Heft 7 - GmbHR · Heft 7 1. April 2012 S. 365–420 PVSt 6012 Aufsätze...

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Heft 7 1. April 2012 S. 365 420 PVSt 6012 Aufsätze Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider / Dr. Sven H. Schneider, LL.M. – Die persönliche Haftung der GmbH-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung an Personen, die nicht Geschäftsführer sein können 365 Markus Geißler – Statuarische Vorsorge bei der Pfändung eines GmbH-Anteils und der Insol- venz eines Gesellschafters 370 Dr. Götz Tobias Wiese – Entlastung ausländi- scher Gesellschaften von deutscher Quellen- steuer 376 GmbH-International Dr. Florian Kessler, LL.M. / Max Thümmel – Die Organe der Gesellschaft mit beschränkter Haf- tung im chinesischen Recht 384 Rechtsprechung Gesellschafterbeschluss: Wirksamkeit eines nicht nichtigen Einziehungsbeschlusses und Haftung für Abfindung (BGH v. 24.1.2012 mit Komm. Dr. Lutz Münnich) 387 Aufsichtsrat: Zahlenmäßige Zusammenset- zung des Aufsichtsrats einer GmbH nach dem Mitbestimmungsgesetz (BGH v. 30.1.2012 mit Komm. Dr. Martin Pröpper) 391 Gewinnermittlung: Passivierung „angeschaff- ter“ Rückstellungen bei steuerlichem Ausweis- verbot (BFH v. 14.12.2011 mit Komm. Dr. Alexan- der Höhn / Georg Geberth) 402 Gewinnermittlung: Keine Passivierung einer Verbindlichkeit bei sog. qualifiziertem Rang- rücktritt (BFH v. 30.11.2011 mit Komm. Dr. Hans- Georg Berg / Dr. Rolf Schmich) 406 Geschäftsanteil: Verlustabzugsverbot bei unterjährigem schädlichen Beteiligungserwerb (BFH v. 30.11.2011 mit Komm. Markus Sucha- nek) 410 Verwaltungsanweisungen Ausländische GmbH: Entlastungsberechtigung ausländischer Gesellschaften (§ 50d Abs. 3 EStG) (BMF v. 24.1.2012) 415 GmbHReport Dr. Ansas Wittkowski – DBA-Schachtelprivileg bei hybriden Gesellschaftsformen R 85

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Heft 71. April 2012

S. 365–420

PVSt 6012

AufsätzeProf. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider / Dr. Sven H.Schneider, LL.M. – Die persönliche Haftung derGmbH-Gesellschafter bei Überlassung derGeschäftsführung an Personen, die nichtGeschäftsführer sein können 365

Markus Geißler – Statuarische Vorsorge bei derPfändung eines GmbH-Anteils und der Insol-venz eines Gesellschafters 370

Dr. Götz Tobias Wiese – Entlastung ausländi-scher Gesellschaften von deutscher Quellen-steuer 376

GmbH-InternationalDr. Florian Kessler, LL.M. / Max Thümmel – DieOrgane der Gesellschaft mit beschränkter Haf-tung im chinesischen Recht 384

RechtsprechungGesellschafterbeschluss: Wirksamkeit einesnicht nichtigen Einziehungsbeschlusses undHaftung für Abfindung (BGH v. 24.1.2012 mitKomm. Dr. Lutz Münnich) 387

Aufsichtsrat: Zahlenmäßige Zusammenset-zung des Aufsichtsrats einer GmbH nach demMitbestimmungsgesetz (BGH v. 30.1.2012 mitKomm. Dr. Martin Pröpper) 391

Gewinnermittlung: Passivierung „angeschaff-ter“ Rückstellungen bei steuerlichem Ausweis-verbot (BFH v. 14.12.2011 mit Komm. Dr. Alexan-der Höhn / Georg Geberth) 402

Gewinnermittlung: Keine Passivierung einerVerbindlichkeit bei sog. qualifiziertem Rang-rücktritt (BFH v. 30.11.2011 mit Komm. Dr. Hans-Georg Berg / Dr. Rolf Schmich) 406

Geschäftsanteil: Verlustabzugsverbot beiunterjährigem schädlichen Beteiligungserwerb(BFH v. 30.11.2011 mit Komm. Markus Sucha-nek) 410

VerwaltungsanweisungenAusländische GmbH: Entlastungsberechtigungausländischer Gesellschaften (§ 50d Abs. 3EStG) (BMF v. 24.1.2012) 415

GmbHReportDr. Ansas Wittkowski – DBA-Schachtelprivilegbei hybriden Gesellschaftsformen R 85

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Dr. Ansas Wittkowski, Steuerberater, München*

DBA-Schachtelprivileg beihybriden Gesellschaftsformen

* Deloitte & Touche GmbH.

Die Frage der Besteuerung von Dividenden im grenzüber-schreitenden Kontext hat in jüngster Zeit zu einigen wesent-lichen gesetzlichen Änderungen bzw. Urteilen geführt.Hinsichtlich des sog. Inbound-Falls, d.h. der Ausschüttungeneiner inländischen Kapitalgesellschaft an ausländischeGesellschafter, sei insbesondere auf die Änderung des §50dAbs.3 EStG (dazu s. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK 2011/1032913, GmbHR 2012, 415 sowie denBeitrag von Wiese, GmbHR 2012, 376 ff. – beides in dieserAusgabe) und das Urt. des EuGH v. 20.10.2011 – Rs.C-284/09, GmbHR 2011, 1211 zu Streubesitzdividenden verwiesen.Aber auch der sog. Outbound-Fall, d.h. ein im Inlandunbeschränkt Steuerpflichtiger empfängt Dividenden einerim Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft, ist aktuellGegenstand steuerlicher Diskussionen. Dabei geht esinsbesondere um die Frage der Anwendung desabkommensrechtlichen Schachtelprivilegs bei Ausschüt-tungen zwischen Kapitalgesellschaften.

Zwar hat das in Doppelbesteuerungsabkommen festge-schriebene Schachtelprivileg zwischen Kapitalgesell-schaften nach dem Systemwechsel vom Anrechnungs- zumFreistellungsverfahren an Bedeutung verloren, da auslän-dische Dividenden bei einer empfangenden inländischenKapitalgesellschaft bereits aufgrund von §8b Abs.1 KStG beider Ermittlung des steuerlichen Einkommens außer Ansatzbleiben. Ungeklärt ist bzw. war indes die Anwendung desSchachtelprivilegs bei einer empfangenden inländischensog. hybriden Gesellschaft.

Bei diesen hybriden Gesellschaftsformen war ungeklärt, wiedas abkommensrechtliche Schachtelprivileg greift, wenn essich bei der empfangenden inländischen Gesellschaft zwarum eine Kapitalgesellschaft handelt, sich an dieser abernatürliche Personen mitunternehmerisch oder mitunterneh-merähnlich beteiligen. Zu denken wäre z.B. an denpersönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA oder denstillen Gesellschafter einer GmbH & atypisch Still.

Stein des Anstoßes: BFH zum DBA-SchachtelprivilegDer BFH hat sich in seinem Urt. v. 19.5.2010 – I R 62/09,GmbHR 2010, 1004 mit der Frage der Anwendung des ab-kommensrechtlichen Schachtelprivilegs bei einer inländi-schen KGaA auseinandergesetzt. In dem von den Richternzu entscheidenden Fall ging es um eine in Deutschland an-sässige KGaA, die Dividenden von zwei in Frankreich ansäs-sigen Kapitalgesellschaften empfing. Als persönlich haften-der Gesellschafter der KGaA fungierte eine Personengesell-

schaft, an der wiederum (ausländische) natürliche Personenbeteiligt waren. Die Richter hatten zu entscheiden, ob sichdas Schachtelprivileg mittelbar auch auf die natürlichen Per-sonen erstreckt, die, wären sie unmittelbar an der ausländi-schen Gesellschaft beteiligt, nicht in den Genuss der Befrei-ung gekommen wären.

Unstreitig war, dass es sich bei der betreffenden KGaA umeine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft handelte,die im erforderlichen Mindestumfang Beteiligungen an denfranzösischen Tochterkapitalgesellschaften hielt. Ebenfallsunstreitig war die Tatsache, dass die Dividenden von denausländischen Gesellschaften direkt an die KGaA gezahltwurden.

Der BFH prüfte in seinem Urteil die Inanspruchnahme desSchachtelprivilegs an den Voraussetzungen des Art. 20Abs.1. Buchst.a) S.1 u. Buchst.b) S.1 DBA-Frankreich (n.F.).Danach seien sämtliche Voraussetzungen erfüllt gewesen,da das Schachtelprivileg im DBA-Frankreich explizit auf denEmpfänger der Zahlungen und nicht auf den Empfänger derEinkünfte abstellt. Da in dem zu entscheidenden Fall dieKGaA und nicht der persönlich haftende Gesellschafter bzw.–aufgrund des Transparenzprinzips von Personengesell-schaften– deren Mitunternehmer, Empfängerin sämtlicherDividenden war, konnte der BFH nicht umhin, auf Ebene derKGaA die Freistellung zuzulassen.

Damit vermied der I.Senat eine Diskussion der sicherlichnicht minder kontroversen Aspekte der Besteuerung einerKGaA. Das wären z.B., wie die KGaA bzw. der persönlich haf-tende Gesellschafter als „Personen“ abkommensrechtlich zubehandeln und zudem die Einkünfte insbesondere dem per-sönlich haftenden Gesellschafter zuzurechnen sind. DasSchachtelprivileg im DBA-Frankreich setze sich über all dieseThemen hinweg und begünstige die KGaA als solche, undzwar unabhängig davon, wem die Einkünfte am Ende tat-sächlich zuzurechnen sind.

Reaktion des GesetzgebersDem Gesetzgeber war und ist es wichtig, auf die Rechtspre-chung des BFH kurzfristig zu reagieren. Das obenstehendaufgeführte Urteil hätte zur Folge, dass in bestimmten Fällennatürliche Personen unter das Schachtelprivileg fallen, auchwenn sie selbst nicht dem begünstigten Kreis der Dividen-denempfänger angehören. Genau dies kann aber bei hybri-den Gesellschaftsformen eintreten, wenn der persönlich haf-tende Gesellschafter einer KGaA oder der atypisch stille Ge-sellschafter einer GmbH & atypisch Still eine natürliche Per-son ist.

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Insbesondere im Hinblick auf die GmbH & atypisch Still siehtdie Finanzverwaltung größere Gestaltungsräume. So verwun-dert es nicht weiter, wenn die Finanzverwaltung vor dem Hin-tergrund des BFH-Urteils Steuerausfälle im unteren dreistelli-gen Mio.Euro-Bereich veranschlagt.

Nun beabsichtigten die Fraktionen von CDU/CSU und FDPdas „Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformge-setzes“ um steuerliche Komponenten zu erweitern und in„Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzesund von steuerlichen Vorschriften“ umzubenennen (BT-Drucks. 17/8867).

Inhaltlich enthält das am 8.3.2012 vom Deutschen Bundes-tag beschlossene Gesetz einen neuen §50d Abs.11 EStG,der rückwirkend zum 1.1.2012 anzuwenden ist. Konkret soll§50d Abs.11 EStG Fälle aufgreifen, wie sie sich beispielhaftbeim DBA-Frankreich ergeben. Betroffen sind demnach sol-che Konstellationen, bei denen das Schachtelprivileg aus-schließlich an den Zahlungsempfänger knüpft und eine et-waige Teiltransparenz, etwa der KGaA, unbeachtet lässt.

Dividenden sollen nach dem Wortlaut des §50d Abs.11 S.1EStG bei der empfangenden hybriden Gesellschaft nur inso-weit unter das abkommensrechtliche Schachtelprivileg fal-len, als die Dividenden nach deutschem Steuerrecht nichteiner anderen Person zuzurechnen sind. Soweit die Dividen-den nach deutschem Steuerrecht (aufgrund einer teiltrans-parenten Besteuerung) einer anderen Person zuzurechnensind, werden sie bei dieser anderen Person, etwa dem per-sönlich haftenden Gesellschafter, nach S.2 nur freigestellt,wenn die Dividenden bei der anderen Person als Zahlungs-empfänger nach Maßgabe des Abkommens ebenfalls frei-gestellt werden würden.

Der neue §50d Abs.11 EStG prüft somit eigenständig, ob beihybriden Gesellschaften auch der Mitunternehmer, bzw. derwie ein solcher zu behandelnde, zu dem Kreis der Begüns-tigten zählt. Gleichwohl sei darauf verwiesen, dass §50dAbs.11 EStG nur in den Fällen Anwendung findet, in denendas DBA auf den Zahlungsempfänger und nicht auf denEmpfänger der Einkünfte abstellt. Eine Sichtweise im Sinneder sog. „Wurzeltheorie“ wird somit auf die Abkommensebe-ne übertragen, auch wenn sich aus dem nationalen Steuer-recht die „Wurzeltheorie“ nicht zwangsläufig herauslesenlässt.

Ist der eingeschlagene Weg zielführend?Während des Gesetzgebungsprozesses war die Einführungeines §50d Abs.11 EStG nicht unumstritten. Dabei wurde we-niger die Frage diskutiert, ob es zu einer Einschränkung desSchachtelprivilegs bei hybriden Gesellschaften kommen sollals vielmehr welcher Weg sinnvollerweise einzuschlagen ist.Dies war zumindest die zusammengefasste Erkenntnis ausder öffentlichen Anhörung im Bundestags-Finanzausschussv. 8.2.2012. Für die Parlamentarier zeigten sich grundsätzlichzwei Möglichkeiten:

– Entweder wird §50d Abs.11 EStG als eine nationalrechtlicheNorm eingeführt, was einmal mehr zu einem Treaty Overrideführen dürfte. Gegen eine solche gesetzliche (und für eineabkommensrechtliche Lösung) spricht, dass wohl nur etwasieben von Deutschland geschlossene Doppelbesteue-rungsabkommen auf den Zahlungsempfänger und nichtauf den Nutzungsempfänger abstellen. Dies geht zumin-dest auf eine Stellungnahme des Deutschen Industrie- undHandelskammertags im Rahmen des öffentlichen Fachge-sprächs im Bundestags-Finanzausschuss zurück.

– Alternativ könnten die betreffenden (etwa sieben) Abkom-men in Bezug auf das Schachtelprivileg geändert und aufden Nutzungsempfänger als Begünstigen umgestellt wer-den. Ein solches Vorhaben wäre aber zeitintensiv und ließesich nur mittelfristig realisieren. Da eine GmbH & atypischStill als Gestaltungsoption schnell gegründet werdenkann, wäre das von der Finanzverwaltung erkannte„Schlupfloch“ länger als gewünscht geöffnet, was zuSteuerausfällen führen kann.

Der Deutsche Bundestag hat sich mit Beschluss v. 8.3.2012interfraktionell für die erste Alternative, also die Einführung des§50d Abs.11 EStG entschieden. Zudem haben die Abgeord-neten dem Bundesfinanzministerium aufgetragen, das DBA-Schachtelprivileg bei künftigen Verhandlungen, sofern erfor-derlich, auf den Empfänger der Einkünfte umzustellen.

Wie geht es weiter?Die Besteuerung einer KGaA ist nicht nur aus abkommens-rechtlicher Sicht, sondern auch aus dem Blickwinkel desdeutschen nationalen Steuerrechts mit großen Unklarheitenbehaftet. In der Vergangenheit blieb eine Bund-Länder-Ar-beitsgruppe, die sich der Besteuerung einer KGaA anneh-men sollte, ohne Ergebnis. Zwar hat sich der BFH in seinervielbeachteten Herstatt-Entscheidung aus dem Jahr 1989 zuder Anwendung der sog. „Wurzeltheorie“ geäußert, gleich-wohl ist diese nach wie vor nicht unumstritten. Insbesondereist fraglich, ob die „Wurzeltheorie“ mit den nationalen Vor-schriften der §9 Abs.1 Nr.1 KStG und §15 Abs.1 Nr.3 EStGvereinbar ist.

Festzuhalten bleibt, dass sich der BFH in seiner rein abkom-mensrechtlichen Argumentation auf keine Diskussionen hin-sichtlich der nationalen Besteuerung einließ. Die Unsicher-heiten bei der Besteuerung einer KGaA und ihrer persönlichhaftenden Gesellschafter bestehen damit weiter fort. So istauch die „Wurzeltheorie“ nicht gesetzlich verankert, sondernbasiert lediglich auf der Rechtsprechung des BFH.

Im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Finanzausschus-ses wurde das Bundesfinanzministerium schließlich aufge-fordert, die Gespräche auf Bund-Länder-Ebene fortzuführenund dem Deutschen Bundestag einen Vorschlag zu unter-breiten, welches Besteuerungskonzept der KGaA künftig ge-setzgeberisch verankert werden solle. In Zukunft werden so-mit die Diskussionen zur Besteuerung der KGaA genausowenig enden wie die zur Zulässigkeit eines Treaty Override.

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Inhalt103. JahrgangHeft 7/2012

Aufsätze und BeiträgeProf. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider / Dr. Sven H.

Schneider, LL.M.

Die persönliche Haftung der GmbH-Gesellschafterbei Überlassung der Geschäftsführung anPersonen, die nicht Geschäftsführer sein können.Ein Beitrag zu § 6 Abs. 5 GmbHG 365

Markus Geißler

Statuarische Vorsorge bei der Pfändung einesGmbH-Anteils und der Insolvenz eines Gesellschaf-ters 370

Dr. Götz Tobias Wiese

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deut-scher Quellensteuer. Anmerkungen zur Änderungdes § 50d Abs. 3 S. 1 EStG und zum BMF-Schreibenvom 24.1.2012 376

GmbH-InternationalDr. Florian Kessler, LL.M. / Max Thümmel

Die Organe der Gesellschaft mit beschränkterHaftung im chinesischen Recht. Eine rechtsverglei-chende Analyse 384

Rechtsprechung Gesellschaftsrecht

Gesellschafterbeschluss: Wirksamkeit eines nichtnichtigen Einziehungsbeschlusses und Haftung fürAbfindung (BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11) 387

Der GmbHR-Kommentar

von Dr. Lutz Münnich 390

Aufsichtsrat: Zahlenmäßige Zusammensetzung desAufsichtsrats einer GmbH nach dem Mitbestim-mungsgesetz (BGH v. 30.1.2012 – II ZB 20/11) 391

Der GmbHR-Kommentar

von Dr. Martin Pröpper 393

Haftung des Geschäftsführers: Schadenersatz derGmbH gegen ihren Geschäftsführer wegen vermeint-licher Obliegenheitsverletzungen (OLG Frankfurt a. M.v. 25.10.2011 – 5 U 27/10 [LS]) 394

Musterprotokoll: Befreiung des Liquidators vomSelbstkontrahierungsverbot (OLG Frankfurt a. M. v.13.10.2011 – 20 W 95/11) 394

Gesellschafterliste: Korrektur einer bereits vorInkrafttreten des MoMiG eingereichten Gesellschaf-terliste (OLG München v. 30.1.2012 – 31 Wx 483/11) 398

Gesellschafterliste: Anknüpfung an die aktuellsteim Registerordner aufgenommene Liste bei Neuein-reichung (OLG München v. 26.1.2012 – 31 Wx 13/12) 399

Anmeldung: Prüfungspflichten des Registergerichtsbei Anmeldung einer Geschäftsführerin zur Eintra-gung in das Handelsregister (KG Berlin v. 22.8.2011 –25 W 17/11) 400

Amtslöschung: Löschung der deutschen Zweignie-derlassung einer Limited bei Löschung der ausländi-schen Hauptniederlassung (KG Berlin v. 24.10.2011 –25 W 37/11) 401

Rechtsprechung Steuerrecht

Gewinnermittlung: Passivierung „angeschaffter“Rückstellungen bei steuerlichem Ausweisverbot(BFH v. 14.12.2011 – I R 72/10) 402

Der GmbHR-Kommentar

von Dr. Alexander Höhn/ Georg Geberth 405

Gewinnermittlung: Keine Passivierung einerVerbindlichkeit bei sog. qualifiziertem Rangrücktritt(BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10) 406

Der GmbHR-Kommentar

von Dr. Hans-Georg Berg/Dr. Rolf Schmich 408

Geschäftsanteil: Verlustabzugsverbot bei unterjäh-rigem schädlichen Beteiligungserwerb (BFH v.30.11.2011 – I R 14/11) 410

Der GmbHR-Kommentar

von Markus Suchanek 412

Organschaft: Ertragslage der Organgesellschaft keinwichtiger Grund für die vorzeitige Aufhebung desGewinnabführungsvertrags (FG Brandenburg v.19.10.2011 – 12 K 12078/08) 413

VerwaltungsanweisungenAusländische GmbH: Entlastungsberechtigungausländischer Gesellschaften (§ 50d Abs. 3 EStG)(BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK2011/1032913) 415

Doppelbesteuerung: Finale Entnahme und finaleBetriebsaufgabe; BFH-Urteile vom 17.7.2008 – I R 77/06 und vom 28.10.2009 – I R 99/08 (BMF v. 18.11.2011– IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK 2011/0802578) 420

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Inhalt

IM BLICKPUNKTDr. Ansas Wittkowski, München

DBA-Schachtelprivileg bei hybriden Gesellschafts-formen R 85

UnternehmensrechtHaftung bei nicht offengelegter wirtschaftlicherNeugründung R 89

Haftung als Scheingesellschafter und nach Austrittaus einer Gesellschaft – worauf müssen (ehemalige)Gesellschafter achten? R 89

„Auslegung I“: Change of Control-Klauseln in Gesell-schaftsverträgen R 90

„Auslegung II“: Rangrücktrittserklärungen – durchAuslegung zurück zum alten Recht? R 90

Treu und Glauben steht Kündigung wegen Formun-wirksamkeit nicht entgegen R 91

Schadensersatz bei Wegfall von Steuervorteilen R 91

Beteiligung von Private Equity-Investoren an Famili-enunternehmen und Corporate Governance R 91

Steuer- & BilanzrechtReferentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 R 92

Steuerpflicht von Erstattungszinsen bei der Körper-schaftsteuer R 92

Schlussurteil zur Geschäftsveräußerung im Ganzennach dem EuGH-Urteil „Schriever“ R 92

Aktuelle Entwicklungen beim Vorsteuerabzug R 93

Arbeits- & SozialrechtSchadenersatz wegen Gehaltseinbußen R 93

Frage nach der Schwerbehinderung im bestehendenArbeitsverhältnis R 94

Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung des beiMutterschutz weitergezahlten Arbeitsentgelts R 94

Europa-PraxisDoppelte Nichtbesteuerung – Konsultation eingeleitet R 95

Europäische Stiftung: Kommission veröffentlichtVerordnungsvorschlag R 95

Europäische Kommission lässt ACTA-Abkommenüberprüfen R 95

Rechtsprechungsstatistik: Taktzahl bei den europäi-schen Gerichten nimmt zu R 96

Wirtschafts-PraxisRückläufige Entwicklung von Innovationen im Mittel-stand R 96

Zeitschriftenspiegel R 97

Buchbesprechung R 98

Süß/Wachter (Hrsg.), Handbuch des internationalenGmbH-Rechts, 2. Auflage (Dr. Roman Jordans) R 98

Roth/Altmeppen, Gesetz betreffend die Gesellschaftenmit beschränkter Haftung: GmbHG, 7. Auflage R 99

TagungshinweiseZertifikatskurs „Konsolidierung“ – Intensivfortbildungzur Konzernrechnungslegung R 99

Impressum R 100

Dieser Ausgabe liegen folgende Prospekte bei: „Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung“; „Roth, Insolvenzsteuerrecht“ und „Obermüller,Insolvenzrecht in der Bankpraxis“, Verlag Dr. Otto Schmidt.Wir bitten unsere Leser um freundliche Beachtung.

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UnternehmensrechtDr. Stephan Ulrich, Rechtsanwalt,Simmons & Simmons, Düsseldorf

Haftung bei nicht offengelegterwirtschaftlicher NeugründungDie wirtschaftliche Neugründung von „schlafenden“ oder Vor-rats-Gesellschaften ist für die Unternehmenspraxis ein gerngenutzter Weg –weil kosten- und zeiteffizient–, um neue Un-ternehmungen gesellschaftsrechtlich in die Tat umzusetzen.

Da die „Wiederbelebung“ des zuvor ungenutzten GmbH-Mantels oder der eingekauften Vorrats-GmbH (so bereitsBGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = GmbHR2003, 227 m. Komm. Peetz) wirtschaftlich einer Neugründunggleichkommt, gelten für die Anmeldung zum Handelsregisterbesondere Erfordernisse: Die wirtschaftliche Neugründungmuss gegenüber dem Register offengelegt werden, der Ge-schäftsführer muss versichern, dass das Stammkapital volleingezahlt und zu seiner freien Verfügung vorhanden ist, unddie Gesellschafter haften dafür, dass das satzungsmäßigeStammkapital der Gesellschaft im Zeitpunkt der Anmeldung„aufgefüllt“ ist.

Die Haftung für die „Auffüllung“ des Stammkapitals ist eineUnterbilanzhaftung der Gesellschafter, vergleichbar zum Sze-nario während der Neugründung. Aber in welcher Höhe wirdim Falle der unterbliebenen Offenlegung gehaftet?

Diese Frage war bisher umstritten, aber nun scheint Klärungin Sicht zu sein: Denn mit Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10 (BGH-Pressemitteilung Nr.30/2012) hat der BGH entschieden, dassdie unterlassene Offenlegung der wirtschaftlichen Neugrün-dung ebenfalls zu einer Unterbilanzhaftung der Gesellschaf-ter führen kann – nämlich dann, wenn im Zeitpunkt der wirt-schaftlichen Neugründung eine Deckungslücke zwischendem Vermögen der Gesellschaft und dem satzungsmäßigenStammkapital bestanden hat, was durch die unterbliebeneOffenlegung dem Registergericht nicht bekannt gewordenist. Vorher war vertreten worden, dass die unterlassene Offen-legung eine unbegrenzte Verlustdeckungshaftung auslöst.Diese Ansicht ist jetzt durch das BGH-Urteil entkräftet worden.

Derzeit ist nur die Pressemitteilung des Urteils verfügbar. Diegenaue Kommentierung bleibt der Veröffentlichung des ge-samten Urteilstexts vorbehalten, was unmittelbar nach sei-nem Vorliegen in dieser Zeitschrift erfolgen wird.

Haftung als Scheingesellschafter und nachAustritt aus einer Gesellschaft – woraufmüssen (ehemalige) Gesellschafter achten?Die unbeschränkte persönliche Haftung im Personengesell-schaftsrecht ist nicht mit dem Ausscheiden eines Gesell-schafters zu Ende. Sie kann vielmehr über den Austrittszeit-punkt hinauswirken – z.B. als Nachhaftung aus §736 Abs.2

BGB i.V.m. §160 HGB oder auch als Rechtsscheinhaftung. Injedem Fall ist für den austretenden Gesellschafter Vorsichtgeboten.

I. Nachhaftung

Für die Haftung über das Ende der Gesellschafterstellunghinaus ist vor allem relevant, wann die Verbindlichkeit, wegender die Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters be-gehrt wird, entstanden ist. §160 Abs.1 S.1 HGB spricht vonden „bis dahin begründeten Verbindlichkeiten“ der Gesell-schaft. Aber wann genau gilt eine Verbindlichkeit als begrün-det?

Besonders bei außervertraglichen Verbindlichkeiten ist ein„Anknüpfungszeitpunkt“ nicht leicht erkennbar. Besondersschwierig dürfte das etwa bei der Geltendmachung von be-reicherungsrechtlichen Ansprüchen sein (insbesondere ge-mäß §812 Abs.1 S.1 Var.1 BGB – hier hat von Anfang an garkein Rechtsgrund bestanden). Der BGH hat für die Haftungdes ausgeschiedenen GbR-Gesellschafters für eine irrtüm-lich doppelt geleisteten Zahlung nicht auf den Zeitpunkt desVertragsabschlusses abgestellt (BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10). Der Vertrag sei nämlich nicht die Grundlage dafür, dassirrtümlicherweise mehrfach auf die in ihm begründeten Ver-bindlichkeiten geleistet würde.

II. „Altverbindlichkeit“ ja oder nein?

Damit war in dem vorliegenden Fall die geforderte Zahlungim Wege der Leistungskondiktion keine „Altverbindlichkeit“,für die der ausgeschiedene Gesellschafter über §736 Abs.2BGB i.V.m. §160 HGB hätte haften müssen. Das sind, wie derII. Senat ausdrücklich erwähnt, nämlich nur „Schuldverpflich-tungen, deren Rechtsgrundlage bis zum Ausscheiden gelegtworden ist, auch wenn die einzelnen Verpflichtungen erstspäter fällig werden“ (BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, Rz.14,mit Verweis auf frühere Entscheidungen).

III. Ausgeschiedener muss Rechtsschein seiner

eigenen Haftung aktiv zerstören

Neben der gesetzlichen Nachhaftung besteht für ehemaligeGesellschafter noch eine weitere mögliche Haftungsfalle: dieRechtsscheinhaftung. Der Rechtsverkehr –also alle Außen-stehenden, die potentiell mit der Gesellschaft in Kontakt kom-men könnten– muss erkennen und erkennen können, dasseiner der Gesellschafter ausgeschieden ist. Anderenfalls haf-tet der Ausgeschiedene im schlimmsten Fall als sog.„Scheingesellschafter“ für die von der Gesellschaft begründe-ten Verbindlichkeiten weiter mit (und zwar weiter persönlichund unbeschränkt). Dabei kommt es nicht darauf an, ob derAusgeschiedene diesen Rechtsschein selbst setzt. Wird derSchein beispielsweise durch die Gesellschaft selbst gesetzt–etwa durch Verwendung von „altem“ Briefpapier, auf demder Ausgeschiedene immer noch als Gesellschafter ver-merkt ist– entsteht die Haftung gleichermaßen, wenn der Be-troffene nicht gegen diese Umstände vorgeht. In dem obenerwähnten Urteil hat der II. Senat des BGH hierfür Anforderun-gen vorgegeben, die in der Praxis recht aufwändig sind: Esgenügt nicht, dass der Ausgeschiedene die haftungsbegrün-denden Umstände nur ausdrücklich untersagt. Er muss statt-dessen – im Rahmen des ihm Zumutbaren und natürlich

7/2012 R89

des ihm Erkennbaren– selbst aktiv werden und den Rechts-schein zerstören. Im Fall des oben erwähnten Briefpapierskönnte dies dann z.B. dadurch erreicht werden, dass der Aus-geschiedene selbst die Empfänger des Briefs darüber infor-miert, dass er gar nicht mehr Gesellschafter ist.

IV. Fazit

Auch nach dem Austritt aus einer Personengesellschaft ist al-so Vorsicht geboten. Wendet der ehemalige Gesellschafterder Gesellschaft einfach komplett den Rücken zu und ver-folgt ihr Handeln nicht weiter, kann das zu teuren Überra-schungen führen.

„Auslegung I“: Change of Control-Klauseln inGesellschaftsverträgenBei Gesellschaften mit einem überschaubaren Gesellschaf-terkreis wie GmbHs oder Personengesellschaften findensich in Gesellschaftsverträgen oft sog. „Change of Control-Klauseln“. Sie sollen verhindern, dass die Gesellschaft durcheinen Kontrollwechsel bei einem ihrer Gesellschafter „über-fremdet“.

Die Formulierung sollte dabei so ausdrücklich und exakt wiemöglich gewählt werden. Kommt es auf die Stimmenmehr-heit oder die Kapitalmehrheit an? Ist ein Übergang der Kon-trolle von einem Gesellschafter auf einen anderen erforder-lich oder reicht ein Kontrollverlust? Sind auch Mehrheitsbetei-ligungen an Gesellschaften auf einer höheren Stufe im Kon-zern einer Partei umfasst? Welcher Zeitpunkt ist relevant undwas für Rechtsfolgen sollen eintreten? Alle diese Punkte soll-ten in der Klausel geregelt werden, um Zweifelsfragen bei derAuslegung zu vermeiden.

Das OLG Koblenz hat mit Urt. v. 3.11.2011 – 6 U 49/11 (abzu-rufen unter „www.gmbhr.de/volltexte.html“) in diesem Zusam-menhang darauf hingewiesen, dass die Klausel im Zweifelnach den gängigen Maßstäben auszulegen ist: so nah amWille des Erklärenden wie möglich, anhand von Zweck, Inte-ressenlage und Begleitumständen der Parteien im Zeitpunktdes Abschlusses der Klausel.

Für die Auslegung von Gesellschaftsverträgen gilt generell:Je weiter die Gesellschaft von dem Bestand ihrer Mitgliederverselbständigt ist, desto objektiver muss auch der Maßstabfür die Auslegung sein. Bei Personengesellschaften kannman in aller Regel auf den Willen der Beteiligten und ihr indi-viduelles Verständnis abstellen. Publikums-Personengesell-schaften und Kapitalgesellschaften sind von ihrem Gesell-schafterbestand hingegen so unabhängig, dass bei ihnender Auslegungsmaßstab objektiv sein muss. Ausnahmenkönnen nur dann gelten, wenn der Gesellschafterbestandseit der Gründung unverändert geblieben ist und die Gesell-schaft daher noch als „verfestigter und verselbständigter“ Wil-le der Gründer angesehen werden kann (zu all dem Buschein Münch.Komm.BGB, 6.Aufl. 2012, §133 Rz.39).

Dabei besteht immer das Risiko, dass einzelne Aspekte imErnstfall nicht hinreichend erforscht und aufgeklärt werdenkönnen. Dann wird der entscheidende Richter regelmäßig

eine objektive Auslegung des Wortlauts vornehmen, die viel-leicht nicht immer dem entspricht, was die Parteien sich ei-gentlich darunter vorgestellt, aber nicht hinreichend zum Aus-druck gebracht haben.

„Auslegung II“: Rangrücktrittserklärungen –durch Auslegung zurück zum alten Recht?Im Gegensatz zu Gesellschaftsverträgen von Kapitalgesell-schaften (näheres hierzu in „Auslegung I“, vorstehend abge-druckt) orientiert sich die Auslegung von Rangrücktrittserklä-rungen immer in erster Linie am Willen der Beteiligten.

Der Rangrücktritt ist eine Vereinbarung zwischen der Gesell-schaft und ihrem Gesellschafter: Der forderungsinhabendeGesellschafter erklärt sich bereit, im Insolvenzfall mit seinemAnspruch im Rang hinter die Ansprüche anderer Gläubigerzurückzutreten (Selzner/Leuering in Römermann,Münch.Hdb. zum GmbH-Recht, 2.Aufl. 2009, §7 Rz.120 ff.,m.w.N.). Diesen Willen bringt der Gesellschafter in seiner Er-klärung gegenüber der Gesellschaft zum Ausdruck, auchwenn sie wirtschaftlich natürlich in erster Linie den Drittgläubi-gern zugute kommt, deren Forderungen dadurch im Krisen-fall (möglicherweise) etwas sicherer werden.

Was hat der Gesellschafter mit einer bestimmten Formulie-rung zum Ausdruck bringen wollen? Warum wurden gewisseAspekte nicht ausdrücklich geregelt und was würde manwollen, wenn man gewisse andere Aspekte auch bedachthätte? Solche Fragen stellen sich bei Rangrücktrittserklärun-gen dann, wenn tatsächlich eine Inanspruchnahme droht.

Ausgangspunkt der Auslegung von Rangrücktrittserklärun-gen ist –wie bei den Gesellschaftsverträgen im Personenge-sellschaftsrecht– der Wille des/der Erklärenden (§133 BGB),mit Rücksicht auf Treu und Glauben und die Verkehrssitte(§157 BGB): Was hätten die Parteien vereinbart, wenn sie dieRegelungslücke hätten schließen wollen? Dafür muss derWille bzw. mutmaßliche Wille der Erklärenden so gut wiemöglich ermittelt werden (instruktiv hierzu BGH v. 25.11.2004– I ZR 49/02, NJW-RR 2005, 687, m.w.N.). Das kann bedeuten,dass Begleitumstände der Erklärung herangezogen undanalysiert werden, aber auch, dass auf den Willen oder dasVerhalten eines „objektiven Dritten“ abgestellt wird, sofernüberhaupt keine Anknüpfungspunkte für den individuellenWillen des Erklärenden vorhanden (und beweisbar) sind.

Bei Rangrücktritten, die vor 2008 erklärt wurden, besteht dieBesonderheit, dass sie wegen der seit Einführung des Mo-MiG klaren Rechtslage zum Passivierungsverbot je nach For-mulierung andere Rechtsfolgen vorsehen können, so dassihre Bedeutung unter der neuen Rechtslage zu ermitteln ist.Das OLG Koblenz hat klargestellt, dass generell die vor demMoMiG geltende Rechtslage auch nicht „auf dem Umwegüber §242 BGB“ durch eine entsprechende Auslegung wie-der hergestellt werden darf (OLG Koblenz v. 15.12.2011 – 309/11, abzurufen unter „www.gmbhr.de/volltexte.html“). Im Einzel-fall muss stattdessen geklärt werden, was die Parteien erklärthätten, wenn sie von den Änderungen durch das MoMiG ge-wusst hätten. Wenn Sonderregelungen für Altfälle im Gesetz

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stehen, gelten natürlich diese. Ansonsten kann auch die Aus-legung nicht zwingendes geltendes Recht aushebeln.

Im Streitfall werden die Gerichte entscheiden. Wie nah die Er-klärung an dem ist, was der Erklärende tatsächlich gewollthätte, hängt vom ihrem Wortlaut und der Beweislage im Ein-zelfall ab.

Treu und Glauben steht Kündigung wegenFormunwirksamkeit nicht entgegenJeder Berater kennt die Mühen, die die Wahrung des gesetz-lichen Schriftformerfordernisses für Miet- oder Nutzungsver-träge mit sich bringt. Wird ein Mietvertrag für längere Zeit alsein Jahr nicht entsprechend dem Schriftformerfordernis ab-geschlossen, gilt er nach §550 S.1 BGB als auf unbestimmteZeit geschlossen. Gekündigt werden kann der Vertrag danngrundsätzlich jederzeit zum Ablauf des jeweils nächstenQuartals gemäß §580a Abs.2 BGB.

Auf die Frage, welche praktischen Anforderungen sich ausdem Schriftformerfordernis im Einzelnen ergeben, soll hiernicht näher eingegangen werden (dazu statt vieler Disput,ZMR 2010, 827, m.w.N.). In der Praxis ist bekannt, dass einigeformale Hürden zu überwinden sind, um z.B. einen bestehen-den langfristigen Mietvertrag zu ändern oder zu übertragen.Nur wenn sich die Einigung der Parteien über alle wesent-lichen Teile der Vereinbarung aus einer von beiden unter-zeichneten Urkunde ergibt, gelten diese Anforderungen alsgewahrt (hierzu z.B. BGH v. 9.4.2008 – XII ZR 89/06, NJW2008, 2181).

Ist klar, dass ein Verstoß gegen die gesetzliche Schriftformvorliegt, hilft kaum etwas. Das OLG Düsseldorf hat in seinemUrt. v. 23.1.2012 – I-10 U 66/11 festgestellt, dass sich die Par-teien eines formunwirksamen Mietvertrags nicht dadurch ih-rer Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung begeben,weil sie den pflichtwidrigen Zustand vorher über längere Zeithingenommen haben. Die Kündigungsmöglichkeit bleibtbestehen, und sie ist auch nach langer Zeit nicht etwa als ve-nire contra factum proprium anzusehen. Kommt es zu einerKündigung wegen Verletzung der Formerfordernisse, bleibtder anderen Partei also die Berufung auf einen Verstoß ge-gen §242 BGB (Treu und Glauben) verwehrt.

Allerdings stellt das OLG unter Verweis auf einige BGH-Ent-scheidungen (u.a. BGH v. 9.4.2008 – XII ZR 89/06, NJW 2008,2181; v. 25.7.2007 – XII ZR 143/05, NJW 2007, 3202) klar, dassdieser Einwand in Ausnahmefällen, etwa bei der schuldhaf-ten Vereitelung der Einhaltung der Schriftform oder sonsteinem besonders schweren Treuepflichtverstoß, ausnahms-weise doch greifen kann. Darüber hinaus ist es auch treuwid-rig, nach Vertragsschluss eine ergänzende Abrede zu treffen,die nicht die schriftliche Form wahrt, nur um diese dann zumAnlass nehmen zu können, sich von einem lästig geworde-nen Mietvertrag zu lösen (BGH v. 19.9.2007 – XII ZR 198/05,NJW 2008, 365). Dass auch eine salvatorische Klausel in die-sem Fall einer ordentlichen Kündigung aufgrund der gesetz-lich vorgesehenen Möglichkeit des §550 S.1 BGB nicht wei-terhilft, ist verständlich.

Schadensersatz bei Wegfall von Steuervor-teilenDie höchstrichterliche Rechtsprechung geht eher restriktivmit der Anerkennung von steuerlichen Vorteilen um, dieeinem Geschädigten entgangen sind (vgl. BGH v. 16.6.2008– VII ZR 215/06, NJW 2008, 2773; dazu auch Langheim/Stän-zel, BB 2008, 2373). Die BGH-Rechtsprechung beruht auf derVermutung, dass sich in solchen Fällen die Verlustzuweisun-gen, die das zu versteuernde Einkommen senken, und dieSchadensersatzleistung, die das zu versteuernde Einkom-men erhöhen, ungefähr entsprechen und man daher unterBilligkeitsgesichtspunkten eine konkrete Berechnung nichtvornehmen muss. Mit Urt. v. 23.1.2012 – 23 U 114/10 hat nundas OLG Frankfurt a.M. in Kenntnis der bisherigen BGH-Rechtsprechung zu dieser Thematik einen Ausnahmefallentschieden: Hier stand der seinerzeit in eine GmbH& Co.KG geleisteten Einlage eine erheblich darüber liegende an-fängliche Verlustzuweisung gegenüber.

Diese Konstellation war nach Ansicht des OLG dem Fall ver-gleichbar, den auch die BGH-Rechtsprechung als außerge-wöhnlichen Vorteil anerkennt: Die Vermutung des BGH, dasssich Steuerschaden und Schadensersatz entsprechen, solldann nicht mehr gelten, wenn die Verlustzuweisungen bezo-gen auf den Anlagenbetrag die 100%-Grenze überschreiten.Dann soll nach Ansicht des BGH stattdessen doch wiedereine konkrete Berechnung möglich sein.

Geschädigte sind vor dem Hintergrund dieses Urteils gut be-raten, „ihren“ Fall noch einmal genau schadensrechtlich zuprüfen.

Beteiligung von Private Equity-Investoren anFamilienunternehmen und CorporateGovernanceIn der Reihe Family Business ist, hrsg. von Prof. Dr. Sabine B.Klein u.a., ein interessantes Buch erschienen, das für im Mid-cap-Bereich tätige Finanzinvestoren aber auch gerade für Fa-milienunternehmer, die mit dem Gedanken an die Veräuße-rung ihres Unternehmens oder der Beteiligung eines Finanz-investors spielen, sehr zu Lektüre empfohlen sei (Dr. MarkusHehn, Auswirkungen der Beteiligung von Private Equity Ge-sellschaften auf die Governance von Familienunternehmenin Deutschland, EUL Verlag, 2011).

Dr. Markus Hehn analysiert die Auswirkungen, die die Beteili-gung eines Finanzinvestors auf das Kontroll- oder Aufsichts-gremium des Unternehmens nach sich ziehen kann. Funk-tion und Zusammensetzung des Beirats ändern sich durchden Beitritt eines Finanzinvestors erheblich; grundsätzlichkonnte ein Übergang von der Stewardship Theory zur Princi-pal-Agency-Theorie festgestellt werden. Es erfolgt ein Wech-sel von einem eher vertrauensbasierten Beratungsgremiumzu einem auch Konflikte nicht scheuendem Kontrollorgan.Die Hintergründe dieser Veränderung und deren Konse-quenzen werden in dem Buch anschaulich dargestellt undanalysiert.

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Besonders hervorgehoben seien die Fallstudien, die insbe-sondere jedem Familienunternehmer, der sich mit Überle-gungen zur Veräußerung trägt, zu Lektüre empfohlen sind.Das Buch schließt mit einer Liste von Handlungsempfehlun-gen an Familienunternehmer, Beiratsmitglieder und Finanzin-vestoren. Die dort genannten Punkte sollten zum Handwerks-zeug eines jeden gehören, der mit so einem Projekt befasstist. Würden diese Punkte in der Praxis stets genügend beach-tet, könnten viele Missverständnisse und Unterbrechungenin den Veräußerungsprozessen verhindert werden.

Steuer- & BilanzrechtRedaktion GmbH-Rundschau, Köln

Referentenentwurf einesJahressteuergesetzes 2013Das BMF hat den Referentenentwurf eines Jahressteuerge-setzes 2013 (JStG 2013) v. 5.3.2012 veröffentlicht. Wie üblichhandelt es sich um ein „Omnibusgesetz“ mit einer Vielzahlnicht oder nur sehr lose zusammenhängender Regelungen.Der Kabinettsbeschluss zum JStG 2013 ist für den 25.4.2012vorgesehen. Aus der Fülle der Themen sind im Folgendendiese herauszustellen:

1. Schaffung eines EU-Amtshilfegesetzes (EUAHiG) und da-mit Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie zum Austauschvon „voraussichtlich erheblichen“ Informationen in Steuer-sachen zwischen den Mitgliedstaaten.

2. Anpassung steuergesetzlicher Regelungen an die neu ge-fasste sog. Mutter-Tochter-Richtlinie v. 30.11.2011 durch Än-derung von §43b EStG, Anlage 2 zum EStG, §8b Abs.9und §34 Abs.7 KStG sowie §9 Nr.4 GewStG.

3. Änderung des Umsatzsteuergesetzes in §3a Abs.2 u. 3UStG (Ort der sonstigen Leistung), §4 UStG (Schul- und Bil-dungsleistungen/Veranstaltungen), §13b UStG ausländi-scher Unternehmer) sowie §§14, 14a UStG (Rechnungs-stellungsvorschriften), §15 UStG (Vorsteuer aus innerge-meinschaftlichem Erwerb), mitunter zur fristgerechten Um-setzung diesbezüglicher Änderungen der MWStSystRL.

4. Änderung des Außensteuergesetzes zur Aufnahme des„Authorized OECD Approach“ in §1 Abs.5 AStG n.F. sowiezur klarstellenden Einbeziehung auch von Sachverhaltenunter Beteiligung von Personengesellschaften und Mitun-ternehmerschaften (§1 Abs.1 S. 2 AStG n.F.).

5. Nachteilsausgleich bei privater Nutzung betrieblicherElektrofahrzeuge im EStG („Regierungsprogramm Elektro-mobilität“).

6. Verfahrensvereinfachung für Arbeitnehmer und Verwaltungdurch Einführung einer Antragsmöglichkeit, im Lohnsteu-erabzugsverfahren zu berücksichtigende Freibeträge aufzwei Jahre zu verlängern.

Steuerpflicht von Erstattungszinsen bei derKörperschaftsteuerDer BFH hat in seinem Beschl. v. 15.2.2012 – I B 97/11 übereine Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich der Steuer-pflicht von Erstattungszinsen gemäß §233a AO im Rahmender Körperschaftsteuer entschieden. Das Finanzamt setztegegenüber der Klägerin, einer GmbH, für die Streitjahre (2002und 2004) Nachforderungs- und Aussetzungszinsen gemäߧ§233a, 237 AO i.H.v. 72.098a (2002) und 70.612,44a (2004)fest und rechnete die Zinsen als nicht abziehbare Aufwen-dungen gemäß §10 Nr.2 KStG 2002 dem Einkommen derKlägerin wieder hinzu. Nach den Erläuterungen der Klägerinim Klageverfahren betreffen die Zinsen im Wesentlichen dieKörperschaftsteueransprüche 1981 bis 1986. Für das Streit-jahr 2002 ergaben sich zudem Erstattungszinsen i.H.v.3.590,49a, die nach Ansicht des Finanzamts gleichfalls dasEinkommen der Klägerin erhöhen. Einspruch, Klage undNichtzulassungsbeschwerde blieben ohne Erfolg. Der BFHließ die Revision nicht zu. Nachzahlungs- und Aussetzungs-zinsen gehörten nach §10 Nr.2 KStG 2002 zu den nicht ab-ziehbaren Aufwendungen und minderten deshalb auchnicht die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer. Zin-sen auf erstattete Körperschaftsteuerzahlungen (sog. Erstat-tungszinsen) erhöhten das Einkommen der Kapitalgesell-schaften. Die geänderte Rechtsprechung des BFH (BFH v.15.6.2010 – VIII R 33/07, BStBl. II 2011, 503), nach der – für dieRechtslage vor Inkrafttreten des JStG 2010 v. 8.12.2010 (BGBl.I 2010, 1768)– auf die Festsetzung von Einkommensteuerentfallende Erstattungszinsen nicht der Einkommensteuerunterlägen, sei auf die Einkommensermittlung von Kapitalge-sellschaften, die über keine außerbetriebliche Sphäre verfüg-ten, nicht übertragbar.

Schlussurteil zur Geschäftsveräußerung imGanzen nach dem EuGH-Urteil „Schriever“Nach §1 Abs.1a S.1 UStG unterliegen die Umsätze im Rah-men einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unter-nehmer für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer.Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmenoder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondertgeführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlichübereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird (§1Abs.1a S.2 UStG). Der erwerbende Unternehmer tritt an dieStelle des Veräußerers (§1 Abs.1a S.3 UStG). Der EuGH hatim Urt. v. 10.11.2011 – Rs.C-444/10 – Schriever entschieden,die unionsrechtliche Regelung, die §1 Abs.1a UStG zugrun-de liege, enthalte folgende Vorgaben: Art.5 Abs.8 der Sechs-ten Richtlinie sei dahin auszulegen, dass die Übereignungdes Warenbestands und der Geschäftsausstattung einesEinzelhandelsgeschäfts unter gleichzeitiger Vermietung desLadenlokals an den Erwerber auf unbestimmte Zeit, aller-dings aufgrund eines von beiden Parteien kurzfristig kündba-ren Vertrags, eine Übertragung eines Gesamt- oder Teilver-mögens im Sinne dieser Bestimmung darstelle, sofern dieübertragenen Sachen hinreichten, damit der Erwerber eine

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Fortsetzung auf Seite R93

103. JahrgangHeft 7/2012Seite 365

Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider / Dr. Sven H. Schneider, LL.M.*

Die persönliche Haftung der GmbH-Gesellschafter bei Überlassung derGeschäftsführung an Personen, die nicht Geschäftsführer sein können

– Ein Beitrag zu § 6 Abs. 5 GmbHG –

* Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider ist Direktor des Instituts fürdeutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kredit-wesens an der Universität Mainz; Dr. Sven H. Schneider, LL.M.ist Rechtsanwalt und Partner von HengelerMueller, Rechtsan-wälte, Frankfurt a. M.

§ 6 Abs. 5 GmbHG, eingeführt durch das MoMiG, begrün-det einen Fall der persönlichen Haftung der GmbH-Ge-sellschafter. Die Gesellschafter haften gegenüber der Ge-sellschaft, wenn sie einer Person, die nicht Geschäftsfüh-rer sein kann, die Führung der Geschäfte überlassen. Die-ser Beitrag geht Sinn und Zweck dieser Haftung nach, un-tersucht die Voraussetzungen der Haftung und bestimmtden der Gesellschaft zu ersetzenden Schaden.

I. Die Ausgangslage

§ 6 Abs. 2 GmbHG enthält eine Liste von gesetzlichenAusschlussgründen, die dazu führen, dass derjenige, indessen Person die Voraussetzungen gegeben sind, nichtzum Geschäftsführer bestellt werden kann. Zu diesen Aus-schlussgründen gehört etwa, dass die Person wegen Insol-venzverschleppung oder wegen einer in den §§ 283 – 283dStGB geregelten Insolvenzstraftaten verurteilt worden ist.Liegt ein solcher Ausschlussgrund vor, ist die Person „in-habil“, so ist die Bestellung unwirksam.1

1 Begr.RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 31; BGH v. 1.7.1991 – II ZR292/90, BGHZ 115, 78 (80) = GmbHR 1991, 358; OLG Düssel-dorf v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, GmbHR 1994, 114; KG Berlin v.19.10.2011 – 25 W 35/11, GmbHR 2012, 91; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 23; Tebben inMichalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 23, 89; Goette, DStR1998, 939 ff.; Drygala, ZIP 2005, 423 (428).

Tritt der Aus-schlussgrund erst nachträglich ein, so verliert der Ge-schäftsführer zu diesem Zeitpunkt automatisch sein Amt.2

2 BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78 (80) = GmbHR1991, 358; OLG Düsseldorf v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, GmbHR1994, 114; OLG München v. 3.3.2011 – 31 Wx 51/11, GmbHR2011, 430; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl.2012, § 6 Rz. 23.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass dieses Verbot in unter-schiedlicher Weise umgangen wird. So werden Geschäfts-führer bestellt, bei denen zwar ein solcher Ausschluss-grund nicht besteht. Sie treten im Außenverhältnis aber nurals Strohmann auf. Im Hintergrund aber handelt eine Per-

son, die inhabil ist; soll heißen, bei der ein gesetzlicherAusschlussgrund nach § 6 Abs. 2 GmbHG besteht. Ihr istdie Führung der Geschäfte überlassen. Im Blick hieraufwar bereits im Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung vonWerkunternehmenansprüchen und zur verbessertenDurchsetzung von Forderungen (FoSiG) v. 2.2.20063

3 BT-Drucks. 16/511.

eineBinnenhaftung der Gesellschafter vorgesehen. Vorgesehenwar eine persönliche Haftung der Gesellschafter, die eineinhabile Person zum Geschäftsführer bestellen oder sienicht abberufen oder ihr tatsächlich die Führung der Ge-schäfte überlassen. Der Vorschlag wurde zunächst nichtGesetz.

Im Regierungsentwurf des MoMiG v. 25.7.20074

4 BT-Drucks. 16/6140.

wurdeder Vorschlag wieder aufgenommen, aber mit der Begrün-dung, hierdurch würde die Gesetzessystematik durchbro-chen, verworfen. Die Gesellschafter seien grundsätzlichnicht für einen Schaden verantwortlich, den sie innerhalbder Grenzen der Kapitalerhaltungsregeln und nach § 826BGB der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zufügen.Eine weitergehende Haftung der Gesellschafter sei nichteffektiv. Der Bundesrat betonte dagegen in seiner Stellung-nahme zum Regierungsentwurf5

5 BT-Drucks. 16/6140, S. 61.

die Notwendigkeit dieserHaftungsnorm; denn es gelte eine Umgehung der Aus-schlusstatbestände durch die Einschaltung eines Stroh-mannes zu verhindern.

Auf diese Weise wurde § 6 Abs. 5 GmbHG und damit diepersönliche Haftung der Gesellschafter zum Gesetz. Aller-dings wurde der Wortlaut der Vorschrift im Vergleich zudem ursprünglichen Vorschlag im FoSiG gestrafft. Und alsZiel der Vorschrift wird erläutert, es gelte missbräuchlicheGmbH-Bestattungen zu verhindern bzw. zu sanktionieren.

II. Die Regel

Die allgemeine Regel lautet: Die Gesellschafter haften ge-genüber den Gläubigern der Gesellschaft nicht für die Ver-bindlichkeiten der Gesellschaft. Die Gesellschafter haftenauch nicht gegenüber der Gesellschaft für Weisungen andie Geschäftsführer, die sich als fehlerhaft erweisen und

bei der Gesellschaft zu Schaden führen.6

6 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 278 = GmbHR1960, 43 u. 63 m. Anm. Pleyer; v. 15.10.1973 – II ZR 149/71,BGHZ 61, 338 = GmbHR 1974, 132 (LS); Uwe H. Schneider inScholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 119, m.w.N.

Den Gesellschaf-tern obliegt ferner weder gegenüber der Gesellschaft nochgegenüber Dritten die Pflicht, Geschäftsführer zu bestel-len. Wenn sie aber Geschäftsführer bestellen, so obliegt ih-nen keine Pflicht zuverlässige und geeignete Geschäfts-führer zu bestellen. Sie sind endlich nicht verpflichtet, un-geeignete Geschäftsführer abzuberufen.

Dies hat auch Folgen für die Haftung: Die Gesellschafterhaften nicht, wenn sie einen unzuverlässigen und / oderfachlich nicht geeigneten Geschäftsführer bestellen, dieserseine Leitungspflichten verletzt und hierdurch der Gesell-schaft oder Dritten Schaden entsteht. Sie haften fernernicht, wenn sie einen unzuverlässigen oder ungeeignetenGeschäftsführer nicht abberufen und der betreffende Ge-schäftsführer Schaden verursacht. Die Grenze bildet § 826BGB. So lautet jedenfalls die allgemeine Regel.

III. § 6 Abs. 5 GmbHG – ein eigenständigerHaftungstatbestand

Dieser allgemeine Grundsatz wird sowohl in der Außen-haftung etwa durch die Durchgriffshaftung7

7 Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 13Rz. 11, m.w.N.

und in der In-nenhaftung etwa durch die Haftung aus Existenzvernich-tung8

8 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, BGHZ 173, 246 =GmbHR 2007, 927 m. Komm. Schröder; Lutter in Lutter/Hom-melhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 13 Rz. 28, 32, m.w.N.

durchbrochen. Der Grundsatz der Haftungstrennungim Innenverhältnis wird auch durch § 6 Abs. 5 GmbHGeingeschränkt. Die Vorschrift begründet einen eigenenHaftungstatbestand allerdings nur im Verhältnis zur Ge-sellschaft.9

9 Dafür schon Hirte, ZInsO 2003, 833 (838); Haas, GmbHR 2006,729 (734); Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl.2012, § 6 Rz. 28; Pfisterer in Saenger/Inhester, GmbHG, 2011,§ 6 Rz. 29; dagegen Drygala, ZIP 2005, 423 (430).

Vorgesehen ist somit ein Fall der Innenhaf-tung der Gesellschafter. § 6 Abs. 5 GmbHG ergänzt damit§ 43 Abs. 2 GmbHG, nämlich einen Fall der Innenhaftungder Geschäftsführer. § 6 Abs. 5 GmbHG begründet aberkeine Außenhaftung, also keine Haftung im Verhältnis zuDritten. Die Innenhaftung dient jedoch nicht zuvörderstdem allgemeinen Schutz des Vermögens der GmbH.10

10 So aber wohl Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl.2012, § 6 Rz. 30.

Esgeht nicht um eine Haftung für „geschäftliche Fehlent-scheidungen“. Sie hat vielmehr vor allem gläubigerschüt-zende Wirkung.11

11 BR-Drucks. 354/07, S. 10.

Es handelt sich „um eine die Kapitaler-haltungsinteressen stärkende Haftung der Gesellschaf-ter“12

12 BR-Drucks. 354/07, S. 10.

aufgrund eines Auswahlverschuldens.

Diese Zweckrichtung hat höchst praktische Bedeutung,nämlich, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, beirechtmäßigen Weisungen der Gesellschafter und bei Ver-letzung von Loyalitätspflichten durch den inhabilen Ge-schäftsführer.

Die Haftung ist nicht subsidiär. Haftet zugleich der inhabi-le faktische Geschäftsführer, so tritt die Haftung der Ge-sellschafter nicht hinter der Haftung der Geschäftsführerzurück.

IV. Haftende Gesellschafter

1. Haftung der Gesellschafter

Voraussetzung für eine Haftung ist, dass die Gesellschaftereiner inhabilen Person die Führung der Geschäfte überlas-sen.

Haftende Gesellschafter können natürliche Personen sein,Mehrheitsgesellschafter, Minderheitsgesellschafter13

13 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 6Rz. 30; Schäfer in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 6 Rz. 21; a.A.Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Erg.-BandMoMiG, 2010, § 6 Rz. 19.

un-abhängig von der Höhe der Beteiligung, konzernfreie Ge-sellschafter oder Konzernunternehmen. Jeder Gesellschaf-ter kann somit in die Haftung geraten. Voraussetzung istnur, dass der Gesellschafter an der Überlassung der Ge-schäftsführung aktiv mitwirkt oder ein Einschreiten inKenntnis der Amtsunfähigkeit und der Geschäftsführungunterlassen hat.

Schadensersatzpflichtig können auch Mitglieder des Auf-sichtsrats sein.14

14 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 6Rz. 34; Wicke, GmbHG, 2. Aufl. 2011, § 6 Rz. 22; Oetker inHenssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 6 GmbHG Rz. 64;Goette in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 6 Rz. 54; a.A. Paef-gen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Erg.-Band MoMiG,2010, § 6 Rz. 22; Tebben in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010,§ 6 Rz. 99.

Sie haften nach § 52 GmbHG i.V.m. § 116AktG. Diese Haftung kann jedoch bei der GmbH durch dieSatzung begrenzt werden. Dann gewinnt die Analogie zu§ 6 Abs. 5 GmbHG praktische Bedeutung; denn vomWortlaut des § 6 Abs. 5 GmbHG ist eine Haftung der Mit-glieder eines Aufsichtsrats nicht gedeckt. Eine analogeAnwendung ist jedoch gerechtfertigt, wenn der Aufsichts-rat für die Bestellung der Geschäftsführer zuständig ist under seinerseits die Führung der Geschäfte dem inhabilen Ge-schäftsführer überlässt. Davon geht auch die Regierungs-begründung zum MoMiG15

15 Begr.RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 33.

aus. Dort heißt es, die Auf-sichtsratsmitglieder verletzten bei der Bestellung oderdurch Gewährenlassen der Geschäftsführung einer amts-unfähigen Person ihre Pflichten und haften auf Schadener-satz. Dies gelte gemäß § 52 GmbHG auch für die GmbH.

2. Haftung des herrschenden Unternehmens

Zweifelhaft ist die Haftung des „Gesellschafters des Ge-sellschafters“, also die Haftung des nur mittelbar beteilig-ten Gesellschafters, zumal des herrschenden Unterneh-mens bei Abhängigkeit und im Konzern. An der Bestel-lung eines inhabilen Geschäftsführers wirkt der mittelbarbeteiligte Geschäftsführer nicht mit; denn er hat in der Ge-sellschafterversammlung kein Stimmrecht. Liegt aber derHaftungsgrund nicht in der Mitwirkung der Bestellungsondern in der Überlassung der Geschäftsführung, sospricht dies für eine Haftung auch des mittelbar beteiligtenGesellschafters. Das ist auch die herrschende Meinung.16

16 Ebenso Goette in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 6 Rz. 53;Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Erg.-Band Mo-MiG, 2010, § 6 Rz. 21; Wicke, GmbHG, 2. Aufl. 2011, § 6Rz. 22.

Offen beleibt dabei, ob für eine solche Haftung eineZwergbeteiligung ausreicht.

Führt man sich nochmals vor Augen, dass ein Gesellschaf-ter nur haftet, wenn er auf die Überlassung der Geschäfte

Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider / Dr. Sven H. Schneider, LL.M.

Persönliche Haftung der GmbH-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung

366 GmbHR 7/2012

Einfluss nehmen kann, so spricht dies dafür, dass auch dermittelbar beteiligte Gesellschafter nur haftet, wenn er übereine entsprechende Beteiligung und den damit begründe-ten Einfluss verfügt. Das gilt jedenfalls bei bestehenderAbhängigkeit und im Konzern. Im Konzern bedeutet dies,dass nach § 6 Abs. 5 GmbHG eine fehlerhafte konzernwei-te Personalpolitik zur Haftung des mittelbar beteiligtenherrschenden Unternehmens führen kann.

