HBTJO W 40 090518 - suedkurier-medienhaus.de · Novak Djokovic vor größter Herausforderung seiner...

1
Vor nicht allzu langer Zeit hätte er an einem Turniermontag noch seine freie Zeit genossen. Zu den Privilegien der besten Spieler der Welt gehört schließ- lich, dass sie in den ersten Runden ei- nes ATP-Masters ein Freilos erhalten, die Besten sollen auch einige Tage lang auch als PR-Lokomotiven für die Wett- bewerbe wirken. Novak Djokovic war einmal einer der besten Spieler der Welt, sogar der beste auf dem Papier. Es gab den einen historischen, den ma- gischen Moment, in dem der „Djoker“ alle vier Grand-Slam-Titel gleichzei- tig in seinem Besitz hielt, das war, als er 2016 zu guter Letzt auch die French Open gewonnen hatte. Das Turnier, das ihn jahrelang vor unüberwindbare Rät- sel gestellt hatte. Dieser Spieler ist Novak Djokovic aber nicht mehr. Er ist nicht mehr der Seri- ensieger, der selbstbewusste Marathon- kämpfer, der Gladiator, der seine Geg- ner mit unbarmherziger Konsequenz in Grund und Boden rannte und pro Sai- son 90 Prozent seiner Matches gewann. Und deshalb ist Djokovic, der 30-jähri- ge Belgrader, nun eben auch ein Mann, der an einem Montag spielen muss. In Madrid, wo er diese Woche antritt, hät- te ihm das Los zum Auftakt auch den Sandplatzmeister Rafael Nadal be- scheren können, es wäre ein verrück- ter Wink des Schicksals gewesen. Aber richtig leicht hatte es Djokovic auch nicht, als ihm bei der Auslosung der langjährige japanische Top-Ten-Spieler Kei Nishikori zugeordnet wurde. Djoko- vic gegen Nishikori, es hätte vor zwei, drei Jahren auch ein Grand-Slam-Fina- le sein können. Aber nun, in den Wirren von Djokovics schleichendem Abstieg durch Motivationsprobleme und Ver- letzungspech, war es ein Erstrunden- kracher – immerhin mit Happy End für den früher so geschmeidigen Serben. Djokovic, 2015 und teilweise auch noch 2016 die überlegenste Nummer 1, die das Tennis je hatte, steckt trotz dieses Sieges immer noch im Krisen- modus. Er hat eine Achterbahnfahrt ohne Beispiel hinter sich, bei der er sich nun möglicherweise endlich wie- der vom Tiefpunkt wegbewegt. Eben war dieser Perfektionist noch der Chef eines florierenden Unternehmens, ein Boss, der jeden seiner Angestellten mit pedantischer Sorgsamkeit ausgesucht hatte. Boris Becker gehörte dazu, der langjährige Coach und Wegbegleiter Marijan Vajda, der österreichische Fit- ness- und Ernährungspapst Gebhard Gritsch, Spitzenköche zudem, die ei- gens für Grand-Slam-Turniere einge- flogen wurden. Und natürlich noch wechselnde Top-Physiotherapeuten. Doch dann, der French-Open-Titel war gewonnen Anfang Juni 2016, da brach dieses Gesamtkunstwerk, die Firma Djoker & Co., mit einer Geschwindigkeit in sich zusammen, die jeden im Tenniszirkus verblüffte. Djokovic fehlte schnell die Lust, die Krise seriös zu bearbeiten. Er verfiel ei- nem spanischen Ex-Profi na- mens Pepe Imaz, der bald als Kuschel-Guru in den Schlagzei- len auftauchte, ein Mann, der eine ziemlich banale Friedens-und-Lie- be-eorie predigte. Djokovic wollte ein besserer Mensch sein und werden, aber was er vor allem wurde, war: ein schlechterer Tennisspieler. Wer sich nun in Madrid umschaute, nach all den Turbulenzen um und mit Djokovic, der staunte nicht schlecht. Denn der einstige Anführer des Wan- derzirkus, der erst sein starkes Tennis- Ego und dann all seine Getreuen verlor (oder feuerte) und der dann auch noch gewaltiges Verletzungspech hatte, die- ser Djokovic war wieder von der alten Belegschaft umgeben – ausgenom- men Boris Becker, der sich momentan nicht mit der Mühsal eines knüppel- harten Comebacks belasten will. Aber Vajda und auch Gritsch sind zurück. Es scheint, als wäre ein altes, vergilb- tes Motiv aus dem Familienalbum wie- der hervorgekramt worden. Djokovic ist aktuell die Nummer 12 der Welt, er sagt von sich, dass das „Selbstvertrauen nicht sehr groß“ sei im Augenblick, nie sei die Herausforderung in seiner Kar- riere größer gewesen. „Den Glauben an sich selbst zurückzufinden, das ist eine massive Aufgabe. Am Ende zählen nur Siege“, sagt der Serbe, für den Siege frü- her selbstverständliches Tagesgeschäft waren. 2015 siegte er 82-mal, verlor nur sechs Spiele. Sein Sieg gegen Nishikori in Madrid war erst der vierte in diesem Jahr, bei drei Niederlagen. Djokovics Kampf, wieder zu einem der Marktfüh- rer im Tennis zu werden, ist und bleibt eine der großen Geschichten dieser Sai- son. Mit komplett offenem Ausgang. Noch keine runde Sache ➤➤ Novak Djokovic vor größter Herausforderung seiner Karriere ➤➤ Der Serbe will endlich wieder zurück an die Tennis-Spitze ➤➤ Bilderbuchkarriere endete abrupt vor zwei Jahren VON JÖRG ALLMEROTH Zur Person Novak Djokovic wurde am 22. Mai 1987 in Belgrad in Jugoslawien (heute Serbien) geboren. Er zählte ab 2011 zu den besten Spielern der Welt. Der Ser- be war für 223 Wochen die Nummer 1 der Weltrangliste. Er gewann in seiner bisherigen Karriere zwölf Grand-Slam- Titel. Inzwischen ist er nur noch die Nummer 12 der Weltrangliste. . Nicht mehr ganz so ge- schmeidig wie einst? Se- hen Sie selbst: Szenen aus der Partie Djokovic gegen Nishikori: www.sk.de/9729349 Aufschlag: Novak Djokovic gewann in Madrid zumin- dest schon einmal sein Erstrundenmatch gegen Japans Kei Nishikori. BILD: GETTY SPORT NR. 106 | AB MITTWOCH, 9. MAI 2018 www.suedkurier.de/sport SÜDKURIER

