Hans-Dietrich Sander - Der zerstörte Impuls

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HANS-DIETRICH SANDERStaatsbriefe 9-10/1996

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HANS-DIETRICH SANDER DER ZERSTRTE IMPULS Am 17. September 1996 bezeichnete bei der Erffnung des 41. Deutschen Historikertages in Mnchen Bundesprsident Roman Herzog das Jahr 1989 als ersten positiven Orientierungspunkt fr die Deutschen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Er begrndete es mit dem Ausbleiben "jeglicher nationalistischer Tne" bei der unblutigen Revolution in der DDR und im Vereinigungsproze. Die Deutschen htten daraus, bestaunt von anderen Staaten, ein neues Selbstbewutsein geschpft. "Wir sind am Ende dieses Jahrhunderts dabei", so zimmerte Herzog in seinem hlzernen Stil am Rahmen seines weltpolitischen Panoramas, "die nationalstaatliche Form zu berwinden, die in ihrer ideologischen bersteigerung den Kontinent in den Abgrund gezogen hat." Was der Bundesprsident hier selbstherrlich verkndete, als wre er, entgegen der Verfassung, der Souvern, gilt seit einiger Zeit in konservativen Kreisen als der grte Fehler, der nach 1989 begangen wurde: Die Vereinigung lief verkehrt, weil es ihr an einem nationalen Engagement ermangelte. Wie schwer dieser Vorwurf wiegt, mag aus der emsigen Geschftigkeit hervorgehen, exponierte Vertreter dieser Kreise neu einzubinden, damit sie keine Volksbewegung gegen die Europische Union lostreten. Beide Ansichten gehen an der Wirklichkeit der Revolution und der Vereinigung vorbei. In Roman Herzogs Panorama stimmt buchstblich nichts. Es war so schngefrbt wie frher die Werke des sozialistischen Realismus im gesamten Ostblock. Und der als gefhrlich eingeschtzte Einwand der wackeren Konservativen enthlt nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist: Es gab eine nationale Aufbruchstimmung. Bonn hat sie eingelullt, um sie im Schlaf abzuwrgen. Die Staatsbriefe haben von ihrer ersten Nummer im Januar 1990 an das perfide Spiel beschrieben. Es begann schon damit, da die westdeutschen Fernsehanstalten die "nationalistischen Tne", wie der Bundesprsident in herabsetzendem Sinne das jhe Aufflackern eines krftigen Nationalgefhls in Mitteldeutschland nannte, auszublenden suchten. Etwas davon ging aber doch durch die Kanle. Noch mehr sahen und hrten die vielen Westdeutschen persnlich, die in jenen Tagen, von Neugierde getrieben, die Sttten der Wende aufsuchten. Die Wogen der Erregung schwappten gegen Ende des sinkenden Jahrs durchaus in den Westen ber, wo keinerlei Empfnglichkeit fr nationale Gedankengter mehr vermutet worden war. Die Kohl-Equipe sah sich gentigt, opportune Lippenbekenntnisse zu verlauten. Sie klangen so hohl, da Schlimmes zu erwarten war. Ein paarmal entschlpft, wiederholten sie sich auch nicht mehr. Der Mauerfall war in Wirklichkeit eine Stunde der Mobilmachung gewesen. Ein Kanzler von deutscher Art htte damals von seinen Landsleuten alles verlangen knnen, was die Einheit erheischte. Erlst vom Trauma der Teilung, wren sie zu jedem Opfer bereit gewesen, das ihnen nach der Einheit auch die Freiheit gebracht htte. Zu vieles ereignete sich in jenen Wochen des groen Umbruchs auf den Territorien des zerbrckelnden Ostblocks, als da die Westmchte eine beherzte Schaffung von Tatsachen durchkreuzen konnten. Und was geschah? Mit dem Begrungsgeld, dem fetten Versprechen blhender Landschaften und der saloppen Versicherung, die Vereinigung aus der Portokasse zu bezahlen, luden Kanzler Kohl und Finanzminister Waigel die Deutschen, die gerade dem Kommunismus

