HAU-Publikation "The Power of Powerlessness"

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The Power of - Power - - less - ness 4.–25.6.2015

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Eine Publikation des HAU Hebbel am Ufer zur Veranstaltungsreihe "The Power of Powerlessness" (4.–25.6.2015). Mit Texten und Beiträgen von Annemie Vanackere, Edit Kaldor, Florian Malzacher, Peguy Takou Ndie, Richard Djemeli, Frank Raddatz, Judith Elze, Statements der Künstlerinnen und Künstler Emke Idema, Nadia Ross, Sebastian Schlemminger, David Weber-Krebs, Jorge León, Susan Neiman, Vlatka Horvat, Zachary Oberzan und Ivo Dimchev sowie einer Bildstrecke mit dem Esel "Balthazar".

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-Power--less-ness

4.–25.6.2015

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“Es war der Morgen, nachdem mein Partner sich ohne eineAussprache von mir getrennt hatte. Beim Aufwachen wurde mirnach und nach wieder bewusst, dass irgendetwas nicht stimm-te. Was genau, das wurde mir erst langsam klar. Ich spürtenoch nicht den Verlust, sondern ein vollkommenes Unverständ-nis. Zwischen meinem Lebensentwurf und der Realität war einSpalt entstanden. Furchtbar.”

Momente der Machtlosigkeit #1: Emke Idema*

* Die Performerin Emke Idema ist mit “Stranger” erstmals im HAU Hebbel am Ufer zu Gast.

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“Jeder ist seines Glückes Schmied”, sagt der Volksmund. Heutzutage ist unserAlltag von Kontrollsystemen durchdrungen, undurchschaubare Geldströmebeherrschen die globalen Märkte. Im Bereich des Privaten kennen wir alle Zu-stände von Schwäche und Ohnmacht, die uns gelegentlich heimsuchen. Ganzallgemein scheint es so zu sein, dass sich Menschen immer weniger als selbst-bestimmte Akteure ihres persönlichen und des politischen Lebens sehen.

Mit der Veranstaltungsreihe “The Power of Powerlessness” möchte das HAUHebbel am Ufer den Gefühlen der Machtlosigkeit auf die Spur kommen – einemweitverbreiteten und doch wenig thematisierten Phänomen. Mit den Mittelndes Theaters und der Performance sucht das Festival nach neuen Perspektiven,die Machtlosigkeit nicht nur als Schwäche betrachten, sondern auch als Aus-gangspunkt für Strategien der Selbstermächtigung in den Blick nehmen.

Den Kern der Veranstaltungsreihe bilden Arbeiten zweier Künstler, die demHAU Hebbel am Ufer eng verbunden sind: Für “Inventar der Ohnmacht” lädtdie Theatermacherin Edit Kaldor Dutzende Berliner ein, ihre Erfahrungen vonMachtlosigkeit mit dem Publikum zu teilen. Und auch “Gala”, das neue Projektdes französischen Choreografen Jérôme Bel, versammelt professionelle Tän-zer, Schauspieler und Amateure aus Berlin , die mit großer Lust das Unperfek-te im Theater feiern.

Inhalt“Die Macht des Esels” von Annemie Vanackere 5“Eine Übung in Vertrauen”. Edit Kaldor im Gespräch mit Florian Malzacher 6“Besser scheitern”. Jérôme Bel im Gespräch mit Elisabeth Nehring 11“Wir sind alle Opfer einer bestimmten Sorte von Demokratie”.Peguy Takou Ndie und Richard Djemeli im Gespräch mit Anne Meyroth 14“Die Sanftheit siegt”. Frank Raddatz im Gespräch mit Judith Elze 22Biografien der Künstlerinnen und Künstler 25Programmübersicht 29Impressum 30Festivalkalender 31

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Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds.

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“Es geschah in einer Anlage namens ‘The Island’: Fünf Tage lang musste ich miteiner Augenbinde, einer Flasche Wasserund gelegentlich einer Schüssel Reis aufeiner Matratze ausharren. Als man mirdie Binde abnahm, sah ich etwa 20 Männerin Uniformen mit Maschinenpistolen, dieüber die Mauern in unser Lager sprangenund uns überfielen. Mein Gedanke war: ‘So sieht also mein Tod aus.’ Ein unbe-schreiblich schönes Gefühl machte sich in mir breit: Die Sphäre der Machtlosig-keit ist wild, unmittelbar und total.”

Momente der Machtlosigkeit #2: Nadia Ross*

* Nadia Ross, Gründerin und künstlerische Leiterin der Kompanie STO Union, ist Regisseurin der multimedialen Performance “What Happened to the Seeker?”.

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Ich weiß nicht mehr genau, wie es geschah.Aber ich muss kurz unkonzentriert gewesensein. Auf jeden Fall stolperte ich mitten auf derTreppe im S-Bahnhof Alexanderplatz über mei-ne Flip-Flops und stürzte die Treppe herunter.Über dem einen Arm hatte ich gerade noch ei-ne Reisetasche getragen und in der anderenHand einen Becher mit Kaffee balanciert. EineOperation im Unfallkrankenhaus Marzahnwar notwendig. Das war vorerst das Endemeines Deutsch-Sprachkurses am Goethe-In-stitut. Den Rest des Sommers 2011 verbrach-te ich mit gegipstem Fuß und Gehstütze.

Ein banales Unglück, wie es jedem Menschenzustoßen kann. Dennoch hat sich diese Zehn-telsekunde, in der mir klar wurde, dass ich dasGleichgewicht und damit die Kontrolle übermeinen Körper verloren hatte, in meine Erinne-rung eingebrannt. Es war ein Gefühl der Ohn-macht, das unversehens über mich herein-brach und das noch heute hin und wieder inmir wachgerufen wird, wenn ich eine Treppehinabsteige. Genau solche Momente – abernatürlich auch viel existenziellere Erfahrungenwie der Tod eines Geliebten oder auch die Mut-losigkeit, die einen im Angesicht kafkaeskerbürokratischer Ordnungen überfallen kann –spielten während der Vorbereitungsgesprächezu einer neuen Arbeit von Edit Kaldor einewichtige Rolle. Ihr Projekt hat uns auf die Ideegebracht, ein Festival mit dem Titel “ThePower of Powerlessness” zu veranstalten.

Die aus Ungarn stammende und in Amsterdamlebende Regisseurin sammelt und kartogra-fiert Erzählungen von Menschen, die auf un-terschiedliche Weise die Grunderfahrung derMachtlosigkeit gemacht haben. Eine Vorstufe

zu diesem Projekt war “Woe”, eine in engerZusammenarbeit mit Kindern und Jugendli-chen entstandene Arbeit über emotionalenund körperlichen Missbrauch, die vor zweiJahren im HAU Hebbel am Ufer zu sehen war.

Für ihr als Langzeitrecherche konzipiertes“Inventar der Ohnmacht” hat sie den Kreisder Personen, die mit ihren Geschichten eineStimme bekommen, entschieden erweitert.Wir hören Geschichten von Schwerkranken,von Flüchtlingen und von Menschen, denendie Schulden über den Kopf gewachsen sind.Es geht aber auch um Personen, die uns alsmächtig erscheinen, die jedoch auch selbstErfahrungen der Machtlosigkeit gemacht ha-ben. Das Projekt wird in verschiedenen Städ-ten mit jeweils unterschiedlichen Protagonis-ten realisiert. Es entstehen Performances, zudenen die Besucher auch mit ihren persönli-chen Geschichten beitragen können.

In einer Gesellschaftsordnung, die zunehmendvon Profitdenken beherrscht wird und in derdas Scheitern immer mehr mit einem Stigmabelegt ist, halte ich es für eine politischeHandlung, wenn Menschen den Mut aufbrin-gen, sich den Emotionen zu stellen, die mit Er-fahrungen der Machtlosigkeit einhergehen. Esist uns wichtig, offen über solche Zustände zusprechen. Zu untersuchen, ob und wie die For-men des Regierens, die Relationen, in denenMacht und Ohnmacht organisiert sind, sichgrundlegend verändern. Der Eindruck, dasssich die Verhältnisse, unter denen wir existie-ren, sowohl als Individuen wie auch als Ge-meinschaft, immer weniger beeinflussen las-sen, dass wir uns in persönlichen und in ge-sellschaftlichen Zusammenhängen immer we-

niger als selbstbestimmt handelnde Akteurewahrnehmen, ist prägend für das Lebensge-fühl zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Mit unserem Festival möchten wir den Zustän-den und Gefühlen der Machtlosigkeit auf dieSpur kommen, aber auch Wege aus der Agonieund – durchaus lustvolle – künstlerische Stra-tegien der Selbstermächtigung aufzeigen. Ne-ben Edit Kaldor, die gemeinsam mit Teilneh-mern aus Berlin ein “Inventar der Ohnmacht”anlegen wird, haben wir eine Vielzahl interna-tionaler Künstler eingeladen, darunter Ivo Dim-chev, Zachary Oberzan und Nadia Ross, aberauch Jérôme Bel, der gemeinsam mit professio-nellen Tänzern, Schauspielern und Amateurenein Fest des Unperfekten und Unvollkommenenfeiern wird. Das Publikum hat darüber hinausdie Gelegenheit, zum ersten Mal Arbeiten vonEmke Idema, Tiago Rodrigues oder Vlatka Hor-vat im HAU Hebbel am Ufer zu erleben.

Wir haben die Beteiligten gebeten, uns einenpersönlichen Moment zu schildern, in dem siedie Erfahrung der Machtlosigkeit gemachthaben. Die unterschiedlichen, oft sehr per-sönlichen und poetischen Antworten findenSie in dieser Zeitung. Die Bilder zu unsererPublikation sind bei Proben zu der Inszenie-rung "Balthazar" von David Weber-Krebs ent-standen. Die “Hauptrolle” in dieser Choreo-grafie spielt ein Esel, der seiner Umgebung al-lein durch sein störrisches und unvorherseh-bares Verhalten seinen Willen aufzwingt –und dadurch, auf scheinbar passive Weise,doch Macht ausübt.

Annemie Vanackereund das Team des HAU Hebbel am Ufer

Die Macht desEsels

P.S.: Wie Sie dem Festivalkalender entnehmen können, haben wir kein Programm im HAU2. Die Bühne bleibt bis Anfang November geschlossen,weil dort ein Fahrstuhl eingebaut wird, damit die Spielstätte endlich barrierefrei zugänglich ist. Dadurch können wir eine für uns sehr wichtigeBühne vorübergehend nicht für Proben und Vorstellungen nutzen. Diese Beschränkung haben wir – ganz im Sinne des Festivals – produktiv genutzt und uns der Situation ermächtigt.

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Eine Übungin Ver-trauenIn ihrem “Inventar der Ohnmacht” sammelt und kartografiert EditKaldor die Berichte und Erfahrungen von Menschen, die im weites-ten Sinne mit Ohnmacht und Machtlosigkeit zu tun haben. Das Pro-jekt ist als längerfristige Recherche angelegt. In verschiedenenStädten erarbeitet die Regisseurin mit jeweils unterschiedlichen Dar-stellern eine Reihe von Performances, zu denen auch das Publikummit seinen Geschichten beiträgt. Interview: Florian Malzacher.

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Florian Malzacher: Wie definierst du Machtlosig-keit?

Edit Kaldor: Ich vermeide eigentlich jede Definiti-on, denn das Projekt soll so offen wie möglichsein. Momentan geht es mireher darum, möglichst unter-schiedliche Assoziationen an - zustoßen und Definitionenzu entwickeln, nicht die eineendgültige. Die Gesprächeund Gruppendiskussionen,die dem Vorhaben zugrunde-liegen, drehen sich oftmalsum Synonyme der Machtlo-sigkeit. Es werden Begriffe und Zustände wieVerletzlichkeit, Wut oder Angst angespro-chen. Wir betrachten die Machtlosigkeit he-rausgelöst aus der Dichotomie von Macht undOhnmacht und setzen verschiedene Formender Machtlosigkeit zueinander in Beziehung.An die Stelle der gewohnten und vertrautenModelle von Machtstrukturen tritt ein Netz derMachtlosigkeit.

FM: Allein schon die Bedeutungsunterschiededes Begriffs in den verschiedenen Sprachensind groß ...

EK: ... Im Ungarischen bedeutet “Machtlosig-keit” so viel wie Hilflosigkeit oder absolute Ab-hängigkeit. Diese sprachliche Ebene ist Be-standteil unserer Erkundung. Das ganze Pro-jekt ist eine einzige Forschungsarbeit und dieAufführungen sind ein Teil davon. Jedes Ele-ment des Inventars ist einzigartig. Für jedesversuchen wir eine Sprache zu finden. Auf dereinen Seite stehen die Sprechenden mit ihrerArtikulation der Machtlosigkeit, auf der ande-ren die Zuhörer. In der Performance wird bei-des zusammengeführt. Im Kern geht es darum,dem Inventar neue Elemente hinzuzufügen,diese verbal oder schriftlichzu artikulieren und mit ande-ren Erfahrungen der Machtlo-sigkeit zu verknüpfen. AufGrundlage der daraus resul-tierenden Beobachtungenund Erkenntnisse werdenFragestellungen für die Dis-kussion formuliert. Hierbei istes uns wichtig, dass wir zu-nächst nicht mit einer Grup-pe arbeiten, sondern mit jedem Teilnehmereinzeln. Erst im Anschluss kommen alle zu-sammen.

