Handlungspsychologische und psychomotorische Prozesse beim Training bewegungszentrierter Sportarten

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FORSCHUNGSBERICHTE ALEXANDER THOMAS Handlungspsychologische und psychomoto ri sche Prozesse beim Training bewegungszentrierter Sportarten 1 Einleitung In bewegungszentrierten Sportarten, speziell in allen Kunstsportarten, besteht für Sportler und Trainer das Leistungsziel in der Perfektionierung und Beherrschung einer bestimmten Bewegungsform. So müssen z. B. beim Wasserspringen eine Reihe von Sprüngen aus verschiedenen Höhen in einer vorgeschriebenen Form realisiert werden. Ob es sich nun um Hochleistungssportler mit sehr hohem Leistungsniveau handelt, um Sportstudenten oder Freizeitsportler — in allen Fällen besteht das trainingsbestim- mende Handlungsziel im Erreichen eines bestimmten Perfektionsgrades der Sprung- gestalt. Hinzu kommt der Wunsch, das Sprunggeschehen so gut zu beherrschen, daß gute Sprungleistungen keine einmaligen Glückstreffer bleiben, sondern zu jeder Zeit, auch unter Prüfungs- und Wettkampfbedingungen, reproduziert werden können. Am Beispiel einer Untersuchung an 52 Sportstudenten, die ein Semester lang im Was- serspringen unterrichtet wurden, soll gezeigt werden, welche handlungspsydiologischen und psychomotorischen Prozesse beim Training einer für bewegungsorientierte Sport- arten so charakteristischen Sportart wie des Wasserspringens bedeutsam sind. Gleich- zeitig wird auf die methodischen Schwierigkeiten bei der Erfassung der Verlaufs- charakteristika des Trainingsprozesses und die Bedeutung empirisch - experimenteller Untersuchungen zur Schaffung wissenschaftlicher Trainingsprogramme eingegangen. 2 Überlegungen zur psychomotorischen Grundstruktur von Trainingsprozessen Die zentrale Aufgabe jedes sportlichen Trainings besteht in der Initiigrung und Steuerung eines Lernprozesses, den der Sportler zu durchlaufen hat und durch den er in die Lage versetzt werden soll, eine bestimmte Leistung zu erreichen. Die angestrebte Leistung, also was Trainer und Sportler als Ziel des gemeinsamen Handelns ansehen, stellt sich von Fall zu Fall sehr unterschiedlich dar. So hängt die angestrebte Leistung unbestritten von der spezifischen Sportart ab, auf die sich Trainer und Sportler ein- gestellt haben, z. B. Training im Rahmen der Sportlehrerausbildung, Leistungstraining zur Erreichung einer bestimmten Wettkampfleistung oder spezielles Training zur Schulung bestimmter Fertigkeiten, deren Beherrschung eine Leistungsvoraussetzung für eine andere Sportdisziplin darstellt. Nach der so determinierten Art der ange- 1 DëuMLING hat eine vorwiegend psychologische Gesichtspunkte berücksichtigende Einteilung der Sportarten in bewegungszentrierte, zielorientierte und gegnerorientierte Disziplinen versucht und deren praktische Bedeutung empirisch geprüft (DÄUMLrxc 1970). 285

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FORSCHUNGSBERICHTE

ALEXANDER THOMAS

Handlungspsychologische und psychomoto rische Prozessebeim Training bewegungszentrierter Sportarten

1 Einleitung

In bewegungszentrierten Sportarten, speziell in allen Kunstsportarten, besteht fürSportler und Trainer das Leistungsziel in der Perfektionierung und Beherrschung einerbestimmten Bewegungsform. So müssen z. B. beim Wasserspringen eine Reihe von

Sprüngen aus verschiedenen Höhen in einer vorgeschriebenen Form realisiert werden.Ob es sich nun um Hochleistungssportler mit sehr hohem Leistungsniveau handelt, umSportstudenten oder Freizeitsportler — in allen Fällen besteht das trainingsbestim-mende Handlungsziel im Erreichen eines bestimmten Perfektionsgrades der Sprung-gestalt. Hinzu kommt der Wunsch, das Sprunggeschehen so gut zu beherrschen, daßgute Sprungleistungen keine einmaligen Glückstreffer bleiben, sondern zu jeder Zeit,auch unter Prüfungs- und Wettkampfbedingungen, reproduziert werden können.

Am Beispiel einer Untersuchung an 52 Sportstudenten, die ein Semester lang im Was-

serspringen unterrichtet wurden, soll gezeigt werden, welche handlungspsydiologischenund psychomotorischen Prozesse beim Training einer für bewegungsorientierte Sport-

arten so charakteristischen Sportart wie des Wasserspringens bedeutsam sind. Gleich-

zeitig wird auf die methodischen Schwierigkeiten bei der Erfassung der Verlaufs-charakteristika des Trainingsprozesses und die Bedeutung empirisch-experimentellerUntersuchungen zur Schaffung wissenschaftlicher Trainingsprogramme eingegangen.