entronnen waren, zum Tanz um das Goldene Kalb ein, dessen Glanz schon im goldenen Westen zu verblassen begann. Mit unterwrfiger Beflissenheit putzten Kanzler Kohl und Auenminister Genscher die Klinken in den Hauptstdten der benachbarten Mchte, um ihnen ein widerwilliges Ja zur Vereinigung abzubetteln, das die Bedingung einschlo, die unerwnschte Einheit ber ihre abgenutzten Leisten zu schlagen. Und es geschah das Unerhrte: statt das Volk zu innerem Frieden zu fhren, damit es mit sich selbst ins Reine kommen konnte, wurde eine Kampagne gegen nationale Empfindungen, Ideen und Konzepte entfesselt, die alsbald in Unterdrckung und Verfolgung berging, wurde zur Einfhmng multinationaler Verhltnisse das Hausrecht gegenber Einwanderern abgeschafft, wurde das Unsgliche am Dritten Reich in einer Weise wiederaufgerhrt, die jedem Widerstand die Legitimitt entzog. Es trat unter diesen Manahmen eine Strategie hervor, die in der Weltgeschichte der Demokratien als unvorstellbar galt: eine Entmachtung der Whler durch die Gewhlten oder ein Staatsstreich der Politiker zur Abschaffung des Souverns. So sah das gepriesene Ausbleiben "nationalistischer Tne" in der Wende aus. Wenn andere Staaten tatschlich gestaunt haben, staunten sie wohl mehr darber, da die Deutschen sie sich so willig austreiben lieen. So sah der bedauerliche Mangel nationalen Engagements in der Wende aus. Der Fehler war ein Vorsatz. Die verpaten Gelegenheiten sollten nicht wahrgenommen werden. So wurde das Kostbarste, was einem Volk in einer solchen Lage innewohnt, kaltbltig kaputtgemacht: der Impuls zur Restitution. Es steht zur Stunde nicht fest, wieviel davon im Auftrag oder in eigener Ermchtigung abgewickelt wurde. Am Ergebnis ndert das nichts. Indem der Impuls zur Erneuerung zerstrt wurde, wurden nicht nur die Hoffnung der Mitteldeutschen, die sie mit ihrer unblutigen Revolution verbanden, zunichte, sondern auch die Chancen der Westdeutschen, ihre immer maroder werdenden Verhltnisse abzuschtteln. Eine groe Aufgabe, die zur Anstrengung aller Begriffe und Energien htte fhren mssen, verfiel ins Gegenteil: die beiderseitigen Zustnde wurden schlimmer und schlimmer. Der Wiederaufbau der mitteldeutschen Lnder, von kommunistischer Miwirtschaft verheert, frderte Verschuldung, Arbeitslosigkeit, Verelendung, erst in den alten, dann, wie zur Strafe, auch in den neuen Bundeslndern. Da selbst ein neoliberaler Wirtschaftswissenschaftler wie Wolfram Engels aufrief, sich doch einmal in Erinnerung zu rufen, wie das Dritte Reich hnliche Schwierigkeiten 1933 und 1938 nach dem Anschlu sterreichs berwand, wurde peinlich, wenn nicht erbost totgeschwiegen. Nach sechs Jahren Vereinigung diesen Stils kann man wohl sagen, da sich die Befrchtung des Leipziger Malers und Grafikers Wolfgang Mattheuer aus dem Jahre 1990, die deutsche Einheit knnte zu einer nationalen Schande werden, voll erfllt hat. Wer daraus indessen gleich das Finis Germaniae ableiten will, sollte sich an den genauen Ablauf und seine Vollstrecker halten: die Vereinigung der untergegangenen DDR mit der BRD wurde von Bonn aus mit denselben Politikern und Managern vollzogen, die sie bis in die Wende hinein nicht mehr gewollt hatten.