V. Führung der Geschäfte

1. § 6 Abs. 5 GmbHG knüpft den Anspruch auf Schadens-ersatz nicht an die Bestellung eines inhabilen Geschäfts-führers. Sie ist ohnehin unwirksam.17

17 Begr.RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 31; BGH v. 1.7.1991 – II ZR292/90, BGHZ 115, 78 (80) = GmbHR 1991, 358; OLG Düssel-dorf v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, GmbHR 1994, 114; KG Berlin v.19.10.2011 – 25 W 35/11, GmbHR 2012, 91; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 23; Tebben in Mi-chalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 23, 89; Pfisterer inSaenger/Inhester, GmbHG, 2011, § 6 Rz. 17; Goette, DStR1998, 939 ff.; Drygala, ZIP 2005, 423 (428).

Das allein genügtnicht. Ein Anspruch auf Schadensersatz der Gesellschaftentsteht vielmehr, wenn die Gesellschafter dem inhabilenGeschäftsführer die Führung der Geschäfte überlassen.Der Begriff „Überlassung der Führung der Geschäfte“ istdabei weit auszulegen. Die Überlassung kann durch positi-ves Tun oder durch Unterlassen erfolgen. In Betrachtkommt die Mitwirkung des Gesellschafters an dem Be-schluss zur Bestellung des inhabilen Geschäftsführers. Al-lerdings haftet in diesem Fall nur der Gesellschafter, derder Bestellung zugestimmt hat. Er haftet nicht, wenn er andem Beschluss nicht mitgewirkt, nicht zugestimmt oderwidersprochen hat.18

18 Ebenso Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Erg.-Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 20; a.A. Altmeppen in Roth/Alt-meppen, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 30; Römermann in Römermann/Wachter, GmbH-Beratung nach dem MoMiG, Sonderheft derGmbHR 2008, S. 62 (69).

An der Überlassung mitgewirkt hat aber auch ein Gesell-schafter, der zwar der Bestellung widersprochen hat, deraber in der Folge unter Vernachlässigung seiner Minder-heitenrechte und seines tatsächlichen Einflusses nicht allesunternommen hat, z.B. durch Einberufung der Gesell-schafterversammlung, um die Unternehmensleitung durchden inhabilen Geschäftsführer zu verhindern. Auch dergleichgültige Gesellschafter verletzt somit seine Pflichtendurch Unterlassen, wenn die anderen Gesellschafter eineninhabilen Geschäftsführer einsetzen,19

19 Ähnlich Goette in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 6 Rz. 53.

er aber nicht allesNotwendige unternimmt, um ein Tätigwerden des inhabi-len Geschäftsführers zu verhindern. Es fehlt nicht nur amVerschulden.20

20 So Schäfer in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 6 Rz. 21.

Dem erfolglosen Minderheitsgesellschaf-ter, der alles unternommen hat, um die Geschäftsführungdurch den inhabilen Dritten zu verhindern, werden aber dieschadensstiftenden Maßnahmen nicht zugerechnet. Er haf-tet nicht.

2. Die Überlassung der Geschäftsführung verlangt keinenformalen Bestellungsakt.21

21 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010,§ 6 Rz. 19; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Erg.-Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen,GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 28; Kleindiek in Lutter/Hom-melhof, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 6 Rz. 48; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 6 GmbHG Rz. 61; Goette in

Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 6 Rz. 51; Tebben in Michalski,GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 100; Pfisterer in Saenger/Inhes-ter, GmbHG, 2011, § 6 Rz. 30.

Daher ist auch nicht erforder-

lich, dass die inhabile Person als Geschäftsführer eingetra-gen ist oder als Geschäftsführer bezeichnet wird. Entschei-dend ist vielmehr, dass der inhabilen Person tatsächlichLeitungsaufgaben übertragen, überlassen sind oder derenWahrnehmung geduldet wird.22

22 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 6Rz. 28.

– Möglich ist daher, dass die Gesellschafter eine inhabilePerson mit der Leitung beauftragen und dass diese Per-son über die Maßnahmen entscheidet, sie umsetzt undim Außenverhältnis auftritt (1. Fallgruppe).

– Es genügt auch, dass die Gesellschafter die inhabile Per-son als Strohmann-Geschäftsführer bestellen und zurAusführung von Maßnahmen benutzen und sie ihrer-seits aber die Unternehmensleitung aus dem Hinter-grund steuern (2. Fallgruppe).

– Möglich ist, dass die amtsunfähige Person, z.B. derMehrheitsgesellschafter, mit Billigung der Mitgesell-schafter über die Maßnahmen der Geschäftsführung ent-scheidet, diese aber durch einen amtsfähigen Geschäfts-führer umgesetzt werden (3. Fallgruppe).23

23 Ebenso Schäfer in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 6 Rz. 19; Alt-meppen in Roth/Altmeppen, 7. Aufl 2012, § 6 Rz. 28; Pfistererin Saenger/Inhester, GmbHG, 2011, § 6 Rz. 30; a.A. Tebben inMichalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 101.

– Und es haften die Gesellschafter, die einen Geschäfts-führer, der inhabil geworden ist, und der deshalb seinAmt verloren hat, nicht an der weiteren Ausübung derGeschäftstätigkeit hindern (4. Fallgruppe).

Die Person, der die Geschäfte überlassen werden, mussdemnach nicht im Außenverhältnis auftreten. Ihr muss kei-ne rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilt sein. Organschaft-liche Vertretungsmacht hat der inhabile Dritte ohnehinnicht; denn eine Bestellung wäre unwirksam. Ist die inha-bile Person weisungsabhängiger leitender Angestellter, sosind ihr aber keine Geschäfte übertragen; denn verlangt isteine gewisse Selbständigkeit in der Entscheidungsbefug-nis.

Tritt die Amtsunfähigkeit erst nach der Übertragung derGeschäfte ein, so verliert ein bestellter Geschäftsführer au-tomatisch seine Organstellung. Unabhängig davon müssendie Gesellschafter nach Eintritt der Amtsunfähigkeit ein-schreiten, um eine weitere tatsächliche Geschäftsführungzu verhindern.24

24 Ebenso Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Erg.-Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 18.

3. Kein Überlassen der Geschäftsführung liegt vor, wenndie Gesellschafter keinen Geschäftsführer bestellen undsie auch sonst niemandem die Führung der Geschäfte über-tragen, also die Dinge hängen lassen. Entsprechend liegtkein Überlassen der Geschäftsführung vor, wenn die Ge-sellschafter einen Geschäftsführer abberufen, ohne einenneuen Geschäftsführer zu bestellen, und sie auch sonst dieGeschäftsführung keinem Dritten überlassen. Das Fehlenvon Bestellungspflichten mit der Folge einer führungslo-sen Gesellschaft mag zwar der gesetzlichen Intention wi-dersprechen. Das begründet aber keinen Haftungstatbe-stand. Kein Überlassen liegt ferner vor, wenn ein kriminel-ler Gesellschafter selbst die Geschäfte der Gesellschaft

Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider / Dr. Sven H. Schneider, LL.M.

Persönliche Haftung der GmbH-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung

GmbHR 7/2012 367

führt oder steuert, die Geschäftsführung ihm aber nicht vonden Gesellschaftern in ihrer Gesamtheit überlassen ist.25

25 So zutr. Begr.RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 633.

Zweifelhaft ist nur der Fall, in dem ein inhabiler Alleinge-sellschafter die Geschäfte führt und er zu diesem Zweckeinen amtsfähigen Geschäftsführer für die Vertretung imAußenverhältnis bestellt hat. Der Gesetzeszweck sprichtfür seine Haftung.

VI. Überlassung an inhabile Personen

1. Inhabile Personen

a) Überlassen sein muss die Geschäftsführung Personen,die aus gesetzlichen Gründen, die in § 6 Abs. 2 GmbHGaufgelistet sind, nicht Geschäftsführer sein können. Fehlendem Geschäftsführer die statutarischen oder die aufsichts-rechtlichen Eignungsvoraussetzungen, z.B. nach § 33KWG oder § 7a VAG, greift § 6 Abs. 5 GmbHG nicht.26

26 A.A. wohl Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011,§ 6 GmbHG Rz. 60.

Nach dem Wortlaut ist dies zwar zweifelhaft; denn einesolche Begrenzung fehlt im Text. Sie ergibt sich aber durcheinschränkende Auslegung nach dem Sinn und Zweck derVorschrift. § 6 Abs. 5 GmbHG soll nur greifen, um die or-ganisationsrechtlichen Ausschlussgründe durchzusetzen.Sinn und Zweck der Haftung nach § 6 Abs. 5 GmbHG be-steht nicht darin, die satzungsmäßigen Bestellungsvoraus-setzungen zu verwirklichen.

b) Streitig ist, ob die gesetzlichen Ausschlussgründe in § 6Abs. 2 GmbHG abschließend sind und § 6 Abs. 5 GmbHGauf die in § 6 Abs. 2 GmbHG genannten Gründe abstellt.Allenfalls der systematische Zusammenhang spricht füreine abschließende Regelung in § 6 Abs. 2 GmbHG undentsprechend in Abs. 5. Weder der Wortlaut von § 6 Abs. 5GmbHG, noch deren Sinn und Zweck, lassen sich aber da-für anführen. Im Blick hierauf ist auch ein Ausländer, derkeine Aufenthaltsgenehmigung hat, inhabil, vorausgesetztman folgt der Ansicht, dass Ausländer, denen eine Aufent-haltsgenehmigung fehlt, nicht zum Geschäftsführer be-stellt werden können.27

27 Zum Stand der Diskussion Altmeppen in Roth/Altmeppen,GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 6 Rz. 39 einerseits und Uwe H.Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 6 Rz. 19 ande-rerseits.

Wird ihnen gleichwohl die Ge-schäftstätigkeit überlassen, so haften die Gesellschafter.

c) Keine Überlassung an eine inhabile Person liegt vor,wenn der faktische Geschäftsführer aus sonstigen Gründenungeeignet ist. Dazu gehören statutarische Gründe, Grün-de aus dem öffentlichen Dienstrecht, ein Wettbewerbsver-bot aus einem Dienstvertrag mit einem Dritten, usw.

2. Auswahlverschulden

§ 6 Abs. 5 GmbHG begründet für die Gesellschafter eineVerschuldenshaftung. Sie findet ihren Grund in einerschuldhaft fehlerhaften Auswahl der Geschäftsführer(Auswahlverschulden). Die Gesellschafter haften gesamt-schuldnerisch.28

28 BR-Drucks. 354/07, S. 8: Gesprochen wird dort von „gesamt-händerischer Haftung“. Gemeint ist aber wohl „gesamtschuldne-rische Haftung“.

Der Gesellschafter haftet nur bei Vorsatz oder grober Fahr-lässigkeit. Das bedeutet, dass der Gesellschafter seinePflichten bei der Überlassung der Führung der Geschäftevorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Grob fahrläs-

sig handelt, wer in besonders schwerem Maße gegen dieobjektiv erforderliche Sorgfalt verstößt.29

29 Grundmann in Münch.Komm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 276Rz. 94.

Damit unterscheidet sich die Haftung nach § 6 Abs. 5GmbHG, die grobe Fahrlässigkeit genügen lässt, von derHaftung aus Existenzvernichtung, die mindestens beding-ten Vorsatz verlangt.

Das lässt sich an Fallgruppen konkretisieren. Der Gesell-schafter handelt nicht grob fahrlässig, wenn er nicht bei je-der Bestellung oder Wiederbestellung nachprüft, ob dieVoraussetzungen für einen Ausschlussgrund vorliegen. Erhandelt nur dann grob fahrlässig, wenn Anhaltspunkte be-stehen, die die Vermutung aufkommen lassen, es gäbe einErmittlungsverfahren oder es liege eine Vorstraftat vor. Indiesem Fall muss der Gesellschafter nachprüfen, ob die be-treffende Person inhabil ist.30

30 Schäfer in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 6 Rz. 22.

VII. Zu ersetzender Schaden

1. Verletzung der Leitungspflichten

Die pflichtvergessenen Gesellschafter haften der Gesell-schaft als Gesamtschuldner auf Ersatz des entstandenenSchadens. Dabei ist aber nicht jeder durch den faktischenGeschäftsführer verursachte Schaden zu ersetzen, sondernnur der Schaden, der dadurch entstanden ist, dass diesePerson die ihr gegenüber der Gesellschaft bestehenden Ob-liegenheiten verletzt hat. Schuldhaft muss die inhabile Per-son hierbei nicht gehandelt haben.31

31 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 6Rz. 61; anders aber in Rz. 54: Haftung nur, wenn auch „entspre-chende Verantwortlichkeit eines (amtsunfähigen) faktischen Ge-schäftsführers“ besteht; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter,GmbHG, Erg.-Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 25; Altmeppen inRoth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, Rz. 33.

Mit der Formulierung „Obliegenheit“ knüpft § 6 Abs. 5GmbHG an die Formulierung in § 43 Abs. 2 GmbHG an.§ 43 Abs. 2 GmbHG meint dabei die Pflichten, die demGeschäftsführer im Verhältnis zur Gesellschaft auferlegtsind. Nun obliegen zwar auch dem faktischen Geschäfts-führer gegenüber der Gesellschaft Pflichten, deren schuld-hafte Verletzung zur Haftung führt. Teilweise wird aller-dings eine Haftung des faktischen Geschäftsführers nur an-genommen, wenn die Person auch im Außenverhältnisauftritt. Das ist im Rahmen von § 6 Abs. 5 GmbHG jedochnicht erforderlich.32

32 A.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009,§ 6 Rz. 54.

Zu fragen ist vielmehr, ob ein wirksambestellter Geschäftsführer seine Pflichten verletzt hätte,wenn er an Stelle der inhabilen Person die Aufgaben wahr-genommen hätte. Zu denken ist an das Eingehen hoher Ver-bindlichkeiten, die Aufnahme unverhältnismäßig hoherKredite, das Eingehen unverantwortbarer Risiken, die sichspäter verwirklichen.

2. Kein Ersatz bei Weisungen der Gesellschafter

Mit dem Verweis auf die Pflichtverletzung des Geschäfts-führers verknüpft § 6 Abs. 5 GmbHG die Haftung der Ge-sellschafter zugleich auch mit den allgemeinen Regeln zurHaftungsfreistellung des Geschäftsführers.33

33 Allgemein dazu Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, GmbHR2005, 1229 ff.

Dazu gehö-ren insbesondere die Haftungsfreistellung bei rechtmäßi-

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Persönliche Haftung der GmbH-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung

368 GmbHR 7/2012

gen Weisungen oder einem offenen oder stillschweigendenEinverständnis der Gesellschafter. Sie führen auch zurFreistellung des faktischen Geschäftsführers. An den Vo-raussetzungen einer Haftung fehlt es, wenn die Gesell-schafter selbst in die Verantwortung gehen. Erteilen dieGesellschafter dem inhabilen faktischen Geschäftsführereine Weisung, so mag zwar zweifelhaft sein, ob eine Folge-pflicht besteht; denn ein solcher Geschäftsführer ist nichtwirksam bestellt. Führt er aber die Weisung aus, so entfälltseine Haftung, weil er keine Pflicht verletzt hat.34

34 Goette in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 6 Rz. 55; Kleindiek inLutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 6 Rz. 56; a.A.Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Erg.-BandMoMiG, 2010, § 6 Rz. 25.

Entspre-chend entfällt die Haftung der Gesellschafter nach § 6Abs. 5 GmbHG. Dies gilt jedoch nicht für Weisungen, diegläubigerschützende Vorschriften verletzen. Und die Ge-sellschafter können nachträglich auch auf Ansprüche derGesellschaft wegen schuldhafter Verletzung der Leitungs-pflichten verzichten. Das führt dann auch zum Wegfall derHaftung der Gesellschafter. Das gilt aber nur, wenn demnicht Gläubigerinteressen entgegenstehen.35

35 S. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl.2009, § 6 Rz. 56; Schäfer in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010,Rz. 23.

Dabei genügt für den Weisungsbeschluss eine einfacheMehrheit der Gesellschafter.36

36 A.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009,§ 6 Rz. 56; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006,§ 43 Rz. 115.

Eine Haftungsfreistellungerfolgt zudem nur, wenn die Weisung rechtmäßig ist. Diesist nicht der Fall, wenn die angewiesene Maßnahme gegenVorschriften zur Kapitalerhaltung oder gegen das Verbotdes existenzvernichtenden Eingriffs37

37 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99 – Bremer Vulkan, BGHZ 149,10 (16) = GmbHR 2001, 1036; v. 25.2.2002 – II ZR 196/00,GmbHR 2002, 549 m. Komm. Bender.

oder sonstiges zwin-gendes Recht verstößt. Und eine Haftungsfreistellung er-gibt sich nicht bei fehlerhafter Ausführung.

3. Verletzung der Loyalitätspflichten

Zu ersetzen sind auch Schäden im weiteren Sinne, d.h.selbst wenn sie bilanziell nicht abgebildet werden, die aufeiner Verletzung von Loyalitätspflichten beruhen, sofernsie nur im Zusammenhang mit der Überlassung der Ge-schäftstätigkeit stehen. Der Gesellschafter haftet daherauch für Schäden verursacht durch die Nichtbeachtung desWettbewerbsverbots, durch Ansichziehen von Geschäfts-chancen und – grob formuliert – durch den Griff des fakti-schen Geschäftsführers in die Kasse der Gesellschaft. Erhaftet nur ausnahmsweise nicht für Schäden, die auf derVerletzung von allgemeinen Sorgfaltspflichten beruhen,wie etwa die Beschädigung eines PKW bei einem Unfall,den der faktische Geschäftsführer schuldhaft verursachthat.38

38 Ebenso zum letzteren Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG,7. Aufl 2012, § 6 Rz. 33.

Zum Ersatz des Schadens Dritter sind die Gesellschafternur verpflichtet, wenn der Dritte seinerseits gegen die Ge-sellschaft Anspruch auf Schadensersatz hat. Bejaht manein eigenes Verfolgungsrecht Dritter gegen die Gesell-schafter in entsprechender Anwendung von § 93 Abs. 5AktG,39

39 So Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009,§ 6, Rz. 59; Schäfer in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 6 Rz. 24.

so kann der Dritte Zahlung an sich verlangen.

VIII. Darlegungs- und Beweislast

Wie § 43 GmbHG steht § 6 Abs. 5 GmbHG für einen be-sonderen Fall der Organhaftung. Daraus lässt sich ableiten,dass die Regeln über die Darlegungs- und Beweislast, diefür § 43 GmbHG gelten, hier entsprechend anzuwendensind. Das bedeutet, dass die Gesellschafter die Darlegungs-und Beweislast dafür tragen, dass sie ihren Sorgfaltspflich-ten nachgekommen sind oder sie kein Verschulden trifftoder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alterna-tivverhalten, also bei pflichtgemäßer Bestellung der Ge-schäftsführer, eingetreten wäre.40

40 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 6Rz. 60; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Erg.-Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 28; allgemein Kurzwelly in Krie-ger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, S.337, 340.

Dem steht nicht entge-gen, dass zwar der Geschäftsführer über alle Informatio-nen verfügt, um einen Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltensbei der Unternehmensleitung abzuwehren. Für den Gesell-schafter trifft dies in dieser Weise nicht zu. Er kann sich dieInformationen aber besorgen.

IX. Verjährung

Nicht gesetzlich geregelt ist, zu welchem Zeitpunkt derAnspruch aus § 6 Abs. 5 GmbHG verjährt. Eine Analogiezu § 43 Abs. 4 GmbHG spricht für eine Verjährung desentsprechenden Anspruchs in fünf Jahren.41

41 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010,§ 6 Rz. 24; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Erg.-Band MoMiG, 2010, § 6 Rz. 29; Wicke, GmbHG, 2. Aufl. 2011,§ 6 Rz. 23.

Die Verjäh-rungsfrist beginnt nicht mit dem Zeitpunkt, zu dem die Ge-schäftführung überlassen wurde, sondern zu dem Zeit-punkt, zudem die Überlassung endet.

X. Erlass

Wegen der gläubigerschützenden Wirkung von § 6 Abs. 5GmbHG können die Gesellschafter nicht von Anfang andurch die Satzung auf die Haftung der Gesellschafter ver-zichten. Sie können aber nachträglich auf den Anspruchverzichten, soweit dem nicht Gläubigerinteressen entge-genstehen.

XI. Zusammenfassung der Ergebnisse

1. Die Gesellschafter haften weder gegenüber der Gesell-schaft noch gegenüber Dritten, wenn sie keinen oder wennsie einen unzuverlässigen und / oder fachlich nicht geeig-neten Geschäftsführer bestellen.

2. Die Gesellschafter haften aber gegenüber der Gesell-schaft nach § 6 Abs. 5 GmbHG persönlich, wenn sie einerPerson, die nicht Geschäftsführer sein kann, die Führungder Geschäfte überlassen.

3. § 6 Abs. 5 GmbHG begründet einen Fall der Innenhaf-tung. Es handelt sich „um eine die Kapitalerhaltungsinte-ressen stärkende Haftung der Gesellschafter“ aufgrundeines Auswahlverschuldens.

4. In Betracht kommt neben einer Haftung der Gesell-schafter eine Haftung von Mitgliedern des Aufsichtsratsund mittelbar beteiligter Gesellschafter, zumal des herr-schenden Unternehmens bei Abhängigkeit und im Konzern.

5. Inhabil sind Personen, die aus gesetzlichen Gründen, diein § 6 Abs. 2 GmbHG aufgelistet sind, nicht Geschäftsfüh-

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Persönliche Haftung der GmbH-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung

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rer sein können. § 6 Abs. 2 GmbHG enthält aber keine ab-schließende Liste der gesetzlichen Ausschlussgründe. Sosind inhabil auch Ausländer, die nicht zur Einreise in dieBundesrepublik Deutschland befugt sind (str.).

6. § 6 Abs. 5 GmbHG knüpft den Anspruch auf Schadens-ersatz nicht an die Bestellung eines inhabilen Geschäfts-führers. Entscheidend ist vielmehr, dass dem inhabilen Ge-schäftsführer die Führung der Geschäfte überlassen ist.

7. Zu ersetzen ist der Schaden der Gesellschaft, der da-durch entstanden ist, dass der faktische Geschäftsführerdie ihm gegenüber der Gesellschaft obliegenden Pflichten

verletzt hat. Schuldhaft muss die inhabile Person nicht ge-handelt haben.

8. Bei den verletzten Pflichten kann es sich um Leitungs-pflichten oder um Loyalitätspflichten handeln.

9. Die Gesellschafter haften nicht, wenn sie dem fakti-schen Geschäftsführer Weisungen erteilt haben, es sei denndie Weisungen waren rechtswidrig oder der Schaden ist beider Ausführung der Weisungen entstanden.

10. Der Anspruch der Gesellschaft gegenüber ihren Ge-sellschaftern verjährt in fünf Jahren.

Markus Geißler*

Statuarische Vorsorge bei der Pfändung eines GmbH-Anteilsund der Insolvenz eines Gesellschafters

* Markus Geißler ist Stadtrechtsdirektor a.D. in Freiburg i. Br.

Die Zwangsvollstreckung in den Geschäftsanteil einesMitgesellschafters kann für die GmbH zu einer ernsthaftenBelastung werden. Die hierfür maßgeblichen Gründe sinddaher zunächst zu erläutern, ehe die rechtlichen Stationeneiner zwangsweisen Einziehung des Geschäftsanteils skiz-ziert werden (III. und IV.). Sodann zeigt der Beitrag die ty-pischen Rechtsfehler (insbesondere unter dem Aspekt derGläubigerbenachteiligung) auf, welche die Nichtigkeiteiner Abfindungsklausel im Gefolge haben. Den Abschlussbildet der Formulierungsvorschlag einer Einziehungs-und Abfindungsklausel (V.), die dann in ihren wesentlichenBausteinen näher erläutert wird (VI.).

I. Einleitung

Der Vollstreckungszugriff auf einen GmbH-Anteil, sei esim Wege der Pfändung oder anlässlich eines Insolvenzver-fahrens, hat in aller Regel auch dessen Verwertung zur Fol-ge. Die verbleibenden Gesellschafter müssen dann gewär-tigen, dass ein außenstehender Dritter in ihr Unternehmeneindringt. Nicht immer wird ihnen dies willkommen sein.Denn die Motive, die den neuen Gesellschafter zum An-teilserwerb veranlassten, müssen keineswegs mit dem un-ternehmerischen Konzept der ursprünglichen Gründer kor-respondieren. Und auch rein persönliche Ressentimentssind hierbei nicht auszuschließen. Insoweit besteht für dieMitglieder einer GmbH sicherlich begründeter Anlass,sich über die Folgen des unerwarteten Ausscheidens einesMitgesellschafters rechtzeitig Gedanken zu machen undggf. satzungsmäßige Vorsoge zu treffen.

Dies sollte aber nicht dazu führen, nun jeden Gesell-schaftsvertrag routinemäßig mit reproduzierten Formular-klauseln zu befrachten in der irrigen Meinung, so gegen al-le Fährnisse gewappnet zu sein. Vielmehr ist zunächst zuprüfen, ob und inwieweit ein neu eintretender Gesellschaf-ter überhaupt zu einer unerwünschten Belastung für dasUnternehmen werden kann. Dabei von Bedeutung ist si-cherlich die Höhe der zur Verwertung anstehenden Beteili-gung, sodann aber auch das strukturelle Gefüge der GmbH.Kaum Handlungsbedarf wird insoweit etwa bestehen beieinem (in zweiter / dritter Generation) von mehreren Fa-

milienstämmen gehaltenen Unternehmen mit jeweils ge-ringen Beteiligungen. Üblicherweise finden sich hier die(weit verstreut wohnenden) Gesellschafter vielleicht ein-mal jährlich zur Feststellung des Jahresabschlusses (§ 46Nr. 1 GmbHG) zusammen, überlassen ansonsten jedochdie Leitung des Unternehmens weitgehend dem mit ent-sprechenden Befugnissen ausgestatteten Geschäftsführer,der die ansonsten erforderlichen Beschlüsse dann im Wegeder schriftlichen Abstimmung (§ 48 Abs. 2 GmbHG) her-beiführt.1

1 Hierzu OLG Stuttgart v. 8.7.1998 – 20 U 112/97, GmbHR 1998,1034 (1035); Geißler, GmbHR 2010, 457 (458).

Bei dieser – überwiegend kapitalistischen – Prä-gung eines Verbands dürfte dem Hinzutreten eines neuenGesellschafters, dessen Stimmkraft darüber hinaus margi-nal ist, relevante Bedeutung kaum beikommen. Andersverhält sich dies bei einer personalistisch strukturiertenGmbH, in welcher die (wenigen) Anteilseigner die Unter-nehmensführung überwiegend selbst organisieren. Hierkann das bisher konsensuale Zusammenwirken, welchesletztlich auch unternehmerisches Reüssement gewährleis-tete, durch das Eindringen eines Externen durchaus be-trächtlich gestört werden.

II. Der Vermögensverfall als Ausschlussgrund

Dass eine zur Pfändung seines Geschäftsanteils führendeVermögensbedrängnis eines Gesellschafters dessen Aus-schließung aus dem Verband rechtfertigt, ist inzwischenallgemein anerkannt. Die Gründe hierfür sind – wie teil-weise schon angedeutet – überzeugend nachzuvollziehen:Zunächst gilt generell, dass die Trennung von einem An-teilseigner möglich sein muss, wenn dessen Verbleib fürdie übrigen Gesellschafter und die GmbH eine unzumutba-re Belastung bedeutete.2

2 OLG Hamm v. 8.7.1992 – 8 U 268/91, GmbHR 1993, 660 (662);Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34Rz. 53; T. Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht,2011, § 34 GmbHG Rz. 25; Wanner-Laufer, NJW 2010, 1499(1500).

Von einer solchen kann regelmä-ßig ausgegangen werden bei einer Anteilspfändung; denndie ungeordneten Vermögensverhältnisse eines Gesell-schafters befördern im Geschäftsverkehr ebenso Zweifelan der Solidität und Reputation des Unternehmens insge-

Markus Geißler

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines GmbH-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters

370 GmbHR 7/2012

samt.3

3 Ähnlich Niemeier, GmbHR 1983, 161 (163); Michalski, ZIP1991, 147 (149).

Es kommt hinzu, dass ein Gesellschafterwechselnicht selten zu einer Überfremdung der Gesellschaft führtund dadurch eine Verschiebung in den (bisher ausgewoge-nen) Mehrheitsverhältnissen eintritt.4

4 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, GmbHR 2012, 387 m. Komm.Münnich, Rz. 15 – in dieser Ausgabe; Schacht in Beck’schesHandbuch der GmbH, 4. Aufl. 2009, § 12 Rz. 271; Niemeier,GmbHR 1983, 161 (163).

Dies aber kann auflängere Sicht der bisher bewährten Geschäftspolitik ab-träglich sein und damit letztlich auch unternehmerische Er-folge gefährden.

Unter diesen Prämissen legt es sich nahe, den Ausschlussdes betreffenden Gesellschafters durch die Einziehung sei-nes Geschäftsanteils bzw. seiner Geschäftsanteile herbei-zuführen. In manchen Gesellschaftsverträgen finden sichdemgegenüber Bestimmungen, die (auch) für den Fall derAnteilspfändung ein Vorkaufsrecht zu Gunsten der Gesell-schaft bzw. eines Gesellschafters begründen. Die damit be-absichtigte Verhinderung eines unerwünschten Anteils-übergangs ist mit einer solchen Regelung jedoch nicht zuerreichen. Denn nach § 471 BGB ist ein Vorkaufsrecht aus-geschlossen, wenn der Verkauf des Geschäftsanteils imWege der Zwangsvollstreckung oder durch den Insolvenz-verwalter erfolgt.5

5 Winter/Seibt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 15 Rz. 203.

Unbedenklich ist hingegen, für den Fallder Pfändung / Insolvenz eine Pflicht des Gesellschafterszur Abtretung des betreffenden Geschäftsanteils an dieGmbH oder andere Rechtsträger zu begründen. Letztererist dann gleichsam dinglich mit der Abtretungspflicht be-lastet, und das Pfändungspfandrecht des Vollstreckungs-gläubigers geht mit dem ordnungsgemäßen Vollzug derAbtretung und der Entgeltzahlung unter.6

6 Reichert/Weller in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 15 Rz. 547;Ulmer, ZHR 149 (1985), 28 (37); teilweise a.A. Stöber, Forde-rungspfändung, 15. Aufl. 2010, Rz. 1619a.

Zuweilen wirddie Abtretung auch so gestaltet, dass die Gesellschafterver-sammlung alternativ zur Einziehung die Übertragung desAnteils auf einen verbleibenden Gesellschafter beschlie-ßen kann.7

7 BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, GmbHR 1984, 74; Michalski,ZIP 1991, 147 (148); Wolff, GmbHR 1999, 958 (962).

Der Vorteil derartiger Rechtskonstruktionen besteht si-cherlich darin, dass sie eine Vernichtung des betreffendenGeschäftsanteils vermeiden. Insbesondere die letztge-nannte Gestaltungsvariante wirft aber auch Fragen in ihrerAbwicklung auf. So ist etwa nicht eindeutig geklärt, ob derGesellschafterbeschluss, der die Offerte zur Anteilsabtre-tung verkörpern soll, mit einfacher Stimmenmehrheit undunter Beteiligung des als Zessionar begünstigten Gesell-schafters gefasst werden kann. Denkbar wäre hier ebensoein auf § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG gestütztes Stimmverbotdes Erwerbers.8

8 Ablehnend insoweit Michalski, ZIP 1991, 147 (148).

Diese rechtlichen Imponderabilien undebenso die zweifellos höheren Fehlerrisiken, die derDurchführung einer Abtretung mit ihren jeweils beurkun-dungsbedürftigen Erklärungen anhaften,9

9 Dazu Wolff, GmbHR 1999, 958 (962).

sind indessenvermieden, wenn der Ausschluss des in Vermögensverfallgeratenen Gesellschafters über die in § 34 Abs. 2 GmbHGvorgesehene Einziehung seines Geschäftsanteils geregeltwird. Dieser Gestaltungsmodus wird auch in der Praxispräferiert.10

10 Vgl. insoweit BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, GmbHR 1984,74.

Die den Vollstreckungsgläubiger damit tref-fenden Rechtswirkungen lassen sich dann bündig skizzie-

ren: Mit seinem Vollstreckungszugriff erlangt er ja zu-nächst ein Pfändungspfandrecht an dem betreffenden Ge-schäftsanteil, welches sich dann an dem vorgesehenen Ab-findungsanspruch fortsetzt.11

11 Schacht in Beck’sches Handbuch der GmbH, 4. Aufl. 2009, § 12Rz. 271; Roth, ZGR 2000, 187 (214).

Zu beachten ist sodann, dass die Zwangseinziehung undderen Voraussetzungen vor dem Beitritt des betroffenenGesellschafters in der Satzung niedergelegt sein müssen.Mangelt es an einer solchen Regelung, kann diese aberüber eine Satzungsänderung ebenso nachgeschoben wer-den wie eine Verschärfung der bisherigen Einziehungsmo-dalitäten. Hierfür ist dann aber nach gefestigter Meinungjeweils die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erfor-derlich (§ 53 Abs. 3 GmbHG).12

12 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, GmbHR 1992, 257 (258);Westermann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 34 Rz. 21;Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34Rz. 23; Greitemann in Saenger/Inhester, Hk-GmbHG, 2011,§ 34 Rz. 10.

In Ansehung dessen sindjene gut beraten, sich diesem Problem beizeiten zu wid-men. Denn ist ein Gesellschafter erst einmal in eine finan-zielle Schieflage geraten, wird er sich kaum mehr zur Mit-wirkung an einer seinen Abfindungsanspruch minderndenSatzungsregelung bereit finden.

III. Wesentliche Eckpunkte einer statuarischenEinziehungsklausel

Die Formulierung einer Einziehungsklausel erfordert – ge-rade auch im Hinblick auf die damit verknüpfte Abfin-dungsregelung – besondere Sorgfalt. Im hiesigen Kontextpräziser erörterungsbedürftig ist die Interessenlage derPfändungs- und Insolvenzgläubiger des betreffenden Ge-sellschafters. Missachtet nämlich eine Abfindungsrege-lung deren Schutz, führt dies in entsprechender Anwen-dung des § 241 Nr. 3 AktG zunächst einmal zur Nichtig-keit dieser Bestimmung13

13 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50 IV.2.c) aa);Geißler, GmbHR 2006, 1173 (1178).

mit der Konsequenz, dass der ge-pfändete Geschäftsanteil dann zu seinem vollen Wert (Ver-kehrswert) abzufinden ist.14

14 Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 34Rz. 110; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG,19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 32; Sigle, ZGR 1999, 659 (667).

Damit wäre auch die Chancevertan, die Fälligkeit des Abfindungsbetrags in mehrerenRaten zu strecken; verhindert wäre einzig, dass der Anteilnicht in fremde Hände gelangt. Mit diesem Makel behaftetsind vor allem jene – zuweilen auch heute noch verwende-ten – Satzungsregelungen, welche im Falle der Pfän-dung / Gesellschafterinsolvenz die Einziehung ohne jed-wedes oder nur gegen ein sehr geringes Entgelt anord-nen.15

15 BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, GmbHR 1975, 227 (228).

Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die sich auf§ 241 Nr. 3 AktG gründende Nichtigkeit einer solchen Re-gelung nicht mehr geltend machen lässt, wenn nach ihrerEintragung in das Handelsregister drei Jahre verstrichensind (§ 242 Abs. 2 S. 1 AktG analog). Und dass dieses Dik-tum sowohl für initiale Satzungsbestandteile als auch fürsolche gilt, die zu späterer Zeit in den Gesellschaftsvertrageingefügt wurden, hat der BGH mittlerweile ausdrücklichklargestellt.16

16 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, GmbHR 2000, 822; v.19.9.2005 – II ZR 342/03, GmbHR 2005, 1561 (1563) m.

Denn nur auf diese Weise lässt sich – wie-

Markus Geißler

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines GmbH-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters

GmbHR 7/2012 371

Komm. Hinderer [1] u. Sinewe [2]; auch Geßler, ZGR 1980, 427(453).

wohl der Wortlaut des § 242 Abs. 2 S. 1 AktG infizierteKlauseln der Ursprungssatzung eigentlich nicht erfasst –ubiquitäre Rechtssicherheit herstellen.

Im Schrifttum ist diese Auffassung jedoch auf verbreiteteKritik gestoßen. Es wird dort argumentiert, dass die in§ 242 Abs. 2 AktG normierten Rechtswirkungen generellnicht gegen außenstehende Gläubiger gewendet werdenkönnten, weil diese – im Gegensatz zu den Anteilsinha-bern – keinerlei Rechtsmacht hätten, sie beschwerende Re-gelungen zum Gegenstand einer Anfechtungs- oder Fest-stellungsklage zu machen.17

17 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010,§ 34 Rz. 32; Greitemann in Saenger/Inhester, Hk-GmbHG,2011, § 34 Rz. 56; Strohn in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 34Rz. 239; Bacher/Spieth, GmbHR 2003, 973 (978).

Andernfalls wäre der Gesell-schafterversammlung – fast schon sophistisch – anzura-ten, möglichst umgehend eine gläubigerfeindliche Ent-schädigungsregelung mit dem taktischen Kalkül zu erlas-sen, dass diese nach drei Jahren den „rettenden Hafen derHeilung“ erreiche.18

18 So Lange, NZG 2001, 635 (640).

Freilich versagt dieser Ratschlag,wenn der Anteilsinhaber bereits vor diesem Zeitpunkt voneinem Falliment ereilt wird.

Unabhängig davon gerät die gegen die höchstrichterlicheJudikatur gerichtete Kritik mit einem anderen – in der ge-gebenen Thematik relevanten – Rechtsprinzip in Wider-streit. So ist nachfolgend noch zu präzisieren, dass einer(isoliert unzulässigen) Abfindungsbeschränkung, die sichnur gegen die Gläubiger richtet, dadurch zur Rechtsgültig-keit aufgeholfen werden kann, dass sie gleichermaßenauch das (zwangsweise) Ausscheiden des Gesellschafterseinbezieht. Zu begründen ist dies damit, dass dann ver-gleichbare Abfindungsvorgänge einheitlich behandeltwerden.19

19 Thiessen in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 34 Rz. 91; Wälz-holz, GmbHR 2007, 1319 (1321).

Diesen – rechtssystematisch stimmigen –Gleichlauf würde die Gegenmeinung des Schrifttumspreisgeben. Stattdessen verbliebe der diskordante Befund,dass dieselbe Abfindungsklausel wohl Gültigkeit gegen-über dem primär betroffenen Gesellschafter hätte, in derRechtsbeziehung zu seinen Gläubigern hingegen (wegender Unanwendbarkeit des § 242 Abs. 2 AktG) der Nichtig-keit anheimfiele.20

20 Näher hierzu Geißler, GmbHR 2006, 1173 (1179).

Auch aus diesem Grunde sollte sich dieKautelarpraxis an der Rechtsprechung des BGH orientie-ren. Es kommt hinzu, dass – entgegen der abweichendenMeinung – die Vollstreckungsgläubiger keineswegs jedesrechtlichen Schutzes verlustig gehen. Denn üblicherweisemuss auch einem Gesellschafter daran gelegen sein, dassseine Verbindlichkeiten gegenüber Dritten durch eine an-gemessene Verwertung seines Geschäftsanteils möglichstweitgehend getilgt werden.21

21 Geißler, GmbHR 2006, 1173 (1179).

Auch dies wird ihn ggf. ver-anlassen, sich gegen gläubigerbenachteiligende Abfindun-gen zur Wehr zu setzen.22

22 Vgl. etwa den Sachverhalt bei BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99,GmbHR 2000, 822; es hatte dort der Rechtsnachfolger des Ge-sellschafters Nichtigkeitsklage erhoben, (auch) um eine höhereBefriedigung der pfändenden Sparkasse zu erreichen.

Diffizile Wertungsprobleme bereiten sodann jene Bestim-mungen, die – als ursprünglich angemessene – erst imLaufe der Zeit infolge einer Änderung der tatsächlichenUmstände in ein Missverhältnis zwischen Abfindungsbe-

trag und Anteilswert hineinwachsen. Vorzugsweise ist diesbei – auch deswegen nicht zu empfehlenden – Buchwert-klauseln der Fall, wenn das Unternehmen in einer ertrags-starken Entwicklung prosperiert. Insbesondere durch denAufbau stiller Reserven und ein Anwachsen des Firmen-und Geschäftswerts kann sich dann der tatsächliche Wert(Verkehrswert) des Geschäftsanteils beträchtlich stei-gern.23

23 Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34Rz. 87; Strohn in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 34 Rz. 240.

Dass eine solche Klausel dann nicht – mit der Hei-lungswirkung des § 242 Abs. 2 AktG – der Nichtigkeitverfällt, ist zwischenzeitlich geklärt. Denn sie kann ja nicht– je nach Verlauf der sich ändernden Unternehmensgeschi-cke – stetig zwischen Wirksamkeit und Unwirksamkeithin- und herspediert werden.24

24 BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, GmbHR 1993, 806; Rasner,ZHR 158 (1994), 292 (300); Geißler, GmbHR 2006, 1173(1179).

Nach der Rechtsprechungdes BGH ist deshalb bei einem nicht mehr hinnehmbarenAuseinanderfallen von vereinbartem und tatsächlichemWert des Geschäftsanteils eine Lösung im Wege der ergän-zenden Vertragsauslegung zu suchen. Hierbei sollen dieGrundsätze des betreffenden Gesellschaftsvertrags mög-lichst zu Ende gedacht werden, wobei alle Umstände desEinzelfalles (z.B. Abfindungs- und Anteilswert, Dauer derMitgliedschaft) zu gewichten seien.25

25 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, GmbHR 1994, 871 (874); OLGMünchen v. 1.9.2004 – 7 U 6152/99, NZG 2004, 1055 (für KG);T. Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 34GmbHG Rz. 21; Goette, DStR 2001, 533 (542).

Die letztlich zu leis-tende Abfindung, die für alle Beteiligten einen zumutbarenInteressenausgleich abbilden müsse, würde sich dann zwi-schen dem vertraglich festgelegten und dem wirklichenWert des Anteils zu bewegen haben.26

26 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, GmbHR 2002, 265 (266);Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 34Rz. 56; Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 34Rz. 111.

Die hiergegen im Schrifttum erhobenen Bedenken bezwei-feln indessen, ob eine im Wege der ergänzenden Vertrags-auslegung zu schließende Lücke überhaupt vorliege.27

27 Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34Rz. 89; Dauner-Lieb, GmbHR 1994, 836 (839); Volmer, DB1998, 2507 (2510).

Stattdessen wird vorgeschlagen, durch eine an der Gene-ralklausel des § 242 BGB orientierten Ausübungskontrolledie jeweils gerechte Abfindung zu ermitteln28

28 Sosnitza in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 34 Rz. 91;Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010,§ 34 Rz. 28; Westermann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006,§ 34 Rz. 35; Thiessen in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 34Rz. 90; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50IV.2.c) ee).

oder aber dieinfizierte Vertragsbestimmung nach den Regeln des Weg-falls der Geschäftsgrundlage anzupassen (§ 313 BGB).29

29 Vgl. Strohn in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 34 Rz. 242;Büttner, FS Nirk, 1992, S. 119 (124).

Die Einzelheiten dieser Lösungsansätze müssen hier nichtweiterverfolgt werden.30

30 Hierzu näher Strohn in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 34Rz. 242; Geißler, GmbHR 2006, 1173 (1180).

Es kann bei der Feststellung be-wenden, dass – zunächst gültige – Abfindungsvereinba-rungen, die allzu detailliert an änderungsanfälligen Be-zugspunkten festgemacht sind, im Laufe der Zeit oftmalskorrekturbedürftig werden. Dann aber steht die GmbH, sosie die betreffende Regelung nicht (kontinuierlich) aktuali-siert hat, vor dem Problem, dass sie im Falle der Einzie-

Markus Geißler

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines GmbH-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters

372 GmbHR 7/2012

hung unversehens eine (deutlich) höhere als die ursprüng-lich kalkulierte Abfindung leisten muss.

IV. Aspekte des Gläubigerschutzes

Es ist schon erwähnt, dass eine Reduzierung der Abfin-dung, welche allein zu Lasten der Pfändungs-/Insolvenz-gläubiger ginge, wegen § 241 Nr. 3 AktG nichtig ist; denndiese würden dann ausschließlich wegen ihrer Stellung alsGläubiger benachteiligt.31

31 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, GmbHR 2000, 822; Verse inHenssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 15 GmbHGRz. 129; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 50IV.2.c) aa); Wälzholz, GmbHR 2007, 1319 (1321).

Es ist zwar denkbar, eine – iso-lierte – Einziehungsregelung nur für den Fall der Anteils-pfändung und der Gesellschafterinsolvenz zu beschließen.Und ebenso dürfte eine daran gekoppelte Abfindungsklau-sel, die den Geschäftsanteil zu seinem vollen Buchwertentschädigt, jedenfalls anfänglich noch zulässig sein.32

32 Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34Rz. 85; Piltz, BB 1994, 1021 (1025); Ulmer, NJW 1979, 81 (85).

Miteiner solchen Regelung wäre aber – außer dem verhinder-ten Eintritt eines neuen Gesellschafters – nicht viel gewon-nen. Denn der Geschäftsanteil müsste gleichwohl zum(oder nahe am) vollen Verkehrswert abgegolten werden.Ferner hätte sich die GmbH der Möglichkeit begeben, denAuszahlungszeitraum durch die Festlegung erst nach undnach fälliger Ratenbeträge zu erstrecken; für ihren Be-standsschutz ist es aber von elementarem Interesse, einenallzu einschneidenden Abfluss von Liquidität zu vermei-den.

Jedoch lassen sich derartige Entgeltbeschränkungendurchaus so gestalten, dass sie Geltungswirkung auch ge-genüber den Gläubigern erlangen. Erforderlich ist nur, dieRegelung gleichermaßen auf entsprechende Abfindungs-tatbestände innerhalb der Gesellschaftersphäre (etwa daszwangsweise Ausscheiden eines Anteilseigners) zu erstre-cken. Eine solchermaßen erweiterte Satzungsbestimmungist dann nämlich nicht mehr darauf zentriert, das Pfand-recht des Vollstreckungsgläubigers auszuhöhlen, sondernstatuiert für vergleichbare Abfindungsvorgänge dieselbenRechtsfolgen.33

33 BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, GmbHR 1975, 227; Greite-mann in Saenger/Inhester, Hk-GmbHG, 2011, § 34 Rz. 53;Thiessen in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 34 Rz. 91; Wälz-holz, GmbHR 2007, 1319 (1321); teilweise a.A. Engel, NJW1986, 345 (347).

Belastet ist insoweit nämlich auch der(ausscheidende) Gesellschafter; und dessen Gläubiger ha-ben damit, weil sie ja nur wie andere Rechtsträger undnicht in ihrem spezifischen Status tangiert sind, den Ge-schäftsanteil mit den Beschränkungen und Minderungenhinzunehmen, die bereits in der Hand des Gesellschaftersauf ihm lasten.34

34 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010,§ 34 Rz. 30; Westermann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006,§ 34 Rz. 30; Heckschen in Heckschen/Heidinger, Die GmbH inder Gestaltungs- und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4Rz. 282; a.A. (Gläubigerabfindung stets zum vollen Wert) Roth,ZGR 2000, 187 (215).

Dies kann nun aber nicht bedeuten, dass die Vollstre-ckungsgläubiger jedwede Abfindungsverkürzung gegensich gelten lassen müssten, nur weil sie auch gegenüberden Gesellschaftern vorgesehen ist. Insoweit wirksam isteine beschränkende Klausel nämlich nur dann, wenn ihrrechtlicher Bestand auch gegenüber dem ausscheidendenGesellschafter gewährleistet ist.35 35 OLG Frankfurt a. M. v. 9.9.1977 – 20 W 702/76, GmbHR 1978,

172; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl.2010, § 34 Rz. 30.

Dies ist fraglos für jene

Klauseln zu bejahen, die dem Anteilseigner eine insgesamtnoch angemessene Entschädigung belassen. Ihnen gleichstehen nach Auffassung des BGH solche Regelungen, de-nen – wiewohl initial nichtig – nach Ablauf der Dreijahres-frist durch die Heilungswirkung des § 242 Abs. 2 AktGendgültige Rechtsbeständigkeit zuteil wurde; hierbei spieltkeine Rolle, ob die betreffende Bestimmung bereits beiGründung oder erst durch spätere Satzungsänderung Be-standteil des Gesellschaftsvertrags wurde.36

36 Vgl. die Nachw. bei Fn. 16.

Außerhalb des(zeitlichen) Geltungsbereichs des § 242 Abs. 2 AktG ver-fällt eine Entschädigungsregelung gegenüber den Anteils-inhabern – und damit auch gegenüber den Gläubigern –dann dem Verdikt der Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1BGB), wenn die gesetzlich vorgesehene (volle) Abfindungunangemessen verkürzt wird. Hiervon ist auszugehen,wenn zwischen dem Abfindungsbetrag und dem tatsäch-lichen Anteilswert ein grobes Missverhältnis besteht, wo-bei in diese Bewertung auch die Auszahlungsmodalitäteneinzubeziehen sind.37

37 BGH v. 16.10.1991 – II ZR 58/91, GmbHR 1992, 257 (259); Lut-ter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34 Rz. 84;Maul in Beck’sches Handbuch der GmbH, 4. Aufl. 2009, § 13Rz. 119; Geißler, GmbHR 2006, 1173 (1177).

Der diversifizierende Meinungs-stand hierzu ist kaum mehr zu referieren. Ursächlich hier-für ist teilweise, dass bisher weitgehend vermieden wurde,insoweit schematische prozentuale Grenzen zu fixieren,weil auch die jeweilige Interessenlage des weichenden Ge-sellschafters zu würdigen sei.38

38 Strohn in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 34 Rz. 227; Gregorit-za in Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann, Handels- undGesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, § 5 Rz. 732; Hülsmann, NJW2002, 1673 (1674).

Auf jedwede Orientierungan konkretisierenden Rechengrößen wird die Kautelarpra-xis jedoch – trotz der vielgestaltig denkbaren Sachverhal-te – kaum verzichten können. Und als insoweit hilfreichhat sich die Formel von Ulmer/Schäfer bewährt, welchevon einer sittenwidrigen (und damit nichtigen) Satzungsre-gelung dann ausgeht, wenn die darin vorgesehene Amorti-sation um 50 % hinter dem tatsächlichen Verkehrswert desGeschäftsanteils zurückbleibt.39

39 Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134 (153); auch Maul in Beck’schesHandbuch der GmbH, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 119; Mecklen-brauck, BB 2000, 2001 (2005); Geißler, GmbHR 2006, 1173(1178); Sigle, ZGR 1999, 659 (672).

Bei exzeptionellen Sach-verhaltsgestaltungen mag dann eine (maßvolle) Anhebungoder (seltener) eine Absenkung dieses Richtwerts in Erwä-gung zu ziehen sein.40

40 Ähnlich Ulmer/Schäfer, ZGR 1995, 134 (155); Geißler, GmbHR2006, 1173 (1181).

Schließlich ist – wie schon ausgeführt – zu beachten, dassaber solche Klauseln, die erst im Laufe der Zeit in ein gro-bes Missverhältnis hineinwachsen, auch gegenüber denVollstreckungsgläubigern nicht der Unwirksamkeit an-heimfallen. Vielmehr ist in solchen Fällen nach der Recht-sprechung des BGH eine Lösung im Wege der ergänzen-den Vertragsauslegung zu suchen. In aller Regel wird diesdann zu einem Entschädigungsbetrag führen, der zwischendem statuarisch festgelegten und dem wirklichen Wert desAnteils liegt.41

41 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, GmbHR 2002, 265 (266);Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 34

Markus Geißler

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines GmbH-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters

GmbHR 7/2012 373

Rz. 56; Gregoritza in Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann,Handels- und Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, § 5 Rz. 733.

V. Grundskizze einer Zwangseinziehungs- undAbfindungsklausel

Vermöge ihrer Verbandsautonomie ist die GmbH grund-sätzlich (innerhalb der bereits aufgezeigten Grenzen) be-rechtigt, den Abfindungsanspruch eines Gesellschaftersbei Einziehung, Ausschließung oder Austritt durch einestatuarische Regelung zu konkretisieren und insbesondereeinzuschränken.42

42 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, GmbHR 2002, 265; Lutter inLutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34 Rz. 81.

Eine insoweit gebräuchliche Regelungist etwa, die Entschädigung auf der Basis des Buchwertsoder des Substanzwerts zu begrenzen.43

43 Zu den Nachteilen dieser und ähnlicher Klauseln Strohn inMünch.Komm.GmbHG, 2010, § 34 Rz. 255 ff.; Hueck/Fastrichin Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 35 ff;Sosnitza in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 34 Rz. 69 ff.

Häufiger zur Er-mittlung des Anteilswerts verwendet wird jedoch die– auch in der Judikatur befürwortete – Ertragswertmetho-de.44

44 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (2103); OLGKöln v. 19.12.1997 – 4 U 31/97, GmbHR 1998, 641; Wester-mann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 34 Rz. 25; T. Flei-scher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2011, § 34GmbHG Rz. 17; Engel, NJW 1986, 345 (349).

Da diese bei der Berechnung der Abfindungshöhe aufdas auch ohne statuarische Festlegung maßgebliche Er-tragswertverfahren abstellt, sind strukturelle Abweichun-gen von der gesetzlichen Anteilsbewertung weitgehendausgeschlossen.45

45 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010,§ 34 Rz. 37.

Letztlich ist es jedoch eine Entschei-dung der Gesellschafterversammlung, wie sie bei der Ge-staltung der Entschädigungsleistung die (widerstreiten-den) Interessen der Anteilseigner, des Unternehmens undder Vollstreckungsgläubiger zu gewichten gedenkt. Hier-bei sollte jedoch im Blick bleiben, dass ein allzu detaillier-tes Regelwerk im Verlauf der weiteren Unternehmensent-wicklung oftmals kein genügendes Abfindungsentgeltmehr generiert. Deswegen bedürfen komplexere Bestim-mungen, soweit sie darüber hinaus noch deutlich von dergesetzlich vorgesehenen Entschädigung zum vollen Ver-kehrswert (vgl. § 738 BGB) abweichen, der stetigenRechtskontrolle; und erfahrungsgemäß gerät dies – jeden-falls nach einiger Zeit – in der Betriebsamkeit des Tagesge-schäfts nicht selten in Vergessenheit. Und später erforder-liche Anpassungen können sich (teilweise) durchaus auchals eine Verschärfung der ursprünglichen Abfindungsmo-dalitäten darstellen, womit der entsprechende Gesellschaf-terbeschluss – was nicht immer einfach zu bewerkstelligenist – einstimmig zu ergehen hätte (§ 53 Abs. 3 GmbHG).46

46 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, GmbHR 1992, 257 (258);Westermann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 34 Rz. 21;Wolff, GmbHR 1999, 958 (959).

Auch deshalb wird nachfolgend einer – am gesetzlichenLeitbild ausgerichteten – Regelung der Vorzug gegeben,die die Belange Einzelner zwar nicht akzentuiert, in ihremGesamtgefüge aber doch ausgewogen berücksichtigt. Da-mit ist weitestgehend sichergestellt, dass im Ernstfall überdie Angemessenheit der Abfindung keine langwierigenund für alle Beteiligten unersprießlichen Rechtsstreite ge-führt werden müssen. Eine solche Klausel, die zudem dannauch einen hohen Grad an Rechtsbeständigkeit aufweist,wäre in ihren Grundstrukturen etwa so zu formulieren:

§ 10 Einziehung von Geschäftsanteilen

Die Einziehung von Geschäftsanteilen kann unter den folgendenVoraussetzungen beschlossen werden:

1. In der Person eines Gesellschafters liegt ein wichtiger Grundvor, der dessen Ausschließung aus dem Unternehmen rechtfertigt;

2. ...;

3. ...;

4. es wird die Zwangsvollstreckung in seinen Geschäftsanteil be-trieben und die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen werden nichtbinnen zweier Monate seit ihrem Beginn wieder aufgehoben;

5. es wird über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet,über einen Antrag auf Eröffnung ist nicht binnen zweier Monateentschieden oder die Eröffnung wird mangels Masse abgelehnt.

§ 11 Abfindung

1. Der ausscheidende Gesellschafter erhält eine Abfindung, diesich nach dem im Wege der Ertragswertmethode zu berechnendenVerkehrswert bestimmt; von dem so ermittelten Wert des Ge-schäftsanteils ist ein Abschlag von 30 % vorzunehmen.

2. Die Abfindung ist in drei gleichen Raten zu leisten. Die ersteRate wird sechs Monate nach dem Ausscheidungsstichtag ausge-zahlt; die beiden weiteren Raten sind im dritten / fünften Jahrnach dem Ausscheidungsstichtag fällig, und zwar an dem Tag, derdem Datum der Fälligkeit der ersten Rate entspricht.

3. Die Raten sind ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit der ersten Ratejährlich mit zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins-satz zu verzinsen. Die Zinsen sind jeweils mit der Rate zu entrich-ten.47

47 Vgl. hierzu auch die (teilweise detaillierteren) Formularbeispielebei Heckschen in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Ge-staltungs- und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 288 ff.;Haasen in Beck’sches Formularbuch GmbH-Recht, 2010, C.I.3.;Michalski, ZIP 1991, 147 (148).

VI. Erläuterungen

Das in § 10 Nr. 1, 4 u. 5 vorgeschlagene Junktim (wichtigerAusschlussgrund – Anteilspfändung, Insolvenz) ist der– allgemein aber anerkannte – Mindeststandard, um dieAbfindungsklausel nicht dem zur Unwirksamkeit führen-den Verdikt einer gezielten Gläubigerbenachteiligung aus-zusetzen.48

48 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, GmbHR 2000, 822; Strohn inMünch.Komm.GmbHG, 2010, § 34 Rz. 235; Maul inBeck’sches Handbuch der GmbH, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 119;Behrendt in Arens/Tepper, Das gesellschaftsrechtliche Mandat,2007, § 24 Rz. 223.

Die Blankette der Nr. 2 u. 3 belassen Raum fürweitere Einziehungsgründe, die für die Gesellschaft(er)wesentlich sein könnten. Die in § 10 Nr. 4 genannte Zwei-monatsfrist bereinigt die Streitfrage, ob der Einziehungs-grund entfällt, wenn die Zwangsvollstreckung einstweilen(etwa nach §§ 771 Abs. 3, 769, 766 ZPO) eingestellt wor-den ist.49

49 Hierzu Michalski, ZIP 1991, 147 (149).

Die Berechnung der Abfindung soll nach dem Ertragswert-verfahren vorgenommen werden (§ 11 Nr. 1). Damit ist,und zwar auch in der ferneren Zukunft, gewährleistet, dassdie Entschädigung unabhängig von der weiteren Unterneh-mensentwicklung stets in der Nähe des tatsächlichen An-teilswerts verbleibt.50

50 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010,§ 34 Rz. 37.

Dies gibt allen Beteiligten Planungs-sicherheit. Denkbar ist insoweit auch, die Bestimmung desVerkehrswerts des Geschäftsanteils in Gemäßheit des§ 317 BGB einem Schiedsgutachter zu überlassen. Hierbeikönnen dann auch nähere Kriterien festgelegt werden, wel-

Markus Geißler

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines GmbH-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters

374 GmbHR 7/2012

che für die Bewertung des Unternehmens angewandt wer-den sollen.51

51 Haasen in Beck’sches Formularbuch GmbH-Recht, 2010, C.I.3.,bei § 17 Abs. 1; auch Hueck/Fastrich in Baumbach/HueckGmbHG, 19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 23.

Gebräuchlich ist ebenso die Regelung, dieBewertung von einem Wirtschaftsprüfer als neutralemGutachter nach den jeweils aktuellen Richtlinien des Insti-tuts für Wirtschaftsprüfer durchführen zu lassen.52

52 So etwa Heckschen in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in derGestaltungs- und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 289.

An-sonsten ist es naheliegend (und wohl auch kostengünsti-ger), wenn der für die GmbH tätige Steuerberater, der jamit den bilanziellen Details vertraut ist, die Wertermittlungvornimmt.

Von dem so ermittelten Wert wird ein Abschlag von 30 %in Ansatz gebracht. Diese Minderung sollte im Ernstfallauch einer kritischen richterlichen Prüfung standhaltenkönnen. Eine approximative Orientierung vermag inso-weit jene Entscheidung des BGH zu vermitteln, die voneiner sittenwidrig verkürzten Abfindung dann ausgeht,wenn diese nur noch zwischen 20 % und 50 % des realenAnteilswertes beträgt.53

53 BGH v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, GmbHR 1994, 871; Gregoritzain Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann, Handels- und Ge-sellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, § 5 Rz. 732.

Damit in Einklang zu bringen istauch die schon erwähnte Formel von Ulmer/Schäfer, diedurchaus beachtliche Gefolgschaft gefunden hat.54

54 Vgl. die Nachw. bei Fn. 39.

Danachist eine Satzungsregelung nichtig, wenn die darin vorgese-hene Amortisation um 50 % (und mehr) hinter dem Ver-kehrswert des Anteils zurückbleibt. Demgegenüber solltesich dann – so Besonderheiten nicht anstehen – der vorste-hend befürwortete Abschlag von 30 % rechtfertigen las-sen.55

55 Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34Rz. 90; Kort, DStR 1995, 1961 (1967); in diese Richtung auchHaasen in Beck’sches Formularbuch GmbH-Recht. 2010, C.I.3.,bei § 17 Abs. 1 (Abschlag von 20 %).

Insbesondere gilt dies dann, wenn – wie hier – dieZwangseinziehung primär an einen die Ausschließung desGesellschafters rechtfertigenden Grund geknüpft ist. Denndann hat dieser sein Ausscheiden in aller Regel durch eige-nes Fehlverhalten verursacht, was bereits per se eine höhe-re Reduzierung seiner Abfindung zulässt.56

56 Ähnlich Geißler, GmbHR 2006, 1173 (1181).

Dem Interesse der Gesellschaft, durch die Entschädi-gungszahlung in ihrer Liquidität möglichst wenig beein-trächtigt zu werden, ist durch die Auszahlungsstreckung(drei Raten) Rechnung getragen (§ 11 Nr. 2). Die Dauerdes insoweit noch hinnehmbaren Auszahlungszeitraumswird naturgemäß unterschiedlich beurteilt. Dass hierbeieine Ratenzahlungsdauer von 15 Jahren die Interessen desweichenden Gesellschafters (und seiner Gläubiger) in un-tragbarer Weise schmälert, ist eigentlich offensichtlich undsollte weiterer Begründung nicht bedürfen.57

57 BGH v. 9.1.1989 – II ZR 83/88, GmbHR 1989, 508 (510); Grei-temann in Saenger/Inhester, Hk-GmbHG, 2011, § 34 Rz. 48.

Ebenso wur-de eine Zahlung in drei Raten nach fünf, acht und zehn Jah-ren für sittenwidrig erachtet.58

58 OLG Dresden v. 18.5.2000 – 21 U 3559/99, GmbHR 2000, 718(719), Thiessen in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 34 Rz. 88.