FM: Besteht nicht die Gefahr, dass das Projektder Ebene des rein Subjektiven verhaftetbleibt?

EK: Bei den Elementen des Inventars gehen wirjeweils vom Einzelnen aus. Esentsteht eine einzigartigeSammlung von Individuen.Von ihnen ist uns einzig undallein ihr Gefühl der Machtlo-sigkeit bekannt, was vermut-lich eine etwas merkwürdigeArt des Kennenlernens dar-stellt. Natürlich verweisen ih-re individuellen Erfahrungen

auf strukturelle Phänomene, also auf die un-ser Leben bestimmenden Machtstrukturen.Dennoch wollen wir das Spezifische der ein-zelnen Erfahrung betonen. Auch das Publikumwird nicht als Kollektiv angesprochen. Wirwollen jedem Zuschauer eine Vielzahl ver-schiedener Rezeptionsweisen anbieten. DerBesucher kann so seine Einstellungen zurMachtlosigkeit und zu anderen Menschen hin-terfragen und sich mit seinen eigenen Vorstel-lungen von individueller und kollektiver Ver-antwortung auseinandersetzen.

FM:Dir geht es darum, dem Moment der Macht-losigkeit selbst so nahe wie möglich zu kom-men und sie von allem “white noise” zu be-freien. Wie entwickelt man für diesen schwerzu fassenden Zustand einepassende Sprache?

EK: In der Aufführung nähernwir uns den Geschichten wiemit einem Vergrößerungsglasund befreien sie von allem Anekdotischen, umso zu dem eigentlichen Erlebnis vorzudringen.Jeder Fall verlangt nach einer eigenen Darstel-lungsform, einer eigenen Dramaturgie. Man

kann sich zwei Stunden langüber seine Schulden auslas-sen und darüber nachden-ken, wie es dazu kam. Oderman sagt nur einen Satz:“Meine Schulden sind in ein-einhalb Jahren von 700 auf15.000 Euro gestiegen, ohnedass ich mir auch nur nocheinen Cent geliehen hätte.”Ein ganz einfacher Satz, in

dem eine Vielzahl an Aspekten mitklingt. Einzweiter Teilnehmer wiederum schildert ganzsubjektiv eine Situation, die nur für jemandenmit einer ganz bestimmten Krankheit nachzu-vollziehen ist. Daraus ergeben sich wiederumganz andere Gedanken und Fragen.

FM: Manche Erfahrungen der Machtlosigkeitsind universeller als andere. Daneben gibt eskulturelle Unterschiede: Als Westeuropäerfühle ich mich möglicherweise in einer Situa-tion machtlos, die jemand aus Asien voll-kommen anders empfindet.

EK: Ja, der lokale Kontext spielt auf jeden Falleine Rolle. Wir wollen dem Zuschauer einenganz individuellen Zugang ermöglichen. Dasbedeutet zugleich, dass wir auf jegliche Kon-trolle darüber verzichten, was er davon fürsich mitnimmt. Bei jedem Teilnehmer wird dieAffinität zu bestimmten Erfahrungen fraglosgrößer sein als zu anderen. Doch wofür auchimmer er sich interessiert, am Ende dürfte ersich von einer Vielzahl an Dingen angespro-chen fühlen. Die Geschichten selbst beleuch-ten einander. Wenn auf den Satz über die Ex-plosion der eigenen Schulden der Bericht überdie unheilbare Krankheit folgt und es darinheißt: “Ich weiß nicht, wie lange ich noch ar-beiten kann”, dann verbinden wir diese beidenDinge innerlich miteinander. Jedes Wort, jedeBetonung, jede Geste enthält unzählige Be-deutungen. Uns allen ist ein vielfältiges Wis-sen gemein und wir verstehen die in das In-ventar eingegangenen Formen der Angst.

FM: Entsteht so nicht auch eine Hierarchie derErfahrungen? “Zählt” eine tödliche Krankheitam Ende “mehr” als irgendwelche Schulden?

Fangen wir nicht an, die indem Inventar versammeltenErfahrungen zu bewerten?

EK: Ja, und unter anderem aufdieser Grundlage funktio-

niert das Projekt. Es geht uns nicht zuletzt da-rum, diese Zweifel offenzulegen. Das ist einTeil der gesamten Erzählung. In Amsterdamstand eine Teilnehmerin aus dem Publikumauf, nahm das Mikrofon und erklärte: “Ob ichwill oder nicht, ich merke, wie ich anfange, zuvergleichen und meine Sympathien zu vertei-len. Und das erscheint mir in diesem Kontextwie Ironie.” Daraufhin erzählte sie ihre eigeneGeschichte und bat die Zuhörer, diesen in-stinktiven Trieb des Vergleichens einen Mo-ment auszuschalten.

FM:Gelegentlich tritt die eigene Machtlosigkeitin einem scheinbar ganz zufälligen Augen-blick zutage, etwa wenn man gefragt wird, obman Milch oder Zucker zum Kaffee möchteund dieser Moment zum Auslöser eines Bur-nouts wird. Ein Mensch kann auf einmal alleinschon von einer solchen Entscheidung über-fordert sein, und alles gerät ins Rutschen.

“Wir betrachten die Machtlosigkeitherausgelöst ausder Dichotomie vonMacht und Ohn-macht.”

“Sie erzählte ihre eigene Geschichteund bat die Zuhörer,diesen instiktivenTrieb des Verglei-chens einen Momentauszuschalten.”

“Jedes Element des Inventars ist einzigartig.”

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EK: Tatsächlich können diese Momente in voll-kommen unwichtigen Situationen auftreten.In Amsterdam, und das wäre noch ein andererAspekt, berichtete ein Teilnehmer, dass KinderSchmerzen ganz anders wahrnehmen wür-den, weil sie einen vollkommen anderen Zeit-begriff hätten. Sie leben ganz im Jetzt undwenn sie Schmerzen haben, sehen sie nicht,dass dies etwas Vorübergehendes ist. DerMann mit der Muskelkrankheit glich das mitseinen eigenen Erfahrungen ab. Er meinte,man gewöhne sich an einen bestimmten kör-perlichen Zustand und fühle weniger die eige-ne Machtlosigkeit, sondern konzentriere sichvielmehr auf das, was man noch könne. Erwarf auch die Frage auf, ob es eine Grenze ge-be, wenn es darum gehe, sich an die eigeneMachtlosigkeit zu gewöhnen. Der Hintergrundseiner Frage war die eigene körperliche Er-krankung. Dennoch konnten auch andere Teil-nehmer aus ihrer jeweiligen Perspektive damitetwas anfangen und erklärten, wie gefährliches in gewissen Situationen sein könne, sichmit seiner Machtlosigkeit abzufinden und pas-siv zu bleiben.

FM: Sich mit ihr abfinden? Oder sie akzeptie-ren und daraus womöglich Stärke oderMacht ziehen?

EK: Auch wenn der Akt der Artikulation und dieGemeinschaftssituation des Zuhörens alleinden Teilnehmern bereits eine gewisse Stärkeverleihen mögen, würde ich diesen Effekt nie-mals “garantieren” oder einen Anspruch daraufformulieren. Das Ergebnis wäre eine oberfläch-liche Wohlfühlattitüde. Wer von Beginn an einewie auch immer geartete Lösung verspricht,verhindert eine komplexere Erkundung derMachtlosigkeit und eineernsthafte Beschäftigung mitdiesen Zuständen. Man darfdie politische Kraft nicht ge-ringschätzen, die im Festhal-ten an der Machtlosigkeitliegt, in der Hingabe an sieund in ihrer Erkundung. Ge-nauso wichtig ist es, Erfahrun-gen, die sonst nicht artikuliertwerden, Gehör zu verschaffen. Sie werden indieser gemeinschaftlichen Situation oft erst er-möglicht. Wir sollten uns fragen, was die Arti-kulationen in uns auslösen, was für Möglichkei-ten sie uns bieten und was wir tatsächlich da-mit anfangen, als Individuum wie als Gemein-schaft. Das allein ist bereits höchst politisch.

FM: Es gibt verschiedene Formen der Machtlo-sigkeit. Ich kann womöglich nichts gegen ei-nen körperlichen Zusammenbruch machen.Politische Ungerechtigkeit aber kann ich be-kämpfen.

EK: Das ist eine wichtige Differenzierung. Ver-mutlich nehmen die meisten Zuschauer ausder Performance vor allem das mit: einzu-schätzen lernen, gegen wasman ankämpfen kann undgegen was man tatsächlichankämpft. In beiden Fällengeht es um die Systeme, dieüber unser Leben bestim-men.

FM: Warum findet das Ganzeim Theater statt? Warum inForm einer Performance?

EK: Ich mag den konzentrierten Raum desTheaters. Hier stellen wir das Zappen ein undsind eher bereit, Zeit und Aufmerksamkeit zuinvestieren. Es gibt nur wenige Orte, an denenjene Art von “Intimität unter Fremden” möglichist, die das Inventar voraussetzt und er-schafft. Das Theater ist einer davon. Ich sehees als eine Art geschützten Raum, frei vomNutzdenken und von jeglicher Ideologie. Inso-fern eignet es sich hervorragend für dieseForm qualitativer Forschung, in der das Themain all seiner Komplexität erkundet wird. Diesoll gerade nicht eliminiert werden. Dann kannman für sich selbst entscheiden, wohin mangehört.

FM: In deiner Arbeit beschäftigst du dich seitvielen Jahren mit den großen Themen, mit

Kindesmissbrauch und Todund nun ganz allgemein mitder Machtlosigkeit. Das sindDinge, über die das Redenschwer fällt und die sichnicht einfach in unser Lebenintegrieren lassen. Seit denGriechen sind das auch dieentscheidenden Themendes Theaters. Ein Großteil

des postdramatischen Theaters scheint umsie eher einen Bogen zu machen.

EK: Die Menschen wollen kein Wagnis eingehen.Man trennt die intellektuelle Reflexion von an-deren Wissensformen. Das alles sollte sichdoch eher gegenseitig befruchten.

Darüber nachzudenken, was Machtlosigkeitwirklich bedeutet, was in diesen Momenten ge-schieht und wie diese Zustände entstehen, dasheißt immer auch, dass man sich von seinem“Bauchgefühl” leiten lässt – sowohl bei der For-mulierung der eigenen Ideale und Haltungen alsauch bei ihrer kritischen Hinterfragung. Wiestehst du wirklich zur Inklusion? Wo befindestdu Dich im Verhältnis zu anderen? Die meisten

Konzeptionen der Macht undder Machtlosigkeit funktionie-ren nicht, weil sie die Machtlo-sen zu Opfern machen.

FM: Heißt die Auseinanderset-zung mit der Machtlosigkeitauf der Bühne auch, eineRolle zu erproben? Dass mansich auf die Möglichkeit vor-

bereitet, selbst einmal in diese Lage zu kom-men? Die Machtlosigkeit probeweise in seineigenes Leben integriert?

EK: Vielleicht entsteht die Fähigkeit, ein ande-res Verhältnis zu Menschen aufzubauen, dieeinem zuvor unbekannt waren. Das höre ichzumindest häufig von Zuschauern und denLeu ten, mit denen ich zusammenarbeite.Plötz lich sieht man die Reisenden in einemZug mit anderen Augen. Sich gemeinsam aufdiese Sache einzulassen führt zu einer beson-deren Form der Verbindung, einer gleichzeitigpersönlichen wie unpersönlichen. Den meis-ten Menschen fehlt Vertrauen und darum kön-nen sich bestimmte Gruppen überproportionalGehör verschaffen. Sie verfügen über die Wor-te und den Raum. Es ist wichtig, auch anderenMenschen einen Rahmen bereitzustellen, indem sie sich zu Wort melden können, sie zubestärken. Zu viele Erfahrungen verfügen überkeinen Raum und oftmals auch nicht über eineStimme.

“Gibt es eine Grenze, wenn esdarum geht, sich an die eigeneMachtlosigkeit zugewöhnen?”

“Es gibt nur wenigeOrte an denen ‘Intimität unterFremden’ möglichist. Das Theater isteiner davon.”

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“Ein acht Meter langes DDR-Plastiksegelboot mittenauf der Ostsee. Ich war 19. Gemeinsam mit drei Freun-den war ich auf die glorreiche Idee gekommen, in derNacht zu segeln. Drei Stunden nach unserer Abfahrtzog ein Sturm auf. Das Boot flog zwischen meterhohenWellen hin und her. Funkanlage und funktionierendeHandys waren nicht an Bord. Als am nächsten Morgenauch noch das Ruder brach, fühlte ich mich dem Meerso machtlos ausgeliefert, dass mir schlecht wurde.”

Momente der Machtlosigkeit #3: Sebastian Schlemminger*

* Der Klangkünstler Sebastian Schlemminger ist Mitglied von musiktheater bruit!. Im Rahmen des Houseclubs erarbeitet die Gruppe zusammen mit Schülerinnen und Schülern die Installation “Krach ist Macht – Noise is Power!”.