2 Überlegungen zur psychomotorischen Grundstruktur von Trainingsprozessen

Die zentrale Aufgabe jedes sportlichen Trainings besteht in der Initiigrung undSteuerung eines Lernprozesses, den der Sportler zu durchlaufen hat und durch den erin die Lage versetzt werden soll, eine bestimmte Leistung zu erreichen. Die angestrebteLeistung, also was Trainer und Sportler als Ziel des gemeinsamen Handelns ansehen,stellt sich von Fall zu Fall sehr unterschiedlich dar. So hängt die angestrebte Leistungunbestritten von der spezifischen Sportart ab, auf die sich Trainer und Sportler ein-gestellt haben, z. B. Training im Rahmen der Sportlehrerausbildung, Leistungstrainingzur Erreichung einer bestimmten Wettkampfleistung oder spezielles Training zurSchulung bestimmter Fertigkeiten, deren Beherrschung eine Leistungsvoraussetzungfür eine andere Sportdisziplin darstellt. Nach der so determinierten Art der ange-

1 DëuMLING hat eine vorwiegend psychologische Gesichtspunkte berücksichtigende Einteilung derSportarten in bewegungszentrierte, zielorientierte und gegnerorientierte Disziplinen versucht undderen praktische Bedeutung empirisch geprüft (DÄUMLrxc 1970).

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gestrebten Leistung und des jeweiligen Handlungsfeldes, in dem die Leistung erbrachtwerden soll, muß das Trainingsprogramm gestaltet und der Lernprozeß gesteuert wer-den. Insofern weist jeder Trainingsprozeß Besonderheiten auf, die noch durch die indi-viduellen Eigenarten von Trainer und Sportler (oder Sportgruppen) unterstützt werdenund so dem Training oft den Charakter unvergleidibarer Einmaligkeit verleihen.Meist praktiziert jeder Trainer seine eigene Methode, die er sich im Laufe seiner Trainer-tätigkeit mit Erfolg erarbeitet hat. Nicht selten hält er besonders erfolgversprechendeTrainingsmethoden geheim. Verschiedene Trainingsmethoden werden mit viel Polemikund Kontroversen diskutiert, ohne daß eine befriedigende Entscheidung für oder gegeneine der alternativen Methoden zu fällen wäre.Unabhängig von diesen für die Trainingspraxis bedeutsamen Diskussionen des Für undWider praktizierter Trainingsprogramme bemüht sich die Sportwissenschaft, das sport-liche Training und die in ihm ablaufenden Lernprozesse zu durchschauen, in Struktur-schemata und Modellen darzustellen, die für den Lernerfolg bedeutsamen Faktoren zuerfassen und ihre Wirkung auf den Lernfortschritt und die Leistungsrealisierung zumessen.Seit einiger Zeit wird das sportliche Training immer häufiger unter kybernetischenAspekten betrachtet. Bei diesem Ansatz geht man von der Annahme aus, daß die den Trai-ningsverlauf bestimmenden sensumotorischen, psychomotorischen und individualpsydlo-logischen Faktoren Systemdiarakter tragen und Regelungsprozessen unterliegen. So sindin jüngster Zeit verschiedene Versuche unternommen worden, das sportliche Trainingund speziell die sich darin entwickelnden motorischen Lernprozesse unter kybernetischen,informations- und regelungstheoretischen Aspekten zu betrachten (BECIIER/DREISSIGIREICHSTEIN 1968, UNGERER 1971, VOLPERT 1971 u. a.). Hier werden Begriffe zurBeschreibung technischer Regelsysteme, wie Regelgröße, Führungsgröße, Regler, Stell

-größe und Regelstrecke, auf den komplexen Sachverhalt sportlicher Trainingsvorgängeübertragen, ohne daß schon jetzt eine nähere Bestimmung der einzelnen Systemkompo-nenten möglich wäre.Da die Humanwissenschaften noch weit davon entfernt sind, die Bestimmungsstückebiologischer Systeme auch nur annähernd so genau erfassen zu können, wie das in denIngenieurwissensdlaften für technische Regelsysteme gelungen ist, kann eine kritikloseBegriffs- und Systemtransformation weder wissenschaftlich noch bei der Lösung prak

-tischer Probleme behilflich sein. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung scheint dersystemtheoretisdie Ansatz aber auf zwei Ebenen tatsächlich fruchtbar:

— bei dem Versuch, komplizierte Erscheinungen und Prozesse in anschaulich-klarer Formund unter Berücksichtigung möglichst umfassender Zusammenhänge darzustellen undihr Beziehungsgeflecht zu über- und untergeordneten Systemen zu erkennen;

— bei der Analyse elementarer, physikalischen Meßmethoden zugänglicher Prozesse, wiez. B. der Untersuchung der Steuerungs- und Regulationsprozesse einfacher sensumo-torischer Vorgänge. Gerade bei diesen Versuchen konnten auf experimentellem Wegeerstaunliche Ahnlichkeiten in den Verlaufsdiarakteristiken biologischer und techni-scher Regelsysteme nachgewiesen werden (Vosslus 1961, KÜPPMÜLLER 1959, MITTEL

-STAEDT 1961 u. a.).

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Bevor jedoch die Sportwissenschaft und die Sportpraxis aus systemtheoretischen Ansät-zen auf breiter Basis Nutzen ziehen können, bedarf es exakter Phänomenanalysen, dievon einer zu frühen Festlegung auf bestimmte systemtheoretische Modelle freigehaltenwerden. Im folgenden wird am Beispiel des Wasserspringens eine Strukturanalyse derTrainingsprozesse und motorischer Lernprozesse bei bewegungszentrierten Sportartenskizziert.

