dass nonverbale Kommuni-kation interpretiert werden muss und zu Missverständnissen führen kann

Szenisches Spiel

Kleingruppe und Gesamt-gruppe

Leitfaden Material 1 Alternative: Material 2 Arbeitsblatt 1 + 2

90 Min.

LS 2 Kommunikation bei Sprachbarrieren Erfahren, wie sich Sprachbarrieren in Pflegesituationen auf die Beziehungsges-taltung auswirken können.

Rollenspiel Feedback

Kleingruppe und Gesamt-gruppe

Leitfaden Material 1

90 Min.

LS 3 Verständigungshilfen bei Sprachbarrieren Erstellen von unterschiedlichen Hilfsmit-teln zur Überwindung von Sprachbarrie-ren

Piktogramme/ zweisprachige Wort-/Satzteile für Alten-pflege erstellen

Kleingruppe und Gesamt-gruppe

Leitfaden Material 1 Folie 1 + 2 Arbeitsblatt 1 Medien 1

225 Min.

LS 4 Dolmetschdienste Möglichkeiten und Voraussetzungen des Dolmetschens kennen lernen, Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Dol-metschdienste unterscheiden

Lehrgespräch Gesamtgruppe Leitfaden Material 1 + 2 Medien 1

90 Min.

495 Min.

Modul III Kultursensible Kommunikation und Beratung II

LE 2 Kultursensible Beratung Zielsetzung Methode Sozialform Medien Zeit LS 5 Beratungsbedarf ermitteln Vertiefung des individuellen kultursensib-len Fallverständnisses durch Erarbeitung von pflegerelevanten Beratungsaspekten mit Hilfe des modifizierten Beratungsmo-dells nach Sander

Gruppenarbeit Präsentation und Reflexion

Kleingruppe Gesamtgruppe

Leitfaden Material 1 Material 2 Folie 1 + 2 TU 1 + 2 Material 3 Arbeitsblatt 1 + 2 TU 3 Hörspiel 2 TU 4 Material 4 Medien 1

360 Min.

LS 6 Beratungsgespräche durchführen Erprobung der Beratungskompetenz im simulierten Beratungsgespräch

Einführung durch Lehrkraft Rollenspiel Feedback

Gesamtgruppe Kleingruppe Gesamtgruppe

Leitfaden Material 1 Arbeitsblatt 1 – 4 TU 1 - 2 Material 2 Medien 1

135 Min.

LS 7 Beratungsangebote für Migranten und Migrantinnen sowie Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen Kennen lernen von kulturspezifischen Beratungsangeboten, Sensibilisierung für kulturspezifische Beratungsfelder und für berufs- und institutionsübergreifende Kooperation im Sinne einer kultursensib-len Altenpflege

Gespräch mit Experten, die eingeladen werden

Gesamtgruppe Leitfaden

45 Min. + jeweils 90 Min. Zeitlich verteilt

LS 8 Umgang mit schwierigen Beratungssituationen Vertiefung der Sensibilisierung für pflege-relevante Beratungsprobleme

Gespräch mit Experten, z.B. ambulanter transkultureller Pflegedienst, Überleitungspflege

Gesamtgruppe Leitfaden 90 Min.

1215 Min. (= 27 Std.)

LS 7 und 8 Die Experten müssen vorher eingeladen werden. Wie viele Experten und von welcher Beratungsinstitution entscheiden die Schulen. LS 8 ist daher nicht als letzte Lernse-quenz zu verstehen. Die Expertengespräche sollten im Laufe der gesamten Lerneinheit eingebunden und entsprechend vorbereitet werden.

Modul III Kultursensible Kommunikation und Be1ratung 1

1

Didaktischer Kommentar Übergreifende Zielsetzung dieses Moduls ist, dass die Auszubil-denden – aufbauend auf den bisher erworbenen Kenntnissen zur kultursensiblen Pflegeprozessgestaltung – ihre sozial-kommunika-tiven und methodischen Kompetenzen erweitern. Sie sollen die Bedeutung der Kommunikation zur Gestaltung des Pflegeprozesses kennen lernen und ihre Handlungskompetenz erweitern, indem sie methodische Ansätze einer kultursensiblen Pflegeberatung kennen lernen und erproben. Das Modul enthält zwei aufeinander aufbauende Lerneinheiten. Die erste Lerneinheit dient der Einführung in die kultursensible Kom-munikation. Hier setzen sich die Schüler und Schülerinnen mit nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten auseinander. In der zweiten Lerneinheit sollen sie anhand eines exemplarischen Falles pflegerelevante Beratungsfelder analysieren und Ansätze einer kul-tursensiblen Pflegeberatung kennen lernen. Die erste Lerneinheit beginnt mit einer spielerischen Übung. Im Rahmen des szenischen Spiels sollen sich die Auszubildenden mit der Bedeutung der nonverbalen Kommunikation auseinander set-zen. Sie sollen erfahren, dass mögliche Sprachbarrieren zu Kom-munikationsproblemen führen können und damit die nonverbale Kommunikation, d.h. körperlich-emotionale Ausdrucksformen an Bedeutung gewinnen. Transkulturelle Variationen in der nonverba-len Kommunikation können dann zum Problem werden, wenn sie von den eigenen Normen oder Gewohnheiten abweichen. Sie wer-den durch eigene Vorurteile gefiltert und können somit zu Missver-ständnissen führen. Die Auszubildenden können nachvollziehen, dass nonverbale Gegebenheiten oft unbewusst und unreflektiert bleiben und die Wirkung von Gestik und Mimik willentlich nur begrenzt zu beeinflussen ist. Anschließend setzen sich die Auszu-bildenden vertiefend mit Kommunikationsproblemen auseinander, die durch Sprachbarrieren im Pflegealltag entstehen und entwickeln selbstständig Lösungsansätze zu deren Überwindung. Abschließend sollen sie Möglichkeiten und Voraussetzungen von Laiendolmetschern und -dolmetscherinnen sowie professionellen Dolmetschern und Dolmetscherinnen kennen lernen sowie deren Vor- und Nachteile unterscheiden, so dass sie in der Lage sind, bei notwendigen Übersetzungen in der Praxis eine geeignete Überset-zungshilfe zu auszuwählen. In der zweiten Lerneinheit sollen die Auszubildenden ihr indivi-duelles Fallverständnis weiterentwickeln, indem sie auf der Basis eines Interviews den fallspezifischen Beratungsbedarf herausarbei-ten. Durch die Nutzung eines Beratungsansatzes, der Themenfelder kultursensibler Beratung skizziert, soll das Verständnis für Bera-tungsfelder der Altenpflege erweitert werden. Grenzen pflegeri-

Modul III Kultursensible Kommunikation und Be2ratung 2

2

scher Beratungskompetenz können verdeutlicht und ein Bewusst-sein für die Notwendigkeit der multidisziplinären Kooperation mit Experten und Expertinnen in komplexen Pflegesituationen geschaf-fen werden. Ihre bisher erworbene methodische Kompetenz und auch ihre sozi-al-kommunikative Kompetenz können sie in einem simulierten Beratungsgespräch erproben und reflektieren. Abschließend sollen sie Gelegenheit haben, Beratungsexperten und -expertinnen zu migrationsspezifischen Beratungsfeldern und -problemen zu befragen. Ziel ist es, die Schüler und Schülerinnen für die Notwendigkeit der multiprofessionellen Kooperation zur Realisierung einer kultursensiblen Altenpflege zu sensibilisieren.

Modul III Kultursensible Kommunikation und Beratung 3

1

Legende für die Piktogramme

Lehrvortrag

Folie

Lehrgespräch und Plenum

Film und Video

Flipchart

Pinwand

TN-Unterlagen, Arbeitsblätter, Malblätter

Einzelarbeit

Gruppenarbeit und Gruppenkreis

Partnerarbeit Quelle: HVBG und BAuA Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund

Modul III Kultursensible Kommunikation und Beratung 4

2

Hörspiel

Geschichten, Erzählungen Zeitumfang: ¼ Stunde Zeitumfang: ½ Stunde Zeitumfang: ¾ Stunde

Leitfaden Orientierung für die Lehrkraft (gesamte Lernsequenz)

Lernerfolgsüberprüfung Vorschläge für eine Lernerfolgsüberprüfung

Materialien Orientierung für die Lehrkraft (einzelne Lernsequenzen) sowie Hintergrundinformationen

Folien Hilfsmaterial für Kurzvorträge der Lehrkraft

Teilnehmerunterlagen Hintergrundinformationen für Arbeitsaufträge (Auszubildende)

Arbeitsblatt Arbeitsaufträge für die Auszubildenden

Praxisanleiterinfo Orientierung für die Praxisanleitung

Medien Zitierte und weiterführende Literatur

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 5

1

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation III.LE 1.LS 1 Nonverbale Kommunikation

Leitfaden

Material 1

Material 2

Arbeitsblatt 1

Arbeitsblatt 2

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 6

1

III.LE 1.LS 1 Leitfaden Thema: Nonverbale Kommunikation Szenisches Spiel Sozialform Medien Zeit:

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen erfahren, dass nonverbale Kommunikation interpretiert werden muss, dass diese Interpretation sehr unterschiedlich ausfallen und zu Missverständnissen füh-ren kann. Methodisches Vorgehen: Schritt 1: In Kleingruppen werden Szenen vorbereitet, die ungewöhnliche Verhaltensweisen beinhalten. Diese Szenen werden der Gesamtgruppe vorgestellt (III.LE 1.LS 1 Material 1). Abschließend soll in der Gesamtgruppe ausgewertet werden, welche Gefühle und Gedanken die einzelnen Verhaltensweisen ausgelöst haben. Ggf. Schritt 2: Die einzelnen Gruppen denken sich je zwei kleine Szenen zu bestimmten kulturellen Verhal-tensweisen aus und spielen diese nacheinander vor. Bei multikultureller Zusammensetzung der Klasse wäre eine entsprechende kulturelle Zusammensetzung der Gruppen sinnvoll. Aus-wertung wie vorher. Alternative: Die Kleingruppen simulieren einen Erstkontakt zwischen Geschäftspartnern und -partnerinnen mit jeweilig unterschiedlichen Verhaltensmustern (III.LE 1.LS 1 Material 2 und III.LE 1.LS 1 Arbeitsblatt 1 und 2). Abschließende Auswertung in der Gesamtgruppe.

Es empfiehlt sich, die Klassen für die Übungen zum Thema Kommunikation zu halbieren, da so eine intensivere Arbeit möglich ist.

Verortung in der AltPflAPrV, Anlage1:

1.4 Anleiten, beraten und Gesprächeführen

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 7

1

III.LE 1.LS 1 Material 1 Thema: Nonverbale Kommunikation Szenisches Spiel Sozialform Medien Zeit:

Methodisches Vorgehen: Schritt 1: Es werden Kleingruppen gebildet. Diese Gruppen ziehen je zwei Karten, auf denen kleine Szenen mit ungewöhnlichen Verhaltensweisen beschrieben sind. Sie spielen diese Szenen nacheinander vor, z.B.:

Alle sitzen in der Straßenbahn. Eine Person kommt hinzu und zieht sich die Schuhe aus.

Einzelne Personen der Gruppe setzen sich sehr dicht vor einige Personen der Zuschau-ergruppe und lächeln sie an.

Alle sitzen in einem Warteraum (Arzt, Arbeitsamt o. Ä.). Eine Person kommt hinzu, legt sich quer auf drei leere Stühle und macht es sich bequem.

Alle stehen in der Warteschlange. Eine Person schert plötzlich aus und stellt sich zwei Personen weiter hinten an.

Alternative: Die Gruppen denken sich selbst ungewöhnliche Verhaltensweisen aus und spielen diese vor. Abschließend soll eine Auswertung in der Gesamtgruppe stattfinden unter der Fragestellung:

Welche Gefühle und Gedanken haben die einzelnen Verhaltensweisen ausgelöst?

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen erfah-ren, dass nonverbal Kommunika-tion interpretiert werden muss und zu Missverständnissen führen kann.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 8

2

Ggf. Schritt 2: Die einzelnen Gruppen denken sich je zwei kleine Szenen zu bestimmten kulturellen Verhal-tensweisen aus und spielen diese nacheinander vor. Bei multikultureller Zusammensetzung der Klasse wäre eine entsprechende kulturelle Zusammensetzung der Gruppen sinnvoll. Auswertung wie vorher.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 9

1

III.LE 1.LS 1 Material 2 Alternative Thema: Nonverbale Kommunikation Rollenspiel Sozialform Medien Zeit:

Methodisches Vorgehen: In diesem Rollenspiel sollen Kleingruppen einen Erstkontakt zwischen Geschäftspartnern und Geschäftspartnerinnen mit jeweilig unterschiedlichen Verhaltensmustern simulieren. Auf-grund der Klassengröße empfiehlt es sich, zwei Durchgänge zu spielen und entsprechend vier Kleingruppen zu bilden. Diese Gruppen bekommen jeweils ein Arbeitsblatt (III.LE1.LS 1 Arbeitsblatt 1 bzw. 2 Alternative), auf dem bestimmte typische Verhaltensmuster (Savasten und Navanier) beschrieben sind. Die Savasten und Navanier bereiten sich unabhängig vonein-ander vor, treffen dann jeweils aufeinander und spielen die Situation eines Erstkontaktes durch. Die zuschauenden Gruppen können sich stichwortartige Notizen für die Auswertung machen. Nach Beendigung der beiden Simulationen soll eine Auswertung in der Gesamtgruppe statt-finden unter der Fragestellung:

Welche Gefühle und Gedanken haben die einzelnen Verhaltensweisen ausgelöst?

Diese Methode haben wir mit freundlicher Genehmigung der AWO Westl. Westfalen, Dort-mund, der CD „Pflege ist Pflege – oder vielleicht doch nicht?“ entnommen. Eine CD mit Lehr- und Lehrmaterialien, zu bestellen bei: AWO Bezirk Westl. Westfalen e.V. Abt. III, Reinhard Streibel Kronenstraße 63 – 69 44139 Dortmund Tel.: 0231/5483-2-55 Mail: [email protected]

Zielsetzung: Im Rollenspiel sollen die Auszu-bildenden erfahren, wie sich un-terschiedliche kulturelle Verhal-tensmuster auf die Beziehungsge-staltung auswirken können.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 10

1

III.LE 1.LS 1 Arbeitsblatt 1 Alternative Thema: Nonverbale Kommunikation Zeit:

Arbeitsauftrag für Navanier Bereiten Sie sich für folgendes Rollenspiel vor: Es ist 5 Uhr nachmittags. Sie erwarten die Verhandlungspartner und -parterinnen aus Savas-ten auf dem Flughafen, die nach einem fünfstündigen Flug in Navanien ankommen. Am nächsten Tag soll eine wichtige Verhandlung mit ihnen geführt werden. Nach einer herzlichen Begrüßung ist es Ihnen zunächst wichtig, Ihre Verhandlungspartner und -partnerinnen kennen zu lernen. Deshalb möchten Sie sie heute Abend zu einem kulturellen und geselligen Abend einladen, um so auch Ihre Gastfreundschaft zu zeigen. Typische Verhaltensmuster:

Zu Ihrer sehr freundlichen Natur gehört naher Körperkontakt.

Trotz der geringen räumlichen Distanz reden Sie gern laut und gestikulierend.

Sie fallen sich oft gegenseitig ins Wort.

Während eines Gespräches nehmen Sie Ihr Gegenüber gern in den Arm.

Eine persönliche Beziehung ist für Sie Voraussetzung für gute Geschäftsbeziehungen.

Private Themen fließen deshalb in die Geschäftsgespräche mit ein.

Freundliche Angebote werden selten direkt abgeschlagen.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 11

1

III.LE 1.LS 1 Arbeitsblatt 2 Alternative Thema: Nonverbale Kommunikation Zeit:

Arbeitsauftrag für Savasten Bereiten Sie sich für folgendes Rollenspiel vor: Es ist 5 Uhr nachmittags. Nach einem fünfstündigen Flug kommen Sie in Navanien-City an. Sie wollen sich mit Vertretern und Vertreterinnen eines Unternehmens der Navanen-Kultur treffen, um am nächsten Tag eine wichtige Verhandlung mit ihnen zu führen. Soeben haben Sie für die Verhandlung entscheidende Anweisungen von Ihrem Chef erhalten. Diese müssen unbedingt am nächsten Tag mit einfließen. Da deren Aufarbeitung voraussichtlich sehr zeit-aufwändig werden wird, möchten Sie sich den Rest des Tages nach der Begrüßung mit den Navianern mit der Vorbereitung der morgigen Verhandlung beschäftigen. Typische Verhaltensmuster:

In Ihrer Kultur ist es üblich, sich höflich aber distanziert zu verhalten.

Es ist Ihnen wichtig, körperlichen Kontakt zu vermeiden, da er Ihnen unangenehm ist. Sie werten Berührungen von Fremden als aufdringlich.

Private Themen werden von Ihnen in der Öffentlichkeit eher vermieden. Das gebietet Ihnen Ihr Anstand.

Sie sind sehr fakten- und zielorientiert.

Sie werten lange Redepausen als höflich.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 12

1

III.LE 1.LS 2 Kommunikation bei Sprachbarrieren

Leitfaden

Material 1

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 13

1

III.LE 1.LS 2 Leitfaden Thema: Kommunikation bei Sprachbarrieren Rollenspiel Sozialform Medien Zeit:

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen erfahren, wie sich Sprachbarrieren in Pflegesituationen auf die Beziehungsgestaltung auswirken können. Methodisches Vorgehen: In Kleingruppen sollen sich die Auszubildenden je eine kurze Szene überlegen, in der eine Altenpflegeperson sich mit einer pflegebedürftigen Person aus einem anderen Land verstän-digen muss. Sie sprechen keine gemeinsame Sprache. Nachdem die Gruppen sich die Szenen gegenseitig vorgestellt haben, findet eine gemeinsame Reflexion statt (III.LE 1.LS 2 Material 1).

Es empfiehlt sich, die Klassen für die Übungen zum Thema Kommuni-kation zu halbieren, da so eine intensivere Arbeit möglich ist.

Verortung in der AltPflAPrV, Anlage 1:

1.4 Anleiten, beraten und Gespräche führen

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 14

1

III.LE 1.LS 2 Material 1 Thema: Kommunikation bei Sprachbarrieren Rollenspiel Sozialform Medien Zeit:

Methodisches Vorgehen: Es werden Kleingruppen gebildet. Die Gruppen werden gebeten, sich je eine kurze Szene aus-zudenken, in der eine Altenpflegeperson sich mit einer pflegebedürftigen Person aus einem anderen Land verständigen muss. Sie sprechen keine gemeinsame Sprache. Wenn fremdsprachige Auszubildende in der Klasse sind, könnten diese in ihrer jeweiligen Muttersprache sprechen. Dies sollte jedoch freiwillig geschehen und sensibel gehandhabt werden. Die Evaluation hat ergeben, dass Auszubildende, die neben Deutsch eine weitere Sprache beherrschen, sich weigerten, im Rollenspiel in dieser Sprache zu kommunizieren. Die Gruppen stellen die kurzen Szenen nacheinander dar. Anschließend wird gemeinsam re-flektiert:

Welche Schwierigkeiten entstanden dadurch, dass eine sprachliche Verständigung nicht möglich war?

Welche Gefühle hat diese Sprachbarriere bei den „Rollenspielern“ ausgelöst?

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen erfah-ren, wie sich Sprachbarrieren in Pflegesituationen auf die Bezie-hungsgestaltung auswirken kön-nen.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 15

1

III.LE 1.LS 3 Verständigungshilfen bei Sprachbarrieren

Leitfaden

Material 1

Folie 1

Folie 2

Arbeitsblatt 1

Medien 1

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 16

1

III.LE 1.LS 3 Leitfaden Thema: Verständigungshilfen bei Sprachbarrieren Gruppenarbeit Sozialform Medien Zeit:

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen unterschiedliche Kommunikationshilfsmittel für vorgegebene Pflegesituationen herstellen, die sie bei ihrer Arbeit mit Pflegebedürftigen einsetzen können, wenn eine sprachliche Verständigung nicht möglich ist. Methodisches Vorgehen: Zunächst wird den Auszubildenden anhand von Beispielen erklärt, was ein Piktogramm ist (III.LE 1.LS 3. Material 1 und III.LE 1.LS 3 Folie 1 und 2). Bei dieser Gelegenheit können dann Kriterien für aussagekräftige, verständliche Piktogramm diskutiert werden. Die Auszubildenden stellen in Kleingruppen Piktogramme sowie zweisprachige Wort-/Satzteile) her, stellen sich diese anschließend gegenseitig vor und tauschen sie untereinander aus (III.LE 1.LS 3 Arbeitsblatt 1). Abschließende Diskussion über Anwendungsmöglichkeiten der Hilfsmittel (III.LE 1.LS 3 Material 1).

