Handlungsorientiert lehren und lernen - ciando...

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Herbert Gudjons Handlungsorientiert lehren und lernen Schüleraktivierung – Selbsttätigkeit – Projektarbeit 8., aktualisierte Auflage Erziehen und Unterrichten in der Schule

Transcript of Handlungsorientiert lehren und lernen - ciando...

  • Herbert Gudjons

    Handlungsorientiert lehren und lernenSchüleraktivierung – Selbsttätigkeit – Projektarbeit

    8., aktualisierte Auflage

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    rnen

    Tiefgreifende Wandlungen in der Aneignung von Kultur

    prägen das gegenwärtige Aufwachsen von Kindern

    und Jugendlichen: Statt sinnlicher, primärer Erfahrun-

    gen schieben sich heute mediale „Erfahrungen aus

    zweiter Hand“ in den Vordergrund.

    Handlungsorientiertes Lehren und Lernen steuert dieser

    Entwicklung entgegen. Im Mittelpunkt des Buches steht

    das Lernen mit vielen Sinnen.

    • Kapitel1begründetdasKonzeptimKontextneuerer

    Ansätze.

    • Kapitel2lieferteinedidaktischeBegründung,wobei

    moderneKognitions-undHandlungstheorienebenso

    einbezogenwerdenwieErgebnissederHirnforschung.

    • Kapitel3entwickeltdie„Hochform“handlungsorien-

    tierten Unterrichtes: Projektunterricht. Dabei werden

    aktuelle Entwicklungen und empirische Untersuchungen

    vorgestellt.

    • Kapitel4zeigtmitzahlreichenBeispielen,wieman

    handlungsorientierte Elemente in den normalen Fachun-

    terricht integrieren kann.

    978-3-7815-2001-1

    Der Autor

    Herbert Gudjons war viele Jahre

    LehreraneinerGrund-,Haupt-und

    Realschule,dannAssistentund

    DozentamFachbereichErzie-

    hungswissenschaftderUniversität

    Hamburg,seit1980ProfessorfürAllgemeineErziehungs-

    wissenschaftundSchulpädagogik.IntensiveErfahrun-

    geninderLehrerfortbildungundPraxisbezuginden

    Lehrveranstaltungenprägenseinewissenschaftlichen

    VeröffentlichungenzurDidaktik,Unterrichtsmethodikund

    Schulpädagogik.Von1980bis2008warerSchriftleiterund

    RedaktionsmitgliedderZeitschriftPÄDAGOGIK.Seit2005

    emeritiert.

    Erziehen und Unterrichten in der Schule

  • Gudjons Handlungsorientiert lehren und lernen

  • Herbert Gudjons

    Handlungsorientiert lehren und lernen

    Schüleraktivierung – Selbsttätigkeit – Projektarbeit

    8., aktualisierte Auflage

    Verlag Julius Klinkhardt Bad Heilbrunn • 2014

  • Dieser Titel wurde in das Programm des Verlages mittels eines Peer-Review-Verfahrens aufgenommen. Für weitere Informationen siehe www.klinkhardt.de.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

    2014.N. © by Julius Klinkhardt.Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg.Printed in Germany 2014.Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem alterungsbeständigem Papier.

    ISBN 978-3-7815-2001-1

  • Inhalt

    Einleitung ........................................................................................................ 7

    1 Handeln lernen in einer handlungsarmen Lebenswelt – Zur praktischen Notwendigkeit eines handlungsorientierten Unterrichts .. 111.1 „Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit“ und die Schrumpfung von

    Handlungsmöglichkeiten .................................................................................. 111.1.1 Der Wandel der kindlichen Lebenswelt und der Jugendkultur ................. 111.1.2 Der Verlust der sinnlichen Erfahrung in der Schule und

    das Motivationsproblem .......................................................................... 171.2 Handlungsorientierung in neueren didaktischen Ansätzen ................................. 19

    1.2.1 Exemplarisch-genetisches Lernen ............................................................. 191.2.2 Entdeckendes Lernen ............................................................................... 211.2.3 Offener Unterricht ................................................................................... 221.2.4 Freie Arbeit .............................................................................................. 251.2.5 Erfahrungsbezogener Unterricht .............................................................. 261.2.6 Selbstgesteuertes Lernen ........................................................................... 291.2.7 Soziales Lernen und Gruppenunterricht ................................................... 321.2.8 Subjektive Didaktik – die Modellierung von Lernwelten .......................... 34

    1.3 Handlungsorientierung in „Alternativen zur/in der Regelschule“ ....................... 35

    2 Handlungstheorien und handlungsorientierter Unterricht – Zur theoretischen Begründung handlungsorientiertenLehrens und Lernens ..................................................................................392.1 Unterschiedliche Theorieebenen – oder: Was nützt Theorie? ............................. 392.2 Aneignungstheorie und Handelnder Unterricht ................................................. 432.3 Handlungsregulationstheorie: Das Modell einer „vollständigen Handlung“ ....... 462.4 Kognitive Handlungstheorie und handlungsorientierter Unterricht ................... 502.5 Lern- und Motivationspsychologie und handlungsorientierter Unterricht .......... 582.6 Pädagogische Begründung handlungsorientierten Unterrichts –