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“Es war gerade passiert. Ich sagte etwas. Das Wesenschaute mich sprachlos an. Dann antwortete es mitZeichen, die ich nicht entziffern konnte. Und dann Stil-le. Ich probierte es auch mit einer Bewegung, die mirwohlwollend zu sein schien. Seine Reaktion verlor sichebenso. Wir blieben stumm. Wir bewegten uns nichtmehr und starrten in die feuchte Leere unserer Augen.Nur in diese feuchte Leere.”

Momente der Machtlosigkeit #4: David Weber-Krebs*

* Der Performer, Theater- und Filmregisseur David Weber-Krebs präsentiert im HAU Hebbel am Ufer eine neue Version der Performance “Balthazar”, in der ein Esel die “Hauptrolle” spielt.

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Elisabeth Nehring: Mit einer Gala assoziiere ich einehöchst repräsentative, manchmal auch gla-mouröse Veranstaltung, bei der kurze Aus-schnitte aus vorhandenen Werken nacheinan-der gezeigt werden, zum Zwecke der Unter-haltung des Publikums, meistens auf einemeher oberflächlichen Niveau. Was verbindestdu mit dem Begriff? Was für eine Art der Galafindet bei dir auf der Bühne statt?

Jérôme Bel: Das Format interessiert mich sehr. Fürmich ist eine Gala eine Serie von kurzen Stücken,die alle unabhängig voneinander funktionieren.Schon lange beschäftigt mich, dass Tanzstückefast immer eine Standardlänge haben. Sagenwir, sie liegt zwischen 50 und 90 Minuten. Ir-gendwann habe ich angefangen, über Stückevon ganz unterschiedlicher Dauer nachzuden-ken, fünf Minuten, zwanzig Minuten, was auchimmer. Darüber hinaus ist der Begriff Gala eng

verbunden mit der Idee der Feier. Das mag ichsehr. Meine Arbeit wurde in den letzten zwanzigJahren immer wieder harsch kritisiert. Mit “Gala”möchte ich einen anderen Weg beschreiten undetwas ganz Gegensätzliches machen: ein Fest.

EN: Heißt das, deine Arbeit be-kommt mit “Gala” einenganz anderen Charakter alsbisher?

JB: Natürlich ist das nur eineStrategie. Der Tag, an demwirklich etwas gefeiert wer-den kann, ist noch nicht da. Das Fest, das wir indieser Produktion abhalten, ist nicht ganz sim-pel, glaube ich – aber wer weiß? Vielleicht ist eseher eine Utopie? Wenigstens habe ich eine Lö-sung gefunden, eine Möglichkeit. Sie hat es ver-dient, gefeiert zu werden!

EN: In “Gala” bringst du professionelle Tänzer,Schauspieler und Amateure zusammen – wassind für dich die größten Unterschiede in derZusammenarbeit mit diesen verschiedenenGruppen von Performern?

JB: Etymologisch gesehen be-zeichnet der Begriff “Ama-teur” jemanden, der eher et-was möchte, als dass er eskann. Die Position des Ama-teurs innerhalb der Gesell-schaft ist immer eine ganzandere als die professioneller

Künstler. Im Alltag ist der Tanz-Amateur oderdie Tanz-Amateurin ein Arzt, ein Schulkind,Student oder Rentner. Und daneben widmet ersich auch noch dem Tanz – oder zumindestwürde er es gerne. Das ist aus meiner Sicht dergrößte Unterschied.

BesserscheiternMit seinem letzten Stück “Disabled Theater” hat er eine Kontro-verse über den Umgang mit Behinderten auf der Bühne ausgelöst.Nun führt der französische Choreograf sein Konzept weiter undlässt Darsteller mit unterschiedlichem Status – professionelleTänzer, Schauspieler, Amateure – gemeinsam eine “Gala” feiern.Kann die Figur des Dilettanten helfen, die Kultur der Darstellen-den Künste herauszufordern und die festgefügten Machtsystemeder Repräsentation zu erneuern? Jérôme Bel antwortet auf Fra-gen von Elisabeth Nehring.

“Im Alltag ist derTanz-Amateur ein Arzt, ein Schul-kind, Student oderRentner.”

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EN: Worin liegt für dich die Qualität eines Ama-teurs im Vergleich zu einem professionellenPerformer?

JB: Natürlich unterscheiden sich Profis undAmateure auch und vor allem in ihren Fähig-keiten und Erfahrungen. Nur ist diese Differenzso offensichtlich, dass sie mich nicht beson-ders interessiert. Was für den einen ein Berufist, bleibt für den anderenbloß ein Wunschtraum.

EN: In den Reaktionen auf dei-ne Arbeit, von denen du ge-sprochen hast, tauchtmanchmal auch der Begriff“Dilettantismus” auf.

JB: Dilettantismus?????????????????? Wow,das ist das erste Mal, dass ich das höre! Sehrlustig. Aber ich mag das.

EN: Kannst du mit dem Begriff etwas anfangen– im Vergleich zum professionellen Künstler,aber auch zum Laien?

JB: Ja. Als ich jünger war, habe ich mich mit derFigur des Dandys identifiziert, mit Künstlern wieMarcel Duchamp oder John Cage, denen dasHandwerk wahrscheinlich weniger wichtig warals ihre Ideen. Ich bin ziemlich faul und versuchedeswegen, Wege zu finden, nicht arbeiten zumüssen. In Wahrheit macht es jedoch eine Men-ge Arbeit, nicht zu arbeiten, und so schufte ichim Endeffekt wahrscheinlich genauso viel wiejeder andere – was sehr bedauerlich ist. An demWunsch, nicht zu arbeiten, scheitere ich also.Aber der Dilettantismus, den du ansprichst, istnoch immer eine meiner bevorzugten Strate-gien auf der Bühne – auf jeden Fall eine ästheti-sche und philosophische Entscheidung!

EN: Wie arbeitest du mit den verschiedenenPerformern? Und wie kommen sie auf der Büh-ne zusammen?

JB: Beide Antworten auf Deine Fragen findetman im Stück selbst. Deswegen möchte ich siehier nicht beantworten.

EN: Ist “Gala” eine Fortsetzung der Arbeit an“Disabled Theater”, der Produktion, die du da-vor herausgebracht hast? Gibt es eine innereBeziehung zwischen diesen beiden Abenden?

JB: Natürlich, “Gala” folgt auf “Disabled Theater”.Wie jede Produktion versucht auch diese, mitden Grenzen der vorangegangenen zu spielenund sie zu erweitern. Die Grenzen von “DisabledTheater” ergaben sich durch die Konzentrationauf die Arbeit mit lernbehinderten Performern.Nun wollte ich die Gruppe von Leuten, die ichauf die Bühne stelle, etwas erweitern. Darausist “Gala” entstanden.

EN: In der Ankündigung für“Gala” heißt es, das Projekthinterfrage “die Kultur derDarstellenden Künste und ih-re Einschreibung in unsereKörper und unsere Vorstel-lungen”. Hast du das nichtmehr oder weniger in allen

deinen Produktionen gemacht? Was ist dasSpezifische an “Gala”?

JB: Ja, das Thema ist eine meiner Obsessionen,und ich glaube, das habe ich in der jetzigen Ar-beit noch weiter ausgebaut. Die akademischeKritik am so genannten zeitgenössischen Tanzscheint mir ziemlich gewalttätig zu sein. Mal ab-warten, was es dieses Mal für Reaktionen nachder Premiere beim Kunsten-festivaldesarts in Brüssel gibt.

EN: In dem Ankündigungstextzitierst du außerdem SamuelBecketts Motto “Wieder ver-suchen. Wieder scheitern.Besser scheitern” und Wil-liam Forsythes Gedanken“Das Ballett ist eine Philosophie des Schei-terns.” Welche Rolle spielt das Scheitern indeiner neuen Arbeit – im Gegensatz zu “Erfolghaben” oder “erfolgreich sein”?

JB: Scheitern scheint mir eine interessante Stra-tegie zu sein, Individuen und Repräsentation,Kultur und Politik innerhalb einer Gesellschaftzu erkunden. Heute wird im Tanz alles verneint,was auch nur im Entferntesten damit zu tunhat. Tänzern wird grundsätzlich beigebracht,dass sie erfolgreich zu sein haben. William For-sythes ganze Arbeit am klassischen Ballett ba-siert hingegen auf der Philosophie des Schei-terns. Für mich ist es sehr offensichtlich, dasser sein Bewegungsmaterial aus dem gewinnt,was normalerweise im Rahmen der klassischenBallettregeln verboten ist. Das ist der Grund,

warum ich mich entschieden habe, Bills Zitatals Beschreibung meiner eigenen Arbeit zu be-nutzen. Für einen Dilettanten wie mich eröffnetdas Scheitern einen Weg, um Erfahrungen zusammeln und neue Repräsentationsmodelle zuproduzieren. Das Scheitern ist schlichtweg un-erträglich für die kapitalistische Ideologie. Diemeisten von uns haben sie vollständig interna-lisiert.

EN: “Gala” wird im Rahmen des Festivals “ThePower of Powerlessness” gezeigt, das sich aufMacht als “relationalen Begriff” konzentriertund mit der Asymmetrie von Machtverhältnis-sen und Hierarchien beschäftigt. In meinenAugen sind das wichtige Punkte. In welcherWeise spielen diese Themen in deiner Produk-tion eine Rolle? Wer hat die Macht? Wer istohnmächtig? Und, im Gegensatz zu dem, waswir oft auf den ersten Blick zu erkennen glau-ben: Sind “Macht” und “Machtlosigkeit” immerleicht zu identifizieren und voneinander zu un-terscheiden?

JB: Auf diese Fragen würde ich gerne mit einemZitat des deutschen Philosophen ChristophMenke antworten, den ich 2013 auf der docu-

menta in Kassel kennenge-lernt habe. In seinem Werk“Die Kraft der Kunst” schreibter: “Die Kraft, in der wir gleichsind, kann nicht objektiv alsvorliegend bewiesen oder fest -gestellt werden. Die Gleich heitist, als Gleichheit der Kraft,nichts Gegebenes. Die Kraft, in

der wir gleich sind, ist vielmehr deshalb eine Vo-raussetzung, weil es sie nur gibt, weil wir sie nurerfahren und von ihr wissen, indem wir Aktevollziehen, in denen sie sich entfaltet. Das sindästhetische Akte: Akte des Spiels, der Einbil-dungskraft, Akte, in denen wir über unsere so-zial erworbenen Fähigkeiten und Vermögen hi-nausgehen; in denen wir also etwas tun, waswir nicht tun können.”

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“Das Scheitern ist schlichtweg unerträglich für die kapitalistischeIdeologie.”

“Ich bin ziemlichfaul und versuchedeswegen, Wege zufinden, nicht arbei-ten zu müssen.”

“Disabled Theater” von Jérôme Bel /Theater HORA war 2012 anlässlich der Neueröffnung im HAU Hebbel am Ufer zu sehen und im folgendenJahr als eine der zehn bemerkenswertesten Produktionen zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Die neue Arbeit “Gala” wird kurz nach derPremiere beim Kunstenfestivaldesarts in Brüssel zum ersten Mal in Deutschland im HAU gezeigt. Beide Stücke wurden vom HAU koproduziert.

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“Ich war drei Jahre alt, es war dunkel im Zimmer,und das Bett, in dem ich lag, war von einem hölzer-nen Gitter umgeben. Ich spielte mit einem Würfelund ließ ihn mit außergewöhnlicher Geschicklichkeitdurch meine Finger gleiten. Eigentlich waren es sogar zwei Würfel, nein drei! Ich schüttelte sie mitunvergleichlicher Leichtigkeit. Ich war allmächtig.Als ich aufwachte konnte ich die Würfel nicht mehrspüren. Sie waren verschwunden. Es hatte sie niegegeben. Ich erinnere mich noch an meine Schreieangesichts dieser kaum zu ertragenden Enttäu-schung. Ich hatte soeben die oftmals schmerzlicheGrenze zwischen Traum und Realität entdeckt. Gehtes nicht auch in der Kunst darum, mit den Würfelnzu spielen? Auch wenn man einsieht, dass sie nichtexistieren, suchen wir beharrlich nach einem Weg,das Publikum glauben zu machen, dass es sie gibt,oder: dass es sie geben muss.”

Momente der Machtlosigkeit #5: Jorge León*

* Jorge León ist Regisseur des Films “Before We Go”.

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“Wir sind alleOpfer einer bestimmtenSorte von Demokratie”Peguy Takou Ndie und Richard Djemeli sind Teilnehmer von Edit Kaldors Projekt “Inventar der Ohnmacht”. Sie flohen vor derDiktatur in Kamerun und warten nun in Deutschland auf ihre Aner-kennung als Flüchtlinge. Auch hier protestieren sie gegen eine Regierung, die ihnen viele Rechte vorenthält. Anne Meyroth* warlange in der Bundesregierung für Migrationspolitik zuständig. Sie hat versucht, die Verhältnisse von innen heraus zu verändern –und ist damit gescheitert. Ein Gespräch über Macht und Ohnmacht,politische Spielräume und institutionelle Grenzen dokumentiertvon Christian Jakob.