Verortung in der AltPflAPrV, Anlage 1:

1.4 Anleiten, beraten und Gesprächeführen

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 17

1

III.LE 1.LS 3 Material 1 Thema: Verständigungshilfen bei Sprachbarrieren Gruppenarbeit Sozialform Medien Zeit:

Methodisches Vorgehen: Schritt 1: Die Auszubildenden wird erklärt, was ein Piktogramm ist. Anschließend werden ihnen ein paar Beispiele präsentiert (III.LE 1.LS 3 Folie 1). Kriterien für aussagekräftige, verständliche Piktogramme werden diskutiert. (III.LE 1.LS 3 Folie 2)

Ein Piktogramm ist ein Bildsymbol, das eine Information durch vereinfachte grafische Darstellung vermittelt und somit der schnellen nonverbalen Orientierung dient. Am vertrau-testen sind uns die Piktogramme z.B. für WC, aber auch die Sport-Piktogramme, die für die Olympischen Spiele entwickelt wurden. Piktogramme können schnell verstanden werden, ohne dass jemand lesen oder eine bestimmte Sprache verstehen muss. Zeit:

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen unterschiedliche Kommunikationhilfsmittel herstellen und erproben, die sie bei ihrer Arbeit mit Pflege-bedürftigen einsetzen können, wenn eine sprachliche Verständigung nicht möglich ist.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 18

2

Schritt 2: Es werden Kleingruppen gebildet. Die Lehrkräfte geben den Schülern und Schülerinnen kurze Pflegesituationen vor. Hierfür sollen die Gruppenteilnehmer und -teilnehmerinnen Pikto-gramme sowie zweisprachige Wort-/Satzteile erstellen (III.LE 1.LS 3 Arbeitsblatt 1). Hierzu werden die Kleingruppen so gebildet, dass bei den Auszubildenden vorhandene sprachliche Kenntnisse genutzt werden können. Die Arbeitsergebnisse werden im Plenum vorgestellt und können anschließend untereinander ausgetauscht werden. Die Lehrkräfte sollten entsprechende Materialien zur Erstellung der Piktogramme zur Verfü-gung stellen (Pappe, Schere, Stifte, Kleber, Zeitschriften, Photos). Zeit: Schritt 3: Feedback, in dem besprochen werden kann:

Was thematisieren die Auszubildenden mit ihren Hilfsmitteln (Beziehungsar-beit, Wohlbefindensarbeit, körperbezogene, technische Tätigkeiten)?

Kritische Diskussion der Grenzen von Hilfsmitteln. Für welche Themenfel-

der/Pflegesituationen können die Hilfsmittel sinnvoll eingesetzt werden, wofür eignen sie sich nicht?

Zeit:

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 19

1

III.LE 1. LS 3 Folie 1

Quelle: www.lexikon.com/Piktogramm.html

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 20

1

III.LE 1. LS 3 Folie 2 Welche Sportarten stellen diese Piktogramme dar?

Quelle: www.nok.de/projekt/faecher/kunst/corporate/pikto1.html

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 21

1

III.LE 1.LS 3 Arbeitsblatt 1 Thema: Bildliche Verständigungshilfen bei Sprachbarrieren Zeit:

Arbeitsauftrag: Erstellen Sie zu der Ihnen vorgegebenen Pflegesituation bildliche Verständigungshilfen (Pik-togramme) sowie zweisprachige Wort-/Satzteile, die Sie in Ihrer Arbeit einsetzen können, wenn Sie mit Personen zu tun haben, mit denen Sie sich sprachlich nicht verständigen kön-nen.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 22

1

III.LE 1.LS 3 Medien 1 Thema: Verständigungshilfen bei Sprachbarrieren

Altunbas, A. (2004): Türkisch im Patientengespräch. Köln Aydin, Ö.; Ucar, E. (2001): Türkce-Almanca. Istanbul Deutsche ILCO e.V. (Hrsg.) (2003): Stoma-Wörterbuch (in 11 europäischen Sprachen) – 103 Wörter, die alle mit Ausscheidung und speziell mit künstlichem Darm- und Blasenaus-gang zu tun haben.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 23

1

III.LE 1.LS 4 Dolmetschdienste

Leitfaden

Material 1

Material 2

Medien 1

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 24

1

III.LE 1.LS 4 Leitfaden Thema: Dolmetschdienste Lehrgespräch Sozialform Medien Zeit

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen verschiedene Möglichkeiten und Voraussetzungen von Dol-metschdiensten kennen lernen sowie deren Vor- und Nachteile unterscheiden, so dass sie bei notwendigen Übersetzungen in der Praxis eine geeignete Übersetzungshilfe in Anspruch nehmen. Methodisches Vorgehen: Anhand eines Impulsbeispiels diskutiert die Lehrkraft mit den Auszubildenden die verschie-denen Möglichkeiten und Voraussetzungen von Dolmetschdiensten (III.LE 1.LS 4 Material 1 und 2). Anschließend werden die Vor- und Nachteile diskutiert und am Flipchart festgehalten.

Verortung in der AltPflAPrV, Anlage 1:

1.4 Anleiten, beraten und Gesprächeführen

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 25

1

III.LE 1.LS 4 Material 1 Thema: Dolmetschdienste Lehrgespräch Sozialform Medien Zeit

Methodisches Vorgehen: Anhand des folgenden Impulsbeispiels diskutiert die Lehrkraft mit den Auszubildenden die verschiedenen Möglichkeiten und Voraussetzungen von Dolmetschdiensten. Anschließend werden die Vor- und Nachteile diskutiert und am Flipchart festgehalten. Die weiterführenden Hintergrundinformationen (III.LE 1.LS 4 Material 2) werden von der Lehrkraft eingeflochten. Impulsbeispiel: Die Auszubildende Martina begleitet ihre Ausbilderin Frau Schmidt zu einem Erstbesuch bei der Familie Bardhili. Die Familie kommt aus Albanien und lebt seit drei Jahren in Deutsch-land. Herr Bardhili ist 65 Jahre alt und hat die Pflegestufe II beantragt. Seine Frau will ihn mit Hilfe des ambulanten Pflegedienstes pflegen. Das Ehepaar Bardhili spricht nur gebrochen Deutsch, daher ist die Tochter anwesend, um zu übersetzen. Zunächst klappt das ganz gut, doch als es um Fragen zur Inkontinenz von Herrn Bardhili geht, merkt Martina, dass das Ge-spräch schwierig wird. Nach Beendigung des Besuches spricht sie ihre Ausbilderin darauf an. Diese antwortet: „Ja, ich fürchte, dass die Tochter auch nicht alles übersetzt hat. Für mich sind noch wichtige Fragen offen geblieben.“ Wenn Migranten und Migrantinnen in der Klasse sind, so können diese von ihren eigenen Erfahrungen berichten, sofern sie in ihren Einrichtungen oder auch zu Hause als Dolmetscher und Dolmetscherinnen beansprucht werden bzw. wurden.

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen verschiedene Möglichkeiten und Voraussetzungen von Dolmetschdiensten kennen lernen sowie deren Vor- und Nachteile unterscheiden, so dass sie bei notwendigen Übersetzun-gen in der Praxis eine geeignete Überset-zungshilfe in Anspruch nehmen.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 26

2

Eine weitere Möglichkeit wäre es, Experten bzw. Expertinnen von Dolmetschdiensten einzuladen. Wenn Experten bzw. Expertinnen von professionellen Dol-metschdiensten eingeladen werden, sollte darauf geachtet werden, dass diese einen pflege-fachlichen Hintergrund haben. Bei der Frage der Bezahlung für den Besuch könnte darauf aufmerksam gemacht werden, dass dies gleichzeitig Öffentlichkeitsarbeit für die Dolmet-scher/-Dolmetscherinnen ist. Es gibt in vielen Krankenhäusern Ärzte und Ärztinnen sowie Krankenpfleger und Kranken-schwestern, die sich als ehrenamtliche Dolmetscher und Dolmetscherinnen zur Verfügung stellen. Weitere Adressen für ehrenamtlich arbeitende Dolmetschern und Dometscherinnen sind die Altenhilfe, die Innere Mission sowie Gemeinden der Migranten und Migrantinnen.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 27

1

III.LE 1.LS 4 Material 2 Hintergrundtext: Der Einsatz von Dolmetschern und Dolmetscherinnen bei Sprachschwierigkeiten

Eines der Probleme im Umgang mit Pflegebedürftigen aus anderen Herkunftsländern ist die Sprachbarriere. Pflegebedürftige, die ge-ringe oder gar keine deutschen Sprachkenntnisse haben, können sich nur schwer verständlich machen und sind darauf angewiesen, dass die Pflegekraft ihre Sprache spricht oder Angehörige bzw. professionelle Dolmetscher und Dolmetscherinnen für sie überset-zen.

Direkte Kommunikation: Für Pflegebedürftige und Pflegepersonen kann es belastend sein, wenn sie sich nicht ausreichend sprachlich verständigen können. Wichtige Voraussetzungen für den Aufbau eines vertrauensvollen Kontaktes, d.h.

o Zuspruch und Anteilnahme und o das vertrauliche Gespräch,

sind unter diesen Umständen nur eingeschränkt möglich. Durch diese eingeschränkte Kommunikation kann sich ein ganzheitliches Verständnis der pflegebedürftigen Person nicht entwickeln. Emoti-onen können nicht verbal mitgeteilt werden. In solchen Situationen fühlen sich Pflegekräfte oft verunsichert und versuchen, eine Art „Basiskommunikation“ herzustellen, die sich dann oft auf die Grundbedürfnisse beschränkt (vgl. Engel/Bauer/Lutz/Krauthoff 2001, S. 6). An dieser Stelle könnte es wichtig werden, dass Pfle-gekräfte ihre Fähigkeiten zur nonverbalen Kommunikation sensibi-lisieren und bewusst einsetzen. Wichtig wird dann, dass sie trotz-dem sprechen. Die Melodie, mit der sie etwas sagen, begleitet von entsprechenden Berührungen und Gesten, tritt dann in den Vorder-grund. Auf diese Weise kann ein beruhigender und bestätigender sozialer Kontakt hergestellt werden. Der Gerontopsychiater Jan

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 28

2

Wojnar formuliert diese Form der Kommunikation im Zusammen-hang mit Kontakten zwischen Pflegekräften und Demenzkranken, die im mittleren Stadium oft über Worte nicht mehr erreichbar sind. Wojnar: „...diese Kommunikation stellt ein Bindeglied zwischen verbaler und basaler Sprache dar und wird durch Berührungen und Gesten lebendig“ (vgl. Jenrich 2004, S. 25). Die Einbeziehung von Dolmetschern und Dolmetscherinnenn kann in Einzelfällen hilfreich sein. Allerdings ermöglicht sie keine dau-erhafte, insbesondere keine direkte Kommunikation zwischen den Pflegepersonen und den Pflegebedürftigen. Dolmetscher und Dol-metscherinnen werden meist für besondere Situationen bestellt (vgl. Scheibler 2003, S. 31). Im Folgenden werden verschiedene Dolmetschdienste, ihr Unter-stützungsspektrum, aber auch Grenzen skizziert. In jedem Fall soll-te vor Einschalten eines Dolmetschdienstes eine Rücksprache mit den Betroffenen gehalten werden, ggf. auch eine Beratung über Sinn und Zweck des Einschaltens eines Dolmetschdienstes.

Laiendolmetscher und Laiendolmetscherinnen:

Meist werden Angehörige, Bekannte der Pflegeperson oder Ange-stellte aus der Einrichtung zu Dolmetscherdiensten herangezogen. Bei Migranten und Migrantinnen sind dies häufig die Kinder bzw. Enkelkinder, die in Deutschland zweisprachig aufgewachsen sind. Zu beachten ist dabei, dass die Pflegepersonen auf mögliche Gren-zen achten sollten, die für Laiendolmetscher und -dolmetscherinnen beim Dolmetschen entstehen können:

Sie sollten professionelle Dolmetscher und Dolmetscherin-nen heranziehen, wenn die Gespräche über Alltagsfragen hinausgehen, da die Angehörigen überfordert sein könnten (Enkelkinder und Kinder der Pflegebedürftigen). Die Über-forderung kann durch mangelndes fachliches Verständnis auftreten, aber auch durch die Tatsache, dass es für sie nicht möglich ist, bestimmte Themen mit ihren Eltern anzuspre-chen. Darüber hinaus kann es sein, dass es geschlechtsspezi-fische Regeln gibt, die es dem jeweiligen Geschlecht ver-bieten, bestimmte Themen mit Personen des anderen Ge-schlechts zu besprechen.

Ähnliches gilt für Bekannte sowie Angestellte aus der Ein-richtung, die nicht zum Pflegepersonal gehören. Auch hier fehlt das fachliche Verständnis, und es kann sein, dass die

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 29

3

Pflegebedürftigen bestimmte Themen nicht gegenüber Be-kannten ansprechen möchten. Darüber hinaus kann es vor-kommen, dass bei Hinzuziehung von Angestellten aus der Einrichtung die beiden Personen zwar die gleiche Sprache sprechen, jedoch unterschiedlichen Ethnien angehören, die sich in ihrem Herkunftsland z. Zt. in einem Konflikt befin-den. Unter solchen Umständen ist eine Verständigung kaum oder gar nicht möglich.

Darüber hinaus übernehmen Angehörige mitunter das Ant-

worten, ohne die Frage für die Betroffenen übersetzt zu ha-ben, da sie glauben, die Person gut zu kennen. Hier sollten die Pflegekräfte darauf achten, dass nicht über den Kopf der Betroffenen hinweg verhandelt wird (vgl. Bühlmann; Stauffer 2001, S. 206 ff).

Ehrenamtlich arbeitende Dolmetscher und Dolmetscherinnen:

Aufgrund der Probleme bei der Finanzierung von professionellen Dolmetschern und Dolmetscherinnen wird auch an die Einrichtung zusätzlicher Vermittlungsstellen mit ehrenamtlich arbeitenden Dolmetschern und Dolmetscherinnen gedacht. Die Innere Mission München e.V. plant, einen ehrenamtlichen Kultur- und Sprachdol-metscherpool zu schaffen. Interessierte ehrenamtliche Dolmetscher und Dolmetscherinnen sollen in einer Datensammlung erfasst und gegen eine Aufwandsentschädigung eingesetzt werden. Es ist vor-gesehen, sie regelmäßig zu schulen, um ihnen die Grundlage für eine professionelle Dolmetschertätigkeit zu vermitteln (vgl. Spohd 2004, S. 4). Pflegekräfte bzw. Pflegeeinrichtungen sollten in ihrem Umfeld bei Beratungsstellen nachforschen, ob es Dolmetschdienste gibt, die sie nutzen können. Gemeinnützige Beratungsstellen wie z. B. die Cari-tas vermitteln Dolmetschdienste.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 30

4

Professionelle Dolmetscher und Dolmetscherinnen:

Es gibt sogenannte Gemeindedolmetschdienste, die speziell ausge-bildete Dolmetscher und Dolmetscherinnen für den Einsatz in ge-sundheitlichen und sozialen Versorgungseinrichtungen vermitteln. Diese Dolmetscher und Dolmetscherinnen sollen neben Sprach-kenntnissen über weitere Grundkenntnisse verfügen. In einem Pro-jekt des Gemeindedolmetschdienstes Berlin wurden bis Ende 2004 neunzig Migranten und Migrantinnen in verschiedenen Sprachen zu Gemeindedolmetschern und Gemeindedolmetscherinnen ausge-bildet, mit folgenden Ausbildungsinhalten:

Interkulturelle Kompetenz Dolmetsch- und Kommunikationstechniken Medizinisches und psychologisches Fachvokabular Aufbau/Struktur des Gesundheits- und Sozialwesens in

Deutschland Ausländer-, sozial- und haftungsrechtliche sowie gesund-heitswissenschaftliche, sozialwissenschaftliche und psycho-logische Grundlagen

Der Stundensatz dieser Gemeindedolmetscher und –dolmetsche-rinnen beträgt € 25,– für 45 Minuten zuzüglich einer einmaligen Fahrtkostenpauschale von € 10,–. Mögliche Chancen, die sich durch professionelle Dolmetscher und Dolmetscherinnen ergeben:

Ein differenzierter sprachlicher Ausdruck wird ermöglicht und damit

die Vermittlung möglicher unterschiedlicher Konzepte zwi-schen Pflegebedürftigen und Pflegepersonen, die verhandelt werden müssen.

Sie können über das reine Übersetzen hinaus übergeordnete Zusammenhänge wie institutionelle Gegebenheiten, rechtli-che Vorgaben sowie gesellschaftliche Verhältnisse vermit-teln.

Sie ermöglichen den Pflegepersonen, ihrer Aufklärungs-pflicht über die Grund- und Behandlungspflege nachzu-kommen.

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 31

5

Mögliche Schwierigkeiten, die sich durch (professionelles) Dol-metschen ergeben:

die Veränderung der Kommunikation durch eine dritte und zudem fremde Person

Verzerrungen durch das Übersetzen Rollen- und Loyalitätskonflikte der dolmetschenden Person bei konflikthaften Gesprächen wird den Dolmetschern und Dolmetscherinnen oft die Verantwortung für ein Scheitern des Gespräches übertragen.

die Schwierigkeit, weder zu neutral noch zu verzerrend zu übersetzen

Die Rolle von Dolmetschern und Dolmetscherinnen besteht nicht nur in reinem Übersetzen. Sie kann gleichzeitig eine Vermittlungs-leistung zwischen unterschiedlichen Positionen von den Dolmet-schern und Dolmetscherinnen abfordern. Daher bilden professio-nelle Dolmetschdienste ihre Dolmetscher und Dolmetscherinnen entsprechend aus. Es ist sinnvoll, ein Vor- und Nachgespräch zwi-schen Pflegenden und Dometschern und Dolmetscherinnen zu füh-ren, um die Schwierigkeiten möglichst klein zu halten (vgl. Stuker 2001, S. 190 ff.).

Interne Dolmetschdienste: Altenpflegeeinrichtungen, die sich für eine kultursensible Alten-pflege öffnen, gehen vermehrt dazu über, dass sie Fachpflegekräfte mit entsprechenden Kenntnissen sowohl in der Sprache als auch hinsichtlich der kulturellen Gepflogenheiten einstellen. Dies ist sehr sinnvoll, da auf diese Weise eine direkte und fachlich fundier-te Kommunikation stattfinden kann. Es wäre sinnvoll für alle Einrichtungen, die Sprachkompetenzen ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu ermitteln und deren Be-reitschaft zum Dolmetschen zu fördern. Bei Einstellungs- und För-dergesprächen könnten sowohl sprachliche und kulturelle Kennt-nisse als auch mögliche Migrationserfahrung Anerkennung finden, indem den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen angeboten wird, diese in Vermittlungstätigkeiten anzuwenden. Es ist allerdings darauf zu achten, dass dies als Angebot formuliert wird, nicht als verbindli-che Festlegung, denn nicht alle Migranten und Migrantinnen möch-ten diese Kenntnisse und Erfahrungen in ihrem Berufszusammen-hang einsetzen. Einige könnten die besondere Aufmerksamkeit für ihren kulturellen Hintergrund u. U. als diskriminierend empfinden. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die solche internen Dolmetsch- und Vermittlungsdienste übernehmen möchten, benötigen entspre-

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 32

6

chende Unterstützung durch Fortbildungen und Supervision (siehe professionelle Dolmetschdienste), so dass sie eine fachlich gute Übersetzung leisten können und ggf. Probleme, die sich in der Vermittlungstätigkeit ergeben, bearbeiten können. Darüber hinaus muss gewährleistet sein, dass ihnen für diese zusätzlichen Dienste entsprechende Freistellungen gewährleistet werden, so dass die Übersetzungs- bzw. Vermittlungstätigkeiten dieser Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht als zusätzliche Belastung sowohl für die einzelne Person als auch für das gesamte Team erlebt werden (vgl. Habermann 2004, S. 21 ff.).

