Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

36

Transcript of Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Page 1: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...
Page 2: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten WeltkriegHans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 3: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Verö� entlichungen des Instituts für soziale Bewegungen

Schriftenreihe C: Arbeitseinsatz und Zwangsarbeit im Bergbau

herausgegeben vonWalther Müller-Jentsch, K. Rainer Trösken und Klaus Tenfelde

in Verbindung mitBernd Bonwetsch, Gerald D. Feldman †, Lutz Niethammer,Holm Sundhaussen, Dieter Ziegler und Moshe Zimmermann

Redaktion dieses Bandes: Jürgen Mittag

Band 7

Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 4: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

Zechen – Bergarbeiter – Zwangsarbeiter

Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 5: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Die Umschlagabbildung stammt aus den Beständen des Bergbau-Archivs Bochum und zeigt einen Appell für Bergleute auf dem Gelände der Bochumer Zeche Hannibal, ca. 1943.

1. Au� age April 2010Satz und Gestaltung: Klartext Medienwerkstatt GmbH, EssenDruck und Bindung: Fuldaer Verlagsagentur, Fulda© Klartext Verlag, Essen 2010ISBN 978-3-8375-0017-2Alle Rechte vorbehalten

www.klartext-verlag.dewww.ruhr-uni-bochum.de/isb/Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 6: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

I. Einleitung: Zwangsarbeit in der Sozialgeschichtedes Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

II. Der Ruhrbergbau: Region, Unternehmen, Zechen,Verbände, wirtschaftliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

1. Region und Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Die räumliche Formierung des Ruhrbergbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Die regionale Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

2. Unternehmen und Manager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42Die Bergbauunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42Die Führungsschicht des Ruhrbergbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43Das Verhältnis zum Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

3. Zechen und Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51Die Ruhrzechen als Großbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51Arbeit und Sozialbeziehungen im Großbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

4. Verbände und Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57Die Herausbildung des Verbandswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57Die Bergbauverbände im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

5. Produktion und Absatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62Die Strukturkrise des Steinkohlenbergbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62Die Führungsrolle des Ruhrbergbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

III. Die Vorkriegszeit: Kohlenkrise, Bergarbeitermangel,Grubenmilitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

1. Von der Absatz- zur Förderkrise:Die Entwicklung von Kohlennachfrage und Kohlenförderung . . . . 671.1 Kohlenbedarf und Vierjahresplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671.2 Die Kohlenkrise der Vorkriegsmonate . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

2. Von der Arbeitslosigkeit zum Bergarbeitermangel:Der Arbeitseinsatz bis zum Kriegsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852.1 Belegschaftsentwicklung und

Arbeitskräftebedarf der Ruhrzechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852.2 Die „Flucht aus dem Bergbau“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Der fehlende Bergarbeiternachwuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Die Dynamisierung des Belegschaftswechsels . . . . . . . . . . . . . . . 93 Die Weiterbeschäftigung von Alterspensionären . . . . . . . . . . . . . 97Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 7: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Inhalt

Die Menschenverteilung zwischen Zeche und Truppe . . . . . . . . . 992.3 Reserven für den Arbeitseinsatz auf den Ruhrzechen . . . . . . . 102 Keine Bergarbeiterinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Die Rückführung ehemaliger Bergarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Überregionale Arbeitskraftreserven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Anfänge und Grenzen der Ausländerbeschäftigung . . . . . . . . . . . 106

3. Sozialpolitik und betriebliche Sozialbeziehungenzwischen Fürsorge und Disziplinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1153.1 Sozialpolitische Problemlagen vor Kriegsbeginn . . . . . . . . . . . 115 Ernährung und Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Die Lohnentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Die betriebliche Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1243.2 Kon� iktpunkte der betrieblichen Sozialbeziehungen . . . . . . . 127 „Arbeitsordnungsgesetz“ und „Betriebsgemeinschaft“ . . . . . . . . . . 127 Der Anstieg der unentschuldigten Feierschichten . . . . . . . . . . . . 128 Die Gedingefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

IV. Die ersten Kriegsjahre: wirtschaftliche Selbstverantwortung, Ausländereinsatz, Privilegierung und Diskriminierung . . . . . . . . . 137

1. Die Ruhrkohle in der „großdeutschen“ Kohlenwirtschaft . . . . . . . . 1371.1 Die Kohlenwirtschaft im ersten Kriegsjahr . . . . . . . . . . . . . . . 138 Der Eintritt des Ruhrbergbaus in den Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Der Aufstieg des neuen Reichskohlenkommissars . . . . . . . . . . . . . 144 Die Neuordnungspläne für die

kontinentaleuropäische Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Förderung und Absatz im Ruhrbergbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1491.2 Die Neuordnung der Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Der Sturz des Reichskohlenkommissars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155151 Die Gründung der Reichsvereinigung Kohle

und ihre ersten Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Die Verschärfung der Kohlenlage im Sommer und Herbst 1941 . 163

2. Ausländer statt Mobilisierung der Reserven:Der Arbeitseinsatz in den ersten Kriegsjahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 1652.1 Grundzüge des Arbeits- und Ausländereinsatzes . . . . . . . . . . . 165 Die gebremste Mobilisierung der nationalen Reserven . . . . . . . . . 165 Der Ausländereinsatz als Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1682.2 Belegschaftsentwicklung und Arbeitskräftebedarf

im Ruhrbergbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Der Beginn des Ausländereinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Die Arbeitskräftepolitik der Reichsvereinigung Kohle . . . . . . . . . 175 Der Gesamtumfang des Ausländereinsatzes auf den

Ruhrzechen bis 1941 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1762.3 Der einheimische Arbeitseinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Der Einsatz von Saarbergarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 8: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Inhalt

Die Menschenbewegungen zwischen Militär und „Kohlenfront“ . 183 Der zögerliche Einstieg in die Frauenbeschäftigung . . . . . . . . . . . 188 Verschärfter Nachwuchsmangel und gebremste Abwanderung . . . 191 Die Abgabe von technischem Aufsichtspersonal nach Oberschlesien 1962.4 Initiativen und Einstellungen zum Ausländereinsatz

im Ruhrbergbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Bedenken gegen den „Poleneinsatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Die Auseinandersetzungen über einen „Helotenbergbau“ . . . . . . 201 Der Kurswechsel des Ruhrbergbaus in der Ausländerfrage . . . . . 2042.5 Freiwilligkeit und Zwang – Die „Sonderaktionen“

zur Rekrutierung von ausländischen Arbeitskräften für die Ruhrzechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

Die „Sonderaktion“ im besetzten Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Die Anwerbung italienischer Arbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Westliche Kriegsgefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Zivilarbeiter aus den nordfranzösischen

und belgischen Kohlenrevieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Die „Stinnes-Aktion“ in Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Die Dienstverp� ichtung oberschlesischer Bergarbeiter . . . . . . . . . 222 Werbungen im ehemaligen Jugoslawien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Rekrutierungen in Galizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Bemühungen um sowjetische Kriegsgefangene . . . . . . . . . . . . . . . 227 Bergarbeiter aus Krivoj Rog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2302.6 Untauglich, „Kontraktbruch“, Vertragsende –

Die hohe Fluktuation der ausländischen Arbeitskräfte . . . . . . 2322.7 Der betriebliche Einsatz der ausländischen Arbeitskräfte . . . . 240 Die Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Der Über- und Untertageeinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Arbeitsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

3. Bergarbeiter und „Fremdarbeiter“ –Soziale Lage und Arbeitsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2493.1 Die rechtliche Stellung der ausländischen Arbeitskräfte . . . . . 2493.2 Urlaub und Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Urlaubssperren und -einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Die Diskussionen um die Rücknahme der Arbeitszeitverlängerung 255 Sonn- und Feiertagsschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2573.3 Die Ernährungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Die privilegierte Stellung der Bergarbeiter

im Rationierungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Die Ernährungslage der deutschen Bergarbeiter . . . . . . . . . . . . . 260 Die Lagerverp� egung der Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2623.4 Gesundheitspolitik, Gesundheit und Krankheit . . . . . . . . . . . 266 Die medizinischen Ressourcen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Die Reform der Knappschaftsversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . 268Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 9: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Inhalt

Die Kontroverse um das Betriebsarztsystem . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Die Senkung des Krankenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Die Unfallentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Gesundheitspolitik und Ausländereinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Die medizinische Versorgung der Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . 2803.5 Privilegierung und Diskriminierung –

Die Löhne für Deutsche und Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Die lohnpolitischen Bestimmungen

der Kriegswirtschaftsverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Vergebliche Bemühungen um die Revision

der „Göring-Verordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Die Lohnbestimmungen für die Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Trennungsgelder für „Fremdarbeiter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Die Frage der Lohngerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Die Pro� tabilität des Ausländereinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2993.6 Die Ausländerlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Anfänge einer Lagerwelt im Ruhrbergbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Die Durchsetzung des Lagerzwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Die Zustände in den Lagern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Ausländerbordelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3083.7 Das Sozialklima auf den Zechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Zunehmende Spannungen in den Untertagebetrieben . . . . . . . . . 310 Untaugliche Mittel zur Scha� ung einer „Betriebsgemeinschaft“ . 313 Die Stimmung der Bergarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Die Beziehungen zwischen deutschen

und ausländischen Bergarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3163.8 Die Disziplinierung der Belegschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Radikalisierungstendenzen in der „Bummelantenbekämpfung“ . . 321 Die Einrichtung von Arbeitserziehungslagern . . . . . . . . . . . . . . 329 Dienstverp� ichtete und Jugendliche als „Problemgruppen“ . . . . . 332 Die Disziplinierung der Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334

V. Der „Totale Krieg“: Kohlenförderung im Bombenkrieg, „Russeneinsatz“, Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

1. Ruhrbergbau und Ruhrkohle in der „Ära Speer“ . . . . . . . . . . . . . . 3391.1 Die Neuausrichtung der Kriegswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 3391.2 Die Organisation der Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Die zentrale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Der Ein� ussbereich des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats . 3441.3 Die Reichsvereinigung Kohle

und die deutsche Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3471.4 Ruhrförderung und Kohlenversorgung

bis zum Sommer 1944 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Der Ruhrbergbau im Kohlenwirtschaftsjahr 1942/43 . . . . . . . . . 351Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 10: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Inhalt

Die Auswirkungen der ersten „Schlacht um die Ruhr“ auf die Kohlenförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

1.5 Probleme der Rationalisierung und Mechanisierung . . . . . . . . 3611.6 Der Zusammenbruch der Kohlenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . 366

2. Der Arbeitseinsatz im „Totalen Krieg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3772.1 Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz

und der Arbeitseinsatz in der zweiten Kriegshälfte . . . . . . . . . 377 Die Berufung eines Generalbevollmächtigten

für den Arbeitseinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Grundlegende Entwicklungen des Ausländereinsatzes . . . . . . . . . 380 Die Mobilisierung der einheimischen Reserven . . . . . . . . . . . . . . 3842.2 Die Entwicklung des Ausländereinsatzes

im Kohlen- und Ruhrbergbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 „Ostarbeiter“, Italiener und sowjetische Kriegsgefangene

als Arbeitsreserven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Der Beginn des Großeinsatzes sowjetischer Kriegsgefangener . . . . 394 Die Ausweitung des Ausländereinsatzes seit dem Sommer 1943 . . 396 Der Gesamtumfang des Ausländereinsatzes

und vergleichende Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3992.3 Bergarbeiter für die Wehrmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Das Scheitern der Entlassaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Die Einbeziehung des Bergbaus in die SE-Aktionen . . . . . . . . . . 4052.4 Deutsche Frauen und „Ostarbeiterinnen“:

Der weibliche Arbeitseinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Der Einsatz der ersten „Ostarbeiterinnen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Frauenbeschäftigung nach der Meldep� ichtverordnung . . . . . . . . 4132.5 Jugendliche, Bergleute für die Ukraine und Invaliden . . . . . . . 416 „Ostarbeiter“ als Bergbaunachwuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 Abgabe von Bergleuten an den Donezbergbau . . . . . . . . . . . . . . 418 Invaliden und Alterspensionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4202.6 Der Ausländereinsatz: Einstellungswandel,

Rekrutierungen und Fluktuation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Einstellungen zum „Russeneinsatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Rekrutierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 Fluktuation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4292.7 Der „Russeneinsatz“ im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Die Abwehr externer Eingri� e in den betrieblichen Arbeitseinsatz 436 Planungen des betrieblichen „Russeneinsatzes“ . . . . . . . . . . . . . . 440 Der „Russenstreb“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Die Anlernung von „russischen Spezialarbeitern“ . . . . . . . . . . . . 448 Die Arbeitsleistungen der sowjetischen Zwangsarbeiter . . . . . . . . 4532.8 Der Arbeitseinsatz im Ruhrbergbau

während der letzten Kriegsmonate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 11: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Inhalt