* Name geändert

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Christian Jakob: Herr Djemeli, Herr Takou Ndie, Siesind in einem Land aufgewachsen, das seitder Zeit ihrer Geburt von dem Diktator PaulBiya beherrscht wird. Welche Bedeutung hatpolitische Macht für Sie?

Richard Djemeli: Wir kennen kein Kamerun ohneihn. Das ist ein Gefühl der Schwäche. Die ge-samte Presse wird von der Regierung kontrol-liert, es gibt keine redaktionelle Freiheit, keineWahlfreiheit. Oppositionsgruppen könnensich nicht gegen das Regime durchsetzen.Manchmal hat man das Gefühl, dass es der ei-gene Beitrag ist, der noch zu einem Wechselfehlt. Dann kommt das Militär – bereit, alle zumassakrieren, die auf die Straße gehen. DieJugend ist machtlos, die Korruption ende-misch. Es sind nicht ein paar Männer, die wegmüssen, es ist ein ganzes politisches System.Man wird automatisch zum Feind des SystemsBiya.

Peguy Takou Ndie: Es ist ein Gefühl der Monotonie.Alles ist immer gleich, politisch, sozial, alles istsehr statisch. Ich habe, wieviele junge Menschen, langeerfolglos nach Arbeit ge-sucht. Alle leiden unter einerRegierung, die uns jede Mög-lichkeit nimmt, selbst zu ge-stalten. Das ist frustrierend.Anfangs sagt man sich noch:Naja, es gibt doch Redefrei-heit, wir sagen ja, was wir wollen. Aber dieserTraum hört auf, sobald man Drohungen be-kommt. Ja, es fühlt sich an wie Schwäche.

CJ: Wie sind Sie mit diesen Erfahrungen um-gegangen?

PTN: Ich habe sie zu einem Buch verarbeitet, indem es um die Situation der Jugend in Kame-run geht.

RD: Ich habe 2005 große Studentenprotestemitorganisiert. Es war der erste Streik dieserArt seit den 90er Jahren. Der Regierung hatdas Angst gemacht. Die Situation an der Uniwar schlecht, es war klar, dass die Regierungdafür die Verantwortung trägt. Wir haben da-mals nicht offen Biyas Rücktritt gefordert,auch wenn viele sich den gewünscht haben.Viele wurden aus der Uni vertrieben, von derPolizei verprügelt oder verhaftet, einige habenihr Leben verloren. Später, in meinen Theater-stücken und Filmen, ging es dann direkt umBiyas Rücktritt. Zuletzt habe ich einen Filmüber afrikanische Machtdynastien und politi-schen Wechsel gemacht. Er kritisiert einen

Staat, dem ein angeblich unsterblicher Präsi-dent vorsteht. Ich hätte allerdings nicht ge-dacht, dass ich verschleppt würde, nachdemich den Film in einigen Kinos gezeigt habe. Ichwurde misshandelt und elf Tage lang gefan-gen gehalten.

Anne Meyroth: Es gab also dieMöglichkeit zur politischenIntervention, aber nur untergroßem persönlichem Risiko?

(Beide nicken.)

AM: Ist das schon eine Aneignung von Macht?Kann man so das Gefühl entwickeln, ein hand-lungsfähiges politisches Subjekt zu sein?

RD: Wir hatten nie die Gelegenheit, uns auszu-drücken, ohne dass wir Gewalt fürchten muss-ten. Im Film habe ich einen für mich sehr wich-tigen Weg gefunden, künstlerisch, politischmit dem Mangel an Redefreiheit umzugehen.

PTN: Mein Buch zu schreibenhat mir kein Gefühl der Machtgegeben, sondern eines derÜbernahme von Verantwor-tung. Ich habe versucht zusagen, was nicht mehr geht.Ich habe die Realität der Ju-gend beschrieben, die ver-steckt und verschwiegen

wird. Jeder hat die Verantwortung, das zu tun.Der Wechsel muss irgendwo anfangen. Wa-rum nicht bei mir?

CJ: Frau Meyroth, solche Erfahrungen muss-ten Sie nicht machen. Sie haben auf Seiteder Regierung jahrelang die deutsche Migra-tionspolitik mitbestimmt.Wie frei, wie machtvoll wa-ren Sie dabei?

AM: Mein Aufgabengebiet um-fasste unter anderem die Si-tuation in Europa und in denTransitländern. Ich hatte vielmit den Mitgliedstaaten in-nerhalb der EU zu tun, die un-ter starkem Migrationsdruckleiden, etwa Italien, Griechenland oder Malta.Für mich stand früh fest, dass das Dublin-Sys-tem nicht funktionieren kann. Ähnlich war esmit den Toten im Mittelmeer: Italien konnte dieSeenotrettung auf Dauer unmöglich alleine fi-nanzieren, geschweige denn die Konsequen-zen allein stemmen. Nach dem Unglück vonLampedusa habe ich häufig mit Repräsentan-

ten der übrigen Mitgliedstaaten gesprochen.Wir haben nach Möglichkeiten gesucht, dieSeenotrettung zu europäisieren. Ich habe mei-nen Vorgesetzten gesagt, wir müssen dafürkämpfen, dass es eine EU-Mission gibt. Aber

das wurde nicht von der ge-samten Bundesregierungmitgetragen. Man hatteAngst, dass das Dublin-Sys-tem dann unter Druck gerät.

CJ: Warum?

AM: Man hätte nicht alle gemeinsam gerettetenMigranten einfach in Italien abladen können,sondern hätte sie wohl über Europa verteilenmüssen – so wie es aktuell durch die migrati-onspolitischen Vorschläge der EU-Kommissiongerade wieder im Gespräch ist. Lange Zeit hatsich die Bundesregierung gegen die Einfüh-rung eines solchen Verteilungsschlüssels aus-gesprochen. Erst kürzlich ist, zu meiner gro-ßen Erleichterung, etwas Bewegung in die De-batte gekommen.

CJ: Haben Sie sich in dieser Situation als ohn-mächtig empfunden?

AM: Ja, vor allem persönlich, aber auch institu-tionell. Es waren oft andere Stellen, die in die-ser Frage mehr Einfluss hatten. Meine Kolle-gen aus anderen EU-Staaten haben mir be-richtet, dass es in ihren Ländern ähnlich war.

CJ: Ist es nicht möglich, in so einer Situationzu sagen: Gut, in dieser Frage kann ichnichts tun, aber ich nutze meine einflussrei-che Stellung, um andere Dinge zu ändern,die unmittelbar in meiner Macht stehen?

AM: Ich hatte natürlich vor, dasBeste aus meiner Positionherauszuholen und die Dingezum Guten hin zu verändern.Etwa bei den Verhandlungenum Visa-Erleichterungen fürAngehörige einiger Staatenin Nordafrika und dem NahenOsten, für die ich zuständigwar. Das war eine zwei-schneidige Sache, weil die

Länder gleichzeitig Geld bekommen, um an-dere Migranten zurückzuhalten. Aber es gabeben auch positive Aspekte. Insgesamt abergibt es sehr starke Hierarchien in den Ministe-rien. In jede Entscheidung sind bis zu sechsEbenen eingebunden: Die Referatsleitung, dieAbteilungsleitung, der Staatssekretär, bishoch zum Minister. Ich konnte niemals ganz

“Ich wurde miss-handelt und elf Tage lang gefan-gengehalten.”

“Es sind nicht einpaar Männer, dieweg müssen, es istein ganzes politi-sches System.”

“Mein Buch zuschreiben hat mirkein Gefühl derMacht gegeben,sondern eines derÜbernahme vonVerantwortung.”

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alleine Entscheidungen treffen. Doch ich habeversucht, meinen direkten Vorgesetzten zuüberzeugen. In einigen Fällen ist mir das ge-lungen. Ein paarmal habe ich dann Dossiers di-rekt für den Staatssekretär geschrieben, diemeinen Überzeugungen gerecht wurden. EineRückmeldung habe ich leider nie bekommen,dennoch hoffe ich, der Leitungsebene einigepositive Denkanstöße gegeben zu haben.

CJ: Hatte das irgendwelche Folgen?

AM: Ich habe versucht zu tun, was ich konnteund gehofft, dass dies die höheren Ebenenzum Nachdenken bringt. Aber es ist sehrschwierig, in grundlegenden Fragen ein Um-denken zu erreichen. An der konkreten Politikhat sich grundsätzlich bis heute nichts geän-dert. Auf der EU-Ebene war es manchmal leich-ter, Entscheidungen zu be-einflussen. Aber auch da giltnatürlich: Das wirklich Wich-tige machen die höherenEbenen – und auch immer nurmit dem Einverständnis an-derer Bundesbehörden.

CJ: Herr Takou Ndie, Herr Dje-meli, in Deutschland sind diepolitischen Verhältnisse an-ders als in ihrer Heimat.Trotzdem haben Sie beidesich Protestgruppen ange-schlossen. Wann hatten Sie zum ersten Maldas Gefühl, dass Sie auch hier politisch kämp-fen müssen – und um was?

PTN: Sofort, als ich ankam. Ich war fünf Tage indem geschlossenen Internierungszentrum aufdem Frankfurter Flughafen. Jeden Tag wurdeich verhört. Diese Prozedur war lang und kom-pliziert. Die Beamten waren sehr skeptisch, sieverdächtigen dich, ich musste das Gleiche im-mer wieder verschiedenen Menschen berich-ten. Das hat mich an Kamerun erinnert. Undich hatte Angst zurück zu müssen.

RD: Die Art, wie mein Interview beim Bundes-amt lief, war unglaublich. Nach all dem Stressder Flucht war ich in der Aufnahmeeinrichtungin Eisenhüttenstadt. Eines Abends um sechsUhr bekomme ich einen Brief. Ich konnte keinWort Deutsch. Jemand hat mir dann über-setzt, dass ich am nächsten Morgen befragtwürde. Auf so etwas muss man sich doch vor-bereiten können.

CJ: Über Ihren Asylantrag hat das Bundesamtnoch nicht entschieden. Haben Sie daran ge-dacht, das erstmal abzuwarten und, falls nö-tig, danach zu protestieren?

PTN: Es geht nicht nur ummich, sondern um alle, dieUngerechtigkeit erleiden,Marginalisierung, Rassismus.Und auch wenn über meinenAsylantrag noch nicht ent-schieden wurde – institutio-nellen Rassismus habe ichsehr wohl erfahren.

CJ: Auf welche Weise?

PTN: Etwa durch die Art der Versorgung vonAsylsuchenden in meinem Landkreis Oranien-

burg. Bis März dieses Jahreshaben wir dort Lebensmittel-gutscheine bekommen. Dannsteht man im Laden an derKasse, an der alle mit Bargeldbezahlen, und muss die an-deren Kunden fragen: “Tau-schen Sie die mit mir gegenBargeld?” Das ist entwürdi-gend und schmerzt.

CJ: Sie haben sich Flücht-lingsinitiativen angeschlos-sen und aus einer Situation

der Marginalisierung, der Entrechtung he-raus politische Interventionen unternom-men, sind auf die Straße gegangen. Wie wür-den Sie ihre Lage im Vergleich zu der vonFrau Meyroth beschreiben?

RD: Wir sind beide Opfer einer bestimmten Sortevon Demokratie. Wir kämpfen auf der Straße,wir organisieren uns und der Staat lässt das zu.Er erlaubt uns zu sagen: “Wir sind hier nichtfrei”. Aber es ändert nichts. Im Gegenteil, die De-mo gilt dann dem Staat nochals Beweis dafür, dass wirdoch frei sind und er nichts zuändern braucht. Es gibt einegewisse Parallele zwischenProtesten von Migranten undeiner Beamtin, die eine Politikändern will. Sie steckt in ei-nem System, in dem sie nur ei-ne Funktion übernehmen soll, aber nicht in Gän-ze verantwortlich ist, für das, was sie tut. Siekann ihre Dossiers schreiben, wir unsere Aufru-fe. Das Ergebnis ist dasselbe. Oder können Siedie Statuten ihrer Arbeit ändern?

AM: Nein, das kann ich nicht.

RD: Sie könnten ja auch dagegen protestieren.Oder inhaltliche Vorschläge machen.

AM: Wir dürfen in offiziellerFunktion nicht demonstrie-ren. Inhaltliche Vorschläge zumachen ist realistischer. Dashabe ich ja auch getan. Abersie wurden in vielen Fällennicht angenommen.

RD: Wenn Sie Vorschläge ma-chen, die ihr Chef ablehnt –

müssen Sie dann Angst haben, ihren Job zuverlieren?

AM: Nein, man verliert seinen Job nicht, wennder Chef mit Vorschlägen nicht einverstandenist. Ich hatte auch nie Angst, dass das ge-schieht.

RD: In manchen Ländern ist das so – in Kamerunkönnte das zum Beispiel passieren.

CJ: Herr Djemeli, Sie haben gesagt, die Pro-teste der Flüchtlinge würden nichts ändern.In den letzten zwei Jahren sind eine ganzeReihe schikanöser Bestimmungen im Asyl-recht gelockert oder aufgehoben worden.Das wäre ohne die Proteste ganz sichernicht geschehen.