Quellen: Buhlmann, R.; Stauffer, Y. (2001): Bedeutung der Kommunika-tion in der Pflege. In: Domenig, D. (Hrsg.): Professionelle Transkulturelle Pflege. Bern; Göttingen; Toronto, S. 202–211 Engel, H.; Bauer, Th.; Lutz, M.; Krauthoff, B. (2001): „Hakuna matata?“ Forschungsarbeit über den Umgang mit ausländischen Patienten – Strategien und Lösungsmöglichkeiten. In: Pflegezeit-schrift, Heft 8, S. 2–12 Habermann, M. (2004): Gleichheit und Differenz: Interkulturelles Management in Pflegeeinrichtungen. In: Pflegemagazin 5. Jg., Heft 6, S. 21–27 Jenrich, H. (2004): Zwischentöne. In: Altenpflege, Februar, S. 25 Jain, F. (2004): Dolmetschen im Gesundheits- und Sozialwesen. Eine Standortbestimmung. In: IKOM-Newsletter1/04. Bonn S. 3 Spohd, D. (2004): Ehrenamtlicher Sprach- und Kulturdolmet-scherdienst für ältere Migranten und Migrantinnen. In: IKOM-Newsletter1/04. Bonn, S. 4 Stuker, R. (2001): Professionelles Dolmetschen. In: Domenig, D. (Hrsg.): Professionelle Transkulturelle Pflege. Bern; Göttingen; Toronto; Seattle, S. 186–199

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 33

7

Kontaktadressen für Dolmetschdienste: Gemeindedolmetschdienst Berlin Müllenhoffstraße 17 10967 Berlin Tel.: 030 / 44 31 90-90 Fax: 030 / 44 31 90-93 Innere Mission München e.V. Dirk Spohd Koordinator offene/ambulante Altenarbeit Tel.: 089 / 15 91 35-20 Fax: 089 / 15 91 35-12 [email protected] www.im-altenhilfe.de Bayerisches Zentrum für Transkulturelle Medizin e.V. Dolmetscherservice Tel.: 089 / 54 29 06 65 www.bayzent.de Ethnomedizinisches Zentrum Hannover Königstraße 6 30165 Hannover Tel.: 0511 / 168-41020 E-Mail: [email protected]

Modul III.LE 1 Kultursensible Kommunikation 34

1

III.LE 1.LS 4 Medien 1

Literatur: Buhlmann, R.; Stauffer, Y. (2001): Bedeutung der Kommunikation in der Pflege. In: Do-menig, D. (Hrsg.): Professionelle Transkulturelle Pflege. Bern; Göttingen; Toronto; Seattle, S. 202–211

Cubillos, F.A. (2001): Transkulturelle Kommunikation. In: Pflege aktuell, Vol. 55, H. 10, S. 530–533

Engel, H.; Bauer, Th.; Lutz, M.; Krauthoff, B. (2001): „Hakuna matata?“ Forschungsarbeit über den Umgang mit ausländischen Patienten – Strategien und Lösungsmöglichkeiten. In: Pflegezeitschrift, Heft 8, S. 2–12

Habermann, M. (2004): Gleichheit und Differenz: Interkulturelles Management in Pflege-einrichtungen. In: Pflegemagazin 5. Jg., Heft 6, S. 21–27

Jenrich, H. (2004): Zwischentöne. In: Altenpflege, Februar, S. 25

Jain, F. (2004): Dolmetschen im Gesundheits- und Sozialwesen. Eine Standortbestimmung. In: IKOM-Newsletter1/04. Bonn S. 3

Spohd, D. (2004): Ehrenamtlicher Sprach- und Kulturdolmetscherdienst für ältere Migranten und Migrantinnen. In: IKOM-Newsletter1/04. Bonn, S. 4

Stuker, R. (2001): Professionelles Dolmetschen. In: Domenig, D. (Hrsg.): Professionelle Transkulturelle Pflege. Bern; Göttingen; Toronto; Seattle, S. 186–199

Wesselmann, E.; Lindemeyer, T.; Lorenz, A. L. (2004): Wenn wir uns nicht verstehen, verstehen wir nichts. Übersetzen im Krankenhaus. Der klinikinterne Dolmetscherdienst. Frankfurt am Main

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 35

1

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung III.LE 2.LS 5 Beratungsbedarf ermitteln

Lernerfolgsüberprüfung

Leitfaden

Material 1

Material 2

Folie 1

Folie 2

Teilnehmerunterlage 1

Teilnehmerunterlage 2

Material 3

Arbeitsblatt 1

Arbeitsblatt 2

Teilnehmerunterlage 3

Teilnehmerunterlage 4

Material 4

Medien 1

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 36

1

III.LE 2.LS 5 Lernerfolgsüberprüfung Beratungsbedarf ermitteln Lernerfolgsüberprüfung Sozialform Medien Zeit

Die Lernerfolgsüberprüfung soll anhand einer Fallstudie durchgeführt werden. In dem Fall werden Probleme angesprochen, mit denen Auszubildende in ihrer beruflichen Lebenswelt konfrontiert werden und es werden im Unterricht vermittelte Lerninhalte bearbeitet. Die Lernerfolgsüberprüfung setzt somit Kenntnisse zum modifizierten Beratungsansatz von San-der sowie zu den Themenfeldern der Altenpflege-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung

o 1.2 „Pflege alter Menschen planen, durchführen, dokumentieren und evaluieren“ o 1.3 „Pflege alter Menschen personen- und situationsbezogen pflegen“ o 1.4 „ Anleiten, beraten und Gespräche führen“ o 2.2 „Alte Menschen bei der Wohnraum- und Wohnumfeldgestaltung unterstützen“ o 2.3 „Alte Menschen bei der Tagesgestaltung und selbst organisierten Aktivitäten“

voraus. Es empfiehlt sich deshalb, die Lernerfolgsüberprüfung Ende des dritten Ausbildungs-jahres durchzuführen. Der Fall ist konflikt- und problemhaltig und lässt mehrere Lösungswe-ge zu. Von daher ist das den Dozentinnen und Dozenten zur Verfügung gestellte Auswer-tungsmuster, das sich auf der nächsten Seite befindet, nur als Anregung gedacht, nicht aber als einzig mögliche Orientierung bei der Bewertung.

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen anhand einer Fallbearbei-tung zeigen, dass sie in der Lage sind, pflegerelevante biografische Informationen, Ressourcen und Probleme der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen zu erfas-sen. Sie können ihr Wissensfundament in einen An-wendungskontext stellen und zeigen, dass sie fähig sind, neue Probleme zu bearbeiten. Das heißt, sie set-zen das modifizierte Erfassungsinstrument nach Sander zur systematischen Datenerfassung adäquat ein und arbeiten heraus, in welchen Problemfeldern sie Infor-mation, Orientierung, Deutung, Klärung und anleitende Lösungsangebote anbieten könnten.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 37

2

Die Lernerfolgsüberprüfung kann als Einzelüberprüfung stattfinden oder als Gruppenarbeit. Methodisches Vorgehen (Einzelarbeit): Schritt 1: Die Auszubildenden werden auf die Lernerfolgsüberprüfung, ihre Zielsetzung und die Me-thode der Fallbearbeitung auf der Grundlage des modifizierten Modells nach Sander frühzei-tig hingewiesen. Schritt 2: Die Auszubildenden erhalten die Teilnehmerunterlage mit der Zielsetzung, der Fragestel-lung, dem Fall und einem Auswertungsraster. Diese werden kurz erörtert. Sie werden darauf hingewiesen, dass sie 90 Minuten Zeit zur Fallbearbeitung haben. Schritt 3: Bewertung der Fallbearbeitung mit Hilfe des Bewertungsbogens. Schritt 4: Feedback-Gespräch im Plenum

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 38

3

Problemerfahrungsfelder/Arbeitslinien Lösungsangebote Krankheitserfahrung/arbeit Selbsterfahrung/Biografiearbeit Lebenswelterfahrung/Alltagsarbeit Beziehungserfahrung Information/ Orientierung

Typ 1 Informationen zu: Pflegephä-nomene bei Schlaganfall, Al-tersdemenz, Altersdiabetes, Inkontinenz, Hilfsmittel-beratung (hier Rollstuhl), Haut-pflege, Decubitusprophylaxe, Leistungsspektrum der Pfle-geVG, mögliche Unterstützung durch professionell Pflegende

Typ 2 Information über die Normalität des Bruchs in der eigenen Biografie bei der Übernahme von Pflege Information zu allgemeinen Entlas-tungsmöglichkeiten

Typ 3 Information zu: Urlaubspflege, Pflege-leistungsergänzungsgesetz, ehrenamtliche HelferInnen Wohnraumberatung Information zur Neugestaltung der Es-senszubereitung (z.B. finger food) und der Portionierung von kleineren, dafür häufigeren Mahlzeiten Information über technische Möglich-keiten zur Sicherung des Kontaktes zur Mutter während der Nacht

Typ 4 Ggf. Information zur Rollenveränderungen und möglichen Rollen-konflikten bei der Pflege Dementierender

Deutung/Klärung Typ 5 Gespräch unter Einbeziehung des Partners und Sohnes: Deuten veränderter Verhaltens-weisen der Mutter/Großmutter als Krankheitssymptome

Typ 6 Gespräch über Scham- und Schuld-gefühle Stärkung des Selbstwertgefühls durch positive Bestärkung der Pfle-gekompetenz

Typ 7 Ursachen für Widerstände gegenüber professionellen HelferInnen thematisie-ren Klären, ob und wie sich eine mögliche Wohnraumumgestaltung auf die Le-bensqualität auswirkt

Typ 8 Angebot zu einem Fami-liengespräch zur Suche nach neuen Rollenver-teilungen, Entlastungs-möglichkeiten

Handeln/Bewältigen Typ 9 Anleiten, Schulen: Inkontinenztraining, Validation, Hautpflege, Mobilisation, De-cubitusprophylaxe Mithilfe bei Antragstellung für Hilfsmittel (Rollstuhl)

Typ 10 Zuhören bei Besuchen als Entlastung Motivieren, „Auszeiten“ zu nehmen, motivieren, ehrenamtliche HelferIn-nen/Nachbarschaftshilfe zu mobili-sieren ggf. Techniken zur Entspannung schulen

Typ 11 Mithilfe bei Überlegungen zur Wohn-raumumgestaltung ggf. Mithilfe bei Antragstellung Wohn-raumanpassung, PflegeVG

Typ 12 motivieren, ehrenamtli-che HelferInnen/ Nach-barschaftshilfe zu mobi-lisieren

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 39

4

Teilnehmerunterlage Ziele/Kompetenzen

o Sie können anhand einer Fallbearbeitung pflegerelevante biografische Informationen, Ressourcen und Probleme der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen erfassen.

o Sie können das modifizierte Erfassungsinstrument nach Sander zur systematischen

Datenerfassung adäquat einsetzen. o Sie können herausarbeiten, in welchen Problemfeldern Sie aufgrund ihrer Qualifikati-

on Information, Orientierung, Deutung, Klärung und anleitende Lösungsangebote an-bieten sollten.

Arbeitsaufgabe:

1. Lesen Sie in Ruhe und mit gleichschwebender Aufmerksamkeit die Fallgeschichte. 2. Arbeiten Sie aus dem Fall anhand des modifizierten Modells von Sander Problemer-

fahrungsfelder/Arbeitslinien und Lösungsangebote heraus, die in einem Beratungs- Schulungsplan für die pflegende Angehörige thematisiert werden könnten.

Fallgeschichte Ich möchte meine Mutter pflegen, aber ich brauche Unterstützung Sie führen als Mitarbeiter/Mitarbeiterin eines ambulanten Pflegedienstes einen Erstbesuch bei einer russlanddeutschen Spätaussiedlerfamilie durch. Die Hauptpflegeperson in der Familie ist Frau Kundt (53 Jahre). Ihre Mutter, Frau Weiss (85 Jahre) erlitt vor kurzem einen Schlaganfall. Nach einem Krankenhausaufenthalt und anschlie-ßender geriatrischer Rehabilitation wurde Frau Weiss nach Hause entlassen. Frau Weiss hat aus Zeitgründen an einem Pflegekurs der Krankenkassen nach § 45 SGB XI nur einen halben Tag teilnehmen können und fühlt sich sehr unsicher im Umgang mit ihrer Mutter. Sie hat sich deshalb an Ihren Pflegedienst gewandt und wünscht eine Beratung und Schulung in der häus-lichen Umgebung, zu der ihr auch die Pflegekasse geraten hat. Es stellt sich heraus, dass Frau Kundt sehr unsicher ist, ob sie in der Lage ist, die Versorgung ihrer Mutter zu übernehmen. Sie fühlt sich jedoch als einzige Tochter verpflichtet die Pflege zu übernehmen, „Es geht nicht, die Mutter weg geben, bei uns ist man verpflichtet für die Eltern zu sorgen“. Gleichzeitig möchte sie ihrer Halbtagstätigkeit als Verkäuferin weiter nachgehen. Sie ist in der Textilabteilung eines Kaufhauses tätig und da ihr Mann seit kurzem arbeitslos ist, ist dieses sichere Einkommen für die Familie sehr wichtig. Um die familiäre Situation besser verstehen zu können, bitten Sie Frau Kundt um eine kurze Schilderung ihrer Migrationsgeschichte.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 40

5

Frau Weiss kam 1997 zusammen mit ihrer Tochter, Frau Kundt, deren Mann und drei Enkel-kindern (heute 20, 27 und 33 Jahre alt) aus Kasachstan nach Deutschland. Frau Weiss wurde als junge Frau 1941 aus der Wolgaregion nach Kasachstan verschleppt. Dort heiratete sie nach dem Krieg ihren ebenfalls aus der Wolgaregion stammenden Mann. Sie arbeiteten ihr Leben lang in der Landwirtschaft. Ihr Mann verstarb 1992 nach einem akuten Herzinfarkt in einem Krankenhaus. Frau Kundt beklagt die schlechte gesundheitliche Versorgung in Ka-sachstan, die sicherlich dazu geführt habe, dass ihr Vater nicht ausreichend medizinisch ver-sorgt wurde. Hier in Deutschland ist das viel besser, aber auch kompliziert. Sie versteht das System noch nicht so richtig, ständig verändert sich was. Frau Kundt und ihr Mann fanden in Deutschland schnell eine Arbeit. Der jüngste Sohn (20 Jahre) hatte jedoch zu Beginn schulische Probleme und klagte oft über den Verlust seiner Freunde. Er wohnt zu Hause und ist in der Ausbildung zum Bäcker. Die Familie lebt in einem gemieteten kleinen Haus am Stadtrand. Frau Weiss hat ein Zimmer im Erdgeschoss des Hau-ses. Die älteren Töchter von Frau Kundt sind verheiratet und leben mittlerweile in einer 100 km entfernten Großstadt. Sie haben kleine Kinder und kommen einmal im Monat zu Besuch. Sie erkundigen sich anschließend nach der jetzigen gesundheitlichen Situation von Frau Weiss und dem Unterstützungsbedarf der Familie. Frau Weiss kann den rechten Arm nur sehr eingeschränkt nutzen. Den Umgang mit Hilfsmit-teln hat sie schon in der Rehabilitation nur begrenzt akzeptiert. Sie sagt „Ich bin alt, was soll ich das noch lernen?“ Frau Kundt bereitet ihr das Essen zu und portioniert es mundgerecht. Frau Weiss vergisst in letzter Zeit sehr viel. Nicht die Geschehnisse von früher, sondern das, was vor ein, zwei Tagen passiert ist. Manchmal ist sie sehr traurig, wenn ihre Tochter sie ständig korrigiert. Der Arzt hat gesagt, es sei eine Altersdemenz. Sie hat sich ein Buch dar-über gekauft, aber das hilft ihr auch nicht weiter. Im Krankenhaus hat man zudem festgestellt, dass Frau Weiss an einem Altersdiabetes leidet und deshalb eigentlich eine Diät einhalten muss. Sie klagt aber ständig über Hunger und vergisst manchmal, dass sie gerade gegessen hat. Sie versteckt immer öfter Lebensmittel im Schrank, die dort verderben. Manchmal glaubt die Tochter, dass das damit zusammen hängt, dass sie früher jahrelang als junges Mädchen gehungert hat. Nun hat sie Angst, dass die Zuckerkrankheit sich verschlimmert, wenn sie dem Wunsch der Mutter nach Essen dauernd nachgibt. Frau Weiss wurde in der Rehabilitations-einrichtung empfohlen, einen Rollator zu benutzen, da sie seit dem Schlaganfall sehr ge-schwächt und unsicher ist. Sie hat aber so viel Teppiche in ihrem Zimmer liegen, dass es kaum möglich ist, den Rollator zu benutzen. Außerdem reicht der Rollator eigentlich nicht mehr aus. Sie kann damit nur kurze Strecken bewältigen. So kommt sie gar nicht mehr nach draußen, wo es doch so liebt, in der Natur zu sein. Frau Weiss merkt in letzter Zeit oft zu spät, dass sie zur Toilette muss. Sie will es aber ver-heimlichen. „Sie schämt sich so mir gegenüber, dass ich ihr die Wäsche machen muss, dass es im Zimmer unangenehm riecht“. Die Tochter ist ratlos, wie sie dieses Thema mit ihrer Mutter besprechen kann. Frau Kundt äußert, dass schambesetzte Themen wie Sexualität und Ausscheidung immer ein Tabuthema zwischen ihr und ihrer Mutter gewesen sind. Sie weiß nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen solle, was für Hilfsmittel man sinnvoll einsetzen kann und ob die Pflegekasse das bezahlt. Frau Weiss benötigt Hilfe bei der Körperpflege. Auch diese Situation ist für beide sehr schambesetzt. Frau Kundt gibt an, dass die Mutter zunehmend schuppige Haut hat und die Haut am Po durch das viele Sitzen und Liegen schon ganz rot ist.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 41

6

Auf Nachfrage, ob und wie sie durch ihre Familie unterstützt werde, gibt Frau Kundt an: Ihr Mann ist zwar durch die Arbeitslosigkeit jetzt den ganzen Tag zu Hause, aber er weigert sich, z.B. der Mutter bei der Toilette zu helfen. Die Beziehung zu ihm beschreibt sie als zu-nehmend konflikthaft. Er fühlt sich vernachlässigt. Früher sind sie gemeinsam zu Festen in ihrer Kirchengemeinde gegangen, nun geht er immer alleine. Der Sohn hängt sehr an der Großmutter, er hat bisher die Unterstützung der Großmutter ge-währleistet, wenn seine Mutter arbeiten geht. Seit er in der Ausbildung ist, kann er sie nur noch am Wochenende und abends entlasten. Meistens kauft er ein oder liest der Großmutter was vor, dann hat sie schon mal eine Stunde für sich Zeit. Mit der zunehmenden Verwirrtheit seiner Großmutter kommt er aber gar nicht zurecht. Frau Weiss hat durch die Pflege eigentlich gar keine Zeit mehr für sich. Früher ist sie sonn-tags immer in die Kirche gegangen und zu den Gemeindeveranstaltungen, da hat man viele Gemeindemitglieder getroffen und ein bisschen über die alte Heimat reden können. Das traut sie sich heute gar nicht mehr, da sie ihre Mutter nicht alleine lassen kann. Nachts schläft sie schlecht, immer in der Angst, die Mutter könnte aus dem Bett fallen oder sie hört das Rufen nicht. Trotzdem hat sie das Gefühl, sie kümmert sich nicht ausreichend. Frau Weiss fühlt sich zunehmend isoliert. Sie glaubt, dass eigentlich niemand weiß, wie sie sich fühlt. Sie ist dau-ernd müde und immer öfter erscheint ihr alles zuviel. Aber fremde Leute für die Pflege ins Haus holen, das fällt ihr sehr schwer.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 42

7

Problemerfahrungsfelder/Arbeitslinien Lösungsangebote Krankheitserfahrung/arbeit Selbsterfahrung/Biografiearbeit Lebenswelterfahrung/Alltagsarbeit Beziehungserfahrung Information/ Orientierung

Typ 1

Typ 2 Typ 3 Typ 4

Deutung/ Klärung

Typ 5

Typ 6 Typ 7 Typ 8

Handeln/ Bewältigen

Typ 9

Typ 10 Typ 11 Typ 12

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 43

8

Beurteilungsbogen für eine Einzelbewertung (Fremdeinschätzung) Ausbildungsjahrgang : Name der/des Auszubildenden :_______________________________________ Bewertungskriterien Vollständig

erreicht Weitgehend erreicht

Teilweise erreicht

Gar nicht erreicht

1. Sind die Problemfeder/ Lösungsangebote aus dem Fall nachvollziehbar abgeleitet wor-den?

Information/Orientierung

Deutung/Klärung

Handeln/Bewältigen

2. Ist die Perspektive der Betrof-fenen konsequent berücksichtigt worden?

3. Wurden die relevanten biografi-schen Informationen berücksich-tigt?

4. Konnte die Aufgabe selbststän-dig bearbeitet werden?

5. Entspricht der sprachliche Aus-druck den Anforderungen?

Anmerkungen der Dozentin/des Dozenten: -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 44

1

III.LE 2.LS 5 Leitfaden Thema: Beratungsbedarf ermitteln Abfrage Sozialform Medien Zeit

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen das modifizierte Beratungsmodell nach Sander kennen lernen. Auf der Basis dieses Modells sollen sie anhand von zwei Fallbeispielen pflegerelevante Bera-tungsaspekte herausarbeiten und dadurch das individuelle kultursensible Fallverständnis ver-tiefen. Methodisches Vorgehen: Schritt 1: Abfrage im Plenum (mit Metaplankarten) zu Situationen im Pflegealltag, in denen eine Bera-tung, Schulung bzw. Anleitung durch Pflegende stattgefunden hat (III.LE 2.LS 5 Material 1). Schritt 2: Kurzvortrag zum Beratungsmodell nach Sander und Erläutern der Beratungsmatrix (III.LE 2.LS 5 Material 2, III.LE 2.LS 5 Folie 1 + 2, III.LE 2.LS 5. TU 1 +2).