3. Die Lage der Zwangsarbeiter und Bergarbeiter in der zweiten Kriegshälfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4613.1 Die Regulierung der Beschäftigung von „Ostarbeitern“,

sowjetischen Kriegsgefangenen und italienischen Militärinternierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

3.2 Arbeitsbelastung und -überlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Urlaub und Heimfahrten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Die Ausweitung der P� icht- und Überarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 467 Die Intensivierung des Luftkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4693.3 Die Ernährung der Bergarbeiter und Zwangsarbeiter . . . . . . . 470 Die einheimischen Bergarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Die sowjetischen Zwangsarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Ernährungsversuche und Leistungsernährung . . . . . . . . . . . . . . . 4813.4 Die Gesundheit der Bergarbeiter und Zwangsarbeiter

im „Totalen Krieg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Der Anstieg der Krankfeierschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Die Einführung des betriebsrevierärztlichen Dienstes . . . . . . . . . 490 Fleck� eber und Seuchenprophylaxe beim „Russeneinsatz“ . . . . . . 493 Die medizinische Versorgung der sowjetischen Zwangsarbeiter . . 496 Krankheit und Tod beim „Russeneinsatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 5023.5 „Russeneinsatz“ und Lohnentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Die Abscha� ung der 200 Prozent-Prämie . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Die „Fremdarbeiterlöhne“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 Die Kriegsgefangenenentlohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Die italienischen Militärinternierten und

westlichen Kriegsgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5203.6 Die Lebensbedingungen in den Ausländerlagern . . . . . . . . . . 521 Die „Ostarbeiterlager“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Die Lager für sowjetische Kriegsgefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 Ausländerlager und Bombenkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5303.7 Deutsche und Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Die zerfallende Betriebsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Das Verhältnis von Deutschen und Ausländern . . . . . . . . . . . . . 5373.8 „Bummelantenbekämpfung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 Betriebliche „Bummelantenbekämpfung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 Außerbetriebliche Disziplinarmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550

VI. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555Förderung und Förderpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555Arbeitseinsatzpolitik und Ausländereinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559Sozialpolitik und Zwangarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564Betriebliche Arbeitsbeziehungen und Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . . . 570

Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 12: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Inhalt

Anhang Fördernde Zechen im Ruhrbergbau nach der Rangfolge

ihrer Kohlenförderung, 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 Verzeichnis der Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 Zechen- und Unternehmensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635

Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 13: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 14: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

13

I. Vorwort

Ein diesem Buch zugrunde liegendes umfangreicheres Manuskript wurde im Win-ter 2008/2009 von der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum als schriftliche Habilitationsleistung anerkannt. Ich danke den am Habi-litationsverfahren beteiligten Gutachtern Prof. Dr. Constantin Goschler, Prof. Dr. Mark Spoerer und Prof. Dr. Klaus Tenfelde für ihre konstruktiven Überarbeitungs-vorschläge zur Drucklegung. Klaus Tenfeldes Beitrag an der Entstehung dieses Buches geht weit darüber hinaus. Ich danke ihm insbesondere für das Vertrauen, das er und die anderen seinerzeitigen Vorstandsmitglieder der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets, Prof. Dr. Walther Müller-Jentsch und Berg assessor K. Rainer Trösken, in mich setzten, als sie mich mit der Koordinierung des gesamten For-schungsprojektes zur Zwangsarbeit im deutschen Bergbau betrauten. Das Projekt wurde durch eine Finanzierung der seinerzeitigen RAG Aktiengesellschaft ermög-licht. Den an diesem Projekt Beteiligten – den Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirates, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die eigene Forschungs-projekte bearbeitet haben, den wissenschaftlichen und studentischen Hilfskräften, den Mitarbeiterinnen in den Sekretariaten, den Bibliothekarinnen und Biblio-thekaren der Bibliothek des Ruhrgebiets sowie den Archivaren des Archivs für soziale Bewegungen – ist schon an anderer Stelle in dieser Publikationsreihe auch namentlich gedankt worden. Ich möchte diesen Dank an dieser Stelle wenigstens kollektiv wiederholen. Dank schulde ich außerdem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der von mir besuchten Archive, insbesondere denjenigen des Berg-bau-Archivs Bochum. Dr. Jürgen Mittag hat sich der Mühe unterzogen, sowohl die Manuskript- als auch die Druckfassung der Untersuchung kritisch zu lesen. Ihm sei aber auch darüber hinaus für seine stets kollegiale und freundschaftliche Unterstützung gedankt. Die VG Wort hat die Drucklegung durch einen namhaf-ten Druckkostenzuschuss erheblich erleichtert.

Bochum, im Februar 2010 Hans-Christoph Seidel

Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 15: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 16: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

15

I. Einleitung:Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

Den Ausgangspunkt für das vorliegende Buch bildete die Beschäftigung mit der Zwangsarbeit im Ruhrbergbau während des Zweiten Weltkrieges im Rahmen eines größeren Forschungsprojektes, das von der damaligen RAG Aktiengesell-schaft gefördert worden ist.¹ Zwangsarbeit ist seit längerem das wohl am inten-sivsten ausgeleuchtete Feld in der deutschen NS-Forschung wirtschafts-, sozial-, alltags- oder erfahrungsgeschichtlicher Provenienz, jedenfalls wenn man die Zahl der einschlägigen Studien zum Maßstab nimmt, die weit in die Hunderte, wenn nicht darüber hinaus geht. So ist es auch für den Spezialisten nicht mehr möglich, jede Publikation zur Kenntnis zu nehmen.² Innerhalb dieser Literatur� ut zeich-nen sich jedoch insbesondere drei Forschungskontexte deutlich ab: Die Erfor-schung der Zwangsarbeit erfolgt entweder im Rahmen von lokal- und regional-geschichtlichen Untersuchungen oder von unternehmensgeschichtlichen Studien oder von einzelnen Zwangsarbeitergruppen. Die Forschungen in regional- oder

1 Zum Gesamtprojekt vgl. Projektberichte im MIsB 26 (2001), S. 253–260; 28 (2003), S. 269–274; 31 (2004), S. 331–335; 36 (2006), S. 233–246 sowie Hans-Christoph Seidel, Zwangsarbeit im deut-schen Kohlenbergbau. Ein historisches Forschungsprojekt am Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum, in: FORUM Industriedenkmalp� ege und Geschichtskultur 2003, H. 2, S. 26–29. Die Hauptergebnisse im Überblick ½ nden sich in: Klaus Tenfelde u. Hans-Christoph Seidel (Hrsg.), Zwangsarbeit im Bergwerk. Der Arbeitseinsatz im Kohlenbergbau des Deutschen Reiches und der besetzten Gebiete im Ersten und Zweiten Weltkrieg, 2 Bde., Essen 2005.

2 Als Überblicke über die jüngere Forschungsliteratur vgl. Ralph Klein, Neuere Literatur zur Zwangsarbeit während der NS-Zeit, in: IWK 40 (2004), S. 56–90; Ulrich Herbert, Zwangsarbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft. Bemerkungen zur Forschung seit 1985, in: ders., Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn etc. 1999 (2. Au� .), S. 416–433; Laura J. Hilton u. John J. Delaney, Forced Foreign Labourers, POWs and Jewish Slave Workers in the ¿ ird Reich. Regional Studies and New Directions, in: German History 23 (2005), S. 83–95. Als problemorientierte Forschungsüberblicke vgl. auch Ulrich Herbert, Zwangsarbeit im „Dritten Reich“. Kenntnisstand, o� ene Fragen, Forschungsprobleme, in: Reininghaus u. Reimann (Hrsg.), Zwangsarbeit, S. 16–37 u. Lutz Niethammer, Klärung und Aufklärung. Aufgaben und Lücken der Zwangsarbeiterforschung, in: Stiftung Bibliothek des Ruhr-gebiets (Hrsg.), Zwangsarbeiterforschung als gesellschaftlicher Auftrag, Bochum 2001, S. 13–22. Als regionale Forschungsüberblicke zum Ruhrgebiet vgl. außerdem Michael Zimmermann, Zwangs-arbeit im Ruhrgebiet während des Zweiten Weltkrieges. Eine Zwischenbilanz der Forschung, in: FORUM Industriedenkmalp� ege und Geschichtskultur 2003, H. 2, S. 11–19 u. Hans-Christoph Seidel, Forschungsstand und -ausblick zum ¿ ema. Eine regionale Übersicht, in: www.geschichts-kultur-ruhr.de/frames-6.html (2003). Eine hervorragende Synthese des erreichten Kenntnisstandes zur Geschichte der Zwangsarbeit mit Bezeichnung der Forschungsdesiderata bietet: Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939–1945, Stuttgart 2001.Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 17: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

16

Einleitung

lokalgeschichtlichem Kontext setzten, zeitgleich mit oder im Anschluss an Ulrich Herberts Pionierstudie,³ Mitte der 1980er Jahre ein, als Geschichtswerkstätten und Schülergruppen Zwangsarbeit als ein ubiquitäres Unrecht der nationalsozialisti-schen Diktatur entdeckten, das sich vor Ort, auch über Oral History, studieren ließ. Mit der Hinwendung der Geschichtswissenschaft zu mikro- und alltagsge-schichtlichen Fragestellungen „professionalisierte“ sich diese Forschungsrichtung bald, besonders in Form akademischer Quali½ kationsarbeiten. Ihren stärksten Boom erlebte die lokal- und regionalgeschichtliche Forschung jedoch seit Ende der 1990er Jahre, als im Zuge der seinerzeit in die entscheidende Phase tretenden Entschädigungsdiskussion zahlreiche Kommunen, aber auch Landesregierungen, Historiker beauftragten, relevante Quellen zu sichten und Studien zu erstellen.4 Die Forschungen der letzten Jahre haben verstärkt auch die Rolle der Kommu-nen als so genannte Einsatzträger, also als „Arbeitgeber“ von Zwangsarbeitern, in das Blickfeld genommen. Vor allem aber thematisieren die lokalgeschichtlichen Studien die Kommunen als einen Ort von Zwangsarbeit, an dem sich die kon-kreten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter untersuchen lassen. Zudem verdeutlichen sie die Ubiquität des Phänomens, indem man topogra½ sch die dichte Verteilung von Zwangsarbeiterlagern auf dem jeweiligen Stadtgebiet dokumentierte, indem man die genauen Einsatzorte der Zwangsarbeiter in der Stadt bezeichnete oder indem man aufzeigte, in welchen Bereichen des städtischen Alltags Zwangsarbeiter sichtbar wurden.

Die unternehmenshistorische Erforschung der Zwangsarbeit setzte später ein, vor allem weil die Firmen- und Unternehmensarchive den Historikern zunächst verschlossen blieben. Mitte der 1990er Jahre erscheinende Studien zu Daimler-Benz und Volkswagen setzten Wegmarken,5 doch war es auch hier erst die Ent-schädigungsdebatte Ende der 1990er Jahre, die vor allem eine ansehnliche Zahl von

3 Herbert, Fremdarbeiter. Die Studie erschien erstmals 1985.4 Als von Landesregierungen initiierte Studien vgl. Uwe Danker u. a. (Hrsg.), „Ausländereinsatz

in der Nordmark“. Zwangsarbeitende in Schleswig-Holstein 1939–1945, Bielefeld 2001; Hedwig Brüchert u. Michael Matheus (Hrsg.), Zwangsarbeit in Rheinland-Pfalz während des Zweiten Weltkrieges, Stuttgart 2004. Aus der Vielzahl der lokalgeschichtlichen Literatur möchte ich nur hervorheben: Rafael R. Leissa u. Joachim Schröder, Zwangsarbeit in Düsseldorf. Struktur, Orga-nisation und Alltag im Arbeitseinsatz von Ausländern im nationalsozialistischen Düsseldorf, in: Looz-Corswarem (Hrsg.), Zwangsarbeit in Düsseldorf, S. 25–362; Friedrike Littmann, Ausländi-sche Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939–1945, München etc. 2006; Elisabeth Timm, Zwangsarbeit in Esslingen 1939–1945. Kommune, Unternehmen und Belegschaften in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft, Ost½ ldern 2008. Die wichtigste und beste Untersuchung für eine Ruhrgebietsstadt ist: Michael A. Kanther, Zwangsarbeit in Duisburg, Duisburg 2004.