3 Die psychomotorische Grundstruktur sportlicher Trainings- und Lernprozesseam Beispiel des Wasserspringens

Den Sportler fassen wir zunächst als ein lernendes „System" auf, das in der Lage ist,Informationen aufzunehmen und so zu verarbeiten, daß es zu einer Verbesserungder Bewegungsgestaltung kommt. Da Bewegung nicht erst beginnt, wenn bestimmteraum-zeitliche Verschiebungen des Körpers und seiner Bewegungsorgane beobachtet undMuskelkontraktionen registriert werden können, sondern durch komplexe psychophy-sische Prozesse vorbereitet und geplant 'wird, teilen wir den Bewegungsablauf in dreiPhasen ein:

(1) Die prämotorische PhaseDiese Phase beginnt mit der Absicht des Bewegungssubjekts, eine bestimmte Bewegungauszuführen, und ist durch Prozesse, die der Bewegungsvorbereitung dienen, charakteri-siert.

(2) Die motorische PhaseMit dem Beginn der eigentlichen Bewegungsvorgänge in Raum und Zeit ist die prä-motorische Phase beendet, und es beginnt die motorische Phase, in der die Bewegungmit ihren motorischen Endhandlungen ausgeführt wird.(3) Die postmotorische PhaseNachdem die Bewegung, z. B. ein bestimmter Sprung ins Wasser, beendet ist, beginntdie postmotorische Phase, die der Feststellung und kognitiv-integrativen Verarbeitungdes Bewegungseffekts in umfassendere Bewegungs- und Handlungskonzepte vorbehal-ten ist. Am Ende dieser Phase sollte das Bewegungssubjekt zur „objektiven" Beurteilungder erreichten Leistung und zur Bewertung von Unvollkommenheiten der abgeschlosse-nen Bewegung fähig sein. Die so gewonnenen Erfahrungen mit der eigenen Bewegungs-ausführung liefern in Form eines Rückkopplungsprozesses die Grundlage für die Be-wegungsvorbereitung in einer neuen prämotorischen Phase. Nach den bisher vorliegen

-den Forschungsergebnissen zur Psychomotorik muß in den drei motorischen Phasen mitsehr komplexen psychophysischen Verlaufsprozessen gerechnet werden. Die im folgen-den darzustellenden Zusammenhänge sind in Abb. 1 veranschaulicht.Das wichtigste Ziel in der prämotorischen Phase besteht im Aufbau eines Bewegungs-plans, mit dem das aktuelle Bewegungsgeschehen gesteuert werden kann. Ein solcherBewegungsplan wird nur dann aufgebaut, wenn eine Bewegungsintention vorliegt, diewiederum vom Vorhandensein einer Lernabsicht abhängt. Der Sportler muß grund-sätzlich bereit sein, sich in einen Lern- und Trainingsprozeß einzugliedern, wobei diedabei wirksamen Motive den gesamten Lernprozeß beeinflussen.Der Bewegungsplan wird durch die subjektiven Erfahrungen und Vorstellungen desLernenden und seine sensumotorischen Grundfähigkeiten bestimmt, die je nach Art der

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auszuführenden Bewegungen sehr verschieden sein können. So hatten die Sportstuden-ten z. B. bei dem von uns untersuchten Training im Wasserspringen scion Vorerfah-rungen mit

— motorischen Lernprozessen (z. B. beim Erlernen anderer Bewegungsformen);

,vigemeineHandlungsziele

11 Bewegungsabsicht A

(1) PrämotorischePhaseI ( vvoorb reitung)

1. BewegungsplanSol iwertf estl egun

Erfahrung mit —1) - motorischen Lernpro-

zess en2) - Trainingsprozessen3) - anderen Sportarten

•sensumotorischeGrundfähigkeiten

- Körperbeherrschung- Körperbeweglichkeit- Tiefensensibil ität- Orientierungsfähigkeit- spezifische sensumotorische- Fähigkeiten

IBewegungsantizipation I

• Trui nerinformation(Bewegungsanwei su n g )

'—Vorstellung von:1)- idealer Bewegungsform (Sollwert2)- besonderen Schwierigkeiten3)- eigener Leistungsfähigkeit4)- spezifischen Gefahren der Bewe-

gungsausführung5)- Werthaftigkeit der Leistung

Bewegu ngsimpu Is

Bewegungsbeg

Bewegungs- bewusste Bewegungssteuerung

ablaut Bewegungsempfindungen

3ewegungsende

sub'ektive Leistun she-Leistungsbeurtei lung urtéilun g.Ist - Sollwert Vergleich Trainer ü teil

objektive Bewegungsverlautsdarstel lung

Istwert- Sollwert- (Film/Videofeststellung mod itikation

2. Bewegungsplan

Abb. 1: Psychomotorische Grundstruktur eines sportlichen Trainingsprozesses

Regulations-u.Steuerprozesse

(2) MotorischePhase(Bewegungsaus -führung )

(3) PostmotorischePhase(Bewegung s-beurteilung

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— Trainingsprozessen (sie wußten, wie ein Training im Rahmen ihrer Ausbildung nor-malerweise strukturiert ist);

— dem Wasserspringen verwandten Sportarten (z. B. anderen Kunstsportarten).