Verortung in der AltPflAPrV, Anlage 1:

1.4 Anleiten, Beraten und Gesprächeführen

1.3 Alte Menschen personen- und situ-ationsbezogen pflegen

2.1 Lebenswelten und soziale Netz-werke alter Menschen beim altenpfle-gerischen Handeln berücksichtigen

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 45

2

Schritt 3: Einordnung der Metaplankarten (Erfahrungen aus Schritt 1) in das modifizierte Beratungsmo-dell nach Sander (III.LE 2.LS 5 Material 3). Schritt 4: Anhand von zwei Fallbeispielen sollen die Auszubildenden den Beratungsbedarf ermitteln. Im ersten Fall wird auf die Fallgeschichte von Frau Ayse (Modul II) zurückgegriffen (türki-sche Migrantin). Es handelt sich hier um die Perspektive der Pflegebedürftigen. Im zweiten Fall wird die Perspektive einer Tochter, die ihre demente Mutter pflegt, dargestellt (russland-deutsche Spätaussiedlerinnen). Zunächst wird das Interview mit der russlanddeutschen Spä-taussiedlerin (Frau Müller) gemeinsam in einem Hörspiel (Hörspiel 2) angehört (Dauer ca. 40 Minuten) oder der Klasse als Hausaufgabe zum Lesen (III.LE 2.LS5 TU 4) mitgegeben. Schritt 5: Fallarbeit Es werden vier Kleingruppen gebildet. Zwei Gruppen bearbeiten das Fallbeispiel der türki-schen Migrantin Frau Ayse, das bereits aus Modul II (II.LE 2.LS 6 TU 1) bekannt ist (III.LE 2.LS 5 Arbeitsblatt 1 + III.LE 2.LS 5 TU 3). Zwei Gruppen bearbeiten das Fallbeispiel der russlanddeutschen Spätaussiedlerin Frau Müller (III.LE 2.LS 5 Arbeitsblatt 2, III.LE 2.LS 5 TU 3 + 4). Die Gruppen, die den gleichen Fall bearbeitet haben, tauschen ihre Arbeitsergebnisse aus und bereiten ihre Präsentation vor. Schritt 6: Die Ergebnisse werden präsentiert und durch die Dozenten und Dozentinnen ggf. ergänzt. Als Arbeitshilfe für die Dozenten und Dozentinnen wurde der Fall Frau Müller/Frau Stein exem-plarisch ausgewertet. (III.LE 2.LS 5 Material 4).

Das Interview (Hörspiel 2 und III.LE 2.LS 5 Teilnehmerunterlage 4) basiert auf den modifizierten Assessmentfragen nach Zielke-Nadkarni 2003 und wurde durchgeführt von: Elena Schwindt

pfennig
Hervorheben
pfennig
Hervorheben

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 46

1

III.LE 2.LS 5 Material 1 Thema: Beratungsbedarf ermitteln Abfrage Sozialform Medien Zeit

Methodisches Vorgehen: Frage an alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen: In welchen Situationen in meinem Pflegealltag hat eine Beratung, Schulung bzw. Anleitung durch Pflegende stattgefunden? Die Auszubildenden sollen je 1 Beratungsthema in drei Stichworten auf eine Metaplankarte schreiben. Anschließend kommen die Schüler und Schülerinnen nacheinander nach vorn, hef-ten ihre Karte an die Metaplanwand und erläutern diese Situation kurz.

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen auf der Basis ihrer eigenen Erfahrungen hinsichtlich Beratungssituationen in der Altenpflege-praxis an das modifizierte Beratungsmo-dell von Sander herangeführt werden.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 47

1

III.LE 1.LS 5 Material 2 Thema: Beratungsbedarf ermitteln Kurzvortrag Sozialform Medien Zeit

Methodisches Vorgehen: Die Lehrkraft vermittelt das für die kultursensible Altenpflege mo-difizierte Beratungsmodell nach Sander mit Hilfe von Folien (III.LE 2.LS 5 Folie 1 und 2), einer Übersicht über Zweckorientie-rung und Personenorientierung in der Beratung (III.LE 2.LS 5 Teilnehmerunterlage 1) und einer Beratungsmatrix (III.LE 2.LS 5 Teilnehmerunterlage 2).

Kultursensible Beratung in der Altenpflege Einführung Es existiert bisher kein theoretisch fundiertes pflegerisches Bera-tungskonzept, obwohl der Bedarf an pflegerischer Beratung in der pflegewissenschaftlichen Diskussion unbestritten ist und als neues Handlungsfeld der Pflege beschrieben wird (vgl. u.a. Hellige & Hüper 2002; Huber 2005; Mertin et al. 2005, S. 2; Koch-Straube, 2000, 2001, 2004). Eine klare Abgrenzung zwischen den unter-

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen ein Modell zur Erfassung von Pro-blemerfahrungsfeldern im Rah-men einer kultursensiblen Bera-tung kennen lernen.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 48

2

schiedlichen Begriffen: Beratung, Anleitung, Schulung, Informati-on ist bisher nicht erkennbar. Es ist bisher auch unklar, in welchem Kontext Beratung stattfinden sollte. Zudem wird der Aufgabenbereich „Beratung“ erst in neuen Gesetzen zur Ausbildung in der Alten- und Krankenpflege explizit formuliert, d.h. es fehlt den Pflegenden bisher an Grundlagenwis-sen (vgl. Mertin et al. 2005, S. 2). Trotzdem ist es Alltagsgeschäft der Pflege, zu beraten. Oftmals ist den Pflegenden selbst gar nicht bewusst, dass sie beraten, denn Pflegeberatung in der Altenpflege ist durch ihre Alltagsnähe ge-kennzeichnet. Sie findet oft in konkreten Situationen statt, in denen Pflegende Unterstützung leisten, z. B. während der Mobilisation eines Patienten in der häuslichen Umgebung oder während eines Inkontinenztrainings. Im Altenheim z. B. beim Essen anreichen während eines Angehörigenbesuchs. D.h. es handelt sich oft um Gespräche zwischen Tür und Angel. Gesetzliche Anforderungen, die Pflegeberatung als professionelle Aufgabe der Pflege begründen, sind u.a.:

• Nach § 45 SGB XI müssen die Pflegekassen pflegenden Angehörigen Schulungskurse anbieten. Sie können hiermit Pflegedienste beauftragen.

• Nach § 37 Abs. 3 SGB XI werden Pflegebedürftige und ihre Angehörigen verpflichtet, wenn sie Geldleistungen in An-spruch nehmen, in vorgeschriebenen Zeitabständen eine Be-ratung in Anspruch zu nehmen.

• In den Landespflegegesetzen (z. B. in Niedersachsen § 17) werden Förderungen vorpflegerischer Maßnahmen geregelt. Hierzu gehört z. B. auch die Information, die Beratung und die Vermittlung von Hilfen.

In der Altenpflege sind es oft die Angehörigen, die Beratungsbe-darf haben und weniger die Pflegebedürftigen. Nicht selten entwi-ckelt sich aus einem Informationsgespräch zu praktischen Unter-stützungsleistungen ein weiter gehender Bedarf nach psychosozia-ler Unterstützung. Beispielsweise wenn sich in einem Beratungsge-spräch, in dem Informationen zur Kontinenzpflege gegeben wer-den, herausstellt, dass massive Schamgefühle auf Seiten der pfle-gebedürftigen Mutter und der pflegenden Tochter bestehen, die eine Thematisierung dieses Pflegephänomens erschweren. Ziel einer kultursensiblen Beratung in der Altenpflege ist es, die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen zu unterstützen (siehe III.LE 2.LS 5 Folie 1),

• die mit dem Prozess des Krankseins/Altseins sich entwi-ckelnden Alltags- und Lebensthemen und -probleme im Migrationskontext zu thematisieren und zu verstehen

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 49

3

• mit Krisen umgehen zu lernen, die z. B. durch eine neue Krankheitsphase provoziert werden können, und Anpas-sungsleistungen bei der Alltags-, der Biografie- und der Krankheitsarbeit im Migrationskontext vornehmen zu kön-nen

• mit Konflikten (inneren und äußeren) umgehen zu können • sich Wissen anzueignen und Handlungsstrategien im Um-

gang mit Krankheits- und Alterungsprozessen zu erlangen bzw. zu erweitern

• Entscheidungen treffen zu können • zu lernen, trotz Krankheit, Behinderung oder Alterungspro-

zess ein weitgehend erfülltes, zufriedenes Leben im Migra-tionskontext führen zu können (vgl. u.a. Koch-Straube 2004)

Skizzierung eines personenorientierten Beratungsan-satzes Eine kultursensible Beratung als Problemklärung und -lösung ent-hält in der Regel zweckorientierte und personenorientierte Anteile (vgl. Sander 1999). Was heißt das? Zweckorientierung bedeutet, dass abgeleitet vom objektiven Ziel eine Handlungsfähig-keit durch Information und/oder Verhaltensübungen hergestellt werden soll. Personenorientierung bedeutet, dass eine Orientierung an den Zielen des Patienten/der Patientin bzw. dem Bewohner/der Bewohnerin und den Familien-angehörigen stattfindet. Die Pflegenden nehmen einen ganzheitli-chen Bezug auf Wertvorstellungen, kulturelle Normen und religiö-se Bedürfnisse, berücksichtigen das Familienkonzept und die All-tagsroutinen, die Vorlieben und Wünsche, die kognitiven und fi-nanziellen, räumlichen Ressourcen. Dies soll an einem Fallbeispiel (Diabetikerberatung) verdeutlicht werden (siehe III.LE 2.LS 5 Teilnehmerunterlage 1, die an dieser Stelle ausgeteilt werden soll. In dieser Matrix werden eine perso-nen- und eine zweckorientierte Beratung skizziert). Im Beratungsalltag sind diese beiden Orientierungen oft miteinan-der verknüpft. So ist es im Sinne der Zweckorientierung wichtig, dass der/die Betroffene bzw. die Familie darauf achtet, dass die Insulindosis eingehalten werden muss bzw. ein definierter BE-Wert nicht außer Acht gelassen werden darf. Personenorientierte kultur-kongruente Beratung berücksichtigt jedoch u. a. Vorlieben beim Essen, bestimmte Nahrungsvorschriften und Alltagsroutinen.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 50

4

Im Mittelpunkt von Beratung stehen somit

o das Problem o die individuellen kulturkongruenten Mittel und Res-

sourcen zur Lösung des Problems (vgl. Sander 1999, S. 29)

Das modifizierte integrative Modell von Beratung nach Sander (1999) Sander hat versucht, unterschiedliche Beratungstypen zu einem integrativen Modell für soziale Beratung zu erweitern und soziale Beratung dabei von Psychotherapie abzugrenzen. Er hat kein expli-zites Modell für Beratung in der Altenpflege formuliert. Deshalb wurde sein Modell für eine kultursensible Beratung in der Alten-pflege auf der Basis des schon vorgestellten Verlaufskurvenmo-dells von Corbin/Strauss (2004) erweitert (vgl. Modul II, LS 6). Sander unterscheidet nach Feldern, in denen Probleme auftreten können und nach Lösungs- und Bewältigungsformen und den Mit-teln zur Umsetzung. Diese werden im Folgenden skizziert und die Problemfelder orientiert an den Arbeitslinien von Corbin/Strauss erweitert. Sander geht davon aus, das Beratungsprobleme in den Feldern

o Lebenswelterfahrung o Beziehungserfahrung o Selbsterfahrung

auftreten können. Er leitet diese Felder entwicklungspsychologisch ab: Die primäre Einheit des Selbst steht in enger Beziehung zu an-deren Menschen. Das Ich entwickelt sich durch Interaktion mit dem Anderen. Das Selbst und der Andere agieren schließlich in der Le-benswelt oder in verschiedenen Lebenswelten (vgl. Sander 1999, S. 32 ff). Diese Problemfelder spiegeln sich in den Hauptarbeitslinien Bio-grafiearbeit (Selbst), Alltagsarbeit (Lebenswelt) von Corbin & Strauss (2004). Bei Strauss ist das Beziehungsfeld in verschiedene Arbeitstypen differenziert (Aushandlungsarbeit, Gefühlsarbeit, In-teraktionsarbeit). Für ein Beratungsmodell in der Altenpflege wur-den diese Problemfelder noch einmal ergänzt um die Arbeitslinie Krankheitsarbeit, wobei Krankheitsarbeit immer auch einfließt in die anderen Problemfelder (vgl. Hellige 2001) (siehe III.LE 2.LS 5 Folie 2)

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 51

5

Die Lösungs- und Bewältigungsformen und Mittel zu deren Um-setzung differenziert Sander nach Angeboten

o der Information und Orientierung o der Klärung und Deutung o der Handlung und Bewältigung

Sanders Überlegungen zu dieser Differenzierung basieren auf anth-ropologischen Grunddimensionen menschlicher Fähigkeiten, aber auch auf den Grundannahmen zur Informationsverarbeitung. Sie lassen sich aber auch wiederfinden im Problemlöseprozess der Al-tenpflege. Beispiel: Menschen, die an einer chronischen Krankheit leiden, benötigen in der Diagnosephase zunächst sachliche Informationen bzw. Orien-tierungshilfen über die Krankheit, die Symptome und die mögli-chen Verlaufskurven. Erst im nächsten Schritt sind sie in der Lage zu reflektieren, was diese allgemeinen Informationen für ihre Bio-grafie, ihren Alltag, für die Beziehung zu ihren Angehörigen, für ihre Angehörigen selbst und damit für ihre individuelle, fallspezifi-sche Verlaufskurvenplanung (die weitere Lebensplanung mit der Krankheit) bedeuten könnten. Hier können kulturkongruente An-gebote der Deutung und Klärung helfen, zu antizipieren wie sich das Leben mit der Krankheit auf die verschiedenen Arbeitslinien auswirkt. Im nächsten Schritt können dann kultursensible Angebote der Handlung und Bewältigung fallspezifisch erfolgen, da zunächst das beiderseitige nachvollziehende „Verstehen“ des Gesamtkontex-tes nötig ist. Diese drei Lösungsangebote finden sich wieder in dem Kommuni-kationsprozess nach Watzlawick, aber auch in dem von Schulz von Thun entwickelten Vier-Seiten-Modell mit den Funktionen „In-halt“, „Selbstoffenbarung“ „Appell“ und „Beziehung“. Die Prob-lemlösefelder entsprechen der Didaktik (dem was), die Lösungsan-gebote der Methodik (dem wie) (vgl. Sander 1999, S. 35f). Modelle, auch das hier vorgestellte, vereinfachen die Realität, die-nen der Komplexitätsreduktion. Im Beratungsalltag sind Informati-on, Klärung und Handlung häufig miteinander verwoben und auch die Erfahrungsfelder stehen in Wechselbeziehung. Neben der ver-balen Kommunikation gibt es die nonverbale, symbolische, die mit einbezogen sein kann. Informationen können – neben der verbalen Vermittlung – über Flyer oder den Computer vermittelt und abge-rufen werden. Deutung und Klärung kann ebenfalls mit anderen Mitteln als verbaler Kommunikation erreicht werden z. B. durch kreative Techniken wie das schon vorgestellte „Lebenspanorama“ und das Erzählen einer Pflegegeschichte, in der eine ähnliche Prob-lematik vorlag (vgl. u. a. Lucius-Hoene 1998). Die Anwendung des Modells erleichtert dennoch eine strukturierte Analyse, indem es ein Ordnungsraster vorgibt. Es ist somit als Handwerkszeug für den

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 52

6

Pflegeprozess zu verstehen, wobei im Sinne einer individuellen kultursensiblen Altenpflege nicht ein starres Raster abzuarbeiten ist, sondern im Alltag die verschiedenen Erfahrungsfelder und Be-ratungstypen ineinander fließen (siehe III.LE 2.LS 5 Teilnehmerun-terlage 2), die an dieser Stelle ausgeteilt werden soll. Diese Teil-nehmerunterlage zeigt exemplarische Problemerfahrungsfelder und Lösungsangebote für eine kultursensible Beratung auf. Anhand dieser Matrix werden die einzelnen Beratungstypen verdeutlicht).

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 53

1

III.LE 2.LS 5 Folie 1

Beratungsbedarf ermitteln

Ziel einer kultursensiblen Beratung in der Altenpflege

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen unterstützen

Alltags und -Lebensthemen sowie Probleme im Zusammenhang mit Kranksein/Altsein im Migrationskontext thematisieren und verstehen

mit Krisen umgehen lernen

mit Konflikten (inneren und äußeren) umgehen

können

Wissen und Handlungsstrategien erlangen bzw. erweitern

Entscheidungen treffen können

lernen, mit der Krankheit oder dem

Alterungsprozess zu leben

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 54

1

III.LE 2.LS 5 Folie 2

Beratungsbedarf ermitteln

Problemerfahrungsfelder und Lösungsangebote

Lösungsangebote Problemerfahrungsfelder/Arbeitslinien Krankheits-

erfahrung

Selbsterfahrung /Biografie

Lebenswelt-erfahrung/ Alltagsarbeit

Beziehungs-erfahrung

Information/ Orientierung

Typ 1

Typ 2 Typ 3 Typ 4

Deutung/Klärung Typ 5

Typ 6 Typ 7 Typ 8

Handeln/Bewältigen Typ 9

Typ 10 Typ 11 Typ 12

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 55

1

III.LE 2.LS 5 Teilnehmerunterlage 1 Thema: Beratungsbedarf ermitteln Zweckorientierung und Personenorientierung in der Beratung am Beispiel von Diabetes Zweckorientierung Beispiel Personenorientierung Beispiel Ziele Ziele/Lösungen sind festgelegt Patient mit Diabetes soll Diät

einhalten (14 BE) Ziele/Lösungen ergeben sich im Beratungsprozess

eine kulturkongruente Ernährungsumstellung erreichen

Vorgehen Informationsvermittlung, Kompetenz-training

Information über Broschüren zur Verfügung stellen, Informa-tionen zu BE/Nahrungsmitteln, mögliche Mahlzeitenzusam-menstellungen vermitteln

Auseinandersetzung mit inneren und äußeren Aspekten der Prob-lemsituation

Fragen zum bisherigen Ernährungsverhalten, Vorlieben, Rituale, ggf. religiöse Vorschriften

Beziehung nicht von zentraler Bedeutung Die individuelle Lebenssituati-on wird kaum berücksichtigt.

Vertrauensvolle Beziehung von zentraler Bedeutung

Die individuelle Lebenssituation ist Ausgangs-basis des Beratungsprozesses.

Anwendbarkeit Problemlöseverhalten hängt ab von der Übertragbarkeit auf die individuel-le Situation

Angehörige versuchen die Alltagsroutinen an das Ernäh-rungsschema anzupassen

stärkere Selbststeuerung gemeinsame Überlegungen zum Umstellen des Ernährungsverhalten anstellen, die kulturkon-gruente Muster, Vorlieben berücksichtigen

Verinner-lichung

instrumentelles Lösungsverhalten Informationen können ggf. nicht auf eigene Lebenssituati-on übertragen werden

Verhaltensanpassung steht im Einklang mit Wertvorstellungen und Vorlieben

Kulturkongruente Anpassung ermöglicht Ver-stehen und Einüben alltagstauglicher Routinen

Entscheidungs-fähigkeit

kurzfristig ggf. gut, langfristig wg. geringer Berücksichtigung der Selbst-pflegekompetenz ggf. weniger effek-tiv

Diät wird z.B. für kurzen Zeit-raum „durchgehalten“, dann „vergessen“

langfristig selbstständig und fähig Entscheidungen zu treffen

Durch das Ansetzen an den Ressourcen und Förderung der Selbstpflegekompetenzen wird eine kulturkongruente Passung erreicht.

(vgl. Sander 1999, modifiziert nach Hellige)

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 56

1

III.LE 2.LS 5 Teilnehmerunterlage 2 Thema: Beratungsbedarf ermitteln Problemerfahrungsfelder und Lösungsangebote – Beispiele Problemerfahrungsfelder/Arbeitslinien Lösungsan-gebote

Krankheitserfahrung/ Krankheitsarbeit

Selbsterfahrung/ Biografiearbeit

Lebenswelterfahrung/ Alltagsarbeit

Beziehungserfahrung

Information/ Orientierung

Typ 1

Sachberatung: normale Körperfunktionen, Krankheitssymptome und -zeichen, Pflegephänomene, mögliche Komplikationen, Risiken, allgemeine Hilfsmittelangebote.