5 Barbara Hopmann, Mark Spoerer, Birgit Weitz u. Beate Brüninghaus, Zwangsarbeit bei Daimler-Benz, Stuttgart 1994; Hans Mommsen u. Manfred Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbei-ter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996. Vgl. aber auch schon die an etwas abgelegener Stelle publi-zierten, aber für die regionale Unternehmensgeschichte des Ruhrgebiets einschlägigen Beiträge von Ulrich Brack, Der „Ausländer-Einsatz“ bei den Chemischen Werken Hüls während des Zweiten Weltkrieges, in: Der Lichtbogen 13 (1987), S. 18–41 u. Ingo Hinze, Fremdarbeiter und Kriegsgefan-gene bei der Guteho� nungshütte Oberhausen 1939–1945, in: Historische Gesellschaft Oberhausen e. V. (Hrsg.), Ursprünge und Entwicklung der Stadt Oberhausen, Oberhausen 1992, S. 176–234.Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 18: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

17

Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

Großunternehmen veranlasste, eine historische Aufarbeitung der Zwangsarbeit in den von ihnen jeweils verantworteten Bereichen vornehmen zu lassen. Diese For-schungswelle hat erheblich zur steigenden Bedeutung der Unternehmens- inner-halb der Wirtschaftsgeschichte beigetragen und fast eine ganze Nachwuchsgenera-tion von Wirtschaftshistorikern stark in Beschlag genommen. Es entstanden aller-dings weniger Spezialstudien zur Zwangsarbeit als vielmehr auch über die Zeit des Krieges und des Nationalsozialismus hinausgreifende Unternehmensgeschichten, welche die Zwangsarbeit im Rahmen komplexerer Fragestellungen nach länger-fristigen Unternehmenspolitiken behandelten.6 Ein wesentliches Interesse dieser Studien bestand darin, Sachzwänge und Handlungsspielräume der Unternehmen bei der Beschäftigung und Behandlung von Zwangsarbeitern auszuloten. Dabei zeigte sich, dass die Unternehmen im Rahmen eines gewinnorientierten unter-nehmerischen Handelns unter kriegswirtschaftlichen Bedingungen Sachzwängen unterliegen konnten, was die Anforderung von Zwangsarbeitern – allerdings nicht von KZ-Häftlingen – anging, ihre Handlungsspielräume, Zwangsarbeiter besser oder schlechter zu behandeln, jedoch beträchtlich waren.7

Auch liegen für zahlreiche, allerdings längst nicht alle nach nationaler Herkunft und/oder Rechtsstatus de½ nierte Zwangsarbeitergruppen Untersuchungen vor, die u. a. auf die Inkongruenzen zwischen den spezi½ schen Normsetzungen für die jeweilige Gruppe und ihrer tatsächlichen Lage hinweisen.8 Darüber hinaus sind erste Schritte zur Erforschung der Zwangsarbeit in den besetzten Gebieten unter-

6 Ich nenne hier nur Studien über Unternehmen, die einen unmittelbaren Bezug zum Ruhrbergbau aufweisen: Norbert Frei, Ralf Ahrens, Frank Osterloh u. Tim Schanetzky, Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht, München 2009; Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim Christian Priemel u. Harald Wixforth, Der Flick-Konzern im Dritten Reich, München 2008; Kim Christian Priemel, Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Göttingen 2008 (2. Au� .); Johannes Bähr, Ralf Banken u. ¿ omas Flemming, Die MAN. Eine deutsche Industrie-geschichte, München 2008; Lothar Gall (Hrsg.), Krupp im 20. Jahrhundert. Eine Geschichte des Unternehmens vom Ersten Weltkrieg bis zur Gründung der Stiftung, Berlin 2002; Paul Erker u. Bernhard Lorentz, Chemie und Politik. Die Geschichte der Chemischen Werke Hüls 1938 bis 1979. Eine Studie zum Problem der Corporate Governance, München 2003.

7 Vgl. dazu auch Mark Spoerer, Zur Verantwortlichkeit privatwirtschaftlicher Industrieunternehmen für den Einsatz von NS-ZwangsarbeiterInnen: das Beispiel Daimler-Benz, in: Hauch u. a. (Hrsg.), Industrie, S. 37–48.

8 Nur einige wenige wichtige Arbeiten seien hier genannt: Christian Streit, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945, Bonn 1997 (4. Au� .); Wolf Gru-ner, Der geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden. Zur Zwangsarbeit als Element der Verfol-gung 1938–1943, Berlin 1997; Annette Schäfer, Zwangsarbeiter und NS-Rassenpolitik. Russische und polnische Arbeitskräfte in Württemberg 1939–1945, Stuttgart 2000; Gabriele Hammermann, Zwangsarbeit für den „Verbündeten“. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der italienischen Mili-tärinternierten in Deutschland 1943–1945, Tübingen 2002; Helga Bories-Sawala, Franzosen im „Reichseinsatz“. Deportation, Zwangsarbeit, Alltag. Erfahrungen und Erinnerungen von Kriegs-gefangenen und Zivilarbeitern, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1996; Gabriele Lot½ , KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, Stuttgart etc. 2000; Bernd C. Wagner, IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz, München 2000; Jan Erik Schulte, Zwangsarbeit und Vernichtung. Das Wirtschaftsimperium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, Paderborn 2001. Es fehlt u. a. noch eine umfassende Spezi-alstudie zu den sowjetischen Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeitern.Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 19: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

18

Einleitung

nommen wurden,9 und die Geschichte der Bewältigung und Entschädigung von Zwangsarbeit hat sich zu einem eigenen Forschungsfeld entwickelt.¹0 Insgesamt hat die jüngere Forschung im Anschluss an die Entschädigungsdebatte darüber hinaus zu einer Präzisierung des Zwangsarbeitsbegri� es geführt. Der Terminus „Zwangsarbeit“ wurde bis in die 1950er Jahre primär im strafrechtlichen Kontext zur Bezeichnung einer besonders schweren Form der Freiheitsstrafe oder eines Bestandteils des Strafvollzugs gebraucht, fand seit den 1920er Jahren im Zusam-menhang mit der Regulierung der Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse in den Kolonialwirtschaften jedoch auch Eingang in das Friedensvölkerrecht. 1922 ver-abschiedete der Völkerbund Grundsätze für eine Einschränkung der Zwangs- und P� ichtarbeit in den Kolonien. 1926 wurde ein entsprechender Artikel in das Anti-Sklaverei-Abkommen aufgenommen und die weitere Behandlung des Zwangar-beitthemas der International Labour Organization übertragen, die 1930 ein „Über-einkommen über die Zwangs- und P� ichtarbeit“ erreichte, das – bei großzügigen Ausnahme- und Übergangsregelungen – jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wurde und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hatte, untersagte.¹¹

Im Zusammenhang mit dem Arbeits- und Ausländereinsatz in der NS-Kriegs-wirtschaft wurde der Begri� „Zwangsarbeit“ nach Kriegsende häu½ ger, aber längst noch nicht allgemein gebraucht.¹² Das Statut des Internationalen Militärtribu-

9 Vgl. etwa Dieter Ziegler (Hrsg.), Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in den besetzten Gebieten, JbW 2004/1. Für den Bergbau die einschlägigen Beiträge in: Tenfelde u. Seidel (Hrsg.), Zwangs-arbeit im Bergwerk, Bd. 1.

10 Aus einer Vielzahl von Verö� entlichungen zur Entschädigungsgeschichte vgl. nur Klaus Barwig, Nicole Lippold u. Günther Saatho� , Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, Histo-rische und politische Aspekte, Baden-Baden 1998; Peer Zumbansen (Hrsg.), Zwangsarbeit im Dritten Reich. Erinnerung und Verantwortung. Juristische und zeithistorische Betrachtungen, Baden-Baden 2002; Susanne-Sophia Spiliotis, Verantwortung und Rechtsfrieden. Die Stiftungs-initiative der deutschen Wirtschaft, Frankfurt a. M. 2003; Anja Hense, Verhinderte Entschädi-gung. Die Entstehung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ für die Opfer von NS-Zwangsarbeit und „Arisierung“, Münster 2008. Zur Erinnerungs- und Erfahrungsgeschichte vgl. zuletzt Alexander von Plato u. a. (Hrsg.), Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich, Wien etc. 2008.

11 Vgl. Hartwig Bülck, Die Zwangsarbeit im Friedensvölkerrecht. Untersuchung über die Möglich-keit und Grenzen allgemeiner Menschenrechte, Göttingen 1953, S. 9 � .; Albrecht Freiherr von Rechenberg, Das am 28. Juni 1930 angenommene Internationale Abkommen über Zwangs- und P� ichtarbeit, in: Reichsarbeitsblatt 10 (N. F.) (1930), Nr. 27, S. 411–416; Albrecht Randelzhofer u. Oliver Dörr, Entschädigung für Zwangsarbeit? Zum Problem individueller Entschädigungs-ansprüche von ausländischen Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges gegen die Bun-desrepublik Deutschland, Berlin 1994, S. 32. Das Abkommen wurde allerdings von zahlreichen Staaten, darunter das Deutsche Reich, nicht rati½ ziert.

12 Als Quellenbegri� zum Arbeits- und Ausländereinsatz während des Krieges taucht Zwangsarbeit allerdings kaum auf. Allerdings gebrauchen die NS-Quellen die Kategorisierung „freie Ausländer“ als impliziten Gegenbegri� zur Zwangsarbeit. In Abgrenzung vor allem zu Kriegsgefangenen, sowjetischen Zivilarbeitern und zum Teil polnischen Zivilarbeitern wiesen „freie Ausländer“ in der Regel drei Merkmale auf: eine Anwerbung, die weder auf Deportation noch auf einer formel-len Dienstverp� ichtung beruhte, eine relative Freizügigkeit am Aufenthalts- und Arbeitsort sowie die Beschäftigung auf der Grundlage eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages.Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 20: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

19

Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

nals von Nürnberg führte die „Verschleppung zur Zwangsarbeit“ als Kriegs- und Menschheitsverbrechen auf,¹³ doch variierte der Begri� sgebrauch lange Zeit, je nach sachlichem Kontext und Zeitabschnitt, stark. Zum Teil wurde „Zwangsar-beit“ weitgehend mit dem Industrieeinsatz von KZ-Häftlingen identi½ ziert,¹4 zum Teil als deckungsgleich mit dem Ausländereinsatz de½ niert,¹5 wobei die Zurech-nung von Kriegsgefangenen variierte. Eine Tendenz zur Einengung des Begri� s auf einzelne Gruppen, die nur einen kleinen Ausschnitt des Arbeitseinsatzes in der NS-Kriegswirtschaft repräsentierten, stand neben einer Tendenz zur in� ationären Ausweitung, die einen di� erenzierenden Blick auf die Vielgestaltigkeit des Auslän-der- und Arbeitseinsatzes eher behinderte.

Dagegen hat die jüngere Forschung einen weitgehenden Konsens darüber erzielt, an welche Kriterien die Verwendung des Begri� es „Zwangsarbeit“ gebun-den sein sollte, und welche Arbeitskräftegruppen in der NS-Kriegswirtschaft den Zwangsarbeitern zuzurechnen sind.¹6 Die Hauptkomponente eines Zwangsar-beitsverhältnisses bildet ein außerökonomischer Arbeitszwang, der bereits bei der Arbeitsaufnahme durch Zwangsmaßnahmen von der Dienstverp� ichtung bis hin zur Deportation hergestellt werden kann, aber auch erst nach der Arbeitsaufnahme entstehen kann durch die fehlende Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis innerhalb geltender Kündigungsfristen oder nach Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrages zu beenden.¹7 Einem derart de½ nierten Arbeitszwang unterlagen allerdings die meisten Beschäftigten in der NS-Kriegswirtschaft, auch deutsche Arbeitnehmer, deren Arbeitswirklichkeit sich von derjenigen der meisten Ausländer aber dennoch deutlich zum Besseren hin unterschied. Selbst Ausländer, die den einheimischen Beschäftigten formal gleichgestellt waren, litten unter alltäglichen Benachteili-gungen und Diskriminierungen bei der konkreten Umsetzung von Verordnungen und Gesetzen, weil ihnen fern der Heimat Mittel, Ressourcen, Kompetenzen und soziale Netze fehlten, die ihren Interessen und Bedürfnissen Nachdruck verliehen hätten. Im Vergleich zu den deutschen Arbeitern verfügten die meisten Ausländer

13 Sandro Blanke, Der lange Weg zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern, in: Zumbansen (Hrsg.), Zwangsarbeit, S. 259–275, hier S. 262.