Es findet sich aber auch– allerdings eher bezogen auf die Personengesellschaft –die Ansicht, dass Auszahlungsfristen zwischen acht undzehn Jahren nicht generell zu beanstanden seien.59

59 Ulmer, NJW 1979, 81 (85); Ziegler, DB 2000, 2107 f.

Dies istin Bezug auf eine GmbH jedoch unter zwei Aspekten zuhinterfragen. Einmal ist ein in dieser Rechtsform geführtes

Unternehmen bekanntlich durch eine sehr hohe Insolvenz-anfälligkeit gekennzeichnet, was nicht unbedingt das Ver-trauen in seine – dauerhaft stabile – wirtschaftliche Leis-tungsfähigkeit bestärkt. Darüber hinaus sperrt § 34 Abs. 3GmbHG eine Entschädigungsleistung, wenn sie aus durch§ 30 Abs. 1 GmbHG gebundenen Mitteln bedient werdenmüsste.60

60 BGH v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, GmbHR 2006, 531 (532), m.Komm. T. Tillmann; ausführlicher hierzu, insbesondere zur Haf-tung der Mitgesellschafter gegenüber dem Ausscheidenden, jetztBGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, GmbHR 2012, 387 m. Komm.Münnich, Rz. 14 – in dieser Ausgabe; Hueck/Fastrich in Baum-bach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl 2010, § 34 Rz. 39; Wanner-Lau-fer, NJW 2010, 1499 (1500); Wolff, GmbHR 1999, 958 (959).

Dieses primär gegen den Gesellschafter gerich-tete Auszahlungsverbot erstreckt seine Rechtswirkungauch auf seine Vollstreckungsgläubiger.

All dies verdeutlicht, dass sowohl jene als auch der Gesell-schafter selbst durch zu sehr gestreckte Auszahlungszeit-räume beträchtlichen Risiken ausgesetzt sind. den Abfin-dungsanspruch bei Fälligkeit überhaupt noch (vollständig)durchsetzen zu können. Auch in Ansehung dessen ist – je-denfalls für die GmbH – jener Ansicht der Vorzug zu ge-ben, der für eine definitive Abwicklung des Abfindungs-vorgangs innerhalb von höchstens fünf Jahren votiert.61

61 Strohn in Münch.Komm.GmbHG, 2010, § 34 Rz. 229; Ulmer inUlmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 34 Rz. 92; Greite-mann in Saenger/Inhester, Hk-GmbHG, 2011, § 34 Rz. 48; Maulin Beck’sches Handbuch der GmbH, 4. Aufl. 2009, § 13 Rz. 119;Heckschen in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestal-tungs- und Beratungspraxis, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 286.

Mit dem rechtlichen Vollzug der Einziehung ist grundsätz-lich auch die Abfindung fällig. Bei gestreckten Auszah-lungsmodalitäten sind dem Berechtigten demzufolge Zin-sen zu entrichten, die eine Rendite abwerfen, wie sie ander-weit für vergleichbare Anlageformen erzielt werden könn-te.62

62 Thiessen in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 34 Rz. 88; Engel,NJW 1986, 345 (349).

Dies berücksichtigt § 11 Nr. 3. Eine dem § 246 BGBentsprechende Regelung dürfte hierbei zu starr sein. Des-wegen wurde auf die eher dynamische Gestaltung des§ 288 BGB zurückgegriffen, womit eine weitgehendeKonnexität mit den Zinsmargen des Kapitalmarkts ge-währleistet ist.63

63 Vgl. auch Haasen in Beck’sches Formularbuch GmbH-Recht,2010, C.I.3., bei § 17 Abs. 3.

VII. Zusammenfassung

Der vorstehende Entwurf ist nun nicht von dem Impetusbeherrscht, zu Gunsten der GmbH eine in ihrer Rigiditätgerade noch zulässige Abfindungsbeschränkung zu schaf-fen; denn eine solche wäre mit einem stetigen Überwa-chungsbedarf und auch den Risiken ihrer künftigen Gültig-keit belastet. Stattdessen wurde eine eher moderierende(und auch in ihrem Umfang überschaubare) Regelung prä-feriert, welche mit einer soliden Rechtsbeständigkeit aus-gestattet ist und die Beteiligten damit vor unerwarteten Be-schwerungen bewahrt.

Ob es einer statuarischen Abfindungsbeschränkung über-haupt bedarf, sollten die Gesellschafter aber beizeiten prü-fen; denn ein Anteilseigner, dem bereits wirtschaftlicheBedrängnisse drohen, wird sich kaum mehr zur Mitwir-kung an einer ihn beschwerenden Regelung bereit finden.Eine solche, die bei Vorliegen eines wichtigen Grundeseben auch die Einziehung des Geschäftsanteils des insol-

Markus Geißler

Statuarische Vorsorge bei Pfändung eines GmbH-Anteils und Insolvenz eines Gesellschafters

GmbHR 7/2012 375

venten Gesellschafters vorsieht, ist aber unausweichlich;denn eine Abfindungsverkürzung, die sich allein auf dieAnteilspfändung und die Gesellschafterinsolvenz be-schränkt, wäre wegen Gläubigerbenachteiligung nichtig.

An der – nicht zu Unrecht kritisierten – Rechtsprechungdes BGH, wonach auch eine von Anfang an sittenwidrigeKlausel an der Heilungswirkung des § 242 Abs. 2 AktGteilnimmt, wird die Kautelarpraxis einstweilen sicherlichnicht vorbeikommen. Im – theoretisch denkbaren – Ex-tremfall wird hier ein um gerechte Billigkeit bestrebterRechtsanwender zugegebenermaßen aber harten Prüfun-

gen ausgesetzt. Denn nach Ablauf der Dreijahresfristkönnte damit auch eine allein gegen die Gläubiger gerich-tete Einziehung Gültigkeit erlangen, wiewohl sie darüberhinaus sogar jegliche Abfindung verweigert. Dass Klau-seln, die die Ermittlung der Abfindung allzu spezifischenBerechnungsmethoden überantworten, im Laufe der Zeitauch in die Rechtswidrigkeit hineinwachsen können unddeshalb angepasst werden müssen, spielt innerhalb deshier gegebenen Formulierungsvorschlags wohl keine Rol-le. Denn die Anteilsbewertung nach der Ertragswertme-thode dürfte dauerhaft rechtskonforme Ergebnisse gewähr-leisten.

Dr. Götz Tobias Wiese*

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer– Anmerkungen zur Änderung des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG und

zum BMF-Schreiben vom 24.1.2012 –

* Dr. Götz Tobias Wiese ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Fach-anwalt für Steuerrecht sowie Partner von Latham & WatkinsLLP in Hamburg. Der Autor ist ferner Mitglied des Herausgeber-beirats der GmbH-Rundschau und Lehrbeauftragter der Buce-rius Law School in Hamburg.

Die in EU-Richtlinien und in Doppelbesteuerungsabkom-men vorgesehene Entlastung ausländischer Gesellschaftervon deutscher Quellensteuer hat stets zu missbräuchlichenGestaltungen geführt (sog. Directive Shopping oder TreatyShopping). Missbrauchsvermeidung ist geboten. Doch tunsich Gesetzgebung und Verwaltung mit der Ausgestaltungder entsprechenden Missbrauchsvermeidungsvorschrift– § 50d Abs. 3 EStG – im Rahmen der Grenzen desUnionsrechts und der DBA schwer. Der aufgrund jüngererEuGH-Rechtsprechung erneut geänderte § 50d Abs. 3 S. 1EStG ist auch in seiner neuen Form misslungen und solltegeändert werden. Das dazu veröffentlichte BMF-Schrei-ben v. 24.1.2012 (GmbHR 2012, 415 – in dieser Ausgabe)ist in entscheidenden Teilen unionsrechtswidrig.

I. Vormerkung

§ 50d Abs. 3 EStG versagt in bestimmten Konstellationen,die als missbräuchlich angesehen werden, die Entlastungvon Kapitalertragsteuer, die sich im Normalfall aus Dop-pelbesteuerungsabkommen1

1 In DBA mögen sich indes eigenständige abschließende Regelun-gen finden, vgl. BFH v. 19.12.2007 – I R 21/07, BStBl. II 2008,619 = GmbHR 2008, 714 (LS), zu Art. 23 DBA-Schweiz 1971i.d.F. des Änderungsprotokolls v. 21.12.1992.

oder aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie2

2 Richtlinie des Rates über das gemeinsame Steuersystem derMutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaa-ten v. 23.7.1990, 90/435/EWG, ABl. L 225, S. 6, i.d.F. v.20.11.2006, 2006/98/EG, ABl. L 363, S. 129, nachstehend„Mutter-Tochter-Richtlinie“. Die Mutter-Tochter-Richtliniewurde mit § 43b EStG umgesetzt.

sowie der Zins- und Lizenzrichtlinie3

3 Richtlinie des Rates über eine gemeinsame Steuerregelung fürZahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbunde-nen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten v. 3.6.2003,2003/49/EG, ABl. 2003, L 157, S 49-54, nachstehend „Zins-und Lizenzrichtlinie“. Die Zins- und Lizenzrichtlinie wurdemit § 50g EStG umgesetzt.

bei Zahlungen von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebüh-

ren ergeben würde. Die Vorschrift ist mit Wirkung ab 2012erneut geändert worden.4

4 Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Än-derung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungsrichtlinie-Umset-zungsgesetz – BeitrRLUmsG), BGBl. I 2011, 2592. Die Ände-rung des Wortlauts des § 50d Abs. 3 S. 1 befindet sich in Art. 2Nr. 31 BeitrRLUmsG.

Dieser Beitrag gibt eine Über-sicht über die Änderungen des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG unddas dazu am 24.1.2012 veröffentlichte BMF-Schreiben.5

5 BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK 2011/1032913, BStBl. I 2012, 171 = GmbHR 2012, 415 – in dieserAusgabe, nachstehend „BMF-Schreiben 2012“.

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der sog. Auftei-lungsregel, die das BMF in der Neufassung der Vorschrifterkennt. Diese Regel ist rechtswidrig. Problematisch istauch die Übergangsregelung zum Inkrafttreten des § 50dAbs. 3 S. 1 EStG n.F.

II. Hintergrund und historische Entwicklung

Ursprünglich war die hier in Rede stehende Vorschrift als§ 50d Abs. 1a EStG gegen die missbräuchliche Inan-spruchnahme von Steuerfreistellungen oder -ermäßigun-gen 1994 in das EStG aufgenommen worden.6

6 Zur historischen Entwicklung Klein/Hagena in Herrmann/Heu-er/Raupach, EStG/KStG, § 50d EStG Rz. 2 (243. Lfg. 2010).

Im Jahr2007 wurde die Vorschrift erheblich verschärft.7

7 Seither § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. JStG 2007 v. 13.12.2006, BGBl.I 2006, 2878 = BStBl. I 2007, 28; hierzu bereits Wiese/Süß,GmbHR 2006, 972 ff.; weitere Literaturhinweise bei Gosch inKirchhof, EStG, 10. Aufl. 2011, § 50d vor Rz. 1; Loschelder inLudwig Schmidt, EStG, 30. Aufl. 2011, § 50d Rz. 45, und Klein/Hagena in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 50d EStGvor Rz. 50.

Hinter-grund der Verschärfung war der jahrelange Streit zwischenBFH und BMF über die Frage, unter welchen Umständendie Voraussetzungen der Vorschrift (nunmehr § 50d Abs. 3EStG) erfüllt waren. In der Hilversum II-Entscheidung v.31.5.20058

8 BFH v. 31.5.2005 – I R 74, 88/04, GmbHR 2005, 1373 m.Komm. Breuninger/Schade.

hatte der BFH entschieden, dass auch eine nie-derländische Zwischenholdinggesellschaft, deren Anteils-eignern die Entlastung von Kapitalertragsteuer nicht selbstzugestanden hätte, deren Unternehmensgegenstand sich

Dr. Götz Tobias Wiese

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer

376 GmbHR 7/2012

auf das Halten von Beteiligungen an anderen Gesellschaf-ten beschränkte und die über keine Personal- oder Sach-mittel („Substanz“) verfügte, von der Kapitalertragsteuerentlastet werden konnte, wenn aufgrund der Funktion derGesellschaft im Konzern nicht anzunehmen war, dass diePlatzierung der Beteiligung einer deutschen Gesellschaftgerade bei dieser Zwischenholding nur aus steuerlichen(d.h. nicht aus wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen)Gründen erfolgt war (konzernbezogene Betrachtungswei-se). Das BMF hatte auf die Hilversum II-Entscheidung miteinem Nichtanwendungserlass reagiert.9

9 BMF v. 30.1.2006 – IV B 1 - S 2411 - 4/06, BStBl. I 2006, 166 =GmbHR 2006, 331.

Die konzernbe-zogene Betrachtung bedeutete nach Auffassung des BMFdie unzulässige „Übertragung“ von Merkmalen andererKonzernunternehmen auf die nur vermögensverwaltendeGesellschaft. Außerdem erforderten Wortlaut und Geset-zesbegründung des § 50d Abs. 3 EStG a.F. „in jedem Falleine substantielle Geschäftsausstattung der ausländischenGesellschaft“. Das BMF ging davon aus, dass nach Sinnund Zweck der Vorschrift bereits das Fehlen entweder be-achtlicher Gründe für die Zwischenschaltung der Gesell-schaft oder eigener Wirtschaftstätigkeit ausreichend seien,der ausländischen Gesellschaft die Entlastungsberechti-gung zu versagen. Seit der Neufassung des § 50d Abs. 3EStG durch das JStG 2007 hatte eine ausländische Gesell-schaft keinen Anspruch auf Entlastung von Kapitalertrag-steuer, soweit Personen an ihr beteiligt waren, denen dieEntlastung nicht zugestanden hätte, wenn sie die Einkünfteunmittelbar erzielt hätten und

(1) für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaftwirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehltenoder

(2) die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ih-rer gesamten Bruttobeträge des betreffenden Wirt-schaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielteoder

(3) die ausländischen Gesellschaften nicht mit einem fürihren Geschäftszweck angemessenen Geschäftsbe-trieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil-nahm.

Anders als noch bis Ende 2006 hat seither bereits das Feh-len jeder einzelnen der genannten Voraussetzungen zurVersagung der Entlastung geführt.

Besonders kritisch wurde vor allem das – neue – zweiteKriterium betrachtet, die sog. „10 %-Grenze“: Danach wardie Erstattung oder Freistellung von Kapitalertragsteuer– ohne Entlastungsmöglichkeit – stets zu versagen, wenndie ausländische Gesellschaft das Kriterium „10 % derBruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit“ nicht erfül-len konnte. Ziel des Gesetzgebers war es zu vermeiden,dass Gesellschaften ohne ins Gewicht fallende aktive Wirt-schaftstätigkeit die Entlastung nach § 50d Abs. 1 u. 2 EStGin Anspruch nehmen.10

10 BT-Drucks. 16/2712 v. 25.9.2006, S. 60.

Zu § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. JStG 2007 wurde am 3.4.2007ein BMF-Schreiben veröffentlicht.11

11 BMF v. 3.4.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DOK 2007/0115524, BStBl. I 2007, 446 = GmbHR 2007, 613, geändertdurch BMF v. 21.6.2010 – IV B 5 - S 2411/07/10016 :005 – DOK2010/0374057, BStBl. I 2010, 596 = GmbHR 2010, 840, nach-stehend „BMF-Schreiben 2007“.

Nach diesem Schrei-ben setzte eine eigene Wirtschaftstätigkeit zunächst eine

über den Rahmen der Vermögensverwaltung hinausgehen-de Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehrvoraus12

12 Rz. 6.1 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).

(„wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“), womitauf die Rechtsprechung des EuGH in der RechtssacheCadbury-Schweppes Bezug genommen wurde.13

13 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,GmbHR 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, insb. die Rz. 66 u.52 – 54.

Hielt die antragstellende ausländische Gesellschaft in ih-rem Betriebsvermögen Anteile an inländischen Gesell-schaften, lag eine eigene Wirtschaftstätigkeit nur dann vor,wenn Beteiligungen von einigem Gewicht erworben wor-den waren, um gegenüber den Gesellschaften, an denen dieBeteiligungen bestanden, geschäftsleitende Funktionenwahrzunehmen (aktive Beteiligungsverwaltung).14

14 Rz. 6.2 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11), unter Hinweisauf BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339.

Esreichte nicht aus, dass eine Gesellschaft ohne sonstige un-ternehmerische Betätigung geschäftsleitende Funktionennur gegenüber einer in einem EU-Mitgliedsstaat ansässi-gen Tochtergesellschaft ausübte oder lediglich Anteile aneiner oder mehreren Tochtergesellschaften hielt und sichdabei auf die Ausübung der Gesellschafterrechte be-schränkte (passive Beteiligungsverwaltung). Ob eine Be-teiligung von einigem Gewicht erworben worden war, hingnicht von der Höhe der kapitalmäßigen Beteiligung ab;vielmehr kam es darauf an, dass auf das Geschäft der Be-teiligungsgesellschaft tatsächlich Einfluss genommenwurde. Sodann wurde der Umfang der eigenen Wirt-schaftstätigkeit nach Maßgabe der 10 %-Klausel i.S.d.§ 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG ermittelt.15

15 Rz. 7 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).

Der nicht vermö-gensverwaltende (aktive) Bereich der Gesellschaft durfteim Verhältnis zum vermögensverwaltenden (passiven) Be-reich nicht unwesentlich sein. Er war unwesentlich, wenndie anteiligen Bruttoerträge des betreffenden Wirtschafts-jahres aus dem aktiven Bereich nicht mehr als 10 % der ge-samten „Bruttoerträge“ i.S.d. § 9 AStG betrugen. Mit demVerweis auf § 9 AStG war zunächst nicht viel geholfen, dader Vorschrift letztlich die Voraussetzungen der §§ 7, 8AStG vorausliegen.16

16 Vgl. Geurts in Mössner/Fuhrmann, AStG, 2. Aufl. 2011, § 9Rz. 12.

Das BMF stellte aber klar, dass Divi-denden und andere Erträge (z.B. Zinsen und Lizenzgebüh-ren) aus aktiver Beteiligungsverwaltung in Bezug auf sog.„geleitete Gesellschaften“ zu den Bruttoerträgen des Be-reichs der eigenen Wirtschaftstätigkeit zählten.17

17 Rz. 6.2 f. des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).

GeleiteteGesellschaften waren danach solche, auf die Führungsent-scheidungen von langfristiger Natur, Grundsätzlichkeitund Bedeutung für den Bestand der Beteiligungsgesell-schaft ausgeübt wurden. Sie unterschieden sich von ledig-lich kurzfristigen und ausführungsbezogenen Entschei-dungen. Die Durchführung nur einzelner Geschäftsfunk-tionen wie z.B. Lizenzverwertung und/oder Kreditgewäh-rung reichte für die Qualifizierung als aktive Beteiligungs-verwaltung nicht aus.18

18 Rz. 6.3 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).

Auf der Rechtsfolgenseite sah § 50d Abs. 3 S. 1 EStG a.F.eine Alles-oder-Nichts-Regel vor, wonach für Einkünfte,für die Entlastungsberechtigung bestand, vollen Umfangsvon der jeweiligen Entlastung Gebrauch gemacht werdenkonnte.19

19 Rz. 13 S. 1 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11). Dies wird

Dr. Götz Tobias Wiese

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer

GmbHR 7/2012 377

hier nur verkürzt dargestellt, aber im weiteren Verlauf derAbhandlung aufgegriffen, da das BMF zum neuen Recht eineandere Auffassung vertritt, die der kritischen Auseinanderset-zung bedarf.

§ 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG ist von der EuropäischenKommission am 18.3.2010 beanstandet worden.20

20 Az. 2007/4435, vgl. Pressemitteilung IP/10/298. Die Kommis-sion verband die Aufforderung zur Änderung des § 50d Abs. 3S. 1 Nr. 2 EStG mit einer Stellungnahme gemäß Art. 258 AEUV.

Die Eu-ropäische Kommission forderte Deutschland förmlich auf,die Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung bei Quellen-steuerentlastungen zu ändern. Dabei kritisierte die Kom-mission nicht das mit der Missbrauchsbekämpfung ver-folgte Ziel, sondern speziell die Anforderungen an auslän-dische Unternehmen zur Erbringung des Nachweises eige-ner Wirtschaftstätigkeit. Diese Anforderungen wurden fürunverhältnismäßig gehalten im Hinblick darauf, dass keineMöglichkeit zum Nachweis der eigenen Wirtschaftstätig-keit bestand, wenn die 10 %-Grenze nicht erfüllt wurde.Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss eineMissbrauchsvermutung widerlegbar sein.21

21 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,GmbHR 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 70; v. 21.1.2010 –Rs. C-311/08 – Societe de Gestion Industrielle S.A., IStR 2010,144.

III. Überblick: Neufassung des § 50d Abs. 3 S. 1EStG i.d.F. BeitrRLUmsG

Das Bundesfinanzministerium und mit ihm der Finanzaus-schuss des Bundestages haben die Kritik aufgenommenund im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Umset-zung der Beitreibungsrichtlinie (BeitrRLUmsG) die Ände-rung des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG betrieben. Diese wurdeam 7.12.2011 im Bundesgesetzblatt verkündet22

22 S. oben. Fn. 4.

und tratam 1.1.2012 in Kraft.23

23 Art. 25 Abs. 1 BeitrRLUmsG.

Nunmehr lautet § 50d Abs. 3 S. 1 EStG wie folgt:24

24 Kursiv gedruckt sind die neuen oder gegenüber der bisherigenGesetzesfassung verschobenen Worte.

„Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völligeoder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweitPersonen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistel-lung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten,und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirt-schaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschafts-tätigkeit stammen, sowie

1. in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländi-schen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründefehlen oder

2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Ge-schäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb amallgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.“

Weggefallen ist die 10 %-Grenze des bisherigen § 50dAbs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG, also die nachstehende Formulie-rung, wonach

die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamtenBruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigenerWirtschaftstätigkeit erzielt.

Es könnte sich der Eindruck ergeben, als wäre mit derStreichung der 10 %-Grenze und den weiteren Änderun-gen des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG i.d.F. BeitrRLUmsG dieVorschrift lediglich vereinfacht und klarer gefasst undunionsrechtskonform ausgestaltet worden. Dies ist jedoch

nicht der Fall. Zum einen erkennt das BMF in der Neufas-sung eine unklare und unionsrechtswidrige „Aufteilungs-regel“ für die Höhe des Anspruchs auf Steuerentlastung(dazu sogleich IV.). Zum anderen bestehen Unklarheitenim Bereich der Voraussetzungen für die Steuerentlastung(dazu V.). Schließlich gibt es Fragen im Zusammenhangmit der Erteilung von Freistellungsbescheinigungen undganz allgemein zur zeitlichen Anwendbarkeit des neuenRechts (dazu VI. und VII.). Die Verwaltungsauffassung zudiesen Themen ist im neuen BMF-Schreiben 2012 darge-stellt.25

25 BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5).

Das BMF-Schreiben 2012 ist eine Fortschreibungdes BMF-Schreibens 2007, die allerdings in entscheiden-den Teilen missglückt ist.

IV. Höhe des Anspruchs auf Steuerentlastung

1. Aufteilungsregelung

Ob der Gesetzeswortlaut eine vom bisherigen Recht ab-weichende Aufteilungsregel enthält, ist zweifelhaft. DieAufteilungsregel wird allerdings in der Gesetzesbegrün-dung erwähnt. Im Bericht des Finanzausschusses heißtes:26

26 BT-Drucks. 17/7524 v. 26.10.2011, S. 17.

„Die bisherige Umqualifikationsklausel wird durch eine neueAufteilungsklausel ersetzt. Danach werden nur insoweit keineAbkommensvorteile mehr gewährt, als die Bruttoerträge nicht auseigener Wirtschaftstätigkeit stammen und die übrigen Aus-schlussgründe vorliegen. Wenn also z.B. die Verwertung von inDeutschland mit hohen, steuerlich abzugsfähigen Kosten entwi-ckelten gewerblichen Schutzrechten von der deutschen Mutter aufeine (meist niedrig besteuerte) ausländische Tochter in einemDBA-Staat übertragen wird, wird die auf den Verwertungserlösenlastende deutsche Abzugssteuer nach den Vorschriften des betrof-fenen Doppelbesteuerungsabkommens bei Vorliegen einer derbeiden anderen eine echte wirtschaftliche Tätigkeit ausschließen-de Gründe teilweise oder überhaupt nicht erstattet oder freigestelltwerden. Unerheblich ist es, ob und in welchem Umfang die aus-ländische Tochter im Übrigen Bruttoerträge aus unschädlicherTätigkeit erzielt.“

Der Begriff der Aufteilungsklausel ist also in der Gesetzes-begründung angelegt, aber dort nicht weiter ausgeführt.Das genannte Beispiel hilft insbesondere im Hinblick aufDividendenstrukturen nicht weiter, da hier keine Aus-schüttung an eine ausländische Muttergesellschaft be-schrieben wird, bei der sich die Frage stellen würde, inwie-weit die Muttergesellschaft entlastungsberechtigt ist. Viel-mehr beschreibt der Fall eine Vollrechtsübertragung aneinem gewerblichen Schutzrecht auf eine ausländischeTochtergesellschaft, die künftig Lizenzgebühren von ihrerdeutschen Muttergesellschaft erhält. In diesem Fall stelltsich die Frage nach der persönlichen Entlastungsberechti-gung nicht, da die deutsche Muttergesellschaft unter demDBA bzw. der Zins- und Lizenzrichtlinie nicht persönlichentlastungsberechtigt ist. Umgekehrt zeigt das Beispielaber auch, dass es allein auf die sachliche Entlastungsbe-rechtigung ankommt, wenn die ausländische Gesellschaft– hier: die im DBA-Staat ansässige Tochtergesellschaft –formell den Tatbestand des DBA (bzw. in EU-Fällen derZins- und Lizenzrichtlinie und des § 50g EStG) erfüllt.Aber interessant ist das Beispiel in der Gesetzesbegrün-dung vor allem deswegen, weil es unmissverständlich sagt:„Unerheblich ist es, ob und in welchem Umfang die aus-ländische Tochter im Übrigen Bruttoerträge aus unschäd-licher Tätigkeit erzielt.“ Konsequenz daraus ist, dass ent-

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Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer

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weder – bei Vorliegen der sachlichen Entlastungsberechti-gung – die DBA-Entlastung für die Lizenzgebühren vollenUmfangs gewährt wird, oder anderenfalls die Entlastungvollen Umfangs versagt wird. Letztlich bedeutet die Auf-teilungsklausel in der Lesart der Gesetzesbegründung,dass für jeden einzelnen Bruttoertrag individuell geprüftwerden muss, ob die Entlastungsberechtigung vorliegt(dann volle Entlastung) oder eben nicht.

Im BMF-Schreiben 2012 heißt es hingegen:

„Erzielt die ausländische Gesellschaft der Quellensteuer unterlie-gende abzugsteuerpflichtige Einkünfte, ermäßigt sich die Quel-lensteuer vorbehaltlich einer zusätzlichen persönlichen Entlas-tungsberechtigung im Verhältnis der unschädlichen Bruttoerträgezu den im Wirtschaftsjahr insgesamt erzielten Bruttoerträgen derausländischen Gesellschaft („Aufteilungsklausel“).27

27 Rz. 2 des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5).

(...)

Die ausländische Gesellschaft hat insoweit einen Anspruch aufSteuerentlastung, als

a) an ihr unmittelbar oder mittelbar persönlich entlastungsberech-tigte Personen (siehe Rz. 4 [des BMF-Schreibens]) beteiligt sindoder

b) sie nachweist, dass für die abzugssteuerpflichtigen Einkünfteeine sachliche Entlastungsberechtigung vorliegt (unschädlicheErträge i.S.d. Rz. 1) oder

c) es sich um einen der in § 50d Abs. 3 Satz 5 EStG genanntenSonderfälle (siehe Rz. 9)28

28 Gesellschaften mit börsengehandelten Aktien und Investment-gesellschaften. Auf diese wird im Folgenden nicht weiter einge-gangen.

handelt.29

29 Rz. 12 Abs. 1 des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5). Im Ver-gleich mit dem BMF-Schreiben 2007, aaO (Fn. 11), dort Rz. 13,fällt zunächst auf, dass im Einleitungshalbsatz das Wort „inso-weit“ eingefügt wurde.

In Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012 setzt das BMF zumgroßen Wurf an und nennt ein Beispiel für die Anwendungdes neuen Rechts bei Dividenden- und Lizenzeinnahmeneiner ausländischen Muttergesellschaft von deutschenTochtergesellschaften. Dieses Beispiel hat es in sich. Eswar zunächst unverständlich und wurde nach wenigen Ta-gen in der Online-Fassung auf der Website des BMF geän-dert.30

30 Dazu der Hinweis in IStR 2012, 234.

Inhaltlich setzt es sich mit der – nachstehend nochzu erläuternden – Begrifflichkeit zur persönlichen undsachlichen Entlastungsberechtigung der ausländischenGesellschaft auseinander. Es sagt – verkürzt – Folgendes:Auf Ebene der – formell abkommens- bzw. richtlinienbe-rechtigten – ausländischen Gesellschaft ist zu prüfen, inwelchem Umfang deren Bruttoerträge31

31 Zum Begriffswirrwarr „Bruttoerträge“, „Erträge“ und „Einkünf-te“ s. Lüdicke, IStR 2012, 81 (82 f.).

entweder (i) sol-che aus eigener Wirtschaftstätigkeit sind oder (ii) beacht-liche Gründe für die Einschaltung der ausländischen Ge-sellschaft bestehen und diese einen angemessenen Ge-schäftsbetrieb unterhält, der aktiv am Markt teilnimmt(sachliche Entlastungsberechtigung). Zunächst ist dieQuote der solchermaßen „guten“ Bruttoerträge zu den Ge-samtbruttoerträgen zu ermitteln. Soweit diese Quote nicht100 % beträgt, ist durch die ausländische Gesellschaft hin-durchzuschauen und derselbe Test bei den unmittelbarenund mittelbaren Gesellschaftern zu machen, indem diesachliche Entlastungsberechtigung der Gesellschafter (defacto bis zur letzten natürlichen Person, börsennotiertenGesellschaft oder Investmentgesellschaft) geprüft und mitder Möglichkeit der Gesellschafter, Abkommens- oderRichtlinienschutz in Anspruch zu nehmen (persönliche

Entlastungsberechtigung), „multipliziert“ wird. Diese Ent-lastungsberechtigungen „durch die Kette“ sind am Ende zuaddieren, so dass sich für die ausländische Gesellschafteine Gesamtquote für Ihre Entlastungsberechtigung ergibt.

Dies lässt sich anhand des – hier stark vereinfacht und ab-gewandelt dargestellten – Sachverhalt, den das BMF inRz. 12 des BMF-Schreibens 2012 zugrunde legt, wie folgtillustrieren:

Sachverhalt: An der im EU-Ausland ansässigen Kapi-talgesellschaft A sind zu 30 % eine richtlinienberech-tigte EU-Kapitalgesellschaft (B), zu 20 % eine Kapital-gesellschaft im DBA-Staat (C), die nach Art. 10OECD-MA eine Kapitalertragsteuerentlastung von15 % in Anspruch nehmen könnte, und zu 50 % einedeutsche GmbH (D) beteiligt. A wird als Gesellschaftanerkannt, ist aber nicht sachlich entlastungsberech-tigt. B, C und D sind alle sachlich entlastungsberech-tigt.

A erzielt von einer deutschen Tochtergesellschaft eineDividende i.H.v. 100.000 c.

Lösung: Die Kapitalertragsteuerentlastung gemäߧ§ 43b, 50d EStG ist nur i.H.v. 9,5 %-Punkten zu ge-währen und berechnet sich wie folgt:

– Für A: 0 %, da keine sachliche Entlastungsberechti-gung besteht;

– für B: 30 % (Beteiligungsquote) x 100 % (volle Ent-lastung aufgrund Mutter-Tochter-Richtlinie) von25 % (ohne SolZ), d.h. 7,5 %-Punkte;

– für C: 20 % (Beteiligungsquote) x 40 % (Entlastungvon 10 %-Punkten gegenüber dem nationalen Kapi-talertragsteuersatz) von 25 %, d.h. 2 %-Punkte;

– für D: 50 % (Beteiligungsquote) x 0 % (keine Ent-lastung, da deutsche Gesellschaft) von 25 %, d.h.0 %-Punkte.

Kapitalertragsteuer ist i.H.v. 15.500 c einzubehalten.

Nicht neu an diesem Konzept ist das Prüfen der persön-lichen Entlastungsberechtigung durch die Kette; diese Prü-fung war schon nach altem Recht vorgesehen.32

32 Rz. 13 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11): „Sind an derausländischen Gesellschaft auch nicht entlastungsberechtigtePersonen beteiligt [...] und erbringt sie den genannten Nachweis[der anerkannten Gründe für die Zwischenschaltung der auslän-dischen Gesellschaft, d.Verf.] nicht, ist zur Feststellung der Höhedes Steuerentlastungsanspruchs für jeden Gesellschafter geson-dert zu prüfen, wie hoch sein Entlastungsanspruch wäre, wenn erdie Einkünfte unmittelbar erzielte (fiktiver Entlastungsan-spruch). Der Steuerentlastungsanspruch der Gesellschaft ergibtsich aus der Summe der fiktiven Entlastungsansprüche der Ge-sellschafter, die unmittelbar an der antragstellenden Gesellschaftbeteiligt sind.“

Das Kon-zept wird jedoch durch die Neuerung ergänzt – dies ist derKern der sog. Aufteilungsregel –, dass für die persönlichentlastungsberechtigten Gesellschafter jeweils zu prüfenist, welche Quote „guter“ Bruttoerträge, für die sachlicheEntlastungsberechtigung besteht, auf deren Ebene zu er-mitteln ist. Entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut der Ge-setzesbegründung können nach Auffassung des BMF, wiesie in dem Beispiel der Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012zum Ausdruck kommt, Erträge, die eindeutig und vollstän-dig z.B. aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit der auslän-dischen Gesellschaft erzielt werden, nicht zu 100 % alssachlich entlastungsberechtigt behandelt und – bei Vorlie-

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GmbHR 7/2012 379

gen der persönlichen Entlastungsberechtigung – zu 100 %von der Abzugsteuer befreit werden, wenn die Gesellschaftund die hinter ihr stehenden Gesellschafter auch schäd-liche, d.h. nicht sachlich entlastungsberechtigte Erträge er-zielen. Mit anderen Worten: Selbst wenn die ausländischeGesellschaft persönlich entlastungsberechtigt ist und diebezogene Dividende oder Lizenzgebühr eindeutig und voll-ständig dem sachlich „guten“ Bereich zuzurechnen ist, ver-sagt die Finanzverwaltung die vollständige Entlastung,wenn die ausländische Gesellschaft bzw. ihre Gesellschaf-ter darüber hinaus auch schädliche Erträge erzielen.

Sachverhalt: wie zuvor. A erzielt allerdings Dividen-den von mehreren deutschen Tochtergesellschaften.Nach Maßgabe des BMF-Schreibens erzielt A Divi-denden i.H.v. 30.000 c, für die sachliche Entlastungs-gründe vorliegen, und schädliche Dividenden i.H.v.70.000 c.

Lösung: Die Kapitalertragsteuerentlastung gemäߧ§ 43b, 50d EStG ist für sämtliche Dividenden nacheinem einheitlichen Entlastungssatz i.H.v. 14,15 %-Punkten zu gewähren, der sich wie folgt berechnet:

– für die „guten“ Dividenden: 30 % (anteilige „gute“Erträge) x 100 % (volle „eigene“ Entlastung der Aaufgrund Mutter-Tochter-Richtlinie) von 25 % (oh-ne SolZ), d.h. 7,5 %-Punkte;

– für die „schädlichen“ Dividenden: 70 % (anteilige„schädliche“ Erträge) x 9,5 % (abgeleitete Entlas-tung von B, C und D, wie im vorherigen Beispiel er-rechnet), d.h. 6,65 %-Punkte;

Der Kapitalertragsteuersatz beträgt für sämtliche Divi-denden 10,85 %. Insgesamt ist von den Tochtergesell-schaften Kapitalertragsteuer i.H.v. 10.850 c einzube-halten.

2. Kritik

Die Aufteilungsregel in der Lesart des BMF ist unions-rechts- und abkommenswidrig. Die Neuregelung musssich ebenso an den unionsrechtlichen Grundfreiheiten(Niederlassungs-, Kapitalverkehrs- und Dienstleistungs-freiheit)33

33 Art. 49, 63 Abs. 1 u. 56 AEUV.

und den genannten Richtlinien messen lassenwie an den Vorgaben der Doppelbesteuerungsabkom-men.34

34 Vgl. Rz. 7 ff. OECD-MK zu OECD-MA.

Es ist dies nicht der Platz, die unions- und abkom-mensrechtliche Schrankendogmatik im einzelnen auszu-breiten,35

35 Schönfeld, IStR 2012, 215 ff.; s. auch Gosch in Kirchhof, EStG,10. Aufl. 2011, § 50d Rz. 26 f.

aber so viel sei hier gesagt: Die Kapitalverkehrs-freiheit i.S.d. Art. 63 Abs. 1 AEUV ist verletzt, wenn ihrAnwendungsbereich ohne Rechtfertigung beschränktwird.36

36 Die Kapitalverkehrsfreiheit (s. hierzu und zum Folgenden v. Wil-mowsky in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreihei-ten, § 12, Rz. 2 ff.) erfasst jegliche Begründung, Übertragungund Verlagerung von vermögenswerten Rechten. Folglich ist erberührt, wenn der Ertrag von Kapital einer Steuer unterworfenwird. Da Dividenden inländischer Tochtergesellschaften auslän-discher Muttergesellschaften mit Kapitalertragsteuer belegt wer-den, weist § 50d Abs. 3 EStG auch den erforderlichen grenz-überschreitenden Bezug auf.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH37

37 Vgl. neben dem Grundsatzurteil des EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes, GmbHR 2006, 1049 m. Komm.Kleinert zuletzt EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-126/10 – National

Grid Indus BV, DStR 2011, 2334 = GmbHR 2012, 232 (LS); da-zu Prinz, GmbHR 2012, 195 ff.

ist bei einer beschränkenden (Missbrauchsvermeidungs-)-

Maßnahme u.a. zu prüfen, ob diese nicht über das hinaus-geht, was zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels erfor-derlich ist.38

38 Vgl. u.a. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-126/10 – National Grid In-dus BV, DStR 2011, 2334 = GmbHR 2012, 232 (LS), Rz. 50, unterHinweis auf EuGH v. 30.6.2011 – Rs. C-262/09 – Meilicke u.a.,GmbHR 2011, 875 m. Komm. Rehm/Nagler, Rz. 42 und die dortangeführte Rechtsprechung (Prüfung der Verhältnismäßigkeit).

Die Doppelbesteuerungsabkommen lassennur diesseits der Grenze zum Treaty Override eine be-schränkende (Missbrauchsbekämpfungs-)Maßnahme zu,wenn diese darauf abzielt, die Vorteile eines DBA nicht zugewähren, wenn ein Hauptzweck bestimmter Gestaltun-gen darin besteht, eine günstigere Steuerposition zu erlan-gen und diese günstigere Behandlung unter den gegebenenUmständen dem Sinn und Zweck der einschlägigen Vor-schriften widersprechen würde.39

39 Rz. 9.5 OECD-MK zu OECD-MA.

Der OECD-Musterkom-mentar schlägt z.B. folgende Formulierung für eine zuläs-sige Beschränkung vor:

„Eine in einem Vertragsstaat ansässige Person kann, selbst wennsie keine berechtigte Person ist, die Vergünstigungen des Abkom-mens in Bezug auf Einkünfte aus dem anderen Staat beanspru-chen, wenn sie im erstgenannten Staat eine aktive Geschäftstätig-keit ausübt (...), die Einkünfte aus dem anderen Staat im Zusam-menhang mit oder anlässlich dieser Geschäftstätigkeit anfallenund die Person die übrigen Voraussetzungen für die Inanspruch-nahme dieser Vergünstigungen erfüllt.“40

40 S. das Beispiel in Rz. 20 OECD-MK zu OECD-MA, dort Nr. (3) a).

In diesem Sinne hatte sich der EuGH für die Grundfreihei-ten bekanntlich bereits in der Rechtssache Cadbury-Schweppes klar positioniert:

„Eine Beschränkung [...] (lässt sich) nur mit Gründen der Be-kämpfung missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen, wenn dasspezifische Ziel der Beschränkung darin liegt, Verhaltensweisenzu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirt-schaftlichen Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errich-ten, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkei-ten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird.41

41 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,GmbHR 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 55.

(...)

Der ansässigen Gesellschaft, die hierzu am ehesten in der Lage ist,ist die Gelegenheit zu geben, Beweise für die tatsächliche Ansied-lung der beherrschten ausländischen Gesellschaft und deren tat-sächliche Betätigung vorzulegen.“42

42 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,GmbHR 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 70.

Während die Verhältnismäßigkeit auf der Tatbestandsseitein diesem Sinne eingehend zu prüfen ist, gibt es keine Be-schränkung auf der Rechtsfolgenseite: Wenn die Be-schränkung der Inanspruchnahme unions- oder abkom-mensrechtlicher Vorteile unzulässig ist, heißt dies im Um-kehrschluss, dass diese auch zu gewähren sind, und zwaruneingeschränkt.43

43 Dies gilt selbst dann, wenn die quotale Inanspruchnahme derEntlastung im konkreten Fall in der Summe zu demselben Er-gebnis führen sollte wie die Alles-oder-Nichts-Regelung. Beibestimmten Annahmen würde die Aufteilungsregel, bei der z.B.3/10tel der Entlastung auf alle, d.h. auch auf schädliche Erträgegewährt wird, zu dem gleichen Ergebnis führen wie die Alles-oder-Nichts-Regel, bei der in 3/10tel der Fälle die volle Entlas-tung gewährt, sie indes in 7/10tel der Fälle versagt wird. DiesesErgebnis wäre indes rein zufällig und von den Besonderheitendes Einzelfalles abhängig.

Im Anwendungsbereich des Unionsrechts besteht beimVollzug des nationalen Rechts die Verpflichtung zur

Dr. Götz Tobias Wiese

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer

380 GmbHR 7/2012

unionsrechtskonformen Interpretation.44

44 Zorn, IStR 2012, 86 ff. unter Hinweis auf Jarass/Beljin, JZ 2003,768 ff.; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatlichesRecht, 3. Aufl. 2006, S. 91. Dies muss erst recht für Verwal-tungsanweisungen gelten. Denn trotz fehlender Rechtssetzungs-kompetenz der Union für die Gestaltung direkter Steuern entfal-tet das Unionsrecht – vermittelt über die Grundfreiheiten – Wir-kung auf die nationalen Steuerrechtsordnungen. Die mit denGrundfreiheiten verbundenen Diskriminierungsverbote entfal-ten unmittelbare Wirkung. Folglich können sich Individuen ge-genüber nationalen Behörden und Gerichten unmittelbar auf sieberufen. Verstößt eine Rechtsnorm gegen Grundfreiheiten, so istsie stattdessen insoweit ipso iure unanwendbar (vgl. Opper-mann, Europarecht, § 17, Rz. 9, m.w.N.). Begründet wird diesim Wesentlichen mit dem in Art. 4 Abs. 3 UA 3 EUV niederge-legten Gebot unionstreuen Verhaltens der Mitgliedsstaaten (effetutile, vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Band 1: Grundfreihei-ten, Rz. 84). Entsprechende Urteile des EuGH wirken grundsätz-lich ex tunc (Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rz. 287m.w.N.).

Im Hinblick aufden – hier erneut vereinfacht und abgewandelt dargestell-ten – Sachverhalt, den das BMF in Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012 zugrunde legt, bedeutet dies Folgendes:

Sachverhalt: An der im EU-Ausland ansässigen Kapi-talgesellschaft A sind ausschließlich Personen betei-ligt, die außerhalb der EU und nicht in einem DBA-Staat ansässig sind. A entfaltet eigene wirtschaftlicheTätigkeit, hat einen angemessen eingerichteten Ge-schäftsbetrieb, mit dem sie am Markt aktiv teilnimmt;sie ist insoweit sachlich entlastungsberechtigt. DiesemBereich ihres Geschäfts, mit dem auch die 100 %-Be-teiligung an einer deutschen GmbH in engem Funk-tionszusammenhang steht, sind 30 % der Bruttoerträgeder A zuzurechnen. Daneben erzielt A 70 % ihrer Brut-toerträge aus schädlicher Tätigkeit.

A erzielt von der deutschen Tochtergesellschaft eineDividende i.H.v. 100.000 c.

Lösung im Sinne des BMF: Die Kapitalertragsteuer-entlastung gemäß §§ 43b, 50d EStG ist nur i.H.v. 30 %zu gewähren, also 30 % von 25 % (ohne SolZ), d.h.7,5 %-Punkten. Kapitalertragsteuer ist i.H.v. 17.500 c

einzubehalten.

Lösung im hier vertretenen Sinne: Die Entlastungvon Kapitalertragsteuer ist vollen Umfangs zu gewäh-ren.45

45 N.B. Sie wäre indes vollen Umfangs zu versagen, wenn in Bezugauf den konkreten Bruttoertrag der Missbrauchseinwand greifenwürde.

Kapitalertragsteuer ist nicht einzubehalten.

M.E. lässt sich die hier vertretene Lösung mit dem Wort-laut des Gesetzes in Einklang bringen. Der Wortlaut („so-weit“, „in Bezug auf“) bedeutet, dass die Prüfung des§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG für jeden Bruttoertrag, der grund-sätzlich kapitalertragsteuerpflichtig und potentiell richtli-nien- bzw. abkommensberechtigt ist, gesondert vorgenom-men werden muss. § 50 Abs. 3 EStG n.F. ist in diesem Sin-ne unionsrechts- und abkommenskonform auszulegen.Eine Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage er-gibt sich insoweit nicht. Das BMF-Schreiben 2012 ist inseiner Lesart der Aufteilungsregel rechtswidrig; es mussüberarbeitet werden, Rz. 12 ist aufzuheben.

V. Entlastungsberechtigung

Die tatbestandliche Anknüpfung der Entlastungsberechti-gung ist danach zentral für die Anwendung der Vorschrift

des § 50d Abs. 3 EStG.46

46 Insgesamt ist der Wortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG miss-glückt, da es versäumt wurde, den Tatbestand klar zu konzipie-ren (dies zeigt sehr schön die Gegenüberstellung bei Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 [930]) und sprachlich entsprechendneu zu fassen.

Dies gilt auch vor dem Hinter-grund, dass der ausländischen Gesellschaft die Feststel-lungslast für das Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerk-male obliegen soll.47

47 Vgl. § 50 Abs. 3 S. 4 EStG; Rz. 13 des BMF-Schreibens 2012,aaO (Fn. 5).

Das BMF-Schreiben 2012 gibt zunächst einen allgemei-nen Überblick über das Konzept der Einschränkung derEntlastungsberechtigung, die nach §§ 43b, 50g EStG odereinem DBA bestehen würde. Der Entlastungsanspruch istdanach tatbestandlich beschränkt,

– soweit Personen an der Gesellschaft beteiligt sind, de-nen die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie dieEinkünfte unmittelbar erzielten (persönliche Entlas-tungsberechtigung), und

– soweit die Funktionsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3S. 1 EStG (sachliche Entlastungsberechtigung) nichtvorliegen (schädliche Erträge).“48

48 Rz. 1 des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5); Hervorhebungenim Original.

Sodann unternimmt das BMF den Versuch, die Begriffeder persönlichen und sachlichen Entlastungsberechtigungzu definieren.49

49 Dieser im Grundsatz begrüßenswerte Ansatz erscheint aller-dings insoweit missglückt, als sich das BMF im weiteren Verlaufdes Schreibens nicht durchgehend an die selbst vorgegebeneDiktion hält; darauf wird noch zurückzukommen sein.

1. Begriff der „persönlichen“ Entlastungsberechtigung

In Rz. 4 des BMF-Schreibens 2012 wird das schon bishergeltende Merkmal der formellen Entlastungsberechti-gung, das nach der Berechtigung „nach dem Buchstabendes Gesetzes“ fragte, wenn entsprechende Substanz derausländischen Gesellschaft vorlag, zu einer sog. persön-lichen Entlastungsberechtigung ausgebaut. Schon bislanghatte

„eine ausländische Gesellschaft keinen Entlastungsanspruch nach§§ 43b oder 50g EStG oder nach einem DBA, wenn [keine sach-lichen Gründe für die Zwischenschaltung der ausländischen Ge-sellschaft vorlagen50

50 Kursorische Zusammenfassung des Original-Wortlauts, derVerf.

] und soweit Personen an ihr beteiligt sind,denen eine Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn siedie Einkünfte unmittelbar erzielten (Prüfung der mittelbaren Ent-lastungsberechtigung des Gesellschafters). Die Entlastungsbe-rechtigung ist entsprechend dem Gesetzeswortlaut („soweit“) fürjeden Gesellschafter gesondert zu prüfen.“51

51 Rz. 4 des BMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11).

Im Ergebnis bedeutete dies schlicht, dass dann, wenn aufEbene der unmittelbar beteiligten, formell entlastungsbe-rechtigten Gesellschaft keine sachlichen Gründe für derenZwischenschaltung bestanden, durch diese hindurchzu-schauen war mit dem Ziel der Prüfung, ob hinter ihr ggf.formell entlastungsberechtigte Personen52

52 Also nicht Personen, die sich bereits dem Wortlaut nach nicht aufden Tatbestand eines Entlastung gewährenden Gesetzes stützenkonnten. Zu diesen zählten schon bislang inländische Gesell-schafter (vgl. Rz. 4 Abs. 1 a.E. BMF-Schreiben 2007, aaO

standen, dieauch die sachlichen Voraussetzungen erfüllten.

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GmbHR 7/2012 381

[Fn. 11]). Ebenso nunmehr Rz. 4.1 BMF-Schreiben 2012, aaO(Fn. 5).

Letztlich hat sich durch die Neufassung des Gesetzes hie-ran nichts geändert. „Persönliche“ Entlastungsberechti-gung i.S.d. BMF-Schreibens 2012 meint augenscheinlichnichts anderes als Entlastungsberechtigung „nach demBuchstaben des Gesetzes“ (hier wird weiter von „formel-ler“ Entlastungsberechtigung gesprochen), wie sie ohneweiteres dem BMF-Schreiben 2007 als Konzept der Ent-lastungsberechtigung zugrunde lag.

Völlig unbedenklich ist die Neuschöpfung des Begriffs der„persönlichen“ Entlastungsberechtigung indes nicht.Schon die Definition der persönlichen Entlastungsberech-tigung in Rz. 1 des BMF Schreibens 2012 verwirrt, da hiergerade der zum Ausschluss von der Entlastung führendeFall der fehlenden persönliche Entlastungsberechtigungvorliegt. Sind nämlich Personen an der Gesellschaft betei-ligt, denen die Steuerentlastung nicht zustünde, wenn siedie Einkünfte unmittelbar erzielten, liegt die persönlicheEntlastungsberechtigung gerade nicht vor. Offensichtlichzielt die Bestimmung darauf ab, die Entlastung davon ab-hängig zu machen, dass die formell entlastungsberechtigteausländische Gesellschaft, die einen sachlichen Entlas-tungsgrund nicht selbst vorweisen kann, jedenfalls inso-weit entlastungsberechtigt sein soll, als hinter der Gesell-schaft Personen stehen, denen eine Steuerentlastung so-wohl formell als auch sachlich zustünde, wenn sie die Ein-künfte unmittelbar erzielten. Daher ist es ein Fehler, wenndie – neue – Rz. 12 des BMF-Schreibens 2012 davonspricht, dass eine ausländische Gesellschaft „insoweiteinen Anspruch auf Steuerentlastung [hat], als an ihr un-mittelbar oder mittelbar persönlich entlastungsberechtigtePersonen beteiligt sind (...)“. Die nur formelle Entlastungs-berechtigung des direkt beteiligten mittelbaren Gesell-schafters, bei dem also nicht zugleich sachliche Entlas-tungsberechtigung vorliegen, ist gerade nicht ausreichend,der ausländischen Gesellschaft einen Anspruch auf Steuer-entlastung zu geben, wenn diese selber nur formell, nichtaber sachlich entlastungsberechtigt ist. Auf Ebene einesmittelbaren Gesellschafters müssen beide Tatbestands-merkmale zugleich erfüllt sein.53

53 Zudem darf die Kette nicht durch einen persönlich nicht entlas-tungsberechtigten Gesellschafter unterbrochen sein.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass das BMF in der Sache(wohl) nichts Neues sagen möchte. Persönliche Entlas-tungsberechtigung ist nichts anderes als „formelle“ Entlas-tungsberechtigung „nach dem Buchstaben des Gesetzes“.Die neue Terminologie sollte im BMF-Schreiben stringentverwendet werden.

2. Begriff der „sachlichen“ Entlastungsberechtigunga) Übersicht

Der Gesetzeswortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG n.F. zursachlichen Entlastungsberechtigung ist missglückt; dieVorschrift formuliert negativ („Eine ausländische Gesell-schaft hat keinen Anspruch auf Entlastung, wenn (...)“). In-soweit ist es zunächst zu begrüßen, dass das BMF erkenn-bar darum bemüht ist, im BMF-Schreiben 2012 die An-spruchsvoraussetzungen der sachlichen Entlastungsbe-rechtigung positiv zu formulieren. Die Nummerierung ge-setzlichen des Tatbestands ist indes verwirrend, und dasBMF-Schreiben sorgt hier nicht für die wünschenswerteKlarheit.

§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG n.F. beschreibt, positiv formuliert,zwei alternative sachliche Entlastungstatbestände:54

54 So auch Klein, Tagungsbeitrag Hamburger Forum für Unterneh-mensteuerrecht, 16.2.2012, abrufbar unter www.forum-unternehmensteuerrecht.de; Lüdicke, IStR 2012, 81 (82).

Ent-weder

(1) werden die fraglichen Bruttoerträge aus eigener wirt-schaftlicher Tätigkeit erzielt, oder

(2) in Bezug auf die Erträge, die nicht aus eigener wirt-schaftlicher Tätigkeit stammen, bestehen

– wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für dieEinschaltung der ausländischen Gesellschaft und

– die ausländische Gesellschaft nimmt am allgemeinenVerkehr mit einem für ihren Geschäftszweck angemes-sen eingerichteten Geschäftsbetrieb teil.

Wenn einer der beiden Tatbestände gegeben ist, liegt diesachliche Entlastungsberechtigung vor. Es wäre wün-schenswert, dass das BMF die Konzeption des Tatbestandsin einer Neufassung des BMF-Schreibens 2012 in dieserForm abbildet.

b) Eigene Wirtschaftstätigkeit

Ein sachlicher Anspruch auf Entlastung besteht nach Rz. 5des BMF-Schreibens 2012, soweit die Bruttoerträge auseigener Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesell-schaft stammen. Im Anschluss an die Cadbury-SchweppesEntscheidung des EuGH55

55 S. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury-Schweppes,GmbHR 2006, 1049 m. Komm. Kleinert, Rz. 68.

setzt „eigene Wirtschaftstätig-keit“ eine über den Rahmen der Vermögensverwaltung hi-nausgehende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichenVerkehr voraus („wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“).Die Zwischenschaltung einer in einem anderen EU-Mit-gliedstaat ansässigen Gesellschaft ist nur dann gerechtfer-tigt, wenn die Gesellschaft am dortigen Marktgeschehenim Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv,ständig und nachhaltig teilnimmt. Eine Beteiligung am all-gemeinen wirtschaftlichen Verkehr liegt auch vor, wennDienstleistungen gegenüber einer oder mehreren Konzern-gesellschaften erbracht werden. Voraussetzung ist, dass dieLeistungen gegen gesondertes Entgelt erbracht werdenund wie gegenüber fremden Dritten abgerechnet werden.Zu den aktiven Einkünften zählen auch die Bruttoerträgeeiner Gesellschaft, die mit der eigenen Wirtschaftstätigkeitderselben Gesellschaft in einem wirtschaftlich funktiona-len Zusammenhang stehen sowie Zinserträge einer Gesell-schaft, die diese aus der verzinslichen Anlage eigener ent-lastungsberechtigter Gewinne erzielt. Bruttoerträge sindsolche i.S.d. § 9 AStG.

Dividenden und andere Erträge (z.B. Zinsen und Lizenzge-bühren) von sog. geleiteten Gesellschaften zählen zu denBruttoerträgen des Bereichs der eigenen Wirtschaftstätig-keit. Damit greift das BMF das bereits im BMF-Schrei-ben 2007 enthaltene Privileg für aktive Beteiligungsver-waltung auf.56

56 Rz. 5.2 f. des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5), Rz. 6.2 f. desBMF-Schreibens 2007, aaO (Fn. 11), jeweils unter Hinweis aufBFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339 (341); s.bereits oben unter II.

Es wird insofern auf oben I. verwiesen.

Dr. Götz Tobias Wiese

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer

382 GmbHR 7/2012

c) Beachtliche Gründe und Teilnahme amallgemeinen Verkehr

Ein sachlicher Anspruch auf Entlastung besteht auch dann,wenn die mit einem angemessen eingerichteten Geschäfts-betrieb ausgestattete ausländische Gesellschaft am allge-meinen Verkehr teilnimmt und für deren Einschaltungwirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen(dazu Rz. 6 ff. des BMF-Schreibens 2012). Dabei ist aus-schließlich auf die Verhältnisse der ausländischen Gesell-schaft und nicht auf den Konzernverbund abzustellen.

Die anzuerkennenden wirtschaftlichen oder sonst beacht-lichen Gründe lässt das BMF bewusst vage. Im Sinne einesRegelbeispiels wird lediglich gesagt, dass die geplante unddurch entsprechende Aktivitäten nachgewiesene Aufnah-me einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Rz. 5 desBMF-Schreibens 2012 einen wirtschaftlichen Grund dar-stelle. Rechtliche Gründe können als sonst beachtlicheGründe in Betracht kommen. Negativ wird – viel zu weitgehend – formuliert, dass Umstände, die sich aus den Ver-hältnissen des Konzernverbunds ergeben (wie z.B. Gründeder Koordination, Organisation, Aufbau der Kundenbezie-hung, Kosten, örtliche Präferenzen, gesamtunternehmeri-sche Konzeption), keine wirtschaftlichen oder sonst be-achtlichen Gründe in diesem Sinne darstellen. Aus unions-rechtlicher Sicht geht es letztlich nur um die Frage, ob fürdie Errichtung der Gesellschaft Gründe bestehen, nicht je-doch um die Frage, ob es Gründe gibt, die Gesellschaft aneinem bestimmten Ort (innerhalb der Europäischen Union)zu errichten. Es kann daher auch im Anwendungsbereichdes neuen Rechts davon ausgegangen werden, dass ört-liche Präferenzen als hinreichende Gründe anzuerkennensind, wenn sie sich z.B. aus Folgendem ergeben:

– Funktionstüchtigkeit von Marktplätzen (z.B. bestimm-ter Börsen),

– Gesellschafter- und Finanzierungsstruktur,

– Anforderungen von Banken (z.B. Sicherheitenstruktur,Trennung von Vermögenssphären, strukturelle Subordi-nierung) und anderen Geschäftspartnern (z.B. bei derErrichtung von Joint Ventures),

– vorzugswürdige rechtliche Rahmenbedingungen (z.B.Gesellschafts-, Insolvenz- oder Arbeitsrecht) oder

– Mitarbeiterbeteiligung, etc.

Die ausländische Gesellschaft muss im Ansässigkeitsstaatüber einen für ihren Geschäftszweck angemessen einge-richteten Geschäftsbetrieb verfügen,57

57 Qualifiziertes Personal, Geschäftsräume und technische Kom-munikationsmittel, BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II2002, 819 (822) = GmbHR 2002, 865 m. Komm. Roser.

d.h. ein „greifbaresVorhandensein“ muss nachweisbar sein.58

58 Unter Hinweis auf EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbu-ry-Schweppes, GmbHR 2006, 1049 m. Komm. Kleinert.

Hier geht es alsoum Substanz im engeren Sinne. Indizien dafür liegen nachAuffassung des BMF vor, wenn

– die Gesellschaft dort für die Ausübung ihrer Tätigkeitständig sowohl geschäftsleitendes als auch anderes Per-sonal beschäftigt,

– das Personal der Gesellschaft über die Qualifikation ver-fügt, um die der Gesellschaft übertragenen Aufgaben ei-genverantwortlich und selbstständig zu erfüllen, und

– die Geschäfte zwischen nahestehenden Personeni.S.d. § 1 Abs. 2 AStG einem Fremdvergleich stand-halten.

Die Substanzanforderungen können dabei nicht darüberhinausgehen, was im Hinblick auf den anzuerkennendenwirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grund von derGesellschaft verlangt werden kann.59

59 Dazu der Tagungsbericht von Lay/Sommer zum 2. HamburgerForum für Unternehmensteuerrecht am 16.2.2012, FR 2012,300 ff., wo diese Frage intensiv diskutiert wurde.

Letztlich kann auchhier nicht mehr verlangt werden als bei einer in Deutsch-land ansässigen Person, die aus demselben Grund errichtetworden wäre und ihren Zweck mit einer ausreichendenAusstattung verfolgen könnte.

VI. Freistellungsantrag

Fraglich ist, welche Auswirkungen die Neufassung des§ 50d Abs. 3 EStG n.F. auf bestehende, d.h. nach altemRecht erteilte, und auf neue Freistellungsbescheinigungenhat.

Das BMF-Schreiben 201260

60 Rz. 14 f. des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5).

sagt zunächst, dass Freistel-lungsbescheinigungen – wie bereits nach altem Recht –grundsätzlich unter Widerrufsvorbehalt zu erteilen sind.Neben den Pflichten zur Berichtigung von Erklärungen(vgl. § 153 AO) besteht auch die Verpflichtung der auslän-dischen Gesellschaft, den Wegfall der Voraussetzungen fürdie Freistellung im allgemeinen und den Wegfall der Ent-lastungsberechtigung i.S.d. § 50d Abs. 3 EStG im beson-deren dem Bundeszentralamt für Steuern unverzüglichmitzuteilen. Letzteres gilt – im Rahmen der vom BMF ver-tretenen Aufteilungsregel – nicht (de-minimis-Regelung),wenn sich das bei Erteilung der Freistellungsbescheini-gung zugrunde gelegte Verhältnis der Bruttoerträge aus ei-genwirtschaftlicher Tätigkeit zu den gesamten Bruttoerträ-gen um weniger als 30 %-Punkte verringert oder sich einGesellschafteranteil (bei unmittelbarer oder mittelbarerBeteiligung) um weniger als 20 %-Punkte ändert. In denFällen, in denen nach der de-minimis-Regelung keine Mit-teilungspflicht besteht, kann eine Neuberechnung des pro-zentualen Anteils der entlastungsberechtigten Erträge un-terbleiben. Für die Ermittlung der maßgeblichen Bruttoer-träge aus eigenwirtschaftlicher Tätigkeit ist der Jahresab-schluss des betreffenden Wirtschaftsjahres maßgeblich. ImFreistellungsverfahren nach § 50d Abs. 2 EStG ist dies dasJahr der Antragstellung. Sollte der Jahresabschluss nochnicht vorliegen (dies dürfte stets der Fall sein, wenn dasWirtschaftsjahr dem Kalenderjahr entspricht), ist auf dieVerhältnisse des vorangegangenen Wirtschaftsjahres abzu-stellen.