Typ 2 Allgemeine Auswirkungen der Krankheit auf noch vorhandene Ressourcen thematisieren, allgemeine Perspektiven aufzeigen, die ggf. eine zufriedenstellende Lebensqualität trotz Fähigkeitsverlusten ermöglichen.

Typ 3 Informieren über Pflegeversicherung, Dolmetscherdienste, kulturspezifische Hilfsangebote (ambulante, stationäre, teilstationäre), Informieren über Möglichkeiten der Wohnraumanpassung, ehrenamtliche Helfer, Kulturvereine, Besuchsdienste, kultursensible Pflegekonzepte/-Tagesgestaltung im Altenheim/Pflegedienst

Typ 4 Informationen zur Möglichkeit der gleichgeschlechtlichen Pflege durch Mitarbeiter aus dem eigenen Kulturkreis, Informationen zu migrationserfahrenen Familienberatungsstellen, Informieren über die Einbeziehung von Angehörigen in die Pflegearbeit

Deutung/ Klärung

Typ 5 Mögliche Krankheitsursachen und Verlaufskurvenvorstellungen ansprechen und abgleichen,. Beobachtungen von Symptomen und ihre Deutung (Selbstwahrnehmung und im Falle der Angehörigenpflege Fremdwahrnehmung schulen).

Typ 6 Auswirkung der fallspezifischen Fähigkeitsverluste auf das Körperselbstbild, die Identität, die Zukunftsvorstellungen, Lebens-planungen; Auswirkung der spezifischen Fähigkeitsverluste auf die Biografie der Angehörigen, Erzählen einer Pflegegeschichte.

Typ 7 Ursachen für Widerstände zur Nutzung von Hilfsangeboten ergründen und bearbeiten, Ängste vor dem Kontakt mit Professionellen durch Vorstellen kultursensibler, lebensweltlich organisierter Pflegeangebote abbauen, Probleme der Vereinbarkeit von Berufsarbeit und Pflegearbeit, Kindererziehung ansprechen, Erzählen einer Pflegegeschichte.

Typ 8 Auf Ängste eingehen, die mit der Übernahme der Pflege z.B. der Schwiegereltern einhergehen (z.B. bei der Körperpflege) oder durch professionell Pflegende, Belastungen im Beziehungserleben der pflegenden Angehörigen thematisieren (z.B. bei Wesensveränderungen), Probleme bei Rollenveränderungen oder bei unrealistischern Rollenerwartungen von Familienmitgliedern thematisieren, Erzählen einer Pflegegeschichte.

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2

Problemerfahrungsfelder/Arbeitslinien Lösungsan-gebote

Krankheitserfahrung/ Krankheitsarbeit

Selbsterfahrung/ Biografiearbeit

Lebenswelterfahrung/ Alltagsarbeit

Beziehungserfahrung

Handlung/ Bewältigung

Typ 9 Schulen von Lagerungstechniken, Mobilisationsübungen, Insulingaben, Umgang mit Hilfsmitteln üben, Kommunikationsmöglichkeiten mit Dementen einüben.

Typ 10 Vorhandene Ressourcen wahrnehmen und stärken, Stressbewältigungstechniken, Motivation fördern zur Nutzung von Hilfsmitteln, Motivieren, in Selbsthilfegruppe/ Seniorengruppe, Kulturvereine zu gehen

Typ 11 Beraten bei der Wohnraumgestaltung, Beratung zur Organisation eines gelingenden Umzuges in ein Pflegeheim/betreutes Wohnen, Mithilfe bei der Organisation einer Kurzeitpflege, Ggf. Einüben von Strategien im Umgang mit Institutionen (z.B. MDK)

Typ 12 Freiräume für pflegende Angehörige suchen, Andere Familienmitglieder/soziale Netzwerke motivieren, Unterstützungsaufgaben zu übernehmen, Stressentlastungstechniken vermitteln

(Hellige 2005)

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 58

1

III.LE 2.LS 5 Material 3 Thema: Beratungsbedarf ermitteln Metaplanarbeit Sozialform Medien Zeit

Methodisches Vorgehen: Schritt 1: Eine Metaplanwand mit der Matrix (12 Beratungstypen nach Sander) beschriften. Schritt 2: Die Auszubildenden sollen die auf Metaplankarten dokumentierten Beratungssituationen im Pflegealltag aus dem ersten Teil der Lernsequenz in die modifizierte Matrix der Problemer-fahrungsfelder und Lösungsansätze nach Sander einordnen. Schritt 3: Diskussion der Ergebnisse Schritt 4: Das Interview mit der russlanddeutschen Spätaussiedlerin (Frau Müller) wird gemeinsam an-gehört (Hörspiel 2: Dauer ca. 40 Minuten). Eine andere Möglichkeit wäre es, den Schülern und Schülerinnen dieses Interview als Hausaufgabe zum Lesen zu geben (III.LE 2.LS 5 TU 4).

Zielsetzung: Auf der Basis des erweiterten Vorwis-sens zu Beratungsfeldern und Lösungs-ansätzen in der kultursensiblen Bera-tung sollen die Auszubildenden Bera-tungssituationen systematisieren.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 59

2

Schritt 5: Es werden vier Kleingruppen gebildet. Zwei Gruppen bearbeiten das Fallbeispiel der türki-schen Migrantin Frau Ayse, das bereits aus Modul II (II.LE 2.LS 6 TU 1) bekannt ist (III.LE 2.LS 5 Arbeitsblatt 1 und III.LE 2.LS 5 TU 3). Zwei Gruppen bearbeiten das Fallbeispiel der russlanddeutschen Spätaussiedlerin Frau Müller (III.LE 2.LS 5 Arbeitsblatt 2 und III.LE 2.LS 5 TU 3 und 4). Die Gruppen, die den gleichen Fall bearbeitet haben, tauschen ihre Arbeitsergebnisse aus und bereiten ihre Präsentation vor. Schritt 6: Die Ergebnisse werden präsentiert und durch die Dozenten und Dozentinnen ggf. ergänzt. Als Arbeitshilfe für die Dozenten und Dozentinnen wurde der Fall Frau Müller/Frau Stein exem-plarisch ausgewertet (III.LE 2.LS 5 Material 4).

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 60

1

III.LE 2.LS 5 Arbeitsblatt 1 Thema: Beratungsbedarf ermitteln Zeit:

Arbeitsauftrag:

1. Filtern Sie aus dem Interview mit Frau Ayse heraus, welche Beratungsangebote im Verlauf der Pflege von Frau Ayse notwendig bzw. sinnvoll gewesen wären und wel-che zur Zeit sinnvoll wären. Ordnen Sie die Beratungsangebote in der Matrix (III.LE 2.LS 5 Teilnehmerunterlage 3) den verschiedenen Beratungstypen zu.

2. Setzen Sie sich mit der Gruppe zusammen, die ebenfalls das Fallbeispiel von Frau Ay-

se bearbeitet hat. Stellen Sie sich gegenseitig ihre Ergebnisse vor, diskutieren Sie diese und einigen Sie sich auf gemeinsame Ergebnisse.

3. Bereiten Sie gemeinsam ihre Ergebnisse für eine Präsentation vor.

(Metaplan oder Tafel ).

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 61

1

III.LE 2.LS 5 Arbeitsblatt 2 Thema: Beratungsbedarf ermitteln Zeit:

Arbeitsauftrag:

1. Filtern Sie aus dem Interview mit Frau Müller heraus, welche Beratungsange-bote im Verlauf der Pflege von Frau Stein notwendig bzw. sinnvoll gewesen wären und welche zur Zeit sinnvoll wären. Ordnen Sie die Beratungsangebote in der Matrix (III.LE 2.LS 5 Teilnehmerun-terlage 3) den verschiedenen Beratungstypen zu.

2. Setzen Sie sich mit der Gruppe zusammen, die ebenfalls das Fallbeispiel von Frau Müller bearbeitet hat. Stellen Sie sich gegenseitig ihre Ergebnisse vor, diskutieren Sie diese und einigen Sie sich auf gemeinsame Ergebnisse.

3. Bereiten Sie gemeinsam ihre Ergebnisse für eine Präsentation vor.

(Metaplan oder Tafel ).

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 62

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III.LE 2.LS 5 Teilnehmerunterlage 3 Thema: Beratungsbedarf ermitteln Problemerfahrungsfelder und Lösungsangebote Problemerfahrungsfelder/Arbeitslinien Lösungsangebote Krankheitserfahrung/

Krankheitsarbeit Selbsterfahrung/ Biografiearbeit

Lebenswelterfahrung/ Alltagsarbeit

Beziehungserfahrung

Information/Orientierung Typ 1

Typ 2 Typ 3 Typ 4

Deutung/Klärung Typ 5

Typ 6 Typ 7 Typ 8

Handeln/Bewältigen Typ 9

Typ 10 Typ 11 Typ 12

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 63

1

III.LE 2.LS 5 Teilnehmerunterlage 4 Thema: Beratungsbedarf ermitteln

Interview mit Familie Stein Herr und Frau Stein1 kamen vor 13 Jahren aus Kasachstan nach Deutschland. Sie leben nun in Preußisch Oldendorf (Kreis Minden-Lübbecke). Beide waren Rentner und am Anfang war es für sie schwer, sich hier einzuleben. Herr Stein war schon immer kontakt-freudig, seine Interessen waren vielseitig, unter anderem spielte er Akkordeon. Mit der Zeit wurden Kontakte geknüpft. Die Familie wurde zu den Seniorentreffen der Stadt eingeladen, sie hatten Freundschaften zu den Einheimischen und zu ihren Landsleuten.

Frau Stein hat sich schon immer um ihre Kinder gekümmert (es sind 3 Töchter und ein Sohn). Sie legte immer sehr viel Wert auf Sauberkeit im Haus und „hielt die Stätte im Haus warm“. Außer-dem arbeitete sie sehr viel, erst im Dorf als Schweinewärterin; spä-ter in der Stadt als Reinigungskraft in einer Schule. Sie tat alles für die Familie, die Kinder und den Mann.

Aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit erlebte die Familie Stein viel Schmerzliches. Sie wurden von einem Land in das andere ver-schleppt, waren in einem Lager und mussten ihre Existenz oft von Null an aufbauen.

Herr Stein glaubte nicht an Gott, er pflegte zu sagen: „Wenn es Gott gäbe, hätten wir damals nicht so leiden müssen. Ich glaube an mich und meine Hände. Alles, was ich in meiner Tasche habe, ge-hört mir, daran glaube ich.“

Die vier Kinder der Familie Stein sind mittlerweile verheiratet. Drei Töchter kamen ein Jahr zuvor nach Deutschland und lebten mit ihren Familien in der gleichen Stadt. Familie Stein hat viel Wert auf ihre Unabhängigkeit gelegt und lebte allein in ihrer Woh-nung. Die Töchter hatten sich oft um ihre Mutter Sorgen gemacht, denn sie hatte Asthma und Hypertonie, doch es kam anders. Ihr 1 Um die Anonymität zu wahren, wurden Namen und Orte durch die AutorInnen so geändert, dass eine Identifizierung nicht möglich ist.

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Vater erkrankte an Krebs. Er hat nicht lange leiden müssen, nach 5 Monaten ist er im Krankenhaus verstorben.

Frau Stein bestand darauf, dass sie auch weiterhin allein lebt. Fünf Monate lang besuchten ihre Töchter sie zwei bis dreimal am Tag und brachten das Essen vorbei. Irgendwann merkten sie, dass mit der Mutter etwas nicht stimmt: das Essen war stehen geblieben, wurde schlecht. Sie nahm auch ihre Medikamente nicht ein und wurde zunehmend vergesslicher. Den Töchtern wurde klar, dass sie bald nicht mehr allein zurecht kommen konnte.

Aber Frau Stein wehrte sich dagegen, bei einer der Töchter zu le-ben. Dann zog sie sich schließlich eine schwere Erkältung zu. Die Töchter redeten auf sie ein, sich beim Arzt vorzustellen. Sie rea-gierte jedoch nicht darauf, bis ihr Zustand schlechter wurde. Sie bekam starken Husten mit Auswurf. Die Töchter ergriffen die Initi-ative und brachten sie gegen ihren Willen in der Nacht ins Kran-kenhaus. Nach einem Monat wurde sie mit mehreren Diagnosen entlassen. Sie hatte Wasser in der Lunge, Herzschwäche, ein Ma-gengeschwür und Alzheimer.

Nach der Entlassung war sie sehr schwach und verbrachte zwei Monate bei ihrer mittleren Tochter, Frau Müller. Als es Frau Stein wieder besser ging, wollte sie wieder nach Hause, all die Überre-dungen nutzten nichts. So kam sie wieder in ihre alte Wohnung zurück. Aber es ging nicht mehr: sie war „durcheinander“, vergaß alles, sie ließ ihren Herd an. Die Töchter konnten es nicht mehr mit ansehen und bekamen Angst um sie. Frau Stein hat außerdem noch eine Schwester. Ihre Schwester und alle Töchter versammelten sich eines Tages und sagten zu ihr, dass sie nicht mehr allein bleiben darf. „Jetzt musst du dich entscheiden, entweder du gehst ins Heim, oder du bleibst für immer bei einer deiner Töchter, oder du wech-selst zwischen uns ab, aber allein bleibst du nicht mehr“, sagten ihr die Töchter. Frau Stein wollte auf gar keinen Fall ins Heim, denn sie war der Meinung, dass sie da sterben würde und sie wollte wei-ter allein leben.

Die Töchter entschieden schließlich unter sich, dass Frau Stein immer im Wechsel bei ihren Töchtern lebt. Es war schwierig, sie aus der Wohnung zu bekommen. Die Töchter mussten sie anlügen, sie wussten sich nicht anders zu helfen. Sie sagten zu ihr, sie würde nur Kordula (ihre jüngste Tochter) besuchen, in zwei Wochen wäre sie wieder zu Hause.

Aus zwei Wochen wurden zweieinhalb Jahre. Diese Zeit verbrachte Frau Stein bei ihrer jüngsten Tochter. Irgendwann kam Kordula mit den an sie gestellten Anforderungen nicht mehr zurecht, nahm in den letzten zwei Monaten 15 kg ab und übergab sich. Laut Abspra-che wäre jetzt die älteste Tochter an der Reihe, aber sie lehnte die

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Versorgung ihrer Mutter kategorisch ab. „Macht mit mir, was ihr wollt, aber ich erkenne sie nicht wieder. Ich werde es nicht verkraf-ten, ich kann es einfach nicht!“ Das war die Antwort der ältesten Tochter.

Seither, es werden bald zwei Jahre, kümmert sich Frau Müller, die mittlere Tochter, um ihre Mutter.

Pflegerisches Informationsgespräch mit Frau Müller (Tochter von Frau Stein).

Wann sind Sie nach Deutschland gekommen? Wir siedelten vor vierzehn Jahren von Kasachstan nach Preuß. Ol-dendorf. Es wurde uns viel von dem Leben hier erzählt, doch es fiel mir ziemlich schwer, mich hier einzuleben. Ich weinte Tag und Nacht. Wir wohnten am Anfang in einer Notwohnung, ich kam gar nicht raus. Ich hatte Sehnsucht nach meinem Freundeskreis, meiner Arbeit. Ich war Näherin und Schneiderin von Beruf und arbeitete zuletzt in einer Berufsschule, es fehlte mir.

Und wie ging es Ihrem Mann? Mein Mann schloss hier schnell Kontakte und ging mit den anderen Männern Karten spielen. Ich dagegen blieb zu Hause und lernte zusammen mit meinen drei Söhnen Deutsch.

Wir bekamen einen Sprachkurs, aber mein Mann war es nicht ge-wohnt, einfach dazusitzen. Vor allem wurde bei ihm in der Familie nur deutsch gesprochen, er spricht bis jetzt „altdeutsch“. Also fand er bald eine Arbeit und arbeitete zwölf Stunden am Tag, auch an den Feiertagen und am Wochenende.

Nach dem Sprachkurs wollte ich arbeiten, aber mein Mann war dagegen. „Du hast kleine Kinder, bleib zu Hause und kümmere dich um sie“, sagte er. Oh, da wehrte ich mich dagegen: „Ich war schon immer unter Menschen, habe unterrichtet und was soll ich jetzt zu Hause? Für euch kochen, putzen und alles hinterher räumen ohne ein ‚Danke schön’ zu kriegen? Nein, nicht mit mir!“

Ich suchte überall nach Arbeit. Als Näherin hatte ich zwar eine Stelle, aber nur in der nahe liegenden Stadt. Acht Stunden Arbeit und dann noch Fahrwege, ich musste auch an die Familie denken. Also ging es nicht. Die Schwägerin meines Mannes half mir bei der Suche. Sie arbeitete in einer Bäckerei und da wurde eine Verkäufe-rin gesucht. So bin ich schon seit 11 Jahren in dieser Bäckerei und bin sehr zufrieden. Arbeiten ist für mich sehr wichtig, ich muss Menschen um mich haben.

Wie war das denn dann, als Ihre Mutter zu Ihnen zog?

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Als meine Mutter zu mir kam, sagte ich auch zu den Schwestern, dass ich trotzdem arbeiten gehe, auch wenn wir privat jemanden einstellen müssen. Meine Mutter verfügt über ein gutes Einkom-men, sie bekommt eine gute Rente und die Witwenrente, sie kann es sich leisten.

Mittlerweile haben wir ein Haus, zwei unserer Söhne sind verheira-tet und leben nicht mehr bei uns, nur der Kleine möchte noch nicht weg. Wir haben schon Enkelkinder, der erste ist sozusagen bei uns groß geworden. Meine Schwiegertochter war noch jung, als sie das Kind bekam.

Dann ist ja bei Ihnen immer was los. Bei uns ist es immer voll und nie langweilig. Manche können es gar nicht verstehen, aber es sind doch unsere Kinder, die lieben uns und wir lieben sie. Wir kennen es nicht anders, als den Kindern zu helfen. Wenn sie einen Tag nicht bei uns sind, vermisse ich sie alle, dann rufe ich sie an.

Wann kam denn Ihre Mutter zu Ihnen? Vor ungefähr zwei Jahren zog meine Mutter bei uns ein. Es blieb uns keine andere Wahl, abgeben konnten wir sie nicht, dazu sind wir anders erzogen. Damals sagte ich zu meinen Schwestern, ich würde mich um unsere Mutter kümmern, aber ich möchte keine Vorwürfe von euch hören. Ich wusste doch gar nicht, wie ich mit so einer Erkrankung umgehen sollte und hatte Angst, etwas falsch zu machen!

Wie sind Sie denn früher in Ihrer Familie mit Krankheiten umgegangen?

Bei uns in der Familie war noch nie einer krank. Außer das mit meinem Vater. Es war auch schlimm; er ist immer gesund gewesen, war ein kräftig gebauter Mann, falls er mal was hatte, überstand er alles auf zwei Beinen. Wir, seine Töchter, waren oft bange: wenn unsere Mutter stirbt, was machen wir mit unserem Vater? Mit einer Frau ist doch alles leichter. Auf einmal bekam er starke Kopf-schmerzen und war oft beim Arzt. Aber der Arzt nahm es nicht ernst. Irgendwann wurde er ins Krankenhaus eingewiesen, jedoch zu spät In seinem Kopf hatte sich ein Tumor gebildet, er hatte in der Wirbelsäule und in der Lunge Metastasen. Jetzt erst sollte er operiert werden und danach zur Chemotherapie. Mein Vater lehnte fast alles ab. Er stimmte nur zu, dass eine Lunge herausoperiert wird. Aber er war bis zuletzt auf den Beinen. Die Krankenschwes-tern wunderten sich, dass er immer noch allein auf die Toilette geht. Eines Tages wollten wir ihn anrufen, aber es war ständig be-setzt. Wir baten die Krankenschwester, nach ihm zu schauen. Sie sagte bloß, er würde telefonieren. In Wirklichkeit wollte er jeman-

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den anrufen, wählte die Nummer und hielt den Telefonhörer in der Hand … mehr schaffte er nicht, er starb.

Hat sich diese Erfahrung auf Ihr Verhältnis zum deutschen Gesundheitswesen ausgewirkt? Seitdem vertraue ich den Ärzten hier wenig. Die Medizin in Deutschland ist doch fortgeschritten, es gibt so viele moderne Ge-räte, warum sah niemand, dass sein Körper voll mit Metastasen war?