An subjektiven Vorstellungen, die den Bewegungsplan bestimmen, lassen sich ermitteln:

Vorstellungen— von der Bewegungsaufgabe (z. B. in Form einer Vorstellung von der idealen Be-

wegungsforrn = Sollwert);— von den besonderen (z. B. bewegungstedinisdien) Schwierigkeiten bei der Realisie-

rung der Bewegung;— von der eigenen Leistungsfähigkeit in der betreffenden Sportart;— von den Gefahren, die mit der Bewegungsausführung verbunden sind;— vom Wert der mit der Bewegungsausführung erreichbaren Leistung.

Hinzu kommen eigene Vorstellungen von der Beherrschung leistungsrelevanter sensumo-torischer Grundfähigkeiten, wie z. B. für das Wasserspringen die Körperbeherrschung,die Körperbeweglichkeit, kinästhetisdle Fähigkeiten, Orientierungsfähigkeit unter er-schwerten Bedingungen und spezifische sensumotorische Fähigkeiten.Zu diesen der Bewegungsplanung und Bewegungsvorbereitung zugrunde liegenden sub-jektiven Einstellungen und Erwartungen treten noch mehr oder weniger differenzierteInformationen des Trainers über die Bewegungsaufgabe und besondere bewegungstech-nische Schwierigkeiten bei der Bewegungsausführung.Aus allen diesen Informationen entwickelt sich beim Sportler eine Vorstellung von derauszuführenden Bewegung, und es kommt so zu einer kognitiven Vorwegnahme des Be-wegungsverlaufs in Form einer Bewegungsantizipation. Die formale Struktur und diereflektierbaren Bestimmungsstücke dieser Bewegungsantizipation ergeben den Bewegungs-plan, nach dem die an der Bewegung beteiligten nervalen Regulations- und Steuerpro

-zesse geschaltet werden. Der Bewegungsplan stellt während des Bewegungsablaufs eineInvariante dar (vergleichbar der Efferenzkopie von v. HOLST, 1950), die durch denBewegungsablauf nicht beeinflußt wird und somit die subjektive Bezugsbasis zur Beur-teilung der Bewegungsleistung darstellt. Regelungstechnisch ausgedrückt enthält der Be-wegungsplan alle relevanten Sollwertgrößen zur Steuerung des Bewegungsvorgangs undbildet so die Grundlage zur — wenn auch noch so diffusen — Wahrnehmung einer Ist

-wert-Sollwert-Abweichung.Die eigentliche motorische Phase beginnt mit dem Bewegungsimpuls, der willentlich ge-steuert ist. Weither Willensanstrengung es bedarf, diesen Anfangsimpuls zu realisieren,ist oft bei Anfängern im Wasserspringen zu beobachten, die lange auf dem Brett stehenund sich nicht zum Sprung entschließen können. Dabei ist nicht selten an ihrem Ver-halten deutlich zu erkennen, wie es zu einem ständigen Wechsel zwischen Bewegungs-impuls-Setzung und Bewegungsimpuls-Hemmung kommt.Die eigentliche Bewegungsausführung wird von komplizierten inneren und äußerenRegelkreis-Prozessen unter Führung des Bewegungsplans als invarianter Größe reguliertund je nach Art des Bewiegungsverlaufs, der Aufgabenstellung und des Übungsstandes ineinzelnen Teilen bewußtseinsfähig.

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Bei den mit hoher Geschwindigkeit und in sehr kurzer Zeit ablaufenden Bewegungsvor-gängen im Wasserspringen wird besonders dem Anfänger nur wenig vom gesamten Be-wegungsverlauf bewußt. Immerhin kommt es auch hier zu Bewegungsempfindungen, diein ihrer Art und Intensität von der Bewegungsabsicht und der Bewegungseinstellungdes Springers abhängig sind. Eine bewußte Steuerung der Bewegungsimpulse noch wäh-rend der Bewegungsausführung ist für den Anfänger im Wasserspringen schwer realisier-bar. In der postmotorischen Phase versucht der Springer, ein möglichst objektives Bildvon der Bewegung zu bekommen, um einen Vergleich zwischen seiner Bewegungsabsichtund der realisierten Bewegung ziehen zu können, der ihm eine Beurteilung der Bewe-gungsleistung ermöglicht.

Auf der Grundlage einer Bewegungsbeurteilung und Bewegungsbeschreibung durch denTrainer, durch die Beobachtung der eigenen Bewegung auf einem Fernsehschirm, aufGrund der eigenen Bewegungsempfindungen und der empfundenen Istwert-Sollwert-Abweichung kann der Springer zu einer subjektiven Bewegungsverlaufs- und Leistungs-beurteilung kommen. Diese Beurteilung bildet zusammen mit den Bewegungsanweisun-gen des Trainers die Grundlage zum Aufbau eines neuen, modifizierten Bewegungsplansund führt gleichzeitig zu einer Veränderung der Bewegungseinstellung. Ausgehend vonder so skizzierten psychomotorischen Grundstruktur des Trainingsvorganges im Wasser-springen, wurde der im folgenden beschriebene Sondierungsversuch zur Klärung einigerpsychomotorisdier Strukturen durchgeführt.

