HARlEY XR1200X...Den ersten Harley - Davidson Test im MOTORRADKURIER. Die Ur-XR 750 war in den...

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Bericht und Bilder Thomas Striebel (Doe) M ein Freund (Chef-Redakteurl Jürgen zweifelte ernsthaft an meiner Zurechnungsfä- higkeit, als ich ihm erzählte, dass ich mir eine Buell Sl gekauft hatte. "Har- leys sind technologische .Eisenhau- fen", so sein rigoroses Urteil. Und in der Folge ließ er mich bei jeder ge- meinsamen Tour gnadenlos die Über- legenheit japanischer Großserientech- nik spüren. Natürlich hatte er irgend- wo Recht. Das Motorenkonzept von HD ist ge- nau 102 Jahre alt: V-Twin mit hinter- einander stehenden Zylindern, de- ren Pleuel auf einem gemeinsamen Hubzapfen laufen. Das sorgt für eine schlanke Silhouette und einfache Ventilsteuerung (bei schlecht ge- kühltem hinteren Zylinder). Die Langhub-Konfiguration bringt Dreh- moment aus dem Drehzahlkeller. J Ab" auchqroßebeweqteM"\ HARlEY XR 1200X Letzteres in Verbindung mit dem gemeinsamen Hubzapfen. 45 Grad Zylinderwinkel und kurzem Zünd- versatz bewirkt, dass der Motor sich schwingungstechnisch ähnlich wie ein Einzylinder verhält, also schüt- telt und vibriert. Genau das Gegen- teil von samtweicher Vierzylinder- Laufkultur oder Ausgleichsweilen- Manie. Dafür kernige Dampfham- mercharakteristik ohne Anspruch auf Höchstleistung. Es gibt viele Leute, die für so was eine Schwä- che haben. Mit der XR 1200'hat Harley kürz- lich ein Modell herausgebracht, mit dem die Firma beweist, dass sie auch sportlich kann. Und man kann se'ine Ansichten überdenken und auch deshalb gibt das hier eine PI~emiere ... l Den ersten Harley - Davidson Test im MOTORRADKURIER. Die Ur-XR 750 war in den Siebzi- gern ein Sportster-Umbau für Dirt- track-Rennen, wobei der hintere Zylinder gedreht wurde, um zwei Einzelvergaser anbringen zu kön- nen. 1984 gab es in dieser Ausfüh- rung dann die serienmäßige XR 1000: Eine Marketing-Verzweiflungs- tat, denn Harley war praktisch pleite. Die Maschine hatte zwar höchstens 70 PS, ging aber weg wie warme Semmeln. Und Harley war gerettet. Um es gleich vorweg zu nehmen: Die jetzige XR 1200 ist alles andere als ein Notnagel. Es ist ohne Übertreibung die fahr- technisch beste Harley, die es je- mals gegeben hat. Rassig steht sie da, unsere Test- maschine vom Harley "House of Flames" in Ringingen: 43er Upsi- de-down-Gabel und geschmiedete Aluschwinge machen schon was her. Ich würde sie mir allerdings ohne die mattschwarze Panierung kaufen, die hier alles einschließlich Motor überzieht. Zündschlüssel rein. Der Computer läuft hoch und auf Knopfdruck bol- lert der Twin los. Trotz zehn Grad Außentemperatur nimmt er sofort ohne Verschlucken Gas an - elektro- nische Einspritzung machts mög- lich. ;' Das dünne Sitzpolster ist überra- schend bequem und die Sitzpo- sition untenherum sehr sportlich mit engem Kniewinkel. Oben he- rum sitzt man dafür lässig aufrecht am breiten Lenker. Der Knieschluss ist perfekt, denn Harley hat es ge- schafft, den bisher rechts abstehen- den Fischdosen-Luftfilter unauffäl- lig im Tropfentank zu integrieren. Der erste Gang rastet lang und satt

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Bericht und BilderThomas Striebel (Doe)

Mein Freund (Chef-RedakteurlJürgen zweifelte ernsthaftan meiner Zurechnungsfä-

higkeit, als ich ihm erzählte, dass ichmir eine Buell Sl gekauft hatte. "Har-leys sind technologische .Eisenhau-fen", so sein rigoroses Urteil. Und inder Folge ließ er mich bei jeder ge-meinsamen Tour gnadenlos die Über-legenheit japanischer Großserientech-nik spüren. Natürlich hatte er irgend-wo Recht.Das Motorenkonzept von HD ist ge-nau 102 Jahre alt: V-Twin mit hinter-einander stehenden Zylindern, de-ren Pleuel auf einem gemeinsamenHubzapfen laufen. Das sorgt für eineschlanke Silhouette und einfacheVentilsteuerung (bei schlecht ge-kühltem hinteren Zylinder). DieLanghub-Konfiguration bringt Dreh-moment aus dem Drehzahlkeller. J

Ab" auchqroße beweqteM"\

HARlEY XR 1200XLetzteres in Verbindung mit demgemeinsamen Hubzapfen. 45 GradZylinderwinkel und kurzem Zünd-versatz bewirkt, dass der Motor sichschwingungstechnisch ähnlich wieein Einzylinder verhält, also schüt-telt und vibriert. Genau das Gegen-teil von samtweicher Vierzylinder-Laufkultur oder Ausgleichsweilen-Manie. Dafür kernige Dampfham-mercharakteristik ohne Anspruchauf Höchstleistung. Es gibt vieleLeute, die für so was eine Schwä-che haben.Mit der XR 1200'hat Harley kürz-lich ein Modell herausgebracht, mit

dem die Firma beweist, dass sieauch sportlich kann. Und man kannse'ine Ansichten überdenken undauch deshalb gibt das hier einePI~emiere ...