Transcript of HBTJO W 40 090518 - suedkurier-medienhaus.de · Novak Djokovic vor größter Herausforderung seiner...

Vor nicht allzu langer Zeit hätte er an einem Turniermontag noch seine freie Zeit genossen. Zu den Privilegien der besten Spieler der Welt gehört schließ-lich, dass sie in den ersten Runden ei-nes ATP-Masters ein Freilos erhalten, die Besten sollen auch einige Tage lang auch als PR-Lokomotiven für die Wett-bewerbe wirken. Novak Djokovic war einmal einer der besten Spieler der Welt, sogar der beste auf dem Papier. Es gab den einen historischen, den ma-gischen Moment, in dem der „Djoker“ alle vier Grand-Slam-Titel gleichzei-tig in seinem Besitz hielt, das war, als er 2016 zu guter Letzt auch die French Open gewonnen hatte. Das Turnier, das ihn jahrelang vor unüberwindbare Rät-sel gestellt hatte. Dieser Spieler ist Novak Djokovic aber nicht mehr. Er ist nicht mehr der Seri-ensieger, der selbstbewusste Marathon-kämpfer, der Gladiator, der seine Geg-ner mit unbarmherziger Konsequenz in Grund und Boden rannte und pro Sai-son 90 Prozent seiner Matches gewann. Und deshalb ist Djokovic, der 30-jähri-ge Belgrader, nun eben auch ein Mann, der an einem Montag spielen muss. In Madrid, wo er diese Woche antritt, hät-te ihm das Los zum Auftakt auch den Sandplatzmeister Rafael Nadal be-scheren können, es wäre ein verrück-ter Wink des Schicksals gewesen. Aber richtig leicht hatte es Djokovic auch nicht, als ihm bei der Auslosung der langjährige japanische Top-Ten-Spieler Kei Nishikori zugeordnet wurde. Djoko-vic gegen Nishikori, es hätte vor zwei, drei Jahren auch ein Grand-Slam-Fina-le sein können. Aber nun, in den Wirren von Djokovics schleichendem Abstieg durch Motivationsprobleme und Ver-letzungspech, war es ein Erstrunden-kracher – immerhin mit Happy End für den früher so geschmeidigen Serben.