    Zusammenfassung bisheriger Überlegungen ...................................................... 66

    3 Projektunterricht – ein umfassendes Konzept handlungsorientiertenLehrens und Lernens ..................................................................................733.1 Woher kommt der Projektunterricht? ................................................................. 733.2 Was ist Projektunterricht? – Schritte und Merkmale eines Projektes ................... 76

    3.2.1 Merkmal: Situationsbezug ........................................................................ 793.2.2 Merkmal: Orientierung an den Interessen der Beteiligten ........................ 803.2.3 Merkmal: Gesellschaftliche Praxisrelevanz ................................................ 813.2.4 Merkmal: Zielgerichtete Projektplanung ................................................... 83

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  • 3.2.5 Merkmal: Selbstorganisation und Selbstverantwortung ............................ 833.2.6 Merkmal: Einbeziehen vieler Sinne .......................................................... 843.2.7 Merkmal: Soziales Lernen ........................................................................ 853.2.8 Merkmal: Produktorientierung ................................................................ 863.2.9 Merkmal: Interdisziplinarität .................................................................... 893.2.10 Merkmal: Grenzen des Projektunterrichts .............................................. 90

    3.3 Methodische Realisierung des Projektunterrichts ............................................... 923.3.1 Planung der Projektarbeit ......................................................................... 923.3.2 Durchführung ........................................................................................ 1013.3.3 Beendigung, Leistungsbeurteilung und Auswertung ............................... 103

    3.4 Aktuelle Entwicklungen des Projektunterrichts ................................................ 1073.4.1 Empirische Untersuchungen zum Projektunterricht ................................ 1073.4.2 Zwischen Inflation und Konsolidierung ................................................. 111

    4 Handlungsorientierung in der Praxis des (Fach-)Unterrichts ...................1174.1 (Fach-)Unterricht handlungsorientiert planen .................................................. 1194.2 Handlungssituationen in den (Fach-)Unterricht integrieren ............................. 122

    4.2.1 Beispiel: Spielen und Lernen .................................................................. 1224.2.2 Beispiel: Erkunden und Erforschen ........................................................ 1244.2.3 Beispiel: Herstellen und Verwenden ....................................................... 1264.2.4 Beispiel: Erfahren und Erleben ................................................................ 1284.2.5 Beispiel: Probieren und Studieren .......................................................... 1304.2.6 Beispiel: Zusammenarbeiten und Kommunizieren ................................. 1314.2.7 Beispiel: Phantasieren und Experimentieren ........................................... 1344.2.8 Beispiel: Tätigsein und Verantworten ..................................................... 1364.2.9 Beispiel: Eingreifen und Verändern ........................................................ 1374.2.10 Beispiel: Klassenreise und Schulleben ................................................... 138

    4.3 (Fach-)Unterricht handlungsorientiert auswerten – Lernkontrolle und Zensuren ........................................................................... 140

    4.4 Vier didaktische Probleme des handlungsorientierten Unterrichts .................... 1434.4.1 Problem: Systematik des Lehrgangs und Zufallsmoment beim Handeln 1434.4.2 Problem: Handlungsorientierung und Frontalunterricht ......................... 1474.4.3 Problem: Lehrziele von Lehrenden und Handlungsziele von Lernenden 1514.4.4 Problem: Institutionelle Bedingungen und die Einführung von

    handlungsorientiertem Unterricht .......................................................... 154

    Statt eines Ausblicks .....................................................................................156

    Literaturverzeichnis ......................................................................................157