4 Empirische Analyse einiger psychomotorischer Grundstrukturen des Trainingsim Wasserspringen

4.1 Methodisches Vorgehen

Die Untersuchung wurde an 52 Sportstudenten in der Fachausbildung ,,Wasserspringen"durchgeführt.

In einem ersten Versuthsabschnitt wurden 13 Sportstudenten sofort nach Beendigung ei-nes Sprungs (Salto rückwärts gehockt vom 1-m-Brett) über den Sprungverlauf, ihreWahrnehmungen und Vorstellungen während des Sprungs und die erlebte Lage des Kör-pers, der Arme und Beine in der Absprung-, Dreh- und Eintauchphase befragt. Zur Kon-trolle dieser Aussagen wurde der Sprung gefilmt und der Trainer nach seiner Meinungzu den Sprungleistungen befragt.

In einem zweiten Versuchsabsthnitt wurde festgestellt, inwieweit den Springern die in-dividuellen Schwierigkeiten bei Realisierung des Sprungs bewußt waren und ob es ihnengelang, nach einer Diskussion dieser Schwierigkeiten und dem Vergleich mit einem „Ideal-sprung« (Filmvorführung eines Saltos rückwärts des derzeitigen Deutschen Meisters imKunstspringen), verbunden mit einer bewußten Einstellung und Konzentration auf dieschwierigen Stellen des Bewegungsablaufs, die Leistung zu verbessern, indem sie die Stör-stellen überwanden.

Nach Abschluß der gesamten Trainingszeit wurden schließlich alle 52 Sportstudenten mitHilfe eines umfassenden Fragebogens nach ihren Erlebnissen, Empfindungen und Beob-achtungen vor, während und nach der Sprungausführung befragt.

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4.2 Die subjektive Einstellung des Springers vor dem Sprung und seine Wahrnehmungwährend des Sprungs

Zum Zeitpunkt unserer Untersuchung hatten alle Sportstudenten den Salto rückwärtsschon mehrmals gesprungen und waren vom Trainer in die Sprungtechnik eingewiesenworden. Auf die Frage, ob sie sich vor dem Sprung mehr auf die Gesamtbewegung oderauf Teilaspekte konzentrierten, gaben 43 11/o der Springer an, sich mehr auf Teilaspektezu konzentrieren — wie z. B. auf den Absprung, die Hocke und das rechtzeitige Strecken.In den Einzeldiskussionen wurde immer wieder betont, daß eine zu starke Konzentra-tion auf einzelne Bewegungsabschnitte die Aufmerksamkeit von anderen Teilen ablenke,den Gesamtbewegungsablauf störe und sich neue Fehler einschleichen könnten. Hier zeigtsich die Bedeutsamkeit der Antizipationsleistungen für das Sprunggeschehen, die in ihrerArt und Intensität dem jeweils erreichten Lernstadium (z. B. Beherrschung der Grob-form, Arbeit an bestimmten Bewegungs- und Haltungsformen) angepaßt sein müssen.

Die Realisierung einer lerneffektiven Antizipationsleistung ist jedoch nicht nur für dieGestaltung des Bewegungsablaufs bedeutsam, sondern, wie auch schon in unserem ein-gangs skizzierten Modell angedeutet, zur subjektiven Erfassung und Beurteilung der Be-wegungsleistung. So gaben immerhin 55 0/o der Springer an, daß ihre Erinnerung an denSprung von ihren Absichten bestimmt gewesen sei.Die meisten Springer betonten, während des Sprungs nichts wahrgenommen zu haben;33 0/o hatten vor dem Eintauchen das Wasser und 100/o die Absprungstelle des Brettesgesehen.Auf die Frage nach einer möglichen Bewegungskontrolle während der Bewegungsaus

-führung gaben die Springer an, in der Absprungphase die Armbewegungen, in der Dreh-phase Bein- und Körperbewegungen und in der Eintaudiphase Bein- und Armbewegun-gen am besten kontrollieren zu können.Wesentliche Voraussetzung zum Aufbau eines wirksamen Bewegungsplans ist eine klareVorstellung von der zu bewältigenden Aufgabe. Auf die Frage, worauf man in den dreiPhasen des „Saltosrückwärtsgehockt" besonders achten müsse, nannten die Springer fürdie Absprungphase am häufigsten: kräftiger Abdruck, hoher Absprung, Hochbringender Arme; für die Drehphase: Anhocken, Anfassen der Beine, schnelle Drehung, recht-zeitiges Strecken; für die Eintauchphase: gestreckte Körperhaltung, Anlegen der Händean den Körper, Strecken der Beine und gerades Eintauchen.Als Ergebnis läßt sich feststellen, daß die Springer zwar durch die Anweisungen desTrainers eine zutreffende Vorstellung von der zu bewältigenden Bewegungsaufgabeentwickeln können (soweit das einer Fragebogenanalyse zu entnehmen ist) — sie sindaber von sich aus nicht in der Lage, eine dem jeweiligen Lernstadium angepaßte Bewe-gungsantizipation aufzubauen. Wenn auch fast alle Springer angeben, sich entweder aufdie Gesamtbewegung oder auf einzelne Bewegungsteile konzentriert zu haben, so ist den-noch kein Springer in der Lage, die Art der Bewegungsantizipation kognitiv zu erfassenund in das Training einzubauen. Allerdings gab der Trainer dazu auch nur wenige An-regungen und Hilfen.Die Analyse der Einzelinterviews sofort nach dem Sprung soll nun zeigen, wie sich dasSprunggeschehen auf dem Hintergrund einer so diffusen Bewegungsantizipation kogni-tiv repräsentiert.