PTN: Das sehe ich auch so. Es gibt eine Wech-selwirkung. Die Menschen auf der Straße arti-kulieren ihre Forderungen, und Menschen inden Institutionen können – vielleicht müssen– das aufgreifen, sich darauf beziehen und esbenutzen, um Gesetzesprojekte anzugehen.Ich kenne viele Leute, die seit acht, zehn Jah-ren hier leben. Sie erzählen, dass es früherschlimmer war. Und auch sie sagen: Die Dingehaben sich geändert, weil die Flüchtlinge ge-

kämpft haben, zum Beispielin Organisationen wie der Ka-rawane oder der Flüchtlings-initiative Brandenburg. Wennwir weiter machen, kann esmehr Fortschritte geben. DasProblem ist aber heute, dasses vor allem europäische Ak-tivisten sind. Auf den Demos

sind oft mehr Deutsche als Flüchtlinge. Vondenen denken viele: Naja, die Situation ist jaganz okay. Da brauche ich nicht auf die Stra-ße zu gehen.

“Abends um sechsUhr bekomme icheinen Brief. Ichwürde am nächstenMorgen befragtwerden. Auf so etwas muss mansich doch vorberei-ten können..”

“Es gibt eine gewisse Parallelezwischen Protestenvon Migranten undeiner Beamtin, dieeine Politik ändernwill.”

“Kollegen, die wieich pro Migrationsind, versuchenSchlupflöcher zufinden.”

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“Im Januar 2010 entschied der Supreme Court derVereinigten Staaten in der Sache Citizens United. Je-des beliebige Unternehmen kann nunmehr anonymeinen politischen Kandidaten mit unbegrenzten Spen-den unterstützen. Letztlich wird die Demokratiedurch eine Plutokratie abgelöst, in der jeder Milliar-där einen Politiker für seine Anliegen kaufen kann.Dies betrifft nicht allein inneramerikanische Angele-genheiten, sondern über den Einfluss auf die Ener-giepolitik und die Lage im Nahen Osten uns alle. DasGanze geschah nur zwei Jahre, nachdem wir uns –Millionen von Menschen, zu denen auch ich gehörte –in einem höchst demokratischen und breit angeleg-ten Wahlkampf für Obama eingesetzt hatten. DieseMachtverlagerung vom Volk hin zu den Plutokratenfinde ich bis heute zutiefst beängstigend.”

Momente der Machtlosigkeit #6: Susan Neiman*

*Susan Neiman ist Philosophie-Professorin und Leiterin des Einstein Forum in Potsdam. Am 17. Juni führt sie ein Gespräch mit Annemie Vanackere zum Thema Machtlosigkeit.

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“Als weiße Frau aus der Mittelschicht(wenn auch in der sozialistischen Version)habe ich eigentlich nie Machtlosigkeit er-fahren. Es gibt immer Optionen und Aus-wege. Aber vielleicht ist die Machtlosigkeitallgegenwärtig durch die Strukturen, dieunser Leben bestimmen und die wir unsweder ausgesucht haben, noch kontrollie-ren können. Oder man unterliegt anderenKräften, die sich dem eigenen Willen ent-ziehen, wie der Liebe, der Lust, der Abhän-gigkeit. Oder man weiß nicht, was man tunund wie es weitergehen soll. Man sprichtnicht die richtige Sprache. Oder manspricht sie, kann aber nichts sagen.”

Momente der Machtlosigkeit #7: Vlatka Horvat*

* Vlatka Horvat lädt für den “15. Außerordentlichen Kongress” sechs Künstlerinnen aus Berlin ein, die wie sie selbst aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen.

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RD: Manche, aber längst nicht alle, die hier an-kommen und protestieren, waren schon zuHause Aktivisten. Deswegen akzeptieren siedie Verhältnisse auch hier nicht einfach so.Das ist eine psychologische Frage. Allerdingssind viele durch ihre Erfahrungen während derFlucht traumatisiert. Und auch die Lage hierist belastend. Dann fühlen sie sich ohnmäch-tig und vergessen, dass man für seine Rechtekämpfen muss. Uns fehlt die Stimme. Die juris-tische, die institutionelle Stimme. Wir machenDemos und danach bleibt das alles so. Werbitte geht in die Parlamente und spricht dasdort an? Wenn man keine Gutscheine mehrwill, braucht es ein neues Gesetz und jeman-den der es einbringt und das diskutiert.

AM: Einverstanden. Es ist allerdings ein institu-tionelles Problem, dass es da so wenig Kom-

munikation gibt. Die einzige Lösung ist, dassMenschen sich engagieren, die ihrem Gewis-sen folgen. Funktionäre, die ein System reprä-sentieren, können nicht einfach auf Demos ge-hen, höchstens als Privatperson, und selbst dawird es schwierig. Es gibt da eine unsichtbareGrenze, das ist sehr schwer zu ändern. Aberich habe Kollegen die, wie ich, pro Migrationsind. Sie versuchen, Schlupflöcher zu finden.Das ist aussichtsreicher, als die großen Linienändern zu wollen. Das wollte der Ministernicht, damit gewinnt man keine Wahlen.

PTN: Wir sind alle in einer Lage der Ohnmacht –die Funktionäre, die Flüchtlinge, die ihre Lageverbessern wollen und nur eine begrenzteStimme haben. Wenn sich aber mehrere ohn-mächtige Parteien zusammentun, kann dasFrüchte tragen. Manchmal gibt es Berührungs-

punkte. Etwa zuletzt, als es die Schiffsunglü-cke gab. Je mehr Demonstranten auf der Stra-ße sind, desto eher sind Korrekturen auf derpolitischen Ebene zu erwarten. Wenn wir dieDinge immer wieder sagen, sickern unsere For-derungen in die Köpfe der Menschen ein, unddas beeinflusst dann natürlich auch die parla-mentarische Debatte. Die Demos und Hunger-streiks hier erlauben den Migranten, sich aus-zudrücken, sie geben ihnen eine gewisseKraft. In Afrika enden solche Aktionen oft blu-tig. Ich hatte deswegen am Anfang Angst, inDeutschland auf Demos zu gehen. Ein Freundhat mir dann gesagt: “Hier ist nicht Afrika, Dukannst sagen was Du willst, Du musst keineAngst haben.” Ich habe ihm geglaubt.

Rodrigue Peguy Takou Ndie, 33, stammt aus Kamerun. Er hat dort Wirtschaftswissenschaften studiert und als Autor gearbeitet. Ende Oktober2013 kam er nach Deutschland. Sein Asylantrag ist seither anhängig.

Richard Fouofie Djemeli, 36, hat in Kameruns Hauptstadt Yaoundé Performing Arts und Theater studiert und ist Filmemacher. Er floh im November2013 nach Deutschland. Auch über seinen Asylantrag wurde noch nicht entschieden.

Anne Meyroth (Name geändert) war mehrere Jahre in einer Bundesbehörde für Migrationspolitik zuständig.

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Die Sanft-heit siegtWie können Menschen ihren Gefühlen und Zuständen der Angstund der Machtlosigkeit auf konstruktive Weise begegnen? Ueshiba Morei hat Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Aikido ei-ne Kampftechnik entwickelt, die der Selbstverteidigung dient, in-dem sie die Kraft und die Gewalt eines gegnerischen Angriffs auf-löst und ins Nichts überführt. Frank Raddatz im Gespräch mit Judith Elze, die ein Aikido-Dojo in Steglitz leitet.

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Frank Raddatz: Als mir Annemie Vanackere vondem Projekt “The Power of Powerlessness”erzählte, musste ich unwillkürlich an Aikidodenken, eine japanische Kampfkunst, in derKraft eine negative Größe darstellt.

Judith Elze: Aikido ist eine reineVerteidigungskunst. Wir set-zen nicht Kraft gegen Kraft,weil dann der Konflikt ehereskaliert. Die eigentliche Stär-ke liegt in der Sanftheit. DieSanftheit siegt.

FR: Brecht proklamierte, dassdas Schilf, weil es elastischerist, stärker ist als der Baum, der vom Sturmgebrochen wird. Oder, in seinem Gedicht La-otse schreibt er: "Dass das weiche Wasser inBewegung / Mit der Zeit den mächtigen Steinbesiegt. / Du verstehst, das Harte unterliegt.”

JE: Genau. Die Sanftheit basiert zwar nicht aufMuskelkraft, kann aber sehr bestimmt und be-stimmend sein. Sanftheit beruht auf einer in-neren Stärke. Deshalb hat sie auch nichts mitOhnmacht zu tun. Die kann letztlich in den Ter-rorismus führen. Man darf nicht aus diesem Zu-stand heraus in die Gewalt gehen. Man musssich mit seiner Ohnmacht konfrontieren. Dasist ein kollektives Gefühl und zugleich ein per-sönliches. Aus diesem Bewusstsein herauskann ich handeln.

FR: Es ist die Frage, wie man ein Verhältnis zuSchwäche entwickelt. Eine Maxime HeinerMüllers lautet: Angstpunkte in Energiepunktezu verwandeln. Das ist ein Plädoyer, offensivmit ihr umzugehen. Nur dann findet Transfor-mation statt.

JE: Das kann ich hunderpro-zentig unterschreiben. Im Ai-kido sage ich, wir müssen unsunserer Reaktionsmechanis-men bewusst sein. Nur wennich weiß, wie ich instinktivreagiere, kann ich damit um-gehen. Erst wenn ich mir meiner Angst vor ei-nem Angriff bewusst bin, kann ich lernen, funk-tional auf sie zu reagieren und ihr zu begegnen.

FR: Man muss lernen, gelassen zu bleiben,denn nur dann habe ich die Elastizität undGeschmeidigkeit, auf der die Sanftheit ba-siert. Den Regisseur Einar Schleef hat es im-mer sehr fasziniert, dass die Meister in denMartial Arts oft ältere Semester mit dünnenÄrmchen sind und sie überhaupt nichts mit

den muskelbepackten Figuren zu tun haben,die der Westen verehrt.

JE: Sie bauen die Kraft aus der inneren Stärkeheraus auf. Hast du diese innere Stärke,kannst du auch in einer Kampfsituation bei

dir bleiben. Wenn du – kör-perlich und geistig – dein Zen-trum stärkst, dann brauchstDu äußerlich keine Kraft undfindest auf alles eine Ant-wort. Das heißt, Du kannstauf einen Angriff adäquatreagieren bzw. auf ein Kon-taktangebot eingehen. Undzwar in einer Weise, die die-

sen Kontakt fruchtbar macht.

FR: In diesem Sinne muss man erst einmal be-greifen, dass ein Angriff nicht nur eine Bedro-hung ist, sondern auch etwas Positives bein-haltet. Ein Geschenk.

JE: Die Antwort des Verteidi-gers muss so ausfallen, dasssie die negative, aggressiveEnergie zerfließen lässt, sodass das, was hinter ihr steht,Raum bekommt, nämlich derKontaktwunsch. Wenn bei-spielsweise ein Kind einen Wutanfall be-kommt, ist es nicht unbedingt leicht zu sehen,was sich darin äußert. Der Motor ist der Kon-taktwunsch. Das ist ein existenzielles Bedürf-nis des Menschen. Ohne Kontakt kann er nichtexistieren. Über ihn schaffe ich eine Verbun-denheit mit dem anderen. Die Frage ist nur, wieich diesen Kontakt, diese Verbundenheit ge-stalte. Sanftheit heißt nicht anderes, als dass

ich nicht mit Aggression aufAggression antworte, son-dern dass ich freundlich blei-be. Das Gegenteil von Aggres-sion ist in diesem Fall eine Of-fenheit.

FR: Offenheit ist eine Haltung.Sowohl mental wie körperlich.

JE: Im Aikido üben wir diese innere Haltung. Da-durch, dass wir körperliche Übungen machen,kann man sofort das Feedback spüren, dass ei-nem der Körper gibt. Du merkst bzw. dein Part-ner, ob du deine Freundlichkeit bewahrst oderob sich deine Muskeln anspannen. Die Sanft-heit ist immer auch ein entspanntes Tun.

FR: Brecht hat ein Theater ohne Zuschauerentwickelt. Kleine Szenen, wo es um Kon-

fliktsituationen geht, wo man beide Parteienspielt, also einmal das Opfer und einmal denTäter, um über die Differenz der Haltungen –psychisch wie körperlich – etwas über sichzu erfahren und möglicherweise auch zuverändern.

JE: Dann begreift man, wieso Opfer und Täterzwei Seiten der selben Medaille sind. Im Aikidowechseln Angreifer und Verteidiger immer ab.Brechts Konzept ist schön, weil man sich denRaum nimmt, den Körper wahrzunehmen, waswir normalerweise nicht tun. Und dann ver-steht man auch. Das hat mit unserer Kultur zutun, die kopfgesteuert ist. Der Körper soll in die-sem System nur funktionieren. Im Aikido geht es darum, sich als Verteidigererst mal leer zu machen. Das heißt, keine Er-wartungen haben, nicht schon innerlich vor-wegnehmen, dass gleich ein Angriff erfolgt,und nicht schon vorwegnehmen, wie Du da-rauf reagieren willst, sondern nur im Jetzt dasein. Also atmen, gut stehen, präsent sein. In

dieser Haltung von Offenheitoder Präsenz reagiere ich aufden Angriff. Das heißt natür-lich, ich muss immer wiederüben. Nur dann bleibe ichentspannt, wenn eine Bedro-hung auf mich zukommt.