    6 | Inhaltsverzeichnis

  • Einleitung

    Der handlungsorientierte Unterricht ist ein viel diskutierter Unterrichtsansatz. Seit 1986, dem Jahr der ersten Au�age dieses Buches, ist die Zahl der Veröf-fentlichungen stark angewachsen und kaum noch überschaubar. Vorreiter in der schulischen Praxis sind die beru�ichen Schulen, die Hauptschulen, Gesamtschu-len und die Grundschulen. Aber auch Gymnasium, Sonder- und Realschule er-proben zunehmend Lernformen, die Denken und Handeln miteinander zu ver-binden suchen. Insbesondere der Projektunterricht – zumindest in der Form der Projektwochen – ist fester Bestandteil im Programm vieler Schulen. Auch geben Stundentafeln und Unterrichtsorganisation mehr Raum für handlungsorientierte Ansätze, vielfach wird inzwischen auch der normale Fachunterricht oder fächer-übergreifender Unterricht handlungsorientiert gestaltet. Der Autor konnte dazu in der wissenschaftlichen Begleitung entsprechender Schulversuche und in der Lehrerfortbildung zahlreiche Erfahrungen sammeln.So erfreulich diese Innovationen sind, so deutlich ist aber auch die Notwendig-keit, das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts theoretisch zu begrün-den. Dies geschieht im vorliegenden Buch aber nicht durch die Entwicklung einer in sich geschlossenen �eorie (z.B. des Projektunterrichts), sondern durch den be-scheideneren Versuch, aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Forschungsrich-tungen Argumente zusammenzutragen, die den handlungsorientierten Unterricht untermauern können.Handlungsorientierter Unterricht – so wie er in diesem Buch verstanden wird – ist keine didaktische �eorie, auch kein Modell (wie z.B. die „lehrtheoretische Didaktik“ – W. Schulz, die „curriculare Didaktik“ – C. Möller oder die „bil-dungstheoretische Didaktik“ – W. Klafki). Wie so oft in der Geschichte der Päd-agogik und der Schulreform ist auch beim handlungsorientierten Unterricht die Praxis der �eorie um einige Längen voraus. Handlungsorientiertes Lernen in der Schule wurde nicht in Curriculumwerkstätten von theoretisch versierten Wissen-schaftlern entwickelt und dann in den Schulen implementiert, sondern entstand in den letzten – sagen wir 30 – Jahren an der „Basis“, als Impuls von unten, eher im Ausprobieren denn als Anwendung theoretischer Vorgaben.

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  • Es ist daher nachvollziehbar, wenn der Begri� „handlungsorientierter Un-terricht“ zunächst einmal als eine Art Sammelname für recht unterschied-liche methodische Praktiken verwendet wurde und wird. Diese Methoden sind nicht gänzlich neu (denkt man an die Reformpädagogik im ersten Drittel unseres Jahrhunderts, z.B. an Gaudigs Satz: „Es kommt darauf an, den Schüler aus dem Passivum in das Aktivum zu übersetzen“). Sie sind auch nicht klar abgrenzbar von verwandten Ansätzen (Freiarbeit, O�e-ner Unterricht, entdeckender Unterricht, erfahrungsorientierter Unter-richt  u.a.m.). Ihr gemeinsamer Kern ist die eigentätige, viele Sinne umfas-sende Auseinandersetzung und aktive Aneignung eines Lerngegenstandes. Es gibt inzwischen zahlreiche Arbeiten, die sich um Klärung und sogar Ent-wicklung eines Konzeptes des handlungsorientierten Unterrichts bemühen (Rohr 1982, Aebli 1983/2006, Witzenbacher 1985, Bönsch 1995, Beck 1996, Bauer 1996, Halfpap 1996, Bastian/Gudjons u.a. 1997, Jank/Meyer 2008). Andere kritisieren vorliegende Entwürfe (Zur Kritik ... 1989, Kash-nitz 1993, Stommel 1995, Wöll 1998/2004). Vereinzelt �nden sich auch Berichte über empirische Erprobungen z.B. im Feld beru�icher Bildung (Halfpap u.a. 1993, Kujawski 1994, Pfahl 2000). Doch bis heute fehlt eine umfassende Begründungstheorie auf der Grundlage moderner Handlungs-theorie(n), kognitiver Lernpsychologie oder subjektorientierter Didaktik.

    Insofern ist der Begri� „Handlungsorientierter Unterricht“ eher ein recht grobes Verständigungskürzel für einen an den Rändern unscharfen Methodenkomplex, weniger aber Ausdruck eines theoretisch konzisen didaktischen Modells. Er hat bisweilen stark appellativen Charakter, erscheint aber auch als konkrete Utopie einer veränderten Schule und als Antwortversuch auf veränderte Lernstile von Schülern und Schülerinnen.Handlungsorientierung wird von mir aufgefasst als ein Unterrichtsprinzip, das bestimmte Merkmale hat, das argumentativ theoretisch begründbar ist (lernpsy-chologisch wie sozialisationstheoretisch) und das in verschiedenen Unterrichtszu-sammenhängen realisiert wird (und möglichst oft realisiert werden sollte!). Es ist aber nicht gleichbedeutend mit „Unterricht“ oder „Schule“.Wenn Sie also Genaueres (als nur einige Vorformen auf der methodischen Ebe-ne) erfahren wollen, lesen Sie das Kapitel 3 über Projektunterricht. Hier wird an manchem Einzel- und einem durchgehenden Hauptbeispiel durchbuchstabiert, was handlungsorientierter Unterricht sein kann, gleichsam idealtypisch in einer Unter richtsform, die eine lange Tradition hat. Um es aber deutlich zu sagen: Was Sie hier nicht �nden werden, ist eine didaktische oder schulpädagogische �eorie des Projektunterrichts; diese zu erarbeiten, muss späteren Arbeiten vorbehalten bleiben.