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Den ersten Harley - Davidson Testim MOTORRADKURIER.Die Ur-XR 750 war in den Siebzi-gern ein Sportster-Umbau für Dirt-track-Rennen, wobei der hintereZylinder gedreht wurde, um zweiEinzelvergaser anbringen zu kön-nen. 1984 gab es in dieser Ausfüh-rung dann die serienmäßige XR1000: Eine Marketing-Verzweiflungs-tat, denn Harley war praktisch pleite.Die Maschine hatte zwar höchstens70 PS, ging aber weg wie warmeSemmeln. Und Harley war gerettet.Um es gleich vorweg zu nehmen:Die jetzige XR 1200 ist alles andereals ein Notnagel.

Es ist ohne Übertreibung die fahr-technisch beste Harley, die es je-mals gegeben hat.Rassig steht sie da, unsere Test-maschine vom Harley "House ofFlames" in Ringingen: 43er Upsi-de-down-Gabel und geschmiedeteAluschwinge machen schon washer. Ich würde sie mir allerdingsohne die mattschwarze Panierungkaufen, die hier alles einschließlichMotor überzieht.

Zündschlüssel rein. Der Computerläuft hoch und auf Knopfdruck bol-lert der Twin los. Trotz zehn GradAußentemperatur nimmt er sofortohne Verschlucken Gas an - elektro-nische Einspritzung machts mög-lich. ;'Das dünne Sitzpolster ist überra-schend bequem und die Sitzpo-sition untenherum sehr sportlichmit engem Kniewinkel. Oben he-rum sitzt man dafür lässig aufrechtam breiten Lenker. Der Knieschlussist perfekt, denn Harley hat es ge-schafft, den bisher rechts abstehen-den Fischdosen-Luftfilter unauffäl-lig im Tropfentank zu integrieren.Der erste Gang rastet lang und satt

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ein. Genauso präzise folgen inschneller Folge seine vier Kollegenhinterher, jeweils unterbrochen vonkurzem Donnergrollen. Nicht laut,aber ein Sound, wie ihn eben nureine Harley bietet!

Die größte Überraschung ist dieLeistungsentfaltung: Der XR-Motordreht bis 7000 U/min, wobei ständigüber 80 Nm Drehmoment anliegen.Also ohne spürbares Leistungsloch.Weil umgekehrt beim Gaswegneh-men das Bremsmoment auch vielschwächer ausgeprägt ist, als voneinem Sportstermotor gewohnt,könnte man meinen, dass der Kur-beitrieb radikal erleichtert wurde.Aber ich nehme an, die Ingenieurehaben das allein übers Motorma-nagement hinbekommen. Vibrati-

onen? Ebenfalls verblüffend wenig.Lediglich zwischen 4000 und 5000Touren kribbeln die Lenkerendenetwas.

Zum Glück wird dieser Drehzahl-bereich selten gebraucht. Denn amangenehmsten ist der Bereich zwi-schen 3000 und 4000 U/min. Hierliegt das maximale Drehmoment anund die XR bewegt sich im 5. Gangzwischen 90 und 120 km/h. Auf ver-

winkelten Land- oder Alpenstraßenbeispielsweise. Denn dort liegt diewahre Bestimmung dieses Sport-tourers, dessen Fahrwerk ebensoüberzeugend bearbeitet wurde wieder Motor. Eher straff gefedert,lässt sich der schwere Eisenrahmenin Kurven durch nichts aus der Ruhebringen, weder durch Längs- oderQuerrillen, noch durch absichtlichesRütteln am Lenker: Alles wird sofortausgedämpft. Und auch von Auf-stellneigung ist zumindest bei nor-malem Bremsen in der Kurve nichtszu spüren. Trotz 260 KilogrammLeergewicht kann man die XR 1200durchaus als handlich bezeichnen.Denn bald ertappt man sich dabei,dass man sich mit Untergeschwin-digkeit in Kurven fallen lässt, ausdenen man nur herauskommt, weilman sich auf die siche-re Gasan-nahme des Motors verlassen kann.Bremswirkung? Völlig ausreichend.Wobei etwas erhöhte Handkräfte,auch für die Kupplung, auffallen.Doch dafür wird man mit extra brei-ten Handhebeln mehr als entschä-digt. Und die Endgeschwindigkeit?Ehrlich gesagt, ab 170 km/h wollteich es nicht mehr genauer wissen,der Halsmuskeln wegen.

Ob es denn gar nix zu meckerngab? Na ja, den einen halben Me-ter seitlich ausschwenkenden Sei-tenständer mit der Fußspitze-hinter

Technische Daten:Luftgekühlter V2-Viertakter,1202 ccm, ElektronischeBenzineinspritzung/Zündung,Mehrscheiben-Nasskupplung,5 Gänge, Zahnriemen, 91 PSbei 7000/min, 100 Nm bei3700/min, Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen, 43mm-USD-Gabel, Alu-Zweiarmschwingemit Stereo-Federbeinen,Federbasis einstellbar.Vorn Doppelscheiben-,hinten Einzelscheibenbremse,Leichtmetall-Gußräder.Bereifung 120/70-18 u. 180/55-17,Tank 13,31, Preis 11.990.- €zzgl. Überführung.

der Fußraste rauszufummeln unddabei vor dem Cafe trotzdem einegute Figur zu machen, sollte manrechtzeitig üben. Und ja, das Sitz-kissen für die Sozia ist natürlicheine Frechheit. Aber bis vors Ca-fe sollte es reichen. Denn für diesportliche Tour ist die XR 1200sowieso ein Solistengerät. Aberwas für eines!

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