Djokovic, 2015 und teilweise auch noch 2016 die überlegenste Nummer 1, die das Tennis je hatte, steckt trotz dieses Sieges immer noch im Krisen-modus. Er hat eine Achterbahnfahrt ohne Beispiel hinter sich, bei der er sich nun möglicherweise endlich wie-der vom Tiefpunkt wegbewegt. Eben war dieser Perfektionist noch der Chef eines florierenden Unternehmens, ein Boss, der jeden seiner Angestellten mit pedantischer Sorgsamkeit ausgesucht hatte. Boris Becker gehörte dazu, der langjährige Coach und Wegbegleiter Marijan Vajda, der österreichische Fit-ness- und Ernährungspapst Gebhard Gritsch, Spitzenköche zudem, die ei-gens für Grand-Slam-Turniere einge-flogen wurden. Und natürlich noch wechselnde Top-Physiotherapeuten. Doch dann, der French-Open-Titel war gewonnen Anfang Juni 2016, da brach dieses Gesamtkunstwerk, die Firma

Djoker & Co., mit einer Geschwindigkeit in sich zusammen, die jeden im Tenniszirkus verblüffte. Djokovic fehlte schnell die Lust, die Krise seriös zu bearbeiten. Er verfiel ei-nem spanischen Ex-Profi na-mens Pepe Imaz, der bald als Kuschel-Guru in den Schlagzei-len auftauchte, ein Mann, der eine ziemlich banale Friedens-und-Lie-be-Theorie predigte. Djokovic wollte ein besserer Mensch sein und werden, aber was er vor allem wurde, war: ein schlechterer Tennisspieler.

Wer sich nun in Madrid umschaute, nach all den Turbulenzen um und mit Djokovic, der staunte nicht schlecht. Denn der einstige Anführer des Wan-derzirkus, der erst sein starkes Tennis-Ego und dann all seine Getreuen verlor (oder feuerte) und der dann auch noch gewaltiges Verletzungspech hatte, die-ser Djokovic war wieder von der alten Belegschaft umgeben – ausgenom-men Boris Becker, der sich momentan nicht mit der Mühsal eines knüppel-harten Comebacks belasten will. Aber Vajda und auch Gritsch sind zurück. Es scheint, als wäre ein altes, vergilb-tes Motiv aus dem Familienalbum wie-der hervorgekramt worden. Djokovic ist aktuell die Nummer 12 der Welt, er sagt von sich, dass das „Selbstvertrauen nicht sehr groß“ sei im Augenblick, nie sei die Herausforderung in seiner Kar-riere größer gewesen. „Den Glauben an sich selbst zurückzufinden, das ist eine massive Aufgabe. Am Ende zählen nur Siege“, sagt der Serbe, für den Siege frü-her selbstverständliches Tagesgeschäft waren. 2015 siegte er 82-mal, verlor nur sechs Spiele. Sein Sieg gegen Nishikori in Madrid war erst der vierte in diesem Jahr, bei drei Niederlagen. Djokovics Kampf, wieder zu einem der Marktfüh-rer im Tennis zu werden, ist und bleibt eine der großen Geschichten dieser Sai-son. Mit komplett offenem Ausgang.

Noch keine runde Sache➤➤➤ Novak Djokovic vor größter Herausforderung seiner Karriere➤➤➤ Der Serbe will endlich wieder zurück an die Tennis-Spitze➤➤➤ Bilderbuchkarriere endete abrupt vor zwei Jahren

V O N J Ö R G A L L M E R O T H

Zur PersonNovak Djokovic wurde am 22. Mai 1987 in Belgrad in Jugoslawien (heute Serbien) geboren. Er zählte ab 2011 zu den besten Spielern der Welt. Der Ser-be war für 223 Wochen die Nummer 1 der Weltrangliste. Er gewann in seiner bisherigen Karriere zwölf Grand-Slam-Titel. Inzwischen ist er nur noch die Nummer 12 der Weltrangliste.

.Nicht mehr ganz so ge-schmeidig wie einst? Se-hen Sie selbst: Szenen aus der Partie Djokovic gegen

Nishikori: www.sk.de/9729349

Aufschlag: Novak Djokovic gewann in Madrid zumin-dest schon einmal sein Erstrundenmatch gegen Japans Kei Nishikori. BILD: GETT Y

SPORTwww.suedkurier.de/sport S Ü D K U R I E R

N R . 1 0 6 | A B M I T T W O C H , 9 . M A I 2 0 1 8 www.suedkurier.de/sport S Ü D K U R I E R