    8 | Einleitung

  • Wenn Sie sich darüber hinaus Gedanken machen über die tiefgreifenden Verän-derungen in der Kultur der Gegenwart und ihre Auswirkungen auf die Schule, dann beginnen Sie am besten doch mit dem ersten Kapitel und folgen Sie seiner Analyse. Diese entwickelt nämlich aus den gleichermaßen faszinierenden wie be-ängstigenden Wandlungen der Kindheit und Jugend (1.1) die �ese, dass hinter dem handlungsorientierten Unterricht wesentlich mehr steckt als nur ein bisschen mehr Aktivität und Spaß für die Schüler/innen (das natürlich auch). Es geht um die bedrängende Frage, was die Schule angesichts verkürzter und vereinseitigter kultureller Aneignungsformen von Kindern und Jugendlichen in der Gegenwart tun kann und muss. Neuere Untersuchungen bestätigen eindrücklich diesen Wandel der Bedingungen des Aufwachsens (Göppel 2005, Fend 2005). Seit längerer Zeit hat sich die Didaktik bemüht, diese Fragen aufzugreifen und Konsequenzen zu entwickeln. Es gibt eine Reihe von Ansätzen (1.2), die wesentli-che Elemente eines handlungsorientierten Unterrichts enthalten – und praktiziert haben. Ich �nde sie zum Teil außerordentlich anregend. Wie lässt sich Handlungs-orientierung aber außer mit dem Argument der Aufmunterung müder Schüler/innen didaktisch begründen (Kap. 2)? Soll Unterricht nicht primär Kenntnisse und Einsichten vermitteln – Handeln kommt ja erst später, im Leben?! Aneignungsthe-orie (2.2), Handlungsregulationstheorie (2.3) und kognitive Handlungstheorie (2.4) belegen demgegenüber klar, dass alles Lernen im Grunde Handeln ist; auch be-gri�iches Lernen ist nichts anderes als geistiges Handeln. Aber auch aus der Lern- und Motivationspsychologie (2.5) lassen sich wichtige Argumente zur Begründung handlungsorientierten Lernens gewinnen. Die bisherigen Überlegungen münden darum in eine lernpsychologisch-anthropologische und pädagogisch-didaktische Begründung des handlungsorientierten Unterrichts (2.6). Das folgende Kapitel (3.) stellt dann die Frage: Wie sieht das praktisch aus, Pro-jektunterricht und projektorientiertes Lernen in der Regelschule? Leider wird die Bezeichnung „Projektunterricht“ heute stark verwässert, ja in�ationär gebraucht. Ein Verständnis der historischen Ursprünge, vor allem der grundlegenden Arbei-ten Deweys (3.1) sowie die Kennzeichnung von Schritten und Merkmalen eines Projekts (3.2) helfen, ein klares und praktikables Konzept des Projektlernens zu gewinnen. Zahlreiche Vorschläge und Hilfen zur methodischen Planung, Durch-führung und Auswertung von Projekten schließen sich an (3.3). Schließlich er-möglichen ein Überblick über die Entwicklung des Projektunterrichts sowie eine Zusammenfassung empirischer Untersuchungen und eine Analyse der gegenwär-tigen Tendenzen (3.4) ein besseres Verständnis dieser Unterrichtsform, aber eben auch ihrer Fehlentwicklungen.Aber Schulen sind im Alltag bestimmt durch Stundenplan und Fachunterricht. Projektunterricht bleibt Episode, wenn er sich auf gelegentliche Projektwochen vor den Sommerferien beschränkt. Auch der normale Fachunterricht kann aber nach dem Prinzip der Handlungsorientierung angelegt werden (Kap. 4). Dazu

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  • muss man anders planen (4.1), Handlungssituationen in den Unterricht mehr und mehr integrieren (4.2) und das Ganze gelegentlich auch kritisch re�ektieren/auswerten (4.3). Dazu wird eine Fülle von Beispielen, Ideen und praktischen An-regungen vermittelt.Nun sollen Handlungselemente aber nicht nur die Motivationsrosinen im tro-ckenen Fachunterrichtskuchen sein. So wenig die Praxisbeispiele eine in sich ge-schlossene Didaktik repräsentieren, so deutlich geben sie Hilfe darin, langfristig und vorbereitend den Unterricht insgesamt stärker handlungsorientiert zu gestal-ten, um für Projektunterricht benötigte Kompetenzen aufzubauen.Handlungsorientierter Unterricht ist von anspruchsvoller Qualität, und doch re-alisierbar, er ist in seiner Struktur einfach, aber nicht simpel. Darum fasse ich abschließend (4.4) einige Grundprobleme in vier Punkten noch einmal zusammen und versuche, handlungsorientiertes Lehren und Lernen auf solide didaktische Füße zu stellen.

