Handwerk auf Messers Schneide

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Natalia Lazareva Dossier: Alternde Berufe/ International Media Studies July 2012 Handwerk auf Messers Schneide Einzigartiger Messerschmied aus Siegburg behauptet: „Der Beruf wird in näher Zukunft aussterben“ Das Neue Alte Lied Orgelspielen macht Spaß, aber bringt fast kein Geld FOTO: NATALIA LAZAREVA FOTO: WWW.HUTINFO.DE FOTO: WIKIMEDIA COMMONS FOTO: NATALIA LAZAREVA Boogie-Woogie, kölsche Tön oder Moritaten: Lenchen hat alles im Repertoire Von Natalia Lazareva T agsüber kann man ihn in seiner eingestaubten Werk- statt auf der Holzgasse in Siegburg bei Bonn finden. Da sitzt er den ganzen Tag mit einem blauen Schurz und schleift, poliert und repar- iert alte Maschinen. Papierschere und Kochmesser, Walzenmäher und Sägeketten kommen hierher nicht nur aus der Region Bonn-Rhein-Sieg, sondern aus ganz Deutschland und dem Ausland. Messerschmied in der vierten Generation, Günter Wolf ist welt- weit bekannt. Zu seinen Kunden zählen Restaurantketten, Metzgere- ien, Bäckereien, Druckbetriebe und Familien. Pro Tag kann der Meister bis 500 Messer schleifen, von kleinen Gemüsemessern bis hin zu zwei Me- ter lange Industrieinstrumente. Zusammen mit seiner Frau be- grüßt Wolf neue Kunden hinter der Theke. “Guck mal! Das ist der Mann, der mich damals bediente, als ich so klein war wie”, sagt ein Besucher zu seinem Sohn. Der 57-jahrige Wolf lacht dabei, allerdings bitterlich, denn ach vier Jahrzehnten im Betrieb gibt es keinen in seiner Familie, der sein Geschäft übernehmen möchte. Seine beiden Kinder haben sich für andere Berufe entschieden. Alt im Beruf “Unsere Ge- schichte beginnt im Jahr 1857, wo mein Urgroßvater im Sudetenland, dem heutigen Tschechien, als Messerschmied angefangen hat”, erzählt Günter. Nach Siegburg ist die Familie 1922 gezogen. Der Beruf des Messerschmieds geht aber viel weiter zurück: Bereits im Mittelalter war dieser Handwerkerberuf weit ver- breitet. Gute und verlässliche Messer herzustellen war eine Kunst. Mit der Zeit hat sich einiges im Beruf verändert. Seit Ende der 1980er Jahre ex- istiert der Titel Mess- erschmied nicht mehr. Der Beruf wird heute als Schneidwerkzeug- mechaniker bezeich- net. “Wir schmieden eigentlich nicht, sondern schleifen nur”, sagt Günter. Die speziellen Schleifmaschinen sind auch nicht mehr zu finden. Seine In- strumente hat der Siegburger Messer- schmied von seinem Vater geerbt und bei einem Kollegen in Köln gekauft. Je nach technologischer Ent- wicklung hat sich sein Kundes- tamm geändert. Heutzutage besitzen Metzgereien in der Stadt normaler- weise keinen eigenen Schlachtbetrieb und brauchen deshalb keine speziel- len Werkzeuge. Fast keine Bäckereien backen selbstständig. Brot wird direkt an die Filialen aus der Großfabrik ge- liefert. Für potenzielle Privatkunden ist es einfacher, die unscharfen Mess- er wegzuschmeißen und sie mit neuen ansetzen. Der einzige Berufsteil, der im Laufe der Zeit unverändert geblieben ist, ist der Verlass auf die Handarbeit. “Obwohl die Schleifmaschinen funk- tionieren automatisch, ist alles zum Schluss handgemacht. Dazu muss man das Gefühl haben, und seine