Letztlich musst Du diese Haltung überall undimmer üben. So gesehen ist es eine Lebens-weise.

FR: Bei Michel Foucault würde das unter Ästhe-tik der Existenz fallen im Sinne einer Techno-logie des Selbst.

JE: Im Üben lernen wir uns neu zu programmie-ren. In uns laufen Funktionen ab, die sind vorJahrtausenden entstanden. Erst wenn wir un-seren Kopf damit beschäftigen, unseren Kör-per wahrzunehmen, haben wir überhaupt eineChance in der Gegenwart, im Offenen anzu-kommen. Dann sind wir auch keine Opfer mehroder Täter, das brauchen wir dann nicht mehr.Die Grundidee ist, dass Aikido eine Kampf-kunst ist, die Frieden herstellt und real vorhan-dene Gewalt auflöst. Es geht darum, Aggressi-on ins Nichts zu überführen. Aggression ist ei-ne Form der Energie. Insofern kann man Aikidoauch als Arbeit mit der Energie definieren. Ki –das steckt in Aikido – ist eine das Universumdurchfließende Energie, die letztlich in allemsteckt. Im Aikido gibt es daher auch keineWettkämpfe. Das würde dem Grundgedanken,Harmonie oder Frieden herzustellen, wider-sprechen.

“Man muss sich mitOhnmacht konfron-tieren. Das ist einkollektives Gefühlund zugleich einpersönliches.”

“Der Motor ist derKontaktwunsch. Das ist ein existen-zielles Bedürfnis desMenschen.

“Im Üben lernen wir uns neu zu pro-grammieren.”

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“Ich werde einen Moment unendlicher Macht schil-dern, denn dieser Zustand geht Hand in Hand mitseinem vermeintlichen Gegenteil. Jeder Akt einerunaussprechlichen Gnade, der mir zuteil wird, er-obert mein Herz und meinen Verstand im Sturm. Ichfühle ein Einverständnis mit dem Dasein und lassees zu, dass Tränen meinen malträtierten Körper mitLiebe erfüllen. Das ist für mich ein Moment voll-kommener Macht. Zu spüren, dass ich zu Hause an-komme, und zu wissen, dass du auf mich wartest.”

Momente der Machtlosigkeit #8: Zachary Oberzan

* Zachary Oberzan ist Regisseur, Performer, Musiker und gastiert im Rahmen von “The Power of Powerlessness” mit seiner sehr persönlichen Performance “Tell Me Love Is Real”.

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Biografien der Künstlerinnen und Künstler

Jérôme BelJérôme Bel wurde 1964 in Montpellier geboren. Er lebt in Paris und arbeitet welt-weit. Seit 1994 entwickelte er Choreografien, so zum Beispiel “Jérôme Bel” (1995),“Shirtology” (1997), “The last performance” (1998), “Xavier le Roy” (2000), “Theshow must go on” (2001), “Véronique Doisneau” (2004) auf Einladung des Ballettsder Opéra de Paris, “Pichet Klunchun and myself” (2005) und “Cédric Andrieux”(2009). 2010 entstand zusammen mit Anne Teresa De Keersmaeker “3Abschied”(2010) ausgehend von Gustav Mahlers “Das Lied von der Erde". “Disabled Theater”(2012) ist eine Choreografie, die gemeinsam mit dem Zürcher Theater HORA ent-standen ist, welches mit professionellen behinderten Schauspielern arbeitet. DieseHAU-Koproduktion wurde u.a. zur dOCUMENTA (13) und zum Berliner Theatertreffen2013 eingeladen. Darüber hinaus werden Filmfassungen seiner Theaterarbeitenauf Biennalen zeitgenössischer Kunst (Lyon, Porto Alegre, Tirana) und in Museen(Centre Georges Pompidou, Hayward Gallery und Tate Modern, MoMA | Museum ofModern Art) gezeigt. Jérôme Bels neue Arbeit "Gala", ebenfalls eine HAU-Koproduk-tion, wird kurz nach der Premiere beim Kunstenfestivaldesarts in Brüssel zum ers-ten Mal in Deutschland im HAU gezeigt.

Ivo DimchevIvo Dimchev wurde 1976 geboren und ist ein Choreograf und Performer aus Bul-garien. In seinen Arbeiten agiert er an den Grenzen zwischen Performance, Tanz,Theater, Musik, Bildender Kunst und Fotografie. Er hat über 30 verschiedene Per-formances entwickelt, die in Europa, Nord- und Südamerika und Asien zu sehenwaren, und erhielt zahlreiche internationale Preise. Nachdem er 2009 sein Mas-terstudium an der DasArts Universität in Amsterdam beendet hatte, zog er nachBrüssel, wo er den Performanceraum Volksroom eröffnete, in dem junge interna-tionale Künstler präsentiert werden. Er ist außerdem Gründer und Leiter der Hu-marts Foundation in Bulgarien und organisiert jährlich einen Wettbewerb für zeit-genössische Choreografie. Neben seiner künstlerischen Arbeit hat Ivo Dimchevan verschiedenen Einrichtungen in ganz Europa gelehrt, u.a. an der Akademie desNationaltheaters Budapest, dem Royal Dance Konservatorium von Belgien (Ant-werpen), der Hochschule der Künste Bern und dem DanceWeb (Wien). Seit Januar2013 ist Ivo Dimchev für 4 Jahre Artist-in-Residence am Kaaitheater in Brüssel.Entstanden sind zuletzt u.a. die Performances “X-On”, “P-Project” und “Fest”, diebereits im HAU Hebbel am Ufer zu sehen waren. Seit 2014 lebt Ivo Dimchev wiederin Sofia, wo er Mozei, einen Ausstellungsraum für Bildende Kunst, Musik und Per-formance, eröffnete.

Vlatka HorvatVlatka Horvat wurde 1974 in Čakovec (Kroatien) geboren. Ihre Arbeit umfasstvielfältige Formen und Kontexte: Skulptur, Installation, Zeichnung, Performance,Fotografie und Texte. Im Zentrum ihrer Projekte steht die neue Anordnung und Ge-staltung einzelner Objekte oder von Räumen, mitsamt der darin wirksamen so-zialen Beziehungen. Mit ihren Performances war sie zu Gast beim LIFT – LondonInternational Festival of Theatre, im Kaaitheater (Brüssel), bei Volt Bergen, im PACTZollverein (Essen), im Haus der Kulturen der Welt (Berlin), beim alkantara festival(Lissabon), imTanzquartier Wien, im Outpost for Contemporary Art (Los Angeles),bei der Jerusalem Show und bei der Aichi Triennale (Nagoya, mit Tim Etchells).Vlatka Horvat studierte Theaterwissenschaft am Columbia College Chicago(1996), schloss danach ein Masterstudium an der Northwestern University in Per-formance Studies ab (1997) und erhielt 2009 einen PhD in praktischer künstleri-scher Arbeit an der Roehampton University in London. Ihre Arbeiten werden vonden Galerien Zak| Branicka Gallery (Berlin), annex14 (Zürich) und Rachel UffnerGallery (New York) vertreten. Nach 20 Jahren in den Vereinigten Staaten lebt sieheute in London.

Emke IdemaEmke Idema wurde 1980 geboren. Sie studierte Literatur an der Universität Gro-ningen und Performance an der Toneelacademie in Maastricht und absolvierte an-schließend den internationalen Studiengang DasArts – Master of Theatre in Ams-terdam. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen “gesellschaftliche, politische und phi-losophische Laboranordnungen”, durch die sie soziale und politische Mechanis-men, Muster und Verhaltensweisen analysiert und offenlegt. 2012 schuf sie daslebensgroße theatrale Brettspiel “Stranger”, in dem es um die Intuition und denersten Eindruck geht. “Rule™” ist eine Fortsetzung und Erweiterung des Formats.Für das Konzept von “Rule™” erhielt sie 2013 den Dioraphte EncouragementAward, und öffentliche wie private Förderer unterstützen das Projekt. Emke Idemaist mit “Stranger” erstmals am HAU Hebbel am Ufer zu Gast.

Edit KaldorEdit Kaldor wurde in Budapest (Ungarn) geboren und emigrierte als Kind mit ihrerMutter in die USA. Sie studierte Literatur und Theaterwissenschaft an der ColumbiaUniversity (New York, USA) und am University College London. Zwischen 1993 und2000 arbeitete sie mit Peter Halasz (Squat Theatre/Love Theater, New York) alsDramaturgin und Videokünstlerin. 2000 begann sie im Programm DasArts inner-halb des Postgraduate Performing Arts Center in Amsterdam zu studieren und esentstanden erste eigene Theater-Arbeiten. Sie entwickelt Performances, die oft ineiner sehr intimen Zuschaueranordnung aufgeführt werden, dokumentarische Ele-mente enthalten und digitale Medien verwenden. Bereits frühere Produktionen wie“New Game” (2004), “Drama” (2005) und “Point Blank” (2007) arbeiteten mit denGrenzen des Theaters. Zu Beginn der Neueröffnung des HAU Hebbel am Ufer imJahr 2012 wurde die Regisseurin mit “C’est du Chinois” und der HAU-Koproduktion“One Hour” dem Berliner Publikum vorgestellt. “WOE”, ebenfalls eine Koproduktion,war 2013 im HAU zu sehen. Ihr neues Projekt “Web of Trust” (Arbeitstitel) wird imMai 2016 in Brüssel beim Kunstenfestivalsdesarts Premiere feiern. Kaldors Projektewaren bereits in Europa, Nord- und Südamerika, Asien und Ägypten zu sehen.

David Weber-KrebsDavid Weber-Krebs wurde 1974 in Lüttich (Belgien) geboren. Er ist Performer, Thea-ter- und Filmregisseur und lebt zurzeit in Brüssel. Für seine Arbeiten, die sich zwi-schen (Lecture-) Performance, Film und Installation bewegen, kooperiert er oft mitKünstlern und Theoretikern. Er erforscht verschiedene Kontexte als Grundlage fürein experimentelles Verfahren, das die traditionelle Beziehung zwischen demKunstwerk und seinem Publikum hinterfragt. Zu seinen Arbeiten gehören u.a. “Per-formance (Robert Morris revisited)” (2009), “Among The Multitude” (2012) und“Into The Big World” (2015), die europaweit in Theatern und Galerien gezeigt wer-den. Zuletzt entwickelte Weber-Krebs die Installation “Immersion” (2014) am Welt-kulturen Museum in Frankfurt am Main und war als Gastkurator für den Kongress“Are You Alive Or Not? Looking at ART through...” der Rietveld Academie tätig. Miteiner neuen Version der 2013 entstandenen Performance “Balthazar” präsentiertder Regisseur erstmals eine Arbeit am HAU Hebbel am Ufer.

Jorge LeónJorge León hat am Brüsseler INSAS Film studiert und sich als Regisseur und Kame-ramann auf Dokumentationen spezialisiert. Er arbeitete als Fotograf und Video-macher unter anderem mit Éric Pauwels, Wim Vandekeybus, Thierry De Mey, XavierLukomski, Olga de Soto, Ana Torfs und Meg Stuart. Für das Kunstenfestivaldesartsin Brüssel schuf er 2010 gemeinsam mit Simone Aughterlony seine erste Theater-produktion “Deserve”. Zu seinen Dokumentarfilmen gehören “De Sable et de Ci-ment” (2003), “Vous êtes ici” (2006) und “Between Two Chairs” (2007). Seinejüngsten Filme, “10 Min.” (2009) und “Vous êtes servis” (2010), wurden auf Festi-vals weltweit gezeigt und mehrfach ausgezeichnet. Sein Film “Before We Go”(2014) wurde beim FIDMarseille 2014 nominiert und ausgezeichnet. 2015 erhielter für diesen Film den FIPRESCI Preis.

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musiktheater bruit!Das musiktheater bruit! wurde 2010 in Hildesheim von Karoline Kähler, Julia Kerk,Marcus Thomas und Matthias Meyer gegründet und versteht sich als künstlerischforschendes Musiktheaterkollektiv, das in interdisziplinären Versuchsanordnungenkulturelle, gesellschaftliche und philosophische Phänomene untersucht. Ein wei-teres Mitglied ist der Klangkünstler Sebastian Schlemminger. Über Klang-, Sprach-und Raumkompositionen nähert sich die Gruppe auf sinnliche Art und Weise The-men, die vordergründig nicht unbedingt etwas mit Musik und Theater zu tun habenmüssen, jedoch stets zur Erarbeitung neuer Formen des Musiktheaters zwischenKonzert, Theater, Objekttheater, Installation und Performancekunst genutzt wer-den. Das Anliegen von bruit! ist es, herausfordernde Wahrnehmungssituationenfür das Publikum zu schaffen, um dadurch intensive ästhetische Erfahrungen zuermöglichen – mit besonderem Fokus auf die klingende Welt.