    10 | Einleitung

  • 1 Handeln lernen in einer handlungsarmen Lebenswelt – Zur praktischen Notwendigkeit eineshandlungsorientierten Unterrichts

    1.1 „Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit“ und die Schrumpfung von Handlungsmöglichkeiten

    1.1.1 Der Wandel der kindlichen Lebenswelt und der JugendkulturKinderwelt 1945: „Ausgenutzt wurde, was vorhanden war. Nämlich Trümmer. Es war ein herrliches Gebiet, wo man sich verstecken konnte, wo man Indianer spie-len konnte, wo man sich der Beobachtung der Eltern, der Erwachsenen entzog, wo man sich aus diesen Trümmern wieder sein eigenes Reich aufbauen konnte. Hütten aus Stein usw. ... ja, und daß ich immer die Squaw sein mußte, die den Kindern die Strümpfe stopfte; den Jungs wohlgemerkt, wenn die wieder auf sol-che Trümmer geschlichen waren und das nicht zeigen durften zu Hause“ (Schütze/Geulen, in: Preuss-Lausitz u.a. 1983, 33f.).Niemand wird das Verschwinden dieser „Wirklichkeit“ bedauern, jedenfalls so-weit es die Trümmer betri�t. Anders ist es mit dem Aspekt des erfahrungsreichen Spielgebietes, der Freiheit von elterlicher Kontrolle, der Möglichkeit, sich sein „eigenes Reich aufzubauen“. Denn mit der Beseitigung der Trümmer, mit dem Wiederaufbau und dem Ausbau der uns umgebenden Welt in der Gegenwartskul-tur hat sich zugleich ein tiefgreifender Wandel der Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen vollzogen, einschlägige Verö�entlichungen spie-geln dies bereits im Titel: „Kinderkultur – die sanfte Anpassung“, (Lenzen 1978); „Kindsein ist kein Kinderspiel“, (Hagedorn u.a. 1987); „Per Knopfdruck durch die Kindheit“, (Jörg 1987). H. von Hentigs Buchtitel „Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit“ (1984) markiert dabei bereits in den 1980er Jahren sehr genau die aktuelle Entwick lungs tendenz.Wer sich heute mit einem Konzept zum handlungsorientierten Unterricht be-schäftigt, wird nämlich sehr nüchtern feststellen, dass die Veränderungen unserer Lebenswelt zu einem grundsätzlichen Nachdenken über die Funktion von Schule in einer „entwirklichten Wirklichkeit“ zwingen. Im handlungsorientierten Un-terricht geht es deshalb um mehr und anderes – so die zentrale �ese dieses Bu-

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  • ches – als um ein neues didaktisches Konzept eines Unterrichts, der die Schüler/innen wieder stärker aktiviert, motiviert und den Spaß am Lernen erhöht (das soll er auch!); handlungsorientierter Unterricht ist ein notwendiger Versuch, eine (schul-)pädagogische Antwort zu �nden auf den tiefgreifenden Wandel des kul-turellen Aneignungsprozesses von Kindern und Jugendlichen in einer Welt, in der die „Erfahrungen aus zweiter Hand“ jene „aus erster Hand“ zu überlagern beginnen (G. U. Becker 1986) – mit allen Folgen für die Entwicklung der Persön-lichkeit, aber auch für den Aufbau kognitiver Strukturen (vgl. Kap. 2), der von dem Schrumpfen von Handlungsmöglichkeiten direkt beein�usst wird.Doch das ist sehr pauschal formuliert. Stimmt die Behauptung vom tiefgreifenden Wandel in den äußeren Lebensbedingungen und von der Verringerung der Hand-lungsmöglichkeiten überhaupt? Wie lässt sie sich belegen? Dies soll geschehen durch die (hier nur sehr kurz mögliche) Beschreibung von Veränderungen – im demogra�schen Bereich – in der gegenständlichen Ausstattung von Kindheit – im Raumerleben – im Umgang mit Fernsehen und elektronischen Medien.

    (Vgl. zu allen folgenden Daten Rol� 1982, 209�., Rol�/Zimmermann 2001, Berg 1991)

    a) Demogra�sche Befunde

    Die Großfamilie, das „ganze Haus“ mit alten und jungen Menschen, Geburt und Tod, insgesamt mit einem „Maximum von Lebensformen“, ist längst der mo-dernen Kleinfamilie und ihren Lebensbedingungen gewichen: 1970 lebten in der BRD 90% der Familien ohne Großeltern im Haushalt; fast jeder 3. Haushalt ist heute sogar ein „Einpersonenhaushalt“. Der Anteil der sog. „Ein-Eltern-Famili-en“ an der Gesamtzahl der Familien betrug im Jahre 1970 7,7%, im Jahr 1985 bereits 12,8%. Und der größte Anteil der alleinerziehenden Eltern hat nur ein Kind (73%) (Grundmann/Huinink 1991). Die reichhaltigen – nicht nur sozialen – Erfahrungsmöglichkeiten haben sich damit erheblich reduziert. Nimmt man dann noch den Ersatz des Brotbackens durch „Aufbackbrötchen“, den Ersatz der Konservierungstechniken durch Tiefkühltruhe und das Wegfallen von Feuerma-chen und Kohleschleppen durch die vollautomatische Zentralheizung u.a.m. hin-zu, dann zeigt sich sehr rasch, in welchem Maß diese Entwicklung – nicht nur in der Großstadt – zum Verlust von anregender sinnlich-unmittelbarer Erfahrung im tätigen Umgang mit Dingen und Menschen geführt hat (vgl. Erdmann/Rückriem/Wolf 1996). – Allerdings: Dieser Verarmung auf der einen Seite steht auf der ande-ren durchaus Positives gegenüber, z.B. die Intensivierung der Eltern-Kind-Bezie-hung, die Zunahme an Empathie und Berücksichtigung der kindlichen Bedürf-nisse und die mit der „Aufstörung“ der Tradition einhergehende Ent-Bindung