Fin- ger langsam vorbereiten”, sagt Gün- ter, der schon als Kind seinem Vater in der Werkstatt half. Nicht zum Reichwerden Gut verdienen lässt sich Wolf zu- folge in diesem Beruf nicht. Für ein Gemüsemesser bekommt Günter drei, für Schneiderscheren acht Euro. “Ich sage mal, ich kann davon leben. Aber das ist nicht mehr wie früher, wenn Vater und Sohn zusammen gearbeitet haben und zwei Familien ernähren konnten”, erzählt Günter. Um den Betrieb weiter zu führen, verkauft die Familie Wolf in ihrem Laden profes- sionelle Messer und Küchengeräte. Die Käufer kommen dann wieder, um Klingenwerkzeuge auszuschleifen. Und so geht es immer weiter. “Der Beruf wird sehr wahrschein- lich aussterben”, sagt der Meister und nennt noch eine Gefahr: Scherer- und Messerschleifer, die von Haus zu Haus ziehen und ihre Dienstleistun- gen bieten. “Diese Leute haben von dem Beruf gar keine Ahnung. Sie beschädigen Messer, nehmen Geld und kommen nicht mehr”, sagt der 57-Jährige, “aber was noch schlimmer ist – sie behaupten fälschlicherweise, sie arbeiteten für mich und machen dabei mein Geschäft schlecht”. Es klingt im Vorzimmer. Ein paar Minuten später kommt Frau Wolf an und bringt sechs Messer verschieden- er Größe mit. “Sie sollen bis morgen früh geschleift werden”, sagt sie. Und Günter schaltet eine der Maschinen an. ● Messermacher von Heute: www. deutsche-messermacher-gilde.de Schneidwerkzeugmechaniker Günter Wolf: Noch 100 Messer und die Arbeit ist für heute beendet Messersmied im Jahr 1568 “Dazu muss man das Gefühl haben, und seine Finger langsam vorbereiten” Von Natalia Lazareva A uf dem Marktplatz in Stom- mel bei Köln herrscht Frohsinn. Die Karnevalgemeinschaft Stommeler Buure feiert ihr Jubiläums- fest. Aus den Lautsprechern hört man Musik von Künstlern wie Jennifer Lopez oder Shakira. Die laute und moderne Musik dämpft die leise und angenehme Melodie der Drehorgel. Wie überleben heute Musikanten von gestern? Darüber erzählt Orgel- spielerin Orgels Lenchen (Helene Fischer) aus Bergheim, die schon seit 30 Jahren mit ihrem klein- en mechanischen Affen namens „Der Schöne Paul“, unterwegs ist. Wie sind Sie auf die Idee gekom- men, Drehorgelspielerin zu wer- den? Wie entwickelt sich die Orgel- spielerei in Deutschland? Der Beruf ist vor ungefähr 200 Jahren erstanden. Die Straßenmusiker hatten damals zu Kaiserzeiten aber keinen guten Ruf und die Drehorgel wurde als „Bettel-Instrument“ bez- eichnet. Im 18. und 19. Jahrhundert bekamen Kriegsveteranen, die wegen ihrer Verletzungen nicht arbeiten kon- nten, eine Drehorgel mangels geregel- ter Veteranenversorgung. Damit ver- dienten sie ihren Lebensunterhalt. In der Nachkriegszeit gab es in ganz Deutschland nur zwei Drehorgel- spieler, jeweils einen in Berlin und Nürnberg. Aber irgendwann haben die Menschen Nostalgie empfunden, was zur Drehorgel-Renaissance führte. Mit dieser Kästchen-Musik verbinden die Leute Ihre schönen Kindheitserinnerungen. Obwohl viele dieser Instrumente jährlich gekauft werden, gibt es nu eine Handvoll pro- fessioneller Spieler in Deutschland. Wie hat sich der Beruf im Laufe der Zeit verändert? Der Aufbau der Drehorgel ist an- ders geworden. Die älteste Form des