Bevor mein Vater starb, wünschte er, dass ich mich um unsere Mutter kümmere…

Haben Sie weitere Erfahrungen mit Gesundheitseinrichtun-gen? Also mit den Krankenhäusern und den Ärzten hatten wir keine gute Erfahrungen gehabt. Auch als unsere Mutter letztes Mal im Kran-kenhaus war, machten wir keine gute Erfahrung: vor ungefähr vier Jahren bekam sie Gürtelrose im Gesicht. Zu dieser Zeit lebte sie noch bei meiner jüngeren Schwester. Meine Schwester sah zwar diese Pusteln; dachte aber, die würden von allein verschwinden. Sie hatte ihr irgendwelche Einreibungen gemacht. Es wurde noch schlimmer, das Gesicht verzerrte sich! Erst dann wurde unsere Mutter zum Arzt gebracht und sofort ins Krankenhaus eingewiesen. Zwei Wochen verbrachte sie da, wir besuchten sie bis zu 2 x täg-lich. Wir brachten jeden Tag saubere Unterwäsche und Nachthem-den. Aber sie sah jedes mal so ungepflegt aus, nicht gekämmt und ihr Zahngebiss wurde nie geputzt. Es tat weh, das Ganze mit anzu-sehen.

Wie haben Sie darauf reagiert? Ich hielt es nicht aus und sagte zu meiner Schwester, dass es so nicht mehr weiter gehen darf. Wenn sie sich um unsere Mutter kümmert, muss sie mit den Krankenschwestern reden, dass es uns nicht gefällt. Ich meine, die Diagnose war doch schon bekannt, die müssten sich eigentlich mit dem Krankheitsbild auskennen, warum half ihr keiner? Es war uns sehr unangenehm, als ihre Zimmer-nachbarin, eine Deutsche, zu uns sagte, unsere Mutter würde kei-nen Wert auf ihre Körperpflege legen. Wir schämten uns richtig für sie!

Wie haben Sie denn die erste Zeit erlebt, als Ihre Mutter bei Ihnen wohnte? Die ersten vier Monate, als die Mutter bei uns einzog, waren richtig schlimm! In der Zeit dachte ich, dass ich „durchdrehe“. In der Nacht schlief sie erst um 3.00/4.00 Uhr morgens ein. In der Zeit lief sie unruhig umher, hat alle Schubladen auf- und zugemacht.

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Tagsüber saß sie nur da und starrte einen mit dem leeren Blick an und schwieg, aber man sah ihr eine innere Unruhe an. Oder sie hal-luzinierte, dass ihr Schwiegersohn da wäre und die Steine ins Fens-ter geschmissen hätte. Falls wir sie tot vorfinden würden, er wäre der Täter.

War das vorher, als Ihre Mutter bei Ihrer Schwester lebte auch so? Meine Schwester wollte damals auch nicht auf ihre Arbeit verzich-ten und sie arbeitete nur in der Nacht. Also konnte sie gar nicht sehen, was die Mutter nachts macht, in der Zeit passte mein Schwager auf die Mutter auf. Nach der Arbeit schlief meine Schwester erst aus, dann um 11.00-12.00 Uhr hatten sie Frühstuck.

In den ersten vier Monaten hatte ich viel zu bewältigen. Erst mal telefonierte ich mit meiner Freundin; sie war schon da (in Russ-land) eine Apothekerin, hat hier ihr Diplom anerkannt bekommen und arbeitet jetzt in einer Apotheke. Sie gab mir drei Namen von Medikamenten und sagte, dass sie ziemlich teuer sind. Ich ging mit meiner Mutter zum Arzt; schilderte unser Problem und bat ihn, uns diese Tabletten zu verschreiben. Aber er nahm uns nicht ernst, bis ich beinahe ausrastete und zu ihm sagte: „Warum verschreiben Sie uns dieses Medikament nicht? Woran liegt das, sind diese Tabletten zu teuer? Wenn wir dieses Medikament nicht bekommen, drehe ich durch und unsere Familie zerfällt. Abgeben können wir sie auch nicht. Sie müssen uns weiterhelfen!“ Dann schickte er uns doch zum Neurologen und zum Psychiater. Letztendlich bekamen wir diese Tabletten.

Seitdem hatten wir etwas Ruhe. Diese Anfälle kommen in regel-mäßigen Abständen von sechs bis sieben Wochen, nach zwei bis drei Tagen ist alles vorbei.

Gehen Sie heute mit diesen Situationen anders um?

Wenn sie unruhig wird und schimpft, lasse ich sie allein und gehe nähen. Das beruhigt meine Nerven. Einmal hielt mein Mann es nicht aus und sagte zu ihr: „Warum machst du meine Frau fertig? Du hast auch andere Töchter, ruf die doch an!“ Er wählte die Tele-fonnummer meiner ältesten Schwester und meine Mutter hat sich an ihr ausgelassen. Danach sagte meine Schwester, es wäre viel-leicht besser, sie wäre nicht mehr da. Ich denke, mit oder ohne die-se Erkrankung ist sie immer noch ein Mensch. Sie lebt doch und wenn ich sie hier habe, muss ich alles für sie tun.

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Trotzdem ist es manchmal wohl sehr belastend, wenn sich die eigene Mutter so verändert. Unterstützen Sie Ihre Schwestern denn auch bei der Pflege? Ja, jetzt muss ich z. B. einmal in drei Monaten mit meiner Mutter zur Blutabnahme, denn dieses Medikament hat Nebenwirkungen. Letztens sagte der Psychiater zu mir, dass nach den neuen Erkennt-nissen auch Schlaganfallrisiko besteht, wenn wir die Tabletten wei-ter geben würden. Ich habe meine Schwestern versammelt, allein möchte ich keine Entscheidungen treffen. Wir sprachen alles ab und entschieden uns für die Weitergabe, denn ihr Alter dürfen wir auch nicht vergessen. Sie wird bald 80! Auch ihr Hausarzt hatte nichts dagegen. Zur Zeit nimmt sie fünf Medikamente ein: gegen Bluthochdruck, gegen Magenbeschwerden, eine Entwässerungstab-lette, eine gegen Herzschwäche und gegen Halluzination, das reicht doch schon. Wenn sie Atembeschwerden hat, kann sie außerdem ein Spray bekommen, aber wir benutzen es ganz selten, warum auch? Ist doch überflüssig. Bei der Medikamentengabe muss ich immer dabei sein, um aufzupassen. Sie selbst würde die nicht ein-nehmen. Sie sagt doch, sie wäre gesund.

Die Pflegeversicherung kann ja zumindest ein bisschen zur Entlastung beitragen. Wie ist das bei Ihnen, haben Sie eine Einstufung schon beantragt? Das war auch problematisch. Meine Schwester stellte damals bei der Pflegekasse einen Antrag, der wurde abgelehnt. Dann, als mei-ne Mutter bei mir war, sagte mir eine Kundin (bei mir in der Bä-ckerei kaufen auch viele vom mobilem Pflegedienst ein, da hole ich hin und wieder einen Rat) diese Ablehnung wäre normal, man muss trotzdem immer und immer wieder versuchen. Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, warum das „normal“ sein soll. Denn die Di-agnosen stehen; wissen die nicht, was das bedeutet, so eine Erkran-kung zu haben? Oder vielleicht denken die, wir würden sie belügen oder liegt es daran, dass wir aus Russland kommen?

Auf jeden Fall, als die Person vom MDK kam, sagte ich, es würde mich überhaupt nicht interessieren, was meine Schwester damals erzählt und unterschrieben hatte; meine Mutter ist jetzt bei mir und ich erzähle euch, wie ich sie hier erlebe. Jetzt hat sie die erste Pfle-gestufe.

Wie kommen Sie denn derzeit mit der Situation zurecht? Es ist schwer, jemanden mit dieser Erkrankung zu pflegen, das hat-te ich mal gelesen und ich kann es nur bestätigen. Wenn wir unsere Eltern aufnehmen, können wir uns vergessen, unser Privatleben leidet sehr darunter. Ich arbeitete früher 160 Stunden im Monat, jetzt 130, obwohl wir seit einem Jahr eine Frau für unsere Mutter haben. Wir bezahlen sie privat, über die Krankenkasse wäre es zu teuer, und die ambulante Pflege wäre zu wenig. Die hätten sie nur gewaschen und dann? Es fiel mir schon schwer, meinen Chef um

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die Stundenreduzierung zu bitten. Mein Mann zwang mich schließ-lich dazu und brachte mich in sein Büro. Ich arbeite im Schicht-dienst, so dass wir diese Frau nur im Frühdienst und manchmal am Samstag brauchen. Es geht ganz gut so, ich bin zufrieden.

Können Sie mir mal Ihren derzeitigen Tagesablauf schildern? Ich lege sehr viel Wert auf den geregelten Tagesablauf meiner Mut-ter, das empfiehlt mir ihr Hausarzt, und ich merke auch selbst, dass es viel bringt. Um 8.30 Uhr steht meine Mutter auf. Nach dem Wa-schen, so um 9.00 Uhr, kommt sie runter; dann gibt es Frühstuck. Um 10.45 Uhr läuft ihre Lieblingsserie im Fernseher, um 13.00 Uhr essen wir Mittag; um 13.50 Uhr macht sie ihren Mittagsschlaf, sie schläft meistens ein bis eineinhalb Stunden. Um 15.00 Uhr kommt mein Sohn und um 16.00 Uhr bis 16.15 Uhr kommt mein Mann nach der Arbeit; um 19.00 Uhr ist Abendbrot und um 19.45 Uhr bringe ich sie hoch in ihr Zimmer. Da hat sie einen Fernseher und ein Radio und kann sich ihre Sendung anschauen oder anhören (sie mag Volksmusik und Heimatfilme). Später gehe ich noch ein mal hoch und mache alles aus.

Manchmal sagt die Frau zu mir, meine Mutter würde ihr leid tun, weil sie so früh aufstehen muss. Ich sage: „Sie braucht Ihnen nicht leid zu tun, sie ist ein alter Mensch und wenn sie noch länger schläft, bekommt sie es mit dem Kreislauf. “Ich meine, sie schläft fast zwölf Stunden am Tag, es müsste reichen. Manchmal kriege ich Gewissensbisse, weil ich denke, ich würde mit ihr grob umge-hen. Andererseits weiß ich mittlerweile, dass jede kleinste Abwei-chung ihren ganzen Rhythmus durcheinander bringt. Manchmal sagen mir meine Söhne, ich würde Oma zu früh ins Bett bringen. Andererseits, wenn ich sie später hinlege würde, hätte ich über-haupt keinen Feierabend.

Wenn ich das richtig verstanden habe, arbeiten Sie im Schicht-dienst. Gibt es da Unterschiede im Tagesablauf? Im Frühdienst bin ich kurz nach 12.00 Uhr zu Hause, dann kochen wir zusammen mit meiner Mutter das Abendessen für die ganze Familie. Sie hilft mir viel in der Küche, es muss ihr nur gezeigt werden. Während sie danach schläft, kann ich schnell einkaufen. Im Spätdienst haben wir beide die Möglichkeit, miteinander zu frühstücken, das genießen wir richtig. Mittlerweile weiß ich, wor-über sie gern spricht, wir reden über ihre Kindheit und über unsere Kindheit. Ich erfahre viel über sie, z. B. dass ihr Vater predigte und armen Menschen half. Sie kann sogar noch alle Gebete. Ab und zu betet mein Mann mir ihr (er wuchs bei seiner Oma auf und kann viele Gebete). Mit uns, als wir Kinder waren, betete sie nie, wahr-scheinlich, weil mein Vater dagegen war.

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Und wie organisieren Sie das, wenn Sie Spätdienst haben? Mein Spätdienst beginnt um 14.00 Uhr. Wenn sie wach wird, dann ist mein Sohn für sie zuständig. Bevor ich gehe, stelle ich ein Tab-lett mit dem Joghurt, einer Banane und Wasser auf den Tisch (im-mer auf den gleichen Platz). Sie sieht es zwar, wird aber von allein nie etwas nehmen. Mein Jüngster ist dabei eine große Hilfe, er a-nimiert seine Oma ständig zum Trinken und Essen. Wenn mein Mann kommt, geht mein Sohn seinen Hobbys nach. Um 18.30 Uhr bin ich wieder da, dann ist die ganze Familie mit ihr beschäftigt.

Ich habe das Gefühl, dass Sie dann ja alles sehr gut organisiert haben. Haben Sie denn noch weitere Unterstützung? Unsere Familie ist sehr groß. Meine Söhne mit dessen Familien sind immer bei uns, auf die ist Verlass. Wenn ich am Samstag ar-beite und die Frau nicht kommen kann, passen meine Schwieger-töchter oder Söhne auf. Unsere Oma bleibt nie allein, sogar zu den Familienfeiern wird sie mitgenommen (dabei möchte sie immer hören, dass sie wieder zurück kommen darf). Meine Schwestern holen sie jeden Sonntag im Wechsel ab. Früher blieb sie da über Nacht, jetzt nicht mehr; dann wird sie nervös und unruhig. Eine Zeit lang brachten sie unsere Mutter nach Hause, ohne dass sie ihre Tablette einnahm und gegessen hatte: sie würde sagen, sie wolle nichts. Da war ich aber sauer! Ich sagte: „Sie ist ein kranker Mensch. Bei mir sagt sie es auch, aber sobald das Essen steht, isst sie!“

Wo wir gerade beim Essen sind, in welchen Bereichen benötigt Ihre Mutter denn regelmäßig Hilfe oder wo müssen Sie aufpas-sen? Als meine Mutter von meiner jüngsten Schwester kam, wog sie 41 kg, jetzt wiegt sie 48 kg. Sie hat einen sehr guten Appetit, sie isst gern Käse und würde gern jeden Morgen ein weich gekochtes Ei essen. Aber ihr Cholesterinwert liegt bei 286, es ist etwas zu hoch. Obwohl der Arzt meint, wir sollen keine Diät machen, trotz-dem passe ich auf. Dieses Medikament gegen Halluzinationen kann auch Diabetes hervorrufen, es ist mir zu gefährlich. Ich passe auf, dass sie Obst und Gemüse zu sich nimmt und viel trinkt. Wie alle ältere Menschen trinkt sie wenig, aber in meiner Familie kennen es alle und passen auf, dass sie trinkt.

Braucht Ihre Mutter Hilfe bei der Körperpflege? Bei der Körperpflege, beim An- und Ausziehen muss ich (oder die Frau) immer dabei sein. Sie bringt sonst alles durcheinander, ob-wohl ihre Unterwäsche und Bekleidung immer den gleichen Platz haben. Sie bekommt jeden Tag weiße, frische Unterwäsche an.

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Einmal in der Woche wird sie gebadet, dazu wird ein Badelifter benutzt. Ein Kunde von mir, ein Deutscher, schenkte uns den Lifter von seiner Oma. Wir hatten das Rezept für einen neuen, aber wozu soll die Krankenkasse das neue Gerät zahlen, wenn das alte noch geht? Wir hätten auch nicht zuzahlen müssen; ich habe bloß immer noch die alte Denkweise. Viele Deutsche sagen zu mir: „Was dir zusteht, musst du haben.“ Aber ich kann nicht anders, was spielt das für eine Rolle, ob das Gerät „modern“ ist oder nicht? Hauptsa-che, es funktioniert.

Mit der Intimpflege war es anfangs schwierig, wir schämten uns beide. Mittlerweile gehört es zur Normalität. Ich schnitt auch ihre Schamhaare kürzer. Ob man es will oder nicht, der Geruch bleibt daran „kleben“. Ich halte immer den Krug und lasse das Wasser laufen, während sie sich wäscht. Allein hätte sie es nicht bewälti-gen können, denn ihre Fingergelenke sind wegen der schweren Arbeit ganz dick.

Hat Ihre Mutter auch Probleme beim Wasser lassen oder mit dem Stuhlgang? Meine Mutter hat einen regelmäßigen Stuhlgang. Sie selbst erzählt mir, sie hätte Probleme damit; aber mir kann sie nichts vormachen, ich sehe es ja an ihrer Unterhose. Sonst, wenn sie zur Toilette geht, lasse ich sie immer allein. Das Klobecken muss noch nicht umge-baut werden. Das einzige Problem, wenn wir zu Besuch sind, findet sie sich nicht mehr zurecht.

Seit zwei bis drei Monaten ist ihre Unterhose etwas nass, sie sagt, sie würde schwitzen. Beim nächsten mal, wenn ich allein zum Arzt zu einer Besprechung gehe, frage ich ihn nach den Einlagen. Wenn sie dabei ist, schäme ich mich, den Arzt darauf anzusprechen. Ich möchte sie nicht beleidigen. Wenn sie es auch nicht verstehen wür-de, könnte es sie unruhig machen. Das möchte ich nicht.

Benutzen Sie spezielle Produkte für die Körperpflege? Für ihre Körperpflege benutze ich Produkte für Kinder, ich denke, dass ich damit nichts verkehrt mache. Sie wird immer eingecremt.

Vor kurzem hatte sie eine Platzwunde am Unterschenkel, ich er-schrak mich, als ich das Blut sah! So etwas erlebte ich noch nie – die Haut war auseinander und darunter schwarzes, trockenes Blut. Ich habe diese Haut mit Melkfett weich gemacht und vorsichtig zusammengezogen. Keine Ahnung, ob es richtig war? Ich kenne mich doch damit nicht aus!

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Das ist ja ein altes Hausmittel und wenn es geholfen hat, war es eine gute Entscheidung. Sind Sie in anderen Bereichen manchmal unsicher bei der Pflege Ihrer Mutter? Am Anfang, als wir noch nicht wussten, was es für eine Krankheit ist, vernachlässigten wir ihre Mundpflege. Wir dachten, sie macht es allein. Dann klagte sie auf ein mal über Zahnschmerzen. Ich kriegte ihr Gebiss kaum raus, es saß richtig fest! Darunter ist das Zahnfleisch wund gewesen. Ich nahm ihr Gebiss nach jedem Essen und zur Nacht raus und habe die wunden Stellen mit Honig bear-beitet, so kriegten wir es wieder heil. Seit diesem Vorfall überneh-me ich ihre Zahnpflege. Sie ist doch so schwach, sie hat nicht mal die Kraft ihr Gebiss in den Händen zu halten und richtig sauber zu putzen.

Ich weiß nicht, vielleicht bin ich selbst so unruhig und nehme mei-ner Mutter alles ab; andererseits, sie bekommt bei jeder körperli-chen Tätigkeit sofort Atembeschwerden.

Kann Ihre Mutter sich noch selbstständig bewegen, hat sie noch genügend Kraft oder bestehen da Einschränkungen? Vor einem Jahr kam sie mir noch mit meinem Sohn oder Mann entgegen, wenn ich von der Arbeit kam. Jetzt schafft sie es nicht mehr. Zum einen, ihre Knie sind oft dick und schmerzen, ich ma-che kalte Kompressen und eine Kühlsalbe darauf; zum anderen, ihr Asthma bekommt sie ganz schnell zu spüren.

Wir haben einen Rollstuhl beantragt, es sind schon wieder vier Wochen her! Ich sagte schon zu meinem Mann: „Es ist schrecklich, dass man hier überall so viel Zeit braucht, um etwas durchzuset-zen.“ Wenn wir den Rollstuhl haben, können wir mit ihr spazieren gehen, oder das Grab meines Vaters besuchen, oder einkaufen. Ich habe doch überhaupt keine Zeit, um mal in Ruhe einzukaufen.

Ihre Blutwerte sind aber in Ordnung, der Arzt sagte uns, dass sie noch zehn Jahre leben könnte. Wir sind zufrieden damit.

Beschäftigt sich Ihre Mutter noch selbst, z. B. liest sie oder guckt sie Fernsehen? Oder gibt es da auch Probleme und wie gehen Sie damit um? Wir beschäftigen uns viel mit ihr. Jeden Tag sage ich zu ihr, was für ein Jahr, Monat, Datum wir haben, wer bald Geburtstag hat. Sie liest viel, dazu müsste sie eine Brille tragen, aber wenn sie meint, dass sie noch nie eine Brille besaß, wozu soll ich da hinterher lau-fen? Hören kann sie gut.

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Gibt es etwas, was Sie bei der Krankheit Ihrer Mutter beson-ders belastet? Ja. es ist eine schreckliche Krankheit, sie macht einen gleichgültig. Wenn sie nicht angesprochen wird, würde sie den ganzen Tag verbringen, ohne ein Wort zu verlieren. Sie erkennt uns, die Töch-ter, noch, einige ihrer Enkelkinder auch. Meine Schwestern, auch andere Verwandte und die Ärzte sagen immer wieder, dass sie es so gut wie bei mir nirgendwo mehr haben wird. Meine Schwestern bestätigen auch, dass sie ruhiger geworden ist und ihr Gedächtnis sich verbesserte, seitdem sie bei uns lebt. Nichtsdestotrotz, diese Vergesslichkeit, diese leeren Augen und das Desinteresse sind schwer zu ertragen, sowohl für uns als auch für sie. Aber was soll’s, wir müssen uns mit dieser Krankheit abfinden. – Klar, man darf sich nichts im Leben schwören, wer weiß noch, was mit uns wird, aber so lange es geht, bleibt sie zu Hause.