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4.3 Wahrnehmungs- und Vorstellungsinhalte der Springer nach der Sprungausführung

Die Inhaltsanalyse der Interviews mit den Springern nach einem Sprung erbrachte imDurchschnitt lediglich drei verwertbare Aussagen je Sprung und Springer. Dabei ent-fallen auf die Absprung- und Drehphase etwa gleichviele Aussagen, wohingegen dieEintaudiphase kognitiv weniger repräsentiert ist. Auffallend ist, daß in der Absprung-und der Drehphase die meisten Aussagen über die Armhaltung und erst mit einem deut

-lichen Abstand Aussagen über die Beinhaltung erfolgen. Dieses Ergebnis läßt sich ver-mutlich damit erklären, daß die Armbewegungen im Alltag viel häufiger bewußt ge-

steuert und visuell kontrolliert werden und weniger Bewegungsstereotypen unterliegen,als das bei der Beinbewegung der Fall ist. Außerdem ist die sensible Repräsentationder Arm-Hand-Region im Zentralnervensystem größer als die der Beinregion.

Insgesamt sind die Aussagen der Springer sehr dürftig. Man gewinnt den Eindruck, daßsie keine zusammenhängende, allenfalls eine punktuelle Vorstellung von ihren eigenenKörperbewiegungen haben. Wenn sie überhaupt in der Lage sind, Aussagen über die Stel-lung von Armen, Beinen und Körper in den drei Bewegungsphasen zu machen, dannbeinhalten diese nur selten eine nachprüfbare Beschreibung der Raumlage der Körper-glieder oder der Bewegungsgeschwindigkeit des Körpers. Der Springer hat irgendwiedas Gefühl, daß dieser Sprung gelungen, ein anderer aber mißlungen ist, und hat nureinen ungefähren, sehr verschwommenen Eindruck von seinem Verhalten während desSprungs. Immerhin sind von den 52 verwertbaren Aussagen der Springer noch 23°/0

reine Vermutungen, z. B. „die Arme wohl nicht hoch genug; ich bin wohl falsch abge-sprungen".Die gewonnenen Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen: Schließt man von den Aus-sagen der Springer in der Befragung auf ihre Vorstellungen vom Bewegungsgesdiehen,so muß man vermuten, daß diese sehr diffus, wenig differenziert und subjektiv wert -betont sind. Dabei sind die Wahrnehmungsanteile in den verschiedenen Sprungphasenrecht unterschiedlich, so daß 32°/o der Wahrnehmungen auf den Absprung, 570/o auf dasEintauchen und nur 11°/o auf die Drehphase entfallen. In der Absprungphase werdenvorwiegend Armbewegungen, in der Drehphase Beinbewegungen sowie in der Eintauch-phase ebenfalls Beinbewegungen und die Gesamthaltung des Körpers wahrgenommen.

4.4 Individuelle Sprungleistung und Wahrnehmungsdifferenzierung

Von den untersuchten Wasserspringern hatten nur einige Vorerfahrungen in dieser Sport-art, da sie sich schon vor ihrem Sportstudium in ihr betätigt hatten. Im Verlauf und be-sonders gegen Ende des Trainings ließen sich in der untersuchten Stichprobe Leistungs-unterschiede feststellen. Etwa 300/o der Studenten machten deutliche Lernfortschritte beider Ausführung der trainierten Sprünge, wohingegen 28°/o der Studenten auch gegenEnde des Trainings noch erhebliche Leistungsmängel aufwiesen. Den restlichen 42°/o ge-langen zwar manchmal gute Sprünge, doch wurden sie subjektiv von diesen guten Lei-stungen überrascht, da sich bei ihnen noch kein gleichbleibendes Leistungsniveau stabi-lisiert hatte. Es zeigt sich nun, daß die Aussagen der Springer über ihre Wahrnehmungs-und Vorstellungsinhalte während und nach dem Sprung mit dem Könnensstand in Ver-bindung stehen. Die 300/0 leistungsstarken Springer können mehr und genauere Aus-sagen über den Sprungverlauf und gerade für die Körperglieder und Sprungphasen