Musikträgers ist die Stiftwalze. Früher hatte man die Möglichkeit, mit dem Instrument nur sechs oder acht Lieder zu spielen. Dann kam der nächster Fortschritt: Die Musik wurde durch Löcher in speziellem Papierband gespielt. Zu Hause haben wir den ganzen Kleiderschrank voll mit solchen Rollen. Die Technik ent- wickelte sich weiter, und vor ein paar Jahren hat mein Mann Elektronik in die Drehorgel eingebaut. Jetzt wer- den tausend Melodien auf einen Chip überspielt. Das Instrument spielt trotz- dem mechanisch und der Ton ist wie in den alten Zeiten geblieben, aber es hat meine Arbeit enorm erleichtert. Kann man heutzutage damit gut verdienen? Ich muss ehrlich sagen, dass der Beruf Spaß macht, aber reich wer- den kann man damit nicht. Wir leben hauptsächlich von Familienfeiern: Geburtstage und Hochzeiten. Auf der Straße spiele ich nicht mehr. Wir arrangieren Musik selbst, nähen Kleidung nach alten Mustern, bauen Drehorgel, sogar mechanische Af- fen für Instrumente konstruieren wir selber. Oder besser gesagt, konstru- ierten. 25 Jahre lang haben wir Affen gemacht, aber leider ist die Nach- frage stark zurückgegangen und wir haben gedacht: “Jetzt es ist genug”. Wie sehen Sie den Beruf in 20 Jahren? Ich glaube, es wird existieren, obwohl der Markt im Moment flat- tert. Drehorgelbauer verkaufen kaum noch. Ich bin jetzt 57 Jahre alt und habe noch ein paar Jahre bis zu meiner Rente. Wir machen soweit es geht, und dann… mal schauen. ● Mit Musik geht alles besser - Club Deutscher Drehorgelfreunde: www.drehorgelclub.de Anfang der 1980er Jahre war die deutsche Wirtschaft von einer hohen Arbeitslosigkeit geprägt. Ich habe damals bei Siemens als Propagandistin gearbeitet. Der Job hat mir keinen Spaß gemacht. Als Hobby habe ich zusammen mit meinem Mann Puppen gebaut und ein kleines Puppentheater gebastelt. Dann kamen die Musik und die Drehorgeln dazu. Unser Gewerbe haben wir angemeldet und sind mit der Orgel auf die Straße gegangen um zu probieren. Es hat geklappt! Heute baut mein Mann Franz Drehorgel für den Verkauf und ich arrangiere die Musik. Laut der HR-Expertin Julien R. können die folgenden Berufe aus dem Job-Markt in dem näch- sten Jahrzehnte verschwinden: FilmkritikerIn. Web 2.0 erlaubt allen ihre Meinungen online zu äußern – positive und nega- tive. Wenn man das Feedback über den Film sehen möchte – schaut man sich einfach IMDb (Internet Movie Database) an. Modistin . Sie basteln Frauenhüte nach den besonderen Wünschen. In Deutschland gibt es heute nicht mehr als 250 Meisterhandwerke. ImmobilienmaklerIn. Zwischen- miete.de, wg-gesucht.de – eine Wohnung zu finden dauert nur ein paar Klicks und etwas Glück. Braucht man wirklich Mittler dafür? BibliothekarIn. Kindle Lese- Apps, IPhones und eBooks. Heutzutage ist es nicht nötig, in die Bibliothek zu gehen, um einen neuen Roman zu finden oder mit der klassischen Lit- eratur sich zu beschäftigen. KöhlerIn. Früher war es im Haushalt notwendig - heute aber nicht mehr. Der Europäische Köhlerverein versucht, das Verschwinden zu bekämpfen. ● Bundesministerium für Arbeit und Soziales: http://www.bmas.de BALD IN VERGESSENHEIT Hüte sind wieder in Mode, Modistinnen aber nicht