Die Verwaltungspraxis des Bundeszentralamts bleibt hierabzuwarten. Man kann aber davon ausgehen, dass eineFreistellungsbescheinigung weiterhin für mehrere Jahreerteilt werden soll61

61 „(...) mindestens ein Jahr und darf drei Jahre nicht überschreiten“(§ 50d Abs. 2 S. 4 Halbs. 2 EStG).

und die de-minimis-Regelungen da-rauf abzielen, dies gerade zu ermöglichen. Bedenken, dassdie Aufteilungsregel des BMF gleichwohl bei volatilen Er-tragsentwicklungen die Freistellungsbescheinigungenkaum handhabbar macht, sind zwar begründet. Sie fallenindes weg, wenn das Gesetz in unionsrechtlich zutreffen-der Weise angewandt wird. Die de-minimis-Regelung ist inBezug auf die sachliche Entlastungsberechtigung ebenso

Dr. Götz Tobias Wiese

Entlastung ausländischer Gesellschaften von deutscher Quellensteuer

GmbHR 7/2012 383

rechtswidrig wie die ihr zu Grunde liegende Aufteilungsre-gel selbst, und sie ist daher zu streichen.62

62 In Bezug auf die Änderung von Gesellschafteranteilen (bei un-mittelbarer oder mittelbarer Beteiligung) um weniger als 20 %-Punkte stellt die de minimis Regel indes eine Vereinfachung dar.

VII. Anwendungsvorschrift

Schließlich ist noch auf die Übergangsregelung zur erst-maligen Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG n.F. einzuge-hen. Das neue Recht ist erstmals ab dem 1.1.2012 anwend-bar.63

63 Art. 25 Abs. 1 BeitrRLUmsG (Fn. 4).

Das BMF bietet den Steuerpflichtigen an, § 50d Abs. 3EStG auch auf alle Steuerbescheide und Freistellungsbe-scheinigungen anzuwenden, die noch nicht bestandskräf-tig sind und die Neuregelungen zu einer günstigeren Ent-lastungsberechtigung führen. Hier ist Vorsicht geboten: Da§ 50d Abs. 3 EStG i.d.F. JStG 2007 offensichtlich unions-rechtswidrig war, ging die alte Vorschrift ins Leere. Entlas-tung nach § 50d Abs. 1 u. 2 EStG war unterhalb derSchwelle des § 42 AO, für den es dann auch keine Sperr-wirkung gegeben haben dürfte, grundsätzlich ohne weite-res zu gewähren.64

64 Zum Verhältnis der – insoweit nicht grundlegend anders gearte-ten – Vorläufervorschrift des § 50d Abs. 1a EStG i.d.F. StMBGzu § 42 AO BFH v. 31.3.2005 – I R 77, 88/04, BStBl. II 2006,118 m. Anm. Jacob/Klein, IStR 2005, 711. Nunmehr allerdings§ 42 Abs. 1 S. 2 AO. Das BMF vertritt in Rz. 11 des BMF-Schreibens 2012, aaO (Fn. 5) die Auffassung, dass § 42 AO an-wendbar bleibt, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des§ 50d Abs. 3 EStG n.F. nicht eingreifen. Zur Normenkonkurrenzallg. Koenig in Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rz. 6.

VIII. Zusammenfassung

Der Wortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG n.F. ist misslun-gen. Weite Teile des BMF-Schreibens 2012, namentlichdie sog. „Aufteilungsregel“, lassen sich mit unionsrecht-lichen Vorgaben nicht in Deckung bringen. Allerdings be-steht die Möglichkeit, § 50d Abs. 3 EStG n.F. in Überein-stimmung mit den Vorgaben des Unionsrechts und auchder Doppelbesteuerungsabkommen auszulegen. DasBMF-Schreiben 2012 muss vor diesem Hintergrund geän-dert werden.

GmbH-InternationalDr. Florian Kessler, LL.M. / Max Thümmel*

Die Organe der Gesellschaft mitbeschränkter Haftung im chinesischen Recht

– Eine rechtsvergleichende Analyse –

* Dr. Florian Kessler, LL.M. ist General Manager der DeutschenAuslandshandelskammer in Peking sowie Gastprofessor an derChinesischen Universität für Politik und Recht; Max Thümmelist Rechtsreferendar am LG Köln und Doktorand bei Frau Prof.Dr. Barbara Dauner-Lieb (Universität zu Köln).

Der Beitrag widmet sich der inneren Struktur der chinesi-schen Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Im Zugedessen werden die einzelnen Gesellschaftsorgane undihre jeweiligen Kompetenzen vorgestellt und rechtsver-

gleichend mit Blick auf die Rechtslage im deutschenGesellschaftsrecht analysiert. Die Verfasser kommen zudem Ergebnis, dass beide Gesellschaftsrechtsordnungenim Wesentlichen gleiche Strukturen enthalten, in einigenPunkten jedoch signifikant voneinander abweichen.Hierzu gehören insbesondere die Zweiteilung derGeschäftsführung in Geschäftsführer und Vorstand, dieBegrenzung der Gesellschafterzahl und die stets obliga-torische Einrichtung eines Aufsichtsorgans im chinesi-schen Recht. Der Betrag beleuchtet diese Unterschiedeund analysiert die Beweggründe hierfür.

I. Einleitung

Der GmbH (youxian gongsi) kommt im chinesischen Wirt-schaftsleben, ähnlich wie in Deutschland eine herausra-gende Bedeutung zu.1

1 Ge Jiang, Das GmbH-Recht in China, 2011, S. 1.

Dies gilt sowohl für inländische alsauch für ausländische Unternehmen. Ausländischen Inves-titionen stehen zur wirtschaftlichen Betätigung – nebender neu eingeführten FIPE (Foreign Invested PartnershipEnterprise) und in engeren Grenzen den Repräsentanzbü-ros – insbesondere die drei Gesellschaftsformen der Con-tractual Joint Ventures, Equity Joint Ventures und WhollyForeign Owned Enterprises zur Verfügung, wobei die letz-ten beiden zwingend als GmbH organisiert sein müssen.2

2 Dickinson/Vietz, GmbHR 2006, 245 (248 f.).

Contractual Joint Ventures können zwar auch als Unter-nehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit im Rahmeneines Projekts gegründet werden;3

3 Vgl. Art. 2 Law of the People’s Republic of China on Chinese-Foreign Contractual Joint Ventures.

in der Praxis üblich istallerdings ebenfalls die Rechtsform der chinesischenGmbH.4

4 Zu ausländisch investierten GmbHs in China näher Peters,GmbHR 2007, 361 ff.

Soweit in den spezialgesetzlichen Regelwerkenkeine Sondervorschriften bestehen, unterliegen Gesell-schaften mit ausländischer Beteiligung wie einheimischeGesellschaften auch dem allgemeinen chinesischenGmbH-Recht, welches im Gesellschaftsgesetz der VR Chi-na (im Folgenden „GesG“) kodifiziert ist.5

5 Gesellschaftsgesetz der VR China v. 29.12.1993, i.d.F. v.1.1.2006; zur deutschen Übersetzung s. ZChinR 2006, 290 ff.

Das GesG istzwar erst 1994 in Kraft getreten, die GmbH jedoch bereitsseit Anfang des 20. Jahrhunderts in China bekannt.

II. Die Gesellschaftsorgane im Einzelnen

1. Gesellschafterversammlunga) Rechtslage in China

Hinsichtlich der Stellung der Gesellschafterversammlungim Gefüge der GmbH spricht das chinesische Recht in § 37Abs. 1 S. 2 GesG eine klare Sprache. Danach ist diesesGremium „das Machtorgan der Gesellschaft.“ Eine Aus-nahme hierzu besteht bei Equity und Contractual JointVentures mit Beteiligung ausländischer Investoren. Fürdiese Rechtsformen ist gesetzlich ausdrücklich festgelegt,dass der Vorstand das oberste Gesellschaftsorgan mit denumfassendsten Entscheidungsbefugnissen ist.6

6 Vgl. Art. 12 Law of the People’s Republic of China on Chinese-Foreign Contractual Joint Ventures v. 13.4.1988 i.d.F. v.31.10.2000, Art. 30 der Regulations for the Implementation ofthe Law of the People’s Republic of China on Joint VenturesUsing Chinese and Foreign Investment v. 20.9.1983 i.d.F. v.22.7.2001 sowie Art. 6 Law of the People’s Republic of China on

In § 38Abs. 1 GesG sind – vergleichbar der Regelung des § 46 im

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Chinese-Foreign Equity Joint Ventures v. 1.7.1979 i.d.F. v.15.3.2001.

deutschen GmbH-Gesetz – die „Amtsbefugnisse“ der Ge-sellschafterversammlung einzeln aufgezählt, ohne ab-schließenden Charakter zu haben. Die Gesellschafterver-sammlung beschließt danach über die geschäftliche Aus-richtung der Gesellschaft und wählt diejenigen Vorstands-und Aufsichtsratsmitglieder, die nicht gemäß § 52 Abs. 2GesG von den Arbeitnehmern als deren Vertreter bestelltwurden. Die Satzung kann weitere Zuständigkeiten derGesellschafterversammlung festschreiben. Tagesgeschäftegehören indes nicht zu ihren Amtsbefugnissen.7

7 Towfigh/Yang in Shao/Drewes, 2001, S. 99.

Der Ge-sellschafterkreis ist von Gesetzes wegen auf 50 Gesell-schafter beschränkt (s. § 24 GesG). Ausnahmen hiervonsind im Gesetz nicht zugelassen.

b) Rechtsvergleich

Bei einem Vergleich der Stellung dieses Gesellschaftsor-gans mit dem deutschen GmbH-Recht fallen zunächst dieGemeinsamkeiten auf: Beide erheben die Gesellschafter-versammlung zum zentralen Willensbildungsorgan derGmbH. Sie bestimmt die grundlegende wirtschaftlicheAusrichtung und die zukünftige Entwicklung der Gesell-schaft. Zudem überwacht die Gesellschafterversammlungdie Geschäftsleitung und ist auch berechtigt, ihr entspre-chende Weisungen zu erteilen. Sowohl der chinesische alsauch der deutsche Gesetzgeber schreiben der Versamm-lung eine Vielzahl von Befugnissen ausdrücklich im Wegeder Enumeration zu; allerdings kann die Gesellschafterver-sammlung weitere Kompetenzen durch Satzungsbeschlussan sich ziehen.8

8 Vgl. zur Rechtslage im deutschen Recht näher Zöllner in Baum-bach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 46 Rz. 89.

Auch ist in beiden Rechtsordnungen dieGesellschafterversammlung von der Außenvertretung derGesellschaft ausgeschlossen und auf die interne Willens-bildung beschränkt. Insgesamt kann man somit festhalten,dass bei der Gesellschafterversammlung sehr große Ge-meinsamkeiten zwischen der chinesischen und deutschenGmbH bestehen. Ein evidenter Unterschied zwischen denbeiden Rechtsordnungen sind die Beschränkungen hin-sichtlich der möglichen Anzahl von Gesellschaftern imchinesischen Recht. Die Grenze von 50 Gesellschaftern inChina bewirkt dabei einerseits eine klare Trennung undFunktionsaufteilung zwischen der AG und der GmbH. An-dererseits kann eine solch starre Grenze Unternehmen inihrem wirtschaftlichen Handeln behindern und bei einementsprechenden Wachstum zum Rechtsformwechsel in dieAG oder zu umständlichen Umgehungskonstruktionenzwingen.9

9 Sinn der Begrenzung der Gesellschafteranzahl ist es zu verhin-dern, dass Gesellschaften zur betrügerischen Ansammlung vonKapital missbraucht werden. In der Vergangenheit wurden Ge-sellschaftsgründungen zum Teil gezielt dazu genutzt, um vonPrivatleuten Geld in Form der Gesellschaftereinlage zu sam-meln, ihnen einen wertlosen GmbH-Anteil zu verkaufen und an-schließend die Insolvenz der Gesellschaft anzumelden.

2. Geschäftsführunga) Rechtslage in Chinaaa) Vorstand

Gesetzlich zwingend vorgesehenes Geschäftsführungsor-gan der chinesischen GmbH ist nach § 45 Abs. 1 GesG nurder Vorstand. Dieser leitet die Geschäfte der Gesellschaft.

Dem Vorstandsvorsitzenden steht dabei nicht zwingenddie gesetzliche Vertretung der Gesellschaft qua Organstel-lung zu. Gemäß § 13 GesG kann in der Satzung auch eineandere dort aufgeführte Person, z.B. der geschäftsführendeVorsteher oder ein Geschäftsführer, anstelle des Vorstands-vorsitzenden als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaftvorgesehen werden.

Der Vorstand muss grundsätzlich zwischen drei und 13Mitglieder umfassen. Allerdings kann gemäß § 51 Abs. 1GesG eine GmbH mit verhältnismäßig wenig Gesellschaf-tern oder verhältnismäßig kleinem Umfang statt eines Vor-stands auch einen sog. geschäftsführenden Vorsteher be-stellen. Anerkannte Kriterien, wann der Geschäftsumfangbzw. die Anzahl der Gesellschafter einer GmbH „relativklein“ ist, existieren bislang allerdings nicht. Auch dasGesG enthält keine Vorgaben hierzu, so dass insoweitRechtsunsicherheit besteht.10

10 Zum Teil werden – in Anlehnung an die Unterscheidung im aust-ralischen Recht zwischen kleiner und großer proprietary compa-ny – folgende vier Kriterien zur Beschreibung einer „verhältnis-mäßig kleinen“ GmbH vorgeschlagen: 1) weniger als drei Ge-sellschafter, 2) ein betrieblicher Bruttoertrag von weniger als10 Mio. RMB, 3) ein Bruttovermögen von weniger als 5 Mio.RMB und 4) weniger als 50 Beschäftigte. Eine „verhältnismäßigkleine“ GmbH soll dann vorliegen, wenn mindestens zwei dieserKriterien zutreffen (vgl. Ge Jiang, Das GmbH-Recht in China,2011, S. 116). Ob diese Einteilung sich in der chinesischen Pra-xis durchsetzen wird, bleibt allerdings abzuwarten.

Der geschäftsführende Vor-steher kann gemäß § 51 Abs. 1 GesG gleichzeitig Ge-schäftsführer der Gesellschaft sein. Die Amtsbefugnissedes geschäftsführenden Vorstehers werden dann von derGesellschaftssatzung bestimmt. Die Amtsbefugnisse desVorstands sind nach § 47 GesG die Bestimmung derGrundsätze für die Leitung der Gesellschaft, die Einberu-fung der Gesellschafterversammlung, die Ausführung derBeschlüsse der Gesellschaftsversammlung, die Bestellungund Abberufung der Geschäftsführer, sowie die Festset-zung des Jahreshaushalts und der -abschlussrechung unddie Festsetzung der Gewinnverteilung bzw. der Deckungdes Bilanzverlusts.

bb) Geschäftsführer

§ 50 S. 1 GesG bestimmt, dass eine GmbH neben dem Vor-stand fakultativ einen oder mehrere Geschäftsführer besit-zen kann. Trotz dieses vermeintlichen Wahlrechts forderndie Behörden in China in der Praxis bislang stets die Ein-richtung eines solchen Organs. Für die chinesische AG istder Geschäftsführer von Gesetzes wegen gemäß § 114GesG ohnehin zwingend vorgeschrieben. Dort kann nach§ 115 GesG der Vorstand allerdings beschließen, dass einVorstandsmitglied – in der Praxis oftmals der Vorstands-vorsitzende – zugleich Geschäftsführer der Gesellschaftwird.11

11 Vgl. Blaurock, ZChinR 2009, 1 (2).

Die Geschäftsführer führen nach dem gesetzlichenLeitbild die Beschlüsse des Vorstands aus und setzen denJahresgeschäftsplan und den Investitionsplan der Gesell-schaft um (vgl. § 50 Nr. 1 GesG). In der Praxis ist der Ge-schäftsführer jedoch nicht auf diese Tätigkeiten be-schränkt. Ein Grund hierfür ist, dass eine Beschlussfassungdurch den Geschäftsführer in der Regel leichter möglich istals durch das mindestens dreiköpfige Vorstandsgremium.

b) Rechtsvergleich

Bei einem Vergleich der beiden Gesellschaftsrechtssyste-me im Hinblick auf die Geschäftsführung werden einige si-

GmbH-InternationalGmbHR 7/2012 385

gnifikante Unterschiede offenbar. Die größte Besonderheitim chinesischen GmbH-Recht besteht in der Zweiteilungder Geschäftsführung zwischen zwei Organen, dem Vor-stand und dem Geschäftsführer, die in der behördlichenPraxis verankert ist. Aus Sicht ausländischer Juristen istdas chinesische Modell mit dieser Doppelstruktur auf denersten Blick befremdlich. Die Koexistenz von Vorstandund Geschäftsführer im Organgefüge der chinesischenGmbH lässt sich jedoch rechtshistorisch erklären. So hatsich der chinesische Gesetzgeber bei der Einführung vonAG und GmbH einerseits für die Einrichtung eines Vor-stands als Leitungsorgan entschieden. Was die Funktionenund Amtsbefugnisse von Vorstand und Geschäftsführerbetrifft, besteht insofern aufgrund der Verweisungstechnikein Gleichklang zwischen AG und GmbH: § 114 Abs. 2GesG verweist hinsichtlich der Amtsbefugnisse des Ge-schäftsführers einer AG, § 109 Abs. 4 GesG hinsichtlichderjenigen des Vorstands auf die Regelungen zur GmbH.AG und GmbH unterliegen insoweit dem gleichen Rechts-verständnis im Hinblick auf die gesetzlich festgelegten ge-sellschaftsrechtlichen Strukturen.

Zugleich wollte man den Geschäftsführer als historisch ge-wachsenes Gesellschaftsorgan aber nicht abschaffen. DiePosition des Geschäftsführers ist ein Überbleibsel aus derZeit der Planwirtschaft Chinas.12

12 Vgl. zu diesem Komplex insgesamt Ge Jiang, Das GmbH-Rechtin China, 2011, S. 119 f.

Staatliche und kollektiveUnternehmen wurden früher entweder von Fabrikleiternoder Geschäftsführern geleitet, Gesellschaftsorgane nachheutigem Verständnis gab es nicht. Da das Verwaltungs-personal bei der Umgestaltung der Unternehmensformenweitgehend unverändert blieb, blieb auch die Position desGeschäftsführers neben dem Vorstand erhalten. Seitdem istder Geschäftsführer fest im chinesischen Gesellschafts-recht verwurzelt und wird als klassisches Organ von AGund GmbH angesehen.

Durch die Reform des GesG 2006 wird jedoch auch einerster Trend zur Abkehr von der Zweiteilung der Ge-schäftsleitung in China erkennbar. Während der Ge-schäftsführer nach dem alten § 50 GesG 1994 noch ein not-wendiges Organ der GmbH war, welches umfangreicheBefugnisse innehatte, ist dessen Einrichtung in der GmbHnunmehr zumindest nach der gesetzlichen Regelung erst-mals rein fakultativ. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob diechinesische Praxis die neue Gesetzeslage annehmen wird.

Insgesamt betrachtet besitzt das chinesische doppelstruk-turierte Gesellschaftsmodell eine Reihe von Vor- undNachteilen. Ein Vorteil liegt dabei zweifelsohne darin, dasssich das jeweilige Organ speziell auf sein Aufgabengebietkonzentrieren kann: Der Vorstand übernimmt das „Planeri-sche“, der Geschäftsführer das „Operative“. Dadurch wirdeine Teilung von strategischen Entscheidungen und Tages-geschäft möglich, die sich bestenfalls positiv auf die lang-fristige und nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft aus-wirken kann.13

13 Vgl. Blaurock, ZChinR 2009, 1 (3).

Auf der anderen Seite besteht jedoch die Gefahr von Rei-bungsverlusten bei der Umsetzung von Vorgaben des Vor-stands durch den Geschäftsführer. Zudem wird aufgrundder flexiblen Regelung des § 13 GesG für außenstehendeDritte nicht zwangsläufig deutlich, wer der gesetzlicheVertreter der Gesellschaft ist, was zu Rechtsunsicherheitenin Bezug auf die Wirksamkeit der abgeschlossenen Rechts-

geschäfte führen kann. Allerdings wurde dies von dem chi-nesischen Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen. Hinterder Reform des GesG 2006 stand neben der generellen Mo-dernisierung des Gesellschaftsrechts primär die Bestre-bung, Machtmissbräuche durch Leitungsorgane einzu-dämmen.14

14 Blaurock, ZChinR 2009, 1 (6).

Die verschiedenen Organe sollen sich gegen-seitig kontrollieren und Missbräuche einzelner Personendurch zu große Kompetenzbereiche vermeiden.

Im deutschen Recht sind GmbH und AG demgegenüberseit jeher stärker voneinander getrennt entwickelte Gesell-schaftstypen mit unterschiedlichen Leitungsstrukturen.Die Geschäftsleitung und gesetzliche Vertretung einerGmbH sind dort gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG singulärund unentziehbar dem Geschäftsführer übertragen. DasOrgan des Vorstands gibt es hingegen nur in der AG. Dortbesteht jedoch ebenfalls keine gesetzliche Zweiteilung derGeschäftsleitung, da ein gesonderter Geschäftsführer nichtexistiert. Möglich ist zwar die Bestellung von Prokuristenoder Handlungsbevollmächtigten neben dem GmbH-Ge-schäftsführer; allerdings dürfen deren Befugnisse nicht soweit gehen, dass sie den Geschäftsführer in seinem Verant-wortungsbereich ersetzen.

3. Aufsichtsrata) Rechtslage in China

In China ist ein Aufsichtsorgan unabhängig von der Größeder Gesellschafter und der Anzahl der Arbeitnehmer derGmbH stets verpflichtend. Bei mittleren und großenGmbHs ist ein Aufsichtsrat mit mindestens drei Mitglie-dern obligatorisch. Die Arbeitnehmer bestellen gemäߧ 52 Abs. 2 GesG mindestens ein Drittel der Aufsichtsrats-mitglieder; die übrigen werden durch die Gesellschafterbenannt. Eine GmbH mit verhältnismäßig wenig Gesell-schaftern oder verhältnismäßig kleinem Umfang kann statteines Aufsichtsrats auch lediglich ein oder zwei Aufsichts-führer bestellen.15

15 Zur Ermittlung, ob anstatt eines Aufsichtsrats auch lediglich einAufsichtsführer eingerichtet werden kann, können die bereitsoben genannten Kriterien bzgl. der Bestellung eines geschäfts-führenden Vorstehers übertragen werden (vgl. Ge Jiang, DasGmbH-Recht in China, 2011, S. 123).

Als Amtsbefugnisse und -pflichtennennt das Gesetz in §§ 54 f. GesG u.a. die Überprüfung derfinanziellen Angelegenheiten der Gesellschaft sowie dieÜberwachung des Vorstands und der Geschäftsführer, in-klusive dem Vorschlagsrecht, Mitglieder der Geschäfts-führung abzuberufen. Zudem dürfen Mitglieder des Auf-sichtsrats an Vorstandssitzungen teilnehmen sowie Be-schlussvorschläge machen und sind zuständig für die Gel-tendmachung von Klagen gegen den Vorstand. Aufgrundder Untersuchungsbefugnis des Aufsichtsrats besteht darü-ber hinaus eine Kooperationspflicht der anderen GmbH-Organe. Diese müssen den Aufsichtsratsmitgliedern undleitenden Managern die geforderten Unterlagen zur Verfü-gung stellen und dürfen die Ausübung ihrer Amtsbefugnis-se nicht behindern.

b) Rechtsvergleich

Der Aufsichtsrat fungiert sowohl im chinesischen als auchim deutschen Recht als Kontrollorgan der Geschäftsfüh-rung inklusive der finanziellen Angelegenheiten der Ge-sellschaft. Er setzt sich zudem in beiden Ländern aus Ver-tretern der Arbeitnehmer und Mitgliedern zusammen, die

GmbH-International386 GmbHR 7/2012

von der Gesellschafterversammlung gewählt wurden, undvertritt die Gesellschaft gegenüber der Geschäftsführung.Auch die Mindestanzahl von drei Mitgliedern und die Min-destbeteiligungsquote der Arbeitnehmer in Höhe voneinem Drittel der Mitglieder sind in beiden Ländern iden-tisch.

Die Differenzierung zwischen kleinen und mittleren bzw.großen Gesellschaften, die in China ebenfalls bei den Re-gelungen zur Bestellung des Vorstands zu Tage getreten ist,ist dem deutschen Recht hingegen gänzlich fremd. Dortherrscht vielmehr eine „Alles-oder-nichts“-Lösung. Erstab einer Arbeitnehmeranzahl von über 500 Personen istdieses Gesellschaftsorgan nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Drittel-betG obligatorisch, während in China stets zumindest eineinzelner Aufsichtsführer erforderlich ist. Als weiterer Un-terschied steht die Teilnahme von Aufsichtsratsmitglie-dern an Vorstandssitzungen im chinesischen Recht im Ge-gensatz zu der Gesellschaftsrechtspraxis in Deutschland.Allerdings unterliegt in Deutschland der Vorstand einer de-zidierten Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat(§ 90 AktG), wodurch dem Informationsinteresse desKontrollgremiums ebenfalls Rechnung getragen wird.16

16 Vgl. Blaurock, ZChinR 2009, 1 (4).

Die Unterschiede bei den Aufsichtsstrukturen lassen sichzum einen über die kulturellen Hintergründe erklären. InChina ist das Vertrauen im Geschäftsverkehr weniger starkausgeprägt als in Deutschland. Daher ist es nachvollzieh-bar, dass man Gläubigern und Gesellschaftern in jedemFall einen Aufsichtsführer zur Verfügung stellen will. Demliegt das Bestreben des Gesetzgebers zugrunde, Missbräu-che der Rechtsform der GmbH einzudämmen. Vor diesemHintergrund sind auch die erhöhte Organanzahl und diezwingende Einrichtung eines Aufsichtsrats bzw. Auf-sichtsführers zu verstehen. Da diese Verpflichtung unab-hängig von der Arbeitnehmeranzahl besteht, kann seineAufgabe nicht alleine darin bestehen, den Arbeitnehmerneine allgemeine Mitsprachemöglichkeit zu bieten. Viel-mehr wird dadurch die stete Kontrolle der Geschäftsfüh-rung und der Gesellschafterversammlung verstärkt.

Zum anderen besitzt die Arbeitnehmerbeteiligung in Chinaeinen anderen Stellenwert als in Deutschland, da in denZeiten der Planwirtschaft alle Unternehmen Volks- oderKollektiveigentum und damit unabhängig von der Unter-nehmensgröße prinzipiell im Besitz der Bürger waren. Da-rüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass den Gewerk-schaften im heutigen China eine andere Funktion zukommtals in Deutschland. In Deutschland sind sie eher als Gegen-pol zum Arbeitgeber gedacht, mit dem die Arbeitsbedin-gungen ausgehandelt werden. Nach chinesischem Ver-ständnis sind sie im Gegensatz dazu primär Kooperations-partner der Unternehmensleitung. Durch sie werden aufder einen Seite die Arbeitnehmer in die Unternehmenspoli-tik mit eingebunden. Auf der anderen Seite fungieren sieals Organisator von wichtigen Leistungen für die Arbeit-nehmer wie Wohnungsfürsorge, Freizeitaktivitäten etc.17

17 Blaurock, ZChinR 2009, 1 (4).

IV. Fazit und Ausblick

Die gesellschaftsrechtlichen Strukturen der chinesischenund der deutschen GmbH sind trotz der zahlreichen Unter-schiede im Endeffekt im Wesentlichen vergleichbar. Un-terschiede liegen insbesondere in der Zweiteilung der Ge-schäftsführung, der starren Begrenzung der Gesellschaf-

terzahl sowie der obligatorische Einrichtung eines Kon-trollorgans im chinesischen Recht. Allerdings differenziertdas chinesische Recht zwischen verhältnismäßig kleinenGesellschaften und größeren Unternehmen, sodass Abstu-fungen bei der personellen Stärke der Besetzung der Orga-ne wie etwa beim Aufsichtsrat und Vorstand möglich sind.

Nach den vielversprechenden Reformen durch das GesG2006 sind weitere Reformen auf dem Gebiet des chinesi-schen Gesellschaftsrechts durchaus wahrscheinlich. DieAufgabe der zwingenden Einrichtung eines Aufsichtsratsbzw. Ernennung eines Aufsichtsführers für Kleinstgesell-schaften sowie der Beschränkung der Gesellschafterzahlfür GmbHs und AGs sind hierbei denkbare nächste Schrit-te. Auch in sonstigen Bereichen des chinesischen Gesell-schaftsrechts sind graduelle Entwicklungen in nächsterZeit denkbar. Dadurch könnte der InvestitionsstandortChina weiter gestärkt werden.

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GesellschaftsrechtGesellschafterbeschluss: Wirksamkeit eines nichtnichtigen Einziehungsbeschlusses und Haftung fürAbfindung

GmbHG § 34

1. Wenn ein Einziehungsbeschluss weder nichtig ist nochfür nichtig erklärt wird, wird die Einziehung mit der Mittei-lung des Beschlusses an den betroffenen Gesellschafter undnicht erst mit der Leistung der Abfindung wirksam.

2. Die Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefassthaben, haften dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig,wenn sie nicht dafür sorgen, dass die Abfindung aus dem un-gebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werdenkann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen.

BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 109/11

� Aus dem Tatbestand:

[1] Der Kläger (Kl.) war neben R Gesellschafter der be-klagten GmbH (Bekl.). Die Gesellschafterversammlungder Bekl. beschloss am 19.4.2001, den Geschäftsanteil desKl. ohne seine Zustimmung einzuziehen. Die Einziehungist nach § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags ohne Zustim-mung zum Zweck der Ausschließung des Gesellschafterszulässig, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vor-liegt. Die nach § 7 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags inner-halb von zwei Jahren an den ausscheidenden Gesellschaf-ter zu zahlende Abfindung erhielt der Kl. bisher nicht.

[2] In der Gesellschafterversammlung der Bekl. v.22.2.2007, zu der auch der Kl. eingeladen wurde, beantrag-te dieser, u.a. zu beschließen, den einzigen weiteren Ge-sellschafter R auf Zahlung von 251.871,07 DM in An-spruch zu nehmen und den Kl. zur gerichtlichen Geltend-machung der Ansprüche zu ermächtigen. Der Vertreter desKl. stimmte für die beiden Anträge, der Vertreter von Rstimmte dagegen.

[3] Der Kl. hat beantragt, die ablehnenden Beschlüsse fürnichtig zu erklären und festzustellen, dass die beantragten

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GmbHR 7/2012 387

Beschlüsse gefasst wurden. Das LG hat entsprechend demKlageantrag erkannt [LG Leipzig v. 14.12.2010 – 7 HKO918/07]. Das OLG hat, soweit die ablehnenden Beschlüssefür nichtig erklärt wurden, das Urteil des LG abgeändertund die Klage abgewiesen, weil die Beschlüsse nicht voneinem Versammlungsleiter festgestellt worden sind. ImÜbrigen – hinsichtlich der Feststellungsanträge – hat es dieBerufung der Bekl. zurückgewiesen [OLG Dresden v.3.5.2011 – 2 U 1956/10]. ...

� Aus den Entscheidungsgründen:

[4] Die Revision hat Erfolg und führt zur vollständigenAbweisung der Klage.

I. ... II.[6] Der Kl. hatte entgegen der Rechtsauffassung des OLGin der Gesellschafterversammlung v. 22.2.2007 keinStimmrecht mehr. Er war nicht mehr Gesellschafter derBekl. Mit der Einziehung seines Geschäftsanteils hat erauch das aus dem Geschäftsanteil folgende Stimmrecht(§ 47 Abs. 2 GmbHG) verloren. Die Einziehung wurde mitder Bekanntgabe des Beschlusses an den Kl. wirksam.

1. Voraussetzungen der Nichtigkeit eines Einzie-hungsbeschlusses

[7] Ein Einziehungsbeschluss ist entsprechend § 241Nr. 3 AktG nichtig, wenn bereits bei Beschlussfassungfeststeht, dass das Einziehungsentgelt nicht aus freiem, dieStammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögender Gesellschaft gezahlt werden kann (BGH v. 5.4.2011 –II ZR 263/08, ZIP 2011, 1104 = GmbHR 2011, 761 m.Komm. Münnich, Rz. 13; v. 8.12.2008 – II ZR 263/07, ZIP2009, 314 = GmbHR 2009, 313, Rz. 7; v. 19.6.2000 – II ZR73/99, BGHZ 144, 365 [369 f.] = GmbHR 2000, 822).Dass bei Beschlussfassung am 19.4.2001 feststand, dassdie Abfindung, die nach § 6 Abs. 4 des Gesellschaftsver-trags innerhalb von zwei Jahren bar zu bezahlen war, nichtaus dem freien Vermögen der Gesellschaft geleistet wer-den konnte (§ 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG), hat dasOLG nicht festgestellt und hat keine der Parteien behaup-tet.

2. Wirksamkeit einer nicht nichtigen Einziehung[8] Wenn ein Einziehungsbeschluss weder nichtig ist nochfür nichtig erklärt wird (§ 241 Nr. 5 AktG), wird die Ein-ziehung mit der Mitteilung des Beschlusses an den betrof-fenen Gesellschafter und nicht erst mit der Leistung derAbfindung wirksam.

[9] a) In Rspr. und Literatur ist umstritten, ob die Einzie-hung vor Zahlung des Abfindungsentgelts wirksam wird.

[10] Teilweise wird angenommen, die Einziehung steheunter der aufschiebenden Bedingung einer Abfindungs-zahlung aus freiem Vermögen (OLG Frankfurt v.26.11.1996 – 5 U 111/95, NJW-RR 1997, 612 f. = GmbHR1997, 171; OLG Zweibrücken v. 17.5.1996 – 6 U 8/95,GmbHR 1997, 939 [942]; OLG Hamm v. 11.1.1999 – 8 U42/98, NZG 1999, 597 [598]; OLG Köln v. 26.3.1999 – 19U 108/96, NZG 1999, 1222 = GmbHR 1999, 712 [LS]; KGBerlin v. 2.8.1999 – 2 W 509/99, GmbHR 1999, 1202[1203 f.]; OLG Schleswig v. 27.1.2000 – 5 U 154/98, NZG2000, 703 [704 f.] = GmbHR 2000, 935; OLG Dresden v.21.8.2001 – 2 U 673/01, GmbHR 2001, 1047 [1048]; OLGDüsseldorf v. 23.11.2006 – I-6 U 283/05, ZIP 2007, 1064 =GmbHR 2007, 538 m. Komm. Fietz/Fingerhuth; Wester-

mann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., § 34 Rz. 60; H. Win-ter/Seibt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., Anh. § 34 Rz. 17;Sosnitza in Michalski, GmbHG, 2. Aufl., § 34 Rz. 79;Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl.,§ 34 Rz. 43; Wicke, GmbHG, 2. Aufl., § 34 Rz. 10; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl., § 30Rz. 63; Gehrlein, ZIP 1996, 1157 [1159]; Bacher/v. Blu-menthal, NZG 2008, 406 [407 f.]; ebenso für die Aus-schlussklage BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9,157 [173] = GmbHR 1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u.Scholz [2]; für „Rechtsbedingung“ RGZ 142, 286 [290 f.]).

[11] Wegen der Probleme, die diese „Bedingungslösung“für die Gesellschaft und die übrigen Gesellschafter mit sichbringt, wenn ein Gesellschafter, dessen Geschäftsanteilwegen der Unzumutbarkeit seines weiteren Verbleibens inder Gesellschaft eingezogen ist, während der Schwebezeitweiterhin Mitgliedschaftsrechte ausüben kann, vertretenandere, die Einziehung sei sofort wirksam (KG Berlin v.6.2.2006 – 23 U 206/04, NZG 2006, 437; OLG Hamm v.7.10.1992 – 8 U 75/92, GmbHR 1993, 743 [746 f.]; Grune-wald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1983,S. 242; Niemeier, ZGR 1990, 314 [353]; Ulmer, FS Ritt-ner, 1991, S. 735 [748 ff.]; Ulmer, FS Priester, 2007,S. 775 [793 ff.]; Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG,17. Aufl., § 34 Rz. 48; Lutz, DStR 1999, 1858 [1861 f.];Goette, FS Lutter, 2000, S. 399 [409]; Pentz, FS Ulmer,2003, S. 451 [467 ff.]; Fietz/Fingerhut, DB 2007, 1179[1181 ff.]).

[12] Zur Sicherung des Abfindungsanspruchs des ausge-schiedenen Gesellschafters werden bei sofortiger Wirk-samkeit der Einziehung verschiedene Lösungsvorschlägegemacht. Teilweise wird angenommen, die Einziehungstehe unter der auflösenden Bedingung, dass die Abfin-dung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht ohne Verstoß gegen§ 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG gezahlt werden kann (Ulmer, FSRittner 1991, S. 735; Lutter in Lutter/Hommelhoff,GmbHG, 17. Aufl., § 34 Rz. 48). Andere wollen dem aus-geschiedenen Gesellschafter das Recht geben, mit der Auf-lösungsklage nach § 61 GmbHG die Liquidation der Ge-sellschaft herbeizuführen, teilweise verbunden mit einemWiedereintrittsrecht (Grunewald, Der Ausschluss aus Ge-sellschaft und Verein, 1983, S. 243; Niemeier, ZGR 1990,314 [353]; Goette, FS Lutter, 2000, S. 399 [409]). Schließ-lich wird vertreten, dass die Mitgesellschafter verpflichtetsind, dem ausgeschiedenen Gesellschafter die Abfindungpro rata ihrer Beteiligung zu zahlen, soweit die Gesell-schaft die Abfindung nicht leisten darf (Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl., § 34 Rz. 21 ff.; Strohn inMünch.Komm.GmbHG, § 34 Rz. 76; Goette, FS Lutter,2000, S. 399 [410]; Heckschen, GmbHR 2006, 1254[1256]; Kolb, NZG 2007, 815 [817]; Heidinger/Blath,GmbHR 2007, 1184 [1187]).

[13] b) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten An-sicht an. Grundsätzlich werden Beschlüsse wirksam undvollziehbar, sobald sie gefasst worden sind. Gesetzlichsteht der Einziehungsbeschluss nicht unter der Bedingung,dass das Einziehungsentgelt gezahlt wird. § 34 Abs. 3GmbHG soll im Interesse der Gläubiger sicherstellen, dassdie Gesellschafter die Kapitalerhaltungspflicht nach § 30Abs. 1 GmbHG nicht durch die Aufgabe der Mitglied-schaft umgehen, soll aber nicht den Abfindungsanspruchder Gesellschafter schützen.

[14] Der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezo-gen wird, muss allerdings davor geschützt werden, dass die

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388 GmbHR 7/2012

verbleibenden Gesellschafter sich mit der Fortsetzung derGesellschaft den wirtschaftlichen Wert des Anteils desausgeschiedenen Gesellschafters aneignen und ihn auf-grund der gläubigerschützenden Kapitalerhaltungspflichtmit seinem Abfindungsanspruch leer ausgehen lassen. Da-zu genügt es aber, die verbleibenden Gesellschafter selbstin die Haftung zu nehmen, wenn sie nicht auf andere Weisefür die Auszahlung der Abfindung sorgen. Der Schutz desAbfindungsanspruchs gebietet es nicht, schon die Wirk-samkeit der Einziehung von der Zahlung der Abfindungabhängig zu machen und die damit verbundenen Nachteilein Kauf zu nehmen.

[15] aa) Die Schwebelage, die nach der Bedingungslö-sung entsteht, hat erhebliche Nachteile. Dem ausgeschie-denen Gesellschafter bleiben während der Schwebezeitseine mitgliedschaftlichen Rechte jedenfalls grundsätzlicherhalten, obwohl es zumindest dann, wenn ein wichtigerGrund in seiner Person zur Einziehung geführt hat, der Ge-sellschaft und den verbleibenden Gesellschaftern geradeunzumutbar ist, dass er weiter in der Gesellschaft bleibt.Auch wenn mit der Einziehung unerwünschte Dritte vonder Gesellschaft ferngehalten werden sollen, wie dies etwabei der Pfändung des Geschäftsanteils als Einziehungs-grund der Fall ist, wird der Zweck der Einziehung bei einerSchwebelage nach der Bedingungslösung teilweise ver-fehlt. Selbst wenn die mitgliedschaftlichen Rechte wie dasStimmrecht eingeschränkt werden, können die Unklarhei-ten der Ausübungsbeschränkungen eine stete Quelle neuenStreits bilden. Insgesamt bietet das dem Gesellschaftereinen Anreiz, seinen Lästigkeitswert zu steigern und dasAbfindungsverfahren weiter in die Länge zu ziehen.

[16] Diese Nachteile für die Gesellschaft entstehen bei derBedingungslösung auch in den Fällen, in denen sich einSchutz des Abfindungsanspruchs im Nachhinein als nichterforderlich erweist. Wenn die Abfindung wie im gesetz-lichen Regelfall (vgl. Strohn in Münch.Komm.GmbHG,§ 34 Rz. 218) mit der Einziehung fällig ist (§ 271 Abs. 1BGB), steht auch objektiv fest, ob sie aus dem freien Ver-mögen geleistet werden kann. Ein Schutz des Abfindungs-anspruchs ist nur erforderlich, wenn das Einziehungsent-gelt erst später fällig wird oder die Auszahlung verzögertwird. Er erweist sich nachträglich als überflüssig, wenn dieGesellschaft die Abfindung in dem für die Kapitalerhal-tung maßgeblichen Zeitpunkt der Zahlung ohne Beein-trächtigung des gebundenen Vermögens leisten kann. DieBedingungslösung belastet die Gesellschaft aber auch insolchen Fällen mit der weiteren Mitgliedschaft des Stören-frieds und stellt damit das Interesse des ausgeschiedenenGesellschafters in den Vordergrund, obwohl er einer Ein-ziehung aus wichtigem Grund im Gesellschaftsvertrag zu-gestimmt hat (§ 34 Abs. 2 GmbHG). Wegen seiner antizi-pierten Zustimmung zur Einziehung in der Satzung ist erweniger schutzwürdig als ein Gesellschafter, der ohne einesolche Bestimmung im Gesellschaftsvertrag ausgeschlos-sen wird. Insoweit unterscheidet sich die Einziehung desGeschäftsanteils mittels Beschluss von der Ausschließungdes Gesellschafters durch eine Klage, die ohne seine Zu-stimmung möglich ist und bei der nach der bisherigenRspr. des BGH die Wirkung des Ausschließungsurteils vonder Zahlung des Abfindungsentgelts abhängt (BGH v.1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 [174] = GmbHR1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz [2]).

[17] Davor, dass sich die Vermögenslage der Gesellschaftverschlechtert und so der Abfindungsanspruch gefährdet

wird, bietet auch die Bedingungslösung keinen Schutz.Der dem Gesellschafter nach der Bedingungslösung ver-bleibende Geschäftsanteil ist bei einer Verschlechterungder Vermögenslage ebenfalls entwertet. Auch soweit derausscheidende Gesellschafter nach der Bedingungslösungdas weitere Schicksal der Gesellschaft mitbestimmenkann, ist angesichts des häufig fortbestehenden Streitesfraglich, ob er – wie das OLG meint – seine berechtigtenInteressen „effektiv“ verfolgen und eine Verschlechterungder Vermögenslage durch Entscheidungen der anderen Ge-sellschafter verhindern kann.

[18] bb) Die weiteren vorgeschlagenen Wege zum Schutzdes Abfindungsanspruchs – auflösende Bedingung oderAnspruch auf Auflösung – vermeiden zwar, dass der aus-geschiedene Gesellschafter stören kann, weisen aber eben-falls Nachteile auf.

[19] (1) Eine auflösende Bedingung der Nichtzahlung derAbfindung unterliegt ähnlichen Bedenken wie die auf-schiebende Bedingung. Zwar kann der ausgeschiedeneGesellschafter wegen der Wirksamkeit der Einziehungnicht weiter als Störenfried auf die Gesellschaft einwirken.Es entsteht aber ebenfalls eine Schwebelage, deren Endezudem nicht sicher zu bestimmen ist. Bei Bedingungsein-tritt muss der Gewinnverteilungsschlüssel, ggf. nach einerInanspruchnahme der Gesellschafter auch der Haftungs-schlüssel korrigiert werden. Beschlüsse der Gesellschaf-terversammlung, die ohne den ausgeschiedenen Gesell-schafter gefasst wurden, müssen unter Umständen wieder-holt oder neu gefasst werden. Nach einer Veränderung odereiner Abtretung der Geschäftsanteile ist eine automatischeHerstellung des früheren Rechtszustands auch vor demHintergrund der Regelungen in § 5 Abs. 3 S. 2 u. § 16Abs. 3 GmbHG kaum mehr möglich.

[20] (2) Ein Recht, bei einer Unterdeckung im Zeitpunktder Auszahlung der Abfindung die Auflösung der Gesell-schaft zu betreiben, steht dem Gesellschafter, der – wennman nicht der Bedingungslösung folgt – ausgeschieden ist,nicht zu. Außerdem könnte jahrelang in der Schwebe blei-ben, ob die Gesellschaft aufgelöst ist oder nicht. DieserSchwebezustand besteht auch dann, wenn man dem ausge-schiedenen Gesellschafter aus diesem Grund ein Wieder-eintrittsrecht gibt.

[21] cc) Die Interessen der Beteiligten werden am bestendadurch ausgeglichen, dass die Gesellschafter, die den Ein-ziehungsbeschluss gefasst haben, dem ausgeschiedenenGesellschafter anteilig haften, wenn sie nicht anderweitigdafür sorgen, dass die Abfindung aus dem ungebundenenVermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder siedie Gesellschaft nicht auflösen. Den verbliebenen Gesell-schaftern wächst anteilig der Wert des eingezogenen Ge-schäftsanteils zu. Sie müssten, wenn sie sich redlich ver-halten und eine Unterdeckung nicht auf andere Art undWeise ausgleichen, etwa durch Auflösung von stillen Re-serven oder eine Herabsetzung des Stammkapitals (vgl.dazu BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157[169] = GmbHR 1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz[2]), grundsätzlich die Gesellschaft auflösen, um so dieGesellschaft in die Lage zu versetzen, den Abfindungsan-spruch des ausgeschiedenen Gesellschafters soweit wiemöglich zu erfüllen. Mit der Auflösung stellen sie den aus-geschiedenen Gesellschafter hinsichtlich seines Abfin-dungsanspruchs so, als sei er noch Gesellschafter. Sie ver-halten sich treuwidrig, wenn sie sich dagegen mit der Fort-setzung der Gesellschaft den Wert des eingezogenen Ge-

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GmbHR 7/2012 389

schäftsanteils auf Kosten des ausgeschiedenen Gesell-schafters einverleiben, ihm aber eine Abfindung unter derberechtigten Berufung auf die Kapitalbindung der Gesell-schaft verweigern.

[22] Wenn die Gesellschafter die Gesellschaft fortsetzen,anstatt sie aufzulösen, weil sie darin einen wirtschaftlichenVorteil und einen Mehrwert für ihren Anteil erblicken, istes nicht unbillig, sie zum Ausgleich für den Abfindungsan-spruch persönlich haften zu lassen, wenn die Gesellschaftihn wegen der Kapitalbindung nicht erfüllen darf. Eine beiFassung des Einziehungsbeschlusses unabsehbare persön-liche Haftung ist damit nicht verbunden. Die Gesellschaf-ter können ihre persönliche Inanspruchnahme durch Aus-gleich der Unterdeckung oder durch die Auflösung der Ge-sellschaft vermeiden. Der Abfindungsanspruch wird da-durch zwar nicht in voller Höhe gegen Veränderungen ge-schützt. Auch in der Liquidation ist der Abfindungsan-spruch erst nach den Ansprüchen der übrigen Gesell-schaftsgläubiger zu befriedigen (§ 73 GmbHG). Davorschützt den ausgeschiedenen Gesellschafter aber auch derweitere Verbleib in der Gesellschaft bei Annahme einer be-dingten Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses nicht.

[23] Die Nachteile der weiteren Mitgliedschaft eines„Störenfrieds“ werden weitgehend vermieden. Eine Unge-wissheit über die Ausübung mitgliedschaftlicher Rechtewegen eines Streits über den Einziehungsgrund oder dieHöhe der Abfindung, der dazu führt, dass zunächst unklarsein kann, ob die Abfindung aus dem angegebenen Vermö-gen geleistet werden kann, kann nicht vermieden werden.

[24] dd) Der Fortbestand der Mitgliedschaft des Gesell-schafters, dessen Geschäftsanteil eingezogen wurde, istauch nicht aus anderen Gründen erforderlich. Für dieWahrnehmung der Rechte gegen den Einziehungsbe-schluss selbst ist von der weiteren Rechtsinhaberschaftauszugehen, um der verfassungsrechtlich gebotenenRechtsschutzmöglichkeit Geltung zu verschaffen (BGH v.22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32, Rz. 8; v.19.9.1977 – II ZR 11/76, NJW 1977, 2316 = GmbHR 1978,131).

[25] c) Der Kl. ist nicht als stimmberechtigter Gesell-schafter zu behandeln, weil er zu der Gesellschaftsver-sammlung v. 22.2.2007 eingeladen wurde. Die Bekl. ist da-mit nur den Unsicherheiten gerecht geworden, die auf-grund der ungeklärten Rechtslage zum Fortbestand vonMitgliedsrechten bestanden.

Der GmbHR-Kommentar

I. Zur Entscheidung

Das vorstehend abgedruckte Urt. des BGH v. 24.1.2012 –II ZR 109/11 beendet einen Streit, der unter den Oberge-richten und in der Literatur in den vergangenen Jahren äu-ßerst kontrovers entschieden und diskutiert worden ist.Auf die klärenden Worte des BGH hat die Praxis langewarten müssen: Schon im Jahr 1995 (BGH v. 20.2.1995 –II ZR 46/94, GmbHR 1995, 377) beschränkte sich derBGH auf eine Darstellung des Meinungsstands, ohneselbst Stellung zu beziehen. Anfang des Jahres 2008 (BGHv. 28.1.2008 – II ZR 290/06, GmbHR 2008, 765) ließ derGesellschaftsrechts-Senat die von ihm so bezeichnete„Grundsatzfrage“, ob die aus dem Sen.Urt. v. 1.4.1953(BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 = GmbHR1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz [2]) abgeleitetesog. Bedingungslehre auf die Konstellation einer „reinen“

Zwangseinziehung gemäß § 34 GmbHG übertragbar ist,erneut offen. Seinerzeit verneinte der BGH die Entschei-dungserheblichkeit dieser Frage unter Verweis auf die Bin-dungswirkung eines rechtskräftigen landgerichtlichen Ur-teils. Das LG Wuppertal hatte mit einer nicht veröffentlich-ten Entscheidung festgestellt, dass die dortigen Beklagten„noch bis zur Zahlung des Einziehungsentgelts“ Gesell-schafterinnen der damaligen Klägerin waren. Heute wis-sen wir: Das LG Wuppertal hat falsch entschieden. Dennmit dem hier kommentierten Urteil stellt der BGH nun-mehr klar, dass die Einziehung in den Fällen, in denen derEinziehungsbeschluss weder nichtig ist noch für nichtig er-klärt wird, mit der Mitteilung des Beschlusses an den be-troffenen Gesellschafter und nicht erst mit Leistung derAbfindung wirksam wird (1. Leitsatz). Um den Gesell-schafter, der damit unmittelbar und sofort seine Mitglied-schaftsrechte verliert, ohne hierfür schon finanziell ent-schädigt worden zu sein, zu schützen, nimmt der BGH dieGesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst ha-ben, zugunsten des Ausgeschiedenen in die persönlicheHaftung, wenn sie nicht dafür sorgen, dass die Abfindungaus dem ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleis-tet werden kann, oder sie die Gesellschaft nicht auflösen(2. Leitsatz).

II. StellungnahmeDas Urteil überzeugt. Es ist sorgfältig begründet und wägtdie Interessen aller Beteiligten sorgsam ab. Nicht zuletzthebt es zutreffend hervor, das ratio legis des § 34 Abs. 3GmbHG nicht etwa der Schutz des Abfindungsanspruchsder Gesellschafter ist. Der Verweis auf § 30 Abs. 1GmbHG soll vielmehr sicherstellen, dass die Gesellschaf-ter nicht zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger die Ka-pitalerhaltungspflicht durch Aufgabe ihrer Mitgliedschaftumgehen. Der BGH rückt damit die Perspektiven wiederzurecht, die in anderslautenden Entscheidungen mituntereinseitig zu Gunsten des betroffenen Gesellschafters ver-schoben worden waren. Zwar mag es sein, dass der Gesell-schafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen werden soll,nicht immer der „Störenfried“ ist, den der BGH offensicht-lich ausgemacht hatte. Häufig ist der Betroffene auch Op-fer ihn diskreditierender Mitgesellschafter. Das ändert abernichts daran, dass er mit der gesellschaftsvertraglichen Re-gelung, die seinen Ausschluss im Beschlusswege erlaubt,ein persönliches Risiko eingegangen ist, das nicht über denUmweg der Kapitalerhaltung ausgeräumt werden kann.

III. Relevanz für die PraxisSo begrüßenswert das Urteil schon wegen seiner Eindeu-tigkeit auch ist, sollte gleichwohl nicht verkannt werden,dass es nur eng begrenzte Fallkonstellationen erfasst. Auchdie Fallgestaltung, die dem BGH zur Entscheidung vorlag,zeichnete sich dadurch aus, dass dort die Einziehung desGeschäftsanteils bereits bestandskräftig war. In den wohlüberwiegenden Fällen drohen aber weiterhin die von denBeteiligten und ihren Beratern zu Recht so gefürchtetenSchwebephasen.

Zunächst gilt das dort, wo die Satzung die Zwangseinzie-hung von Geschäftsanteilen nicht gestattet, nach höchst-richterlicher Rechtsprechung also Ausschlussklage zu er-heben ist. Hier verbleibt es bei der „Bedingungslösung“dergestalt, dass die Einziehung unter der aufschiebendenBedingung einer Abfindungszahlung aus freiem Vermö-gen steht (BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9,157 = GmbHR 1953, 72 m. Anm. Schneider [1] u. Scholz

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390 GmbHR 7/2012

[2]), so dass der betroffene Gesellschafter auch erst mit Be-dingungseintritt seine Mitgliedschaftsrechte verliert. Bisdahin kann er – um eine Wortwahl des BGH aufzugrei-fen – seinen „Lästigkeitswert“ stetig steigern.

Aber auch dort, wo im Falle der Einziehung durch Be-schluss Einziehungsgrund und Höhe der Abfindung imStreit sind, wird es bei quälend langen Hängepartien blei-ben. Vorübergehende Rechtssicherheit wird dabei noch amehesten in den Fällen gewährleistet sein, in denen der Ein-ziehungsbeschluss von einem hierzu berechtigten Ver-sammlungsleiter festgestellt worden ist. Denn dann liegtjedenfalls im Rechtssinne ein Beschluss vor, den die herr-schende Meinung mit zumindest vorläufiger Wirksamkeitausstattet (BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, GmbHR1988, 304; OLG Köln v. 16.5.2002 – 18 U 31/02, GmbHR2002, 913 [914]; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG,17. Aufl. 2009, Anh zu § 47 Rz. 38; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2009, Anh § 47 Rz. 118, § 48Rz. 17). Der betroffene Gesellschafter muss – will er sichgegen die Einziehung seines Geschäftsanteils wehren –Anfechtungsklage in Analogie zu §§ 241 ff. AktG erhe-ben.

Fehlt demgegenüber ein festgestellter Beschlussinhalt, istim Wege der allgemeinen Feststellungsklage – gerichtetgegen die Gesellschaft – zu klären, ob und mit welchem In-halt ein Beschluss gefasst worden ist (BGH v. 4.5.2009 – IIZR 169/07, GmbHR 2009, 1327 m. Komm. Münnich;Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2009,Anh § 47 Rz. 124). Der nicht festgestellte Gesellschafter-beschluss erlangt keine vorläufige Wirksamkeit undbraucht auch nicht vom opponierenden Gesellschafter vor-läufig hingenommen zu werden (Bayer in Lutter/Hommel-hoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh zu § 47 Rz. 39).

Parallel hierzu werden die Beteiligten deshalb bemühtsein, ihre jeweiligen Positionen im einstweiligen Rechts-schutz zu stärken. Die Erfahrung lehrt, dass dies zu einerVielzahl gerichtlicher Streitigkeiten führt, die jedenfallserstinstanzlich regelmäßig mit der Eskalation der Ausei-nandersetzung einhergeht. Häufig gelingt es dann erst denObergerichten, die Parteien zu befrieden.

Dr. Lutz Münnich, Rechtsanwalt und Fachanwalt fürHandels- und Gesellschaftsrecht, Hamm

Aufsichtsrat: Zahlenmäßige Zusammensetzung desAufsichtsrats einer GmbH nach dem Mitbestim-mungsgesetz

MitbestG § 7 Abs. 1

Die Satzung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung,bei der ein Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz zubilden ist, kann nicht bestimmen, dass der Aufsichtsrat ne-ben zwanzig stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedernaus weiteren Mitgliedern mit beratender Funktion besteht.

BGH, Beschl. v. 30.1.2012 – II ZB 20/11

� Aus den Gründen:

I.[1] Die Beteiligte ist eine Konzernobergesellschaft inForm einer GmbH, deren alleinige Gesellschafterin dieStadt E ist. Sie beherrscht eine Vielzahl von Tochtergesell-

schaften, die insgesamt mehr als 2.000 Arbeitnehmer be-schäftigen. Gemäß § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Mit-bestG ist bei der Beteiligten ein Aufsichtsrat nach den Vor-schriften des Mitbestimmungsgesetzes gebildet.

[2] § 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags der Beteiligten inseiner bisher geltenden Fassung trifft dazu folgende Rege-lung:

Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus zwanzig Mitglie-dern. Davon werden zehn Mitglieder von den Arbeitnehmernnach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 ge-wählt. Die weiteren Mitglieder werden vom Rat der Stadt E ent-sandt, wovon eines der Oberbürgermeister oder ein von ihm vor-geschlagener Beamter oder Angestellter der Stadt E ist.

[3] Am 20.9.2010 beschloss die Gesellschafterversamm-lung der Beteiligten, neben einer Vielzahl weiterer Vor-schriften § 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags wie folgt zuändern:

Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus zwanzig stimmbe-rechtigten Mitgliedern sowie aus bis zu vier Mitgliedern mit bera-tender Funktion. Von den zwanzig stimmberechtigten Mitgliedernwerden zehn stimmberechtigte Mitglieder von den Arbeitneh-mern nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976gewählt. Die übrigen zehn stimmberechtigten Mitglieder werdenvom Rat der Stadt E entsandt, wovon eines der Oberbürgermeisteroder ein von ihm vorgeschlagener Beamter oder Angestellter derStadt E ist. Ratsfraktionen, welche dem Aufsichtsrat nicht bereitsnach Satz 3 angehören, benennen jeweils ein beratendes Mitglied,das vom Rat der Stadt E entsandt wird.

[4] Die Geschäftsführer der Beteiligten meldeten die Än-derungen des Gesellschaftsvertrags mit notariell beglau-bigter Erklärung v. 20.9.2010 zur Eintragung in das Han-delsregister an.

[5] Mit Zwischenverfügung v. 27.9.2010 hat das RegG diebeschlossenen Erweiterungen in § 8 des Gesellschaftsver-trags als unzulässig beanstandet, weil die ständige Teilnah-me von beratenden Mitgliedern an Sitzungen des Auf-sichtsrats gegen § 109 AktG verstoße; die beanstandetenRegelungen seien daher durch Gesellschafterbeschluss zustreichen [AmtsG Essen v. 27.9.2010 – 89 HRB 4308]. DasOLG hat die Beschwerde der Beteiligten mit der Maßgabezurückgewiesen, dass der Beteiligten eine Frist zur Behe-bung des bezeichneten Hindernisses von einem Monat abEintritt der Rechtskraft der Beschwerdeentscheidung ge-setzt wird [OLG Hamm v. 29.9.2011 – I-15 W 606/10]. ...

II.[7] Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. ... 2.[10] Die Rechtsbeschwerde ... bleibt ... ohne Erfolg.

[11] a) Die Erweiterung des Aufsichtsrats auf bis zu vier-undzwanzig Mitglieder gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 des Gesell-schaftsvertrags i.d.F. des Beschlusses v. 20.9.2010 verstößtgegen § 7 Abs. 1 MitbestG. Nach dieser Vorschrift setztsich der Aufsichtsrat aus höchstens zwanzig Mitgliedernzusammen.

[12] Bei der beteiligten Gesellschaft, die gemäß § 1Abs. 1, § 5 Abs. 1 MitbestG dem Mitbestimmungsgesetzunterliegt, ist gemäß § 6 Abs. 1 MitbestG zwingend einAufsichtsrat zu bilden. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 bis 3 MitbestGkann die Satzung die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder aufhöchstens zwanzig Aufsichtsratsmitglieder festlegen, jezehn der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Abweichun-

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Gesellschaftsrecht

GmbHR 7/2012 391

gen von dieser abschließenden Regelung sind nicht zuläs-sig (vgl. Gach in Münch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 7 Mit-bestG Rz. 6; Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., Anh § 117 B§ 7 MitbestG Rz. 2; Oetker in Großkomm. AktG, 4. Aufl.,§ 7 MitbestG Rz. 1; Wißmann in Münch.Hdb.ArbR,3. Aufl., § 280 Rz. 1; Henssler in Ulmer/Habersack/Henss-ler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 17;Wißmann in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 2; Seibtin Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 4. Aufl., § 7MitbestG Rz. 1; Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz undDrittelbeteiligungsgesetz, 5. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 2;Heither/v. Morgen in Hümmerich/Boecken/Düwell, Ar-beitsrecht, Bd. 2, 2. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 1; Fuchs/Köstler, Handbuch zur Aufsichtsratswahl, 4. Aufl.,Rz. 61). § 7 Abs. 1 MitbestG ist lex specialis zu §§ 95, 96AktG (§ 95 S. 5 AktG; vgl. ferner Henssler in Ulmer/Ha-bersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl., § 7 Mit-bestG Rz. 14; Heither/v. Morgen in Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, Bd. 2, 2. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 1).Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kann daheraus der in § 95 S. 1 AktG festgelegten Höchstzahl von ein-undzwanzig Aufsichtsratsmitgliedern nicht hergeleitetwerden, dass die Höchstgrenze von zwanzig Aufsichtsrats-mitgliedern nach § 7 Abs. 1 MitbestG überschritten wer-den dürfe. Nach der beschlossenen Satzungsänderung sollder Aufsichtsrat der Beteiligten aber aus zwanzig stimm-berechtigten sowie aus bis zu vier weiteren Aufsichtsrats-mitgliedern mit beratender Funktion bestehen. Da auch dienicht stimmberechtigten weiteren AufsichtsratsmitgliederAufsichtsratsmitglieder i.S.v. § 7 Abs. 1 MitbestG sind,wird die zulässige Höchstzahl überschritten.

[13] b) Durch die Regelung in § 109 Abs. 1 S. 2 AktG,nach der Dritte zu den Sitzungen des Aufsichtsrats hinzu-gezogen werden können, wird, anders als die Rechtsbe-schwerde meint, bei der Beteiligten als einer dem Mitbe-stimmungsgesetz unterliegenden GmbH nicht die Mög-lichkeit eröffnet, neben zwanzig stimmberechtigten Auf-sichtsratsmitgliedern weitere Aufsichtsratsmitglieder mitnur beratender Funktion vorzusehen. Nach § 109 Abs. 1S. 2 AktG ist nur die Zuziehung von Sachverständigen undAuskunftspersonen zur Beratung über einzelne Gegen-stände zulässig. Die geänderte Regelung in § 8 des Gesell-schaftsvertrags der Beteiligten sieht dagegen die ständigeTeilnahme von bis zu vier beratenden, nicht stimmberech-tigten Mitgliedern an den Sitzungen des Aufsichtsrats vor.Die ständige Teilnahme einer die Höchstzahl von zwanzigAufsichtsratsmitgliedern übersteigenden Anzahl von Mit-gliedern mit beratender Funktion an den Sitzungen desAufsichtsrats ist mit § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG, § 109Abs. 1 AktG nicht vereinbar.