14 Im angelsächsischen Sprachgebrauch hat sich für Konzentrationslagerhäftlinge und so genannte Arbeitsjuden allerdings die Bezeichnung „slave worker“ etabliert. Dies hat sich in der deutschen Forschung aber nicht allgemein durchgesetzt. Zwar bezeichnen sowohl „Zwangsarbeit“ als auch „Sklaverei“ aus ökonomischer Perspektive die Ausbeutung einer fremden Arbeitskraft auf der Grundlage der herrschaftlichen Gewalt des Siegers, aber im Falle der Sklaverei beruht diese Aus-beutung auf Eigentumsrechten, die der Sklavenhalter ausübt, während „Zwangsarbeit“ prinzipiell auf einen zeitlich beschränkten Zustand hindeutet. Das Verhältnis von SS und Konzentrations-lagerhäftlingen lässt sich faktisch wohl als Eigentumsverhältnis beschreiben, aber im Gegensatz zu den Sklavenhaltern war die SS nicht grundsätzlich am Erhalt ihres „Eigentums“ interessiert.

15 Vgl. z. B. Ernst Kaiser u. Michael Knorn, „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten“. Rüs-tungsproduktion, Zwangsarbeit und Vernichtung in den Frankfurter Adlerwerken, Frankfurt a. M. 1994, S. 63.

16 Hervorzuheben sind hier vor allem die Arbeiten von Mark Spoerer, denen ich in diesem Punkt im Wesentlichen folge.

17 Vgl. dazu vor allem Spoerer, Zwangsarbeit, S. 13.Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 21: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

20

Einleitung

über deutlich geringere Chancen, Ein� uss auf die Umstände ihres Arbeitseinsatzes zu nehmen. Kennzeichnend für Zwangsarbeit ist danach eine Ein� usslosigkeit bis hin zur faktischen Rechtlosigkeit hinsichtlich der Gestaltung der eigenen Arbeits- und Lebensverhältnisse.¹8 Letztere wiesen allerdings erhebliche Di� erenzen auf, die sich insbesondere auch in einem unterschiedlichen Sterberisiko für die einzel-nen Zwangsarbeitergruppen niederschlugen.

In der Forschung bestehen kaum noch Di� erenzen über die Frage, welche Arbeitergruppen in der NS-Kriegswirtschaft als Zwangsarbeiter bezeichnet wer-den sollten und welche nicht.¹9 Nicht zu den Zwangsarbeitern zählten danach deutsche Arbeitskräfte, sofern sie nicht Häftlinge oder Juden waren, ausländische Arbeitskräfte, die schon länger in Deutschland arbeiteten und über entsprechende Mittel und Netzwerke zur Verteidigung und Durchsetzung ihrer Interessen ver-fügten und ausländische Zivilarbeiter, die nach Kriegsbeginn auf freiwilliger Basis angeworben worden waren und das Reich spätestens nach Ablauf ihres befriste-ten Arbeitsvertrages wieder verlassen konnten. Die größte Zwangsarbeitergruppe bildeten ausländische Zivilarbeiter, die entweder unter Zwang nach Deutschland kamen oder sich freiwillig anwerben ließen, aber ihre Arbeitsstelle nicht zum ver-einbarten Zeitpunkt verlassen konnten.²0 Hinsichtlich der Lebens- und Arbeits-verhältnisse bestanden innerhalb dieser Zwangsarbeitergruppe erhebliche Di� e-renzen, insbesondere zwischen osteuropäischen Arbeitskräften und solchen aus West-, Süd- sowie Nordeuropa.²¹ Noch größer waren die Unterschiede innerhalb der zweiten großen Zwangsarbeitergruppe, den Kriegsgefangenen. Kriegsgefan-gene aus Großbritannien, Belgien, Jugoslawien oder Frankreich konnten ihre Inte-ressen wenigstens zum Teil unter Berufung auf das Völkerrecht wahrnehmen, für polnische und französische Kriegsgefangene galt dies schon deutlich weniger, wäh-rend polnisch-jüdische und sowjetische Kriegsgefangene praktisch rechtlos waren und eine extreme Übersterblichkeit aufwiesen. Letzteres galt auch für die dritte Zwangsarbeitergruppe, die Häftlinge aus den Konzentrations- und Arbeitserzie-hungslagern, sowie für eine vierte Gruppe, welche die so genannten Arbeitsjuden umfasste. O� en ist in der Forschung allerdings noch die Einordnung derjenigen Arbeitskräfte, die außerhalb des Reichsgebietes für die Deutschen Zwangsarbeit leisten mussten.

Vor dem Hintergrund der genannten Schwerpunktsetzungen in der jüngeren Forschung zur Zwangsarbeit in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft setzt die vorliegende Studie neue Akzente, indem sie eine branchengeschichtliche Per-spektive wählt und von hier aus Zwangsarbeit stärker, als dies bisher geschehen ist, im Kontext der folgenden allgemeinen Entwicklungen untersucht: erstens der Produktion und Produktionspolitik (bzw. Förderung und Förderpolitik), zweitens

18 Ebd. S. 14 f.19 Die folgende Kategorisierung schließt abweichende Einzelfälle und Grauzonen nicht aus.20 Herbert, Zwangsarbeit, S. 18 f.21 Der Quellenbegri� „Fremdarbeiter“ wird im Folgenden zur Bezeichnung sämtlicher ausländi-

scher Zivilarbeiter, nicht aber der Kriegsgefangenen, verwendet.Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 22: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

21

Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

des gesamten Arbeitseinsatzes, drittens der Sozialpolitik und der Sozialgeschichte der Zechenbelegschaften sowie viertens Arbeits- und Sozialbeziehungen auf der betrieblichen Ebene.

In der bisherigen Forschungsliteratur zur Zwangsarbeit ist ein branchenge-schichtlicher Zugang noch kaum verfolgt worden. Lediglich für die Landwirt-schaft, die sich einem unternehmens- oder lokal(stadt)geschichtlichen Zugang entzieht, liegen einige branchengeschichtliche Untersuchungen mit Regionalbe-zug vor.²² Arbeiten zu ganzen Industriebranchen stellen dagegen weiterhin eine Ausnahme dar.²³ Der Ruhrbergbau bietet sich aus mehreren Gründen für einen branchengeschichtlichen Zugri� an. Die Steinkohle stellte vor allem als Ener-giegrundlage, aber auch als Rohsto� zur industriellen Herstellung synthetischer Sto� e und als Exportgut die zweifellos wichtigste Grundsto� basis der deutschen Rüstungs- und Kriegswirtschaft dar, zumal sie der einzige Rohsto� war, über den das Deutsche Reich selbst in ausreichendem Maße verfügte. Die Leistungsfähig-keit der Kriegswirtschaft hing so in hohem Maße von der Kohlenwirtschaft ab, der Ausbau der industriellen Rüstungsproduktionen setzte eine Steigerung der Steinkohlenförderung voraus. Steinkohle wurde zum Ende der 1930er Jahre inner-halb der Reichsgrenzen noch an sechs weiteren regionalen Standorten gefördert – (West)Oberschlesien, Niederschlesien, Aachen, Saar, Sachsen, Niedersachsen –, doch die Bedeutung der Ruhr überstrahlte diese Reviere deutlich. Der Ruhrberg-bau bildete ein zentrales Segment der NS-Kriegswirtschaft, in dem im September 1944 über 163.000 ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene, größtenteils aus der Sowjetunion, arbeiteten. Der Masseneinsatz von ausländischen Zwangsar-beitern war aber nicht nur Spiegelbild der kriegswirtschaftlichen Vorrangstellung des Ruhrbergbaus, sondern auch Ausdruck der großen Bedeutung, der im arbeits-intensiven Steinkohlenbergbau der menschlichen Arbeitskraft für das Produkti-onsergebnis zukam. In der Produktions- und Förderpolitik der Ruhrzechen spielte deshalb der Faktor Arbeitskraft, und damit auch der Faktor Zwangsarbeit, eine größere Rolle als in anderen Industrien.

Ein branchengeschichtlicher Zugri� ist aber nicht nur wegen der herausgeho-benen Bedeutung des Ruhrbergbaus für die Kriegswirtschaft und den Zwangsar-beitereinsatz sinnvoll, sondern re� ektiert auch dessen hohe Organisiertheit. Begin-nend in den späten 1850er Jahren kam bis zum zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhun-derts eine di� erenzierte Organisationsbildung und Kartellisierung der regionalen

22 Vgl. etwa Stefan Karner u. Peter Ruggenthaler, Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet Österreichs 1939 bis 1945, Wien etc. 2004; Ela Hornung, Ernst Langthaler u. Sabine Schweitzer, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich und dem nördlichen Burgen-land, Wien etc. 2004; Gabriele Freitag, Zwangsarbeiter im Lipper Land. Der Arbeitseinsatz von Arbeitskräften aus Osteuropa in der Landwirtschaft Lippes 1939–1945, Bochum 1996.

23 Vgl. lediglich Friedrich Stamp, Zwangsarbeit in der Metallindustrie 1939–1945. Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern. Eine Studie im Auftrag der Otto Brenner Stiftung, Berlin 2001. Für den Bergbau vgl. auch ¿ omas Urban, Zwangsarbeit im Tagebau. Der Einsatz von Kriegsgefan-genen und ausländischen Zivilarbeitern im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau 1939 bis 1945, Essen 2006. Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 23: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

22

Einleitung

Bergbaubranche zum Abschluss, die andernorts nicht ihresgleichen fand.²4 Diese Organisationsbildung wurde zweifellos durch eine hohe soziale Homogenität der regionalen bergbaulichen Führungsschicht in den Verbänden und Unternehmen erleichtert, die vor allem auf einer gemeinsamen berufsständischen Sozialisation beruhte, welche von der Zeit als Bergbaube� issener über das Studium an einer Bergakademie und das Referendariat in der staatlichen Bergbauverwaltung zum Bergassessorenexamen führte.²5 So entstand trotz mancher zentrifugal wirkenden Kräfte frühzeitig ein Branchenbewusstsein als ein Bewusstsein gemeinsamer sozial- und wirtschaftspolitischer Interessen und Ziele, aber auch als ein elitäres Sonder-bewusstsein der Bergbaumanager sogar gegenüber ihren im gemeinsamen Kon-zern hierarchisch oft höher angesiedelten Kollegen von der Stahlseite. Als Akteur in der regionalen und nationalen Arbeitseinsatz-, Sozial- und Wirtschaftspolitik des Kohlenbergbaus während des Krieges trat der Ruhrbergbau in Gestalt seiner Verbände, aber auch von Zechen- und Unternehmensleitungen auf. Die regionale Branche Ruhrbergbau zeichnete sich zudem dadurch aus, dass sich ihre unter- und übertägigen Zechenbetriebe in der technischen, funktionalen, sozialen und hierarchischen Organisation weitgehend glichen, der Großbetrieb Zeche also ein einheitliches technisch-soziales System mit entsprechenden Macht- und Autori-tätsstrukturen darstellte. Dazu trug auch die gemeinschaftliche Behandlung von Fragen der technischen Entwicklung der Zechenbetriebe sowie zunehmend auch der Betriebsorganisation innerhalb des Verbandswesens bei.

Die hier gewählte branchengeschichtliche Perspektive, die den Ruhrbergbau als Segment der deutschen Kriegswirtschaft, als Akteur in der Arbeitseinsatz-, Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie als technisch-betrieblichen Zusammen-hang begreift, ermöglicht zentrale Fragen der Zwangsarbeitsforschung  – etwa nach den Arbeits- und Lebensbedingungen oder nach den unternehmerischen Handlungsspielräumen – aufzugreifen, führt aber auch zu darüber hinausgehen-den Forschungsinteressen. Dazu gehört die Rolle der Verbände, die aus zweierlei Perspektiven ein Forschungsdesiderat darstellt. Die bisherige Zwangsarbeiterfor-schung hat die Rolle der Verbände für den Ausländer- und Zwangsarbeitereinsatz als vernachlässigenswert eingeschätzt und sich bisher an keiner Stelle systema-tisch mit ihr beschäftigt.²6 Im Folgenden wird dagegen die zentrale Bedeutung der Wirtschaftsverbände für die Organisation der Zwangsarbeit im Ruhrbergbau betont. Zudem hat sich die jüngere wirtschaftshistorische Forschung über die nationalsozialistische Zeit ganz überwiegend mit den Unternehmen beschäftigt

24 Zur Organisationsbildung des Ruhrbergbaus vgl. vor allem Stefan Przigoda, Unternehmensver-bände im Ruhrbergbau. Zur Geschichte von Bergbau-Verein und Zechenverband 1858–1933, Bochum 2002.