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The world is developing with an immense speed. Advancements in technology and science, changes in lifestyle have made many jobs extinct, or put them at threat. Internet is overcoming postal services. Knifes made of stainless steel do not needed to be sharpened often. However, some passionate craftsmen keep their professions over generations and continue doing their favorite jobs even in modern times.

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Natalia Lazareva Dossier: Alternde Berufe/ International Media Studies July 2012

Handwerk auf Messers SchneideEinzigartiger Messerschmied aus Siegburg behauptet: „Der Beruf wird

in näher Zukunft aussterben“

Das Neue Alte Lied Orgelspielen macht Spaß, aber bringt fast kein Geld

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Boogie-Woogie, kölsche Tön oder Moritaten: Lenchen hat alles im Repertoire

Von Natalia Lazareva

Tagsüber kann man ihn in seiner eingestaubten Werk-statt auf der Holzgasse in

Siegburg bei Bonn finden. Da sitzt er den ganzen Tag mit einem blauen Schurz und schleift, poliert und repar-iert alte Maschinen. Papierschere und Kochmesser, Walzenmäher und Sägeketten kommen hierher nicht nur aus der Region Bonn-Rhein-Sieg, sondern aus ganz Deutschland und dem Ausland.

Messerschmied in der vierten Generation, Günter Wolf ist welt-weit bekannt. Zu seinen Kunden zählen Restaurantketten, Metzgere-ien, Bäckereien, Druckbetriebe und Familien. Pro Tag kann der Meister bis 500 Messer schleifen, von kleinen Gemüsemessern bis hin zu zwei Me-ter lange Industrieinstrumente.

Zusammen mit seiner Frau be-grüßt Wolf neue Kunden hinter der Theke. “Guck mal! Das ist der Mann, der mich damals bediente, als ich so klein war wie”, sagt ein Besucher zu seinem Sohn. Der 57-jahrige Wolf lacht dabei, allerdings bitterlich, denn ach vier Jahrzehnten im Betrieb gibt es keinen in seiner Familie, der sein Geschäft übernehmen möchte. Seine beiden Kinder haben sich für andere Berufe entschieden.

Alt im Beruf

“Unsere Ge-schichte beginnt im Jahr 1857, wo mein Urgroßvater im Sudetenland, dem heutigen Tschechien, als Messe r schmied angefangen hat”, erzählt Günter. Nach Siegburg ist die Familie 1922 gezogen. Der Beruf des Messerschmieds geht aber viel weiter zurück: Bereits im Mittelalter

war dieser Handwerkerberuf weit ver-breitet. Gute und verlässliche Messer herzustellen war eine Kunst.

Mit der Zeit hat sich einiges im Beruf verändert. Seit Ende der 1980er Jahre ex-istiert der Titel Mess-erschmied nicht mehr. Der Beruf wird heute als Schneidwerkzeug-mechaniker bezeich-net. “Wir schmieden eigentlich nicht,

sondern schleifen nur”, sagt Günter. Die speziellen Schleifmaschinen sind auch nicht mehr zu finden. Seine In-

strumente hat der Siegburger Messer-schmied von seinem Vater geerbt und bei einem Kollegen in Köln gekauft.

Je nach technologischer Ent-wicklung hat sich sein Kundes-tamm geändert. Heutzutage besitzen Metzgereien in der Stadt normaler-weise keinen eigenen Schlachtbetrieb und brauchen deshalb keine speziel-len Werkzeuge. Fast keine Bäckereien backen selbstständig. Brot wird direkt an die Filialen aus der Großfabrik ge-liefert. Für potenzielle Privatkunden ist es einfacher, die unscharfen Mess-er wegzuschmeißen und sie mit neuen ansetzen.

Der einzige Berufsteil, der im

Laufe der Zeit unverändert geblieben ist, ist der Verlass auf die Handarbeit. “Obwohl die Schleifmaschinen funk-tionieren automatisch, ist alles zum Schluss handgemacht. Dazu muss man das Gefühl haben, und seine Fin-ger langsam vorbereiten”, sagt Gün-ter, der schon als Kind seinem Vater in der Werkstatt half.