[14] Die Regelung der inneren Ordnung des Aufsichtsratsder Beteiligten bestimmt sich, da §§ 27 bis 29, §§ 31 u. 32MitbestG nichts anderes vorsehen, u.a. nach § 25 Abs. 1S. 1 Nr. 2 MitbestG i.V.m. § 109 Abs. 1 AktG. Die sich ausder Verweisung in § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG erge-benden Regelungen sind zwingend (Oetker in ErfK,12. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 6; Gach inMünch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 3; Mer-tens in KK-AktG, 2. Aufl., Anh § 117 B § 25 MitbestGRz. 1; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht,4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 1; Raiser/Veil, Mitbestim-mungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 5. Aufl., § 25MitbestG Rz. 1 f.; Koberski in Wlotzke/Wißmann/Ko-berski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 25

MitbestG Rz. 3 f.). Andere Regelungen in der Satzung derBeteiligten sind nur zulässig, soweit sie weder den Vor-schriften des Mitbestimmungsgesetzes noch den in § 25Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG genannten gesellschaftsrecht-lichen Vorschriften widersprechen, § 25 Abs. 2 MitbestG.

[15] Aus § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MitbestG, § 109 Abs. 1S. 1 AktG folgt, dass an den Sitzungen des Aufsichtsratsder beteiligten Gesellschaft keine Personen teilnehmensollen, die nicht Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vor-stands sind. Bei § 109 Abs. 1 AktG handelt es sich trotz desWortlauts um zwingendes Recht. Die Satzung kann daherüber die in § 109 Abs. 1 S. 2, § 109 Abs. 3 AktG genann-ten Fälle hinaus den Kreis der zu den Sitzungen des Auf-sichtsrats zugelassenen Personen nicht erweitern (Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsge-setz, 5. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 33; Ulmer/Habersack inUlmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht,2. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 20; Koberski in Wlotzke/Wiß-mann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht,4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 20; vgl. ferner Hopt/Roth inGroßkomm.AktG, 4. Aufl., § 109 AktG Rz. 7; Hüffer,AktG, 9. Aufl., § 109 Rz. 1, 4, m.w.N.).

[16] § 109 Abs. 1 AktG soll den Aufsichtsrat klar von ge-setzlich nicht vorgesehenen Organen sowie anderen Perso-nen abgrenzen sowie seine Arbeitsfähigkeit sichern undder Erhaltung der Vertraulichkeit der Sitzungen des Auf-sichtsrats die-nen. Die Vorschrift soll verhindern, dassnicht dem Aufsichtsrat oder dem Vorstand angehörendePersonen ständig an Aufsichtsratssitzungen teilnehmenund so vergleichbare Einflussmöglichkeiten erlangen, oh-ne hierfür die entsprechende Verantwortung zu tragen (Ha-bersack in Münch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 109 Rz. 2;Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 6; Spindler inSpindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 1; Drygala inK. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 2). Die regel-mäßige Teilnahme von ständigen Beratern und Auskunfts-personen an den Sitzungen des Aufsichtsrats ist deshalbunzulässig, da diese Personen nach der gesetzlichen Rege-lung, die Aufsichtsratsmitglieder ohne Stimmrecht nichtkennt, nur von Fall zu Fall zu einzelnen Gegenständen hin-zugezogen werden dürfen (vgl. Habersack inMünch.Komm.AktG, 3. Aufl., § 109 Rz. 16 ff.; Hoff-mann-Becking in Münch.Hdb.AG IV, 3. Aufl., § 31Rz. 47a; Mertens in KK-AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 14 ff.;Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 19,27; Hüffer, AktG, 9. Aufl., § 109 Rz. 4 f.; Drygala inSchmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 109 Rz. 7 f.; Hopt/Rothin Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 109 AktG Rz. 41 ff.;Henssler in Henssler/Strohn, § 109 AktG Rz. 5 f.; Kobers-ki in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestim-mungsrecht, 4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 20 f.).

[17] c) Nach der von der Beteiligten beschlossenen Ände-rung in § 8 Abs. 1 S. 4 des Gesellschaftsvertrags soll nurder Alleingesellschafterin das Recht zustehen, neben denzehn stimmberechtigten bis zu vier beratende Mitglieder inden Aufsichtsrat zu entsenden. Die angemeldete Satzungs-änderung ist daher auch mit dem Grundsatz der paritäti-schen Zusammensetzung des Aufsichtsrats durch Mitglie-der der Anteilseigner und Arbeitnehmer nicht vereinbar,den § 7 Abs. 1 MitbestG sicherstellen soll (Regierungsent-wurf des Mitbestimmungsgesetzes, BT-Drucks. 7/2172,S. 22; Oetker in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 7 MitbestGRz. 2, 4). In den vom Mitbestimmungsgesetz erfassten Un-ternehmen sollen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichts-

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392 GmbHR 7/2012

rat an den dort zu treffenden unternehmerischen Planungenund Entscheidungen grundsätzlich gleichberechtigt undgleichgewichtig teilhaben; deshalb ist der Aufsichtsrat mitder gleichen Zahl der Anteilseigner und Arbeitnehmer zubesetzen (Regierungsentwurf des Mitbestimmungsgeset-zes, BT-Drucks. 7/2172, S. 16 f., 22). Die gesellschafts-rechtliche Gestaltungsfreiheit durch Satzung muss zurück-treten, soweit durch sie der Paritätsgedanke sowie das imMitbestimmungsgesetz geregelte Zusammenspiel der bei-den Mitgliedergruppen im Aufsichtsrat verändert wird(Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge,Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 8,m.w.N.; Oetker in ErfK, 12. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 3;Raiser/Veil, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteili-gungsgesetz, 5. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 9; Ulmer/Haber-sack in Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungs-recht, 2. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 6). Entgegen der An-sicht der Rechtsbeschwerde wird die von der Beteiligtenvorgenommene Regelung diesen Prinzipien einer gleich-berechtigten und gleichgewichtigen Mitbestimmung nichtgerecht, weil die Entsendung von bis zu vier zusätzlichenMitgliedern zu einem Übergewicht der Arbeitgeberseiteführt, auch wenn diese Mitglieder nur eine beratendeFunktion ausüben.

[18] d) Die von der Beteiligten in § 8 des Gesellschafts-vertrags vorgesehene Einführung von bis zu vier nur bera-tenden Aufsichtsratsmitgliedern neben den zwanzigstimmberechtigten Mitgliedern des Aufsichtsrats verstößtferner gegen den Grundsatz, dass alle Mitglieder des Auf-sichtsrats die gleichen Rechte und Pflichten haben sollen.Dieser in der mitbestimmungsfreien AG allgemein aner-kannte Grundsatz (vgl. Hopt/Roth in Großkomm. AktG,4. Aufl., § 107 AktG Rz. 7; Mertens in KK-AktG, 2. Aufl.,§ 107 Rz. 5) ist auch in das Mit-bestimmungsgesetz einge-gangen (vgl. BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83,106 [112 f.]; v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, NJW 1989, 979[981 f.] = GmbHR 1989, 126 [LS]).

[19] e) Auf die Frage, ob etwas anderes gilt, wenn eineGmbH nicht dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt undbei ihr ein Aufsichtsrat deshalb nur fakultativ zu bilden ist,kommt es nicht an. Die von der Rechtsbeschwerde zum fa-kultativen Aufsichtsrat angeführten Gesichtspunkte kön-nen wegen der zwingenden Regelungen des Mitbestim-mungsgesetzes auf den bei der Beteiligten nach den§§ 6 ff. MitbestG zu bildenden Aufsichtsrat nicht übertra-gen werden.

Der GmbHR-Kommentar

Der II. Senat des BGH hat mit seiner vorstehend abge-druckten Grundsatzentscheidung v. 30.1.2012 – II ZB 20/11 klargestellt, dass die in § 7 Abs. 1 MitbestG vorgesehe-ne Höchstmitgliederzahl von 20 Aufsichtsratsmitgliedernzwingend ist. Diese Maximalmitgliederzahl kann nichtdurch eine Satzungsänderung erweitert werden. Entschie-den ist dies anhand einer Konzernobergesellschaft imkommunalen Bereich, welche in der Rechtsform derGmbH die Holdingfunktion über diverse Tochtergesell-schaften ausübt (zur Mitbestimmung bei einer ausländi-schen Konzernmutter OLG Stuttgart v. 30.3.1995 – 8 W355/93, GmbHR 1995, 530 [LS]). Die insoweit geänderteSatzung sah vor, dass die Stadt Essen als Alleingesell-schafterin das alleinige Recht besitzen sollte, bis zu vierberatende, allerdings nicht stimmberechtigte Mitglieder inden mitbestimmten Aufsichtsrat zusätzlich zu entsenden,

also zahlenmäßig über die zehn von der Arbeitgeberseiteregulär zu stellenden Aufsichtsratsmitglieder hinaus. Un-klar bleibt bei der Entscheidung – es spielt aber auch fürdie rechtliche Lösung keine Rolle –, weshalb die Erweite-rung des Aufsichtsrats um vier Personen von der gesetzlichangeordneten Zahl auf dann 24 Mitglieder angestrebt undsatzungsmäßig beschlossen worden war. In Übereinstim-mung mit der absolut herrschenden Literaturmeinung istdurch den BGH nun entschieden, dass je zehn Vertreter derAnteilseigner und der Arbeitnehmer die Höchstzahl füreine nach § 7 Abs. 1 MitbestG mitbestimmte GmbH dar-stellt, die nicht durch die Statuten der GmbH erweitert wer-den kann (vgl. zum „umgekehrten“ Fall des Schicksals desAufsichtsrats bei einem Herausfallen aus der Mitbestim-mung durch dauerhafte Reduzierung der Belegschaft OLGFrankfurt a. M. v. 2.11.2010 – 20 W 362/10, GmbHR 2011,313 [LS]).

Die gesetzliche Höchstgrenze des § 7 MitbestG mit 20Aufsichtsratsmitgliedern ist aus mehreren Gründen obliga-torisch, und Erhöhungen sind daher rechtswidrig, wie derBGH instruktiv in seiner Entscheidung ausführt.

1. Als erstes Rechtsargument für die Erhöhungsmöglich-keit wurde § 109 Abs. 3 AktG angeführt. Dort heißt es: DieSatzung kann zulassen, dass an den Sitzungen des Auf-sichtsrats und seiner Ausschüsse Personen, die dem Auf-sichtsrat nicht angehören, anstelle von verhinderten Auf-sichtsratsmitgliedern teilnehmen können, wenn diese siehierzu in Textform ermächtigt haben. Dieses Argumentließ das Gericht nicht gelten. Denn mittels Satzungsände-rung soll der Aufsichtsrat der Beteiligten aus zwanzigstimmberechtigten sowie aus bis zu vier weiteren Auf-sichtsratsmitgliedern mit beratender Funktion bestehen.Mit anderen Worten: Es ging durch die Satzungsänderungstets um 24 Aufsichtsratsmitglieder, mögen auch vier da-von – mangels eigener Stimmberechtigung – allenfallsMitglieder „zweiter Klasse“ sein. Auch nach § 109 Abs. 1S. 2 AktG ist nur die Zuziehung von Sachverständigen undAuskunftspersonen zur Beratung über einzelne Gegen-stände zulässig, nicht dagegen die ständige Teilnahme vonbis zu vier weiteren Aufsichtsratsmitgliedern. So wurdeauch in der herrschenden Literatur die satzungsmäßig vor-gesehene Teilnahme von Vorstandsmitgliedern an Auf-sichtsratssitzungen einer AG für rechtswidrig erachtet,während hingegen wohl nur Uwe H. Schneider, ZIP 2002,873 ff. aus § 109 AktG ableitet, dass es kein derartiges ge-nerelles Verbot gebe und dies auch über die Satzung statu-iert werden könne. Ob der BGH sich hierzu auch festge-legt, wenn ausgeführt ist, dass die Satzung daher über diein § 109 Abs. 1 S. 2 u. Abs. 3 AktG genannten Fälle hinausden Kreis der zu den Sitzungen des Aufsichtsrats zugelas-senen Personen nicht erweitern kann, bleibt offen.

2. Als zweiten Grund für die Unwirksamkeit der satzungs-mäßig erweiterten Höchstzahl im Aufsichtsrat führt derBGH Vertraulichkeitsbedenken an. Jüngst befasste sichauch Spindler, ZIP 2011, 689 ff. mit diesem Spannungs-feld aus der Verpflichtung zur Verschwiegenheit einerseitsund deren Weisungsgebundenheit andererseits, wenn kom-munale Mandatsträger – vorliegend ging es um eine städti-sche Konzernstruktur – zum Aufsichtsratsmitglied bestelltwerden. Auch für Aufsichtsratsmitglieder, die von der öf-fentlichen Hand gestellt seien, gelte zwar die Verschwie-genheitspflicht. Zu einer Durchbrechung dieses Grundsat-zes käme es aber dann, wenn das Aufsichtsratsmitglied alsVertreter von Gebietskörperschaften gleichzeitig einer Be-

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GmbHR 7/2012 393

richtspflicht gegenüber seiner Körperschaft unterliege (soSpindler, aaO). Ähnlich führt der BGH aus, dass der Auf-sichtsrat und seine Mitglieder von gesetzlich nicht vorge-sehenen Organen abzugrenzen sein sollen – dies zum Zwe-cke der Erhaltung der Vertraulichkeit der Aufsichtsratssit-zungen. Die Vorschrift soll verhindern, dass nicht demAufsichtsrat oder dem Vorstand angehörende Personenständig an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen und so ver-gleichbare Einflussmöglichkeiten erlangen, ohne hierfürdie entsprechende Verantwortung zu tragen, weshalb dieregelmäßige Teilnahme von ständigen Beratern und Aus-kunftspersonen an den Sitzungen des Aufsichtsrats des-halb unzulässig ist.

3. Ad drei argumentiert der BGH überzeugend mit einerVerletzung der (paritätischen) Mitbestimmung im Auf-sichtsrat. Angesichts von bis zu vier permanenten, wennauch nicht stimmberechtigten zusätzlichen Aufsichtsrats-mitgliedern seitens der Arbeitgeberseite ist ein Überge-wicht der Arbeitgeberseite offenkundig. Das Mitbestim-mungsgesetz sieht – wie die BGH-Rechtsprechung postu-liert – kein Prinzip von Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-bänken vor. Der Widerstreit der Interessen zwischen An-teilseigner- und Arbeitnehmervertretern kann – so die da-hingehende BGH-Rechtsprechung – nur durch eine ver-trauensvolle Zusammenarbeit der auf das Unternehmens-interesse verpflichteten Aufsichtsratsmitglieder gelöstwerden (BGH v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, GmbHR, 1989,126 [LS]), ohne Stärkung der einen „Bank“.

4. Zuletzt verstößt die satzungsmäßige Ermöglichung derErweiterung des Aufsichtsrats um vier Personen gegen denGrundsatz, dass alle Mitglieder des Aufsichtsrats die glei-chen Rechte und Pflichten haben sollen, was bei vier per-manenten Mitgliedern allenfalls „zweiter Klasse“ – dastimmrechtslos – nicht gegeben ist. Hingegen geht derBGH stets von einem homogen zusammengesetzten Auf-sichtsrat aus, wie er z.B. auch im Kontext der actio pro so-cio betont (BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, ZIP 1982,440).

Insgesamt ist die BGH-Entscheidung zu begrüßen, wobeies wünschenswert gewesen wäre, wenn eine entsprechen-de Klärung im Wege eines obiter dictum auch für den fa-kultativen Aufsichtsrat herbeigeführt worden wäre, wasaber gerade offen blieb.

Dr. Martin Pröpper, Rechtsanwalt und Fachanwaltfür Arbeitsrecht, Köln

(Rechtsanwälte Ulrich Weber & Partner GbR)

Haftung des Geschäftsführers: Schadenersatz derGmbH gegen ihren Geschäftsführer wegenvermeintlicher Obliegenheitsverletzungen

GmbHG § 43 Abs. 2; BGB § 249; ZPO § 287, § 533

Für den Schadensbegriff im Sinne auch von § 43 Abs. 2GmbHG gelten grundsätzlich keine Besonderheiten, son-dern die § 249 ff. BGB, so dass nach allgemeinen Grundsät-zen ein Schaden dann vorliegt, wenn eine Minderung des Ge-sellschaftsvermögens eingetreten ist, ohne dass diese durcheinen damit im Zusammenhang stehenden Vermögenszu-wachs mindestens ausgeglichen ist.

OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 25.10.2011 – 5 U 27/10(rechtskräftig; juris)

Musterprotokoll: Befreiung des Liquidators vomSelbstkontrahierungsverbot

GmbHG § 2 Abs. 1a, § 53, § 54, § 66, § 68; BGB § 181

1. Die Befreiung des Liquidators einer im vereinfachtenVerfahren nach § 2 Abs. 1a GmbHG unter Verwendung desin der Anlage b) zu § 2 Abs. 1a GmbHG bestimmten Muster-protokolls gegründeten GmbH von den Beschränkungen des§ 181 BGB, deren Gesellschaftsvertrag noch nicht entspre-chend abgeändert wurde, macht einen Gesellschafterbe-schluss erforderlich, mit dem unter Beachtung der Anforde-rungen der §§ 53, 54 GmbHG die Satzung entsprechend ab-geändert wird.

2. Durch diesen Beschluss muss dem Liquidator entwedereine direkte satzungsmäßige generelle Befreiung von den Be-schränkungen des § 181 BGB erteilt werden, oder es musseine abstrakte generelle Befreiungsmöglichkeit von diesenBeschränkungen in der Satzung geschaffen werden, diedann wiederum Grundlage einer Befreiung durch einennachfolgenden einfachen Gesellschafterbeschluss sein kann.

OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 13.10.2011 – 20 W 95/11(rechtskräftig)

� Aus den Gründen:

I.Die Beschwerdeführerin ist im vereinfachten Verfahrennach § 2 Abs. 1a GmbHG mit einem Stammkapital i.H.v.10 c durch die Gesellschafter A1 und A2 durch Musterpro-tokoll errichtet worden (...). Zum ersten – und derzeit auchnoch alleine im Handelsregister eingetragenen – Ge-schäftsführer der Beschwerdeführerin wurde der Gesell-schafter A2 bestellt.

Dieser hat mit Anmeldung v. ... 2010 unter gleichzeitigerÜbersendung eines entsprechenden Gesellschafterbe-schlusses v. ... 2010 die Auflösung der Gesellschaft ange-meldet (...). Weiterhin hat er angemeldet:

„Ich bin zum Liquidator bestellt und von den Beschränkungen des§ 181 BGB befreit. Ich vertrete die Gesellschaft alleine, solangekein weiterer Liquidator bestellt ist. Allgemein vertritt ein Liqui-dator allein, wenn nur ein Liquidator bestellt ist. Sind mehrere Li-quidatoren bestellt, wird die Gesellschaft durch alle Liquidatorengemeinsam vertreten.“

Der übersandte Gesellschafterbeschluss v. ... 2010 ist nichtnotariell beurkundet und zur Vertretungsbefugnis des Li-quidators ist angeführt:

„Er vertritt die Gesellschaft allein, solange er einziger Liquidatorist. Von den Beschränkungen des § 181 BGB ist Befreiung er-teilt.“

Die Rechtspflegerin des AmtsG (nachfolgend: RegG) hatden die Anmeldung übersendenden und verfahrensbevoll-mächtigten Notar mit Schreiben v. 19.11.2010 darauf hin-gewiesen, der Anmeldung könne noch nicht entsprochenwerden, da bei der im vereinfachten Verfahren gegründe-ten Gesellschaft eine Befreiung des Liquidators von denBeschränkungen des § 181 BGB nicht möglich sei; hierzusei eine Satzungsänderung erforderlich (...).

Hiergegen hat der verfahrensbevollmächtigte Notar einge-wandt, dass aus der Satzung nicht ersichtlich sei, dass dieBefreiung des Liquidators von den Beschränkungen des§ 181 BGB nicht möglich sei. Da die Geschäftsführer derGesellschaft von den Beschränkungen des § 181 BGB be-

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394 GmbHR 7/2012

freit seien, stehe auch einer Befreiung eines Liquidatorsder Gesellschaft nach dem Inhalt der Satzung nichts entge-gen. Auch § 2 Abs. 1a GmbHG stehe dem nicht entgegen(...).

Die Rechtspflegerin hat mit Schreiben v. 16.12.2010 mit-geteilt, dass die Befreiung von den Beschränkungen des§ 181 BGB bei einer nach § 2 Abs. 1a GmbHG gegründe-ten Gesellschaft nur für den ersten im Musterprotokoll be-stellten Geschäftsführer gelte. Nach inzwischen h.M. han-dele es sich bei der Befreiung von § 181 BGB im Muster-protokoll nur um einen unechten Satzungsbestandteil, sodass für alle später bestellten Vertretungsorgane diese Be-freiung aus dem Musterprotokoll nicht gelte (Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376 ff.). Die Befreiung gelte auchnicht für den geborenen Liquidator fort, wenn die Satzungder Gesellschaft dies nicht ausdrücklich bestimme (Haasin Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 68 Rz. 4). Einesolche Bestimmung sei im Musterprotokoll aber generellnicht möglich (...).

Der verfahrensbevollmächtigte Notar hat – unter Bezug-nahme auf ein Hinweisschreiben des im Ersteintragungs-verfahren der Beschwerdeführerin zuständigen Richtersam AmtsG v. 28.7.2009, in dem dieser dargelegt hatte,

„Mithin gestattet die Satzung (Musterprotokoll) die Bestellung je-weils nur eines Geschäftsführers, der (sei es der bei Gründungoder der nachfolgend bei Geschäftsführerwechsel bestellte Ge-schäftsführer) jeweils von den Beschränkungen des § 181 BGBbefreit ist, und erfordert die Bestellung mehrerer Geschäftsführereine Satzungsänderung“,

an seiner Ansicht festgehalten und um einen rechtsmittel-fähigen Bescheid gebeten (...).

Die Rechtspflegerin hat daraufhin mit Zwischenverfügungv. 3.1.2011 die von ihr im Schreiben v. 16.12.2010 darge-legten Eintragungshindernisse wiederholt und die Eintra-gung der Befreiung des Liquidators von der Vornahmeeiner Satzungsänderung abhängig gemacht (...).

Hiergegen hat der verfahrensbevollmächtigte Notar imNamen der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz v.27.1.2011 ... Beschwerde eingelegt (...). Wenn der im ver-einfachten Verfahren berufene Geschäftsführer alleinver-tretungsberechtigt sei und von den Beschränkungen des§ 181 BGB kraft Gesetzes befreit sei, so gelte dies auch fürden geborenen Liquidator, sofern die Satzung nichts ande-res bestimme. Es gebe keinen Grund, eine Satzungsände-rung vorzunehmen, um eine Gesellschaft aufzulösen.Hilfsweise beantragt er, die Eintragung der Auflösung vor-zunehmen und die Eintragung der Befreiung des Liquida-tors von den Beschränkungen des § 181 BGB abzulehnen.Weiterhin beantragt er, über die Beschwerde zu entschei-den.

In einem Vermerk v. 11.2.2011 hat die Rechtspflegerin un-ter Bezugnahme auf die Verfügung v. 3.1.2011 der Be-schwerde nicht abgeholfen, da sie keine neuen Tatsachenvortrage, die eine andere rechtliche Beurteilung erforder-lich machen würden (...) und die Beschwerde dem Senatzur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beschwerde ist gemäß §§ 382 Abs. 4, 58 Abs. 1FamFG ... zulässig. ...

Der Senat hat aus verfahrensökonomischen Gründen da-von abgesehen, die Vorlageverfügung des RegG v.11.2.2011 (...) aufzuheben, und das Verfahren zur Durch-führung eines den gesetzlichen Voraussetzungen des § 68Abs. 1 FamFG entsprechenden Abhilfeverfahrens – beidem die Entscheidung über die Abhilfe durch einen be-gründeten und den Beteiligten bekannt zu gebenden Be-schluss (§ 41 FamFG), der sich mit dem Beschwerdevor-bringen eingehend auseinandersetzt, zu erfolgen hat – andas RegG zurückzugeben. So hat das RegG lediglich durcheinen Nichtabhilfevermerk entschieden und sich offen-sichtlich mit dem Beschwerdevorbringen zumindest inso-weit nicht weiter auseinandergesetzt, als in diesem aus-drücklich ein Hilfsantrag gestellt wurde, auf den das RegGin seinem Nichtabhilfevermerk nicht eingegangen ist.

Hinsichtlich dieses Hilfsantrags der Beschwerdeführerin,der als zulässiger Antrag auf Teilvollzug der Anmeldung v.... 2010 dahingehend auszulegen ist, dass die Beschwerde-führerin damit vorab zumindest die Eintragung der Auflö-sung der Beschwerdeführerin begehrte und die Eintragungder Befreiung des angemeldeten Liquidators von den Be-schränkungen des § 181 BGB gesondert hiervon gewahrtwissen wollte, hat das RegG bislang keine Entscheidunggetroffen. Eine solche Entscheidung kann auch dem Nicht-abhilfevermerk des RegG v. 11.2.2011 (...) nicht entnom-men werden, der sich mit diesem Hilfsantrag nicht befasst,vielmehr lediglich die Nichtabhilfe mit einer Bezugnahmeauf die bisher bereits vom RegG als Grundlage seiner Zwi-schenverfügung angeführten Argumente begründet. DasRegG hat sich demnach mit diesem Antrag auf Teilvollzugbislang offensichtlich nicht befasst, obwohl die Bedingungfür dessen Wirksamwerden aufgrund der seitens des RegGauch im Abhilfeverfahren nicht geänderten Auffassung zurNichteintragungsfähigkeit der Befreiung des Liquidatorsvon den Beschränkungen des § 181 BGB eingetreten ist.Da somit über diesen Antrag der Beschwerdeführerin imerstinstanzlichen Verfahren noch nicht entschieden wor-den ist, und es auch an einer entsprechenden Beschwerdefehlt, durch die die Zuständigkeit des OLG zur Sachent-scheidung begründet werden könnte, ist das Verfahren in-soweit an das RegG zur eigenen Entscheidung zurückzu-geben.

Die Beschwerde ist dem OLG somit lediglich insoweit an-gefallen, als sie sich gegen die vom RegG in der angegrif-fenen Zwischenverfügung geäußerte Rechtsauffassungrichtet, wonach die angemeldete Befreiung des Liquida-tors A2, O1, geboren am ..., von den Beschränkungen des§ 181 BGB von der Vornahme einer Satzungsänderung ab-hängig sei.

2. Keine Begründetheit der Beschwerde

Diese Beschwerde ist unbegründet.

Dies gilt unabhängig davon, ob der Beschluss der Gesell-schafter der Beschwerdeführerin v. ... 2010 lediglich derenrechtliche Annahme wiederholt, der Liquidator sei ohneweiteres aufgrund der ihm im Musterprotokoll als Ge-schäftsführer erteilten Befreiung von den Beschränkungendes § 181 BGB ebenfalls befreit, oder ob es sich um eineausdrückliche neue Beschlussfassung der Gesellschafterüber die Befreiung für den Liquidator handelt.

Die Befreiung des Liquidators einer im vereinfachten Ver-fahren nach § 2 Abs. 1a GmbHG unter Verwendung des inder Anlage b) zu § 2 Abs. 1a GmbHG bestimmten Muster-

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GmbHR 7/2012 395

protokolls gegründeten GmbH von den Beschränkungendes § 181 BGB, deren Gesellschaftsvertrag noch nicht ent-sprechend abgeändert wurde, macht einen Gesellschafter-beschluss erforderlich, mit dem unter Beachtung der An-forderungen der §§ 53, 54 GmbHG die Satzung entspre-chend abgeändert wird.

Durch diesen Beschluss muss dem Liquidator entwedereine direkte satzungsmäßige generelle Befreiung von denBeschränkungen des § 181 BGB erteilt werden, oder esmuss eine abstrakte generelle Befreiungsmöglichkeit vondiesen Beschränkungen in der Satzung geschaffen werden,die dann wiederum Grundlage einer Befreiung durch einennachfolgenden einfachen Gesellschafterbeschluss seinkann.

Zunächst ist davon auszugehen, dass der bisherige Ge-schäftsführer A2 bereits kraft Gesetzes gemäß § 66 Abs. 1GmbHG zum Liquidator der Gesellschaft geworden ist.Der daneben gefasste entsprechende Gesellschafterbe-schluss hat diese gesetzliche Berufung nicht beseitigt; dieskann ein Gesellschafterbeschluss nur dann, wenn durchihn die Liquidation einer anderen Person als dem bisheramtierenden Geschäftsführer übertragen wird (vgl. Bay-ObLG v. 14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85, GmbHR 1985, 392,zitiert nach juris).

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gilt diedem Geschäftsführer A2 im Rahmen ihrer Gründung durchMusterprotokoll erteilte Befreiung von den Beschränkun-gen des § 181 BGB jedoch auch für ihn als geborenem Li-quidator nicht ohne weiteres fort.

Insoweit hat der BGH für eine nicht mit Musterprotokollgegründete GmbH durch Urt. v. 27.10.2008 – II ZR 255/07, GmbHR 2009, 212, zitiert nach juris mit überzeugen-den Gründen entschieden, dass eine für die Geschäftsfüh-rer in der Satzung erteilte Einzelvertretungsberechtigungund Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGBmit der Auflösung der GmbH endet und sich nicht für sieals Liquidatoren fortsetzt, auch wenn es sich um die gebo-renen Liquidatoren der Gesellschaft handelt (zum Streit-stand vgl. die Darstellung in dem in Bezug genommenenUrt. des BGH sowie die Nachw. bei K. Schmidt in Scholz,GmbH, 10. Aufl., § 68 Rz. 5, 5a). Dem zugrunde liegt dasberechtigte Argument, wonach der in § 66 Abs. 1 GmbHGstatuierte Grundsatz der Amtskontinuität lediglich besagt,dass die Geschäftsführer mangels abweichender Regelungihr Amt für die Gesellschaft – wenn auch mit verändertemZweck – weiterführen, mit dieser Fortführung des Amtesaber nicht gleichzeitig auch eine Kompetenzkontinuität indem Sinne einhergeht, dass auch ihre bisherige Vertre-tungsmacht unverändert fortbestehen würde. Das Gesetztrifft in § 68 GmbHG für das Liquidationsverfahren eineeigenständige Vertretungsregelung, die bereits erkennenlässt, dass eine zuvor geschaffene, nicht ausdrücklich aufdas Liquidationsverfahren ausgerichtete Vertretungsrege-lung von vorneherein nur für das Stadium der werbendenGesellschaft gilt und mit der Auflösung eine Zäsur erfährt,die gegen ihre automatische Fortgeltung und für ihre Been-digung mit der Auflösung spricht. Es besteht auch keineVermutung, dass es regelmäßig dem Willen der Gesell-schafter entspricht, dass eine für mehrere Geschäftsführerbestehende Alleinvertretungsregelung oder eine Befreiungvon den Beschränkungen des § 181 BGB ohne weiteresauch für ihre Funktion als geborene Liquidatoren gilt. In-soweit weist der BGH in dem in Bezug genommenen Ur-teil zu Recht darauf hin, dass eine derartige Vermutung

– neben dem Argument der gesetzlichen Differenzierun-gen hinsichtlich der Vertretungsverhältnisse in der werben-den und der liquidierenden Gesellschaft – schon deswegennicht gerechtfertigt ist, weil sich durch die Auflösung derGesellschaft der Gesellschaftszweck ändert und nach Be-endigung der Geschäftstätigkeit für die Gesellschafternicht mehr – wie bei der werbenden Gesellschaft – die je-derzeitige Handlungsfähigkeit der Gesellschaft im Vorder-grund steht, sondern der Schutz der Gesellschaft, ihrerGläubiger und/oder der der Mitgesellschafter höher zu be-werten sein kann. Hinzu kommt, dass der Liquidator da-rauf hinzuarbeiten hat, dass die Gesellschaft durch die Li-quidation ihres Vermögens ihr rechtliches Ende findet (vgl.BayObLG v. 14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85, GmbHR 1985,392, zitiert nach juris). Insoweit ist in § 70 GmbHG insbe-sondere gesetzlich normiert, dass die Liquidatoren die lau-fenden Geschäfte der aufgelösten Gesellschaft zu beendi-gen, deren Verpflichtungen zu erfüllen, deren Forderungeneinzuziehen und das Vermögen der Gesellschaft in Geldumzusetzen haben. All dies zeigt, dass mit dem Auflö-sungsbeschluss der Gesellschafter eine derartige Zäsur inder Ausrichtung der Gesellschaft eintritt, die wiederumneue Regelungen auch zur organschaftlichen Stellung ih-rer gesetzlichen Vertreter erforderlich macht.

Dieselben Argumente sprechen auch für die Diskontinuitätder dem Geschäftsführer im Rahmen der Gründung einerGmbH (hier gleichzeitig auch Unternehmergesellschaft)mittels Musterprotokoll im vereinfachten Verfahren nach§ 2 Abs. 1a GmbHG erteilten Befreiung von den Be-schränkungen des § 181 BGB.

Egal, ob es sich bei der dem ersten Geschäftsführer erteil-ten Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB inZiff. 4 S. 2 des Musterprotokolls um eine nur diesem ers-ten Geschäftsführer erteilte konkrete Befreiung handelt (sobereits Beschl. des erkennenden Senats v. 15.4.2010 – 20W 66/10 m.w.N., bislang nicht veröffentlicht; Mayer inMünch.Komm.GmbHG, 2010, § 2 Rz. 247 Jaeger in Be-ckOK GmbHG, Stand 1.5.2011, § 2 Rz. 76; OLG Bremenv. 15.9.2009 – 2 W 61/09, GmbHR 2009, 1210; OLG Stutt-gart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827; OLGHamm v. 4.11.2010 – 15 W 436/10, GmbHR 2011, 87 m.Komm. Dignas, jeweils zitiert nach juris) oder man dem-gegenüber annimmt, das Musterprotokoll enthalte eine ab-strakte Befreiung des jeweiligen Nachfolgegeschäftsfüh-rers einer derart gegründeten GmbH (LG Ulm v. 24.2.2009– 10 T 3/09 KfH; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG,6. Aufl., § 2 Rz. 56) oder sogar für jeden weiteren zusätz-lich bestellten Geschäftsführer (so Sandhaus, NJW-Spe-zial, 2009, 607 f.), kann nicht angenommen werden, dassdiese ausdrücklich für den Zeitraum der werbenden Ge-sellschaft formulierte Befreiung des Geschäftsführers(bzw. der Geschäftsführer) auch im Stadium der Liquida-tion ohne weiteres fort gelten.

Selbst wenn der Gesetzgeber mit der von ihm im Muster-protokoll normierten Befreiung des Geschäftsführers vonden Beschränkungen des § 181 BGB – die ausweislich derMotive (BT-Drucks. 16/6140, S. 28) Teil der vom Gesetz-geber beabsichtigten „einfach zu handhabenden Vertre-tungsregelung“ ist, die den Regelungswünschen nach-komme, die Gründer einfach konzipierter Gesellschafts-verträge typischerweise hätten – zu erkennen gegeben ha-ben sollte, dass er diese Befreiung für die Geschäftsführerder typischerweise mit Musterprotokoll gegründeten Un-ternehmergesellschaft im Gegensatz zu der auf bisher aus-

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396 GmbHR 7/2012

schließlich zulässigem Weg gegründeten GmbH als Regel-fall ansehe (vgl. Dignas, Komm. zu OLG Hamm v.4.11.2010 – 15 W 436/10, GmbHR 2011, 88 f.), kann da-raus nicht geschlossen werden, dass er dies dann auch fürden Zeitraum der Liquidation als solchen gesetzlichen Re-gelfall bestimmen wollte. Der Gesetzgeber hat mit derSchaffung der zunächst beabsichtigten beurkundungsfrei-en Mustersatzung bzw. des dann letztlich Gesetz geworde-nen beurkundungspflichtigen Musterprotokolls durch dasGesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Be-kämpfung von Missbräuchen (MoMiG) ausdrücklich dasZiel verfolgt, die Gründung einer GmbH in unkomplizier-ten Standartfällen zu erleichtern und dadurch ihre Wettbe-werbsfähigkeit zu stärken (BT-Drucks. 16/6140, S. 27 u.16/9737, S. 54). Dass mit dieser Novellierung auch eineVereinfachung des Liquidationsverfahrens oder überhaupteine Regelung dieses Verfahrens für eine mit Musterproto-koll gegründete GmbH/UG verbunden sein sollte, ist ausden Gesetzesmotiven nicht zu entnehmen. Im Gegenteilhat der Gesetzgeber ausweislich des Gesetzentwurfs v.25.7.2007 (BT-Drucks. 16/6140, S. 1) als Ziel der Geset-zesnovellierung gerade auch die Bekämpfung von Miss-brauchsfällen „am Ende des Lebens einer GmbH“ ange-führt und u.a. Bestimmungen zur Haftung der Geschäfts-führer in der Insolvenz der Gesellschaft und der Anmelde-pflicht der Auflösung verschärft. Diesem Ziel würde eineeinfachere Handhabung der bekanntermaßen einen Miss-brauch erleichternden Befreiung von den Beschränkungendes § 181 BGB gerade nicht entsprechen.

Da demnach die dem Geschäftsführer A2 im Musterproto-koll erteilte Befreiung von den Beschränkungen des § 181BGB für ihn als Liquidator nicht ohne weiteres fort gilt,setzt ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Eintragungdieser Befreiung in das Handelsregister voraus, dass dervon den Gesellschaftern der Beschwerdeführerinam ...2010 in einfacher Form gefasste Beschluss über des-sen Befreiung auch als Liquidator – eine derartige Be-schlussfassung unterstellt – den an eine solche Beschluss-fassung zu stellenden Anforderungen genügt.

Dies ist jedoch nicht der Fall.

Das Musterprotokoll enthält, wie bereits dargelegt, keineRegelungen hinsichtlich der Liquidation der Gesellschaft,mithin weder eine konkrete Befreiung des Liquidators,noch eine abstrakte Befreiung der Liquidatoren der Gesell-schaft oder etwa eine satzungsmäßige Befreiungsmöglich-keit für den Liquidator, die Grundlage für einen entspre-chenden einfachen Gesellschafterbeschluss sein könnte.

Der Senat folgt insoweit zur Frage der Befreiung eines Li-quidators von den Beschränkungen des § 181 BGB derAnsicht, dass eine solche einer satzungsmäßigen Grundla-ge bedarf, mithin ein ohne diese Grundlage gefasster einfa-cher Gesellschafterbeschluss – selbst wenn er einstimmiggefasst ist – nicht ausreichend ist (OLG Zweibrücken v.19.6.1998 – 3 W 90/98, GmbHR 1999, 237 = BayObLG v.19.10.1995 – 3Z BR 218/95, GmbHR 1996, 56, jeweils zi-tiert nach juris; BayObLG v. 14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85,GmbHR 1985, 392, zitiert nach juris; K. Schmidt inScholz, GmbH, 10. Aufl., § 68 Rz. 5a; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 68 Rz. 5; Wälzholz,GmbHR, 2002, 305 ff; a.A. Müller inMünch.Komm.GmbHG, 2011, § 68 Rz. 7, 8; Haas inBaumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 68 Rz. 4, 6 wo-nach auch ein einfacher Gesellschafterbeschluss ohne ent-sprechende Satzungsgrundlage ausreichend sei). Dem Li-

quidator als Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan derabzuwickelnden Gesellschaft ist es – wie dem Geschäfts-führer der werbenden Gesellschaft – nach der gesetzlichenGrundkonzeption grundsätzlich verboten, im Namen derGesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertretereines Dritten Rechtsgeschäfte vorzunehmen. Zumindestdie generelle Befreiung von diesem Verbot gehört zu denLeitprinzipien der gesellschaftlichen Ordnung der Gesell-schaft und muss deshalb in deren Gesellschaftsvertrag eineErmächtigung haben (vgl. BayObLG v. 14.5.1985 – BReg.3 Z 41/85, GmbHR 1985, 392, zitiert nach juris; so auch fürdie Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB inder werbenden Gesellschaft u.a. OLG Nürnberg v.5.3.2010 – 12 W 376/10; KG Berlin v. 21.3.2006 – 1 W252/05, GmbHR 2006, 653; Beschl. des erkennenden Se-nats des OLG Frankfurt a. M. v. 8.12.1982 – 20 W 132/83;OLG Köln v. 2.10.1992 – 2 Wx 33/92, GmbHR 1993, 37;OLG Celle v. 16.9.2000 – 9 W 82/00, GmbHR 2000, 1098;jeweils zitiert nach juris; zu Gegenansicht in der Literaturvgl. die Nachw. in ... OLG Nürnberg v. 5.3.2010 – 12 W376/10).

Insoweit folgt auch aus der gesetzlichen Regelung des § 68Abs. 1 S. 1 GmbHG, wonach die Liquidatoren ihre Wil-lenserklärungen in der „bei ihrer Bestellung bestimmtenForm“ kundzugeben haben, nichts anderes. Diese Rege-lung erlaubt den Gesellschaftern im Liquidationsverfahrenlediglich ein Abweichen von dem in § 68 Abs. 1 S. 2GmbHG normierten Grundsatz der Gesamtvertretungdurch die Liquidatoren durch einfachen Gesellschafterbe-schluss im Unterschied zur werbenden Gesellschaft, beider ein solches Abweichen lediglich aufgrund einer ent-sprechenden gesellschaftsvertraglichen Regelung zulässigist (vgl. § 35 Abs. 2 GmbHG), nicht jedoch auch die Be-freiung von den Beschränkungen des § 181 BGB durcheinfachen Gesellschafterbeschluss (vgl. BayObLG v.14.5.1985 – BReg. 3 Z 41/85, GmbHR 1985, 392, zitiertnach juris; K. Schmidt in Scholz, GmbH, 10. Aufl., § 68Rz. 5a, m.w.N.; a.A. Müller in Münch.Komm.GmbHG,2011, § 68 Rz. 8). Wenn das Gesetz insoweit die Durchbre-chung des Grundsatzes der Gesamtvertretung für das Li-quidationsverfahren durch einfachen Gesellschafterbe-schluss zulässt, folgt daraus nicht, dass dies entsprechendauch für die Befreiung von § 181 BGB gilt. Im Hinblickauf die dargelegte allgemeine Bedeutung dieser Befreiung– und deren engen satzungsmäßigen Voraussetzungenschon bei der werbenden Gesellschaft – kommt eine derar-tige erweiternde Auslegung von § 68 Abs. 1 S. 1 GmbHGim Stadium der Liquidation der Gesellschaft nicht in Fra-ge. Dies stellt auch sicher, dass sich Außenstehende durcheine entsprechende Einsichtnahme in den im Handelsre-gister einsehbaren Gesellschaftsvertrag der Liquidations-gesellschaft jederzeit Klarheit über diesen bedeutendenUmstand verschaffen können, was bei einer einfachen Be-schlussfassung ohne Berücksichtigung der Anforderungender §§ 53, 54 GmbHG und konstitutiver Wirkung der ent-sprechenden Handelsregistereintragung (§ 54 Abs. 3GmbHG) nicht der Fall wäre.

Auch der Umstand, dass vorliegend eine Gründung mittelsMusterprotokoll erfolgte, begründet keine Notwendigkeiteiner anderen rechtlichen Einordnung.

Wie bereits oben dargelegt, hat der Gesetzgeber mit derEinführung des Musterprotokolls ausschließlich eine neueRegelung zur Gründung der GmbH/UG geschaffen undgerade keine neue Regelung hinsichtlich deren Abwick-

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GmbHR 7/2012 397

lung im Rahmen der Liquidation. Somit kann er auch dieBefreiung des Liquidators von den Beschränkungen des§ 181 BGB im Rahmen der Liquidation nicht als gesetz-lichen Regelfall bestimmt haben. Es ist schon nicht anzu-nehmen, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des Muster-protokolls die Frage, ob die Befreiung des Liquidators vonden Beschränkungen des § 181 BGB auch bei einer Grün-dung durch Musterprotokoll von einer entsprechenden Sat-zungsgrundlage abhängig ist oder eine solche durch eineneinfachen Gesellschafterbeschluss möglich sein sollte,überhaupt in seine Erwägungen mit einbezogen hat. Gegeneine derartige Intention des Gesetzgebers einer Vereinfa-chung der Befreiung von den Beschränkungen des § 181BGB, die sich möglicherweise auch auf die Beurteilungdes Liquidationsverfahren auswirken könnte, spricht imÜbrigen auch der Umstand, dass der Gesetzgeber – wieoben bereits dargelegt – in der Gesetz gewordenen Fassungnicht – wie noch im Gesetzentwurf vom 25.7.2007 vorge-sehen – die formfreie Mustersatzung beschlossen hat, son-dern das notariell zu beurkundende Musterprotokoll (§ 2Abs. 1a, S. 5 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 GmbHG) und damitauch die in diesem enthaltene Befreiung des Geschäftsfüh-rers von den Beschränkungen des § 181 BGB diesemFormerfordernis unterworfen hat.

Auch die umstrittene Einordnung der rechtlichen Qualitätder in Nr. 4 des Musterprotokolls enthaltenen Geschäfts-führerbestellung und der Befreiung von den Beschränkun-gen des § 181 BGB entweder jeweils als echte Satzungsre-gelungen, als echte Satzungsregelung nur soweit es dieBefreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB be-trifft oder als unechte Satzungsregelungen, zumindest, so-weit es die Geschäftsführerbstellung betrifft (vgl. hierzuu.a. OLG Rostock v. 12.3.2010 – 1 W 83/09, GmbHR2010, 872; LG Stralsund v. 27.1.2009 – 3 T 7/08, GmbHR2009, 829 [LS]; OLG Bremen v. 15.9.2009 – 2 W 61/09,GmbHR 2009, 1210; jeweils zitiert nach juris; Sandhaus,NJW-Spezial, 2009, 607 f.; Heckschen, DStR, 2009,166 f.; Ries, NZG 2009, 739 ff.; Bayer in Lutter/Hommel-hoff, GmbHG, 17. Aufl., § 2 Rz. 47) führt zu keiner ande-ren rechtlichen Beurteilung. Selbst wenn man die Befrei-ung von den Beschränkungen des § 181 BGB lediglich alseinen unechten Satzungsbestandteil ansehen wollte (mitbeachtlichen Argumenten gegen eine derartige Ausle-gung: Herrler, GmbHR 2010, 960 ff.), ändert dies nichtsdaran, dass mit dem Musterprotokoll lediglich Regelun-gen für die werbende Gesellschaft geschaffen wordensind, die auf die Liquidationsgesellschaft nicht zu übertra-gen sind. ...

3. Zulassung der RechtsbeschwerdeDer Senat hat die Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2Nr. 1 FamFG zugelassen, weil die hier entscheidungser-hebliche Rechtsfrage über den konkreten Einzelfall hinausin einer unbestimmten Vielzahl von Fällen relevant werdenkann und deshalb ein Interesse der Allgemeinheit an einereinheitlichen Handhabung des Rechts besteht.

Gesellschafterliste: Korrektur einer bereits vorInkrafttreten des MoMiG eingereichten Gesellschaf-terliste

GmbHG § 5 Abs. 3 S. 2, § 34, § 40

Dient die neu eingereichte Gesellschafterliste der Korrektureiner Gesellschafterliste mit vor dem Inkrafttreten des Mo-MiG am 1.11.2008 liegenden Stichtag, muss die Summe derNennbeträge aller Geschäftsanteile nicht mit dem Stamm-kapital übereinstimmen.

OLG München, Beschl. v. 30.1.2012 – 31 Wx 483/11(rechtskräftig)

� Aus den Gründen:

I.In den Dokumentenordner des elektronischen Handelsre-gisters sind bisher zwei Gesellschafterlisten der Beschwer-deführerin (Datum: 30.3.2005 und 18.12.2006) aufgenom-men. Als Gesellschafter der GmbH sind jeweils die beidenGeschäftsführer mit einer Stammeinlage i.H.v. 27.500 DMbzw. 12.500 DM aufgeführt, außerdem heißt es: „EigeneAnteile ... DM 10.000“. Die Summe der Stammeinlagen istmit 50.000 DM angegeben.

Mit Schreiben v. 5.8.2011 reichten die beiden Geschäfts-führer eine Gesellschafterliste ein, die die bereits angeführ-ten Gesellschaftsanteile der Geschäftsführer mit40.000 DM ausweist. Als Stammkapital der Gesellschaftist ein Betrag i.H.v. 50.000 DM angegeben. Unterhalb derListe findet sich folgender Zusatz:

„An der Gesellschaft war ehedem die (...) mit einem Geschäftsan-teil im Nennbetrag von 10.000 DM beteiligt. Dieser vormaligeGeschäftsanteil der (...) im Nennbetrag von 10.000 DM wurdedurch Beschluss der Gesellschafterversammlung der Gesellschaftvom 11.12.2001 ohne weitere Maßnahmen eingezogen. Aufgrunddieser erfolgten Einziehung besteht zwischen der Summe derNennbeträge der vorhandenen Geschäftsanteile (= 40.000 DM)und dem Stammkapital der Gesellschaft (= 50.000 DM) eine Dif-ferenz“.

Die Einreichung der Liste soll nach Erklärung der Be-schwerdeführerin der Berichtigung der Gesellschafterlistev. 18.12.2006 dienen. Mit Beschl. v. 20.9.2011 lehnte dasRegG die Einstellung der Gesellschafterliste in den Regis-terordner ab [AmtsG München v. 20.9.2011 – HRB 80529].Es liege ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 S. 2 GmbHG vor, dain der eingereichten Liste die Summe der Nennbeträge al-ler Geschäftsanteile nicht mit dem Stammkapital überein-stimme. ...

II.Die ... Beschwerde ist in der Sache begründet. Das RegGhat die Einstellung der Gesellschafterliste in das Handels-register zu Unrecht abgelehnt.

1. Die Geschäftsführer waren auch vor dem Hintergrundvon § 40 GmbHG befugt, die Gesellschafterliste v.18.12.2006 unter Zugrundelegung des vor Inkrafttretendes MoMiG geltenden Rechts zu berichtigen.

a) Die Geschäftsführer einer GmbH sind über den Wortlautdes § 40 Abs. 1 GmbHG hinaus befugt, für die Berichti-gung technischer Defizite zu sorgen sowie eine inhaltlicheKorrektur der Gesellschafterliste herbeizuführen, soferndiese – wie hier – mit Billigung der Gesellschafter erfolgt(vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG,

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398 GmbHR 7/2012

19. Aufl. 2010, § 40 Rz. 38 u. 40). Eine solche inhaltlicheKorrektur ist im vorliegenden Fall geboten, da die Vor-schrift des § 16 Abs. 3 GmbHG hinsichtlich des gutgläubi-gen Erwerb von Gesellschaftsanteilen vom Nichtberech-tigten auch auf Gesellschaften Anwendung finden kann,die vor Inkrafttreten des MoMiG gegründet wurden (vgl.§ 3 Abs. 3 EGGmbHG).

b) Die nun eingereichte Gesellschafterliste muss der erstam 1.11.2008 in Kraft getretenen Vorschrift des § 5 Abs. 3S. 3 GmbHG nicht entsprechen. Das neu geschaffene Ge-bot der Übereinstimmung der Summe aller Geschäftsantei-le mit dem Stammkapital gilt nicht für Sachverhalte vor In-krafttreten des MoMiG am 1.11.2008. Vor diesem Zeit-punkt war über das Gründungsstadium hinaus keine Über-einstimmung von Stammkapital und Summe der Ge-schäftsanteile vom Gesetz gefordert (vgl. Hueck/Fastrichin Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 5 Rz. 9).Mangels einer Übergangsregelung für Altfälle sind Verän-derungen im Gesellschafterbestand vor dem 1.11.2008 andem damals geltenden Recht zu messen. Für die Anwen-dung des § 5 Abs. 3 S. 2 n.F. auf Altfälle wäre eine Über-leitungsvorschrift unverzichtbar gewesen (vgl. Ulmer, DB2010, 321 [323]).

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin,dass durch die unterhalb der Gesellschafterliste vermerkteErläuterung deutlich zum Ausdruck gebracht wird, dassdie Liste auf dem Einziehungsbeschluss v. 11.12.2001 be-ruht und daher die Gesellschafter und deren Geschäftsan-teile im Zeitpunkt vor Inkrafttreten des MoMiG abbildet.Daraus und aus den übrigen Erklärungen der Beschwerde-führerin ergibt sich mit hinreichender Sicherheit, dass sichdie nun eingereichte Liste auf den Stichtag 18.12.2006 be-zieht, weil sie der Korrektur der zuletzt in den Registerord-ner aufgenommenen Liste der Gesellschafter dient.

Gesellschafterliste: Anknüpfung an die aktuellste imRegisterordner aufgenommene Liste bei Neuein-reichung

GmbHG § 5 Abs. 3 S. 2, § 40 Abs. 2 S. 2

Die vom Notar einzureichende Gesellschafterliste hat unab-hängig vom Datum der Aufnahme der jeweiligen Liste inden Registerordner an die aktuellste dort aufgenommeneListe der Gesellschafter anzuknüpfen.

OLG München, Beschl. v. 26.1.2012 – 31 Wx 13/12(rechtskräftig)

� Aus den Gründen:

I.Ausweislich der Dokumentenübersicht für die beteiligteGmbH im elektronischen Handelsregister sind folgendeGesellschafterlisten in den Registerordner eingestellt:

„Liste der Gesellschafter – Aufnahme in den Registerordner am10.2.2011 (erstellt zum 27.2.2008),

Liste der Gesellschafter – Aufnahme in den Registerordner am9.2.2011 (erstellt zum 30.12.2010),

Liste der Gesellschafter – Aufnahme in den Registerordner am3.1.2011 (erstellt zum 30.12.2010) ...“

Die am 10.2.2011 in den Registerordner aufgenommeneListe der Gesellschafter (Stichtag 27.2.2008) enthält ab-

weichend von der am 9.2.2011 aufgenommenen Gesell-schafterliste (Stichtag 30.12.2010) keine laufende Num-mer 10, während in der am 9.2.2011 aufgenommenen Liste(Stichtag: 30.12.2010) unter dieser Nummer ein Ge-schäftsanteil i.H.v. 1.100 c einer natürlichen Person zuge-ordnet ist. In der Gesellschafterliste (Stichtag 27.2.2008)sind unter laufender Nummer 10.7 bis 10.10 vier Ge-schäftsanteile im Gesamtwert von 1.100 c aufgeführt, alsderen Inhaber drei natürlichen Personen und eine GmbHangegeben sind. Die Nummern 10.7 bis 10.10 fehlen in deram 9.2.2011 aufgenommenen Gesellschafterliste (Stich-tag: 30.12.2010). Ferner ist in der Liste (Stichtag27.2.2008) unter laufenden Nummern 10.6 und 12 jeweilseine natürliche Person als Inhaber von Geschäftsanteilenvon 350 c bzw. 3.500 c angeführt. Unter diesen Nummernsind die entsprechenden Geschäftsanteile in der am9.2.2011 aufgenommenen Liste (Stichtag 30.12.2010)einer GmbH zugeordnet.

Die von der beschwerdeführenden Notarin im September2011 eingereichte Gesellschafterliste (Stichtag:30.12.2010) knüpft an die am 10.2.2011 in den Register-ordner aufgenommene Liste (Stichtag: 27.2.2008) an. Da-her fehlt die laufende Nummer 10 der Geschäftsanteile, da-gegen sind die Geschäftsanteile Nummern 10.7 bis 10.10angeführt, zu 10.6 und 12 ist die natürliche Person undnicht die in der am 9.2.2011 aufgenommenen Gesellschaf-terliste zum 30.12.2010 bezeichnete GmbH angeführt. DieGesellschafterliste ist von einem einzelvertretungsberech-tigten Geschäftsführer der GmbH unterschrieben. Dazuhat die Beschwerdeführerin unter dem 1.9.2011 folgendeBescheinigung ausgestellt:

„Ich bescheinige in meiner Eigenschaft als Notarin, dass die geän-derten Eintragungen in der vorstehenden Gesellschafterliste denVeränderungen entsprechen, an denen ich mitgewirkt habe, unddie übrigen Eintragungen mit dem Inhalt der zuletzt im Handels-register aufgenommenen Liste übereinstimmen“.

Das AmtsG hat die eingereichte Liste mit der Begründungbeanstandet, dass unter laufenden Nummern 10.6 und 12der von der Beschwerdeführerin eingereichten Gesell-schafterliste nicht die in der Gesellschafterliste zum30.12.2010 angeführte GmbH als Inhaberin der Gesell-schaftsanteile bezeichnet sei, sondern die in der Gesell-schafterliste zum 27.2.2008 genannte natürliche Person.Demgegenüber stellte sich die Beteiligte unter Hinweis aufden Gesetzeswortlaut auf den Standpunkt, dass sie eineGesellschafterliste im Anschluss an die zuletzt in den Re-gisterordner aufgenommene Liste einzureichen habe. DasAmtsG hat unter Festhalten an seiner Rechtsauffassungmit Beschl. v. 30.11.2011 die Einstellung „der Gesellschaf-terliste mit Stichtag 30.12.2010 / Erstellungsdatum:1.9.2011“ abgelehnt [AmtsG München v. 30.11.2011 –HRB 161333]. ...

II.Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil dievon der Beschwerdeführerin eingereichte Gesellschafter-liste nicht an die am 10.2.2011 in den Registerordner auf-genommene Liste der Gesellschafter anzuknüpfen hatte,sondern an die am 9.2.2011 aufgenommene Liste.

1. Der Beschwerdeführerin ist darin beizutreten, dass nachdem Gesetzeswortlaut von § 40 Abs. 2 GmbHG die vondem Notar einzureichende Gesellschafterliste „mit dem In-halt der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Listeübereinstimmen“ muss. Dies wird auch in der Literatur so

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Gesellschaftsrecht

GmbHR 7/2012 399

gesehen (vgl. etwa Dieter Mayer, ZIP 2009, 1037 [1048]oder Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl.2009, § 40 Rz. 34). Dies gilt aber dann nicht, wenn die zu-letzt in den Registerordner aufgenommene Liste zeitlichgesehen nicht die aktuellste ist. Denn der an im Rahmenvon § 40 GmbHG relevanten Veränderungen mitwirkendeNotars hat an die Liste mit dem aktuellen Stichtag anzu-schließen, um den Gesetzeszweck der Transparenz des Ge-sellschaftsbestands zu erreichen. Dem steht der Wortlautvon § 40 Abs. 2 S. 2 GmbHG nicht entgegen.

a) Die Amtspflicht des Notars zur Vorlage der ggf. zu kor-rigierenden Gesellschafterliste (so ausdrücklich BGH v.1.3.2011 – II ZB 6/10, NZG 2011, 516 [517] = GmbHR2011, 474 m. Komm. Heidinger, Rz. 10) ist in unmittelba-rem Zusammenhang mit der durch § 40 GmbHG normier-ten Pflicht zur Einreichung einer Gesellschafterliste zu se-hen. Insoweit ist durch das MoMiG die Bedeutung der Ge-sellschafterliste erheblich aufgewertet (vgl. Bayer in Lut-ter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 40 Rz. 3) undder Grundsatz geschaffen worden, dass der im Register-ordner verlautbare Gesellschafterbestand aus Gründen derTransparenz ständig zu aktualisieren ist (vgl. etwa Altmep-pen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 40Rz. 1; Bayer, GmbHR 2012, 1 ff.). Schon daraus ergibtsich, dass sich die Verpflichtung des Notars zur Einrei-chung der Gesellschafterliste und zur Erteilung der Be-scheinigung nach § 40 Abs. 2 S. 2 GmbHG auf die Einrei-chung einer aktuellen Gesellschafterliste bezieht. Diesehat an die zum Zeitpunkt der Erstellung der Bescheinigungin den Registerordner eingestellte aktuellste Gesellschaf-terliste anzuknüpfen. Denn das Gesetz verpflichtet in § 40Abs. 2 S. 1 GmbHG den Notar, „unverzüglich“ nach demWirksamwerden beurkundeter Veränderungen „die Liste“einzureichen, wie dies nach § 40 Abs. 1 S. 1 GmbHG auchfür den Geschäftsführer gilt. Es setzt damit voraus, dass dieletzte der in den Registerordner aufgenommenen Listenauch die aktuellste ist. So ist auch die Formulierung in § 40Abs. 2 S. 2 GmbHG zu verstehen, nach der vom Notar zubescheinigen ist, dass „die übrigen Eintragungen mit demInhalt der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Lis-te übereinstimmen“.

b) Insoweit treffen den von Amts wegen „zur erhöhtenRichtigkeitsgewähr“ (vgl. Löbbe, GmbHR 2012, 7 [9]) amListeninhalt mitwirkenden Notar auch vor dem Hinter-grund der im Übrigen bestehenden Korrekturpflicht desGeschäftsführers (vgl. dazu Liebscher/Goette, DStR 2010,2039 [2041]) – formelle – Prüfungspflichten. Dies gilt je-denfalls dann, wenn für ihn auf der Hand liegende techni-sche Defizite im Registerordner zu bereinigen sind. Imvorliegenden Fall besteht die Amtspflicht der Beschwerde-führerin darin, eine an die durch einen bloßen Blick in daselektronische Handelsregister zu identifizierende aktuells-te Liste anknüpfende Gesellschafterliste einzureichen.Dies gilt auch für den hier gegebenen Fall, dass die „An-knüpfungsliste“ nicht die letzte in das Handelsregister ein-gestellte Gesellschafterliste ist (ebenso Zöllner/Noack inBaumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 40 Rz. 40zu den Pflichten des Geschäftsführers, wenn er kraft Am-tes am Inhalt der Gesellschafterliste mitzuwirken hat). In-soweit wird keine materielle Prüfungspflicht des Notarshinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit der einzureichen-den Liste geschaffen, sondern lediglich die Verpflichtung,zur „erhöhten Richtigkeitsgewähr“ (so die Formulierungim Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 44) die einzureichende Liste an die nach dem Re-

gisterordner aktuellste Gesellschafterliste anschließen zulassen.

2. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das AmtsG dieEinstellung der von der Beteiligten eingereichten Gesell-schafterliste zu Recht abgelehnt hat, weil diese nicht an dieaktuellste Gesellschafterliste anschließt. Bei Neuerstel-lung der Gesellschafterliste wird die Beschwerdeführerinzu beachten haben, dass sich im Registerordner eine weite-re Gesellschafterliste zum 30.12.2010 befindet, die aller-dings bereits am 3.1.2011 in den Registerordner aufge-nommen worden ist. Insoweit wird sie die am 9.2.2011 inden Registerordner eingestellte aktualisierte Gesellschaf-terliste zugrunde zu legen haben. Bei Neueinreichung derListe wird ferner zu beachten sein, dass eine solche nach§ 40 Abs. 2 S. 1 GmbHG vom Notar, nicht aber vom Ge-schäftsführer, zu unterschreiben ist (vgl. OLG München v.27.5.2009 – 31 Wx 38/09, NJW-RR 2009, 972 [973] =GmbHR 2009, 825).

Anmeldung: Prüfungspflichten des Registergerichtsbei Anmeldung einer Geschäftsführerin zurEintragung in das Handelsregister

GmbHG § 39 Abs. 1 u. 2

1. Eine besondere Prüfungspflicht trifft das Registergerichtimmer dann, wenn begründete Zweifel bestehen, ob die vomAntragsteller eingereichte Urkunde die beantragte Eintra-gung rechtfertigt.