    12 | Handeln lernen in einer handlungsarmen Lebenswelt

  • von Lebensmöglichkeiten und kulturelle Freisetzung von Lebensentwürfen (Ziehe 1982, Beck 1986).

    b) Gegenständliche Ausstattung von Kindheit

    Der Wandel der Lebensbedingungen ist im Bereich der Urbanisierung der Le-bensformen, des Wohnens, Spielens etc. besonders drastisch und damit auch re-lativ leicht rekonstruierbar. So hat etwa das Vorrücken des Autos zum privaten Massenverkehrsmittel (statistisch hat jeder dritte Erwachsene heute ein Auto) zu erheblichen Veränderungen der Erfahrungswelt der Kinder geführt. Nicht nur, dass dieser Prozess die natürliche und bauliche Umwelt für Kinder massiv verwan-delt hat: die Straße – immer noch Lieblingsplatz von Kindern – hat ihren Charak-ter von „Ö�entlichkeit“ (die für kindliche Aneignungsprozesse eine wichtige Rol-le spielt) weitgehend verloren und droht zur bedeutungslosen Verbindungslinie zu werden – für Kinder unbespielbar. Hinzu kommt besonders in Großstädten die Gleichförmigkeit moderner Siedlungsformen (z.B. Suburbs), die einseitig auf die Funktion des Wohnens ausgerichtet sind und damit nur ein verarmtes kognitives, wenig stimulierendes Anregungspotential enthalten. Die „Straßensozialisation“ mit ihrer relativ großen Freiheit für Eigentätigkeit nimmt o�enbar ab, wenn z.B. für Hochhäuser empirisch nachgewiesen wurde: „Je höher die Wohnung liegt, umso häu�ger spielt das Kind in der Wohnung“ (Mundt 1980, 83).Hingegen hat die Bedeutung des Kinderzimmers heute für Kinder aller sozialen Schichten erheblich zugenommen (Lenzen 1978, 93�.). Ausgestattet mit „kindge-rechten“ Möbeln und Spielgelegenheiten, aber auch mit vorfabriziertem Spielzeug (das Angebot umfasst 20 000–25 000 Artikel) werden sie intensiv genutzt. 80% der Kinder in Stockwerkswohnungen betreiben Spiel und Hobby im Kinderzim-mer. Kinderzimmer werden Reservate im Zuge eines Trends „von draußen nach drinnen“, der zugleich den Anteil der direkten Kontrolle durch die Eltern (meist Mutter) anwachsen lässt.Damit verlagern sich die Handlungsmöglichkeiten der Kinder auf für sie ausge-grenzte, pädagogische Spezialräume. Hierher gehört auch die Zunahme von Spiel-plätzen, Kindergärten, Sportanlagen usw. – Gleichwohl gelingt es Kindern immer noch, sich Bereiche gegenständlicher Kultur außerhalb pädagogischer Reservate „auf eigene Faust“ zu erobern, vom Haus�ur, der Garageneinfahrt und der Grün-anlage bis zum Warenhaus und zum geheimen Tre� an der Straßenecke oder auf dem Parkplatz.

    c) Raumerleben

    Spätestens seit Muchows Beschreibung des kindlichen „Streifraumes“ in den 1930er Jahren ist die Bedeutung der aktiven Aneignung des alltäglich genutzten Raumes für die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes bekannt. Urbanisie-