Sehen Sie denn da irgendwo Grenzen, wo Sie sagen würden, jetzt geht es nicht mehr zu Hause oder haben Sie schon Überle-gungen getroffen, falls Ihre Mutter nicht mehr so gut laufen kann? Ja, ich und mein Mann überlegten uns schon, falls es ihr schlechter geht, dass wir unser Wohnzimmer umbauen. Dann könnten wir hier eine Wand aufstellen und ein Zimmer hier unten für sie einrichten. Dann könnte einer von unseren Söhnen hier leben. Wenn nicht, dann werden wir sie oben versorgen.

Haben Sie sich auch schon mal Gedanken über das Sterben oder den Tod Ihrer Mutter gemacht?

Meine Mutter erwähnte noch nie von allein, dass sie zum Friedhof möchte. Jeden Morgen horche ich, ob sie noch atmet. Ich habe kei-ne Angst mehr davor, dass sie stirbt. Das Erlebnis mit meinem Va-ter war mir dabei eine Lehre. Ich möchte nur nicht, dass meine Kinder ihre Oma tot vorfinden. Mein Vater hat ein Doppelgrab, so kann meine Mutter danach zu ihm. Außerdem kann man da auch sechs Urnen beisetzen. Ich sagte schon allen Bescheid, dass ich verbrannt und auch zu meinen Eltern gelegt werden möchte.

Ihren Erzählungen nach zu urteilen, haben Sie durch die Pflege Ihrer Mutter ja eine Menge Aufgaben übernommen, die Sie neben der Berufs- und Familienarbeit zu bewältigen haben. Sie sagten vorhin, dass die Veränderung der Persönlichkeit Sie besonders belastet, gibt es da weitere Bereiche, die Sie be-lasten? Es muss so vieles erledigt werden und alles braucht so viel Zeit! Z. B. die Arztbesuche – das Blut muss regelmäßig abgenommen

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 75

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werden. Zur Besprechung gehe ich dann schon allein, manche Sa-chen möchte ich nicht in ihrem Beisein besprechen. Außerdem, kommt ihr Arzt einmal im Quartal zu uns. Wir müssen mit ihr re-gelmäßig zum Neurologen und zum Psychiater.

Halbjährlich muss ich einen Termin beim Pflegedienst vereinbaren, damit sie den Zustand meiner Mutter kontrollieren. Seit kurzem sagen viele zu mir, ich sollte meine Mutter höher stufen. Ich will es nicht! Erstens, es ist wieder sehr zeitaufwändig; zweitens, ich weiß doch gar nicht, ob ihr die zweite Stufe überhaupt zusteht! Ich denke immer daran, dass sie ihre Rente und ihre Witwenrente hat, es reicht doch! Eine Kundin von mir pflegt ihren Mann, er ist bettlä-gerig und wird künstlich ernährt; sie kämpft schon so lange für die dritte Stufe. Wenn es bei ihr so ist…das kann doch mit uns nicht verglichen werden. Im November kommt der Pflegedienst wieder, dann könnte ich nachfragen.

Bleibt Ihnen denn dabei noch Zeit für sich selbst? Mir fehlt die Zeit für mich, ich möchte manchmal auf einer einsa-men Insel sein. Bestimmt würde ich nicht lange aushalten, trotz-dem, es täte mir gut. Früher hatte ich viel mehr Kontakte zu den Deutschen und unseren, es wird weniger.

Was hilft Ihnen, um mit dieser Situation zurecht zu kommen? In der Familie tun wir viel füreinander, unsere Familie ist groß. Mein Mann hat vier Geschwister (die leben auch in dieser Stadt), meine Schwestern und unsere Kinder. Alle integrierten sich schon, es arbeiten alle, mehrere haben eigene Häuser und Wohnungen. Der Zusammenhalt in der Familie gibt jedem von uns Halt und die Sicherheit. Außerdem helfen wir viel untereinander, z. B. mein Schwager hat sein Diplom als Arzt anerkannt und seine Frau als Krankenschwester. Von den beiden hole ich oft einen Rat.

Ich sage oft zu meinem Mann: „Schau dir die Deutschen an, die machen Sport und leben aktiv, wir müssten von denen eine Scheibe abschneiden!“ Wir müssen jetzt schon an uns denken. Wir passen jetzt auf unsere Mutter auf. Wenn wir alt sind, glaube ich nicht, dass unsere Kinder sich um uns kümmern. Die sind hier groß ge-worden, die sind anders geprägt als wir.

Mein Mann ist schon immer sehr eifersüchtig gewesen, deswegen gehe ich abends nirgendwo aus. Wenn, dann gehen wir beide essen oder zum Konzert. In der Regel kommen meine Schwiegertöchter und bringen die Oma ins Bett, das können die gut, ich bin zufrie-den.

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Welchen Stellenwert hat Ihre Arbeit in der Bäckerei für Sie? Ist das eher eine Belastung oder auch ein Ausgleich zur Pflege Ihrer Mutter? Meine Arbeit bedeutet mir sehr viel. Wenn ich hier die Tür zuma-che vergesse ich sofort alles. Ich bin seit elf Jahren da, ich kenne alle meine Kunden und ihre Kinder. Wenn ich hinter der Theke stehe, merkt kein Mensch, was ich auf der Seele habe.

Ich gehe gern mit meinen Kolleginnen zur Sauna oder wir laden uns gegenseitig ein.

Meine Hobbys sind Nähen und Gartenarbeit, dabei kann ich gut abschalten.

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, eine Auszeit zu nehmen, in Urlaub zu fahren. Es gibt ja die Möglichkeit der Kurzzeitpflege, damit Angehörige auch mal eine „Auszeit“ von der Pflege nehmen können? Dieses Jahr wollten wir verreisen. Ich sagte zu meinen Schwestern: „Wir geben sie für zwei Wochen ab, egal was es kostet. Wir müs-sen eine Auszeit nehmen.“ Viele unserer Kundinnen arbeiten im Altenheim. Ich fragte sie, wie es da ist. Eine sagte zu mir: „Wenn du sie auch nur für zwei Wochen abgibst, dann erkennst du sie nicht wieder. Es interessiert da doch keinen, ob die Leute gegessen haben und ihre Medikamente eingenommen haben.“ Ich möchte nicht sagen, dass sie im Heim schlecht versorgt wird, aber unsere Mutter redet doch immer mehr Russisch, und wenn sie nicht ange-sprochen wird, gar nicht. Wer weiß, was in dieser Zeit passiert? Was wird sie denken, wenn sie uns und unsere Familie nicht sieht? Vielleicht, stirbt sie vor Kummer? Ich sagte danach zu meinem Mann: „Wenn wir sie jetzt abgeben, dann bin ich diejenige, die alles zu verantworten hat.“ Es ist nicht zu ändern, wenn wir uns zwischen den Schwestern schlecht abwechseln können, werden wir auf die Reise verzichten.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 77

1

III.LE 2.LS 5 Material 4 Fallanalyse Frau Stein/Frau Müller (Russlanddeutsche Spätaussiedler) Problemerfahrungsfelder/Arbeitslinien Lösungsange-bote

Krankheitserfahrung/ Krankheitsarbeit

Selbsterfahrung/ Biografiearbeit

Lebenswelterfahrung/ Alltagsarbeit

Beziehungserfahrung

Information/ Orientierung

Typ 1 Zu Beginn: Allgemeine Informatio-nen über Demenz, Verlaufsformen, Kennzeichen in den jeweiligen Pha-sen, Therapie- und Pflege (z.B. Mundpflege, Kontinenztraining, Umgang mit Weglauftendenzen, Kommunikationsformen), Fachärzte etc. Kontinuierlich: Pflegeberatung zu aktuellen Problemen und zu allge-mein präventivem Verhalten

Typ 2 Zu Beginn: Information zu mögli-chen Veränderungen in der biografi-schen Orientierung bei den pflegen-den Angehörigen Information zu allgemeinem Stress und zu Entlastungsmöglichkeiten

Typ 3 Zu Beginn: Informationen zur Pflegever-sicherung, zum Pflegeleistungsergän-zungsgesetz, Urlaubspflege, ehrenamtli-chen Helfern, Vereinbarkeit Familie, Beruf, Pflegearbeit, möglichen notwen-digen Anpassungen in der häuslichen Umgebung Im Verlauf: Kontinuierliche Informationen zu Entlas-tungsmöglichkeiten entsprechend des Verlaufes

Typ 4 Informationen über mögliche Belas-tungen in der Beziehung zur Mutter, die durch Wesensveränderungen und Rollenumkehr bei der Demenz auftre-ten können Im Verlauf: Informationen im Famili-enkreis über mögliche innerfamiliäre Belastungen und Entlastungsmöglich-keiten

Deutung/ Klärung

Typ 5 Kontinuierlich: Deutung von Ver-haltensweisen der Mutter als Krank-heitssymptome Bestärkung, dass Körperpflegepro-dukte sinnvoll sind

Typ 6 Kontinuierlich: Entlastung von Schuldgefühlen Stärkung des Selbst durch positive Bestätigung der Pflegekompetenz Zuhören als Entlastung, ggf. Erzäh-len einer Pflegegeschichte Motivieren, Hobbies beizubehalten

Typ 7 Kontinuierlich: Umgang mit Schamge-fühlen Frühzeitige Wohnraumberatung; Moti-vieren zur Rollstuhlanschaffung, um Mobilität zu erhöhen Zuhören als Entlastung, ggf. Erzählen einer Pflegegeschichte (Parabel)

Typ 8 Kontinuierlich: Gemeinsame Suche nach neuen Beziehungsmustern, die für alle Beteiligten befriedigend sind

Handeln/ Bewältigen

Typ 9 Ggf. Mithilfe und Anregung für Orientierungshilfen in der Wohnung Kommunikationstraining im Umgang mit Demenz

Typ 10 Ggf. Stressentlastungstechniken, Möglichkeiten der Nutzung von sozialen Netzwerken zur Entlastung

Typ 11 Hilfe bei der Beschaffung des Rollstuhles

Typ 12 Unterstützen bei der Suche nach einem angemessenen Kurzzeitpflegeplatz Strategien gemeinsam überlegen, um konflikthafte Situationen zu bewälti-gen (Vermeiden von Anschreien)

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 78

1

III.LE 2.LS 5 Medien 1

Literatur: Corbin, J.M.; Strauss, A.L. (2004): Weiterleben lernen. Verlauf und Bewältigung chroni-scher Krankheit. Bern; Göttingen; Toronto; Seattle

Hellige, B. (2001): Informationsbedürfnisse älterer Menschen aus der Sicht der Pflege. In: Gesundheitsinformationen für jung und alt? Wie können die Informationsbedürfnisse älterer Menschen befriedigt werden. Dokumentation einer Kooperationsveranstaltung der Landes-vereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V. und des BKK Landesverbandes Niedersach-sen-Bremen vom 25.10.01

Hellige, B.; Hüper, Ch. (2002): Pflegerisches Beratungsmodell für chronisch kranke Men-schen. Vorüberlegungen und BauSteine. In: Pflegemagazin. Zeitschrift für den gesamten Pfle-gebereich. Hft. 6, S. 8–16

Huber, M. (2005): Beratungskonzepte in der Pflege. In: Pflege Zeitschrift, Hft. 2, S. 107–110

Koch-Straube, U. (2000): Beratung in der Pflege – eine Skizze. In: Pflege & Gesellschaft, Jg. 5, Hft. 1, S. 1–3

Koch-Straube, U. (2001): Beratung in der Pflege. Bern; Göttingen; Toronto; Seattle

Koch-Straube, U. (2004): Entwicklung eines Beratungskonzeptes für die Pflege. In: Pflege-magazin, Zeitschrift für den gesamten Pflegebereich. Hft. 4, S. 4–9

Lucius-Hoene, G. (1998): Erzählen von Krankheit und Behinderung. In: Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie, S. 108–113

Mertin, M.; Müller, I.; Beier, J. (2005): Der Begriff „Beratung“ in der Pflege. In: Pflege Zeitschrift. Hft. 2, Dokumentation Pflegewissenschaft, S. 1–6

Müller-Mundt, G.; Schaeffer, D.; Pleschberger, S.; Brinkhoff, P. (2000): Patienteneduka-tion – (k)ein zentrales Thema in der deutschen Pflege? In: Pflege & Gesellschaft, Jg. 5, Heft 2, S. 42–53

Sander, K. (1999): Personenzentrierte Beratung. Ein Arbeitsbuch für Ausbildung und Praxis. Weinheim

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 79

1

III.LE 2.LS 6 Beratungsgespräche durchführen

Leitfaden

Material 1

Arbeitsblatt 1

Arbeitsblatt 2

Arbeitsblatt 3

Arbeitsblatt 4

Teilnehmerunterlage 1

Teilnehmerunterlage 2

Material 2

Medien 1

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 80

1

III.LE 2.LS 6 Leitfaden Thema: Beratungsgespräche durchführen Rollenspiel Sozialform Medien Zeit

:

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen erste Beratungskompetenzen in einem simulierten Beratungsge-spräch erproben. Methodisches Vorgehen: Schritt 1: Zu den vorhandenen zwei Fallbeispielen (Frau Ayse und Frau Müller), zu denen der Bera-tungsbedarf in LS 6 ermittelt wurde, sollen Beratungsgespräche in Gruppen vorbereitet und durchgeführt werden. (III.LE 2.LS 6 Material 1, III.LE 2.LS 6 Arbeitsblatt 1, 2, 3 & 4). Als Arbeitshilfe stehen den Auszubildenden Texte zur Verfügung, in denen Besonderheiten einer kultursensiblen Beratung für türkische Migranten und Migrantinnen bzw. russlanddeutsche Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen skizziert werden (III.LE 2.LS 6 TU 1, III.LE 2.LS 6 TU 2). Schritt 2: Die Beratungsgespräche werden simuliert. Bei entsprechender Dynamik kann die gleiche Situation auch 2x simuliert werden.

Verortung in der AltPflAPrV,Anlage 1:

1.4 Anleiten, Beraten und Gesprä-che führen

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 81

2

Schritt 3: Abschließende Auswertung der Rollenspiele. Wichtige Regeln, die sich aus dem Gespräch herausgeschält haben, werden am Flipchart fest-gehalten (III.LE 2.LS 6 Material 1). Die Lehrkräfte ergänzen ggf. (siehe Text „Hintergründe für eine kultursensible Beratung“ III.LE 2.LS 6 Material 2)

Es empfiehlt sich, die Beratungsgespräche per Video aufzunehmen.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 82

1

III.LE 2.LS 6 Material 1 Thema: Beratungsgespräch durchführen Rollenspiel Sozialform Medien Zeit:

Methodisches Vorgehen: Schritt 1: Zu den vorhandenen zwei Fallbeispielen, zu denen der Beratungsbedarf in LS 5 ermittelt wurde, sollen Beratungsgespräche durchgeführt werden. Bereiten Sie die Gruppen entspre-chend auf das Rollenspiel vor, bilden Sie vier Gruppen und verteilen Sie die entsprechenden Arbeitsblätter (III.LE 2.LS 6 Arbeitsblatt 1, 2, 3 & 4). 1 Gruppe bereitet die Beratungsperson für den Fall von Frau Ayse vor. 1 Gruppe übernimmt die Rollen von Frau Ayse und ihrer Angehörigen. 1 Gruppe bereitet die Beratungsperson für den Fall von Familie Müller vor. 1 Gruppe übernimmt die Rollen der Frau Müller und ihrer Angehörigen. Verteilen Sie ebenfalls die Teilnehmerunterlagen III.LE 2.LS 6 TU 1 für die Gruppen, die den Fall von Frau Müller bearbeiten und III.LE 2.LS 6 TU 2 für die Gruppen, die den Fall von Frau Ayse bearbeiten. Die Gruppen können diese Teilnehmerunterlagen als Anregung nutzen.

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen erste Be-ratungskompetenzen in einem simu-lierten Beratungsgespräch erproben.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 83

2

Wenn in dem Kurs türkische und russlanddeutsche Auszubildende sind, so könnten diese die Rollen der türkischen Migrantin und ihrer Angehörigen sowie der russ-landdeutschen Frau und ihrer Angehörigen übernehmen, wenn sie dazu bereit sind. Schritt 2: Die Beratungsgespräche werden simuliert Bei entsprechender Dynamik kann die gleiche Situation auch 2x simuliert werden. Schritt 3: Abschließende Auswertung unter folgenden Fragestellungen:

1. Wie erging es den „Rollenspielern und Rollenspielerinnen“? Erlebten Sie das Be-ratungsgespräch als geglückt? (Erst die Pflegebedürftige und/oder Angehörige be-richten lassen, wie sie die Situation erlebten, ob ihre Erwartungen erfüllt wurden; dann die Beratungsperson ihren Eindruck schildern lassen.)

2. Was ist den Zuschauern und Zuschauerinnen aufgefallen?

Was war gut? Wo hakte das Gespräch? Gab es aus deren Sicht Beratungsfelder, die nicht oder ggf. zu einem zu frühen Zeitpunkt angesprochen wurden?

Wichtige Regeln, die sich aus dem Gespräch herausgeschält haben, werden am Flipchart fest-gehalten.

Es empfiehlt sich, die Beratungsgespräche per Video aufzunehmen, da die Protagonisten sich dann selbst noch einmal sehen können und auf diese Weise eine inten-sivere Auswertung möglich ist.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 84

1

III.LE 2.LS 6 Arbeitsblatt 1 Thema: Beratungsgespräch durchführen Zeit

Arbeitsauftrag Gruppe 1

Bereiten Sie ein erstes Beratungsgespräch für Frau Ayse und ihre Angehörigen vor. Nehmen Sie hierzu die von Ihnen erarbeiteten Unterlagen aus LS 5 zu Hilfe, in denen Sie den Beratungsbedarf ermittelt haben.

Nutzen Sie ebenfalls die Teilnehmerunterlage 2.

Einigen Sie sich darauf, wer von Ihnen die Rolle der Beratungsperson übernehmen

wird.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 85

1

III.LE 2.LS 6 Arbeitsblatt 2 Thema: Beratungsgespräch durchführen Zeit

Arbeitsauftrag Gruppe 2

Bereiten Sie sich als Frau Ayse und ihre Angehörigen auf ein bevorstehendes Be-ratungsgespräch vor.

Verteilen Sie die Rollen von Frau Ayse und ihrer Angehörigen entsprechend und

diskutieren Sie, welchen Unterstützungsbedarf Sie aus der jeweiligen Rolle heraus in dem Rollenspiel ansprechen möchten. Nehmen Sie hierzu die von Ihnen erarbei-teten Unterlagen aus LS 5 zu Hilfe, in denen Sie den Beratungsbedarf ermittelt ha-ben.

Nutzen Sie ebenfalls die Teilnehmerunterlage 2.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 86

1

III.LE 2.LS 6 Arbeitsblatt 3 Thema: Beratungsgespräch durchführen Zeit

Arbeitsauftrag Gruppe 3

Bereiten Sie ein erstes Beratungsgespräch für Frau Müller vor. Nehmen Sie hierzu die von Ihnen erarbeiteten Unterlagen aus LS 5 zu Hilfe, in denen Sie den Bera-tungsbedarf ermittelt haben.

Nutzen Sie ebenfalls die Teilnehmerunterlage 1.

Einigen Sie sich darauf, wer von Ihnen die Rolle der Beratungsperson übernehmen wird.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 87

1

III.LE 2.LS 7 Arbeitsblatt 4 Thema: Beratungsgespräch durchführen Zeit

Arbeitsauftrag Gruppe 4

Bereiten Sie sich als Frau Müller und ihre Angehörigen auf ein bevorstehendes Be-ratungsgespräch vor.

Verteilen Sie die Rollen von Familie Müller entsprechend und diskutieren Sie,

welchen Unterstützungsbedarf Sie aus der jeweiligen Rolle heraus in dem Rollen-spiel ansprechen möchten. Nehmen Sie hierzu die von Ihnen erarbeiteten Unterla-gen aus LS 5 zu Hilfe, in denen Sie den Beratungsbedarf ermittelt haben.