Wer bis 1989 an der Teilung Deutschlands durch die Sieger des Zweiten Weltkriegs festhielt, wer alle Krfte, die sich damit nicht abfanden oder gar Chancen zu ihrer berwindung witterten, mit Repressalien belegte, wer die Interessen seines Volkes seiner politischen Karriere unterordnete, wer das alles bis in den letzten Nerv hinein verinnerlicht hatte, war selbst nicht mehr erneuerungsfhig. Das Staatsoberhaupt, das sie in die Wste schicken konnte, gehrte auch dazu. So dickhutig wie die Bonner Parteien die handgreiflichen Mistnde der letzten ] ahre auf die Miwirtschaft in der DDR zurckfhren (die sie lange genug sponsorend ber Wasser gehalten hatten), wscht die PDS als Nachfolgepartei der SED vor den Vereinigungsschden ihre Hnde in Unschuld. So einfach liegen die Verantwortlichkeiten auch fr die Kommunisten nicht verteilt (die bei der totalitren Metamorphose Bonns fatale Schrittmacherdienste geleistet haben). Die PDS hat die geschichtliche Gunst nicht erkannt, die sich ihr in der Chance anbot, die erste echte Oppositionspartei nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg zu werden. Die Kommunisten htten sich nur, was sie immer vorgaben, wirklich auf den Standpunkt des Volkes stellen mssen, um einer in nationalem und sozialem Sinne immer volksfeindlicher werdenden Bonner Politik wirksam entgegenzutreten. Volkswirtschaft statt Weltwirtschaft zu fordern, im Bereich des Genossenschaftswesens ihre kompromittierte Idee zu rehabilitieren, wre fr sie heute noch das Gebot des Tages, wenn nicht auch sie gnzlich erneuerungsunfhig wren. Politische Leichenstarre gehrt wohl zum Stigma von Parteien, die sich im Dienste fremder Mchte etablierten. Der letzte traurige Ehrgeiz der deutschen Kommunisten besteht in der makabren Posse, sich als bessere Antifaschisten aufzufhren und die brgerlichen Parteien unter einen Konkurrenzdruck zu setzen, der das politische Klima in Deutschland erneut totalitr anheizt. Ein kaum behandelter Aspekt der miglckten Vereinigung liegt in dem rabiaten Ausschlu aller Krfte, die sich am strksten fr die Einheit eingesetzt hatten, vom Proze ihrer Wiederherstellung. Das betraf vor allem Deutsche, die aus politischen Grnden die DDR verlieen, ohne sich dem Westen in die Arme zu werfen. Wer, wenn nicht sie, wre am besten gerstet gewesen fr das harte Tagwerk der Remedur? Wer, wenn nicht sie, htte mit einem berzeugenderen Einfhlungsvermgen in der Gemengelage von Erwartungen und Enttuschungen den Gang der Dinge bestimmen knnen? Es murkelten in den neuen Bundeslndern nur Figuren herum, die sich im Kalten Krieg mit den Amerikanern in einer Weise eingelassen hatten, die sie nun veranlate, den Mitteldeutschen unter Verweis auf die kurzfristige Besetzung thringischer und mecklenburgischer Gebiete im Frhjahr 1945 die Vorzge amerikanischer Besatzungspolitik zu predigen. Auch in diesem Aspekt hat die PDS versagt. Die Krfte, die Bonn in den neuen Bundeslndern nicht haben wollte, htte sie herbeirufen knnen. Im Gegensatz zu den Auslassungen des Bundesprsidenten hatte es eine nationale Aufbruchstimmung gegeben. Mit der Zerstrung ihrer Impulse ist eine Lage entstanden, die nur mit ihrer Wiedererweckung behoben werden kann. Auch was Roman Herzog der nationalstaatlichen Form anlastete, den Kontinent in den Abgrund gezogen zu haben, war grundfalsch. In diesen Abgrund wurde Europa in den beiden Weltkriegen von den raumfremden Mchten Ruland und Amerika gestoen, und es kann sich aus ihm erst wieder erheben, wenn nach der Vorherrschaft der erstgenannten auch die Dominanz der letztgenannten dahin ist. In diesem Herbst ist Roman Herzog auf dem Vertriebenentag in Berlin das Wort "Vaterlandsverrter" entgegengeschleudert worden. Den besten Kommentar dazu lieferte der deutsche Bundesprsident selbst, als er in der Welt vom 24. September seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur begrndete. "Nur eine Amtszeit, dann

sind mich die Deutschen los." Schn wr's. Aber es ist noch nicht so weit. STAATSBRIEFE 9-10/1996