    | 13»Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit«

  • rung und Industrialisierung haben die Streifräume von Kindern gründlich verän-dert. „Sie bieten dem Kind nicht die Chance, in eigener Regie Außenwelt als ein Stück eigenständiger, qualitativ von der Familiensphäre unterschiedener städti-scher Umwelt zu erschließen und damit anschauliche Ö�entlichkeit kennenzuler-nen“ (Bahrdt 1974, 230). Am Beispiel des Schulweges – der oft zu gefährlich, zu langweilig oder auch zu weit geworden ist und darum nicht selten im Auto mit der Mutter zurückgelegt wird (über ein Viertel der Hausfrauen-Fahrten dient dem „Kinder-Taxi“) – lässt sich zeigen, dass selbst die Möglichkeiten zur Aneignung der „Quartiersö�entlichkeit“ geringer geworden sind.Rol� beschreibt die Umstrukturierung des kindlichen Raumerlebens als Leben auf mehreren „Inseln“: „Die ›Wohninsel‹ ist der Ausgangspunkt für zahlreiche Aus�üge zur ›Kindergarteninsel‹, später zur ›Schulinsel‹, zu den Inseln, wo die Spielkame-raden wohnen oder die Verwandten, die Inseln, wo eingekauft wird usw.“ (Rol� 1982, 221). Die Zwischen-Räume verschwinden, werden verdünnt, erlebnisarm, vor allem wenn sie im Auto oder mit ö�entlichen Verkehrsmitteln nur noch „über-brückt“ werden. Anzueignende Objekte im Raum scheinen sich durch Geschwin-digkeit zu ver�üchtigen, das Er-Fahren des Raumes wird abgelöst durch ein „pano-ramatisches Raumerleben“. Allerdings sind hier erhebliche Unterschiede zwischen ländlichen Regionen und städtischen Ballungsräumen zu beachten.

    d) Fernsehen und elektronische Medien

    Die elektronische Welt vom Fernsehen bis zum Computer ist von künstlichen Strukturen gekennzeichnet, die keine unmittelbare Realität sind, sondern Abbil-der einer konstruierten oder vorhandenen Welt darstellen, jederzeit veränderbar, au�ösbar und damit „unangreifbar“ (im doppelten Wortsinn). – Von 6-18 Jahren sitzt ein amerikanisches Durchschnittskind 16 000 Stunden vor dem Fernseher – mehr Zeit als es mit dem Vater verbringt (Postmann 1983, 168). Fernsehen und Internet zeigen besonders deutlich, in welcher Richtung sich der Modus der Aneignung symbolischer Kultur verändert hat. Kinder werden – je länger die Zeit vor dem Schirm umso mehr – über alles und jedes in der Welt „ins Bild gesetzt“. „Nicht die Erfahrung von Wirklichkeit erzeugt Bilder und Erinnerungen in ih-nen, mit denen ihre Phantasie ... dann weiterarbeiten kann, sondern eine schier unendliche Fülle von �üchtigen Bildern purzelt in sie hinein und erzeugt eine Vorstellung davon, wie die Welt sei, wie Menschen miteinander umgehen usw.“ (Becker 1986, 43). Vor allem das Fernsehen organisiert damit eine – am Kriteri-um der Unterhaltung und der Einschaltquote orientierte – symbolische Welt, die immer schon Auswahl und Vorweg-Deutung impliziert. Im Zusammenhang mit der bereits geschilderten Tendenz, dass Kinder immer weniger ursprünglich selbst erleben, anfassen, ausprobieren, erkunden etc. können, wird deutlich, dass die „ikonische“ (= bildhafte) Aneignungsweise dominiert (Postmann 1983).