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malien, die von den leistungsschwachen Springern nidit oder nur sehr diffus erfaßt wer-den. Sie haben zudem zur Beschreibung des Sprungverlaufs ein breiteres und differen-

zierteres Kategorienspektrum zur Verfügung, das viele der vom Trainer bei der Bewe-gungsbeschreibung und -korrektur verwendeten Begriffe umfaßt. Dieses Ergebnis scheintdarauf hinzudeuten, daß die leistungsstarken und relativ schnell und effektiv lernendenSpringer besser in der Lage sind, die Anweisungen und Korrekturen des Trainers zumAufbau eines Bewegungsplans zu verwenden und zum Ist-Sollwert-Vergleich (siehe Abb. 1)heranzuziehen, als das den leistungsschwachen Springern möglich ist.Mit zunehmender Erfahrung entwickelt sich im Verlauf des Lernprozesses offensichtlicheine immer differenzierter werdende kognitive Struktur der ablaufenden sensumotori-schen Vorgänge. Für den leistungsschwachen Springer ist es typisch, daß er ein solcheskognitives Raster, das ihm eine Einordnung seiner subjektiven Bewegungswahrnehmun-gen und der Trainerkorrekturen erlauben könnte, nicht schnell genug entwickeln kann.So bleibt für ihn die Bewegungsgestalt diffus und nur punktuell bestimmbar.Es wäre sicher interessant und wichtig, diesen Ergebnissen der vorliegenden Sondierungs-studie in differenzierten Längssdunittanalysen nachzugehen (siehe dazu THOMAS u. a.1977).

4.5 Leistungserfassung und Leistungsbeurteilung durch den Trainer

Die in Form der freien Beschreibung abgegebenen Beurteilungen der Sprünge der Sport-studenten durch den Trainer wurden nach Aussagekategorien verrechnet. Dabei entfielenvon den inhaltlich klar unterscheidbaren Aussagen 320/o auf die Absprungphase, 110/0

auf die Drehphase, 220/o auf die Eintauchphase und 330/o auf allgemeine, die Sprung-phasen übergreifende Leistungsbeurteilungen (z. B. über die Bewegungsorientierung,-kontrolle, -kurve). Der Trainer hatte immerhin 37 verschiedene Beurteilungskategorienpräsent, die sich allerdings, wie die Prozentzahlen zeigen, recht unterschiedlich auf dieeinzelnen Sprungphasen verteilen. Die Absprung- und die Eintauchphase werden diffe-renzierter und häufiger beurteilt als die Drehphase. Vermutlich hängen die hohe An-zahl unterscheidbarer Kategorien und die Urteilshäufigkeit für die Absprungphase mitder großen Bedeutung zusammen, die einem guten Absprung im gesamten Sprunggesche-hen zukommt. Ein Vergleich der Trainerurteile über den Sprung und die Bewegungs-korrekturen, die er an den Springer weitergibt, mit den Bewegungsempfindungen undBewegungsvorstellungen des Springers von seinem eigenen Sprung, also ein Vergleichzwischen der beim Trainer vorhandenen Istwert-Vorstellung, dem mitgeteilten Istwertund dem vom Springer empfundenen Istwert, weist sehr große Diskrepanzen auf.Das schwächste Glied in dieser Informationskette ist dabei der Springer, der von dem,was er während des Sprungs tut und im Sprung realisiert, eine so unklare Vorstellunghat, daß er nicht in der Lage ist, differenzierte Trainerinformationen zu verarbeiten.Zur effektiven Verarbeitung differenzierter Bewegungskorrekturen hat sich bei den un-tersuchten Springern noch kein ausreichendes Bezugsssytem ausgebildet. Vermutlich istdarin auch die Ursache dafür zu suchen, daß die an die Springer gegebenen Trainer-informationen gegenüber den im Interview gegebenen Beschreibungen wesentlich globa-ler und undifferenzierter sind. Die Trainerinformation nähert sich weitgehend dem Ver

-mögen des Springers an, Informationen zu verarbeiten, ohne daß der Trainingsprozeßselbst eine Verbesserung der kognitiven Verarbeitungsleistungen erkennen läßt.

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Eine Analyse der Antworten aller befragten Springer nach der Verwertbarkeit der vomTrainer gegebenen Bewegungskorrekturen bestätigt die bisherigen Befunde:

— 33 0/o der befragten Springer können die Frage nicht oder nur unzulänglich beant-worten.

— Die Springer, die eine Antwort geben, nennen im Durchschnitt nur knapp eine Be-wegungskorrektur je Sprungphase.

— Die angeblich am besten verwertbaren Bewegungskorrekturen sind relativ globaleund einfache Bewegungsanweisungen, wie ,Arme hoch nehmen', ,Anhocken` und,Strecken des Körpers'.

5 Konsequenzen für Trainingsforsdiung und Trainingsgestaltung

Aus den theoretischen Vorüberlegungen und der vorliegenden Sondierungsstudie erge-ben sich einige wichtige Hinweise für die zukünftigen Aufgaben der psychomotorischen

Trainingsforschung und zur Optimierung der Trainingsgestaltung.5.1 Nicht nur in der sportwissenschaftlichen Forschung, auch in der Arbeitspsychologie,kurz: überall dort, wo das Zustandekommen und der Ablauf menschlicher Handlun-gen und Bewegungen untersucht werden, setztSidi die Überzeugung durch, daß dieDenk-, Vorstellungs- und Antizipationsprozesse für die Bewegungsplanung und Bewe-gungsgestaltung von ausschlaggebender Bedeutung sind (KAMINSKI 1972, RAUM u. a.1973, SKELL 1972, THOMAS u. a. 1975, VOLPERT 1971).