Susan NeimanProf. Dr. Susan Neiman ist Direktorin des Einstein Forums. Sie wurde in Atlanta(USA) geboren und studierte Philosophie an der Harvard Universität sowie an derFreien Universität Berlin. Bevor sie 2000 die Leitung des Einstein Forums übernahm,war sie Professorin für Philosophie an der Yale Universität und der Tel Aviv Univer-sität. Susan Neiman ist Autorin von "Slow Fire: Jewish Notes from Berlin” (1992)und "The Unity of Reason: Rereading Kant” (1994) u.a.. Auf Deutsch erschienen"Das Böse denken: Eine andere Geschichte der Philosophie” (2004), "Fremde sehenanders – Zur Lage der Bundesrepublik” (2005), “Moralische Klarheit. Leitfaden fürerwachsene Idealisten” (2010) und zuletzt “Warum erwachsen werden? Eine phi-losophische Ermutigung” (2015).

Zachary OberzanZachary Oberzan wurde 1974 in Saco (USA) geboren und arbeitet als Filmemacher,Theaterregisseur, Schauspieler und Singer-Songwriter. Als Gründungsmitglied desNew Yorker Theaterkollektivs Nature Theater of Oklahoma wirkte er u.a. an “No Di-ce”, welches den Obie Award gewann, an “Poetics: a ballet brut” sowie an “RamboSolo” mit. Darüber hinaus spielte Oberzan in Produktionen von The Wooster Groupund bei Richard Foreman. Im Jahr 2007 produzierte er den Film “Flooding WithLove For The Kid” nach der Romanvorlage “First Blood” von David Morrell (1972).2010 wurde der Theater-Filmhybrid “Your Brother. Remember?” beim Kunstenfes-tivaldesarts in Brüssel uraufgeführt und tourt seither mit großem Erfolg durch dieWelt. Die Filmversion von “Your Brother. Remember?” wurde 2012 in New York ver-öffentlicht. Außerdem brachte Oberzan zwei Alben heraus, zuletzt “Athletes of Ro-mance.” Seit Oktober 2013 tourt er weltweit mit seinem aktuellen Solo “Tell MeLove Is Real” und gastierte damit u.a. beim Festival Foreign Affairs (Berlin). 2016wird er in Koproduktion mit dem HAU Hebbel am Ufer “The Great Pretender” ent-wickeln.

Tiago RodriguesTiago Rodrigues wurde 1977 in Portugal geboren und ist Schauspieler, Autor undRegisseur. Seit Januar 2015 leitet er das Teatro Nacional D. Maria II in Lissabon.Seine Schauspielerausbildung brach er 1998 ab und arbeitete daraufhin mit derbelgischen Gruppe tg STAN und anderen Kompanien, Choreografen und Filmema-chern, u.a. aus Belgien, Brasilien, dem Libanon (Rabih Mroué und Lina Saneh) undden Niederlanden (Dood Paard) zusammen. 2003 verlegte er seinen Lebens-undArbeitsschwerpunkt nach Lissabon. Gemeinsam mit Magda Bizarro gründete erdie Gruppe Mundo Perfeito. Mit ihr entwickelte er über 30 Performances, die bei-spielsweise auf dem alkantara festival, dem Kunstenfestivaldesarts oder dem Fes-tival d'Automne à Paris präsentiert wurden. Rodrigues ist außerdem als Dozent,Kurator und in Community-Projekten tätig. Oft verändert er mit theatralen Mittelnhistorische Dokumente und untersucht so die Wahrnehmung von sozialen undhistorischen Phänomenen. Mit “By Heart” ist Tiago Rodrigues zum ersten Mal amHAU Hebbel am Ufer zu sehen.

Nadia Ross / STO UnionNadia Ross wurde in Aylmer (Quebec/Kanada) geboren und ist Gründerin undkünstlerische Leiterin der Kompanie STO Union. Das Kollektiv wurde 1992 in To-ronto gegründet und vereinigt Künstler verschiedener Disziplinen. Die Stücke vonSTO Union werden von verschiedenen Regisseuren geschrieben und noch währenddes Schreibprozesses oder unmittelbar im Anschluss produziert. Wichtigsterkünstlerischer Partner ist seit 2006 die Dorfgemeinschaft von Wakefield, Quebec,die sich ganz auf die Herausforderung des Theatermachens eingelassen hat. DieArbeiten der Gruppe wurden auf zahlreichen Festivals und in Institutionen weltweitgezeigt. Das Stück “Recent Experiences”, das Nadia Ross gemeinsam mit JacobWren schrieb und inszenierte, tourte weltweit nach Belgien, Australien und HongKong und war 2002 zu Theater der Welt in Bonn, an das Künstlerhaus Mousonturmin Frankfurt/Main und zu den Wiener Festwochen eingeladen. Es ist der erste Teilder STO Union Trilogie “How can we Live”, in welcher sich Künstler mit dem Dilem-ma der Begrenzung menschlichen Handelns und den möglichen Spielräumen in-nerhalb dieser Grenzen auseinander setzen. Auch der zweite Teil “Revolutions inTherapy” (2005) und der dritte Teil “7 Important Things” (2008) feierten große Er-folge, alle drei Stücke waren vor 2012 im HAU Hebbel am Ufer zu sehen. Mit “WhatHappened to the Seeker?” kommt Nadia Ross nun wieder zurück nach Berlin.

Biografien der Künstlerinnen und Künstler

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“Als ich mit 16 allein nach NewYork zog, erlebte ich unzähligederartiger Momente. Ich kanntenur eine Handvoll Leute, hatte keinGeld, mein Englisch war schlecht.Trotz aller Mühen wusste ichmanchmal nicht, wo ich schlafensollte. Damals war New York nocheine sehr viel rauere Stadt alsheute. Ich saß in irgendeinem Di-ner, das rund um die Uhr geöffnethatte, leistete mir von meinemletzten Kleingeld einen Tee und be-obachtete unauffällig jede Regungder Kellnerin, um daran ihr Wohl-wollen abzulesen, erfüllt von derHoffnung, dass sie mich nicht vorvier oder fünf am Morgen raus-werfen würde. Es waren schierendlose Nächte, die ich bis heutenicht vergessen kann.”

Momente der Machtlosigkeit #9: Edit Kaldor*

* Die Regisseurin Edit Kaldor arbeitet für die Performance “Inventar der Ohnmacht” mit Teilnehmern aus Berlin, die ihre Erfahrungen der Machtlosigkeit mit dem Publikum teilen.

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“Sie liegt wach im Bett. Schon seit drei Jahren.Sie kann nicht mehr gehen. Sie kann sich kaumnoch aufsetzen. Ihr Körper besteht nur nochaus Haut und Knochen. Ihr Haar ist noch weißerund dünner geworden. Doch wenn ich mit ihrrede, lächelt sie. Als würde sie meine Stimmeerkennen. Sie wendet mir ihr Gesicht zu. Ichnenne ihr meinen Namen. Sie reagiert auf denNamen. Doch sie verbindet ihn nicht mit mir. Siehält mich für einen Freund ihres Enkels TiagoRodrigues. ‘Sie kennen Tiago?’, fragt sie mich.‘Wie geht es ihm? Ist er noch beim Theater?’Ich erwidere, dass es Tiago gut gehe und er siegrüßen lasse. Er könne nicht kommen, weil ermit einem neuen Stück auf Tour sei. Sie sagt:‘Mir gefällt es nicht, dass er beim Theater ist.Das ist kein Leben. Es wird ihn unglücklich ma-chen. Doch ich bin ans Bett gefesselt. Ich fühlemich so machtlos. Wenn ich ihm doch nur helfenkönnte. Sagen Sie ihm, er soll aufhören mit demTheater. Nie besucht er mich.’”

Momente der Machtlosigkeit #10: Tiago Rodrigues*

* Der Schauspieler, Autor und Regisseur Tiago Rodrigues ist zum ersten Mal im HAU Hebbel am Ufer mit seinem Theaterstück “By Heart” zu sehen.

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Edit Kaldor THEATER

Inventar der Ohnmacht 5.–7.6. / HAU1 / Deutsche Premiere Deutsch und Englisch / Kategorie D

Für “Inventar der Ohnmacht” kommen im HAU Hebbel am Ufer Dutzende Teilnehmerunterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft aus Berlin zusammen, umihre Erfahrungen der Machtlosigkeit und ihr Wissen darüber zu bündeln. Die verschie-denen individuellen und oft sehr persönlichen Erlebnisse werden in einer kollektivenSituation mit dem Publikum geteilt und erkundet. Die daraus entstehenden Diskus-sionen und Impulse hinterfragen die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Struk-turen, die unser Leben bestimmen.

Produktion: Edit Kaldor / Stichting Kata. Koproduktion: HAU Hebbel am Ufer, Frascati Producties, Archa Theater, MaltaFestival, House on Fire mit Unterstützung des Kulturprogramms der Europäischen Union. Mit Unterstützung von Ge-meente Amsterdam, Amsterdams Fonds voor de Kunst, Fonds Podium Kunsten.

Houseclub präsentiert MUSIK INSTALLATION

musiktheater bruit!Noise is Power – Krach ist Macht! 4.+5.6. / HAU3 Houseclub 4.–25.6. (Installation) / WAUEintritt frei

Im Rahmen von “The Power of Powerlessness” erarbeitet die junge Gruppe musik-theater bruit! (Matthias Meyer, Sebastian Schlemminger und Marcus Thomas) mitSchülerinnen und Schülern der Hector-Peterson-Schule eine Soundinstallationüber die Macht der Lautstärke und die Krachorte Berlins.

Zachary Oberzan THEATER MUSIK

Tell Me Love Is Real 5.–7.6. / HAU3Englisch / Kategorie D

Im Jahr 2012, etwa zur gleichen Zeit, befanden sich zwei Künstler nach einer Über-dosis Xanax in anonymen Hotelzimmern auf der Schwelle zwischen Leben undTod. Die eine, Whitney Houston, starb auf tragische Weise. Der andere, ZacharyOberzan, überlebte. Aus diesem Gefühl der Ohnmacht heraus begann der ameri-kanische Performer eine experimentelle Reise in Richtung Genesung. Auf der Suchenach einem wegweisenden Helden beschwört der musikalisch-filmische Abenddie Geister von Buddy Holly, Amelia Earhart, Bruce Lee oder Serge Gainsbourg.

Koproduktion: deSingel (Antwerpen), Black Box Teater (Oslo), Gessnerallee (Zürich), brut (Wien), BIT Teatergarasjen(Bergen), Teaterhuset Avant Garden (Trondheim), Kunstencentrum BUDA Kortrijk/NEXT Arts Festival.

Vlatka Horvat PERFORMANCE DIALOG

15th Extraordinary Congress: BerlinMiranda Jakiša, Paula Muhr, Tanja Ostojić, Vanja Bućan, Vedrana Madžar,Vernesa Berbo, Vlatka Horvat / Moderation: Nina Kronjäger

7.6. / HAU3 / Deutsche Premiere Einlass durchgehend / Englisch / Kategorie D

Der 14. außerordentliche Kongress des Bundes der Kommunisten Jugoslawiensmarkierte 1990 die beginnende Auflösung des Vielvölkerstaats. Für den “15.Außer ordentlichen Kongress” lädt Vlatka Horvat sechs Künstlerinnen aus Berlinein, die wie sie selbst aus einer der verschiedenen Teilrepubliken des ehemaligenJugoslawiens stam men. Gemeinsam sitzen sie an einem Tisch und erzählen dieverschieden erinnerten und sich teilweise widersprechenden Versionen der Ge-schichten, die sich um ein verlorenes Land ranken.

Auftragsarbeit von LIFT (London) und 14-18 NOW, WW1 Centenary Art Commissions. Ein House on Fire Projekt mit Un-terstützung des Kulturprogramms der Europäischen Union. Unterstützt durch National Lottery mit Heritage LotteryFund und Arts Council England. Präsentiert mit Battersea Arts Centre.

Emke Idema PERFORMANCE

Stranger 8.+9.6. / HAU3 / Deutsche Premiere Englisch / Kategorie D

Die niederländische Künstlerin Emke Idema kreiert ein Spiel über erste Eindrücke.Es untersucht das Spannungsverhältnis von Intuition und sozialen Normen. DieZuschauer begegnen verschiedenen lebensgroßen Figuren und sind aufgefordert,ihre Vorstellungen und Projektionen über sie auszusprechen. Mit wem könnte mansich eine Beziehung vorstellen? Wem nachts die Tür öffnen? In Sekundenschnellewerden Vorstellungen und Vorurteile abgerufen, die man gegenüber Fremden hat.Was davon lässt sich aussprechen?

Produktion: Emke Idema, Productiehuis Generale Oost (Arnheim), Huis van Bourgondië (Maastricht), Festival Over hetIJ (Amsterdam). Dank an: DasArts (Amsterdam). Mit Unterstützung von Fonds Podium Kunsten.