2. Zur Vermutungswirkung einer vom Notar unterzeichne-ten und gesiegelten Urkunde.

3. Zur missbräuchlichen Verwendung eines angeblich ab-handen gekommenen Notarsiegels.

KG Berlin, Beschl. v. 22.8.2011 – 25 W 17/11(rechtskräftig)

� Aus den Gründen:

A.Die Beteiligte zu 1) meldete am 21.10.2010 mit der Urkun-de Nr. 306/2010 des Notars H ... die Beteiligte zu 2) als aufder unter Bezug auf die Gesellschafterliste v. 4.10.2010durchgeführten Gesellschafterversammlung v. 19.10.2010neu bestellte, stets alleinvertretungsberechtigte und vonden Beschränkungen des § 181 BGB befreite Geschäfts-führerin zur Eintragung in das Handelsregister an. Laut derGesellschafterliste v. 4.10.2010 des Notars B ... enthieltdiese die Veränderungen, die sich aufgrund der UR-Nr. 444/2010 des Notars B v. 4.10.2010 ergaben. MitSchriftsatz v. 5.11.2010 (...) teilte Notar B dem AmtsGCharlottenburg mit, der Notarvermerk auf der Gesellschaf-terliste der Beteiligten zu 1) v. 4.10.2010 sei unrichtig. DerNotarvermerk sei aufgrund von falschen Voraussetzungenzustande gekommen. Ferner beantragte er die Rücknahmeder Anträge betreffend die Urkunden Nr. 395/10 u. 399/10(...). Er wandte sich am 22.10.2010 telefonisch an dasRegG und teilte der zuständigen Rechtspflegerin mit, ihmsei das Siegel entwendet und von diesem rechtsmiss-bräuchlich bei Herstellung der genannten Urkunden Ge-brauch gemacht worden (...). Mit Urkunde UR-Nr. 307/2010 des Notars H v. 20.10.2010 widerrief die Beteiligtezu 2) im Namen der Beteiligten zu 1) alle von dieser demNotar B erteilten Vollmachten (...).

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400 GmbHR 7/2012

Das AmtsG Charlottenburg hat ... den Eintragungsantragzurückgewiesen [AmtsG Charlottenburg v. 27.1.2011 – 82HRB 101466 B]. Es hat dies damit begründet, dass nachMitteilung des Notars B der Gesellschafterliste v.4.10.2010 eine Falschbeurkundung zugrunde liege. ...

B.Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) hat keinen Erfolg.

I. ... II. ...Das AmtsG Charlottenburg hat zu Recht den Antrag v.20.10.2010 auf Eintragung der Beteiligten zu 2) als neuerGeschäftsführerin zurückgewiesen.

Gemäß § 39 GmbHG sind der bei jeder Änderung in denPersonen der Geschäftsführer und bei der Beendigung derVertretungsbefugnis eines Geschäftsführers vorzuneh-menden Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister(§ 39 Abs. 1 GmbHG) die Urkunden über die Bestellungdes Geschäftsführers oder über die Beendigung der Vertre-tungsbefugnis in Urschrift oder öffentlich beglaubigterAbschrift beizufügen (§ 39 Abs. 2 GmbHG). Anhand die-ser Urkunden hat das RegG zu prüfen, ob sie die beantragteEintragung rechtfertigen.

Die von der Beteiligten zu 1) vorgelegten Urkunden recht-fertigen die beantragte Eintragung der Beteiligten zu 2) alsGeschäftsführerin in das Handelsregister jedoch nicht.

Dabei kommt es auf den entsprechenden Antrag des NotarsB v. 4.10.2010 nicht an. Dieser ist nämlich gegenstandslos,nachdem die Beteiligte zu 1) mit Urkunde Nr. 307/2010des Notars H alle Vollmachten des Notars B widerrufenhatte.

Entscheidend ist damit die Anmeldung des Notars H zudessen UR-Nr. 306/2010 v. 20.10.2010 (...). Bei der An-tragstellung nahm er Bezug auf die Gesellschafterver-sammlung der Beteiligten zu 1) v. 19.10.2010, die unterBezug auf die vom Notar B eingereichte Gesellschafterlis-te v. 4.10.2010 stattgefunden hatte. Dieser lag aber nachAngaben des Notars B eine Falschbeurkundung zugrunde,nachdem die Urkunden Nr. 395/10, 399/10 u. 444/10 unterMissbrauch des ihm entwendeten Siegels zustande gekom-men seien. Aufgrund dieser Mitteilung hatte das RegGnicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die zur Ein-tragung angemeldete Erklärung – hier die Abberufung derbisherigen Geschäftsführerin M und die Bestellung derneuen Geschäftsführerin S – zu überprüfen. Eine solchePflicht besteht für das RegG immer dann, wenn begründeteZweifel gegen die Richtigkeit der beurkundeten Erklärungbestehen (vgl. OLG Düsseldorf v. 15.12.2000 – 3 Wx 432/00, GmbHR 2001, 243 [244], m.w.N.). Das ergibt sichschon aus der dem RegG allgemein obliegenden Aufgabe,darüber zu wachen, dass Erklärungen, die der Rechtslagenicht entsprechen, nicht in das Handelsregister aufgenom-men und so mit amtlicher Hilfe verbreitet werden (OLGDüsseldorf v. 15.12.2000 – 3 Wx 432/00, GmbHR 2001,243 [244]; BayObLG v. 18.7.1991 – BReg. 3 Z 133/90,GmbHR 1992, 304 m.w.N).

Begründete Zweifel an der Richtigkeit der gemachten An-gaben und der sie bestätigenden Urkunden ergaben sichhier insbesondere daraus, dass der Notar B am 22.10.2010telefonisch und am 5.11.2010 schriftlich dem RegG mitge-teilt hatte, dass sowohl die von ihm erstellte Gesellschaf-terliste v. 4.10.2010 als auch seine Urkunden 395/10 u.444/10 unter missbräuchlicher Verwendung des ihm ab-

handen gekommenen Siegels zustande gekommen seien.Zwar wird dann, wenn eine Urkunde Unterschrift und Sie-gel eines Notars trägt, vermutet, dass sie wirklich von derPerson stammt, die als Notar auf der Urkunde bezeichnetist und dass diese Person mit öffentlichem Glauben verse-hen ist (Schippel/Bracker/Reithmann, Bundesnotarord-nung, 9. Aufl. 2011, Vor §§ 20 – 24 Rz. 7). Diese Vermu-tung war aber durch die Angaben des Notars B v.22.10.2010 und v. 5.11.2010 erschüttert worden.

Diese Zweifel konnte die Beteiligte zu 2) nicht ausräumen.

Eine Heilung liegt insbesondere nicht in der Bestellung derBeteiligten zu 2) zur Geschäftsführerin zur UR-Nr. 306/10des Notars H v. 19.10.2010 (...). Diese bezieht sich nämlichauf die Gesellschafterliste des Notars B v. 4.10.2010. Dadiese aber vom aufnehmenden Notar selbst inkriminiertworden war, bestehen die genannten Zweifel an ihrerWirksamkeit fort.

Die Heilung liegt auch nicht in der Geschäftsführerbestel-lung der Beteiligten zu 2) v. 8.2.2011. Die DER-Ltd. hattezwar am 8.2.2011 zur UR-Nr. 54/2011 des Notars H sämt-liche Gesellschaftsanteile an der Beteiligten zu 1) auf dieDRP-LIMITED übertragen. Ebenfalls am 8.2.2011 hattedie Beteiligte zu 1) als neue alleinige Gesellschafterin un-ter Verzicht auf die Wahrung aller Fristen eine Gesellschaf-terversammlung einberufen sowie abgehalten und auf die-ser die Beteiligte zu 2) unter Abberufung der bisherigenGeschäftsführerin M zur neuen Geschäftsführerin bestellt(...).

Damit sind aber die vom AmtsG Charlottenburg geltendgemachten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorgelegtenUrkunden wiederum nicht beseitigt. Dabei kann es dahinstehen, ob mit der Übertragung der Gesellschaftsanteile ander Beteiligten zu 1) v. 8.2.2011 die zweifelhafte Beurkun-dung Nr. 444/10 des Notars B geheilt ist und ob überhaupteine rückwirkende Heilung nach Rückweisungsbeschlusswährend der Beschwerdefrist in Betracht kommt. In jedemFalle fehlt es nämlich an der zweifelsfrei rechtmäßigenÜbertragung der Gesellschaftsanteile durch die F-LIMI-TED auf die DER-Ltd. Diese war am 3.9.2010 zur UR-Nr. 395/10 des Notars B beurkundet worden. Da aber auchdiese Urkunde nach Angaben des Notars B unter miss-bräuchlicher Verwendung des ihm abhanden gekommenenSiegels zustande gekommen war, fehlt es an einem wirksa-men Nachweis der Gesellschafterstellung der VeräußerinDER-Ltd. und folglich auch der Erwerberin DER-Ltd.,weshalb die Eintragung ins Handelsregister unzulässig war.

Nach alledem hat das AmtsG Charlottenburg den Eintra-gungsantrag v. 20.10.2010 zu Recht zurückgewiesen.

Über den Eintragungsantrag v. 8.2.2011 war mangelsrechtsmittelfähiger Erstentscheidung des AmtsG Charlot-tenburg nicht zu entscheiden. ...

Amtslöschung: Löschung der deutschen Zweignie-derlassung einer Limited bei Löschung der auslän-dischen Hauptniederlassung

FamFG § 395 Abs. 1

1. Die deutsche Zweigniederlassung einer im Registrar ofCompanies for England and Wales gelöschten und aufgelös-ten britischen Hauptniederlassung ist bis zur vollständigenBeendigung der Liquidation der deutschen Restgesellschaftbeschwerdebefugt.

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GmbHR 7/2012 401

2. Eine deutsche Zweigniederlassung ist gemäß § 395FamFG immer dann im Handelsregister zu löschen, wenndie Hauptniederlassung im ausländischen Heimatregistergelöscht worden ist.

KG Berlin, Beschl. v. 24.10.2011 – 25 W 37/11(rechtskräftig)

� Aus den Gründen:

A.Das AmtsG Charlottenburg teilte der Beteiligten mitSchreiben vom 31.3.2011 mit, dass es deren Löschung be-absichtige, nachdem die Hauptniederlassung der Gesell-schaft im Register des Companies House von England undWales in Cardiff mit der Nr. 5891117 am 15.3.2011 als„dissolved“ und damit als gelöscht gekennzeichnet wordenwar, womit die Grundlage für die Eintragung einer Zweig-niederlassung entfallen sei.

Die Beteiligte legte mit Schreiben v. 19.4.2011 Wider-spruch ein, und behauptete, dass die Hauptniederlassungnun wieder bestehe. Zum Nachweis legte sie ein Certifica-te des Companies House vom 18.4.2011 vor, aus dem her-vorgeht, dass an diesem Tag die LS-LIMITED unter derCompany Number 7607294 in das englische Register ein-getragen worden ist.

Den Widerspruch der Beteiligten wies das RegG ... mit derBegründung zurück, bei der jetzigen LS-LIMITED hande-le es sich um eine neue Hauptniederlassung, die – trotz Na-mensgleichheit – mit der neuen Gesellschaft nicht iden-tisch sei [AmtsG Charlottenburg v. 20.4.2011 – 82 HRB104444 B]. Eine Zweigniederlassung einer gelöschten Ge-sellschaft könne es jedoch nicht geben. ...

Mit Beschl. v. 10.5.2011 hat das AmtsG Charlottenburgder Beschwerde nicht abgeholfen.

B.Die Beschwerde der Beteiligten hat keinen Erfolg.

I.Die Beschwerde ist zulässig. ... Die Beteiligte ist nach § 59Abs. 1 FamFG auch beschwerdebefugt, da sie durch diebeabsichtigte Löschung in ihren Rechten nachhaltig beein-trächtigt wird und zudem auch nach der nach englischemRecht durchgeführten Löschung und Auflösung bis zurvollständigen Beendigung der Liquidation der (deutschen)Restgesellschaft als aktiv und passiv parteifähig anzusehenist (OLG Nürnberg v. 10.8.2007 – 13 U 1097/07, NZG2008, 76 = GmbHR 2008, 41 m. Komm. Werner).

II.Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Gemäß § 395 Abs. 1 FamFG kann das RegG eine Eintra-gung von Amts wegen löschen, wenn die Eintragung nach-träglich unzulässig geworden ist. Entscheidend ist, dass dieEintragung in dem Zeitpunkt unzulässig ist, in dem überdie Löschung wegen der der Unzulässigkeit befunden wird(Keidel/Heinemann, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 395Rz. 13). Eine Zweigniederlassung ist immer dann zu lö-schen, wenn die Hauptniederlassung im ausländischenHeimatregister gelöscht worden ist (Krafka/Willer/Kühn,Registerrecht, 8. Aufl. 2010, Rz. 337a). Wird eine privatelimited company nach englischem Recht im Heimatregis-

ter gelöscht („dissolved“), so verliert sie hierdurch ihreRechtsfähigkeit (OLG Thüringen v. 22.8.2007 – 6 W 244/07, NotBZ 2007, 372 = GmbHR 2007, 1109; Krafka/Wil-ler/Kühn, Registerrecht, 8. Aufl. 2010, Rz. 337a). Dies be-deutet, dass auch die Zweigniederlassung einer nicht mehrexistenten Hauptniederlassung mangels eigener Rechts-persönlichkeit zu löschen ist (Krafka/Willer/Kühn, Regis-terrecht, 8. Aufl. 2010, Rz. 337a).

Zwar hat die Beteiligte vorgetragen, dass die LS-Limitedam 18.4.2011 wieder in das Registrar of Companies forEngland and Wales eingetragen worden sei. Zwar ist eineWiedereintragung nach dem englischen Companies Act2006 innerhalb von sechs Jahren nach der Löschung wie-der möglich (Krömker/Otte, BB 2008, 964 [966]). Aller-dings handelt es sich hier nach den Angaben der Beteilig-ten im Schreiben v. 7.5.2011 nicht um eine solche Wieder-eintragung einer zuvor gelöschten, sondern um eine völligneue Gesellschaft. Dafür spricht auch der Umstand, dassdie am 18.4.2011 in das englische Register eingetrageneGesellschaft die Nr. x trägt, die gelöschte Hauptniederlas-sung der Beteiligten jedoch unter Nr. y verzeichnet war.Damit stellt sich die von der Beteiligten offenbar aufge-worfene und in der Literatur diskutierte Frage (vgl. Kröm-ker/Otte, BB 2008, 964 [966]), ob eine wiedereingetragenebritische Limited automatisch in die Position der Haupt-niederlassung zur deutschen Zweigniederlassung einrü-cken kann, wodurch die Notwendigkeit der Löschung ent-fiele, hier nicht.

Damit erfolgt die Amtslöschung gemäß § 395 Abs. 1 S. 1FamFG zu Recht. ...

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SteuerrechtGewinnermittlung: Passivierung „angeschaffter“Rückstellungen bei steuerlichem Ausweisverbot

EStG 1990 § 5 Abs. 1 u. Abs. 4, § 6 Abs. 1 Nr. 3; HGB§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1, § 255 Abs. 1 S. 1; BGB§ 414, § 613a

Betriebliche Verbindlichkeiten, welche beim Veräußereraufgrund steuerlicher Rückstellungsverbote (hier: für Jubi-läumszuwendungen und für Beiträge an den Pensionssiche-rungsverein) in der Steuerbilanz nicht bilanziert wordensind, sind bei demjenigen Erwerber, der die Verbindlichkeitim Zuge eines Betriebserwerbs übernommen hat, keinemPassivierungsverbot unterworfen, sondern als ungewisseVerbindlichkeit auszuweisen und von ihm auch an dennachfolgenden Bilanzstichtagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG1990 mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höherenTeilwert zu bewerten (Bestätigung und Fortführung desSen.Urt. v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl II2011, 566 = GmbHR 2010, 382; entgegen BMF-Schr. v.24.6.2011 – IV C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861,BStBl. I 2011, 627).

BFH, Urt. v. 14.12.2011 – I R 72/10

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Steuerrecht

402 GmbHR 7/2012

� Aus den Gründen:

I.[1] Die Klägerin (Kl.in), eine GmbH, ist (seit 2008)Rechtsnachfolgerin einer GmbH & Co. KG, die wiederumRechtsnachfolgerin der (seinerzeitigen) D-GmbH ist. DieD-GmbH übernahm zum 1.7.1994, dem Streitjahr, den Be-trieb einer Tochtergesellschaft, der DM-GmbH als Ge-samtheit von Wirtschaftsgütern („asset deal“). Mit Aus-nahme der Patente, Lizenzen und Handelsmarken sowiedes Firmenwerts wurden die Vermögensgegenstände undSchulden in der (handelsrechtlichen) Eröffnungsbilanz derD-GmbH auf den 1.7.1994 mit den Buchwerten gemäß derBilanz der DM-GmbH angesetzt. Der Firmenwert wurdenach Abzug der übernommenen Buchwerte und der bewer-teten Vermögensgegenstände ermittelt und auf 15 Jahreabgeschrieben.

[2] Im Rahmen dieses Vorgangs wurden u.a. auch Jubilä-umsrückstellungen und Rückstellungen für Verpflichtun-gen gegenüber dem Pensionssicherungsverein (PSVaG)von der D-GmbH übernommen und bei der Bemessung desKaufpreises berücksichtigt. Zwischen den Beteiligten istumstritten, ob diese übernommenen Passiva unbeschadetsteuerlicher Ausweisverbote in der Steuerbilanz zum31.12.1994 anzusetzen sind. Die Kl.in bejahte dies mitwechselnden Begründungen. Zuletzt begehrte sie, die Pas-siva bereits in der Eröffnungsbilanz zum 1.7.1994 unterBeachtung der steuerlichen Ausweisverbote anzusetzenund den daraus resultierenden Unterschiedsbetrag zurHandelsbilanz durch entsprechende Abstockung des er-worbenen Firmenwerts auszugleichen. Das FA vertratdemgegenüber im Ergebnis die Auffassung, die übernom-menen Passiva seien in der steuerlichen Eröffnungsbilanzmit ihren gemeinen Werten anzusetzen; sie seien jedoch inder (ersten) Schlussbilanz zum 31.12.1994 nach steuer-lichen Grundsätzen auszuweisen.

[3] Mit ihrer Klage gegen den hiernach geänderten Kör-perschaftsteuerbescheid 1994 beantragte die Kl.in, dieSumme der Einkünfte um 942.297 DM zu mindern(841.850 DM Jubiläumsrückstellung, 132.940 DM Rück-stellung für Beiträge zum PSVaG, 32.493 DM Minderungder Absetzung für Abnutzung des Firmenwerts). Das FGgab der Klage unter Hinweis auf das Sen.Urt. BFH v.16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011,566 = GmbHR 2010, 382 statt (FG Düsseldorf v. 29.6.2010– 6 K 7287/00 K, EFG 2011, 34).

[4] ... [6] Das BMF ist dem Revisionsverfahren beigetre-ten. Es hat sich in der Sache dem FA angeschlossen. Beideargumentieren mit dem BMF-Schr. v. 24.6.2011 – IV C 6 -S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011, 627.

II.[7] Die Revision ist vom FA in der gebotenen Weise(§ 120 Abs. 2, § 118 Abs. 2 FGO) begründet worden unddamit zulässig. Sie ist jedoch unbegründet (§ 126 Abs. 2FGO).

1. Anwendung der Grundsätze ordnungsmäßigerBuchführung

[8] Gemäß § 8 Abs. 1 KStG 1991 i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 1EStG 1990 hatte die D-GmbH in ihren Bilanzen das Be-triebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrecht-lichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB)auszuweisen ist. Die „handelsrechtlichen“ GoB ergeben

sich u.a. aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts desDritten Buchs „Vorschriften für alle Kaufleute“ der§§ 238 ff. HGB. Sie werden für Kapitalgesellschaften er-gänzt durch die Bestimmungen der §§ 264 ff. HGB.

2. Gebot der Berücksichtigung nur realisierterGewinne

[9] Zu den wesentlichen GoB zählt das Gebot, Gewinnenur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtagrealisiert sind (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 HGB). Darausfolgt u.a., dass Anschaffungsvorgänge erfolgsneutral zubehandeln sind. Der Zugang von Wirtschaftsgütern zumBetriebsvermögen führt zu einer bloßen Umschichtung inder Bilanz in Höhe der Anschaffungskosten; ein unter-schiedlicher Ansatz von Zu- und Abfluss ist ausgeschlos-sen. Eine Gewinnrealisierung kann nur aufgrund nachfol-gender betrieblicher Umsatzakte erfolgen.

[10] Anschaffungskosten sind gemäß § 255 Abs. 1 S. 1HGB die Aufwendungen, die geleistet werden, um einenVermögensgegenstand zu erwerben und in einen betriebs-bereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögens-gegenstand einzeln zugeordnet werden können. Dieserhandelsrechtliche Begriff der Anschaffungskosten ist inErmangelung einer abweichenden Definition im Einkom-mensteuergesetz auch der steuerbilanziellen Beurteilung(gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990) zugrunde zu legen(BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478,BStBl. II 2011, 566 = GmbHR 2010, 382; v. 26.4.2006 – IR 49, 50/04, BFHE 213, 374, BStBl. II 2006, 656 =GmbHR 2006, 891, m.w.N.). Die bei der Übernahme vonVerbindlichkeiten zutreffend erhöhten Anschaffungskos-ten bilden die Ausgangsgröße für die weitere bilanzielleEntwicklung eines zugegangenen Wirtschaftsguts.

3. Erfolgsneutrale Behandlung von Anschaffungsvor-gängen

[11] Der Grundsatz der erfolgsneutralen Behandlung vonAnschaffungsvorgängen findet auch auf übernommenePassivpositionen und hierbei unabhängig davon Anwen-dung, ob der Ausweis dieser Passivpositionen in der Steu-erbilanz einem – von der Handelsbilanz abweichenden –Ausweisverbot ausgesetzt ist. Denn auch die Übernahmesteuerrechtlich zu Recht nicht bilanzierter Verbindlichkei-ten ist Teil des vom Erwerber zu entrichtenden Entgelts(vgl. BFH v. 17.10.2007 – I R 61/06, BFHE 219, 529,BStBl. II 2008, 555 = GmbHR 2008, 667, m.w.N.) und er-höht mithin dessen Anschaffungskosten. Das hat der Senatin ... BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478,BStBl. II 2011, 566 = GmbHR 2010, 382, für sog. Droh-verlustrückstellungen entschieden, welche ihrerseits nach§ 5 Abs. 4a EStG 1997 einem steuerbilanziellen Ansatz-und Ausweisverbot unterfallen. Nichts anderes gilt für dasentsprechende Verbot in § 5 Abs. 4 (i.V.m. § 52 Abs. 6)EStG 1990, wonach Rückstellungen für die Verpflichtungzu einer Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums nurunter bestimmten, hier unstreitig nicht erfüllten Anforde-rungen gebildet werden dürfen. Und gleichermaßen ver-hält es sich hinsichtlich der „erworbenen“ Zahlungspflich-ten gegenüber dem PSVaG: Solche (künftigen) Pflichtenunterfielen jedenfalls im Streitjahr (zur möglicherweiseabweichenden Regelungsentwicklung des Insolvenzschut-zes in der betrieblichen Altersversorgung seit 2006 s. z.B.Höfer/Veit/Verhuven, BetrAVG, Band II, 7. Aufl.,Rz. 2467.8) einem handelsbilanziellen Ansatzwahlrecht,was steuerbilanziell ein Ansatzverbot nach sich zieht; der

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GmbHR 7/2012 403

Senat hält an seiner diesbezüglichen Spruchpraxis (vgl.BFH v. 13.11.1991 – I R 102/88, BFHE 166, 222, BStBl. II1992, 336; v. 6.12.1995 – I R 14/95, BFHE 180, 258,BStBl. II 1996, 406) fest. Für beide Aufwandspositionenordnet das Gesetz von den handelsbilanziellen Ansätzenabweichende, spezifisch steuerbilanzielle Ansatzverbotean. Durch derartige Verbote sollen – lediglich – am Stich-tag bereits vorhandene Verpflichtungen entgegen den Vor-gaben des (handels-)bilanzrechtlichen Imparitätsprinzips(§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 HGB) auf künftige Veranla-gungszeiträume verlagert werden. Für den Fall, dass die inRede stehende Zuwendungsverpflichtung entgeltlich er-worben wird, greifen die Verbote indes nicht. Denn dannist die Verpflichtung realisiert. Sie ist deswegen vom Er-werber sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanzpassivisch auszuweisen (vgl. bereits BFH v. 16.12.2009 –I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011, 566 = GmbHR2010, 382, m.w.N.). Abzustellen ist dabei auf die jeweiligeim Zuge des Betriebserwerbs übernommene Schuldposi-tion. Für einen davon abweichenden, „technisch“ verein-fachten Ausweis, wie ihn die Kl.in befürwortet – zunächstBerücksichtigung der steuerrechtlichen Ansatzrestriktio-nen bereits in der handelsrechtlichen Eröffnungsbilanz, so-dann jedoch „Neutralisierung“ der dadurch bedingten Aus-weisdifferenz über eine Abstockung des Firmenwerts – ge-ben die GoB nichts her.

4. Keine Trennung von Anschaffungsvorgang und(nachfolgender) Bilanzierung

[12] Dem dagegen gerichteten Einwand des BMF (inBMF v. 24.6.2011 – IV C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011, 627) und des FA, der Anschaf-fungsvorgang sei in der handels- wie steuerrechtlichen Er-öffnungsbilanz abschließend abgebildet, fortan – und da-mit auch in der ersten Schlussbilanz – greife indes wieder-um das steuerliche Ausweisverbot, ist (abermals) nichtbeizupflichten.

[13] a) Es ist dazu dasjenige zu wiederholen, das schon ...in BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl.II 2011, 566 = GmbHR 2010, 382 erwidert worden ist: Esgeht fehl, den eigentlichen Anschaffungsvorgang von der(nachfolgenden) Bilanzierung auf den Bilanzstichtag undauf diese Weise den erfolgsneutralen Anschaffungsvor-gang und den rückstellungsgesperrten Bilanzansatz von-einander zu trennen. Umfang und Höhe der Anschaffungs-kosten werden durch tatsächliche Gegebenheiten be-stimmt. In diesem Umfang und in jener Höhe, in denen sietatsächlich entstanden sind, gehen sie erfolgsneutral in die(nachfolgende) Bilanzierung ein und darf ihr Bewertungs-ansatz dabei (nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1990) wederüber- noch unterschritten werden. Das betrifft auch „miter-worbene“ Schulden, die als solche einem steuerlichenAusweisverbot unterworfen sind. Andernfalls würde ge-nau jener „Erwerbsgewinn“ ausgewiesen, der dem An-schaffungskostenbegriff und -verständnis fremd ist. Fürdie Annahme eines ausnahmsweise auszuweisenden „ge-setzlichen Bewertungsgewinns“ (so aber Meurer, BB2011, 1714) gibt die Regelungslage nichts her, ebenso we-nig wie für eine Unterscheidung zwischen einer „forma-len“ Gewinnrealisation beim Veräußerer und einem „mate-riellen“ – kompensierenden – Gewinnausweis beim Er-werber (so aber Siegel, FR 2011, 781 [787]). Letzteres magbei einer „übergeordneten“ wirtschaftlichen Sichtweisedurchaus nachvollziehbar sein, löst sich jedoch von denNormzusammenhängen. Tatsächlich wendet der Erwerber

infolge der Verbindlichkeitsübernahme eben entsprechend„weniger“ auf, wodurch sich seine Anschaffungskostenmindern. Zu diesem Ergebnis gelangt denn auch Siegel,wenn dieser einräumt, dass der Erwerber sich das „Ge-winnkompensat“ „freilich ... bezahlen lässt“ (Siegel, FR2011, 781 [786]). Nur die Schlussfolgerung ist eine andere:Genau dadurch wird der Gewinnausweis beim Erwerbervermieden. Dass dieser die Schuld gegenüber dem Gläubi-ger übernimmt und dass dadurch aus einer Gesamtsicht„alles beim alten bleibt“, widerspricht dem nicht.

[14] Die allgemeinen Bilanzierungsgrundsätze gehen denspezifisch steuerrechtlichen Ausweisbeschränkungen fürdie Situation der „angekauften“ Verpflichtung nach allemuneingeschränkt vor. Der Senat schließt sich damit derüberwiegend vertretenen Rechtsauffassung an (z.B. FGMünster v. 15.6.2011 – 9 K 1292/07 K, BB 2011, 2800, mitZustimmung von Oser, BB 2011, 2802, – zur Pensions-rückstellung –; Schlotter, Ubg 2010, 635; Schlotter/Pin-kernell, FR 2011, 689; U. Prinz, FR 2011, 1015 [1020 f.];U. Prinz/Adrian, BB 2011, 1646; U. Prinz/Adrian, StuB2011, 171; Emig/Walter, NWB 2010, 2124; Buciek, FR2010, 426; Schönherr/Krüger, DStR 2010, 1709; Schultz,DB 2011, 608; Geberth/Höhn, DB 2010, 1905; Hoffmannin Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kom-mentar, §§ 4, 5 Rz. 899; anders z.B. Meurer, BB 2011,1259 u. 1714; Pitzke/Klein, NWB 2011, 2276; Siegel, FR2011, 781; M. Prinz, FR 2010, 426 u, FR 2011, 445). Diegegenläufige Verwaltungspraxis (in BMF v. 24.6.2011 –IV C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011,627) ist abzulehnen.

[15] b) Allerdings betraf das Sen.Urt. BFH v. 16.12.2009– I R 102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011, 566 =GmbHR 2010, 382 (lediglich) die Situation des (internen)Schuldbeitritts. Für diesen Fall ist der Erwerber im Ver-hältnis zum Veräußerer verpflichtet, diesen von der gegen-über dem Gläubiger der Schuld weiterbestehenden Zah-lungspflicht freizustellen. Die entsprechende Freistel-lungsverpflichtung ist aufgrund des vorangegangenenRealisationsaktes vom Erwerber sowohl in der Handels-als auch in der Steuerbilanz passivisch auszuweisen.

[16] Es blieb in jenem Urt. des BFH v. 16.12.2009 – I R102/08, BFHE 227, 478, BStBl. II 2011, 566 = GmbHR2010, 382, jedoch unbeantwortet, ob sich ein abweichen-des Ergebnis für die im Streitfall in Rede stehende Situa-tion ergeben könnte, wenn der Verpflichtungserwerberdurch eine wechselseitige Vereinbarung mit dem Veräuße-rer einerseits und dem Verpflichtungsgläubiger anderer-seits eine Vertragsübernahme (nach § 414 oder – hier –§ 613a BGB) vereinbart und der Erwerber an Stelle desVeräußerers die Verpflichtung übernimmt. Auch diese Fra-ge ist indes – in Einklang mit dem schon zitierten Mei-nungsbild – zu verneinen. Zwar stellt sich die Verpflich-tungslage für diese Situation aus Sicht sowohl des Erwer-bers wie des Gläubigers vor wie nach der Veräußerung„faktisch“ als unverändert dar; hier wie dort verbleibt esbei einer Verpflichtung des (bisherigen wie des nunmehri-gen) Schuldners, welche „an sich“ dem steuerbilanziellenAusweisverbot unterworfen ist. Doch ändert das abermalsnichts daran, dass die Verpflichtung beim Veräußerer infol-ge des „Ankaufs“ zwischenzeitlich als solche realisiertworden ist. Der Erwerber „übernimmt“ zwar ein (weiter-hin) schwebendes Geschäft. Doch markiert die (befreien-de) Schuldübernahme die ausschlaggebende Zäsur: DieVerpflichtung wurde dadurch beim Veräußerer realisiert

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404 GmbHR 7/2012

und das Einstehen für die Schuld durch den Erwerber istfortan nicht mehr (Gegen-)Leistung im Rahmen desschwebenden Vertrags, vielmehr (nur noch) dinglicher Er-füllungsakt. Auf diesem Realisationsakt – und den dafüraufgewendeten Anschaffungskosten – baut sodann wie-derum die nachfolgende handels- wie steuerrechtliche Bi-lanzierung auf. Erneut bestimmt die handels- wie steuer-rechtliche „Erfolgsneutralität“ der Anschaffung den Bilan-zierungsansatz und wird dieser Ansatz unbeschadet desfortbestehenden Charakters der auszuweisenden Verbind-lichkeit ohne einen gegenläufigen Regelungsbefehl nichtvon steuerlichen Ansatz- und Bewertungsbeschränkungenund -verboten verdrängt. An einem derartigen gegenläufi-gen Regelungsbefehl fehlt es indes. Für eine privilegierte„Normzweckverwirklichung der Rückstellungsansatzver-bote beim Neuschuldner“ im Rahmen der anzusetzendenAnschaffungskosten – aus Fiskalgründen – und für ein„Wiederaufleben“ solcher Verbote (für beides aberM. Prinz, FR 2011, 445) belässt das Gesetz in Anbetrachtdessen keinen Raum.

Der GmbHR-Kommentar

Um es vorweg zu nehmen: Das mit Spannung erwartetevorstehend abgedruckte Urt. des BFH v. 14.12.2011 – I R72/10 überzeugt nicht nur in seinem Ergebnis, sondern ins-besondere auch in seiner Begründung. Dies manifestiertsich in der sachgerechten und konsequent durchgängigenBerücksichtigung des Anschaffungskosten- und Realisa-tionsprinzips. Der BFH bestätigt und führt seine Recht-sprechung im Urt. des BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08,BStBl. II 2011, 566 = GmbHR 2010, 382 – damals für denFall der Schuldfreistellung – für den nun entschiedenenFall der Schuldübernahme im Rahmen eines Asset Dealfort. Im Streitfall handelte es sich um Jubiläumszuwendun-gen, die gegenüber der handelsrechtlichen Bilanzierunggemäß § 5 Abs. 4 EStG nur unter restriktiven Vorausset-zungen als Rückstellung zugelassen sind und um Beiträgean den Pensionssicherungsverein, für welche ein handels-rechtliches Passivierungswahlrecht gilt. Der BFH hat ent-schieden, dass betriebliche Verbindlichkeiten, die beimVeräußerer einem steuerlichen Passivierungsverbot unter-liegen und vom Erwerber im Zuge eines Betriebserwerbs(Asset Deal) übernommen werden, gerade keinem steuer-lichen Passivierungsverbot beim Erwerber unterliegen.Vielmehr hat der Erwerber diese Verpflichtungen alsRückstellungen im Zeitpunkt des Zugangs auszuweisenund sie auch – und dies ist materiell entscheidend – an dennachfolgenden Bilanzstichtagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3EStG mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höherenTeilwert zu bewerten. Damit schließt sich der BFH der vonder Mehrheit im Schrifttum vertretenen Rechtsauffassungan und wendet sich zugleich expressis verbis gegen die vonder Finanzverwaltung in einem vorgezogenen „Nicht-An-wendungs-Erlass“ (BMF v. 24.6.2011 – IV C 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011, 627) vertreteneAuffassung, wonach die einem steuerlichen Passivierungs-verbot unterliegenden (ungewissen) Verbindlichkeiten inder ersten Schlussbilanz erfolgswirksam aufzulösen sind.

Der BFH stellt in seiner Urteilsbegründung als zentralenAusgangspunkt auf den (auch von der Finanzverwaltungunbestrittenen) Grundsatz der erfolgsneutralen Behand-lung von Anschaffungsvorgängen ab. Dieser Grundsatzfinde auch Anwendung auf übernommene Passivpositio-nen, denn auch die Übernahme von einem steuerlichenPassivierungsverbot unterliegenden Verpflichtungen sei

Teil des vom Erwerber zu entrichtenden Entgelts und erhö-he somit dessen Anschaffungskosten. Dass die steuer-lichen Passivierungsverbote im Falle von Anschaffungennicht anwendbar sind, verdeutlicht der BFH, indem er aufderen gesetzlichen Regelungszweck näher eingeht. DerSinn und Zweck derartiger Verbote erschöpfe sich darin,am Bilanzstichtag bereits vorhandene Verpflichtungen inAbkehr des (handels-)bilanziellen Imparitätsprinzips(§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 HGB) auf künftige Veranla-gungszeiträume zu verlagern. Wenn aber, wie im Streitfall,die Verpflichtung entgeltlich erworben werde, dann habesie sich bereits realisiert. Deshalb könne es nicht zu einer„vorgezogenen“ Geltendmachung von Aufwendungenkommen und die steuerlichen Passivierungsverbote könn-ten nicht greifen.

Mit überzeugenden Argumenten wendet sich der BFH ge-gen die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung,wonach der Anschaffungsvorgang ausschließlich in derhandels- und steuerrechtlichen Eröffnungsbilanz abzubil-den sei und infolge dessen in der ersten Schlussbilanz dassteuerliche Ausweisverbot mit der erfolgswirksamen Auf-lösung der (ungewissen) Verbindlichkeit zur Anwendungkomme. Zu Recht betont der erkennende Senat, dass sicheine Trennung zwischen dem eigentlichen Anschaffungs-vorgang und der Bilanzierung zum ersten auf die Anschaf-fung folgenden Bilanzstichtag aus dem Gesetz nicht ablei-ten lasse. Umfang und Höhe der Anschaffungskostenmüssten erfolgsneutral in die nachfolgende Bilanzierungeingehen; ihr Bewertungsansatz dürfe dabei weder über-noch unterschritten werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Werdedieser Grundsatz hingegen nicht beachtet, komme es zudem von der Finanzverwaltung in Kauf genommenen „Er-werbsgewinn“, welcher dem Anschaffungskostenbegriffund -verständnis diametral zuwiderlaufe.

Der BFH geht auch auf das Argument ein, wonach beieinem Asset Deal mit Schuldübernahme insofern „fak-tisch“ keine Veränderung stattfinde, als es vor und nach derVeräußerung aus Sicht des Erwerbers wie des Gläubigersbei einer Verpflichtung des (bisherigen wie des nunmehri-gen) Schuldners bleibe, welche „an sich“ dem steuerlichenAusweisverbot unterworfen bleiben müsse. Dem entgeg-net der BFH, dass der Erwerber zwar weiterhin ein schwe-bendes Geschäft übernehme, jedoch bestehe in der befrei-enden Schuldübernahme eine ausschlaggebende „Zäsur“,nämlich die Realisation der Verpflichtung beim Veräußererund das Einstehen für die Schuld durch den Erwerber. Die-ser Vorgang sei dafür verantwortlich, dass es sich nichtmehr – wie bei den „üblichen“ originären Verpflichtun-gen – um eine (Gegen-)Leistung im Rahmen eines schwe-benden Vertrags handele, sondern der Erwerber nur nochin Form eines dinglichen Erfüllungsakts für die übernom-mene Schuld einzustehen habe.

Schließlich ist die Aussage des BFH zum Rangverhältnis(scheinbar) in Widerspruch zueinander stehender Bilanzie-rungsnormen bemerkenswert, spiegelt sich darin doch dasGrundverständnis der Rechtsprechung zu den Bilanzie-rungsregeln wider: „Die allgemeinen Bilanzierungsgrund-sätze gehen den spezifisch steuerrechtlichen Ausweisbe-schränkungen für die Situation der ,angekauften’ Ver-pflichtung nach allem uneingeschränkt vor.“ Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dieser Aussage um eine ge-wisse Relativierung des in der juristischen Methodenlehrebekannten Lehrsatzes zur Auflösung von Normenkonflik-ten „lex specialis derogat legi generali“ handelt. Entschei-

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GmbHR 7/2012 405

dend ist das klare Bekenntnis zu den Grundfesten der Bi-lanzierung.

Der Rechtsprechung des BFH haben sich in der jüngerenVergangenheit auch mehrere Finanzgerichte angeschlos-sen (so FG Düsseldorf v. 29.6.2010 – 6 K 7287/00 K, EFG2011, 34, Vorinstanz des hier besprochenen BFH-Urteils;ferner FG Münster v. 15.6.2011 – 9 K 1292/07 K,BB 2011, 2800, Rev. beim BFH anhängig unter dem Az. IR 69/11). Letzteres beschäftigt sich mit der bislang höchst-richterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage der Folgebe-wertung von Pensionsverpflichtungen. Das FG Münsterstellt klar, dass – ganz auf der Linie des BFH – angeschaff-te Pensionsverpflichtungen im Falle einer Schuldübernah-me mit ihrem Anschaffungswert auszuweisen sind. Aller-dings vertritt es die Auffassung, dass nach der Übernahmeerdiente Pensionsansprüche der Pensionsrückstellung erstzugeführt werden dürfen, „wenn der nach § 6a EStG ermit-telte Rückstellungsbetrag den im Zeitpunkt des Betriebser-werbs maßgebenden Rückstellungsbetrag überschreitet.“Mit Spannung kann die Entscheidung in der gegen das Ur-teil des FG Münster eingelegten Revision erwartet werden.Dies gilt umso als in der Literatur zu dieser Rechtsfrage dieAuffassung vertreten wird, dass das Zuführungsverbot ge-gen das objektive Nettoprinzip verstoße (vgl. Gosch, BFH/PR 2010, 123 [124]).

Bedeutung und Reichweite des BFH-Urteils können nichtunterschätzt werden. Nicht nur der „reine“ Asset Deal, wieer der Entscheidung des BFH zugrunde lag ist betroffen,sondern auch in der Praxis nicht seltener vorkommendeUmwandlungen und Einbringungen, welche zu einem hö-heren als dem Buchwert vorgenommen werden. Denn die-se stellen auf Ebene des übertragenden sowie des überneh-menden Rechtsträgers Veräußerungs- und Anschaffungs-vorgänge hinsichtlich des übertragenen Vermögens dar(UmwSt-Erlass 2011, BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011,1314 = GmbHR 2012, 112 [LS], Rz. 00.02, mit Verweisenauf die BFH-Rechtsprechung). So verwundert es auchnicht, dass im UmwSt-Erlass 2011 an mehreren Stellen, soz.B. in Rz. 04.16 auf das Schr. des BMF v. 24.6.2011 – IVC 6 - S 2137/0-03 – DOK 2011/0501861, BStBl. I 2011,627, verwiesen wird.

Abschließend bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber dasbesprochene BFH-Urteil nicht zum Anlass nimmt, die bis-lang vertretene aber mit dem geltenden Steuerrecht in Wi-derspruch stehende Auffassung des BMF gesetzlich zu ko-difizieren (so aber wohl Pitzke/Klein, NWB 2011, 2276[2282]). Nicht nur, dass die Formulierung einer solchenVorschrift sich im Detail als außerordentlich schwierig ge-stalten dürfte; sie wäre auch ein „Angriff“ auf die hehrenund bewährten Grundpfeiler der Grundsätze ordnungsmä-ßiger Bilanzierung, zu den auch und insbesondere das An-schaffungskosten- und Realisationsprinzip gehört, welchebislang (nahezu) uneingeschränkt für die steuerbilanzielleBilanzierung gelten.

Dr. Alexander Höhn, Steuerberater / Georg Geberth,Rechtsanwalt, beide München

(Director Tax bzw. Director Tax Policy, Siemens AG)

Gewinnermittlung: Keine Passivierung einerVerbindlichkeit bei sog. qualifiziertem Rangrücktritt

EStG 1997 § 5 Abs. 1, § 5 Abs. 2a, § 52 Abs. 12a; HGB§ 247 Abs. 1, § 249 Abs. 1

Eine Verbindlichkeit, die nur aus künftigen Gewinnen odereinem etwaigen Liquidationsüberschuss erfüllt zu werdenbraucht, kann mangels gegenwärtiger wirtschaftlicher Be-lastung nicht ausgewiesen werden.

BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10

� Aus den Gründen:

I.[1] Die Klägerin (Kl.in), eine GmbH, wurde mit Gesell-schaftsvertrag v. 19.7.1995 gegründet. Das Stammkapitalbetrug 100.000 DM und wurde im Streitjahr 1999 durchihre Alleingesellschafterin, die B-GmbH gehalten. Die fi-nanzielle Ausstattung der Kl.in war unzureichend. Die B-GmbH schloss mit der Kl.in am 18.9.1995 einen Darle-hens- und Rangrücktrittsvertrag, worin sie sich verpflich-tete, der Kl.in zur Ingangsetzung ihres Geschäftsbetriebsein entsprechend dem finanziellen Bedarf abrufbares ver-zinsliches Darlehen mit einem Kreditrahmen von bis zu15 Mio. DM zu gewähren. Sicherheiten wurden keine ge-stellt. Das Darlehen war von jeder der Parteien jederzeitkündbar.

[2] § 3 der Vereinbarung lautet:

„Im Falle des Eintritts einer Überschuldung der Schuldnerin trittdie sich aus dem jeweiligen Saldo des Darlehens-Verrechnungs-kontos ergebende Forderung der Gläubigerin automatisch in Hö-he des Betrags der Überschuldung im Rang hinter die Forderun-gen aller übrigen Gläubiger zurück.“

[3] § 4 lautet:

„Solange die Schuldnerin überschuldet ist, ist der Gläubigerin un-tersagt, über ihre Darlehensforderung zu verfügen, insbesonderesie abzutreten oder zu verwenden. Das Abtretungsverbot gilt nichtfür den Fall der Veräußerung der von der Gläubigerin gehaltenenGeschäftsanteile an der Schuldnerin. Die Gläubigerin kann dieBefriedigung ihrer Gesamtforderung nur aus künftigen Jahresü-berschüssen, soweit sie bestehende Verlustvorträge übersteigen,oder ggf. aus einem Liquidationsüberschuss verlangen.“

[4] Mit Vertrag v. 1.6.1996 räumte die B-GmbH der Kl.inein weiteres Darlehen mit einem Kreditrahmen von4 Mio. DM ein. Die zitierten Vereinbarungen sind wort-gleich im Vertrag enthalten.

[5] Zum 31.12.1995 und zum 31.12.1996 war die Kl.in bi-lanziell überschuldet. Dies änderte sich auch in den folgen-den Jahren nicht.

[6] Nach einer Außenprüfung kam das FA unter Bezug-nahme auf das Schr. des BMF v. 18.8.2004 – IV A 6 - S2133 - 2/04, BStBl. I 2004, 850 zu der Auffassung, dass diein der Bilanz zum 31.12.1999 enthaltene Verbindlichkeitgegenüber der B-GmbH i.H.v. 16.370.933,08 DM zum31.12.1999 gewinnwirksam aufzulösen sei. Aufgrund § 5Abs. 2a EStG 1997 i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes1999 – StBereinG 1999 – (EStG 1997) sei eine Passivie-rung dieser Verbindlichkeit in der Steuerbilanz nicht mög-lich.

[7] Der gegen die entsprechend geänderten Steuerbe-scheide 1999 erhobenen Klage gab das FG ... statt (FGMünchen v. 22.10.2010 – 7 K 1396/08, EFG 2011, 554). ...

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406 GmbHR 7/2012

II.[10] Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des erstinstanz-lichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Das FA hat zuRecht die streitgegenständlichen Verbindlichkeiten aufge-löst, weil die Kl.in hierdurch gegenwärtig noch nicht belas-tet ist.

1. Passivierung von Verbindlichkeiten ...[11] Nach § 247 Abs. 1 HGB sind handelsrechtlich unddamit nach § 5 Abs. 1 EStG 1997 auch steuerrechtlich Ver-bindlichkeiten zu passivieren. Gleiches gilt gemäß § 249Abs. 1 HGB für die Bilanzierung von Rückstellungen fürungewisse Verbindlichkeiten (st. Rspr., vgl. z.B. BFH v.12.12.1991 – IV R 28/91, BFHE 167, 334 = BStBl. II 1992,600). Eine Verbindlichkeit ist zu bilanzieren, wenn der Un-ternehmer zu einer dem Inhalt und der Höhe nach be-stimmten Leistung an einen Dritten verpflichtet ist, dievom Gläubiger erzwungen werden kann und eine wirt-schaftliche Belastung darstellt (BFH v. 22.11.1988 – VIIIR 62/85, BFHE 155, 322 = BStBl. II 1989, 359; v.12.12.1990 – I R 153/86, BFHE 163, 146 = BStBl. II 1991,479; v. 11.4.1990 – I R 63/86, BFHE 160, 323; v. 20.1.1993– I R 115/91, BFHE 170, 234 = BStBl. II 1993, 373).

2. ... nur bei wirtschaftlicher Belastung[12] An dieser wirtschaftlichen Belastung fehlt es imStreitfall. Die Darlehen müssen nur aus künftigen Über-schüssen, soweit sie bestehende Verlustvorträge überstei-gen, oder aus einem Liquidationsüberschuss zurückbe-zahlt werden.

[13] a) Soweit die Befriedigung der Verbindlichkeit aufkünftige Überschüsse beschränkt ist, kann für das Fehleneiner gegenwärtigen wirtschaftlichen Belastung auf den§ 5 Abs. 2a EStG 1997 zugrunde liegenden Gedanken zu-rückgegriffen werden.

[14] aa) Gemäß § 5 Abs. 2a EStG 1997 sind für Verpflich-tungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmenoder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstel-lungen erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewin-ne angefallen sind. Soweit entsprechende Verpflichtungenpassiviert sind, müssen diese zum Schluss des ersten nachdem 31.12.1998 beginnenden Wirtschaftsjahrs aufgelöstwerden (§ 52 Abs. 12a EStG 1997).

[15] bb) Schon vor Einführung des § 5 Abs. 2a EStG 1997ging die Rspr. im Einklang mit dem Handelsrecht davonaus, dass bestimmte gewinnabhängige Verpflichtungenvor Erzielung des Gewinns, aus dem sie zu bedienen sind,noch keine wirtschaftliche Last darstellen und demgemäßnicht zu passivieren sind, weil sie nicht aus dem zum Stich-tag vorhandenen Vermögen bedient werden müssen (BFHv. 20.9.1995 – X R 225/93, BFHE 178, 434 = BStBl. II1997, 320, unter 2.c]; v. 18.6.1980 – I R 72/76, BFHE 131,303 = BStBl. II 1980, 741; v. 19.2.1981 – IV R 112/78,BFHE 133, 368 = BStBl. II 1981, 654).

[16] cc) Anlass für die Einführung des § 5 Abs. 2a EStG1997 waren BFH-Urteile, nach denen der Grundsatz, dassgewinn- oder erlösabhängige Verbindlichkeiten nicht zupassivieren sind, nur greifen soll, wenn die Pflicht zur Er-füllung der Verbindlichkeit von der Gesamtgewinnsitua-tion des Unternehmens abhängt, nicht dagegen, wenn dieAbhängigkeit nur von einzelnen Geschäften besteht (BFHv. 20.9.1995 – X R 225/93, BFHE 178, 434 = BStBl. II

1997, 320; v. 3.7.1997 – IV R 49/96, BFHE 183, 513 =BStBl. II 1998, 244; v. 17.12.1998 – IV R 21/97, BFHE187, 552 = BStBl. II 2000, 116; v. 4.2.1999 – IV R 54/97,BFHE 187, 418 = BStBl. II 2000, 139). Ziel des § 5Abs. 2a EStG 1997 ist es, auch für diese Verbindlichkeitenein Passivierungsverbot festzuschreiben (BT-Drucks. 14/2070, S. 17).

[17] dd) Eine Verbindlichkeit unter Vereinbarung einesRangrücktritts dergestalt, dass die Forderung des Gläubi-gers hinter die Forderungen aller übrigen Gläubiger zu-rücktritt und nur aus künftigen Jahresüberschüssen zu er-füllen ist, ist gemäß § 5 Abs. 2a EStG 1997 nicht auszu-weisen (gl.A. Buciek in Blümich, § 5 EStG Rz. 920 „Rang-rücktritt“ a.E.; Neumann, GmbH-StB 2009, 192 [194];Lang, DStZ 2006, 789; BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S 2133- 10/06, BStBl. I 2006, 497 = GmbHR 2006, 1115; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 5 Rz. 315; Weber-Grellet, BB 2007, 30 [37]; Tiedchen in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz. 485 „Besserungsvereinbarung“).Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, § 5Abs. 2a EStG 1997 sei für den Fall des Rangrücktritts ge-nerell nicht einschlägig, weil bei einem Rangrücktritt dieForderung rechtlich bereits entstanden sei (Hölzle,GmbHR 2005, 852 [858]; Suchanek/Hagedorn, FR 2004,455; Watermeyer, GmbH-StB 2004, 369 [372]), ist demnicht zu folgen. Zum einen lässt sich diese Einschränkungdem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen; dieser um-fasst vielmehr unterschiedslos alle Verpflichtungen, dienur zu erfüllen sind, soweit künftig Gewinne anfallen. Zumandern wäre ein Ausweis der Verbindlichkeit auch nichtgerechtfertigt. Denn der Schuldner ist, solange die Gewin-ne noch nicht erzielt sind, in seinem gegenwärtigen Ver-mögen zum Bilanzstichtag noch nicht belastet. Seine Si-tuation gleicht wirtschaftlich der eines Schuldners, demeine Verbindlichkeit gegen Besserungsschein erlassenwurde (vgl. hierzu BFH v. 29.1.2003 – I R 50/02, BFHE202, 74 = BStBl. II 2003, 768 = GmbHR 2003, 1011 m.Komm. Hoffmann): Beide müssen die Verbindlichkeit nuraus künftigen Gewinnen erfüllen.

[18] b) Die Darlehen sind im Streitfall auch nicht deshalbzu passivieren, weil sie nicht nur aus künftigen Gewinnen,sondern auch aus einem eventuellen Liquidationsüber-schuss zu bedienen sind. Denn auch insoweit fehlt es aneiner gegenwärtigen wirtschaftlichen Belastung.

[19] aa) Erlässt ein Gläubiger eine Verbindlichkeit mit derMaßgabe, dass die Forderung wieder aufleben soll, wennkünftige Jahresüberschüsse oder ein Liquidationsüber-schuss erzielt werden, ist die durch einen solchen Besse-rungsschein begründete Leistungspflicht beim Schuldnerzunächst nicht als Verbindlichkeit zu passivieren. Die Ver-pflichtung stellt noch keine wirtschaftliche Last dar. Diesgilt nicht nur insoweit, als die Verbindlichkeit aus künfti-gen Gewinnen bedient werden muss, sondern auch hin-sichtlich der Verpflichtung zur Zahlung aus einem Liqui-dationsüberschuss. Ein Liquidationsüberschuss ist dasVermögen, das im Fall der Liquidation nach Veräußerungder Wirtschaftsgüter und Begleichung aller (übrigen) Ver-bindlichkeiten verbleibt (vgl. §§ 70 ff. GmbHG). Zwar be-treffen Zahlungspflichten aus einem Liquidationsüber-schuss damit bereits auch das gegenwärtige Vermögen; siebelasten das gegenwärtige Vermögen aber noch nicht, danach dem Grundsatz der Unternehmensfortführung (vgl.hierzu Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prü-fung der Unternehmen, 6. Aufl., § 252 HGB Rz. 24) der

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GmbHR 7/2012 407

Liquidationsfall noch nicht berücksichtigt zu werdenbraucht und die Rücklagen bis zu diesem Zeitpunkt noch invollem Umfang zur Verlustdeckung und zur Befriedigungder anderen Gläubiger zur Verfügung stehen (Adler/Dü-ring/Schmaltz, aaO, § 246 HGB Rz. 150, 152; BFH v.29.1.2003 – I R 50/02, BFHE 202, 74 = BStBl. II 2003,768 = GmbHR 2003, 1011 m. Komm. Hoffmann, m.w.N.;Schulze-Osterloh, WPg 1996, 97; Knobbe-Keuk, Bilanz-und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., § 4 V., S. 109 f.;Gahlen, BB 2009, 2079; Groh, BB 1993, 1882).

[20] bb) Im Streitfall sind der Kl.in die von ihrer Alleinge-sellschafterin gewährten Darlehen zwar nicht erlassenworden; es wurde vielmehr nur ein Rangrücktritt verein-bart. Eine Rangrücktrittsvereinbarung, nach der eine Ver-bindlichkeit nur aus künftigen Gewinnen oder einem even-tuellen Liquidationsüberschuss zu bedienen ist, belastetden Schuldner aber nicht stärker, als wäre die Verbindlich-keit gegen entsprechende Besserungsabrede erlassen wor-den (insoweit anders als Rangrücktrittsvereinbarungen,die auch aus sonstigem Vermögen zu bedienen sind, vgl.BFH v. 20.10.2004 – I R 11/03, BFHE 207, 295 = BStBl. II2005, 581 = GmbHR 2005, 303 m. Komm. Berg/Schmich;v. 16.5.2007 – I R 36/06, BFH/NV 2007, 2252; v.30.3.1993 – IV R 57/91, BFHE 170, 449 = BStBl. II 1993,502 = GmbHR 1993, 600; v. 10.11.2005 – IV R 13/04,BFHE 211, 294 = BStBl. II 2006, 618 = GmbHR 2006, 158m. Komm. Hoffmann; v. 14.1.2010 – IV R 13/06, BFH/NV2010, 1483). Es ist daher gerechtfertigt, diese Verbindlich-keit wie einen Erlass mit Besserungsabrede zu behandelnund die Verbindlichkeit nicht auszuweisen (Schulze-Oster-loh, WPg 1996, 97; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unterneh-menssteuerrecht, 9. Aufl., § 4 V., S. 108 u. Fn. 257; Knob-be-Keuk, StuW 1991, 306; Hofbauer/Kupsch, BonnerHandbuch Rechnungslegung, § 246 Rz. 61; Siegel, FR1981, 134 [137]; Priester, DB 1977, 2429; Glade, Praxis-handbuch der Rechnungslegung und Prüfung, 2. Aufl.,§ 266 HGB Rz. 758; Lang in Dötsch/Jost/Pung/Witt,Kommentar zum KStG und EStG, § 8 Abs. 3 KStG nF,Rz. 1126; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 5Rz. 315; Weber-Grellet, BB 2007, 30 [37]; Buciek in Blü-mich, § 5 EStG Rz. 920 „Rangrücktritt“ und 761a; BMF v.8.9.2006 – IV B 2 - S 2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 =GmbHR 2006, 1115; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungs-legung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., § 246HGB Rz. 142: Ausweis vertretbar; a.A. z.B. Kozikowski/Schubert in Beck.Bil-Komm., 8. Aufl., § 247 Rz. 232; s.aber Rz. 238 a.E.; Uhländer, BB 2005, 70; Schildknecht,DStR, 2005, 181; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, 2011, § 8 KStG Rz. 149e, m.w.N.; Wa-termeyer, GmbHR 2006, 240; Groh, DB 2006, 1286). Un-ter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfä-higkeit besteht trotz abweichender zivilrechtlicher Gestal-tung kein Unterschied zwischen einem Erlass mit Besse-rungsabrede und der Vereinbarung, dass eine Verbindlich-keit nur aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss be-dient werden muss (ähnlich bereits BFH v. 29.1.2003 – I R50/02, BFHE 202, 74 = BStBl. II 2003, 768 = GmbHR2003, 1011 m. Komm. Hoffmann).

[21] cc) Unter welchen Voraussetzungen eine Verpflich-tung, die nur im Liquidationsfall zu erfüllen ist, in der Steu-erbilanz auszuweisen ist, bedarf im Streitfall keiner Ent-scheidung. Denkbar ist, dass die Verbindlichkeit erst dannpassiviert werden muss, wenn nach Beginn der Liquida-tion ohne Berücksichtigung dieser Verpflichtung verteilba-res Eigenkapital ausgewiesen werden müsste (Adler/Dü-

ring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unter-nehmen, 6. Aufl., § 246 HGB Rz. 150, zum Erlass mitBesserungsabrede). Möglich ist auch, eine Verpflichtungzum Ausweis bereits dann anzunehmen, wenn zum Zeit-punkt des Bilanzstichtags eine Liquidation droht und imFall der Liquidation mit einem Überschuss zu rechnen ist.Diese Frage kann offenbleiben, weil zum streitigen Bilanz-stichtag nicht von der Liquidation der Kl.in auszugehenwar, sondern davon, dass die Kl.in ihre unternehmerischeTätigkeit fortführt. Dies war gerade das Ziel, das ihre Ge-sellschafterin mit der Hingabe der kapitalersetzenden Dar-lehen verfolgte. Solange aber eine Liquidation nach denam Bilanzstichtag objektiv erkennbaren Umständen nichtunmittelbar droht und überdies für diesen Fall mit einemLiquidationsüberschuss zu rechnen ist, kommt eine Passi-vierung nicht in Betracht.

3. Keine Beurteilung der Darlehen als Einlage[22] Die Darlehen sind nicht als Einlagen zu beurteilen.

[23] Unterliegt die Rückzahlung von Gesellschafterdarle-hen denselben Voraussetzungen wie die Rückzahlung vonEigenkapital, dann entsteht für den Schuldner Eigenkapitalund die Verbindlichkeit ist auszubuchen (gl.A. Buciek inBlümich, § 5 EStG Rz. 920 „Rangrücktritt“ a.E.,Rz. 1122). Ob die Darlehen dann als Eigenkapital auszu-weisen wären, wenn sie nur aus einem künftigen Liquida-tionsüberschuss zurückzuzahlen wären, kann offenbleiben(vgl. BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 =GmbHR 1001, 190 m. Komm. Felleisen; Goette, DStR2001, 179; vgl. auch BGH v. 21.3.1988 – II ZR 238/87,BGHZ 104, 33 [40] = GmbHR 1988, 301; Berg/Schmich,GmbHR-Kommentar zum Sen.Urt. BFH v. 20.10.2004 – IR 11/03, BFHE 207, 295 = BStBl. II 2005, 581 = GmbHR2005, 303, juris = GmbHR 2005, 307 f.). Denn es ist jeden-falls deshalb nicht von Einlagen auszugehen, weil die Dar-lehen auch aus künftigen Gewinnen zu tilgen sind und ih-nen daher nicht die Funktion von zusätzlichem Eigenkapi-tal zukommt (a.A. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unterneh-menssteuerrecht, 9. Aufl., § 4 V., S. 109).

Der GmbHR-Kommentar

Rangrücktritt: Fremdkapital oder Eigenkapital – daseine oder das andere?Bislang mag die Auffassung durchaus verbreitet gewesensein, dass eine Gesellschafterforderung mit Rangrücktrittentweder Fremd- oder Eigenkapital darstellt (vgl. z.B.Lang in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer,§ 8 Abs. 3 KStG nF Rz. 1126 [Stand Juni 2003]). Das vor-stehend abgedruckte Urt. des BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10 sollte nunmehr den letzten Zweifler davon überzeugthaben, dass es auch noch eine dritte Kategorie gibt, näm-lich: steuerpflichtiger Ertrag.

Die Entscheidung des BFHWorum ging es im vorliegenden Fall? Ein Gesellschafterhatte in einer (nach der Überschrift des vom BFH veröf-fentlichten Urteils „qualifizierten“) Rangrücktrittsverein-barung mit der Gesellschaft vereinbart, dass seine Forde-rung im Falle des Eintritts einer Überschuldung (was tat-sächlich der Fall war) hinter die Forderungen aller übrigenGläubiger zurücktrete und eine Befriedigung nur aus künf-tigen Jahresüberschüssen oder aus einem Liquidations-überschuss verlangt werden könne. Die Vorinstanz (FGMünchen v. 22.10.2010 – 7 K 1396/08, EFG 2011, 554)

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408 GmbHR 7/2012

ging mit einer zivilrechtlich orientierten Begründung ohneweiteres davon aus, dass die Gesellschafterforderung han-dels- und steuerrechtlich weiterhin als Verbindlichkeit zupassivieren sei („Eine Auflösung des Passivpostens wegeneines Erlasses der Forderung ist somit nicht geboten“). Eskonnte sich mit dieser Auffassung durchaus durch dieüberwiegende Meinung in der Literatur (vgl. Crezelius,NZI 2011, 581 [582], m.w.N.) und insoweit auch durch dieFinanzverwaltung (vgl. BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S 2133- 10/06, BStBl. I 2006, 497 = GmbHR 2006, 1115, unter 4.– s. aber auch Rz. 6) gestützt sehen. Auch eine Auflösungder Forderung nach § 5 Abs. 2a EStG hat die Vorinstanz(entgegen der Ansicht des FA) abgelehnt, da angesichts dermöglichen Befriedigung der Forderung auch aus einem Li-quidationsüberschuss keine ausschließliche Abhängigkeitvon zukünftigen Einnahmen oder Gewinnen bestünde.