Nicht zum Reichwerden

Gut verdienen lässt sich Wolf zu-folge in diesem Beruf nicht. Für ein Gemüsemesser bekommt Günter drei, für Schneiderscheren acht Euro. “Ich sage mal, ich kann davon leben. Aber

das ist nicht mehr wie früher, wenn Vater und Sohn zusammen gearbeitet haben und zwei Familien ernähren konnten”, erzählt Günter. Um den Betrieb weiter zu führen, verkauft die Familie Wolf in ihrem Laden profes-sionelle Messer und Küchengeräte. Die Käufer kommen dann wieder, um Klingenwerkzeuge auszuschleifen. Und so geht es immer weiter.

“Der Beruf wird sehr wahrschein-lich aussterben”, sagt der Meister und nennt noch eine Gefahr: Scherer- und Messerschleifer, die von Haus zu Haus ziehen und ihre Dienstleistun-gen bieten. “Diese Leute haben von dem Beruf gar keine Ahnung. Sie beschädigen Messer, nehmen Geld und kommen nicht mehr”, sagt der 57-Jährige, “aber was noch schlimmer ist – sie behaupten fälschlicherweise, sie arbeiteten für mich und machen dabei mein Geschäft schlecht”.

Es klingt im Vorzimmer. Ein paar Minuten später kommt Frau Wolf an und bringt sechs Messer verschieden-er Größe mit. “Sie sollen bis morgen früh geschleift werden”, sagt sie. Und Günter schaltet eine der Maschinen an.

● Messermacher von Heute: www.deutsche-messermacher-gilde.de

Schneidwerkzeugmechaniker Günter Wolf: Noch 100 Messer und die Arbeit ist für heute beendet

Messersmied im Jahr 1568

“Dazu muss man das Gefühl haben, und seine Finger langsam

vorbereiten”

Von Natalia Lazareva

Auf dem Marktplatz in Stom-mel bei Köln herrscht

Frohsinn. Die Karnevalgemeinschaft Stommeler Buure feiert ihr Jubiläums-fest. Aus den Lautsprechern hört man Musik von Künstlern wie Jennifer Lopez oder Shakira. Die laute und moderne Musik dämpft die leise und angenehme Melodie der Drehorgel.

Wie überleben heute Musikanten von gestern? Darüber erzählt Orgel-spielerin Orgels Lenchen (Helene Fischer) aus Bergheim, die schon seit 30 Jahren mit ihrem klein-en mechanischen Affen namens „Der Schöne Paul“, unterwegs ist.

Wie sind Sie auf die Idee gekom-men, Drehorgelspielerin zu wer-den?

Wie entwickelt sich die Orgel-spielerei in Deutschland?

Der Beruf ist vor ungefähr 200

Jahren erstanden. Die Straßenmusiker hatten damals zu Kaiserzeiten aber keinen guten Ruf und die Drehorgel wurde als „Bettel-Instrument“ bez-eichnet. Im 18. und 19. Jahrhundert bekamen Kriegsveteranen, die wegen ihrer Verletzungen nicht arbeiten kon-nten, eine Drehorgel mangels geregel-ter Veteranenversorgung. Damit ver-dienten sie ihren Lebensunterhalt. In der Nachkriegszeit gab es in ganz Deutschland nur zwei Drehorgel-spieler, jeweils einen in Berlin und Nürnberg. Aber irgendwann haben die Menschen Nostalgie empfunden, was zur Drehorgel-Renaissance führte. Mit dieser Kästchen-Musik verbinden die Leute Ihre schönen Kindheitserinnerungen. Obwohl viele dieser Instrumente jährlich gekauft werden, gibt es nu eine Handvoll pro-fessioneller Spieler in Deutschland.

Wie hat sich der Beruf im Laufe der Zeit verändert?