    14 | Handeln lernen in einer handlungsarmen Lebenswelt

  • Nun ist nach J. S. Bruner (1974) die ikonische Aneignungsform, in der bild-lich Dargestelltes mit dem Auge wahrgenommen wird, aber keine eigenständigen Denkprozesse anregt, eine zwar wichtige Stufe in der vorschulischen Entwicklung des Kindes, aber eben nur eine Vor-Stufe der verbal-analytischen Aneignungsform, die ein hohes Maß an intellektuellen Fähigkeiten verlangt. Die Dauer-Bildschirm-konsumenten wissen über immer mehr immer schon Bescheid, bevor es ihnen „original“ begegnet, aber eben durch das Bild, nicht durch das Wort. Ein Bild ist immer situationsgebunden, kann uns z.B. nie den Begri� „Arbeit“ oder „Haus“ oder „Schule“ darstellen, sondern zeigt uns eine Besonderheit, ein Beispiel; das Wort dagegen gibt uns Verallgemeinerungen, den Begri�. Wörter sind Abstrak-tionen, die mehrere Stufen von der Wirklichkeit entfernt sind. Das Bild, das ein Wort (z.B. beim Vorlesen eines Märchens vom Prinzen) erzeugt, ist aber ein qualitativ anderes als das, welches das „Bild“ von einem Prinzen erzeugt. – Erst „auf der Grundlage von ikonischer und verbal-analytischer Rezeptionsfähigkeit können weitere Problemfelder theoretisch erfaßt ... werden“, kann Kultur kate-gorial angeeignet werden (Rol�/Zimmermann 1985, 89). – Auch wenn man die positiven Aspekte, dass das Fernsehen das Gesichtsfeld der Heranwachsenden er-weitert und ikonische Aneignung Lernprozesse ausgezeichnet unterstützen kann, mit bedenkt, so bleibt doch unter handlungstheoretischen Gesichtspunkten das Problem, dass ikonische Aneignung von Kultur die eigentätig-aktive als Rezepti-onsform zu überlagern beginnt. Von den psycho sozialen Konsequenzen des Fern-sehkonsums in Richtung Isolierung, weiterer Vereinsamung und Kontaktverlust haben wir dabei noch abgesehen. Mit zunehmendem Alter spielen dann technische Medien eine immer größere Rolle: Walkman, Radio, Video-Clips, MP3-Player, Handy usw. sind heute nicht wegzudenkende Elemente in der Bestimmung der Kinder- und Jugendkultur. Zu-dem scha�t das Telefon, neuerdings als Handy (über dessen Kosten Jugendliche sich oft Illusionen machen) enorm gesteigerte Kontaktmöglichkeiten – einerseits fördert es mediengetragene großräumige Kommunikationsnetze, andererseits me-diatisiert es die „physische Nachbarschaft“, indem es sich als technisches Medium zwischen Personen schiebt. Ähnliches gilt für die sich rasch ausbreitende Kommunikationselektronik und für den Computer in allen seinen Nutzungsmöglichkeiten, deren Bedeutung inzwi-schen nicht mehr in Frage gestellt wird. Der Umgang mit dem Computer kann ohne Zweifel Denkprozesse fördern (z.B. ein Problem zu de�nieren, Phänomene in einzelne eindeutige Elemente zu zerlegen und die Gesetze ihrer Re-Kombina-tion aufzustellen, das Spiel mit logischen Strukturen, die unsere Denkprozesse abbilden – v. Hentig 1984, 30f.). Aber es macht nicht schöpferisch, weil mehr „operations“ nicht gleichbedeutend sind mit erhöhter geistiger Produktivität. – In einer Welt, in der die ursprüngliche Erfahrung ohnehin immer knapper wird, fördern die „neuen Technologien“ eher die Tendenz, die in ihnen präsente Lo-

    | 15»Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit«

  • gik für die Realität zu nehmen. Inzwischen ist die Nutzung des Internet aus den modernen Schulen aber nicht mehr wegzudenken. Kulturkritisch-apokalyptische Warnungen sind daher ebenso fehl am Platz wie eine unkritische Umgangsweise: Heute geht es um die Anerkennung einer zunehmenden Komplexität der Wirk-lichkeit und damit um eine pädagogische „Kultivierung der Medien“ (Lohmann/Gogolin 2000, Sander/Gross/Hugger 2007), d.h. auch um die Integration des Com-puters in den handlungsorientierten Unterricht (Ritter 1995).Kinder wie Jugendliche sind in ihren Aneignungsweisen heute aber vor allem da-durch bestimmt, dass ihnen eine wachsende Kulturindustrie ihre massenkulturel-len Produkte in subtiler Weise „aufherrscht“ (Rol�/Zimmermann 1985, 165), wo-bei sie industriell vorfabrizierte Aneignungsmuster verbreitet. Die „Botschaften“, Bedeutungen und Sinngebungen der massenkulturellen Produkte müssen nicht mehr wie in der eigentätigen Aneignung in aufwendiger und mühseliger Weise entschlüsselt werden. Zwar eignen sich Heranwachsende nach wie vor Kultur an, aber sie brauchen dabei gleichsam immer weniger auf Rohsto�e der Primärerfah-rungen („aus erster Hand“) zurückzugreifen.Nun setzt aber die Aneignung von Erfahrungen Eigentätigkeit voraus, und Ei-gentätigkeit ist die „materielle Grundlage der Erkenntnistätigkeit“, in der „sich Selbstbild und Selbstsicherheit, Kompetenz und Urteilsvermögen“ objektivieren (Rol�/Zimmermann 1985, 137). Wenn also Vorstellung und Verständnis von Wirklichkeit an die aktive Auseinandersetzung mit dieser Wirklichkeit gebun-den sind, dann zerstört die massenkulturell geprägte Aneignung Zusammenhänge und Tätigkeiten, die im Erfahrungsprozess eben gerade nicht zerschnitten wer-den dürfen, „nämlich Planung und Ausführung von Vorhaben, Erfahren der Fol-gen des eigenen Tuns, Interpretation und Re�exion der Auswirkungen vor dem Hintergrund vorgängiger Erfahrungen“ (Duncker 1987, 39). Anders gesagt: Wo eine Vorstellung von Entstehen fehlt, wird das Verstehen schwieriger – wenn nicht unmöglich. Stellt man sich den Lebensweltbezug von Aneignungsprozessen wie-derum vor als ein Kontinuum zwischen den Polen „Primärerfahrungen“ und „Se-kundärerfahrungen“, so ist eine Verschiebung zu den Erfahrungen „aus zweiter Hand“ unverkennbar.

    Das Schaubild (Abb. 1, entwickelt auf der Grundlage von Rol�/Zimmermann 2001, fasst die aufgezeigte Entwicklung zusammen.

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