Die Bedeutung kognitiver Prozesse für die Bewegungsvorbereitung wird in ihrer Funk-tion für den Aufbau eines Bewegungsplans in Form einer antizipatorischen Leistungdeutlich. Dieser Plan wird vom Bewegungsziel und den Mitteln zur Erreichung des Zie

-les bestimmt und auf dem Hintergrund schon vorhandener Bewegungserfahrungen undsensumotorischer Fertigkeiten strukturiert. Welche Teile dieses Bewegungsplans, der denweiteren Bewegungsverlauf und die subjektive Leistungsbeurteilung bestimmt, dem Be-wegungssubjekt bewußt sind oder durch besonderes Training bewußt gemacht werdenkönnen, ist beim jetzigen Stand der Forschung weitgehend unbekannt (erste Ansätze zueiner Klärung des Problems bei THOMAS u. a. 1975).

Das gilt auch für die funktionalen Zusammenhänge zwischen der Bewegungsantizipa-tion und den subjektiven Wahrnehmungs- und Vorstellungsleistungen in der motori-schen Phase und den Beurteilungsleistungen in der postmotorischen Phase.Wenn die im 4. Kapitel beschriebenen Versuthsergebnisse auch zeigen, daß die befragtenWasserspringer spontan und ohne Anleitung gewisse, wenn auch sehr unterschiedlicheAntizipationsleistungen erbringen, so fehlt ihnen dodi die Fähigkeit, sie gezielt in dasSprungtraining einzubauen. Das Ergebnis ist eine äußerst diffuse und lückenhafte Vor-stellung von der eigenen Tätigkeit, der Körperlage und Haltung während des Sprungs.Der Lernvorgang beim Training vollzieht sich weitgehend nach der Methode von ,Ver

-such und Irrtum`, indem der Springer versucht, den Traineranweisungen gemäß zu sprin-gen, ohne den Inhalt der Anweisungen und den Bewegungserfolg kognitiv verarbeitenund in ein Vorstellungskonzept von der zu realisierenden Bewegung einordnen zu kön-nen. Diese Art des Trainings ließe sich so als ,anweisungsorientiertes, probierendes Be-wegungstraining' bezeichnen.

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Forsd,ungsbericbte

5.2 Das primäre Trainingsziel in den bewegungszentrierten Sportarten besteht in derschrittweisen Annäherung der Körperbewegung an eine bestimmte, als Sollwert vorge-gebene Bewegungsform. Dieser motorische Lernprozeß entwickelt sich von der zunächstnoch unfertigen Beherrschung der „Grobform" über die Ausformung einzelner Bewe-gungselemente bis hin zur Beherrschung der Endform als dem erstrebten Lernziel.Dieser motorische Lernprozeß ist durch die von VOLPERT (1971) auf der Grundlagebisheriger Forschungsergebnisse zusammengestellten Handlungsstufen gekennzeichnet:

— Übergang von der Vielfalt kurzfristiger Handlungspläne, die eine Überlastung derKontroll- und Regulationsinstanzen bedingen, zum Aufbau von „Motorik-Super-zeíchen` 2, von der Grobkoordination der Bewegung über die Feinkoordination biszur Bewegungsstabilisierung, die eine Integration auftretender Störgrößen mit ein

-sdiließt;— Übergang von einer externen (visuell gesteuerten) zu einer internen (kinästhetisch

gesteuerten) Bewegungsvorstellung und Bewegungsregulation;— Übergang von einer bewegungsantizipierenden zu einer mehr zielantizipierenden

Einstellung.

Die o. a. Untersuchungsergebnisse geben erste Hinweise, daß mit zunehmender Übungeine Differenzierung der Wahrnehmungs- und Vorstellungsprozesse einhergeht, die ei-nerseits die Verarbeitung bewegungs- und leistungsrelevanter Informationen erleichtertoder überhaupt erst ermöglicht, andererseits aber eine erhöhte Sensibilität für Störun-gen im Bewegungsablauf auf Grund fehlerhafter Bewegungsprogramme und Störgrößenaus der Umwelt zur Folge hat. Dadurch kann es zwischenzeitlich wie im Anfangssta-dium des Lernprozesses zu einer erneuten Überforderung der Kontroll- und Regula-tionsinstanzen kommen. Trainingsplanung und Trainingspraxis, die der individuellenLern- und Leistungskapazität des Trainierenden und der Trainingsgruppe gerecht wer-den wollen, müßten solche handlungspsychologischen und psychomotorischen Prozesseberücksichtigen, um Überforderungen und Unterforderungen zu vermeiden und einenfür Trainer und Sportler gleichermaßen optimalen Einsatz der Kräfte und Trainings

-mittel zu erreichen.Um dieses Ziel verwirklichen zu können, ist jedoch zunächst intensives, zwar von (ky-bernetisch-regelungstedmisdien wie verhaltensanalytischen) Theorien und Modellen ge-leitetes, jedoch nicht ausschließlich darin verhaftetes Erforschen der sportlichen Lern-und Trainingsprozesse unter handlungspsychologischen und psychomoto rischen Aspektenerforderlich.

Literatur

BECHER, H., u. a.: Kybernetik — Einführung in die Grundlagen und Anwendungsmöglichkeiten imSport. In: Theorie und Praxis der Körperkultur 17 (1968), 967.

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