Der Aufbau der Drehorgel ist an-ders geworden. Die älteste Form des Musikträgers ist die Stiftwalze. Früher hatte man die Möglichkeit, mit dem Instrument nur sechs oder acht Lieder zu spielen. Dann kam der nächster Fortschritt: Die Musik wurde durch Löcher in speziellem Papierband gespielt. Zu Hause haben

wir den ganzen Kleiderschrank voll mit solchen Rollen. Die Technik ent-wickelte sich weiter, und vor ein paar Jahren hat mein Mann Elektronik in die Drehorgel eingebaut. Jetzt wer-den tausend Melodien auf einen Chip überspielt. Das Instrument spielt trotz-dem mechanisch und der Ton ist wie in den alten Zeiten geblieben, aber es hat meine Arbeit enorm erleichtert.

Kann man heutzutage damit gut verdienen?

Ich muss ehrlich sagen, dass der Beruf Spaß macht, aber reich wer-den kann man damit nicht. Wir leben hauptsächlich von Familienfeiern: Geburtstage und Hochzeiten. Auf der Straße spiele ich nicht mehr. Wir arrangieren Musik selbst, nähen Kleidung nach alten Mustern, bauen Drehorgel, sogar mechanische Af-fen für Instrumente konstruieren wir selber. Oder besser gesagt, konstru-ierten. 25 Jahre lang haben wir Affen gemacht, aber leider ist die Nach-frage stark zurückgegangen und wir haben gedacht: “Jetzt es ist genug”.

Wie sehen Sie den Beruf in 20 Jahren?

Ich glaube, es wird existieren, obwohl der Markt im Moment flat-tert. Drehorgelbauer verkaufen kaum noch. Ich bin jetzt 57 Jahre alt und habe noch ein paar Jahre bis zu meiner Rente. Wir machen soweit es geht, und dann… mal schauen.

● Mit Musik geht alles besser - Club Deutscher Drehorgelfreunde: www.drehorgelclub.de

Anfang der 1980er Jahre war die deutsche Wirtschaft von einer hohen Arbeitslosigkeit geprägt. Ich habe damals bei Siemens als Propagandistin gearbeitet. Der Job hat mir keinen Spaß gemacht. Als Hobby habe ich zusammen mit meinem Mann Puppen gebaut und ein kleines Puppentheater gebastelt.

Dann kamen die Musik und die Drehorgeln dazu. Unser Gewerbe haben wir angemeldet und sind mit der Orgel auf die Straße gegangen um zu probieren. Es hat geklappt! Heute baut mein Mann Franz Drehorgel für den Verkauf und ich arrangiere die Musik.

Laut der HR-Expertin Julien R. können die folgenden Berufe aus dem Job-Markt in dem näch-sten Jahrzehnte verschwinden: ● FilmkritikerIn. Web 2.0 erlaubt allen ihre Meinungen online zu äußern – positive und nega-tive. Wenn man das Feedback über den Film sehen möchte – schaut man sich einfach IMDb (Internet Movie Database) an.● M o d i s t i n . Sie basteln F r a u e n h ü t e nach den besonderen Wünschen. In Deutschland gibt es heute nicht mehr als 250 Meisterhandwerke.●ImmobilienmaklerIn. Zwischen-miete.de, wg-gesucht.de – eine Wohnung zu finden dauert nur ein paar Klicks und etwas Glück. Braucht man wirklich Mittler dafür?●BibliothekarIn. Kindle Lese-Apps, IPhones und eBooks. Heutzutage ist es nicht nötig, in die Bibliothek zu gehen, um einen neuen Roman zu finden oder mit der klassischen Lit-eratur sich zu beschäftigen.●KöhlerIn. Früher war es im Haushalt notwendig - heute aber nicht mehr. Der Europäische Köhlerverein versucht, das Verschwinden zu bekämpfen.

● Bundesministerium für Arbeit und Soziales: http://www.bmas.de

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