Nutzen Sie ebenfalls die Teilnehmerunterlage 1.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 88

1

III.LE 2.LS 6 Teilnehmerunterlage 1 Thema: Beratungsgespräche durchführen

Was ist bei der Beratung von russland-deutschen Spätaussiedlern und Spätaussiedlerin-nen zu berücksichtigen? Russlanddeutsche Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen sind eine sehr heterogene Gruppe aus sehr unterschiedlichen Lebenszusam-menhängen. Sie kommen aus der Großstadt oder vom Dorf. Sie kommen aus unterschiedlichen Gebieten, z. B. aus der Ukraine oder Sibirien. Insofern haben sie einerseits sehr unterschiedliche Bedürfnisse, bringen zum anderen aber auch Potentiale mit, da sie auf Erfahrungen des Zusammenlebens in einer multikulturellen Gesellschaft zurückgreifen können. Daher sollten neben besonderen Problemen auch spezifische Kom-petenzen und Ressourcen berücksichtigt werden. Diese Menschen bringen oft eine erstaunliche Mobilität und Flexibilität im Alter mit. Da es vielfältige Bilder über das Altern gibt, ist es sehr wich-tig, Fragen zu stellen und sie nach ihren eigenen Bildern und Er-wartungen zu fragen. Bisherige Erfahrungen mit russlanddeutschen Spätaussiedlern und Spätaussiedlerinnen haben folgende Besonderheiten gezeigt:

Ansprüche möchten sie hier nicht stellen, da es ihnen ver-gleichsweise gut geht, daher äußern sie kaum Wünsche nach Unter-stützung. Hilfe von außen wird aber gern angenommen.

Das Bedürfnis, aus der Lebensgeschichte zu erzählen, ist groß und auch der Wunsch, dass die ‚einheimischen Deutschen’ diese Geschichten wahrnehmen. Hier könnten Angebote zur Bio-grafiearbeit z. B. Erzählcafé oder Schreibwerkstatt als Freizeitge-staltung sinnvoll sein, da sie gleichzeitig Kontakte und Kommuni-kationsfähigkeit fördern.

Für russlanddeutsche Spätaussiedler und Spätaussiedlerin-nen spielt die kirchliche Verbindung eine große Rolle. Von der kirchlichen Gemeinde wird z. B. oft organisiert, dass die Pflegebe-dürftigen in den Altenpflegeheimen oder zu Hause besucht werden.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 89

2

Betreuungsangebote und Senioreneinrichtungen werden oft

mit sehr negativen institutionellen Erfahrungen in der Sowjetunion in Verbindung gebracht. Eine Besichtigung eines deutschen Pfle-geheims ist daher bei notwendig werdender stationärer Pflege sehr zu empfehlen.

Das Selbstwertgefühl von russlanddeutschen Spätaussied-lern und Spätaussiedlerinnen ist stark von Arbeit und Leistung ge-prägt. Viele haben eine gute Ausbildung und ihr ganzes Leben lang gearbeitet. Es fällt ihnen schwer, in Deutschland als Hilfeempfän-ger auftreten zu müssen.

Russlanddeutsche Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen fühlen sich schnell als Last und wissen nicht um ihre Rechte. Bei komplizierten Sachlagen ist es wichtig, langsam zu sprechen, im-mer wieder nachzufragen, ob sie verstanden haben, ggf. noch ein-mal von ihnen wiederholen lassen. Zuhören, Interesse und Bereit-schaft, die verschiedenen Hilfen geduldig zu erklären, sind wichtig.

Oft trauen sie sich nicht, ihre Sprachkenntnisse wegen ihres Dialektes anzuwenden, haben große Angst, Fehler zu machen. Wenn sie sich beraten lassen, erwarten sie oft, dass die Beratenden alles für sie übernehmen und fühlen sich nicht in der Lage, mitzu-arbeiten.

Menschen, die mit dieser Zielgruppe arbeiten, beschreiben, dass es durchaus problematische Situationen in den Familien gibt. Aufgrund der Erfahrungen von Zwangsumsiedlung, teilweiser In-ternierung und fortwährender Diskriminierung in der Sowjetunion sowie mangelnder Akzeptanz in Deutschland kann man vermuten, dass viele ältere Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen mehrfach traumatisiert sind.

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 90

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Quellen: Bauer, I.; Giesche, D. (2004): Ältere Spätaussiedlerinnen. Deutsche mit besonderen Bedürfnissen. In: IkoM-Newsletter 7/04. Bonn E-Mail: [email protected] Müller-Wille, C.: (2004): „Im Alter eingewandert“. Zur Lebenssi-tuation von Senioren und Seniorinnen aus der Gruppe der Spätaus-siedler. In: IkoM-Newsletter 7/04. Bonn E-Mail: [email protected] Pankratyeva, J. (2004): „Mit meiner alten Kultur in meiner neuen Heimat“ Vortrag vom 28.10.2004. In: IkoM-Newsletter 7/04. Bonn E-Mail: [email protected]

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III.LE 2.LS 6 Teilnehmerunterlage 2 Thema: Beratungsgespräche durchführen

Was ist bei der Beratung von türki-schen Migranten und Migrantinnen zu berücksich-tigen? Türkische Migranten und Migrantinnen sind keine homogene Gruppe, sondern Menschen mit unterschiedlichem Bildungsstand, aus unterschiedlichen Regionen mit je nach Region unterschiedli-chen Norm- und Wertvorstellungen. Deshalb ist es sehr wichtig, differenziert auf die Unterschiede einzugehen und die Beratung dementsprechend anzupassen.

Die erste Generation verfügt oft nur über geringe deutsche Sprachkenntnisse, daher spielt die Kommunikation in der Muttersprache eine zentrale Rolle.

Der familiäre Kontext nimmt eine zentrale Bedeutung ein und muss daher berücksichtigt werden. Die Anbin-dung/Miteinbeziehung der Angehörigen ist sehr wichtig (Angehörigenarbeit). In manchen Fällen muss zuerst der/die Angehörige die Sachlage verstehen, überzeugt sein, bevor der/die zu Beratende es annimmt.

Sie kommen mit Familienmitgliedern, Bekannten, Ver-wandten oder Dolmetschern zur Beratung. Der Berater/die Beraterin kann die Beziehung zwischen den zu Beratendem und seinem Begleiter oder seiner Begleiterin nicht abschät-zen, so dass eine Klärung von Detailfragen nicht möglich ist. Der Berater bzw. die Beraterin muss schon beim Erst-kontakt Vertrauen aufbauen und versuchen, einen neuen Termin für ein Einzelgespräch zu vereinbaren.

Sie kommen mit sehr vielen unterschiedlichen Problemen. Oft ist keine Struktur bei der Schilderung ihrer Probleme vorhanden. Eine Eingrenzung der Beratung gestaltet sich daher sehr schwierig. Vorrangig sind hier die Ermittlung des Hauptproblems und die Erläuterung der eigenen Zu-ständigkeit (zusätzlich ggf. weitere zuständige Stelle benen-nen, empfehlen).

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 92

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Oft fragen sie nicht, erwarten vom Beratenden, dass die Probleme erkannt werden. Die sehr hohe Erwartungshaltung ist meist in einem Gespräch nicht erfüllbar.

Sie haben ein großes Erzählbedürfnis über Heimat, sehr hei-matorientiert (aufgrund migrationsbedingter Situation).

Es sollte öfter nachgefragt werden, ob sie verstanden haben, worum es geht und im Gespräch praxisorientierte Beispiele geben. Durch Frage- und Antwortspiel sollte festgestellt werden, ob der Inhalt des Gespräches angekommen ist und umgesetzt werden kann. Beim Ausfüllen der Formulare un-bedingt Hilfestellung geben und ggf. zusammen ausfüllen.

Die Lösungswege sollten Schritt für Schritt erklärt und um-gesetzt werden.

Nach dem Gespräch sollte unbedingt regelmäßiger Kontakt aufrechterhalten werden.

Kontakte zu der eigenen Community (Gemeinde) sind wichtig.

Vor dem Beratungsgespräch werden oft viele unterschiedli-che andere Meinungen gehört bzw. Rat gesucht.

Oft sprechen sie vor, ohne einen Termin vereinbart zu ha-ben.

Bei der Vorsprache wegen eines bestimmten Problems kommen bei dem persönlichem Gespräch viele andere Themen zum Vorschein. Es besteht dann die Gefahr, dass das eigentliche Problem in den Hintergrund gerät und beide Seiten unzufrieden aus dem Gespräch herausgehen.

Sehr viele Vergleiche werden gezogen, (z. B. warum be-kommt mein Nachbar/meine Nachbarin Altenhilfe und ich nicht?). Es ist oft kein Verständnis von verschiedenen Rechtslagen vorhanden, daher ist die Akzeptanz sehr schwierig. Den Ausdruck „Ermessen“ oder „Ermessensent-scheidungen“ gibt es in türkischer Rechtslage nicht, daher fällt die Erklärung sehr schwer.

Belege, Nachweise werden zum Gespräch nicht oder un-vollständig mitgebracht.

Aufgrund der ausländerrechtlichen Situation muss der auf-enthaltsrechtliche Status mitbedacht werden.

Quelle: Türkisch-Deutsche Gesundheitsstiftung TDG) e.V., Gießen

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 93

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III.LE 2.LS 6 Material 2 Thema: Kultursensible Beratung Hintergrundtext

Welche Hintergründe sind für eine kul-tursensible Beratung zu berücksichtigen? Unterschiedliche Kulturen prägen unterschiedliche Wahrnehmun-gen oder „Wahrheiten“, d.h. die Menschen erklären sich ihre Welt mit den Werten und Normen ihres jeweiligen Bezugssystems (Kul-tur) und dies beeinflusst ihr Denken, Fühlen und Handeln. Durch Lernprozesse wird dieses Wissen stets verändert und weiterentwi-ckelt. Auch Vorstellungen über Gesundheit und Krankheit, Altern, die Gestaltung von Beziehungen etc. werden durch die jeweilige Kultur geprägt und bestimmen, wie die Menschen mit spezifischen Problemen umgehen und welche Unterstützungsformen für sie in-frage kommen. Menschen, die in andere Kulturen übersiedeln, machen die Erfah-rung, dass ihr bisheriges Wissen in der neuen Lebenssituation (teilweise) nicht mehr ausreicht. Es kommt zu Neuanpassungen und damit verbundenen Lernprozessen, die das Handlungsreper-toire der Menschen erweitern. Bei überfordernden Situationen kann es aber auch zu Lernblockaden kommen, d.h. die Betroffenen hal-ten an ihrem alten Muster fest, obwohl es in der neuen Umgebung nicht mehr passt. Dies kann eine Beratung notwendig machen, die zwischen den kulturellen Werten der Vergangenheit und der sozia-len Gegenwart vermittelt. (vgl. Hegemann 1996, S. 21) Dies gilt generell für Menschen in modernen Gesellschaften, da moderne Gesellschaften von rasanten Veränderungsprozessen ge-kennzeichnet sind, denen auch kulturelle Werte und Normen unter-liegen. Insbesondere gilt dies für Migranten und Migrantinnen und Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen, da diese sich zusätzlich auf die kulturellen Gegebenheiten des Einwanderungslandes einstellen müssen. In der Altenpflege könnte z. B. ein Beratungsbedarf entstehen, wenn die Eltern die Erwartung an ihre Kinder herantragen, dass diese sie pflegen sollen. Die Kinder fühlen sich dieser Erwartung verpflichtet, leben jedoch gleichzeitig in einer Gesellschaft, die mit ihren Werten und Normen entgegengesetzte Erwartungen an sie stellt (Berufstätigkeit, Mobilität, Flexibilität). Hier könnte eine Be-

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ratung über mögliche unterstützende Angebote hilfreich sein, so-wohl für Einheimische als auch für Migranten und Migrantinnen.

Was ist für die transkulturelle Beratungsar-beit zu empfehlen? Für Personen, die Migranten und Migrantinnen bzw. Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen beraten, ist es wichtig, dass sie ihre eigene Kultur und damit verbundene Werte und Normen kennen, damit sie diese nicht unreflektiert auf die zu beratende Familie übertragen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, eine wohlwollende, neugierige und fragende Haltung einzunehmen, um zunächst das jeweilige Erklä-rungskonzept der Betroffenen und ihrer Angehörigen in Erfahrung zu bringen. Dieses sogenannte „zirkuläre“ Fragen sollte sich kon-kret auf Verhalten und Handlungen der Betroffenen und ihrer An-gehörigen beziehen, z. B.:

• Fragen zur Familienstruktur (wer trifft in welcher Situation die Entscheidungen?)

• Fragen zum Problem (wie erklärt sich wer das Problem? ) • Fragen zu weiteren wichtigen Bezugspersonen (wie würden

diese entscheiden?) • Hypothetische Fragen (was wird sein, wenn sich die Situa-

tion verschlechtert?) (vgl. Oesterreich 1996, S. 12) Neben der herzlichen und verständnisvollen Haltung ist es wichtig, dass die beratende Person die neutrale Rolle zwischen den Perspek-tiven der deutschen Institutionen und den Ansichten der Migranten-familie nicht aus den Augen verliert. Die Familienbiografie mit ihrem jeweiligen soziokulturellen Hin-tergrund ist wichtig, da sie zum einen die Informationsgrundlage des Beraters/der Beraterin erweitert und zum anderen die Familie zur Reflexion über eigene Werte und Normen anregen kann (vgl. Friese; Kluge 2000, S. 94). Wenn die beratende Person feststellen sollte, dass es Diskrepanzen zwischen traditionellen Denkstrukturen und der augenblicklichen sozialen Situation gibt, sollte sie vorsichtig auf mögliche Unterstüt-zungsmöglichkeiten hinweisen und den Betroffenen Zeit lassen, sich mit diesem Gedanken anzufreunden.

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Quellen: Alberstötter, U.; Demmer-Gaite, E.; Fryszer, A.; Gisbers, S. (2000): Unterschiedliche Sichtweisen im interkulturellen Bera-tungsprozess. In: Fremdheit und Beratung und Therapie, Band 7. Fürth, S. 68 - 95 Banning, H. (1995): Bessere Kommunikation mit Migranten. Ein Lehr und Trainingsbuch. Weinheim Friese, P.; Kluge, I. (2000): Fremdheit in Beratung und Therapie. Band 7, Fürth, zu beziehen bei: Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. Herrnstraße 53 90763 Fürth Tel.: 0911 / 9 77 14-0 E-Mail: [email protected] Hegemann, Th. (1996): Transkulturelle Kommunikation in Bera-tung und Therapie. In: Pro Familia Magazin, Heft 1, 22. Jahrgang, S. 20–21 Oesterreich, C. (1996): Zwischen den Kulturen. Transkulturelle Beratung und Therapie. In: Pro Familia Magazin, Heft 1, 22. Jahrgang, S. 11–13

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III.LE 2.LS 6 Medien 1

Literatur: AWO, Region Hannover (2005): “Seniorenkompass”. Hilfe in acht Sprachen, zu beziehen bei: AWO Region Hannover Tel.: 0511 / 21 97 81 40 AWO, Bezirk Westl. Westfalen (2005): Erinnerungskarten für türkische Senioren, zu beziehen bei: AWO Bezirk Westl. Westfalen Abt. Sozialpolitik, Kronenstraße 63–69 44141 Dortmund Tel.: 0232 / 548 31 23 E-Mail: [email protected] Banning, H. (1995): Bessere Kommunikation mit Migranten. Ein Lehr und Trainingsbuch. Weinheim Friese, P.; Kluge, I. (2000): Fremdheit in Beratung und Therapie. Band 7. Fürth, zu beziehen bei: Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. Herrnstraße 53 90763 Fürth Tel.: 0911 / 9 77 14-0 E-Mail: [email protected] Hegemann, Th. (1996): Transkulturelle Kommunikation in Bera-tung und Therapie. In: Pro Familia Magazin, Heft 1, 22. Jahrgang, S. 20–21 Hegemann, Th.; Lenk-Neumann, B. (Hrsg.) (2002): Interkultu-relle Beratung. Grundlagen, Anwendungsbereiche und Kontexte in der psychosozialen und gesundheitlichen Versorgung. Berlin Oesterreich, C. (1996): Zwischen den Kulturen. Transkulturelle Beratung und Therapie. In: Pro Familia Magazin, Heft 1, 22. Jahrgang, S. 11–13

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III.LE 2.LS 7 Beratungsangebote für Migranten und Migran-tinnen sowie Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen

Leitfaden

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III.LE 2.LS 7 Leitfaden Thema: Beratungsangebote für Migranten und Migrantinnen sowie Spätaus- siedler und Spätaussiedlerinnen Gespräch mit Experten Sozialform Medien Zeit

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen für kulturspezifische Beratungsfelder sensibilisiert werden. Sie sollen erkennen, dass eine Kooperation mit anderen Einrichtungen für eine kultursensible Altenpflege unerlässlich ist. Methodisches Vorgehen: Schritt 1: In Absprache mit den Auszubildenden wird entschieden, aus welchen kulturspezifischen Be-ratungsdiensten Experten/Expertinnen eingeladen werden sollen. Die Einladungen müssen rechtzeitig im Vorfeld organisiert werden und können dann zeitlich verteilt in die Unterrichts-einheiten eingebunden werden. Ob Experten bzw. Expertinnen aus verschiedenen Beratungs-einrichtungen eingeladen werden, hängt von der zur Verfügung stehenden Zeit ab. Für jedes Expertengespräch sollten zwei Unterrichtsstunden eingeplant werden. Schritt 2: Für die Befragung einer Expertin/eines Experten von einem Beratungsdienst für Migranten und Migrantinnen bzw. Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen werden gemeinsam Fragen vorbereitet, die an die eingeladene Person gestellt werden können. Diese Fragen werden am Flipchart gesammelt und strukturiert. Zeit:

Verortung in der AltPflAPrV, An-lage 1:

1.4 Anleiten, beraten und Ge-spräche führen

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 99

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Schritt 3: Gespräch mit dem Experten/der Expertin Zeit:

Adressen von Beratungsdiensten für Migranten und Migrantinnen können Sie bei der Informations- und Kontaktstelle für die Arbeit mit älteren MigrantInnen (IkoM), Bonn in Erfahrung bringen (www.aktioncourage.de/ikom/kontaktdatenbank.htm). Die IkoM-Kontaktdatenbank umfasst derzeit über 2.100 bundesweit kooperierende Träger und Fachstel-len der Altenhilfe, Schulungsstätten, wissenschaftliche Einrichtungen, Ministerien, kommuna-le Stellen und Experten aus den europäischen Nachbarländern. Dokumentiert werden bei-spielsweise Angebote mit einem kultursensiblen Ansatz in der offenen, stationären und teil-stationären Altenhilfe, Selbsthilfeprojekte, Forschungsprojekte sowie Informations- und Schulungsangebote für Fachkräfte und Betroffene.

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III.LE 2.LS 8 Umgang mit schwierigen Beratungssituationen

Leitfaden

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 101

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III.LE 2.LS 8 Leitfaden Thema: Umgang mit schwierigen Beratungs- situationen Gespräch mit Experten Zeit: Sozialform Medien

Zielsetzung: Die Auszubildenden sollen für pflegerelevante Beratungsprobleme sensibilisiert werden. Methodisches Vorgehen: Schritt 1: Es werden Experten/Expertinnen z.B. vom transkulturellen ambulanten Pflegedienst oder der Überleitungspflege/Pflegeüberleitung eingeladen. Die Einladungen müssen rechtzeitig im Vorfeld organisiert werden. Schritt 2: Für die Befragung einer Expertin/eines Experten werden gemeinsam Fragen vorbereitet, die an die eingeladene Person gestellt werden können. Diese Fragen werden am Flipchart ge-sammelt. Zeit:

Verortung in der AltPflAPrV, An-lage 1:

1.4 Anleiten, beraten und Ge-spräche führen

Modul III.LE 2 Kultursensible Beratung 102

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Schritt 3: Gespräch mit dem Experten/der Expertin Zeit:

Adressen können Sie bei der Informations- und Kontaktstelle für die Arbeit mit älteren MigrantInnen (IkoM), Bonn in Erfahrung bringen (www.aktioncourage.de/ikom/kontaktdatenbank.htm). Die IkoM-Kontaktdatenbank umfasst derzeit über 2.100 bundesweit kooperierende Träger und Fachstellen der Altenhilfe, Schulungsstätten, wissenschaftliche Einrichtungen, Ministe-rien, kommunale Stellen und Experten aus den europäischen Nachbarländern. Dokumentiert werden beispielsweise Angebote mit einem kultursensiblen Ansatz in der offenen, stationären und teilstationären Altenhilfe, Selbsthilfeprojekte, Forschungsprojekte sowie Informations- und Schulungsangebote für Fachkräfte und Betroffene. Wenn es schwierig sein sollte, Experten oder Expertinnen einzuladen, kann auch die Mög-lichkeit genutzt werden, die Auszubildenden durch kultursensibel arbeitende Pflegedienste an handlungsbezogene Inhalte kultursensibler Arbeit und Beratung heranzuführen (Praxisauf-trag).