Ivo Dimchev PERFORMANCE

ICure 11.–14.6. / HAU3Englisch / Kategorie C

Warum eine Stunde mit dem Betrachten von Kunst verschwenden, wenn manstattdessen Heilung erfahren kann? Ivo Dimchev fordert sein Publikum auf, sichSchwächen einzugestehen, und verfolgt kein geringeres Ziel, als es kollektiv ge-sünder zu machen. Er bietet die Kraft von “ICure” als ein Allheilmittel an. WelcherTeil des Körpers, des Lebens oder welcher Mensch soll geheilt werden? DimchevsArbeiten sind in ihrer Konsequenz unerbittlich, seine Kur wird kein Spaziergangsein.

Koproduktion: Humarts Foundation, ImPulsTanz Wien, Künstlerhaus Mousonturm (Frankfurt), Rotterdamse Schouwburg.

David Weber-Krebs PERFORMANCE TANZ

Balthazar 12.–14.6. / HAU1Englisch (Sprache kein Problem) / Kategorie C

Protagonist der Performance ist der Esel Balthazar. Er begegnet einer Gruppe vonDarstellern und spielt selbst eine aktive Rolle, die über die dekorative Funktion hi-nausgeht, die üblicherweise Tieren im Theater zugeschrieben wird. Das untrainier-te Tier verhält sich nie ganz so, wie man es von ihm erwartet. Die fragile Kommu-nikation mit dem Esel verlangt ein feines Gespür für die Reaktionen, Intentionenoder gar Forderungen dieses ungleichen und unberechenbaren Partners. “Baltha-zar” ist das Ergebnis einer mehr jährigen künstlerischen Forschung des RegisseursDavid Weber-Krebs und des Dramaturgen Maximilian Haas. Im Rahmen von “ThePower of Powerlessness” präsentieren sie eine neue Version der Arbeit.

Produktion: Infinite Endings Produktion. Koproduktion: HAU Hebbel am Ufer. Mit Unterstützung von Fonds Podium Kunsten.

Tiago Rodrigues THEATER

By Heart 16.+17.6. / HAU1 / Deutsche PremiereEnglisch mit deutschen Übertiteln / Kategorie C

Im Stück des portugiesischen Dramatikers, Regisseurs und Schauspielers TiagoRodrigues entsteht auf der Bühne eine gemeinschaftliche Praxis des poetischenWiderstands. Im Mittelpunkt steht das Auswendiglernen eines Gedichts. Denn dasGehirn ist einer jener wenigen, sicheren Aufbewahrungsmechanismen, die verbo-tene Texte in den barbarischsten und desolatesten Zeiten speichern können. DasTheater wiederum ist einer der Orte, an denen Gedanken von Mensch zu Menschübertragen werden können und an denen sich die Macht der Machtlosen manifes-tieren kann.

Produktion: Teatro Nacional D. Maria II nach einer ursprünglichen Entwicklung durch die Compagnie Mundo Perfeito.Koproduktion: O Espaço do Tempo, Maria Matos Teatro Municipal. Präsentiert im Kontext von House on Fire mit Unter-stützung des Kulturprogramms der Europäischen Union. Unterstützt durch: Governo de Portugal / DGArtes.

“The Power of Powerlessness” / Programmübersicht

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Festivalpass: 3 Vorstellungen für 35,00 €, erm. 25,00 € (frei wählbar 4.–25.6.)Preise:Kategorie A: (30,00 €) / 25,00 € / 20,00 € / 15,00 € / (10,00 €), ermäßigt 10,00 € Kategorie B: 20,00 € / 15,00 € / (12,00 €), ermäßigt 10,00 € Kategorie C: 15,00 € / (12,00 €), ermäßigt 10,00 € Kategorie D: 13,00 €, ermäßigt 8,00 € Kategorie E: 8,00 €, ermäßigt 5,00 €Ermäßigte Karten für Schüler, Studenten, Azubis, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Schwerbehinderte.Preise in Klammern veranstaltungsabhängig.

ImpressumRedaktion: Laura Diehl, Annika Frahm, Christoph Gurk, Tobias Kluge, Sarah Reimann, Annemie Vanackere / Gestaltung und Fotos: Jürgen Fehrmann. Die Bildstrecke in diesem Heft entstand bei den Proben für David Weber-Krebs’ Arbeit “Balthazar” im HAU. Sie zeigt die Esel Greta und Richard von Packeseltouren Brandenburg / Sarah Fuchs. / Hrsg: HAU Hebbel am Ufer, 2015 / Künstlerische Leitung & Geschäftsführung: Annemie Vanackere

KasseTageskasse im HAU1 (Stresemannstr. 29, 10963 Berlin) / Montag bis Samstag ab 15 Uhr bis jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn, an vorstellungsfreien Tagen 15 bis 19 Uhr. Sonn- und feiertags geschlossen. / Tel. +49 (0)30.259004 -27 / Online-Buchung: www.hebbel-am-ufer.de

AdressenHAU1 – Stresemannstraße 29, 10963 Berlin / HAU2 – Hallesches Ufer 32, 10963 Berlin / HAU3 – Tempelhofer Ufer 10, 10963 Berlin

Susan Neiman im Gespräch DIALOG

17.6. / HAU1 Englisch / Eintritt frei

Die amerikanische Philosophin Susan Neiman ist Leiterin des Einstein Forums inPotsdam. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch “Warum erwachsen werden?”. Darinwendet sie sich gegen eine resignative Sicht auf das Erwachsensein und ermutigtzur Reife. Mit Annemie Vanackere, der künstlerischen Leiterin des HAU Hebbel amUfer, spricht sie über Zustände der Machtlosigkeit.

Jorge León FILM

Before We Go18.6. / HAU1Französisch und Englisch mit englischen Untertiteln / Kategorie E

Drei todkranke Menschen treffen sich im Brüsseler Opernhaus mit Choreografenwie Meg Stuart, Simone Aughterlony und Benoît Lachambre, Schauspielern wieThomas Wodianka und verschiedenen Musikern. Alle werden Teil einer unvergleich-lichen Erfahrung aus Musik, Tanz und Stille. Jorge Leóns neuer Film ist ein Tributan die Fragilität des menschlichen Lebens. Er handelt vom Grenzbereich zwischenRealität und Darstellung, zwischen der Tragödie des Körpers und der Freiheit desGeistes.

Unterstützt durch: Centre du Cinéma et de l’Audiovisuel de la Fédération Wallonie-Bruxelles et de VOO. Koproduktion:Present Perfect, CBA – Centre de l’audiovisuel à Bruxelles, RTBF – Unité de Programmes Documentaires, Les Films duFleuve, Pillarbox a division of New Impact, mit Unterstützung durch Tax Shelter of the Federal Government of Belgium,Cinéfinance Tax Shelter, De Munt – La Monnaie, TOPAZ, NV Lloyd, La Ville de Bruxelles.

STO Union / THEATER FILM INSTALLATION

Nadia RossWhat Happened to the Seeker? 18.–21.6. / HAU3 / Deutsche PremiereEnglisch / Kategorie C

Die Blumenkinder der 1960er Jahre waren die “Seekers” – sie brachen in die Weltauf, nach Indien, um spirituelle Erfüllung zu finden. Was ist aus ihnen geworden?Dies ist die Geschichte der Tochter einer dieser Suchenden, die selbst den Momentder Leichtigkeit wiederfinden möchte, den sie einst in ihrer Kindheit erlebt hat. Dieneue Produktion der kanadischen Gruppe STO Union um die Regisseurin NadiaRoss treibt die Möglichkeiten des Theaters an ihre Grenzen und erzählt die Ge-schichte in drei Teilen: in Form einer Ausstellung, eines Videofilms und einer Per-formance.

Produktion: STO Union. Koproduktion: Festival Transamériques, The Theatre Centre (Toronto), Bit Teatergarasjen(Bergen), Brut (Wien). In Zusammenarbeit mit Wakefield Art Collective.

Jérôme Bel TANZ THEATER

Gala 23.–25.6. / HAU1 / Deutsche PremiereKategorie B

Nach “Disabled Theater” versammelt das neue Projekt des Choreografen JérômeBel 20 professionelle Tänzer und Schauspieler sowie Laien auf der Bühne. In einerForm, die in ihrer Offenheit, ihrer Festlichkeit und dem – gelegentlichen – Dilettan-tismus der Beteiligten an eine Gala erinnert, wird die Kultur der darstellenden Küns-te und ihre Einschreibung in unsere Körper und unsere Vorstellungen hinterfragt.Das Projekt lässt sich vielleicht mit folgenden Zitaten beschreiben: “Wieder ver-suchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.” (Samuel Becketts) – und “Das Ballettist eine Philosophie des Scheiterns.” (William Forsythe). Es geht also nicht um Per-fektion oder Virtuosität, sondern darum, das Bestmögliche mit den eigenen Fähig-keiten zu erreichen. Und so ist das Stück letztendlich eine Liebeserklärung an dasTheater.

Produktion R.B. Jérôme Bel (Paris). Koproduktion: HAU Hebbel am Ufer, Dance Umbrella (London), TheaterWorks Sin-gapore/72-13, KunstenFestivaldesArts (Brüssel), Tanzquartier Wien, Nanterre-Amandiers Centre Dramatique Natio-nal, Festival d'Automne à Paris, Fondazione La Biennale di Venezia, Théâtre de la Ville (Paris), BIT Teatergarasjen (Ber-gen), La Commune Centre dramatique national d’Aubervilliers, Tanzhaus nrw (Düsseldorf), House on Fire mit Unter-stützung des Kulturprogramms der Europäischen Union.

“The Power of Powerlessness” / Programmübersicht

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Festivalkalender

Do 4.6.14:00 / HAU3 HouseclubHouseclub präsentiert: musiktheater bruit!Noise is Power – Krach ist Macht! / Eintritt frei

Fr 5.6.19:00 / HAU3Houseclub präsentiert: musiktheater bruit!Noise is Power – Krach ist Macht! / Eintritt frei

20:00 / HAU1 / Deutsche PremiereEdit KaldorInventar der Ohnmacht / Deutsch und Englisch

20:00 / HAU3Zachary OberzanTell Me Love Is Real / Englisch

Sa 6.6.19:00 / HAU1Edit KaldorInventar der Ohnmacht / Deutsch und Englisch

21:00 / HAU3Zachary OberzanTell Me Love Is Real / Englisch

So 7.6.16:00-20:30 / HAU3 / Deutsche PremiereVlatka Horvat15th Extraordinary Congress: Berlin / Englisch / Einlass durchgehend

17:00 / HAU1Edit KaldorInventar der Ohnmacht / Deutsch und Englisch

Im Anschluss: Publikumsgespräch20:00 / HAU3Zachary OberzanTell Me Love Is Real / Englisch

Mo 8.6.20:00 / HAU3 / Deutsche PremiereEmke IdemaStranger / Englisch

Di 9.6.19:00 / HAU3Emke IdemaStranger / Englisch

Do 11.6.20:00 / HAU3Ivo DimchevICure / Englisch

Fr 12.6.19:30 / HAU1David Weber-Krebs Balthazar / Englisch (language no problem)

21:00 / HAU3Ivo DimchevICure / Englisch

Sa 13.6.19:30 / HAU1David Weber-KrebsBalthazar / Englisch (language no problem)

Im Anschluss: PublikumsgesprächModeration: Gabriele Brandstetter21:00 / HAU3Ivo DimchevICure / Englisch

So 14.6.19:30 / HAU1David Weber-KrebsBalthazar / Englisch (language no problem)

21:00 / HAU3Ivo DimchevICure / Englisch

Di 16.6.20:00 / HAU1 / Deutsche PremiereTiago RodriguesBy Heart / Englisch mit deutschen Übertiteln

Im Anschluss: PublikumsgesprächModeration: Alexander Karschnia

Mi 17.6.19:30 / HAU1Tiago RodriguesBy Heart / Englisch mit deutschen Übertiteln

21:00 / HAU1Susan Neiman im GesprächEnglisch / Eintritt frei

Do 18.6.19:30 / HAU3 / Deutsche PremiereSTO Union / Nadia RossWhat Happened to the Seeker? / Englisch

20:00 / HAU1Jorge LeónBefore We Go / Belgien 2014, 82minFranzösisch und Englisch mit englischen Untertiteln

Fr 19.6.19:30 / HAU3STO Union / Nadia RossWhat Happened to the Seeker? / Englisch

Sa 20.6.19:30 / HAU3STO Union / Nadia RossWhat Happened to the Seeker? / Englisch

So 21.6.19:30 / HAU3STO Union / Nadia RossWhat Happened to the Seeker? / Englisch

Di 23.6.20:00 / HAU1 / Deutsche PremiereJérôme BelGala

Mi 24.6.20:00 / HAU1Jérôme BelGalaIm Anschluss: PublikumsgesprächModeration: Benjamin Wihstutz

Do 25.6.20:00 / HAU1Jérôme BelGala

4.–25.6.HAU2 (Bühneneingang neben dem WAU) Installation “Noise is Power – Krach ist Macht!”

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www.hebbel-am-ufer.de Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds.

“... Alles, was mir in den Sinn kommt, ist so banal,ein einziges Klischee ... ich kann über keine dieserSituationen etwas schreiben ... ich fühle michmachtlos ...”

Momente der Machtlosigkeit #11: Ivo Dimchev

* Der bulgarische Performer Ivo Dimchev ist regelmäßig im HAU Hebbel am Ufer zu Gast und zeigt nun seine Arbeit “ICure”.