25 Vgl. dazu zuerst Bernd Faulenbach, Die Preußischen Bergassessoren im Ruhrbergbau. Unterneh-mermentalität zwischen Obrigkeitsstaat und Privatindustrie, in: Mentalitäten und Lebensver-hältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, Göttingen 1982, S. 225–242.

26 So auch Kanther, Zwangsarbeit, S. 26.Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 24: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

23

Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

und den Wirtschaftsverbänden wenig Beachtung geschenkt.²7 So liegen auch für die Verbände des Ruhrbergbaus – Bezirksgruppe Ruhr der Fachgruppe Steinkoh-lenbergbau der Wirtschaftsgruppe Bergbau (Bezirksgruppe Ruhr), Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund (Bergbau-Verein), Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat (RWKS) – bzw. für die nationalen Berg-bauverbände – Wirtschaftsgruppe Bergbau, Reichsvereinigung Kohle (RVK) – für die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges praktisch keine Untersuchungen vor. Przigodas instruktive Studie zur Verbandsgeschichte des Ruhrbergbaus endet mit dem Jahr 1933,²8 und die „Friedensjahre“ des National-sozialismus behandelt lediglich die schon ältere unverö� entlichte Magisterarbeit von Unverferth.²9 Zur Geschichte des RWKS steht lediglich die wegen ihrer ideo-logischen Verformungen nur eingeschränkt benutzbare zeitgenössische Darstel-lung von Muthesius zur Verfügung.³0 Sowohl zur Bezirksgruppe Ruhr als auch zur Wirtschaftsgruppe Bergbau fehlt bisher jede Untersuchung, und selbst die RVK, die eines der schillerndsten Organe der industriellen Selbstverwaltung in der Kriegswirtschaft darstellte, harrt noch einer historiogra½ schen Betrachtung, sieht man von der älteren Studie Riedels zur deren Vorsitzendem, Paul Pleiger, ab.³¹ Die nachfolgende Untersuchung bietet keine systematische Verbands- und Orga-nisationsgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg, aber sie verfolgt die Funktion und Politik der Bergbauverbände auf den Feldern der Kohlenwirtschaft und Förderpolitik, des Arbeitseinsatzes, der Sozialpolitik sowie der betrieblichen Arbeitsbeziehungen, jeweils besonders in deren Bezug zur Zwangsarbeit.

Die prominente Berücksichtigung der Verbändepolitik wirft für die Untersu-chung der genannten Felder durchgehend die Frage nach dem Verhältnis von Wirtschaft und Staat auf. Die Verbände des Ruhrbergbaus agierten, so wird gezeigt werden, unter veränderten Bedingungen weiter im Sinne von Interessen-verbänden, indem sie Ein� uss auf die Ministerialbürokratie und politische Stel-len zu nehmen versuchten. Doch stellten sie darüber hinaus auch unmittelbare Bindeglieder zwischen Staat und Wirtschaft dar. Jüngere Forschungen zur nati-onalsozialistischen Wirtschaftsordnung haben die Untauglichkeit von Termini wie Zwangs- oder Befehlswirtschaft zur Charakterisierung des Verhältnisses von

27 Eine Ausnahme für den Bankensektor ist Harold James, Von der Interessenvertretung zur Wirt-schaftsgruppe: Der Centralverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes 1932–1945, Mün-chen 2001. Als Standardwerk muss immer noch die ältere Untersuchung von Ingeborg Esenwein-Rothe, Die Wirtschaftsverbände von 1933 bis 1945, Berlin 1965, gelten.

28 Przigoda, Unternehmensverbände.29 Gabriele Unverferth, Die verbandspolitische und ökonomische Entwicklung des Ruhrbergbaues

von der Machtergreifung bis zum Vierjahresplan, Examensarbeit (Ms), Bochum 1975.30 Volkmar Muthesius, Ruhrkohle 1893–1943. Aus der Geschichte des Rheinisch-Westfälischen Koh-

len-Syndikats, Essen 1943. Vgl. als kürzeren Beitrag Evelyn Kroker, Das Rheinisch-Westfälische Kohlen-Syndikat. Gründung, Organisation, Strukturprobleme, in: Der Anschnitt 44 (1992), S. 189–197.

31 Matthias Riedel, Eisen und Kohle für das Dritte Reich. Paul Pleigers Stellung in der NS-Wirt-schaft, Göttingen etc. 1973.Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 25: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

24

Einleitung

Staat und Wirtschaft festgestellt,³² schon weil in der Wirtschaftspolitik von einer zentralen staatlichen Lenkung angesichts zahlreicher konkurrierender Institutio-nen, Interessen und Machtzentren keine Rede sein konnte. Das Regime gab die grundsätzlichen ökonomischen Ziele bzw. die Ziele, denen sich die Ökonomie unterzuordnen hatte, vor und richtete die Rahmenbedingungen des wirtschaftli-chen Handelns entsprechend aus. Aber dies folgte keinem zentralen Plan, sondern in Form zahlreicher Einzelinterventionen verschiedener staatlicher und halbstaat-licher Funktionsträger.³³ Zudem nahmen diese Interventionen nur in Ausnah-mefällen einen unmittelbaren Zwangscharakter an. Vielmehr sollten Anreize, die dem kapitalistischen Gewinnmotiv Rechnung trugen, das unternehmerische Handeln – besonders Produktion und Investition – in die gewünschte Richtung lenken.³4 Andererseits erforderte der Fortbestand unternehmerischen Handels auch Rücksicht auf dessen Eigendynamik, was ständige Anpassungsleistungen des staatlich-regulativen Rahmens verlangte. Dieses Spannungsfeld von Rahmenset-zung, Intervention, Reaktion und Anpassungsleistung gilt es im Folgenden für den Ruhrbergbau immer wieder auszuleuchten. Dabei ist davon auszugehen, dass der strukturelle Interessenkon� ikt zwischen der vom nationalsozialistischen Herr-schaftsapparat gewünschten kurzfristigen maximalen Nutzung der wirtschaftli-chen Ressourcen für den Krieg und dem längerfristigeren Verwertungs- und Bestandsinteressen der kapitalistischen einer kapitalistisch verfassten Unterneh-menswirtschaft im Kohlenbergbau wegen dessen ausgeprägter Orientierung an Nachhaltigkeitsprinzipien besonders deutlich zutage traten.

Der Ausländer- und Zwangsarbeitereinsatz im Ruhrbergbau sollte funktional dazu dienen, die Kohlenförderung auf hohem Niveau zu halten bzw. zu steigern. Zwar liegen quantitativ-deskriptive Daten zur Entwicklung der Ruhrförderung seit längerem vor,³5 deren Analyse in ihren Bedingtheiten steht aber noch weitge-hend aus. Es gilt also die Förderpolitik des Ruhrbergbaus im Kontext staatlicher Förderziele und der tatsächlichen Entwicklung von Kohlenförderung, Kohlenbe-darf und Kohlenabsatz nachzuzeichnen und dabei den Stellenwert des Auslän-der- und Zwangsarbeitereinsatzes auch im Verhältnis zu anderen Instrumenten der Förderpolitik, etwa zu Rationalisierungs- und Mechanisierungsanstrengungen sowie zu sozialpolitischen Maßnahmen, näher zu bestimmen. Mit dieser Frage-stellung knüpft die Studie auch an die Untersuchungen John Gillinghams an,

32 Zur Charakterisierung der Montanindustrie als Befehlswirtschaft vgl. Gerhard Mollin, Montan-konzerne und „Drittes Reich“. Der Gegensatz zwischen Monopolindustrie und Befehlswirtschaft in der deutschen Rüstung und Industrie 1936–1944, Göttingen 1988.

33 Vgl. Michael von Prollius, Das Wirtschaftssystem der Nationalsozialisten 1933–1945. Steuerung durch emergente Organisation und politische Prozesse, Paderborn etc. 2003.

34 Zur NS-Wirtschaftsordnung vgl. zuletzt Christoph Buchheim u. Jonas Scherner, Anmerkungen zum Wirtschaftssystem des „Dritten Reichs“, in: Abelshauser u. a. (Hrsg.), Wirtschaftsordnung, S.  81–97; Jonas Scherner, Das Verhältnis zwischen NS-Regime und Industrieunternehmen – Zwang oder Kooperation?, in: ZUG 51 (2006), S. 166–190. Vgl. auch Ralf Banken, Edelmetall-mangel und Großraubwirtschaft. Die Entwicklung des deutschen Edelmetallsektors im „Dritten Reich“ 1933–1945, Berlin 2009.

35 Paul Wiel, Wirtschaftsgeschichte des Ruhrgebietes. Tatsachen und Zahlen, Essen 1970.Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 26: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

25

Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

die mit dem empirischen Schwerpunkt auf den Jahren 1933 bis 1939 nach den Strategien und Politiken fragen, mit denen der Ruhrbergbau auf die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen des Nationalsozialismus reagierte.³6 Gil-lingham zufolge ließ der Ruhrbergbau, vor allem wegen des Konservatismus und der mangelnden Dynamik seines Managements, die Chancen zur Erweiterung seiner Förderbasis und Tätigkeitsfelder, die sich aus der NS-Autarkiepolitik seit 1936 ergaben, ungenutzt. Die Folge dieser selbst verschuldeten unzureichenden Integration der Ruhr in die dynamische Vierjahresplanwirtschaft sei eine unge-nügende Vorbereitung der Kohlenwirtschaft auf den Krieg gewesen, die sich nach Kriegsbeginn in zahlreichen akuten Brennsto� engpässen niederschlug, damit zur Verlangsamung der Rüstungsproduktion beitrug und Deutschlands Möglichkei-ten in der Kriegführung verminderte. Diese ¿ ese, die sich im Rahmen der älte-ren Forschungsfrage, ob bei einer rechtzeitigen Totalmobilisierung der deutschen Wirtschaft der Krieg (wirtschaftlich) zu gewinnen gewesen sei,³7 bewegt, gilt es neu zu überdenken.

Zwangsarbeit war auch eine kriegswirtschaftliche Maßnahme gegen den Arbeitskräftemangel, die sich als solche nur im Rahmen des gesamten Arbeits-einsatzes erschließt. Als Quellenbegri� tauchte der „Arbeitseinsatz“ erstmals im Frühjahr 1934 im Zusammenhang mit Ermächtigungen auf, die der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung erhielt, um durch Umschichtungen von Arbeitskräften einen Ausgleich zwischen der hohen Arbeitslosigkeit in den Großstädten und dem Arbeitskräftemangel auf dem Land zu scha� en. Dagegen verschwand der Begri� „Arbeitsmarkt“ wenigstens aus dem oË ziellen Sprachgebrauch. Im Verständnis des Nationalsozialismus war Arbeit keine marktgängige Ware, die man kaufte oder verkaufte, sondern ein verp� ich-tender Dienst gegenüber der Volksgemeinschaft. Daher sollte eine staatlich regu-lierte, sich an übergeordneten staatspolitischen Notwendigkeiten ausrichtende Lenkung der Arbeitskräfte (der Arbeitseinsatz), für die seit 1934 die Instrumente sukzessive gescha� en wurden, den liberalistischen Arbeitsmarkt ablösen.³8 Seit 1938 und dann besonders seit 1940 gewann der Ausländereinsatz innerhalb des Arbeitseinsatzes immer größere Bedeutung. Der Terminus bezeichnete zeitgenös-sisch in der Regel die Beschäftigung von zivilen Arbeitskräften aus befreundeten und neutralen Staaten sowie von Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen aus den

36 John R. Gillingham, Industry and Politics in the ¿ ird Reich. Ruhr Coal, Hitler and Europe, Stuttgart 1985.

37 Zur Kritik an dieser älteren Forschungsposition vgl. zuletzt vor allem Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007.