Wie schon des öfteren ließ sich der I. Senat des BFH voneiner vorherrschenden Literaturansicht bei seiner Ent-scheidungsfindung nicht beirren und überrascht mit sei-nem Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10 doch in mancher Hin-sicht. Auch das BMF wird sein Schr. v. 8.9.2006 – IV B 2- S 2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 = GmbHR 2006, 1115überdenken müssen: BMF und BFH scheinen unter einemqualifizierten Rangrücktritt unterschiedliche Sachverhaltezu verstehen und auch generell die bilanziellen Wirkungeneines Rangrücktritts unterschiedlich zu beurteilen.

Ohne auf zivilrechtliche Fragestellungen überhaupt einzu-gehen und – jedenfalls im Urteilstext – ohne Begrifflich-keiten zu verwenden wie „qualifizierter Rangrücktritt“,begnügt sich der BFH mit einer rein wirtschaftlichen Be-trachtungsweise und stellt fest, dass es im entschiedenenFall an einer wirtschaftlichen Belastung fehle und deshalbbereits handelsrechtlich nach § 247 Abs. 1 HGB keine Ver-bindlichkeit passiviert werden dürfe. Er knüpft zwar vor-dergründig an frühere Rechtsprechung an, setzt nach unse-rer Auffassung aber neue Akzente. Soweit die Befriedi-gung der Verbindlichkeit auf künftige Jahresüberschüssebeschränkt sei, stelle sie deshalb noch keine wirtschaft-liche Last dar, weil sie nicht aus dem zum Stichtag vorhan-denen Vermögen bedient werden müsse. Dieser Gedankefinde sich jetzt auch in § 5 Abs. 2a EStG, habe allerdingsbereits vorher gegolten. Soweit Befriedigung aus einemLiquidationsüberschuss verlangt werden könne, fehle esebenfalls an einer gegenwärtigen wirtschaftlichen Belas-tung. Die wirtschaftliche Belastung bei einer derartigen Si-tuation gleiche derer, bei der eine Verbindlichkeit gegenentsprechende Besserungsabrede erlassen worden sei. Bei-de Fälle seien daher gleich zu behandeln. Nur dann, wenndie Forderung auch aus sonstigem Vermögen zu bedienensei (wie im Fall der Entscheidung des BFH v. 20.10.2004 –I R 11/03, BStBl. II 2005, 581 = GmbHR 2005, 303 m.Komm. Berg/Schmich; ebenso IV. Senat des BFH v.10.11.2005 – IV R 13/04, GmbHR 2006, 158 m. Komm.Hoffmann), liege eine gegenwärtige Belastung vor und dieVerbindlichkeit könne weiter passiviert werden (dies imErgebnis im Einklang mit BMF v. 8.9.2006 – IV B 2 - S2133 - 10/06, BStBl. I 2006, 497 = GmbHR 2006, 1115,dort aber zum einfachen Rangrücktritt und § 5 Abs. 2aEStG).

Bewertung der EntscheidungNicht unproblematisch erscheinen diese Ausführungen imLichte der Spruchpraxis des IV. Senats zu ähnlichen Kons-tellationen (grundsätzlich BFH v. 30.3.1993 – IV R 57/91,

BStBl. II, 1993, 502 = GmbHR 1993, 600) sowie im Hin-blick auf das Urt. des I. Senats des BFH v. 20.8.2008 – I R19/07, GmbHR 2008, 1222 m. Komm. Schröder, in demdas zivilrechtliche Fortbestehen der Schuld auch bei Ei-genkapitalersatz betont wurde: „Die Beurteilung einer Ge-sellschafterhilfe als eigenkapitalersetzend führt nur dazu,dass sie im Interesse der Gesellschaftsgläubiger nicht zu-rückgefordert werden darf; für das Innenrecht der Gesell-schaft verbleibt es demgegenüber bei der Behandlung alsFremdkapital.“ Die Frage muss erlaubt sein, worin im Fal-le von „Eigenkapitalersatz“ die wirtschaftliche Belastungdes gegenwärtigen Vermögens zu sehen ist.

Eine steuerliche Behandlung als Einlage (mit der sich da-ran anschließenden Prüfung der Werthaltigkeit einer sol-chen) schied im Streitfall nach Ansicht des BFH aus, denndies setze voraus, dass die Rückzahlung des Darlehens un-ter denselben Voraussetzungen wie die Rückzahlung vonEigenkapital erfolge – hier sei aber demgegenüber eineTilgung auch aus künftigen Gewinnen vereinbart gewesen.Ob aufgrund des Rangrücktritts ein Ausweis als Eigenka-pital und damit steuerlich eine Einlage gegeben ist, wennein Gesellschafterdarlehen nur aus einem künftigen Liqui-dationsüberschuss zurückzuzahlen ist, ließ der BFH offen.Das Urt. des BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, GmbHR2001, 190 m. Komm. Felleisen dürfte in diese Richtungdeuten (vgl. Berg/Schmich, GmbHR 2005, 307 f.; ähnlichBuciek in Blümich, § 5 EStG Rz. 1122), auch wenn es zurÜberschuldungsbilanz erging.

Das Urteil zeigt erneut, dass eine steuerliche Einschätzunganhand bloßer Begrifflichkeiten mit Gefahren verbundenist und eine detaillierte Prüfung nicht ersetzen kann. Nurwenn bei sog. qualifizierten Rangrücktrittserklärungenauch eine Tilgung aus sonstigem (freien) Vermögen vorge-sehen ist, bleibt es bei der Passivierung. Ein einfacherRangrücktritt, ohne zu Modalitäten der Befriedigung Stel-lung zu nehmen, sollte im Lichte der Rechtsprechung desIV. Senats (BFH v. 10.11.2005 – IV R 13/04, GmbHR2006, 158 m. Komm. Hoffmann, unter II.1.cc]) ebenso un-schädlich sein (ebenso Kahlert/Gehrke, DStR 2010, 227[239 ff.]) – wenn auch das Besprechungsurteil hier Unsi-cherheiten hervorruft. Aus Vorsichtsgründen könnte aller-dings klarstellend ergänzt werden, dass eine Tilgung aussonstigem (freien) Vermögen zulässig ist.

Zu Eigenkapital wird das Darlehen aber nur dann, wenndie Rückzahlung denselben Voraussetzungen unterliegt,wie die Rückzahlung von Eigenkapital. Nach verbreiteterAnsicht reicht dafür aus, dass eine Rückzahlung nur auseinem künftigen Liquidationsüberschuss erfolgt. Der BFHließ diese Frage offen. Im Bereich dazwischen kann einRangrücktritt zu vollständig steuerpflichtigem Gewinnführen. Das mag zu bösen Überraschungen führen, eröff-net aber auch Gestaltungsspielräume, denn wie ein Rang-rücktritt ausgestaltet wird obliegt der Entscheidung desGesellschafters – er genießt Finanzierungsfreiheit (BFH v.5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532 = GmbHR1992, 382).

Dipl.-Finanzw. Dr. Hans-Georg Berg / Dr. RolfSchmich, Rechtsanwälte und Fachanwälte für

Steuerrecht, Frankfurt a. M.(SZA Schilling, Zutt & Anschütz Rechtsanwalts AG)

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GmbHR 7/2012 409

Geschäftsanteil: Verlustabzugsverbot beiunterjährigem schädlichen Beteiligungserwerb

KStG 2002 n.F. § 8c

Erfolgt der das Verlustabzugsverbot des § 8c S. 1 KStG 2002n.F. auslösende schädliche Beteiligungserwerb während deslaufenden Wirtschaftsjahres, kann ein bis zu diesem Zeit-punkt in diesem Wirtschaftsjahr erzielter Gewinn mit dembisher noch nicht genutzten Verlust verrechnet werden (ge-gen BMF-Schr. v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 –DOK 2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = GmbHR 2008, 883u. 1064, Tz. 31 S. 2).

BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 14/11

� Aus den Gründen:

I.[1] Streitig ist, ob der Verlustabzug nach § 8c S. 1 KStG2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 v.14.8.2007 (BGBl. I 2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630)– KStG 2002 n.F. – bei einem sog. unterjährigen schäd-lichen Beteiligungserwerb auch insoweit beschränkt ist,als im laufenden Jahr bis zum Zeitpunkt des schädlichenBeteiligungserwerbs ein Gewinn erwirtschaftet wurde.

[2] Alleingesellschafter der Klägerin (Kl.in), einerGmbH, war zum Beginn des Streitjahres (2008) S. Mit no-tariellem Vertrag v. 3.7.2008 verkaufte S nach vorherigerTeilung seines Geschäftsanteils einen Geschäftsanteil von50 % (Nominalwert 13.000 c) und trat ihn an den ErwerberH ab. Der Gewinn für das laufende Geschäftsjahr sollte in-soweit S zustehen, als er auf den Zeitraum bis zum Tag derBeurkundung entfiel. Mit Gesellschafterbeschluss vomgleichen Tag änderte die Kl.in ihre Firma; H wurde zumweiteren Geschäftsführer bestellt.

[3] Der für die Kl.in festgestellte verbleibende Verlustvor-trag zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2007 betrug60.046 c (Bescheid v. 14.10.2008). Für das Streitjahr er-mittelte die Kl.in einen Jahresüberschuss i.H.v. rd.121.815 c (Jahresabschluss zum 31.12.2008). Unter Hin-zurechnung nicht abziehbarer Betriebsausgaben (Körper-schaftsteuer, Solidaritätszuschlag, Gewerbesteuer) ergabsich ein Gesamtbetrag der Einkünfte i.H.v. 163.300 c. EinZwischenabschluss zum 31.5.2008 wies einen bis dahinangefallenen Jahresüberschuss von 50.737 c aus.

[4] Das FA berücksichtigte unter Hinweis auf § 8c S. 1KStG 2002 n.F. und Tz. 31 des Schr. des BMF v. 4.7.2008– IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK 2008/0349554,BStBl. I 2008, 736 = GmbHR 2008, 883 u. 1064 bei derEinkommensermittlung lediglich einen Verlustabzugi.H.v. 50 % von 60.046 c (30.023 c); den verbleibendenVerlustabzug stellte es auf den 31.12.2008 mit 0 c fest. Diegegen die Festsetzung der Körperschaftsteuer gerichteteKlage hatte Erfolg (FG Münster v. 30.11.2010 – 9 K 1842/10 K, EFG 2011, 909). Nach den Urteilsgründen haben esdie Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ausdrück-lich unstreitig gestellt, dass der bis zum 3.7.2008 (Übertra-gung des 50 %-igen Geschäftsanteils) erwirtschaftete Ge-samtbetrag der Einkünfte mindestens 60.046 c betragenhat.

[5] Das FA ... beantragt mit der Revision, das angefochte-ne Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfswei-se, das Verfahren ruhen zu lassen bis zur Entscheidung desBVerfG in dem Verfahren 2 BvL 6/11 (Vorlagebeschluss

des FG Hamburg v. 4.4.2011 – 2 K 33/10, EFG 2011,1460 = GmbHR 2011, 711 m. Komm. Roser).

[6] Die Kl.in beantragt ... hilfsweise, das Verfahren ruhenzu lassen (BVerfG 2 BvL 6/11).

II.

[7] Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuwei-sen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat ohne Rechtsfehler da-hin erkannt, dass der Verlustabzug nach § 8c S. 1 KStG2002 n.F. bei einem sog. unterjährigen schädlichen Beteili-gungserwerb insoweit nicht beschränkt ist, als im laufen-den Jahr bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungs-erwerbs ein Gewinn erwirtschaftet wurde.

1. Abziehbarkeit des Verlustvortrags

[8] Der zum 31.12.2007 festgestellte verbleibende Ver-lustvortrag i.H.v. 60.046 c war gemäß § 10d Abs. 2 S. 1EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 2002 n.F. im Streitjahrin voller Höhe vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuzie-hen. Dieser Abzug war im Streitfall nicht durch § 8c S. 1KStG 2002 n.F. ausgeschlossen. Denn die Rechtsfolge derVerlustabzugsbeschränkung des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F.betrifft den hier in Rede stehenden Verlustabzug des Streit-jahres nicht.

[9] a) Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oderunmittelbar mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals, derMitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder derStimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oderdiesem nahestehende Personen übertragen oder liegt einvergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungs-erwerb), sind insoweit die bis zum schädlichen Beteili-gungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen ne-gativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr ab-ziehbar (§ 8c S. 1 KStG 2002 n.F.). Unabhängig von S. 1sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutz-te Verluste vollständig nicht mehr abziehbar, wenn inner-halb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrech-te, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Kör-perschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehendePersonen übertragen werden oder ein vergleichbarer Sach-verhalt vorliegt (§ 8c S. 2 KStG 2002 n.F.). Aufgrund desErwerbs des 50 %igen Geschäftsanteils durch H mit nota-riellem Vertrag vom 3.7.2008 liegt ein schädlicher Beteili-gungserwerb i.S.v. § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. vor. Denn eswurden mehr als 25 %, aber nicht mehr als 50 % des ge-zeichneten Kapitals der Kl.in an einen Erwerber übertra-gen.

[10] b) Als Rechtsfolge sieht § 8c S. 1 KStG 2002 n.F.vor, dass die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nichtausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte(sog. nicht genutzte Verluste) anteilig i.H. des Beteili-gungserwerbs – damit im Streitfall i.H.v. 50 % – nichtmehr abziehbar sind. Dies beeinträchtigt den Abzug desfür die Kl.in zum 31.12.2007 festgestellten verbleibendenVerlustvortrags von 60.046 c jedoch nicht.

[11] aa) Ob ein im Jahr des schädlichen Beteiligungser-werbs bis zum Übertragungszeitpunkt erwirtschafteter Ge-winn (bzw. positiver Gesamtbetrag der Einkünfte) die derVerlustabzugsbeschränkung unterliegenden nicht ausge-glichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte mindert,wird unterschiedlich beurteilt. Die Finanzverwaltung lehnteine solche Rechtsfolge ab: Nach Tz. 31 des BMF-Schr. v.

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410 GmbHR 7/2012

4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK 2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = GmbHR 2008, 883 u. 1064unterliegt zwar ein bis zum unterjährigen schädlichen Be-teiligungserwerb erzielter Verlust der Verlustabzugsbe-schränkung (dort S. 1); ein bis zum schädlichen Beteili-gungserwerb erzielter Gewinn kann jedoch nicht mit nochnicht genutzten Verlusten verrechnet werden (dort S. 2).Dem wird in der Literatur teilweise zugestimmt (Dötsch inDötsch/Jost/Pung/Witt, Kommentar zum KStG und EStG,§ 8c KStG Rz. 81; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8c KStG Rz. 78d; Mössner/Seeger/Rätke, KStG, § 8c Rz. 368; van Lishaut, FR 2008, 789[799]). Das Hessische FG (FG Hessen v. 7.10.2010 –4 V 1489/10, DStR/E 2011, 289) und ein anderer Teil derLiteratur sind allerdings gegenteiliger Auffassung undsprechen sich für eine Verrechnungsmöglichkeit aus (z.B.Roser in Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8c Rz. 97; Suchanek inHerrmann/Heuer/Raupach, § 8c KStG Rz. 32; Lang inErnst & Young, KStG, § 8c Rz. 72.2; Brandis in Blümich,§ 8c KStG Rz. 56; Olbing in Streck, KStG, 7. Aufl., § 8cRz. 65; Brendt in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 8c Rz. 58;Dieterlen in Lademann, KStG, § 8c Rz. 31; Zerwas/Fröh-lich in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht,2010, S. 212 ff.; Neyer, DStR 2010, 1600 [1602] u. DStR2011, 654, jeweils m.w.N.). Der Senat hält die letztgenann-te Auffassung für zutreffend.

[12] aaa) Der Wortlaut des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. istinsoweit entgegen der Ansicht der Revision nicht eindeu-tig; er trifft keine Aussage in der Weise, dass eine Berück-sichtigung eines zeitanteiligen Gewinns auszuschließenist.

[13] Zwar kann aus dem Terminus (negative) „Einkünfte“auf einen Bezug zum Jährlichkeitsprinzip der Einkünfte-und Gewinnermittlung (§ 7 Abs. 3 S. 2 KStG 2002 n.F.)geschlossen werden. Dies könnte gegen eine Ergebnisab-grenzung bei unterjährigen schädlichen Beteiligungser-werben sprechen. Andererseits geht es bei den sog. nichtgenutzten Verlusten als Gegenstand der Verlustabzugsbe-schränkung nach dem Gesetzeswortlaut um bisher „nichtausgeglichene(n) oder abgezogene(n) negative(n) Ein-künfte“, womit die Terminologie des § 10d EStG 2002 auf-gegriffen wird, die den periodenübergreifenden Verlustab-zug und den periodeninternen Verlustausgleich anführt.Wenn die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nichtausgeglichenen negativen Einkünfte zeitlich nach demschädlichen Beteiligungserwerb nicht mehr abziehbar seinsollen, ist damit eine eindeutige zeitliche Zäsur (Zeitpunktdes schädlichen Beteiligungserwerbs) angeordnet. DieseZäsur kann je nach dem konkreten Zeitpunkt des schäd-lichen Beteiligungserwerbs aber auch als Abkürzung derErmittlungsperiode im laufenden Wirtschaftsjahr/Kalen-derjahr eintreten („unterjähriger Beteiligungserwerb“),was wiederum sowohl die Einbeziehung zeitpunktbezogenvorher erwirtschafteter negativer Einkünfte als auch positi-ver Einkünfte rechtfertigt. Gegenstand des Verlustabzugs-verbots des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. ist dann entweder dieSumme aus dem verbleibenden Verlustvortrag (Feststel-lung zum 31.12. des Vorjahres bei kalenderjahrgleichemWirtschaftsjahr) und dem „laufenden Verlust“ (so auchBMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = GmbHR 2008, 883 u.1064, Tz. 31, dort S. 1; s. auch Begründung des Gesetzent-wurfs, BT-Drucks. 16/4841, S. 76) oder der Saldo aus demverbleibenden Verlustvortrag und dem „laufenden Ge-winn“.

[14] Jedenfalls hat der Gesetzgeber die zweite Variantenicht dadurch ausgeschlossen, dass er von negativen Ein-künften spricht – denn dies umschreibt lediglich dieGrundlage einer Verlustabzugsbeschränkung und beziehtsich auf den Gesamtumfang des bisher nicht genutztenVerlusts, der sich aus nicht ausgeglichenen negativen Ein-künften und nicht abgezogenen negativen Einkünften zu-sammensetzt.

[15] bbb) Auf dieser Grundlage kommt dem Regelungs-zweck entscheidende Bedeutung zu. Der Verlustabzugsbe-schränkung liegt nach der Begründung des Gesetzentwurfs(BT-Drucks. 16/4841, S. 76) der Gedanke zugrunde, dasssich ungeachtet des Trennungsprinzips „die wirtschaft-liche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftlicheEngagement eines anderen Anteilseigners“ ändert. Die infrüherer Zeit erwirtschafteten Verluste sollen für das „neuewirtschaftliche Engagement“ unberücksichtigt bleiben.

[16] Wenn damit das wirtschaftliche Ergebnis der Kapital-gesellschaft nach dem schädlichen Beteiligungserwerbvon dem vor diesem Zeitpunkt erwirtschafteten (negati-ven) Ergebnis unbeeinträchtigt bleiben soll, spricht nichtsdafür, bei dieser Separierung ein vor diesem Zeitpunkt er-zieltes positives Zwischenergebnis auszusparen. Der bis-her nicht ausgeglichene Verlust (Verlustvortrag) wird inder Höhe eines bis zum schädlichen Beteiligungserwerberzielten Gewinns gerade nicht für das „neue“, sondernnoch für das „alte“ wirtschaftliche Engagement genutzt (s.auch BFH v. 5.6.2007 – I R 9/06, BFHE 218, 207 = BStBl.II 2008, 988 = GmbHR 2008, 48 m. Komm. Breuninger/Frey/Schade – zum maßgeblichen Zeitpunkt für den Aus-schluss des Verlustabzugs nach der Vorgängerregelung des§ 8 Abs. 4 KStG 2002; v. 22.1.2009 – IV R 90/05, BFHE224, 364 = GmbHR 2009, 496 – zum gewerbesteuerrecht-lichen Verlustvortrag). Diesem Grundgedanken entsprichtauch die unstreitige Praxis, bis zum schädlichen Beteili-gungserwerb erwirtschaftete negative Einkünfte unabhän-gig von einem Ablauf einer gesetzlichen Ermittlungsperi-ode (Wirtschaftsjahr/Kalenderjahr) in die Verlustabzugs-beschränkung einzubeziehen (s. zu aaa).

[17] Diesem Ergebnis kann nicht mit Erfolg entgegenge-halten werden, dass es an einer Rechtsgrundlage für denAbzug des Verlustvortrags von bis zum schädlichen (unter-jährigem) Beteiligungserwerb angefallenen positiven Ein-künften fehle, da § 10d Abs. 2 EStG den Abzug nur zumEnde eines folgenden Veranlagungszeitraums zulasse (soz.B. Mössner/Seeger/Rätke, KStG, § 8c Rz. 368). Denn esgeht insoweit nicht um die (veranlagungstechnischen) Vo-raussetzungen des Verlustabzugs im Jahr des schädlichenBeteiligungserwerbs, sondern um die Bemessung des„nicht genutzte(n) Verlust(s)“ i.S.d. § 8c S. 1 KStG 2002n.F. als Gegenstand der Verlustabzugsbeschränkung (z.B.Roser in Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8c Rz. 97; Zerwas/Fröh-lich in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht,2010, S. 213).

[18] bb) Hiernach war der für die Kl.in zum 31.12.2007festgestellte verbleibende Verlustvortrag i.H.v. 60.046 c

im Streitjahr in voller Höhe vom Gesamtbetrag der Ein-künfte abzuziehen. Ein sog. nicht genutzter Verlust i.S.d.§ 8c S. 1 KStG 2002 n.F. besteht nicht, da der Gesamtbe-trag der Einkünfte des Streitjahres von 163.300 c i.H. einesBetrags von 60.046 c auf den Zeitraum bis zum schäd-lichen Beteiligungserwerb am 3.7.2008 entfiel. Insoweitist der Senat an die entsprechende tatrichterliche Feststel-lung gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), die auf dem Zwi-

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GmbHR 7/2012 411

schenabschluss der Kl.in zum 31.5.2008, einer Hinzurech-nung von nicht abziehbaren Betriebsausgaben und einerHinzuschätzung bis zum Zeitpunkt des schädlichen Betei-ligungserwerbs beruht; darüber hinaus ist diese Feststel-lung durch eine entsprechende tatsächliche Verständigungder Beteiligten in der mündlichen Verhandlung beim FGabgesichert.

2. Kein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens[19] Da auf dieser Grundlage die Verlustabzugsbeschrän-kung des § 8c S. 1 KStG 2002 n.F. die Höhe der festzuset-zenden Körperschaftsteuer des Streitjahres nicht berührt,liegt ein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens (§ 74FGO) bis zum Abschluss des Normenkontrollverfahrensbeim BVerfG (2 BvL 6/11) nicht vor.

3. Keine Zuführung überwiegend neuen Betriebsver-mögens

[20] Der bei der Einkommensermittlung der Kl.in zu be-rücksichtigende Verlustabzug ist auch nicht nach § 8Abs. 4 KStG 2002 i.V.m. § 34 Abs. 6 S. 4 KStG 2002 n.F.ausgeschlossen. Unabhängig von der Frage, ob mit der imStreitjahr erfolgten Anteilsübertragung mehr als die Hälfteder Anteile an der Kl.in innerhalb eines vor dem 1.1.2008beginnenden Zeitraums von fünf Jahren übertragen wur-den, fehlt es an der vom Tatbestand des § 8 Abs. 4 S. 2KStG 2002 geforderten Zuführung überwiegend neuenBetriebsvermögens im zeitlichen und sachlichen Zusam-menhang mit der Anteilsübertragung. Das FG hat entspre-chende Feststellungen nicht getroffen.

Der GmbHR-Kommentar

Der durch das UntStRefG 2008 v. 14.8.2007 (BGBl. I2007, 1912 = BStBl. I 2007, 630) eingefügte § 8c KStG isttrotz seines noch „jungen Lebensalters“ eine der kontro-vers diskutiertesten Vorschriften des deutschen Unterneh-mensteuerrechts (zu einem Literaturüberblick s. z.B. Su-chanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8cKStG vor Anm. 1). Neben ihn umgebenden verfassungs-rechtlichen Zweifeln (s. hierzu nur J. Lang, GmbHR 2012,57 ff.; ferner den Vorlagebeschluss des FG Hamburg v.4.4.2011 – 2 K 33/10, EFG 2011, 1460 = GmbHR 2011,711 m. Komm. Roser; Az. des BVerfG: 2 BvL 6/11) stellensich sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechts-folgenebene eine Vielzahl von Einzelfragen, die – obwohl§ 8c KStG in seiner grundsätzlichen Wirkungsweise abso-lut simpel ist – einer gerichtlichen Klärung bedürfen.

Mit vorstehend abgedruckter Entscheidung v. 30.11.2011 –I R 14/11 nimmt der BFH erstmalig zu einer materiell-rechtlich offenen Frage auf der Rechtsfolgenebene des§ 8c KStG Stellung und beantwortet sie gegen die Auffas-sung der Finanzverwaltung im Sinne der Steuerpflichti-gen. Einer Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschlussdes Normenkontrollverfahrens beim BVerfG (Az.: 2 BvL6/11) bedurfte es somit nicht.

I. Die EntscheidungIm Urteilssachverhalt wurde auf den 31.12.2007 zuguns-ten der Klägerin ein körperschaftsteuerlicher Verlustvor-trag festgestellt. Im Juli 2008 übertrug der Altgesellschaf-ter 50 % der Anteile an der Klägerin auf einen Erwerber, sodass grundsätzlich zu diesem Tag der Tatbestand des § 8cAbs. 1 S. 1 KStG verwirklicht wurde. Das beklagte Fi-nanzamt beabsichtigte daraufhin, die Hälfte des auf den

31.12.2007 festgestellten Verlustvortrags untergehen zulassen, ohne im Vorfeld eine Verrechnung des bis zumschädlichen Beteiligungserwerb entstandenen Gewinnsmit dem Verlustvortrag per 31.12.2007 zuzulassen (soauch BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 –DOK 2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = GmbHR 2008,883 u. 1064, Tz. 31 S. 2).

Dieser Auslegung der Rechtsfolgen des § 8c Abs. 1 S. 1KStG ist der I. Senat mit der hier in Rede stehenden Ent-scheidung mit überzeugenden Gründen entgegengetreten,die sich letztendlich auf die Frage nach dem Zweck derRechtsfolgen des § 8c KStG konzentrieren. Dies ist derAusschluss der nicht genutzten Verluste, die vor demschädlichen Beteiligungserwerb entstanden sind, für daswirtschaftliche Engagement des neuen Anteilseigners (soBT-Drucks. 16/4841, S. 76). Dementsprechend geht derBFH davon aus, dass mit der Realisierung eines schäd-lichen Beteiligungserwerbs eine zeitliche Zäsur stattfindet,die letztendlich (nur) den Saldo aus dem Verlustvortragzum Ende des vorangegangenen Veranlagungszeitraumsund dem bis zum schädlichen Beteiligungserwerb erwirt-schafteten Gewinn / Verlust mit einem Verlustabzugsver-bot belegt.

Die Entscheidung ist richtig und zu begrüßen. Insbesonde-re hätte auch ein Bezug zum Jährlichkeitsprinzip der Ein-künfteermittlung nach § 7 Abs. 3 S. 2 KStG hergestelltwerden oder der Verlustabzug an den veranlagungstechni-schen Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10dAbs. 2 EStG scheitern können. Beidem wurde allerdingsam Zweck der Rechtsfolgen des § 8c KStG orientiert eineklare Absage erteilt.

II. Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf unterjäh-rigen schädlichen Beteiligungserwerb bei Organ-schaft

Vorstehendes lässt hoffen, dass der BFH eine entsprechen-de Entscheidung auch für den unterjährigen schädlichenBeteiligungserwerb in den Fällen der Organschaft treffenwird. Durch den Einbezug auch mittelbarer Beteiligungs-erwerbe in die Tatbestände des § 8c Abs. 1 S. 1 u. 2 KStGsollen von seinen Rechtsfolgen im Fall des schädlichenBeteiligungserwerbs an einem Organträger auch die lau-fenden Verluste von Organgesellschaften erfasst sein (soBMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = GmbHR 2008, 883 u.1064, Tz. 33). Dies führt im Organschaftskonzern dazu,dass die unterjährigen Verluste der defizitären Organge-sellschaften für eine Verrechnung mit positiven Ergebnis-sen des Organträgers oder anderer Organgesellschaften amEnde des Wirtschaftsjahres nicht zur Verfügung stehen, dadie Einkommenszurechnung der Organgesellschaften anden Organträger nach § 14 Abs. 1 S. 1 KStG wirtschafts-jahrbezogen und damit nach dem Übertragungsstichtag er-folgt (zur wirtschaftsjahrbezogenen Einkommenszurech-nung s. nur Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 14 KStG Anm. 87). Daraus resultieren in vielenFällen völlig unsachgemäße und auch nicht zu kontrollie-rende Ergebnisse (zu einem Beispielsfall s. Suchanek inHerrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStGAnm. 32a).

Auch auf diesen Fall lässt sich die an dem Zweck derRechtsfolgen des § 8c KStG orientierte Auslegung desBFH in vorstehender Entscheidung übertragen, indem aufden Tag des schädlichen Beteiligungserwerbs i.S.d. § 8c

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412 GmbHR 7/2012

Abs. 1 S. 1 oder 2 KStG eine Ergebnisermittlung für dengesamten Organkreis zugelassen wird, so dass nur für daszu diesem Zeitpunkt vorhandene saldierte Organschaftser-gebnis – ggf. nach Verrechnung mit einem vortragsfähigenVerlust – die Rechtsfolgen des § 8c Abs. 1 S. 1 oder 2KStG eintreten, da nur dieser der nicht genutzte Verlust ist,der nach der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks.16/4841, S. 76) für das wirtschaftliche Engagement desneuen Anteilseigners nicht mehr zur Verfügung stehensoll. Hier ist zuzugeben, dass es, um zu diesem Ergebnis zugelangen, einer zu diesem Zeitpunkt nicht gesetzlich vor-gesehenen Einkommenszurechnung der Organgesell-schaften an den Organträger bedarf. Andererseits ist aberauch schlicht festzustellen, dass die Regelungen des § 8cKStG nicht mit denen des § 14 KStG abgestimmt sind undsomit von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Geset-zes auszugehen ist, die durch eine am Zweck des § 8cKStG orientierte Auslegung zu schließen ist.

III. Was bleibt von der Entscheidung?Zu obiger Entscheidung lässt sich festhalten, dass der BFHtrotz aller verfassungsrechtlichen Zweifel, die § 8c KStGumgeben, bemüht ist, auf die materiellen RechtsfragenAntworten zu geben. Hier bietet der weite, aber auch viel-fach offene Wortlaut des § 8c Abs. 1 S. 1 u. 2 KStG ebendoch Auslegungsmöglichkeiten, die zweckorientiert ver-nünftige Ergebnisse zum Inhalt haben, ohne dass das Ver-fassungsrecht bemüht werden muss, um § 8c KStG auf ein„erträgliches Maß“ zu reduzieren. Zu hoffen bleibt, dassder BFH dieser Linie auch in zukünftigen Entscheidungentreu bleibt.

Dipl.-Finanzw. Markus Suchanek, Steuerberater,Düsseldorf

(Warth & Klein Grant Thornton AGWirtschaftsprüfungsgesellschaft)

Organschaft: Ertragslage der Organgesellschaftkein wichtiger Grund für die vorzeitige Aufhebungdes Gewinnabführungsvertrags

KStG 1999 § 14 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 u. 2, § 17; GewStG § 2Abs. 2 S. 2; AktG § 291; AktG 1965 § 297

1. Wirtschaftliche Schwierigkeiten der Organgesellschaft,die möglicherweise aus Unstimmigkeiten zwischen der Or-gangesellschaft und einem wichtigen Vertragspartner ent-stehen könnten, stellen grundsätzlich keinen wichtigenGrund für die vorzeitige Beendigung eines Gewinnabfüh-rungsvertrags (GAV) i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 KStG 1999dar. Die Bedrohung der Lebensfähigkeit des gesamten Kon-zerns könnte als Ausnahme von diesem Grundsatz gelten.

2. Maßgeblich für eine steuerlich unschädliche Beendi-gungsmöglichkeit eines GAV ist das Vorliegen eines wichti-gen Grundes, nicht die Form der Beendigung (hier: einver-nehmliche Aufhebung des GAV).

FG Brandenburg, Urt. v. 19.10.2011 – 12 K 12078/08(rechtskräftig)

� Aus dem Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer kör-perschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft zwischender Klägerin (Kl.in) und ihrer alleinigen Anteilseignerin,der C-GmbH, die später als D-GmbH firmierte (D).

Die Kl.in errichtet und betreibt Eisenbahnen, Eisenbahn-anlagen und Güterkraftverkehre. Seit dem 15.12.19... be-steht ein Eisenbahnrahmenvertrag zwischen der Kl.in undder E-GmbH (E). Danach hatte die Kl.in eine nicht bundes-eigene Eisenbahn zu bauen und das Umschlaggeschäft fürE zu betreiben. Der Umschlagplatz befindet sich auf demGrundstück der E. Die Kl.in konnte ihre Leistung auchDritten anbieten; vorrangig war jedoch die Leistung an E.Die Kl.in erzielte 92 % ihrer Einnahmen aus diesem Ver-trag. Der Vertrag bestand bis zum 31.12.2002 und verlän-gerte sich um weitere fünf Jahre, wenn er nicht mit einerKündigungsfrist von mindestens zwölf Monaten zum je-weiligen Vertragszeitraum gekündigt wurde. Mit einerKündigungsfrist von sechs Monaten konnte er aus wichti-gem Grund gekündigt werden (§ 13 des Vertrags). Einwichtiger Grund sollte insbesondere gegeben sein, wenneine Partei trotz Abmahnung einer wesentlichen Verpflich-tung aus dem Vertrag zuwiderhandelte, insbesondere,wenn die für E erbrachten Leistungen wesentlich von demvereinbarten Leistungsumfang abwichen oder wenn dieEröffnung eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens überdas Vermögen einer Partei beantragt oder die Liquidationeiner Partei beschlossen wurde oder eine sonstige wesent-liche Verschlechterung in den Vermögensverhältnisseneiner Partei eintrat. Nach § 9 Abs. 2 des als Anlage 2 zumRahmenvertrag bestehenden Dienstleistungsvertrags kannder Vertrag mit einer Frist von zwölf Monaten zum Endedes nächsten Kalenderjahres gekündigt werden, wenn sichdie Parteien nicht bis zum 30. November eines Jahres aufden Wirtschaftsplan für das nächste Jahr einigen. Bei Be-endigung des Vertrags hatte die Kl.in die Eisenbahnanlagean E zu verkaufen (§ 14 des Vertrags).

Die Kl.in schloss am 31.8.2000 mit Wirkung zum 1.1.2001einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mitihrer alleinigen Anteilseignerin, der C, ab.

Zwischen der Kl.in und E fanden jährlich Abschlussge-spräche statt, die bis zum Jahre 2002 stets einvernehmlichabliefen. Im Jahre 2002 beanstandete E erstmals einen Ab-rechnungsposten der Kl.in, nämlich die Rücklage für dieErsatzbeschaffung einer Lok i.H.v. 100.000 c. Mit Schrei-ben v. 1.11.2002 machte E eine Reihe von Zahlungs- bzw.Erstattungsansprüchen – insgesamt 1.614.825,49 c – ge-gen die Kl.in geltend. Die Kl.in wehrte sich gegen dieseAnsprüche, woraufhin E die monatlichen Zahlungen an dieKl.in einstellte, was wiederum zur Folge hatte, dass dieKl.in drohte, die Bedienung der Schienenanbindung einzu-stellen.

Die Kl.in befürchtete danach, dass E den Rahmenvertragaus wichtigem Grund kündigen könnte. Sie holte im März2003 ein Rechtsgutachten ein, in dem der drohende Scha-den im Falle einer Kündigung berechnet wurde. In diesemGutachten wird einleitend in der Sachverhaltsschilderungausgeführt, dass eine Kündigung des Rahmenvertragsdurch E zum Ende des Jahres 2003 wirksam werden wür-de, so dass eine Berechnung der finanziellen Auswirkun-gen einer Kündigung auf den Stichtag 31.12.2003 abstel-len müsse. Da die Berechnungen einer – offenbar bei derKl.in beschäftigten – Frau F auf Daten zum Stichtag31.12.2001 basierten, ging das Gutachten aus Vereinfa-chungsgründen ebenfalls von diesem Stichtag aus. DasGutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Kl.in entwe-der von der E nichts erhalten, an sie aber auch nichts zuzahlen haben werde oder sich eine Zahlungspflicht derKl.in gegenüber E i.H.v. 287 585,46 DM ergeben könnte.

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GmbHR 7/2012 413

Mit Wirkung zum 31.12.2002 hoben die Kl.in und die Cden Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag einver-nehmlich auf. Nach den Ausführungen der Kl.in hatte diesu.a. den Grund, dass die C sich vor der Notwendigkeit derTilgung der hohen Forderung der E gegenüber ihr, derKl.in, habe schützen wollen.

In der Folgezeit wurde der Rahmenvertrag neu verhandelt;die Kl.in musste danach bei gleichem Leistungsumfanggeringere Gegenleistungen der E akzeptieren.

Das FA nahm bei der Kl.in im Jahre 2006 eine abgekürzteAußenprüfung für die Jahre 2001 bis 2003 vor. Die Prüfe-rin ging danach davon aus, dass der Gewinnabführungs-vertrag wegen der einvernehmlichen Aufhebung vonAnfang an als steuerrechtlich unbeachtlich anzusehen unddie Kl.in nach den allgemeinen Vorschriften zur Körper-schaftsteuer zu veranlagen sei. Das FA folgte der Auffas-sung der Prüferin und erließ die hier angefochtenen Be-scheide.

Der Einspruch der Kl.in dagegen hatte keinen Erfolg (Ein-spruchsentscheidung v. 10.4.2008). ...

� Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klage ist ... nicht begründet. Die angefochtenenBescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kl.in nicht inihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO). Das FA hat dieBerücksichtigung einer steuerlichen Organschaft gemäߧ 14 ff. KStG – für die Gewerbesteuer i.V.m. § 2 Abs. 2S. 2 GewStG – zu Recht rückwirkend für die Streitjahreversagt.

a) Verpflichtet sich eine der in § 14 Abs. 1 KStG bezeich-neten Kapitalgesellschaften mit Geschäftsleitung und Sitzim Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabfüh-rungsvertrag i.S.d. § 291 AktG, ihren ganzen Gewinn anein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzufüh-ren, so ist das Einkommen der Organgesellschaft, soweitsich aus § 16 KStG nichts anderes ergibt, dem Träger desUnternehmens (Organträger) unter den in § 14 KStG be-nannten Voraussetzungen zuzurechnen. Eine dieser Vo-raussetzungen ist, dass der Vertrag bis zum Ende des Wirt-schaftsjahres der Organgesellschaft, für das erstmals eineEinkommenszurechnung zum Organträger erfolgen soll,auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen und für diese Zeittatsächlich durchgeführt wird (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 S. 1KStG). Die §§ 14 bis 16 KStG gelten gemäß § 17 KStGentsprechend, wenn eine andere als die in § 14 Abs. 1 S. 1KStG bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftslei-tung und Sitz im Inland, also insbesondere auch eine inlän-dische GmbH, sich wirksam verpflichtet, ihren ganzen Ge-winn an ein anderes Unternehmen i.S.d. § 14 KStG abzu-führen (vgl. zum Ganzen BFH v. 12.1.2011 – I R 3/10,BStBl. II 2011, 727 = GmbHR 2011, 544 m. Komm. Wal-ter, unter II.1.).

Die vorzeitige Beendigung eines Gewinnabführungsver-trags führt dazu, dass das Organschaftsverhältnis steuer-lich als von Anfang an unwirksam anzusehen ist (R 60Abs. 6 S. 5 KStR; vgl. auch Lange, GmbHR 2011, 806).Eine vorzeitige Beendigung des Gewinnabführungsver-trags durch Kündigung ist gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3S. 2 KStG allerdings unschädlich, wenn ein wichtigerGrund die Kündigung rechtfertigt.

b) Hier fehlt es an einem auf fünf Jahre abgeschlossenenund während dieses Zeitraums durchgeführten Gewinnab-

führungsvertrag. Zwar haben die Kl.in und die C einen fünfJahre laufenden Gewinnabführungsvertrag geschlossen.Dieser Vertrag ist jedoch vorzeitig aufgehoben worden. Inder einvernehmlichen Aufhebung zum Ende des Jahres2002 ist keine Kündigung aus wichtigem Grund i.S.d. § 14Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 KStG zu sehen.

aa) Unschädlich ist es allerdings, dass der Gewinnabfüh-rungsvertrag durch Aufhebungsvertrag und nicht durcheine Kündigung beendet wurde. Zwar suggeriert der Wort-laut des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KStG, der in S. 2 nur dieKündigung und in S. 3 sowohl die Kündigung als auch dieAufhebung des Gewinnabführungsvertrags erwähnt, dassvon S. 2 tatsächlich auch nur Fälle der Kündigung erfasstseien. Die h.M. geht jedoch zutreffend davon aus, dass derdurch das Steueränderungsgesetz 1992 v. 25.2.1992(BGBl. I 1992, 297 ff.) neu formulierte § 14 Abs. 1 S. 1Nr. 3 KStG nicht der schon zuvor nicht zuletzt von der Fi-nanzverwaltung (R 60 Abs. 6 S. 1 KStR; vgl. auch bereitsBMF v. 30.12.1971 – F/IV B 5 - S 2755 - 42/71, BStBl. I1972, 2) vertretenen Auffassung, dass auch andere Beendi-gungsformen bei Vorliegen eines wichtigen Grundes un-schädlich seien, entgegentreten wollte. Nach dem Sinn undZweck des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KStG, der eine willkür-liche Verschiebung von Gewinnen zwischen Organträgerund Organgesellschaft verhindern will (BFH v. 12.1.2011– I R 3/10, BStBl. II 2011, 727 = GmbHR 2011, 544 m.Komm. Walter, unter II.2.c] bb]; Lange, GmbHR 2011,806 [807]; Sterner in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 14 KStG Anm. 212), ist maßgeblich für einesteuerliche unschädliche Beendigungsmöglichkeit einesGewinnabführungsvertrags das Vorliegen eines wichtigenGrundes, nicht die Form der Beendigung (Lange, GmbHR2011, 806 [807], m.w.N.; Sterner in Herrmann/Heuer/Rau-pach, EStG/KStG, § 14 KStG Anm. 212, m.w.N.; i.Erg.ebenso Danelsing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14KStG Rz. 133).

bb) Es lag jedoch kein wichtiger Grund i.S.d. § 14 Abs. 1S. 1 Nr. 3 KStG vor.

(1) Als wichtiger Grund wird – neben anderen, hier un-streitig nicht vorliegenden Fällen – u.a. der Fall genannt,dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für dieVertragsparteien im Vergleich zu denen bei Abschluss desGewinnabführungsvertrags ändern, so dass bei vernünfti-ger kaufmännischer Beurteilung die Beendigung des Ge-winnabführungsvertrags als sachgerecht anzusehen ist(Lange, GmbHR 2011, 806 [809], m.w.N.). Das setzt vor-aus, dass die Änderung der Verhältnisse nicht willkürlichherbeigeführt wird (Lange, GmbHR 2011, 806 [810]). Einwichtiger Grund in diesem Sinne wird angenommen, wennder Organträger voraussichtlich nicht mehr in der Lagesein wird, seine Pflichten aus dem Gewinnabführungsver-trag zu erfüllen (Danelsing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 KStG Rz. 133; Lange, GmbHR 2011, 806[810]). Des weiteren stellen die Veräußerung oder Einbrin-gung der Organbeteiligung durch den Organträger, die Ver-schmelzung, Spaltung oder Liquidation des Organträgersoder der Organgesellschaft, der Börsengang der Organge-sellschaft und unter bestimmten Umständen auch der erst-malige Beitritt eines außenstehenden Gesellschafters einenwichtigen Grund i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 KStG dar(Lange, GmbHR 2011, 806 [810 ff.]; vgl. auch Sterner inHerrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 14 KStGAnm. 213). Auch die Vertragsverletzung einer Partei trotzAbmahnung wird als wichtiger Grund angesehen (Danel-

Rechtsprechung

Steuerrecht

414 GmbHR 7/2012

sing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 KStGRz. 133)

(2) Mit den vorbezeichneten Szenarien, die als wichtigerGrund anerkannt sind, ist die hier vorliegende Sachlagenicht vergleichbar. Hier bestanden lediglich Unstimmig-keiten zwischen der Organgesellschaft und einem – wennauch besonders wichtigen – Vertragspartner. Diese hättenzu wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Organgesellschaftführen können, die indes, wenn man den Sinn und Zweckder Regelungen über die Organschaft zugrunde legt, nichtzur außerordentlichen Beendigung des Gewinnabfüh-rungsvertrags berechtigen. Es soll, wie oben dargestellt,die willkürliche Verschiebung von Gewinnen und Verlus-ten zwischen Organträger und Organgesellschaft verhin-dert werden. Dann aber muss die wirtschaftliche Lage derOrgangesellschaft steuerlich unerheblich sein. Eine abwei-chende gesellschaftsrechtliche Sicht im Hinblick auf § 297AktG ist für die steuerliche Beurteilung, die eine gleichmä-ßige Besteuerung aller Steuerpflichtigen nach ihrer Leis-tungsfähigkeit zu gewährleisten hat, nicht von Belang(ebens i.Erg. Lange, GmbHR 2011, 806 [809], m.w.N.).Steuerlich wird eine Ausnahme von dem Grundsatz, dassdie Verschlechterung der Ertragslage der Organgesell-schaft keinen wichtigen Grund darstellt, allenfalls dann an-erkannt, wenn der Fortbestand des Gewinnabführungsver-trags die Lebensfähigkeit des ganzen Konzerns bedroht(Danelsing in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 KStGRz. 133). Dafür hat die Kl.in hier nichts vorgetragen; derInhalt der Akten gibt auch keinen Anhaltspunkt, dass die-ser Fall hier gegeben sein könnte.

Keinesfalls war eine außerordentliche Beendigung des Ge-winnabführungsvertrags jedenfalls zum Ende des Jahres2002 gerechtfertigt. E hätte sich erst zum Ende des Jahres2003 von dem Rahmenvertrag lösen können. Ein wichtigerGrund i.S.d. § 13 Abs. 2 des Rahmenvertrags lag nicht vor.Weder hatte eine der Vertragsparteien trotz Abmahnungeiner wesentlichen Verpflichtung aus dem Vertrag zuwi-dergehandelt (hinsichtlich der Zahlungseinstellung durchE fehlte es zumindest an einer Abmahnung durch dieKl.in), noch war die Eröffnung des Konkurs- bzw. Insol-venz- oder Vergleichsverfahrens über das Vermögen einerPartei beantragt, die Liquidation einer Partei beschlossenoder eine sonstige wesentliche Verschlechterung in denVermögensverhältnissen einer Partei eingetreten. Die dro-hende wirtschaftliche Verschlechterung der Kl.in, diemöglicherweise durch die Beendigung des Rahmenver-trags eingetreten wäre, hat insoweit außer Betracht zu blei-ben, weil eine Folge, die durch die Beendigung des Ver-trags eintritt, nicht die Voraussetzung für gerade diese Be-endigung darstellen kann. Dementsprechend geht auch dasvon der Kl.in in Auftrag gegebene Rechtsgutachten voneiner Beendigung des Rahmenvertrags durch E frühestenszum 31.12.2003 aus, nachdem die Vertragsparteien sichbis zum 30.11.2002 ersichtlich nicht auf einen Wirtschafts-plan für das Folgejahr geeinigt hatten. Warum der C inso-weit ein Zuwarten bis zum Jahre 2003 nicht zuzumuten ge-wesen sein könnte, wie die Kl.in geltend macht, ist nicht er-sichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, warum späterdie Möglichkeit der außerordentlichen Beendigung desGewinnabführungsvertrags nicht mehr gegeben gewesensein sollte, wie die Kl.in vorträgt. Eine Beendigung desGewinnabführungsvertrags durch einvernehmliche Auf-hebung war im Laufe des Jahres 2003 zum Ende diesesJahres ebenso möglich wie zum Ende des Jahres 2002. Ins-besondere waren auch im Jahre 2003 keine außenstehen-

den Gesellschafter an der C beteiligt, die eine einvernehm-liche Aufhebung hätten erschweren können. ...

VerwaltungsanweisungenAusländische GmbH: Entlastungsberechtigungausländischer Gesellschaften (§ 50d Abs. 3 EStG)

BMF, Schr. v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK2011/1032913

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mitden Vertretern der obersten Finanzbehörden der Ländergilt für die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG1

1 Dieses Schreiben gilt für die unmittelbare Anwendung des § 50dAbs. 3 EStG. Soweit diese Vorschrift nur entsprechend anzu-wenden ist, wie z.B. gemäß § 44a Abs. 9 S. 2 EStG, sind dieAusführungen dieses Schreibens nur nach dem Sinn und Zweckder Verweisungsvorschrift zu berücksichtigen.

i.d.F. desGesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowiezur Änderung steuerlicher Vorschriften v. 7.12.2011,BGBl. I 2011, 2592 ff. Folgendes:

1. AllgemeinesDie Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG schränkt den An-spruch einer ausländischen Gesellschaft nach §§ 43b, 50gEStG oder nach einem Abkommen zur Vermeidung derDoppelbesteuerung (DBA) auf Befreiung oder Ermäßi-gung von Kapitalertrag- oder Abzugssteuern nach § 50aEStG ein,

– soweit Personen an der Gesellschaft beteiligt sind, de-nen die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie dieEinkünfte unmittelbar erzielten (persönliche Entlas-tungsberechtigung), und

– soweit die Funktionsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3S. 1 EStG (sachliche Entlastungsberechtigung) nichtvorliegen (schädliche Erträge).

Die Funktionsvoraussetzungen für unschädliche Erträgesind alternativ erfüllt,

– soweit die von der ausländischen Gesellschaft im betref-fenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge aus eige-ner Wirtschaftstätigkeit stammen oder

– in Bezug auf die nicht eigenwirtschaftlichen Erträge fürdie Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirt-schaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorhandensind und die ausländische Gesellschaft mit einem für ih-ren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Ge-schäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehrteilnimmt oder

– § 50d Abs. 3 S. 5 EStG Anwendung findet.

2. AnwendungsbereichUnter den Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG hat eineausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf völligeoder teilweise Entlastung von der Kapitalertragsteuer oderder Abzugssteuer nach § 50a EStG. Ausgeschlossen wer-den hiernach Ansprüche auf völlige oder teilweise Erstat-tung einbehaltener Steuern (§ 50d Abs. 1 EStG) sowie aufvöllige oder teilweise Freistellung vom Steuerabzug(§ 50d Abs. 2 EStG).

VerwaltungsanweisungenGmbHR 7/2012 415

Erzielt die ausländische Gesellschaft der Quellensteuer un-terliegende abzugsteuerpflichtige Einkünfte, ermäßigt sichdie Quellensteuer vorbehaltlich einer zusätzlichen persön-lichen Entlastungsberechtigung im Verhältnis der un-schädlichen Bruttoerträge zu den im Wirtschaftsjahr insge-samt erzielten Bruttoerträgen der ausländischen Gesell-schaft („Aufteilungsklausel“).

Nicht in den Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStGfallen eventuelle Entlastungsansprüche, die sich aus derZuweisung des Besteuerungsrechtes nach einem DBA fürandere Einkünfte ergeben, z.B. Gewinne aus der Veräuße-rung von Beteiligungen.

3. Ausländische GesellschaftDer Begriff der Gesellschaft ist entsprechend dem jeweili-gen Antrag i.S.d. einschlägigen DBA oder der §§ 43bAbs. 2 oder 50g Abs. 3 Nr. 5 Buchst. a) Doppelbuchst. aa)EStG auszulegen. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) OECD-Musterabkommen bedeutet der Ausdruck „Gesellschaft“juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteue-rung wie juristische Personen behandelt werden. Die Ein-ordnung einer Gesellschaft durch die Vertragsstaaten kannunterschiedlich ausfallen. Für deutsche Besteuerungszwe-cke erfolgt die Einordnung ausschließlich nach deutschemSteuerrecht (Typenvergleich). Unabhängig davon ist Ent-lastung von deutschen Abzugssteuern zu gewähren, wenndie Einkünfte nach dem Recht des anderen Staates dort alsEinkünfte einer ansässigen Person steuerpflichtig sind.Daher ist eine ausländische Personengesellschaft, die nachausländischem Recht als Kapitalgesellschaft behandeltwird, Gesellschaft i.S.d. § 50d Abs. 3 EStG.2

2 Auf die Einordnung einer ausländischen Gesellschaft nach deminnerstaatlichen deutschen Steuerrecht (Typenvergleich) kommtes insoweit nicht an. S. OECD-Musterkommentar, Tz. 5 zuArt. 1.

Bei Anträgen nach §§ 43b oder 50g EStG ist darauf abzu-stellen, ob die Gesellschaft eine der in der Anlage 2 zu§ 43b EStG bzw. Anlage 3a zu § 50g EStG aufgeführtenRechtsformen aufweist und i.Ü. die jeweiligen weiterenTatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind.

Ausländisch ist eine Gesellschaft, wenn sie weder Sitznoch Geschäftsleitung im Inland hat oder bei sog. Doppel-ansässigkeit nach dem maßgeblichen DBA im anderenVertragsstaat als ansässig gilt.

Die Ansässigkeit einer ausländischen Gesellschaft ineinem anderen Vertragsstaat richtet sich nach Art. 4 Abs. 1u. 3 OECD-Musterabkommen bzw. der einschlägigen Vor-schrift des maßgeblichen DBA.

4. Persönliche Entlastungsberechtigung ausländi-scher Gesellschaften (§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG)

4.1 Gesellschafterbezogene PrüfungEine ausländische Gesellschaft ist persönlich entlastungs-berechtigt, soweit den an ihr beteiligten Personen ein Ent-lastungsanspruch nach §§ 43b, 50g EStG oder nach einemDBA zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erziel-ten (Prüfung der mittelbaren Entlastungsberechtigung desGesellschafters). Die Entlastungsberechtigung ist entspre-chend dem Gesetzeswortlaut („soweit“) für jeden Gesell-schafter gesondert zu prüfen. Gesellschafter mit Wohnsitz,Sitz oder Geschäftsleitung im Inland sind nicht entlas-tungsberechtigt.

4.2 Mittelbare persönliche Entlastungsberechtigungdes GesellschaftersHandelt es sich bei dem Gesellschafter der ausländischenGesellschaft um eine Gesellschaft, kommt es darauf an, obdiese nach einem DBA oder einer EU-Richtlinie persön-lich entlastungsberechtigt ist (fiktiver Entlastungsan-spruch). Soweit die mittelbar beteiligte Gesellschaft sach-lich nicht entlastungsberechtigt ist, ist zu prüfen, ob einean ihr beteiligte Gesellschaft, sofern diese selbst persön-lich entlastungsberechtigt ist, die sachlichen Funktionsvo-raussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG erfüllt. Im Hin-blick auf Gesellschaften in einer Beteiligungskette mussstets für jede Gesellschaft in der Kette die persönliche Ent-lastungsberechtigung gegeben sein (vgl. BFH v. 20.3.2002– I R 38/00, BStBl. II 2002, 819 = GmbHR 2002, 865 m.Komm. Roser). Dabei kommt es nicht darauf an, ob Ge-sellschaften in der Kette im gleichen Umfang entlastungs-berechtigt sind. Allerdings begrenzen die fiktiven Entlas-tungsansprüche der in der Beteiligungskette voranstehen-den Gesellschafter die Höhe des Entlastungsanspruchsnachfolgender Gesellschafter (s. Tz. 12).

4.3 Ausschluss der mittelbaren Entlastungsberechti-gungEine fehlende persönliche Entlastungsberechtigungschließt mögliche mittelbare Entlastungsberechtigungennachfolgender Gesellschafter aus. Danach ist ein Gesell-schafter dann nicht (mittelbar) persönlich entlastungsbe-rechtigt, wenn er

– in einem Nicht-DBA-Staat ansässig ist,

– als außerhalb der EU ansässige Person nicht die Voraus-setzungen der einschlägigen Richtlinien erfüllt,

– die Rechtsform einer Gesellschaft hat, diese sachlichnicht entlastungsberechtigt (s. Tz. 1) ist und deren Ge-sellschafter ihrerseits in einem Nicht-DBA-Staat ansäs-sig sind bzw. als außerhalb der EU ansässige Personennicht die Voraussetzungen der einschlägigen EU-Richt-linien erfüllen oder

– zwar in einem DBA-Staat und/oder innerhalb der EUansässig ist, aber nicht die Vergünstigungen eines DBAbzw. der einschlägigen EU-Richtlinien geltend machenkann (hierunter fallen für Zwecke der unmittelbaren An-wendung des § 50d Abs. 3 EStG auch inländische Ge-sellschafter).

Beispiel:

An einer niederländischen B.V. ist u.a. auch eine Ge-sellschaft beteiligt, die ihren Sitz auf den Bermudashat. An letzterer Gesellschaft sind u.a. natürliche Per-sonen mit Wohnsitz in den USA beteiligt. Die fehlendepersönliche Entlastungsberechtigung der Bermuda-Gesellschaft schließt einen möglichen Entlastungsan-spruch eines Gesellschafters in den USA aus.

5. Eigene Wirtschaftstätigkeit der ausländischenGesellschaft (§ 50d Abs. 3 S. 1 EStG)

Soweit die im betreffenden Wirtschaftsjahr der ausländi-schen Gesellschaft erzielten Bruttoerträge aus eigenerWirtschaftstätigkeit stammen, besteht ein Anspruch aufEntlastung (s. Tz. 5.5). Dazu zählen auch die Bruttoerträgeeiner Gesellschaft, die mit der eigenen Wirtschaftstätigkeitderselben Gesellschaft in einem wirtschaftlich funktiona-len Zusammenhang stehen (s. Tz. 12) sowie Zinserträge

Verwaltungsanweisungen416 GmbHR 7/2012

einer Gesellschaft, die aus der verzinslichen Anlage entlas-tungsberechtigter Gewinne derselben Gesellschaft erzieltwerden. Bruttoerträge sind die Bruttoerträge i.S.d. § 9AStG (s. Tz. 9.0.1 des BMF-Schr. v. 14.5.2004 – IV B 4 -S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004 Sonder-Nr. 1 – Anwen-dungsschreiben zum AStG). Dividenden und andere Erträ-ge (z.B. Zinsen und Lizenzgebühren) von geleiteten Ge-sellschaften (s. Tz. 5.3) zählen zu den Bruttoerträgen desBereiches der eigenen Wirtschaftstätigkeit.

Im Erstattungsverfahren nach § 50d Abs. 1 EStG gilt dasJahr des Ertragszuflusses als betreffendes Wirtschaftsjahr.Im Freistellungsverfahren nach § 50d Abs. 2 EStG ist esdas Jahr der Antragstellung. Die Bruttoerträge aus eigen-wirtschaftlicher Tätigkeit sind anhand des Jahresabschlus-ses des betreffenden Wirtschaftsjahres nachzuweisen.Sollte dieser noch nicht vorliegen, ist auf die Verhältnissedes vorangegangenen Wirtschaftsjahres abzustellen; so-fern es für den Steuerpflichtigen günstiger ist, kann errückwirkend die Erträge des Wirtschaftsjahres zugrundelegen, in dem sie angefallen sind. Bei Neugründung sinddie Verhältnisse des ersten Wirtschaftsjahres nach derGründung maßgebend.

5.1 „Wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“Eine eigene Wirtschaftstätigkeit setzt eine über den Rah-men der Vermögensverwaltung hinausgehende Teilnah-me am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr voraus(„wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“). Die Zwischen-schaltung einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansäs-sigen Gesellschaft ist vor dem Hintergrund des Urteils desEuGH in der Rechtssache Cadbury-Schweppes (EuGHv. 12.9.2006 – Rs. C-196/04, GmbHR 2006, 1049 m.Komm. Kleinert) nur dann gerechtfertigt, wenn die Ge-sellschaft am dortigen Marktgeschehen im Rahmen ihrergewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv, ständig und nach-haltig teilnimmt.

Eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehrliegt auch vor, wenn Dienstleistungen gegenüber eineroder mehreren Konzerngesellschaften erbracht werden.Voraussetzung ist, dass die Leistungen gegen gesondertesEntgelt erbracht werden und wie gegenüber fremden Drit-ten abgerechnet werden.

An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es nach § 50dAbs. 3 S. 3 EStG, soweit die ausländische Gesellschaft ih-re Bruttoerträge aus der Verwaltung von eigenen und/oderfremden Wirtschaftsgütern erzielt, z.B. bei bloßem Erwerbvon Beteiligungen (BFH v. 5.3.1986 – I R 201/82, BStBl.II 1986, 496) oder dem Halten von Stammkapital oder demHalten und Verwalten von Vermögen (BFH v. 27.7.1976 –VIII R 55/72, BStBl. II 1977, 266; v. 29.7.1976 – VIII R142/73, BStBl. II 1976, 263).

5.2 Aktive BeteiligungsverwaltungHält die ausländische Gesellschaft in ihrem Betriebsver-mögen Anteile an inländischen Gesellschaften, liegt eineeigene Wirtschaftstätigkeit nur dann vor, wenn Beteiligun-gen von einigem Gewicht erworben wurden, um gegen-über den Gesellschaften, an denen die Beteiligungen beste-hen, geschäftsleitende Funktionen wahrzunehmen (aktiveBeteiligungsverwaltung, s. BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339 [341]). Es reicht nicht aus, dasseine Gesellschaft ohne sonstige unternehmerische Betäti-gung geschäftsleitende Funktionen nur gegenüber einerTochtergesellschaft ausübt oder lediglich Anteile an einer

oder mehreren Tochtergesellschaften hält und sich dabeiauf die Ausübung der Gesellschafterrechte beschränkt(passive Beteiligungsverwaltung). Ob eine Beteiligungvon einigem Gewicht erworben wurde, hängt nicht von derHöhe der kapitalmäßigen Beteiligung ab. Es kommt daraufan, dass auf das Geschäft der Beteiligungsgesellschaft tat-sächlich Einfluss genommen wird.

5.3 Geschäftsleitende Funktionen

Geschäftsleitende Funktionen werden durch Führungsent-scheidungen ausgeübt. Führungsentscheidungen zeichnensich durch ihre langfristige Natur, Grundsätzlichkeit undBedeutung aus, die sie für den Bestand der Beteiligungsge-sellschaft (geleitete Gesellschaft) haben. Sie unterscheidensich von Entscheidungen, die kurzfristig und ausführungs-bezogen sind. Die Durchführung nur einzelner Geschäfts-funktionen, wie z.B. Lizenzverwertung und/oder Kredit-gewährung, reicht für die Qualifizierung als aktive Beteili-gungsverwaltung nicht aus. Mündliche Führungsentschei-dungen ohne hinreichende Dokumentation reichen zumNachweis der geschäftsleitenden Funktion nicht aus.

5.4 Auslagerung wesentlicher Geschäftstätigkeiten

Eine eigene Wirtschaftstätigkeit liegt auch dann nicht vor,wenn die wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte,z.B. Anwaltskanzleien oder Managementgesellschaften,übertragen werden (§ 50d Abs. 3 S. 3 EStG).

5.5 Gesellschafterbezogene Prüfung

Soweit keine eigene Wirtschaftstätigkeit ausgeübt wird, istdie sachliche Entlastungsberechtigung gesellschafterbezo-gen eingeschränkt.

6. Wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fürdie Einschaltung der ausländischen Gesellschaft(§ 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG)

Nimmt die ausländische Gesellschaft mit einem für ihrenGeschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbe-trieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil, be-steht ein Anspruch auf Entlastung, soweit die nicht auseiner eigenwirtschaftlichen Tätigkeit stammenden Erträgeaus einem Geschäftsbereich stammen, für den die Ein-schaltung der ausländischen Gesellschaft aus wirtschaft-lichen oder sonst beachtlichen Gründen gerechtfertigt ist.Ein wirtschaftlicher Grund liegt insbesondere dann vor,wenn mit der ausländischen Gesellschaft die Aufnahmeeiner eigenwirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. Tz. 5 geplantist und entsprechende Aktivitäten eindeutig nachgewiesensind.

An einem wirtschaftlichen Grund fehlt es insbesonderedann, wenn die ausländische Gesellschaft überwiegend derSicherung von Inlandsvermögen in Krisenzeiten dient, füreine künftige Erbregelung oder für den Aufbau der Alters-sicherung der Gesellschafter eingesetzt werden soll, vgl.BFH v. 24.2.1976 – VIII R 155/71, BStBl. II 1977, 265.

Als sonst beachtliche Gründe können u.a. rechtliche, poli-tische oder auch religiöse Gründe in Betracht kommen.

Umstände, die sich aus den Verhältnissen des Konzernver-bunds ergeben, wie z.B. Gründe der Koordination, Organi-sation, Aufbau der Kundenbeziehung, Kosten, örtlichePräferenzen, gesamtunternehmerische Konzeption, stellenkeine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe indiesem Sinne dar, vgl. auch Tz. 8.

VerwaltungsanweisungenGmbHR 7/2012 417

Beispiel:

An einer ausländischen Gesellschaft sind zu 100 %nicht entlastungsberechtigte Gesellschafter beteiligt.Die Gesellschaft erzielt zu 80 % Erträge, die nicht auseigener wirtschaftlicher Tätigkeit stammen, wobei für60 % dieser Erträge die Einschaltung der Gesellschaftwirtschaftlich gerechtfertigt ist. Ein für den Geschäfts-zweck angemessen ausgestatteter Geschäftsbetriebliegt vor. Die dem Quellensteuerabzug unterliegendendeutschen Zahlungen sind zu 68 % [= 20 % (eigenwirt-schaftliche Erträge) und 60 % * 80 % (§ 50d Abs. 3Nr. 1 u. 2 EStG)] entlastungsberechtigt.

7. Angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb (§ 50dAbs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG)

Die ausländische Gesellschaft muss im Ansässigkeitsstaatüber einen für ihren Geschäftszweck angemessen einge-richteten Geschäftsbetrieb verfügen (qualifiziertes Perso-nal, Geschäftsräume und technische Kommunikationsmit-tel, BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819[822] = GmbHR 2002, 865 m. Komm. Roser), d.h. ein„greifbares Vorhandensein“ muss nachweisbar sein(EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04, GmbHR 2006, 1049m. Komm. Kleinert). Indizien für ein solches „greifbaresVorhandensein“ liegen vor, wenn

– die Gesellschaft dort für die Ausübung ihrer Tätigkeitständig sowohl geschäftsleitendes als auch anderes Per-sonal beschäftigt,

– das Personal der Gesellschaft über die Qualifikation ver-fügt, um die der Gesellschaft übertragenen Aufgaben ei-genverantwortlich und selbstständig zu erfüllen,

– die Geschäfte zwischen nahe stehenden Personen i.S.d.§ 1 Abs. 2 AStG einem Fremdvergleich (wie unter frem-den Dritten) standhalten.

8. Konzernverhältnisse (§ 50d Abs. 3 S. 2 EStG)Für die Prüfung der in Tz. 6 u. 7 genannten Ausschluss-gründe ist ausschließlich auf die Verhältnisse der ausländi-schen Gesellschaft und nicht auf den Konzernverbund ab-zustellen, deren Teil sie ist. Struktur und Strategiekonzeptedes Konzerns führen deshalb nicht dazu, dass einer funk-tionslosen Konzerngesellschaft Steuerentlastungen ge-währt werden können. Dies gilt u.a. auch in Fällen der Or-ganschaft oder fiskalen Einheit. Eine wirtschaftliche Be-trachtungsweise ist nicht anzuwenden.

9. Sonderfälle (§ 50d Abs. 3 S. 5 EStG)Vom Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG sind nurdie folgenden ausländischen Gesellschaften ausgenom-men:

9.1 Gesellschaften mit börsengehandelten AktienGesellschaften, für deren Hauptgattung der Aktien ein we-sentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkanntenBörse stattfindet, fallen nicht in den Anwendungsbereichvon § 50d Abs. 3 EStG. Der Begriff „anerkannte Börse“bedeutet organisierter Markt i.S.d. § 2 Abs. 5 Wertpapier-handelsgesetz und vergleichbare Märkte mit Sitz außer-halb der Europäischen Union und des Europäischen Wirt-schaftsraumes.

9.2 InvestmentgesellschaftenAusgenommen sind nur ausländische Investmentvermö-gen des Kapitalgesellschaftstyps (d.h. mit einer Invest-mentaktiengesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 5 Investmentgesetzvergleichbare Konstruktionen). Die Vorgabe zur Ermitt-lung der Erträge des Investmentvermögens nach den Re-geln für Überschusseinkünfte (§ 3 Abs. 1 Investments-teuergesetz) führt nicht zur Einstufung der Tätigkeit desInvestmentvermögens als Vermögensverwaltung. Wegender unterschiedlichen aufsichtsrechtlichen Vorgaben imAusland gilt dies auch dann, wenn die Verwaltung des In-vestmentvermögens auf eine besondere Verwaltungsge-sellschaft ausgelagert wird.

Handelt es sich bei der nach einem DBA oder einer EU-Richtlinie persönlich entlastungsberechtigten ausländi-schen Gesellschaft nicht um eine solche i.S.d. § 50d Abs. 3S. 5 EStG (Tz. 9.1 u. 9.2), ist darauf abzustellen, ob eine anihr unmittelbar oder mittelbar beteiligte Gesellschaft einender Tatbestände des § 50d Abs. 3 S. 5 EStG (Tz. 9.1 u. 9.2)erfüllt, sofern diese ebenfalls persönlich entlastungsbe-rechtigt ist. Auch bei einer mittelbar beteiligten Gesell-schaft muss die persönliche Entlastungsberechtigung ge-geben sein.

10. Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zu Miss-brauchsregelungen in den DBA

Der abkommensrechtlich mögliche Entlastungsanspruchsteht grundsätzlich unter dem Vorbehalt der tatbestand-lichen Voraussetzungen von § 50d Abs. 3 EStG (BFH v.17.5.1995 – I B 183/94, BStBl. II 1995, 781). Dies giltnicht in Fällen, in denen das einschlägige DBA eine ab-schließende Regelung enthält (BFH v. 19.12.2007 – I R 21/07, BStBl. II 2008, 619 = GmbHR 2008, 714 [LS]).

11. Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zu § 42 AO§ 50d Abs. 3 EStG ist im Verhältnis zu § 42 AO die spezi-ellere Vorschrift und vorrangig anzuwenden. Liegen dieTatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG nichtvor, ist die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AOzu prüfen, da dessen Anwendbarkeit nicht durch § 50dAbs. 3 EStG oder eine andere gesetzliche Vorschrift ausge-schlossen ist (§ 42 Abs. 2 AO).

12. Höhe des Anspruchs auf SteuerentlastungDie ausländische Gesellschaft hat insoweit einen An-spruch auf Steuerentlastung, als

a) an ihr unmittelbar oder mittelbar persönlich entlas-tungsberechtigte Personen (s. Tz. 4) beteiligt sind oder

b) sie nachweist, dass für die abzugssteuerpflichtigen Ein-künfte eine sachliche Entlastungsberechtigung vorliegt(unschädliche Erträge i.S.d. Tz. 1) oder

c) es sich um einen der in § 50d Abs. 3 S. 5 EStG genann-ten Sonderfälle (s. Tz. 9) handelt.

Sind an der ausländischen Gesellschaft auch nicht entlas-tungsberechtigte Personen beteiligt (zur Prüfung der Ent-lastungsberechtigung, s. Tz. 4) und erbringt sie den ge-nannten Nachweis nicht, ist zur Feststellung der Höhe desSteuerentlastungsanspruchs für jeden Gesellschafter ge-sondert zu prüfen, wie hoch sein Entlastungsanspruch wä-re, wenn er die Einkünfte unmittelbar erzielte (fiktiver Ent-lastungsanspruch). Der Steuerentlastungsanspruch der Ge-sellschaft ergibt sich aus der Summe der fiktiven Entlas-

Verwaltungsanweisungen418 GmbHR 7/2012

tungsansprüche der Gesellschafter, die unmittelbar odermittelbar an der ausländischen Gesellschaft beteiligt sind.

Beispiel:

An einer nach DBA zu 100 % persönlich entlastungs-berechtigten ausländischen Gesellschaft A sind zweiGesellschaften B und C zu 40 % bzw. 60 % beteiligt. Aerzielt zu 70 % schädliche Bruttoerträge. Wirtschaft-liche oder sonst beachtliche Gründe liegen hinsichtlichdieser Erträge nicht vor. 30 % der Bruttoerträge stam-men aus ihrem aktiven Geschäft als Produktions- undVertriebsgesellschaft sowie der Lizenzzahlung einerdeutschen Tochtergesellschaft, die für A den Vertriebder Produkte auf dem deutschen Markt übernommenhat (funktional wirtschaftlicher Zusammenhang der Li-zenzzahlung mit der Produktions- und Vertriebstätig-keit der A). Die Lizenzzahlung unterliegt einer deut-schen Quellensteuer i.H.v. 15 %. Des Weiteren beziehtdie A eine dem Kapitalertragsteuerabzug von 25 % un-terliegende Dividende.

An der nach DBA persönlich entlastungsberechtigtenGesellschaft B, die ausschließlich schädliche Bruttoer-träge erzielt, sind die persönlich nicht entlastungsbe-rechtigte natürliche Person D und die entlastungsbe-rechtigte börsennotierte AG zu je 50 % beteiligt.

An der Gesellschaft C, deren Erträge zu 20 % dem un-schädlichen und zu 80 % dem schädlichen Bereich zu-gerechnet werden, sind die natürlichen Personen E undF zu je 50 % beteiligt, die nach DBA eine Ermäßigungder Quellensteuer auf 15 % beanspruchen könnten. DieGesellschaft C selbst könnte nach DBA eine Ermäßi-gung der Quellensteuer auf 5 % beanspruchen.

Eine Entlastungsberechtigung hinsichtlich der abzug-steuerpflichtigen Einkünfte (Lizenz- und Dividenden-zahlung) ergibt sich wie folgt:

1. Sachliche Entlastungsberechtigung aufgrund eigen-wirtschaftlicher Bruttoerträge der A

Die abzugsteuerpflichtigen Einkünfte sind zu 30 % entlas-tungsberechtigt, da sich aus dem Verhältnis der im betref-fenden Wirtschaftsjahr erzielten eigenwirtschaftlichenBruttoerträge zu den Gesamtbruttoerträgen eine auf die ab-zugsteuerpflichtigen Einkünfte anzuwendende Quote von30 (unschädliche Erträge) zu 70 (schädliche Erträge) ergibt.

2. Persönliche Entlastungsberechtigung der Gesellschaft A

70 % der abzugssteuerpflichtigen Einkünfte sind insoweitentlastungsberechtigt, als entlastungsberechtigte Gesell-schafter (s. Tz. 4) vorhanden sind:

– B ist zwar persönlich entlastungsberechtigt, erzielt aberausschließlich schädliche Erträge. Daher ist der fiktiveEntlastungsanspruch der an B beteiligten Gesellschaftermaßgeblich. Die mittelbar zu 50 % beteiligte börsenno-tierte AG ist vollumfänglich entlastungsberechtigt (s.Tz. 4.2); D ist jedoch persönlich nicht entlastungsbe-rechtigt. A kann insoweit eine Entlastung von 14 % (=40 % x 50 % x 70 %) gewährt werden. C ist zwar per-sönlich entlastungsberechtigt, aber erzielt zu 80 %schädliche Erträge. Insoweit ist der fiktive Entlastung-sanspruch der an C beteiligten Gesellschafter E und Fmaßgeblich. Da sowohl E als auch F persönlich entlas-tungsberechtigt sind, beträgt der Entlastungsanspruch48 % (= 80 % x 60 %), der aber wegen der Reduktionder Quellensteuer auf 15 % um 15/25 (= 15 % von 25 %Abzugssteuer) eingeschränkt ist. Von dem Entlastung-sanspruch i.H.v. 48 % werden deshalb nur 19,2 % ge-währt (= 10/25 x 48 %). In Bezug auf den Anteil derschädlichen Erträge der A (70 %) ergibt sich somit einEntlastungsanspruch von 13,44 % (= 19,2 % x 70 %).

– Hinsichtlich der unschädlichen übrigen 20 % ist C per-sönlich entlastungsberechtigt und deshalb ein Rückgriffauf die an ihr beteiligten Gesellschafter nicht notwen-dig. Für A ergibt sich ein Entlastungsanspruch i.H.v.12 % (= 20 % x 60 %), der wegen der Reduktion derQuellensteuer auf 5 % um 1/5 (= 5 % von 25 % Abzugs-steuer) eingeschränkt ist. Von dem Entlastungsanspruchi.H.v. 12 % werden deshalb nur 9,6 % gewährt (= 4/5 x12 %). In Bezug auf den Anteil der schädlichen Brutto-erträge der A (70 %) ergibt sich somit ein Entlastung-sanspruch von 6,72 % (= 9,6 % x 70 %) der Quellen-steuer für die Dividendenzahlung und von 5,6 % (= 8 %x 70 %) für die Lizenzzahlung.

3. Insgesamt ergibt sich für die Quellensteuer auf die Divi-denden- und Lizenzzahlung eine Entlastungsberechtigungi.H.v. 64,16 % (= 30 % + 14 % + 13,44 % + 6,72 %) sowiefür die abzugssteuerpflichtige Lizenzzahlung eine Entlas-tungsberechtigung i.H.v. 49,6 % (= 30 % + 14 % + 5,6 %).

13. FeststellungslastDie Feststellungslast hinsichtlich des Nichtvorliegens derTatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 u.2 EStG liegt bei der ausländischen Gesellschaft. Aufgrundder bei Auslandssachverhalten gebotenen erhöhten Mit-wirkungspflicht (§ 90 Abs. 2 AO) obliegt der ausländi-schen Gesellschaft die Feststellungslast für weitere Entlas-tungsmöglichkeiten (persönlich entlastungsberechtigteGesellschafter oder Bruttoerträge aus eigener Wirtschafts-tätigkeit).

14. FreistellungsbescheinigungFreistellungsbescheinigungen nach § 50d Abs. 2 EStGsind grundsätzlich unter dem Vorbehalt des Widerrufs zuerteilen. Die ausländische Gesellschaft ist in der Beschei-nigung darauf hinzuweisen, dass sie den teilweisen odervollständigen Wegfall der Voraussetzungen für die Frei-stellung dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) unver-züglich mitzuteilen hat; § 50d Abs. 2 S. 4 letzter Halbs.EStG ist entsprechend anzuwenden, i.Ü. s. die de minimisRegelungen in Tz. 15. Ergänzend wird auf die sich aus derAbgabenordnung ergebenden allgemeinen Grundsätze zurBerichtigung von Erklärungen (vgl. § 153 AO) hingewie-sen.

VerwaltungsanweisungenGmbHR 7/2012 419

15. De minimis RegelungenDie ausländische Gesellschaft hat den teilweisen oder voll-ständigen Wegfall der Entlastungsberechtigung i.S.d.§ 50d Abs. 3 EStG für die Freistellung dem BZSt unver-züglich mitzuteilen. Dies gilt nicht, wenn

– sich das bei Erteilung der Freistellungsbescheinigungzugrunde gelegte Verhältnis der Bruttoerträge aus eigen-wirtschaftlicher Tätigkeit zu den gesamten Bruttoerträ-gen um weniger als 30 %-Punkte verringert oder

– sich ein Gesellschafteranteil (bei unmittelbarer odermittelbarer Beteiligung) um weniger als 20 %-Punkteändert.

Sofern die gesetzlich/abkommensrechtlich vorgeschriebe-nen Mindestbeteiligungshöhen unterschritten werden, istdies dem BZSt ebenfalls unverzüglich mitzuteilen.

In den Fällen, in denen nach den de minimis Regelungenkeine Mitteilungspflicht besteht, kann eine Neuberech-nung des prozentualen Anteils der entlastungsberechtigtenErträge unterbleiben.

16. Erstmalige Anwendung§ 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des Gesetzes v. 7.12.2011 ist erst-mals ab 1.1.2012 anzuwenden sowie für alle vorangegan-genen Zeiträume, soweit Steuerbescheide oder Freistel-lungsbescheinigungen noch nicht bestandskräftig sind unddiese Regelung zu einer günstigeren Entlastungsberechti-gung führt.

Dieses Schreiben ersetzt die BMF-Schr. v. 3.4.2007 – IV B1 - S 2411/07/0002 – DOK 2007/0115524, BStBl. I 2007,446 = GmbHR 2007, 613 und v. 21.6.2010 – IV B 5 - S2411/07/10016: 005 – DOK 2010/0374057, BStBl. I 2010,596 = GmbHR 2010, 840.

Dieses Schreiben wird im BStBl. I veröffentlicht [inzwi-schen erfolgt in BStBl. I 2012, 171]. Die jeweils aktuelleFassung der Antragsvordrucke ist der Internetseite desBZSt zu entnehmen. ...

Anm. der Redaktion: S. hierzu den Beitrag von Wiese,GmbHR 2012, 376 ff. – in dieser Ausgabe.

Doppelbesteuerung: Finale Entnahme und finaleBetriebsaufgabe; BFH-Urteile vom 17.7.2008 – I R77/06 und vom 28.10.2009 – I R 99/08

BMF, Schr. v. 18.11.2011 – IV C 6 - S 2134/10/10004 – DOK2011/0802578

Mit Urt. v. 28.10.2009 – I R 99/08, BStBl. II 2011, 1019 =GmbHR 2010, 219 hat der BFH – abweichend von seiner

jahrzehntelangen Rechtsprechung – entschieden, dass dieVerlegung des Betriebs in das Ausland nicht zur Annahmeeiner (fiktiven) Betriebsaufgabe führt. Die Aufgabe derRechtsprechung zur „Theorie der finalen Betriebsaufgabe“steht im Zusammenhang mit dem Urt. v. 17.7.2008 – I R77/06, BStBl. II 2009, 464 = GmbHR 2009, 48 m. Komm.W. Meilicke, nach dem die Überführung (Entnahme) vonEinzelwirtschaftsgütern aus dem inländischen Betrieb desSteuerpflichtigen in die ausländische Betriebsstätte imZeitpunkt der Überführung (Entnahme) nicht zur Aufde-ckung der stillen Reserven führt, wenn der Gewinn derausländischen Betriebsstätte aufgrund eines DBA nicht derinländischen Besteuerung unterliegt.

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden derLänder nehme ich hierzu wie folgt Stellung:

1. Gesetzliche Anpassung im Jahressteuergesetz 2010Durch das Jahressteuergesetz 2010 (BGBl. I 2010,1768 ff.) wurde in § 52 Abs. 8b S. 2 ff. i.V.m. § 4 Abs. 1S. 3 EStG, in § 52 Abs. 34 S. 5 i.V.m. § 16 Abs. 3a EStGund in § 34 Abs. 8 S. 3 ff. i.V.m. § 12 Abs. 1 KStG die jahr-zehntelange BFH-Rechtsprechung und Verwaltungspraxiszur finalen Entnahme und zur finalen Betriebsaufgabe fürSachverhalte vor Inkrafttreten des Gesetzes über steuer-liche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäi-schen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrecht-licher Vorschriften (SEStEG) v. 7.12.2006 (BGBl. I 2006,2782 ff., ber. BGBl. I 2007, 68) gesetzlich festgeschrieben.

Durch diese gesetzlichen Anpassungen sind die Grundsät-ze des Urt. des BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06 und des Urt.des BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08 auf die entschiedenenEinzelfälle beschränkt. In den Fällen des § 4 Abs. 1 S. 3EStG und des § 12 Abs. 1 KStG bleibt die bisherige Billig-keitsregelung in Tz. 2.6 des BMF-Schr. v. 24.12.1999 – IVB 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 (sog. Betriebs-stätten-Verwaltungsgrundsätze) für Wirtschaftsjahre, dievor dem 1.1.2006 enden, weiterhin anwendbar. Für Fälledes § 16 Abs. 3a EStG in Wirtschaftsjahren, die vor dem1.1.2006 enden, findet § 36 Abs. 5 EStG bereits Anwen-dung (vgl. § 52 Abs. 50d S. 3 EStG).

Die Rechtslage für Sachverhalte ab Inkrafttreten des Ge-setzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführungder Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterersteuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) v. 7.12.2006(BGBl. I 2006, 2782 ff., ber. BGBl. I 2007, 68) wird durchdie genannte BFH-Rechtsprechung nicht berührt.

2. AnwendungsregelungDieses Schreiben gilt in allen offenen Fällen und wird imBStBl. I veröffentlicht [inzwischen erfolgt in BStBl. I 2011,1278]. ...

Verwaltungsanweisungen420 GmbHR 7/2012

selbständige wirtschaftliche Tätigkeit dauerhaft fortführenkönne. Mit Urt. v. 18.1.2012 – XI R 27/08 setzt der BFH die Vor-lageentscheidung in eine Endentscheidung um. Entschei-dend ist, ob im Rahmen einer Gesamtwürdigung festgestelltwerden kann, dass der Erwerber den Willen hat, das Unter-nehmen fortzuführen, wenn das übertragene Vermögen oh-ne das zurückbehaltene Wirtschaftsgut ausreicht, um die Ge-schäftstätigkeit fortzuführen. Die Entscheidung hat großepraktische Auswirkungen für den Einstieg in Betriebsaufspal-tungssachverhalte, wenn Grundstücke als wesentliche Be-triebsgrundlage zurückbehalten werden sollen.

Aktuelle Entwicklungen beim VorsteuerabzugIn zeitgleich veröffentlichten Entscheidungen hat sich derBFH mit den Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs bei Hol-dinggesellschaften (BFH v. 9.2.2012 – V R 40/10) und mit demVorsteuerabzug aus Strafverteidigungskosten (BFH v.22.12.2011 – V R 29/10) befasst.

I. Hälftiger Vorsteuerabzug für Holdinggesellschaften

Der Anspruch auf Vorsteuerabzug bei Holdinggesellschaftenwar seit Jahren im Streit. Im Ausgangspunkt ist das Haltenvon Beteiligungen keine wirtschaftliche Tätigkeit und unter-liegt deshalb nicht der Umsatzsteuer. Folglich stellte sich dieFrage, in welchem Umfang die Vorsteuer aus den Gemein-kosten auf diese nicht wirtschaftliche Tätigkeit entfällt unddeshalb (teilweise) nicht abzugsfähig ist. Holdinggesellschaf-ten, die neben dem Halten von Beteiligungen auch entgelt-liche Dienstleistungen erbringen, gingen gleichwohl davonaus, zum uneingeschränkten Vorsteuerabzug berechtigt zusein. Durch Urt. v. 9.2.2012 – V R 40/10 hat der BFH hierzu ent-schieden, dass eine Holdinggesellschaft, deren Hauptzweckdas Halten von Beteiligungen ist und die entgeltliche Leistun-gen nur als Nebenzweck erbringt, höchstens zum hälftigenVorsteuerabzug aus den in Rechnung gestellten Gemein-kosten berechtigt sein kann. Der Streitfall betraf eine Holding-gesellschaft, die über einen umfangreichen Beteiligungsbe-sitz verfügte und daneben auch entgeltliche Dienstleistun-gen erbrachte. Das Finanzamt hatte der Holding einen Vor-steuerabzug von 75% aus den Gemeinkosten zugebilligt.Die Klage, mit der die Holding den vollen Vorsteuerabzug be-gehrte, hatte keinen Erfolg.

2. Vorlagebeschluss: Vorsteuerabzug aus Strafverteidi-

gerkosten

Mit Beschl. v. 22.12.2011 – V R 29/10 hat der BFH beim EuGHangefragt, ob ein Unternehmen, dessen Inhaber und Mitar-beiter sich zur Erlangung von Aufträgen möglicherweise we-gen Bestechung oder Vorteilsgewährung strafbar gemachthaben, aus den zur Abwehr dieser Vorwürfe angefallenenStrafverteidigungskosten zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.Hierfür verlangt §15 Abs.1 UStG, dass Eingangsleistungenfür das Unternehmen bezogen werden, was erfordert, dassdie Eingangsleistungen im direkten und unmittelbaren Zu-sammenhang mit steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen ste-hen. Für den Vorsteuerabzug spricht, dass die möglicherwei-se strafbaren Handlungen dazu dienten, die steuerpflichtige

Umsatztätigkeit des Unternehmens für die Zukunft zu fördern,um die Teilnahmemöglichkeit der GmbH an öffentlichenAusschreibungen zu erhalten. Problematisch sei –so derBFH–, dass die Leistungen der Strafverteidiger unmittelbarnur den persönlichen Interessen der Beschuldigten dienten.Das Interesse des Unternehmens an der Straffreiheit seinesInhabers und seiner Mitarbeiter könne dann als nur mittelba-rer Zusammenhang für den Vorsteuerabzug unbeachtlichsein. Geklärt werden soll auch, wer bei einer Beauftragungdurch mehrere Auftraggeber (hier: Beschuldigter und GmbH)zum Vorsteuerabzug berechtigt sei und ob der Vorsteuerab-zug unter Umständen nur hälftig beansprucht werden könne.

Arbeits- & SozialrechtClaudia Kothe-Heggemann, Fachanwältin für Arbeitsrecht,Ulrich Weber & Partner GbR, Köln

Schadenersatz wegen GehaltseinbußenDas BAG hatte sich in seiner Entscheidung v. 16.2.2012 – 8AZR 98/11 mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Pflicht desArbeitgebers besteht, seine Organisationsgewalt so auszu-üben, dass die Höhe des erfolgsabhängigen variablen Ent-gelts einzelner Mitarbeiter sich nicht verändert.

Im zu entscheidenden Fall vertreibt die Beklagte Versiche-rungsleistungen, wobei sie im Zielgruppenvertrieb mit demVerein „B“ zusammenarbeitet. In diesem Bereich ist der Klä-ger angestellter Versicherungsvertreter. Die für den Verein „B“tätigen Werber werden ebenso als sog. „Beauftragte“ für dieBeklagte aktiv und versuchen, mit den Mitgliedern des Verein„B“ ein Beratungsgespräch über Versicherungen zu verein-baren, was dann von den „Beratern“ der Beklagten durchge-führt wird. Die Berater werden mit Provisionen entlohnt, wobeiein bestimmtes Fixum von der Beklagten garantiert wird. Zu-nächst war der Kläger als Berater tätig und leitete dann alsGruppenleiter mehrere Beauftragte sowie schließlich als Ver-triebsleiter mehrere Berater an. Dabei überstieg das erfolgs-abhängige variable Entgelt des Klägers das vertraglich ga-rantierte Fixum immer um ein Vielfaches. Zwischen den Jah-ren 2003 bis 2008 nahm im Bereich „B“ die Zahl der Beauf-tragten um etwa 60% ab. Der Kläger verlangte nun Schaden-ersatz wegen Gehaltseinbußen in den Jahren 2006 bis 2008von der Beklagten. Er machte geltend, die Beklagte habeschuldhaft die Zahl der Beauftragten reduziert, wodurch dieBeratungstermine zurückgegangen seien. Die Beklagte seiverpflichtet gewesen, eine ausreichende Zahl von Beraternund Beratungsterminen zur Verfügung zu stellen.

Die Klage vor dem BAG hatte, wie in den Vorinstanzen, kei-nen Erfolg. Tatsächlich sei die zwischen den Parteien getroffe-ne Entgeltvereinbarung unter keinem rechtlichen Gesichts-punkt zu beanstanden. Es entspreche dem Wesen eines va-riablen Entgeltbestandteiles, in der Höhe von Einflüssen desMarkts, der Vertriebsorganisation des Arbeitgebers oder sol-chen, die von der Person des Arbeitnehmers ausgingen, ab-

7/2012 R93

hängig zu sein. Aufgrund dessen bestehe grundsätzlich kei-ne Pflicht des Arbeitgebers, soweit die vertraglich vereinbarteAufgabe nicht verändert werde, seine Organisation so vorzu-halten, dass die erfolgsabhängig Vergüteten ein maximalesvariables Entgelt erzielten. Sofern dies gewünscht sei, bedür-fe dies einer gesonderten vertraglichen Vereinbarung. Im zuentscheidenden Fall war zusätzlich noch zu beachten, dassein Gebiets- oder Kundenschutz arbeitsvertraglich ausge-schlossen worden war und sich die Beklagte selbst bei Über-tragung der vorgesehenen Funktionen vorbehalten hatte, dieZahl der unterstellten Beauftragten oder Berater jederzeit ver-ändern zu können.

Frage nach der Schwerbehinderung imbestehenden ArbeitsverhältnisDas BAG hatte in seiner Entscheidung v. 16.2.2012 – 6 AZR553/10 darüber zu urteilen, ob die Frage nach einer Schwer-behinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis als rechtmä-ßig anzusehen ist.

Im zu entscheidenden Fall bestand zwischen dem mit einemGrad der Behinderung von 60 schwerbehinderten Kläger inder Zeit vom 1.11.2007 bis zum 31.10.2009 ein befristetes Ar-beitsverhältnis. Der Beklagte wurde am 8.1.2009 zum vorläufi-gen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Arbeitgeberindes Klägers bestellt. Im Rahmen des Insolvenzeröffnungsver-fahrens legte der Beklagte dem Kläger einen Fragebogen zurVervollständigung bzw. Überprüfung der bestehenden Datenvor. Insbesondere bat er um Mitteilung, ob eine Schwerbehin-derung bzw. Gleichstellung mit einem Schwerbehindertenbei dem Kläger gegeben sei. Die Frage zur Schwerbehinde-rung bzw. zur Gleichstellung mit einem Schwerbehindertenverneinte der Kläger. Der Beklagte kündigte als Insolvenzver-walter am 26.5.2009 dem Kläger zum 30.6.2009 nach Eröff-nung des Insolvenzverfahrens den Arbeitsvertrag. Im Rah-men seiner Kündigungsschutzklageschrift vom 9.6.2009 teil-te der Kläger seine Schwerbehinderung mit und machte gel-tend, dass die Kündigung vom 26.5.2009 unwirksam sei, dadas Integrationsamt ihr nicht zugestimmt habe. Entgegen derEntscheidung des ArbG wies das LAG die Klage ab undmeinte, der Kläger könne sich auf den Kündigungsschutz fürSchwerbehinderte nicht berufen, da er die Frage nach derSchwerbehinderung wahrheitswidrig verneint habe.

Das BAG folgte dem LAG und führte aus, dass die Fragenach der Schwerbehinderung im Vorfeld einer vom Arbeitge-ber beabsichtigten Kündigung im Zusammenhang mit derPflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderungendes §1 Abs.3 KSchG, der die Berücksichtigung der Schwer-behinderung bei der Sozialauswahl verlange sowie durchden Sonderkündigungsschutz nach §85 SGBIX, wonacheine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integra-tionsamtes bedürfe, stehe. Die Frage nach der Schwerbehin-derung solle es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich rechts-treu zu verhalten. Durch die Frage werde der behinderte Ar-beitnehmer nicht gegenüber solchen ohne Behinderungdiskriminiert. Zudem stünden auch datenschutzrechtlicheBelange der Zulässigkeit dieser Frage nicht entgegen. Daher

sei es dem Kläger wegen der wahrheitswidrigen Beantwor-tung der ihm rechtmäßig gestellten Frage nach seinerSchwerbehinderung unter dem Gesichtspunkt widersprüch-lichen Verhaltens verwehrt, sich im Kündigungsschutzpro-zess auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.Mithin ist im bestehenden Arbeitsverhältnis, jedenfalls nachsechs Monaten, also nach dem Erwerb des Sonderkündi-gungsschutzes für behinderte Menschen (§90 Abs.1 Nr.1SGBIX), die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehin-derung als zulässig anzusehen. Dies insbesondere zur Vor-bereitung von beabsichtigten Kündigungen.

Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung desbei Mutterschutz weitergezahlten Arbeits-entgeltsDie klagende Arbeitgeberin, eine AG, zahlte ihrer privat kran-ken- und pflegeversicherten Arbeitnehmerin während derMutterschutzfrist vom 29.3. bis 5.7.2007 einen Zuschuss zumMutterschaftsgeld i.H.v. 14.124,04a entsprechend dem bis-herigen regelmäßigen Einkommen abzüglich des geleiste-ten Mutterschaftsgelds. Die für die Arbeitnehmerin zuständi-ge Krankenkasse übertrug dem beklagten BKK-Landesver-band (BKK-LV) durch Satzungsregelung u.a. die Durchfüh-rung des diesbezüglichen Aufwendungsausgleichs (U2-Ver-fahren). Der BKK-LV erstattete der AG lediglich insgesamt9.788,13a: Für die Berechnung des Zuschusses sei nach §8Abs.3 seiner Satzung nur das jeweilige Bruttoarbeitsentgeltbis zur Höhe der in der gesetzlichen Rentenversicherung gel-tenden Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen. DasSG München hat den BKK-LV antragsgemäß verurteilt, weite-re 3.622,05a zu zahlen. Die Begrenzung der Erstattungshöhein der Satzung sei nichtig. Sie sei von der Ermächtigungs-grundlage des §9 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG)nicht gedeckt. Eine erweiternde Auslegung der Ermächti-gungsnorm komme angesichts des durch das BVerfG be-stätigten Schutzauftrags zur Vermeidung möglicher fakti-scher Diskriminierungen von Frauen nicht in Betracht.

Die vom SG zugelassenen Sprungrevision des BKK-LV istnach dem Urt. des BSG v. 13.12.2011 – B 1 KR 7/11R erfolg-los geblieben. Die Vorinstanz hat den BKK-LV zutreffend verur-teilt, der AG den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in vollemUmfang zu erstatten. Gemäß §1 Abs.2 Nr.1 AAG i.V.m. §6Nr.1 Satzung ist der BKK-LV verpflichtet, den ausgleichsbe-rechtigten Arbeitgebern für Aufwendungen aus Anlass derMutterschaft 100v.H. des gezahlten Zuschusses zum Mutter-schaftsgeld zu erstatten. Die in §8 Abs.3 Satzung vorgesehe-ne Regelung zur Berechnung des Zuschusses zum Mutter-schaftsgeld nach einem Bruttoarbeitsentgelt maximal bis zurHöhe der in der Rentenversicherung geltenden Beitragsbe-messungsgrenze ist mit höherrangigem Recht unvereinbarund (teil-)nichtig. §9 Abs.2 AGG erlaubt keine über den Rege-lungsgehalt des §1 Abs.2 Nr.1 AAG hinausgehende, deneinzelnen Krankenkassen zur freien Ausgestaltung überlas-sene Beschränkung der Erstattung. Die Teilnichtigkeit führtnicht zur Gesamtnichtigkeit der Satzung, sondern zur Erstat-tung des Zuschusses in vollem Umfang i.S.d. §1 Abs.2 Nr.1

7/2012 R94

AAG. Die Begrenzung nach §8 Abs.3 Satzung betrifft einenrechtlich abtrennbaren Teil der Erstattungsregelung, der un-abhängig von der sonstigen Satzungsregelung Bestand ha-ben kann. Die von Gesetzes wegen höheren Erstattungensind auf die am Ausgleichsverfahren beteiligten Arbeitgeberumzulegen. Mögliche Äquivalenzstörungen im Verhältnisvon Leistung und Umlageaufkommen können in Streitigkei-ten über die Höhe der Mittelaufbringung geltend gemachtwerden.

Europa-PraxisJochen Clausnitzer, Rechtsanwalt,Bundesverband Direktvertrieb Deutschland (BDD), Berlin

Doppelte Nichtbesteuerung – KonsultationeingeleitetAm 29.2.2012 hat die EU-Kommission eine“öffentliche Kon-sultation“ zur doppelten Nichtbesteuerung eingeleitet. Dabeigeht es um die Nichtbesteuerung einiger Einnahmen vonSteuerpflichtigen, die in mehreren EU-Staaten aktiv sind. DieSteuersysteme der EU-Mitgliedstaaten funktionieren unter-schiedlich. Dadurch entstehen in seltenen AusnahmefällenBesteuerungslücken, die dann zu einer sog. doppeltenNichtbesteuerung führen. Mit ihrer Konsultation will die EU-Kommission sich einen Überblick über Fallgestaltungen zurdoppelten Nichtbesteuerung und über ihre finanziellen Aus-wirkungen verschaffen. Die von Steuerkommissar AlgirdasSemeta gestartete Umfrage läuft bis zum 30.5.2012 und sollbis Ende 2012 zu konkreten Gesetzgebungsvorschlägenführen. Gerechtigkeit sei das oberste Gebot der Steuerpolitik,so Algirdas Semeta. Eine doppelte Nichtbesteuerung unter-grabe die faire Lastenteilung und gebe Unternehmen, die sieausnutzten, einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil. DieÖffentlichkeit soll im Rahmen der Konsultation konkrete Bei-spiele für Fälle doppelter Nichtbesteuerung bei grenzüber-schreitenden Aktivitäten zu berichten. Die Konsultation betrifftdirekte Steuern wie Körperschaftsteuern, ausländische Er-tragsteuern, Kapitalertragsteuern, Quellensteuern, Erbschaft-steuern und Schenkungsteuern. Als Lösungsmöglichkeitenwerden legislative Ansätze, verbesserte Informationsmaß-nahmen oder Regeln für verantwortungsvolles Handeln imSteuerbereich (good governance) vorgeschlagen. Aus Unter-nehmenssicht ist besonders wichtig, dass nationale Steuer-regime, die den Unternehmen Anreize setzen sollen –z.B. diesteuerliche Forschungsförderung durch eine patent box oderdie Gleichstellung der Eigenkapitalfinanzierung durch diesog. notional interest deduction– nicht als „Nichtbesteue-rung“ eingestuft wird. Denn dann würden den Unternehmenabsichtlich gewährte Vorteile genommen werden und zueinem Wettbewerbsnachteil gegenüber lokalen Unterneh-men führen.

Georg Geberth, Siemens, München

Europäische Stiftung: Kommissionveröffentlicht VerordnungsvorschlagDie Europäische Kommission hat am 8.2.2012 einen Vor-schlag für das Statut einer Europäischen Stiftung vorgelegt(KOM[2012]35). Damit soll es Stiftungen leichter gemachtwerden, unionsweit gemeinnützige Tätigkeiten zu fördern.Ziel des Vorschlags ist die Schaffung einer einheitlichen euro-päischen Rechtsform –einer „Europäischen Stiftung“– die inallen Mitgliedstaaten grundsätzlich gleich wäre. Sie würdeneben inländischen Stiftungen als freiwillige Alternative be-stehen. Jede Europäische Stiftung soll ihre Gemeinnützigkeitund ihre grenzüberschreitende Tätigkeit nachweisen müs-sen und über ein Stiftungskapital von mindestens 25.000averfügen. Gegründet werden könnte eine Europäische Stif-tung dem Kommissionsvorschlag nach durch Umwandlungeiner nationalen Stiftung in eine Europäische Stiftung oderdurch die Verschmelzung nationaler Stiftungen. EuropäischeStiftungen unterliegen nach dem Verordnungsentwurf demgleichen nationalen Steuerrecht wie rein inländische Stiftun-gen. Spender hätten damit Anspruch auf dieselben Steuer-vorteile wie bei einer Spende an eine Stiftung mit Sitz in ihremeigenen Mitgliedstaat. Mit dem Statut sollen Europäische Stif-tungen ein europäisches Gütesiegel erhalten, das ihnen An-sehen verleiht und Zeichen ihrer Glaubwürdigkeit ist. Euro-päische Stiftungen werden in allen Mitgliedstaaten Rechts-persönlichkeit haben und handlungsfähig sein. Auf derGrundlage des neuen Status, das sicherstellt, dass unions-weit für die Europäische Stiftung die gleichen Regeln gelten,haben sie die Möglichkeit, innerhalb der EU leichter und kos-tengünstiger ihrer Tätigkeit nachzukommen und Gelder zutransferieren. Der Verordnungsentwurf basiert auf den Ergeb-nissen einer im Jahr 2009 durchgeführten Konsultation.

Jochen Clausnitzer

Europäische Kommission lässt ACTA-Abkommen überprüfenAm 26.1.2012 unterzeichneten 22 Vertreter von EU-Staatenund Vertreter der EU-Kommission in Tokio das Handelsab-kommen zur Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie(sog. ACTA-Abkommen). Im Dezember 2011 hatte der EU-Mi-nisterrat das Abkommen bereits inhaltlich akzeptiert und denWeg für die Unterzeichnung des ACTA-Abkommens frei ge-macht. Das zwischenstaatliche Abkommen zwischen denMitgliedstaaten der EU, den USA, Japan, Australien, Schweiz,Korea, Singapur, Mexiko, Kanada und weiteren Staaten solldie Durchsetzung von Urheber- und Markenrechten verbes-sern. Die Bundesregierung hat aufgrund anhaltender Prozes-se die Unterzeichnung noch nicht vorgenommen. Damit dasumstrittene Abkommen in Kraft treten kann, muss es von denbeteiligten Staaten und vom Europäischen Parlament ratifi-ziert werden. Am 22.2.2012 überwies die Europäische Kom-mission das Abkommen zunächst zur Begutachtung an denEuropäischen Gerichtshof in Luxemburg. Die EuropäischeKommission interessiert vor allem die Frage, ob das interna-tionale Abkommen gegen die EU-Grundrechtscharta ver-

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stößt. Geprüft werden soll u.a. ein Verstoß gegen das Rechtauf freie Meinungsäußerung bzw. das Recht auf geistiges Ei-gentum.

Jochen Clausnitzer

Rechtsprechungsstatistik: Taktzahl bei deneuropäischen Gerichten nimmt zuImmer mehr Rechtssachen werden auf europäischer Ebeneentschieden. So war 2011 erneut ein Rekordjahr der Gerichteder Europäischen Union. Trotz gestiegener Produktivitätkonnte von den Gerichten der Anstieg eingegangenerRechtssachen nicht aufgefangen werden. Im Jahr 2011 gin-gen beim Europäischen Gerichtshof 688 neue Rechtssa-chen ein (gegenüber 631 Neueingänge im Jahr 2010). Auchdie Anzahl der Entscheidungen nahm im Vergleich zum Vor-jahr um mehr als 10% zu: Im Jahr 2011 hat der EuropäischeGerichtshof 638 Rechtssachen abgeschlossen (2010 wur-den 574 Rechtssachen erledigt). Auch das Gericht der Euro-päischen Union stellt neue Rekorde auf. Die Summe der 722neu eingegangenen Rechtssachen stieg um fast 15% ge-genüber dem Jahr 2010 (636 neue Rechtssachen. Mit eineneinem Plus von 35% stieg die Zahl erledigter Rechtssachenbeim Gericht der Europäischen Union auf 714 (gegenüber527 im Jahr 2010), zu denen 52 Verfahren des vorläufigenRechtsschutzes hinzukamen. Als Grund für die gesteigerteProduktivität gibt die Pressestelle der europäischen Gerichtedie vom Gericht umgesetzten tiefgreifenden Reformen an.

Jochen Clausnitzer

Wirtschafts-PraxisMarianne Gajo, Dipl.-Verw. Wiss., Spaichingen

Rückläufige Entwicklung von Innovationen imMittelstandDie Abteilung Volkswirtschaft der KfW-Bankengruppe hat inihrer Publikation Akzente die Entwicklung der Marktneuhei-ten im Mittelstand nachgezeichnet. Die Ergebnisse der Un-tersuchung basieren auf Daten des KfW-Mittelstandspanelsaus den Jahren 2000 bis 2010. Die Daten haben gezeigt,dass sich die Finanz- und Wirtschaftskrise negativ auf die In-novationstätigkeit ausgewirkt hat. Die Innovatorenquote, alsoder Anteil der Unternehmen, der in den zurückliegenden dreiJahren Innovationen eingeführt hat, ist vom Höchststand imZeitraum 2004/06 von 43% bis 2007/09 auf 29% gesunken.Mit der konjunkturellen Erholung stieg dieser Anteil leicht auf32%.

Entwicklung von Innovationskennziffern im Mittelstand

Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, AkzenteNr.54, Dezember 2011.

Die Entwicklung der Innovatorenquote wird im Wesentlichenvon den Produktinnovatoren bestimmt. Der Anteil der Produkt-innovatoren ist im Zeitraum 2004/06 um 19% von 31% auf37% gestiegen. Danach wurde die Einführung von Produkt-

innovationen zurückgefahren. Bis zum Dreijahreszeitraum2007/09 fiel der Anteil der Produktinnovatoren um 35% auf24% ab. 2008/10 legte der Produktinnovatorenanteil wiederleicht zu auf 26%. Beim Anteil der Prozessinnovatoren war zuBeginn des Beobachtungszeitraums lediglich ein geringfügi-ger Anstieg zu verzeichnen und auch zwischen 2004/06 und2007/09 fiel der Rückgang mit fünf Prozentpunkten (–25%)geringer aus als bei den Produktinnovatoren.

Bei der Untersuchung wurde auch unterschieden zwischenimitierenden Produktinnovationen und Marktneuheiten, alsooriginären Produktinnovationen. Dabei zeigte sich, dass nurvon einem kleinen Teil der mittelständischen Unternehmenechte Innovationen hervorgebracht wurden. Lediglich jedes14. mittelständische Unternehmen führte im Durchschnittüber den gesamten Beobachtungszeitraum neue Produkteund Dienstleistungen ein, die noch von keinem Wettbewer-ber angeboten wurden, während imitierende Produktinnova-tionen von rund jedem vierten Mittelständler auf den Marktgebracht wurden. Der Anteil der imitierenden Produktinnova-toren nahm von 2000/02 bis 2004/06 zunächst um 35% zu,um danach bis 2007/09 wieder um 42% zu sinken. In derkonjunkturellen Erholung zeigte sich mit einem Anstieg umvier Prozentpunkte bzw. 22% die starke Konjunkturabhängig-keit imitierender Produktinnovationen. Dagegen sind für dieEntwicklung von Marktneuheiten in der Regel längerfristigeEntwicklungsphasen notwendig. Entsprechend zeigte sichfür den Anteil der Unternehmen, die Marktneuheiten einführ-ten, keine ausgeprägte Konjunkturabhängigkeit. Stattdessennahm die Quote der originären Produktinnovatoren über dengesamten Beobachtungszeitraum von 8% auf 4% ab. DerAnteil mittelständischer Unternehmen, die Marktneuheitenhervorbrachten, hat sich somit innerhalb von 10 Jahren hal-biert.

Die Betrachtung nach Wirtschaftszweigen zeigte, dass sichdas Hervorbringen von Marktneuheiten zunehmend auf Un-ternehmen des forschungsintensiven Verarbeitenden Ge-werbes konzentriert hat. Während in diesen Wirtschaftszwei-gen der Anteil der Unternehmen mit Marktneuheiten von12% im Zeitraum 2006/08 auf 18% im Zeitraum 2008/10 ge-steigert werden konnte, sind im Dienstleistungssektor sowiein den weniger forschungsintensiven Wirtschaftszweigendes Verarbeitenden Gewerbes originäre Produktinnovatorenzunehmend seltener geworden.

Die Untersuchung hat außerdem gezeigt, dass grundsätzlicheine höhere Innovationsbeteiligung bei größeren Unterneh-

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Entwicklung beim Hervorbringen von Marktneuheiten

Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, AkzenteNr.54, Dezember 2011.

men besteht, da kleine Unternehmen durch eigene Innova-tionsanstrengungen stärker belastet werden als größere Un-ternehmen. Im Jahr 2010 wendeten 24% der Innovatoren mitweniger als fünf Beschäftigten mindestens 15% ihres Jah-resumsatzes für Innovationen auf, während dies bei den Mit-telständlern mit 50 und mehr Beschäftigten lediglich für 4%galt. Dagegen betrug bei den Innovatoren mit 50 und mehrBeschäftigten der Anteil, der weniger als 5% des Jahresum-satzes für innovative Zwecke aufgewendet hat, 62%. Der ent-sprechende Wert für die kleinen Unternehmen lag bei nur21%.

Anteil der Innovationsausgaben am Jahresumsatz nachBeschäftigtengröße 2010

unter 5 % 5 bis 15 % 15 % undmehr

Weniger als 5 Be-schäftigte

21% 56% 24%

5 bis unter 10 Be-schäftigte

36% 46% 19%

10 bis unter 50 Be-schäftigte

45% 42% 12%

50 und mehr Beschäf-tigte

62% 34% 4%

Alle Innovatoren 26% 52% 21%

Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, AkzenteNr.54, Dezember 2011.

Der Innovatorenanteil unter den Unternehmen mit wenigerals fünf Beschäftigten hat gegenüber dem Höchststand2004/06 bis 2007/09 um 34% abgenommen, während die-ser Wert für die Unternehmen mit 10 bis unter 50 Beschäftig-ten lediglich bei –16% und für die Unternehmen mit 50 undmehr Beschäftigten bei –9% lag. Im Zeitraum 2008/10 entwi-ckelte sich die Innovatorenquote bei den Unternehmen ver-schiedener Größe uneinheitlich. So weiteten kleine Unter-nehmen mit weniger als fünf Beschäftigten sowie Unterneh-men mit 10 bis unter 50 Beschäftigten ihre Innovationstätig-keit aus, während dieser Anteil bei den Mittelständlern mit 50und mehr Beschäftigten unverändert blieb und bei den Un-ternehmen mit fünf bis unter 10 Beschäftigten sogar weiterzurückging.

Entwicklung der Innovatorenquote nach Unternehmensgröße(Anzahl Beschäftigte)

Quelle: KfW-Research: Weniger Marktneuheiten im Mittelstand, AkzenteNr.54, Dezember 2011.

Die Untersuchung „Weniger Marktneuheiten im Mittelstand“ist unter www.kfw.de in der Kategorie „Research“ bzw. unter

dem folgenden Link abrufbar: www.kfw.de/kfw/de/I/II/Download_Center/Fachthemen/Research/PDF-Dokumente_Akzente/Akzente_Nr__54%2c_Dez._2011.pdf

Zeitschriftenspiegel

GesellschaftsrechtGreulich, Aufhebung eines Beherrschungs- und Gewinnab-führungsvertrags im GmbH-Konzern. Zugleich Besprechungvon BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10 [= GmbHR 2011, 922 m.Komm. Ulrich], StBW 3/2012, 140 ff.

Hirte, Die Entwicklung des Unternehmens- und Gesell-schaftsrechts in Deutschland im Jahre 2011, NJW 9/2012,581 ff.

Lohr, Konvergenzgebot bei zwangsweiser Einziehung vonGeschäftsanteilen, GmbH-StB 2/2012, 59 ff.

Omlor, Nichteintragungsfähigkeit des Testamentsvollstre-ckervermerks in die GmbH-Gesellschafterliste, DStR 6/2012,306 ff.

Theiselmann, Schuldscheindarlehen – ein alternatives Instru-ment zur Fremdfinanzierung, GmbH-StB 2/2012, 50 ff.

Werner, Bilanzierungsklauseln bei der GmbH& Co. KG, NWB6/2012, 495 ff.

SteuerrechtBehrens, Keine sog. Organschaft über die Grenze aufgrunddes DBA-Diskriminierungsverbots, BB 8/2012, 485 ff.

Claß/Weggenmann, Ein neues Teilbetriebsverständnis imUmwandlungssteuerrecht - entscheidet zukünftig derEuGH?!, BB 9/2012, 552 ff.

Dörfler, Der neue UmwSt-Erlass vom 11.11.2011 – „Gut Dingwill Weile haben“? – Teil II, StBW 4/2012, 176 ff.

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Esskandari/Bick, Wegzugsbesteuerung bei Sitzverlegung ineinen anderen Mitgliedstaat. EuGH hält sofortige Fälligkeitder Wegzugsbesteuerung einer Gesellschaft für unverhält-nismäßig, StBW 4/2012, 179 ff.

Gragert, Rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenzein §17 EStG, NWB 6/2012, 474 ff.

Glahe, Grenzüberschreitende Organschaft ohne Gewinnab-führungsvertrag, IStR 4/2012, 128 ff.

Kessler/Philipp, Rechtssache National Grid Indus BV – Endeoder Bestätigung der Entstrickungsbesteuerung?, DStR 6/2012, 267 ff.

Korezkij, Update Unternehmensnachfolge: Neuerungen undKlarstellungen aus den ErbStR 2011 und den ErbStH 2011,DStR 7/2012, 340 ff.

Lenz/Seroin/Handwerker, Die französische Gruppenbe-steuerung – ein Modell für Deutschland?, DB 7/2012, 365 ff.

Lüdtke, Zum BMF-Schreiben vom 24.1.2012 [GmbHR 2012,415 – in dieser Ausgabe]: Entlastungsberechtigung auslän-discher Gesellschaften (§50d Abs.3 EStG), IStR 4/2012, 148 ff.

Martini, Das Verhältnis des persönlichen Körperschaftsteuer-tatbestandes zur Mitunternehmerschaft. Die steuerliche Zu-ordnung von Personenvereinigungen als Herausforderun-gen für die Kongruenz von Einkommen- und Körperschaft-steuer, DStR 8/2012, 388 ff.

Musil, §50d Abs.3 EStG – eine unendliche Geschichte?, FR4/2012, 149 ff.

Nitzschke, Veräußerung direkt gehaltener Beteiligungen anKapitalgesellschaften durch beschränkt Körperschaftsteuer-pflichtige. Führt §8b Abs.3 KStG zur partiellen Besteuerungeines Veräußerungsgewinns?, IStR 4/2012, 125 ff.

Rohler, Wegzugsbesteuerung und Funktionsverlagerung,GmbH-StB 2/2012, 54 ff.

Schneider, Die steuerliche Rückwirkung nach §2 UmwStG,NWB 6/2012, 484 ff.

Schnitger, Anwendung des §8b Abs.1 KStG beim Kapitaler-tragsteuerabzug. Auswirkungen der Entscheidung desEuGH vom 20.10.2011 [= GmbHR 2011, 1211], DB 6/2012,305 ff.

Seifried, Neue BFH-Rechtsprechung zum Anteilsbegriff imSinne der §§13a, 13b ErbStG, DStR 6/2012, 274 ff.

Sell, Schenkungsteuerliche Auswirkungen von Einlagen undAusschüttungen in bzw. aus Kapitalgesellschaften. Recht-sprechung und gesetzliche Änderungen durch dasBeitrRLUmsG vom 13.12.2011, DB 8/2012, 429 ff.

Thomalla, Die Beteiligung gemeinnütziger Körperschaften angewerblich geprägten Personengesellschaften, BB 8/2012,490 ff.

Wehage, Kostentragung bei der erbschaftsteuerlichen Be-wertung von Gesellschaftsanteilen, ErbStB 2/2012, 55 ff.

BuchbesprechungHandbuch des internationalen GmbH-Rechts. Hrsg.von RA Dr. Rembert Süß und Notar Thomas Wachter. 2.Aufla-ge. Zerb Verlag GmbH, Bonn 2011. 2.187S., gbd., inkl. CD-ROM, 188,–a.

I. Inhalt des Buchs

Insbesondere durch die Entscheidungen des EuGH zur Nie-derlassungsfreiheit des europäischen Gesellschaftsrechtsfindet das internationale und ausländische Gesellschafts-recht Einzug in die tägliche Rechtspraxis. Der zunehmendeEinsatz von Auslandsgesellschaften wie etwa der englischenLtd. wirft zahlreiche neue Fragen im Gesellschafts-, Insolvenz-und Steuerrecht auf.

Die Autoren sind renommierte Praktiker des GmbH-Rechtsaus den verschiedensten Ländern und stellen das GmbH-Recht der folgenden 42 Länder dar: Argentinien, Australien,Belgien, Brasilien, Bulgarien, China, Dänemark, Deutschland,England, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien,Italien, Japan, Kanada, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litau-en, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Ru-mänien, Russland, Schweden, Schweiz, Serbien, Singapur,Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Ukraine,Ungarn, USA, Vereinigte Arabische Emirate, Weißrussland.Die beiliegende CD-ROM enthält weitere 32 Länderberichtein elektronischer Fassung mit Informationen und Materialien,wie z.B. Mustern und Formularen.

Die Länderkapitel haben eine vergleichbare Struktur und be-handeln im Wesentlichen folgende Aspekte: Gründung derGesellschaft, Inhalt des Gesellschaftsvertrags, Kapital undKapitalschutz, Handelsregister, Gesellschafter und Ge-schäftsanteile, Geschäftsführung und Vertretung, weitere Or-gane der Gesellschaft, Buchführung und Rechnungslegung,Mitbestimmung, Zweigniederlassungen, Insolvenz der Ge-sellschaft, Auflösung der Gesellschaft, Gesellschaft im inter-nationalen Privatrecht, Steuerrecht.

II. Bewertung

Schon die erste Auflage des Buchs wurde als praxistaug-liches Werkzeug internationaler Berater gelobt. Die zweiteAuflage trägt nun der Tatsache Rechnung, dass in verschie-denen Rechtsordnungen Gesetzesänderungen im Bereichdes Gesellschaftsrecht zu verzeichnen waren. Es werden na-türlich auch die Änderungen im deutschen GmbH-Rechtdurch das „MoMiG „dargestellt.

Hilfreich ist der vorangestellte „allgemeine Teil“ zum interna-tionalen Gesellschaftsrecht. Innerhalb Europas ist die schonerwähnte Niederlassungsfreiheit relevant, die zur zwischen-zeitlich großen Zahl von Limited Companies in Deutschlandgeführt hat, auch wenn aufgrund der „UG“ der Trend rückläu-fig zu sein scheint. Praxisrelevant sind auch die Ausführun-gen zur Sitzverlegung, zu grenzüberschreitenden Verschmel-zungen und Unternehmensverträgen und zum internationa-len Steuerrecht.

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Aus Sicht eines im Grenzgebiet tätigen Juristen sind die Aus-führungen zu Belgien und den Niederlanden von Relevanz.Hilfreich ist, dass die französischsprachigen und niederlän-dischsprachigen Begriffe genannt werden. Dies erleichtertden Umgang mit fremdsprachigen Dokumenten.

Exemplarisch sei noch England herausgegriffen: Ein guterÜberblick über die möglichen Organisationsformen im engli-schen Gesellschaftsrecht hilft und es werden die bedeutsa-men Rechtsgrundlagen für die dann maßgeblich behandel-te Ltd. dargestellt. Auch die Querverbindungen zum deut-schen Recht, etwa bei Ltd.& Co. KG werden aufgezeigt.

III. Fazit

Das Handbuch des internationalen GmbH-Rechts ermög-licht eine schnelle und ausführliche Orientierung hinsichtlichder rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gründung undTätigkeit einer GmbH im Ausland. Es ist daher den bei inter-national agierenden Unternehmen tätigen Syndikusanwäl-ten sowie Rechts- und Unternehmensberatern sehr zu emp-fehlen.

Dr. Roman Jordans, LL.M (NZ), Banksyndikus sowieRechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und

Kapitalmarktrecht, Aachen

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränk-

ter Haftung: GmbHG. Kommentar von Prof. Dr. Günter H.Roth und Prof. Dr. Holger Altmeppen. 7., neubearbeitete Auf-lage. Verlag C.H.Beck, München 2012. 1.386 S., Ln. 89,00a.

Die Zahl von ca. 1.000.000 GmbHs zeigt die wirtschaftlicheBedeutung dieser Rechtsform insbesondere für kleine undmittlere Unternehmen. Dieser Kommentar erläutert in knap-per, präziser und verständlicher Sprache das GmbH-Gesetzsowie im Anhang zu §13 GmbHG das GmbH-Konzern-recht. Die Kommentierung zeigt Probleme auf und bietetpraktische Lösungsmöglichkeiten.

Die Neuauflage berücksichtigt die Erfahrung und Auswir-kungen der GmbH-Reform durch das MoMiG, aber auchdie Änderungen der Folgezeit wie z.B. FGG-ReformG undARUG. Die Fülle an Literatur wird ausgewertet unter Berück-sichtigung des Grundprinzips des Kommentars, Problemevorausschauend zu erkennen und zu lösen. Herausgear-beitet werden stets dogmatisch saubere und dennoch wirt-schaftlich sinnvolle Lösungen. Damit bleibt der Roth/Alt-meppen ein idealer Kommentar für jede Form der GmbHvon der Gründung bis zu ihrer Liquidation.

Die beiden Verfasser sind Professoren mit dem Schwer-punkt des Handels- und Wirtschaftsrechts und als Autorenzahlreicher Veröffentlichungen zum Gesellschaftsrecht be-kannt. Beide verfügen über umfangreiche praktische Erfah-rungen auf diesem Rechtsgebiet, die sie als Rechtsanwaltbzw. Gutachter erworben haben.

Tagungshinweise

Zertifikatskurs „Konsolidierung“ – Intensiv-fortbildung zur KonzernrechnungslegungDie Hochschule Bochum und die Lucanet Academy bietenab Mai 2012 erneut die erfolgreiche Intensivfortbildung zum„Certified Expert of Consolidation“ an. Der Kurs unter Leitungvon Prof. Dr. Carsten Theile findet in drei Modulen statt undvermittelt das praxisorientierte Wissen zur Aufstellung vonKonzernabschlüssen nach HGB und IFRS.

In drei aufeinander aufbauenden Präsenzmodulen von je 2,5Tagen sowie mithilfe ergänzender Lehrmaterialien zumSelbststudium werden die Absolventen in die Lage versetzt,auch schwierige Konsolidierungsprobleme eigenständig zulösen. Die Hochschule Bochum verleiht den Titel „CertifiedExpert of Consolidation“ an die Absolventen, wenn sie die er-forderlichen Prüfungsleistungen (drei Klausuren, drei Tests)erfolgreich bestanden haben.

Termine in Bochum:

– Modul 1 vom 10. bis 12.5.2012 zu den Grundlagen desKonzernabschlusses;

– Modul 2 vom 14. bis 16.6.2012 mit Erweiterung und Vertie-fung des Grundlagenwissens;

– Modul 3 vom 13. bis 15.9.2012 zu Spezialfällen der Konsoli-dierung, Bilanzanalyse und -politik.

Die Teilnahmegebühr beträgt pro Person und Modul 1.490a;drei Module kosten 3.990a (jeweils zzgl. MwSt.). Die Buchungeinzelner Module ist möglich.

Nähere Informationen im Internet unter„www.lucanet-academy.com“, per E-Mail unter„[email protected]” oder telefonisch unter„+49(0)30/469910150“.

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