38 Vgl. dazu vor allem Hans-Walter Schmuhl, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871–2002. Zwischen Fürsorge, Hoheit und Markt, Nürnberg 2003, S. 222. Als Sammlung der einschlägigen Verordnungen vgl. Die Anordnungen zur Regelung des Arbeitsein-satzes. Erläutert von Dr. Friedrich Syrup, Berlin etc. 1940.Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 27: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

26

Einleitung

besetzten Ländern, die im Rahmen des staatlich gelenkten Arbeitseinsatzes in das Deutsche Reich kamen.³9

Im Folgenden geht es, erstens, darum den gesamten Arbeits- und Ausländer-einsatz im Ruhrbergbau in seinem Verlauf und seinen quantitativen Dimensi-onen zu rekonstruieren. Als Vorarbeit liegt lediglich eine zeitgenössische, rein statistisch-deskriptiv verfahrende Untersuchung vor,40 während Spezialstudien zur Einberufung von Bergarbeitern, zum Fraueneinsatz, zum Nachwuchsproblem der Zechen, zur Belegschafts� uktuation oder zur nationalen Di� erenzierung des Aus-ländereinsatzes völlig fehlen. Zweitens wird die Politik des Arbeits- und Auslän-dereinsatzes im Spannungsfeld der verschiedenen damit befassten staatlichen und halbstaatlichen Institutionen sowie der Verbände und Unternehmen des Ruhr-bergbaus analysiert. So werden die unterschiedlichen Ziele und Schwerpunkte in der Arbeitseinsatz- und Ausländereinsatzpolitik der verschiedenen Akteure untersucht, wird nach den Initiatoren und Initiativen des Arbeits- und Auslän-dereinsatzes im Ruhrbergbau gefragt und werden dahin führende Entscheidungs-prozesse verfolgt. Besonderes Interesse gilt, drittens, der Organisation des Arbeits- und Ausländereinsatzes. Die Zwangsarbeiterforschung hat sich bisher vor allem auf die Tätigkeit der staatlichen Arbeitseinsatzbehörden, also der Arbeitsämter, konzentriert, über die wir trotz der schwierigen Überlieferungssituation – soweit bekannt, existiert weder für ein Landes- bzw. Gauarbeitsamt noch für ein größe-res lokales Arbeitsamt eine geschlossene Überlieferung – weitgehend orientiert sind.4¹ Dagegen sind die Funktionen der Zwangsverbände der gewerblichen Wirt-schaft für die Organisation des Ausländereinsatzes bisher unbeachtet geblieben. Die vorliegende Studie thematisiert eingehend die Rolle der Bezirksgruppe Ruhr bei der Lenkung des Arbeitskräfteeinsatzes im Ruhrbergbau. Viertens werden die Bedingungen, unter denen die verschiedenen „Sonderaktionen“ zur Rekrutierung von Arbeitskräften für den Kohlen- bzw. Ruhrbergbau im befreundeten wie im besetzten Ausland stattfanden, im Einzelnen nachgezeichnet, um di� erenzierte Antworten auf die Frage nach Freiwilligkeit und Zwang der Rekrutierungspraxis zu ermöglichen. Um den Zwangscharakter der „Fremdarbeiterbeschäftigung“ geht es auch, fünftens, bei der Untersuchung der Fluktuation im Ausländereinsatz, die „legale“ und „illegale“ Möglichkeiten zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses diskutiert. Schließlich, sechstens, erweitert die Studie den zeitgenössischen Begri�

39 Ausländer, die bereits seit längerem in Deutschland arbeiteten, schloss die Bezeichnung dagegen gewöhnlich ebenso wenig ein, wie die „illegale“ individuelle Arbeitsmigration. Eine zeitgenös-sische Grauzone des Begri� es ergab sich außerdem daraus, dass in der nationalsozialistischen Ideologie und Politik das völkerrechtliche Nationalitätenprinzip durch ein wenig konturscharfes Rassenschema überlagert wurde, nach dem Ausländer mit ihrem oder gegen ihren Willen als „Reichsdeutsche“, „Volksdeutsche“ oder „Eindeutschungsfähige“ klassi½ ziert wurden. Vgl. dazu auch Spoerer, Zwangsarbeit, S. 19. Im Ruhrbergbau tauchte dieses Problem vor allem bei einer größeren Anzahl von Arbeitskräften aus den besetzten oberschlesisch-polnischen Gebieten auf.

40 Matthias Odenthal, Die Entwicklung des Arbeitseinsatzes in Rheinland und Westfalen unter besonderer Berücksichtigung der Ausländer und Kriegsgefangenen 1938–1943, Essen 1944.

41 Vgl. dazu z. B. Nils Köhler, Zwangsarbeit in der Lüneburger Heide. Organisation und Alltag des „Ausländereinsatzes“ 1939–1945, Bielefeld 2004 (2. Au� .), S. 401 � .Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 28: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

27

Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

des Arbeitseinsatzes um die Dimension des betrieblichen Einsatzes von „Fremd-arbeitern“ und Kriegsgefangenen, eine ¿ ematik, die in der bisherigen Zwangsar-beiterforschung bestenfalls randständig behandelt worden ist.4² Dagegen wird hier untersucht, welche Strategien die Zechenleitungen verfolgten, um die Ausländer- und Zwangsarbeit in die betrieblichen Produktionsprozesse zu integrieren, welche Auswirkungen diese auf die bisherige betriebliche Arbeitsorganisation hatte und welche Probleme damit verbunden waren.

Die Praxis der Zwangsarbeit, die Arbeits- und Lebensbedingungen, die aus-ländische Zwangsarbeiter im Deutschen Reich vorfanden, war(en), so hat die Forschung vielfach herausgearbeitet, vor allem Ausdruck des aggressiven Ras-sismus und Sozialdarwinismus des NS-Regimes. Im Folgenden soll diese Praxis im Kontext der allgemeinen bergbaulichen Sozialpolitik und sozialen Lage der Zechenbelegschaften analysiert werden. Für diesen Untersuchungskomplex kann am stärksten auf Voruntersuchungen zurückgegri� en werden. Klaus Wisotzky hat die sozialpolitischen Kon� ikte im Ruhrbergbau und deren Regelung während der „Friedensjahre“ des Nationalsozialismus vor allem unter der Fragestellung unter-sucht, wie sich die Machtverhältnisse zwischen der Industrie, den Parteistellen (Gauleitungen, Arbeitsfront) und der Reichsbürokratie gestalteten. Er konstatiert dabei einen (sozialpolitischen) Machtverlust des Ruhrbergbaus vor Kriegsbeginn, der insbesondere in der „Verordnung zur Erhöhung der Förderleistung und des Leistungslohnes im Bergbau“ („Göring-Verordnung“) vom März 1939 Ausdruck fand.4³ Im Folgenden soll diese Fragestellung und ¿ ese für die Kriegsjahre wei-terverfolgt werden. Zu den Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen Zwangsarbeiter im Ruhrbergbau liegt inzwischen eine ganze Reihe von Arbei-ten vor. Schon Christian Streits immer noch unverzichtbare Untersuchung über die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen legte die Behandlung der Letzteren auf den Ruhrzechen in ihren Grundzügen dar,44 und auch Herberts Standardwerk über den „Fremdarbeitereinsatz“ verarbeitet den Ruhrbergbau als zentrales empirisches Beispiel für das die Praxis der Zwangsarbeit prägende Spannungsverhältnis zwischen rassistisch-ideologischen Vorgaben und kriegswirt-schaftlichen Zwängen.45 Eine publizierte Magisterarbeit von ¿ omas Urban wid-met sich den Arbeits- und Lebensbedingungen von Zwangsarbeitern vor allem auf den Staatszechen an der Ruhr.46 Außerdem sind kleinere Untersuchungen zu einzelnen Bergbauorten oder Zechen, zum Teil auch als „graue Literatur“,

42 Eine etwas intensivere Auseinandersetzung mit diesem ¿ ema für das Beispiel der Rüstungsin-dustrie ½ ndet sich aber bei Neil Gregor, Stern und Hakenkreuz. Daimler-Benz im Dritten Reich, Berlin 1997.

43 Klaus Wisotzky, Der Ruhrbergbau im Dritten Reich. Studien zur Sozialpolitik im Ruhrbergbau und zum sozialen Verhalten der Bergleute 1933–1939, Düsseldorf 1983.

44 Streit, Kameraden, S. 268–285.45 Herbert, Fremdarbeiter, S. 256–266.46 ¿ omas Urban, ÜberLeben und Sterben von Zwangsarbeitern im Ruhrbergbau, Münster 2002.Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 29: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

28

Einleitung

erschienen,47 hat die ¿ ematik inzwischen Eingang in die Jubiläen- und Fest-schriftenliteratur zu einzelnen Zechengesellschaften gefunden48 und sind von der lokalhistorischen Forschung Erlebnis- und Erinnerungsberichte ehemaliger Zwangsarbeiter der Ruhrzechen verö� entlicht worden.49 Zur sozialen Lage der einheimischen Bergarbeiter während des Krieges kann seit langem auf die Arbeit von Wolfgang Franz Werner zurückgegri� en werden, die vor allem Antworten auf die Frage sucht, warum ein breiter und entschiedener Widerstand der Ruhr-bergarbeiter gegen Regime und Krieg unterblieb.50 Die vorliegende Untersuchung wird die genannten Forschungsstränge in vielerlei Hinsicht vertiefend, vor allem aber erstmals in ihren korrespondierenden Aspekten behandeln und damit dem Umstand Rechnung tragen, dass sozialpolitische Maßnahmen für „Fremdarbei-ter“, Kriegsgefangene und einheimische Bergarbeiter nie isoliert, sondern immer in Bezug zueinander standen.

Ein letzter Schwerpunkt liegt auf der Analyse der Zwangsarbeit als Bestandteil der betrieblichen Arbeitsbeziehungen bzw. der betrieblichen Sozialbeziehungen. Als Sozialsysteme und Zwangsverbände werden Betriebe durch eine stets prekäre Ausübung von Autorität zusammengehalten. Aus ihrem funktionalen und hierar-chischen Aufbau ergeben sich strukturelle, aus den Kon� iktlinien des Zwangsver-bandes „Betrieb“ informelle Beziehungen zwischen den betrieblichen Sozialgrup-pen, im Bergbau im Wesentlichen den Zechendirektionen, der mittleren Ebene der Betriebsführer und Steiger sowie den Bergarbeitern.5¹ Für den Ruhrbergbau ist verschiedentlich die Entwicklung einer extrem autoritären Grundstruktur der betrieblichen Sozialbeziehungen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konstatiert worden. Erst durch die Bergrechtsreform der Jahre 1851 bis 1865 in sämtliche Unternehmerrechte eingesetzt, bemühten sich die Bergwerksbesitzer und vor allem ihr leitendes Management, das sich mehr und mehr aus dem Kreis der zumeist konservativ-autoritär eingestellten Bergassessoren rekrutierte, um die Durchsetzung eines autoritären Disziplinarregimes auf den Zechen und um ein Diktat der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Diesen „Herr-im-Hause-Standpunkt“

47 Heinz Weischer, Russenlager. Russische Kriegsgefangene in Heesen (Hamm) 1942–1945, Essen 1992; Jürgen Pohl, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene im Recklinghäuser Bergbau in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, in: Klaus Bresser u. Christoph ¿ üer (Hrsg.), Recklinghausen im Indus-triezeitalter, Recklinghausen 2000, S. 443–459; Reinhold Grau, Fremdarbeiter, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene auf der Zeche Emscher-Lippe, Datteln, 1914–1918 und 1940–1945, o. O. (Datteln) o. J. (1997); Ulrich Kemper, Zwangsarbeiter auf der Zeche Niederberg in Neukirchen-Vluyn während der Kriegsjahre 1939–1945, Neukirchen-Vluyn 1991 (Ms); Revierarbeitsgemein-schaft für kulturelle Bergmannsbetreuung, Geschichtskreis „General Blumenthal“ (Hrsg.), Miss-handlung von Zwangsarbeitern auf der Zeche General Blumenthal in Recklinghausen im Zweiten Weltkrieg, o. O. (Recklinghausen) o. J. (2006).

48 Als gelungenes Beispiel vgl. Karl Lauschke, Menschen auf dem Bergwerk: Die Belegschaft im Wandel der Zeit, in: Zeche Westfalen, S. 67–90.

49 Waltraud Jachnow u. a. (Hrsg.), … und die Erinnerung tragen wir im Herzen. Briefe ehemaliger Zwangsarbeiter – Bochum 1942–1945, Bochum 2002.

50 Wolfgang Franz Werner, „Bleib übrig“. Deutsche Arbeiter in der nationalsozialistischen Kriegs-wirtschaft, Düsseldorf 1983.

51 Vgl. dazu auch Ralf Dahrendorf, Sozialstruktur des Betriebes, Wiesbaden 1959.Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010

Page 30: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

29

Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

behielt die bergbauliche Elite über die politischen Zäsuren im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hinweg mehr oder weniger bei. Die praktische Durchsetzung der unumschränkten unternehmerischen Autorität im bergbaulichen Großbetrieb oblag dem mittleren technischen Aufsichtspersonal, den Betriebsführern und Stei-gern, die dieser Aufgabe zumeist in einem sprichwörtlich rauen und herrischen Tonfall sowie unter Zuhilfenahme rigider Disziplinarstrafen bis hin zu körper-licher Züchtigung nachkamen.5² Zur Bezeichnung dieser spezi½ schen betriebli-chen Sozialbeziehungen hatte sich seit den 1920er Jahren der Begri� „Gruben-militarismus“ etabliert. Die Entwicklung der betrieblichen Sozialbeziehungen im Zweiten Weltkrieg wird, obgleich noch wenig untersucht, zumeist als Phase eines übersteigerten bzw. entfesselten Grubenmilitarismus gedeutet. Für die vorliegende Untersuchung stellt sich vor diesem Hintergrund einerseits die Frage, welche Aus-wirkung das Auftauchen einer neuen, in sich stark di� erenzierten betrieblichen Sozialgruppe, der „Fremdarbeiter“ und Kriegsgefangenen, auf die betrieblichen Sozialbeziehungen hatte. Andererseits gilt es aber auch in umgekehrter Richtung zu fragen, welche spezi½ schen Folgen der Grubenmilitarismus für die ausländi-schen Zwangsarbeiter hatte.

Das Ziel dieser Untersuchung ist mithin, ausgehend von der Frage der Zwangs-arbeit und immer wieder auf sie hinführend, eine breiter angelegte (wirtschafts-geschichtlich informierte) Organisations- und Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus während des Zweiten Weltkrieges. Eine solche stellt innerhalb der Historiogra½ e zum Ruhrbergbau ein spürbares Desiderat dar.5³ So liegen für die vorindustrielle Bergbaugeschichte der Region,54 zur Wirtschafts-, Sozial- und Organisationsge-schichte der Industrialisierungsphase bis zum Ersten Weltkrieg,55 zu den Entwick-

52 Vgl. Bernd Weisbrod, Arbeitgeberpolitik und Arbeitsbeziehungen im Ruhrbergbau. Vom „Herr-im-Haus“ zur Mitbestimmung, in: Gerald D. Feldman u. Klaus Tenfelde (Hrsg.), Arbeiter, Unternehmer und Staat im Bergbau. Industrielle Beziehungen im internationalen Vergleich, München 1989, S.  107–162; Helmuth Trischler, Steiger im deutschen Bergbau. Zur Sozialge-schichte der technischen Angestellten 1815–1945, München 1988; ders., Partielle Modernisierung. Die betrieblichen Sozialbeziehungen zwischen Grubenmilitarismus und Human Relations, in: Matthias Frese u. Michael Prinz (Hrsg.), Politische Zäsuren und gesellschaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert. Regionale und vergleichende Perspektiven, Paderborn 1996, S. 145–171; Siegfried Braun, Wilhelm Eberwein u. Jochen ¿ olen, Belegschaften und Unternehmer. Zur Geschichte und Soziologie der deutschen Betriebsverfassung und Belegschaftsmitbestimmung, Frankfurt a. M. etc. 1992, S. 191–203.

53 Zur Historiogra½ e des Ruhrbergbaus vgl. auch Klaus Tenfelde, Bergbaugeschichte im Ruhrgebiet, in: Der Anschnitt 50 (1998), S. 215–227; Stefan Przigoda, Technik- und wirtschaftshistorische Forschungen zur Geschichte des Ruhrbergbaus, in: Rasch u. Bleidick (Hrsg.), Technikgeschichte, S. 477–490.

54 Michael Fessner, Steinkohle und Salz. Der lange Weg zum industriellen Ruhrrevier, Bochum 1998.

55 Klaus Tenfelde, Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19. Jahrhundert, Bonn-Bad Godesberg 1977; Franz-Josef Brüggemeier, Leben vor Ort. Ruhrbergleute und Ruhrbergbau 1889–1919, München 1983; Susanne Peters-Schildgen, „Schmelztiegel“ Ruhrgebiet. Die Geschichte der Zuwanderung am Beispiel Herne bis 1945, Essen 1997; Carl-Ludwig Holtfrerich, Quantitative Wirtschaftsgeschichte des Ruhrkohlenbergbaus im 19. Jahrhundert. Eine Führungssektoranalyse, Dortmund 1973; Przigoda, Unternehmensverbände.Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 31: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

30

Einleitung

lungen in der Zwischenkriegszeit und in den „Friedensjahren“ des Nationalsozia-lismus56 sowie für die Nachkriegszeit nach 194557 wichtige Arbeiten vor. Dagegen beschränkt sich eine in breiteren Zusammenhängen angelegte Historiographie des Ruhrbergbaus für die Jahre 1939 bis 1945 auf zwei Kapitel in der erwähnten Unter-suchung von Gillingham.58 Dabei unterlag der Ort des Zweiten Weltkrieges in der Geschichte des Ruhrbergbaus in der jeweiligen zeitgenössischen und historischen Betrachtung erheblichen Umdeutungen. Vielen zeitgenössischen Beobachtern der Jahre 1939 bis 1941, aber selbst noch der letzten Kriegsjahre, schien, nachdem sich in den 1920er und frühen 1930er Jahren deutliche Zeichen eines Niedergangs bemerkbar gemacht hatten, ein neues Steinkohlenzeitalter in einer vom „Groß-deutschen Reich“ dominierten europäischen Großraumwirtschaft anzubrechen, in welcher dem Ruhrbergbau eine unbestrittene Führungsrolle bis dahin nicht gekannten Ausmaßes zukommen sollte. In der Wahrnehmung der Nachkriegszeit markierte der Zweite Weltkrieg dagegen den Tiefpunkt einer 30-jährigen Krisen- und Niedergangsgeschichte seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, die den Ruhr-bergbau, so die Einschätzung des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau in einer Schrift aus den 1950er Jahren, auf den Stand von 1875 zurückwarf.59 Das primäre Interesse der nachfolgenden Untersuchung bleibt aber die Darstellung und Ana-lyse der Kriegsentwicklung selbst und nicht deren Einordnung in die längere Auf- und Abstiegsgeschichte des Ruhrbergbaus.

Die Untersuchung beruht empirisch hauptsächlich auf einer systematischen Auswertung der Unternehmens- und Verbandsüberlieferungen des Ruhrberg-baus zu den genannten Fragestellungen. Herangezogen wurde ausschließlich im Rahmen der Benutzungsordnung privater und ö� entlicher Archive der wissen-schaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Ö� entlichkeit allgemein zugängliches Material.60 Dies folgt einerseits dem Grundsatz, die Überprüfbarkeit der darge-

56 Karin Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt. Bergarbeiter und ihre Familien im Ruhrgebiet 1914–1924, München 1989; Hans Mommsen, Der Ruhrbergbau im Spannungsfeld von Politik und Wirtschaft in der Zeit der Weimarer Republik, in: Blätter für Landesgeschichte 108 (1972), S. 160–175; Rudolf Tschirbs, Tarifpolitik im Ruhrbergbau 1918–1933, Berlin 1986; Wolfgang Jäger, Bergarbeitermilieus und Parteien im Ruhrgebiet. Wahlverhalten des katholischen Bergarbeiter-milieus bis 1933, München 1996; Wisotzky, Ruhrbergbau im Dritten Reich.

57 Werner Abelshauser, Der Ruhrkohlenbergbau seit 1945. Wiederaufbau, Krise, Anpassung, Mün-chen 1984; Mark Roseman, Recasting the Ruhr 1945–1958. Manpower, Economic Recovery and Labour Relations, New York 1992; Christoph Nonn, Die Ruhrbergbaukrise. Entindustrialisierung und Politik 1958–1969, Göttingen 2001.

58 Gillingham, Industry, S. 112–162. Vgl. außerdem John R. Gillingham, Die Ruhrbergleute und Hitlers Krieg, in: Mommsen u. Borsdorf (Hrsg.), Glück auf, S. 325–343.

59 Der Unternehmensverband bezog sich mit dieser Wertung auf die Fördermenge, allerdings fehler-haft. Die 1945 erreichte Förderung lag noch gut doppelt so hoch wie 1875 und entsprach ziemlich genau der Produktion von 1889. Unternehmensverband Ruhrbergbau (Hrsg.), Was wissen Sie vom Ruhrbergbau?, Essen o. J. (ca. 1956) (3. Au� .), S. 13. Vgl. weiter August Heinrichsbauer, Der Ruhrbergbau in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Essen 1948, S. 7 � . Zur historischen Förderentwicklung des Ruhrbergbaus im tabellarischen Längsschnitt vgl. Wiel, Wirtschaftsge-schichte, S. 128–132.

60 Im Rahmen des Projektes, in dem auch die vorliegende Studie entstand, wurde ein Spezialinven-tar der in nordrhein-westfälischen Staats-, Wirtschafts- und Kommunalarchiven nachweisbaren Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 32: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

31

Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

legten Fakten, Argumente und ¿ esen zu gewährleisten, resultiert andererseits aber auch aus dem Umstand, dass nach den Recherchen des Verfassers weder bei der Deutschen Steinkohle AG noch bei den weiter fördernden Zechen oder an anderem Ort für diese Untersuchung einschlägiges Material in größerem Umfang vorhanden ist.

Der größte Teil der Unternehmensüberlieferung der Ruhrzechen be½ ndet sich, der besonderen Unternehmensgeschichte des Ruhrbergbaus in der Nachkriegszeit folgend, im Bergbau-Archiv Bochum.6¹ Für die Untersuchung wurden insgesamt 26 Unternehmens- bzw. Zechenbestände aus dem Bergbau-Archiv ausgewertet, darunter die Bestände der größeren Gesellschaften wie der Gelsenkirchener Berg-werks AG (GBAG), der Hibernia, der Harpener Bergbau AG oder des Krupp-Steinkohlenbergbaus, aber auch die Überlieferung kleinerer Bergwerksunter-nehmen und -betriebe wie der Gewerkschaften Rheinpreußen oder Westfalen. Außerdem wurden noch sieben Unternehmensbestände aus dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Dortmund herangezogen, von denen diejenigen der Essener Steinkohlenbergwerke und der Concordia Bergbau AG die wichtigsten und aussa-gekräftigsten darstellen. Dagegen wurde nach Stichproben auf eine systematische Durchsicht der in den Unternehmensarchiven bei Krupp, ¿ yssen-Krupp, Man-nesmann oder Hoesch noch be½ ndlichen einschlägigen Bergbauakten verzichtet, da diese weder besonders umfangreich sind, noch deren Auswertung in qualita-tiver Hinsicht wesentlichen Zugewinn gegenüber den in den „übergeordneten“ Wirtschaftsarchiven lagernden Bergbauunternehmensakten versprach.

Keine der ausgewerteten Unternehmensüberlieferungen ist so umfangreich und geschlossen, dass sie zu allen hier interessierenden Fragestellungen Auskunft geben könnte. Neben dichten Überlieferungen wenigstens zu einzelnen Problemkreisen in manchen Beständen, stehen lediglich splitterhafte Aktenüberreste in anderen Beständen. In der Gesamtschau erweist sich die Unternehmensüberlieferung zu zahlreichen Fragestellungen aber als durchaus ergiebig. Als wichtigste Quellen-

Quellen zur Geschichte der Zwangsarbeit im Ruhrbergbau erstellt. Holger Menne u. Michael Farrenkopf (Bearb.), Zwangsarbeit im Ruhrbergbau während des Zweiten Weltkrieges. Spezial-inventar der Quellen in nordrhein-westfälischen Archiven, Bochum 2004 (als online-Publikation unter www.vfkk.de/pdf/Zwangsarbeit.pdf ). Zu den für die Geschichte der Zwangsarbeit ein-schlägigen Überlieferungen im Bergbau-Archiv Bochum vgl. außerdem Stefan Przigoda, Quel-len zur Geschichte der Zwangsarbeit: Die Überlieferung im Bergbau-Archiv Bochum, in: Der Archivkurier 14 (2000), S. 72–78 u. Evelyn Kroker, Zur Überlieferung von Zwangsarbeit im Steinkohlenbergbau. Fragen zum Quellenwert, in: Reininghaus u. Reimann (Hrsg.), Zwangs-arbeit, S. 243–247. Zur Zwangsarbeitsüberlieferung in den nordrhein-westfälischen Staatsarchi-ven vgl. außerdem Anselm Faust, Akten zu Zwangsarbeit und Zwangsarbeitern im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv, in: Archivkurier 14 (2000), S. 69–71 u. Wilfried Reininghaus, Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter in Westfalen 1939–1945. Quellen des Staatsarchivs Münster, in: Der Archivar 53 (2000), S. 114–121. Zahlreiche Quellen zur Zwangsarbeit im Kohlenbergbau sind inzwischen publiziert bei: Hans-Christoph Seidel u. Klaus Tenfelde (Hrsg.), Zwangsarbeit im Bergwerk. Der Arbeitseinsatz im Kohlenbergbau des Deutschen Reiches und der besetzten Gebiete im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Bd. 2: Dokumente, Essen 2005.

61 Zu den Beständen des Bergbau-Archivs vgl. Evelyn Kroker (Bearb.), Das Bergbau-Archiv und seine Bestände, Bochum 2001.Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 33: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

32

Einleitung

typen aus dieser Überlieferung stellten sich Geschäfts- und Jahresberichte, Nieder-schriften zu Aufsichtsrats- und Direktorenbesprechungen, der Schriftwechsel der Unternehmen und Zechen mit den Bergbauverbänden, Behörden und zum Teil auch mit Partei- und militärischen Stellen, statistisches Material, die – allerdings nur in wenigen Fällen überlieferten – Niederschriften zu Vertrauensratssitzungen sowie interne Verwaltungsschriftwechsel heraus.

Das zweite wichtige empirische Standbein der Untersuchung stellen die Ver-bandsüberlieferungen dar. Das reichhaltigste Material bietet der Bestand der Bezirksgruppe Ruhr, die eine zentrale Schnittstelle zwischen den Zechen und Unternehmen auf der einen Seite und den übergeordneten Verbänden sowie den staatlichen, politischen und militärischen Stellen der Mittel- und Zentralinstanz auf der anderen Seite bildete. Als eine wichtige serielle Quelle für zahlreiche Aspekte dieser Untersuchung erwiesen sich die Rundschreiben der Bezirksgruppe an die Bergwerksgesellschaften und Bergwerksdirektoren, in denen die Bezirks-gruppe ihre Mitglieder einerseits über Veränderungen der Weisungs- und Erlass-lage auf zahlreichen Problemfeldern informierte, andererseits aber auch die Reak-tionen des Ruhrbergbaus auf sich verändernde Rahmenbedingungen koordinierte. Überaus reichhaltig ist darüber hinaus das von der Bezirksgruppe Ruhr erstellte statistische Material. Wohl kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist bezüglich der grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen während des Zwei-ten Weltkrieges statistisch so dicht und zuverlässig erfasst wie der Ruhrbergbau. Von großem Interesse sind weiterhin die Niederschriften zu den Beiratssitzungen und zu den Sitzungen wichtiger Ausschüsse der Bezirksgruppe, beispielsweise des so genannten Kleinen Ausschusses für sozialwirtschaftliche Fragen. Zuletzt erwies sich auch noch der Schriftverkehr mit den Zechengesellschaften zu Einzelfragen als eine wichtige Quellengruppe aus dem Bestand der Bezirksgruppe Ruhr.

Seit 1942 fungierte die Bezirksgruppe Ruhr auch als regionale Organisation der RVK, eine der wichtigsten und ein� ussreichsten „Organe der unternehmeri-schen Selbstverwaltung“ in der zweiten Kriegshälfte, die mit dem Ruhrbergbau personell eng ver� ochten war. Die Akten der RVK haben zwar allem Anschein nach den Krieg überstanden und gelangten über Berlin und Ludwigsburg nach Essen, wo sich ihre Spur jedoch verliert. Im Bundesarchiv in Berlin sind lediglich noch Bestandsreste aus Akten vorhanden, die in Vorbereitung der Nürnberger Wirtschaftsprozesse zusammengestellt wurden. Deutlich wird aus diesen Akten vor allem die zentrale Organisation des Ausländereinsatzes im Kohlenbergbau. Als serielle Quelle ist außerdem die „Sozialpolitische Information“ der RVK zu nennen, die Einblick in die Tätigkeit des Sozialausschusses der Organisation gibt. Quellen zur Arbeit der Geschäftsführung, des Präsidiums oder anderer Ausschüsse lassen sich dagegen nur noch vereinzelt nachweisen. Von weit geringerer Bedeu-tung als die RVK war die Wirtschaftsgruppe Bergbau, der die Bezirksgruppe Ruhr eigentlich formal untergeordnet war. Aus dem im Bochumer Bergbau-Archiv lagernden mäßig umfangreichen Teilbestand wurden hauptsächlich der Schrift-wechsel der Wirtschaftsgruppe mit der Bezirksgruppe Ruhr sowie ihre Korres-pondenz mit anderen Zentralinstanzen, sofern der Ruhrbergbau davon betro� en Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 34: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

33

Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

war, eingesehen. Der im Bundesarchiv archivierte Teilbestand ist dagegen für die Fragestellungen dieser Untersuchung ohne Bedeutung.

Letzteres ließe sich auch vom Bestand des Bergbau-Vereins sagen, wenn dieser nicht die Niederschriften zu den Sitzungen der 1942 auf allen Ruhrzechen einge-richteten Arbeitskreise für Leistungssteigerung und der so genannten Leistungs-kameradschaften enthalten würde. Dabei handelt es sich um eine serielle Quelle, die von der bisherigen Forschung komplett übersehen wurde, für Untersuchungen zum betrieblichen Ausländereinsatz und zur betrieblichen Praxis der Zwangsarbeit aber besonders reichhaltig und unverzichtbar ist. Erstaunlich wenig Beachtung fand in der Forschung bisher auch der gut erschlossene Bestand des RWKS im Bergbau-Archiv.6² Für die im Folgenden behandelten Fragen nach der wirtschaft-lichen Entwicklung boten vor allem die Niederschriften zu den Versammlungen der Vorsitzenden der Ausschüsse im RWKS sowie die Akten des Generalsekreta-riats wichtiges Material.

Eine weitere prinzipiell zentrale Überlieferung zur Geschichte des regionalen Bergbaus stellen die Akten der bergbehördlichen Mittelinstanz dar. Die einschlä-gigen Akten des Dortmunder Oberbergamtes sind allerdings bereits während des Krieges durch Bombentre� er so gut wie vollständig vernichtet worden. Dagegen ist die im Staatsarchiv Münster zugängliche Überlieferung der einzelnen Berg-ämter zu manchen Fragen der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung und des Arbeitseinsatzes durchaus ergiebig. Insbesondere gilt dies für die Lage- und Stimmungsberichte der Bergrevierbeamten und für Korrespondenzen der Zechen-gesellschaften mit den Bergrevierbeamten über Probleme, die bergpolizeiliche Aspekte beinhalteten. Auf die Auswertung der im Hauptsstaatsarchiv Düsseldorf erschlossenen Bergamtsakten wurde allerdings verzichtet, weil bereits die syste-matische Durchsicht der umfangreicheren Münsteraner Bestände zu erheblichen sachlichen Redundanzen führte. Die sonstige Überlieferung der mittleren Admi-nistrationsebene in Münster erwies sich, abgesehen vom Bestand „Oberpräsi-dium“, der einige wichtige Quellen zum Ausländereinsatz auf den Ruhrzechen in den ersten Kriegsjahren enthält, als wenig ergiebig. Da nach Vorrecherchen für die Bestände im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf gleiches zu erwarten stand, blieb eine Auswertung aus. Auch Recherchen in Kommunalarchiven mussten schon aus arbeitsökonomischen Gründen unterbleiben.

Die Auswertung von Quellen der zentralen Administrationsebene im Bun-desarchiv Berlin konzentrierte sich, neben der RVK, auf Akten aus dem Reich-wirtschaftsministerium (RWM), dem Reichsarbeitsministerium (RAM) und dem Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion. Aus dem Bestand des RWM geben die Akten der so genannten Bergabteilung vor allem Auskunft über Fragen der Planung von Kohlenproduktion und -versorgung. Darüber hinaus ent-hält der Bestand die Erlasse an die Oberbergämter sowie die monatlichen Lage-

62 Evelyn Kroker u. Norma von Ragenfeld (Bearb.), Findbuch zum Bestand 33: Rheinisch-Westfäli-sches Kohlensyndikat 1893–1945, Bochum 1977.Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 35: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

34

Einleitung

berichte der Bezirksgruppe Ruhr und des westfälischen Oberbergamtes. Akten aus dem RAM ermöglichen Einblicke in die zentrale Organisation des Arbeits-einsatzes im Bergbau. Aus dem Bestand des Rüstungsministeriums wurden die Niederschriften zu den Sitzungen der Zentralen Planung (ZP), die sich mit der Kohlenversorgungslage beschäftigten, gesichtet.

Die Verwertung von akzidentiell aus weiteren Archiven herangezogenen Quel-len verdankt sich dem Umstand, dass diese Studie in einem größeren Projektzu-sammenhang entstanden ist und die Bearbeiter anderer Projekte den Verfasser dankenswerter Weise an ihren Quellenrecherchen teilhaben ließen, sofern diese einen Bezug zum Ruhrbergbau aufwiesen. Der außerordentliche Zeitschriften-bestand der in der Bibliothek des Ruhrgebiets aufgegangenen Essener Bergbau-bücherei ermöglichte außerdem eine systematische Auswertung sowohl der berg-baulichen Fachzeitschriften als auch der regionalen Wirtschaftspresse. Auch die zeitgenössisch relevante monographische Bergbau-, wirtschaftliche und sozialpo-litische Literatur konnte ausschließlich aus den Beständen der Bergbaubücherei recherchiert werden.

Die jüngeren Forschungen zur Zwangsarbeit haben in starkem Maße auf Erin-nerungsberichte oder -interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern zurückgegrif-fen, zum Teil in Ergänzung zur archivalischen Überlieferung, zum Teil auch als Hauptinformationsquelle. In dieser Arbeit wurde darauf verzichtet, erstens, weil der Fokus der Untersuchung deutlich über den Problemkontext „Zwangsarbeit“ hinauszielt und ein systematischer Einbau von Zeitzeugeninterviews angesichts der ohnehin schwer zu bewältigenden Quellen� ut nicht möglich erschien, zwei-tens, aber auch weil die zur Verfügung stehende archivalische Überlieferung des Ruhrbergbaus gerade zur Frage der Zwangsarbeit insgesamt reichhaltiges und aus-sagekräftiges Material bereit hält.

Am Anfang der Untersuchung steht eine Skizze des wirtschaftlichen, demo-gra½ schen, politischen und sozialen Gesamtrahmens, in dem der Ruhrbergbau seit der Mitte des 19. Jahrhunderts seine industriewirtschaftliche Führungsrolle gewann. Es folgen drei chronologisch angeordnete Hauptkapitel, von denen das erste, deutlich knapper gehaltene, etwa Ende 1936 einsetzt und mit dem Kriegs-beginn 1939 endet. Diese Rückschau in die Vorkriegszeit ist notwendig, weil zahl-reiche Entwicklungen, die während des Krieges zum Tragen kamen, hier ihren Anfang nahmen. Das zweite Hauptkapitel behandelt die Zeit bis etwa zur Jah-reswende 1941/42, das dritte die Jahre bis zum Kriegsende. Diese Zäsurensetzung ist nicht für alle behandelten Untersuchungsstränge zwingend, trägt aber der Fokussierung auf den Ausländer- bzw. Zwangsarbeitereinsatz Rechnung, für den der Beginn des „Russeneinsatzes“ auf den Zechen Anfang 1942 einen deutlichen Einschnitt markierte.

Die Binnengliederung der Hauptkapitel folgt einem einheitlichen Prinzip. Ein erster Teil behandelt jeweils die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Förderentwicklung, die Förderpolitik, die Absatzlage und die Organisation der Kohlenwirtschaft. Ein zweiter Teil diskutiert jeweils den Arbeitseinsatz, darunter dessen Organisation, die Belegschaftsentwicklung und -politik, die Beschäftigung Hans-Christoph Seidel

Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg © Klartext Verlag 2010

Page 36: Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten ...

35

Zwangsarbeit in der Sozialgeschichte des Ruhrbergbaus im Zweiten Weltkrieg

von Frauen und Jugendlichen, die militärischen Einberufungen von Bergarbei-tern, den Ausländereinsatz, die Bedingungen, unter denen ausländische Arbeits-kräfte rekrutiert wurden, den Belegschaftswechsel und den betrieblichen Einsatz von „Fremdarbeitern“ und Kriegsgefangenen. Ein dritter Teil bearbeitet jeweils die ¿ emenfelder Sozialpolitik, soziale Lage und betriebliche Sozialbeziehungen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei, neben der Lohnfrage oder der Entwicklung der Arbeitsbelastungen, den unter Kriegsbedingungen zentralen Problemen der Ernährung und Gesundheit. Hinsichtlich der betrieblichen Sozialbeziehungen liegen Schwerpunkte auf den Auswirkungen, welche die Arbeitsorganisation im Untertagebetrieb auf die Beziehungen von Ausländern und einheimischen Berg-arbeitern hatte, sowie auf der Entwicklung von Disziplinar- und Repressionsin-strumenten insbesondere auch gegen die ausländischen Zwangsarbeiter.

Hans-Christoph Seidel Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg

© Klartext Verlag 2010