Heidegger - Was Ist Metaphysik

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MARTIN HEIDEGGER WAS IST METAPHYSIK? Siebte Auflage VITTORIO KLOSTERMANN FRANKFURT A. M.

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MARTIN HEIDEGGER

WAS IST METAPHYSIK?

Siebte Auflage

VITTORIO KLOSTERMANN FRANKFURT A. M.

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Der Text der Antrittsvorlesung, die am 24. Juli 1929 in der Aula der Universität

Freiburg i. Br. unter dem Titel ,,Was ist Metaphysik?“ gehalten und im selben Jahre

veröffentlicht wurde, erscheint hier unverändert mit dem neu durchgesehenen

Nachwort der vierten Auflage von 1943 und der Einleitung der fünften Autlage

von 1949.

C O P Y R I G H T 1 9 5 5 B Y V I T T O R I O K L O S T E R M A N N F R A N K F U R T A M MAIN

ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG. VORBEHALTEN

GESAMTHERSTELLUNG BUCHDRUCKEREI AG PASSAVIA, PASSAU

PRINTED IN GERMANY

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E I N L E I T U N G

Der Rückgang in den Grund der Metaphysik

Descartes schreibt an Picot, der die Principia Philosophiae insFranzösische übersetzte: Ainsi toute la philosophie est commeun arbre, dont les racines sont la Metaphysique, le tronc est laPhysique, et les tranches qui sortent de ce tronc sont toutes lesautres sciences . . . (Opp. ed. Ad. et Ta. IX, 14).Wir fragen, um bei diesem Bild zu bleiben: In welchem Bodenfinden die Wurzeln des Baumes der Philosophie ihren Halt?Aus welchem Grunde empfangen die Wurzeln und durch sie derganze Baum die nährenden Säfte und Kräfte? Welches Elementdurchwebt, in Grund und Boden verborgen, die tragendenund nährenden Wurzeln des Baumes? Worin ruht und regt sichdie Metaphysik? Was ist die Metaphysik von ihrem Grund hergesehen? Was ist im Grunde überhaupt Metaphysik?

Sie denkt das Seiende als das Seiende. Uberall, wo gefragt wird,was das Seiende sei, steht Seiendes als solches in der Sicht. Dasmetaphysische Vorstellen verdankt diese Sicht dem Licht desSeins. Das Licht, d. h. dasjenige, was solches Denken als Lichterfährt, kommt selbst nicht mehr in die Sicht dieses Denkens;denn es stellt das Seiende stets und nur in der Hinsicht auf dasSeiende vor. Aus dieser Hinsicht fragt das metaphysische Den-ken allerdings nach der seienden Quelle und nach einem Ur-

heber des Lichtes. Dieses selbst gilt dadurch als erhellt genug,daß es jeder Hinsicht auf das Seiende die Durchsicht gewährt.Wie auch immer das Seiende ausgelegt werden mag, ob als Geist Gaim Sinne des Spiritualismus, ob als Stoff und Kraft. im Sinne desMaterialismus, ob als Werden und Leben, ob als Vorstellung, obals Wille, ob als Substanz, ob als Subjekt, ob als Energeia, obals ewige Wiederkehr des Gleichen, jedesmal erscheint das Sei-

ende als Seiendes im Lichte des Seins. Uberall hat sich, wenn dieMetaphysik das Seiende vorstellt, Sein gelichtet. Sein ist in

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einer Unverborgenheit (‘A3,$3~ta) angekommen. Ob und wie

Sein solche Unverborgenheit mit sich bringt, ob und wie gar Esselbst sich in der Metaphysik und als diese anbringt, bleibt ver-hüllt. Das Sein wird in seinem entbergenden Wesen, d. h. inseiner Wahrheit nicht gedacht. Gleichwohl spricht die Meta-physik in ihren Antworten auf ihre Frage nach dem Seiendenals solchem aus der unbeachteten Offenbarkeit des Seins. DieWahrheit des Seins kann deshalb der Grund heißen, in dem dieMetaphysik als die Wurzel des Baumes der Philosophie gehal-ten, aus dem sie genährt wird.Weil die Metaphysik das Seiende als das Seiende befragt, bleibtsie beim Seienden und kehrt sich nicht an das Sein als Sein. Als

die Wurzel des Baumes schickt sie alle Säfte und Kräfte in denStamm und seine Äste. Die Wurzel verzweigt sich in den Grundund Boden, damit der Baum dem Wachstum zugunsten aus ihmhervorgehen und ihn so verlassen kann. Der Baum der Philo-sophie entwächst dem Wurzelboden der Metaphysik. DerGrund und Boden ist zwar das Element, worin die Wurzel desBaumes west, aber das Wachstum des Baumes vermag den Wur-zelboden niemals so in sich aufzunehmen, daß er als etwasBaumhaftes im Baum verschwindet. Vielmehr verlieren sich dieWurzeln bis zu den feinsten Fasern im Boden. Der Grund istGrund für die Wurzel; in ihm vergißt sie sich zugunsten des

Baumes. Die Wurzel gehört auch dann noch, wenn sie sichnach ihrer Weise dem Element des Bodens anheimgibt, demBaum. Sie verschwendet ihr Element und sich selbst auf diesen.Sie kehrt sich als die Wurzel nicht an den Boden; wenigstens

nicht in einer Weise, als sei es ihr Wesen, nur diesem Elemententgegenzuwachsen und in ihm sich auszubreiten. Vermutlichist also auch das Element nicht das Element, ohne daß die Wur-zel es durchwebt.

Die Metaphysik denkt, insofern sie stets nur das Seiende als dasSeiende vorstellt, nicht an das Sein selbst. Die Philosophie ver-sammelt sich nicht auf ihren Grund. Sie verläßt ihn stets, undzwar durch die Metaphysik. Aber sie entgeht ihm gleichwohl nie.

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Insofern ein Denken sich auf den Weg begibt, den Grund derMetaphysik zu erfahren, insofern dieses Denken versucht, an

die Wahrheit des Seins selbst zu denken, statt nur das Seiendeals das Seiende vorzustellen, hat das Denken die Metaphysikin gewisser Weise verlassen. Dieses Denken geht, und zwar nochvon der Metaphysik her gesehen, in den Grund der Metaphysikzurück. Allein das, was so noch als Grund erscheint, ist vermut-lich, wenn es aus ihm selbst erfahren wird, ein Anderes undnoch Ungesagtes, demgemäß auch das Wesen der Metaphysiketwas anderes ist als die Metaphysik.Ein Denken, das an die Wahrheit des Seins denkt, begnügt sichzwar nicht mehr mit der Metaphysik; aber es denkt auch nichtgegen die Metaphysik. Es reißt, um im Bild zu sprechen, dieWurzel der Philosophie nicht aus. Es gräbt ihr den Grund und ’pflügt ihr den Boden. Die Metaphysik bleibt das Erste der Phi-losophie. Das Erste des Denkens erreicht sie nicht. Die Meta-physik ist im Denken an die Wahrheit des Seins überwunden.Der Anspruch der Metaphysik, den tragenden Bezug zum,,Sein” zu verwalten und alles Verhältnis zum Seienden als sol-chem maßgebend zu bestimmen, wird hinfällig. Doch diese,,Oberwindung der Metaphysik” beseitigt die Metaphysik nicht.Solange der Mensch das animal rationale bleibt, ist er das ani-mal metaphysicum. Solange der Mensch sich als das vernünftige

Lebewesen versteht, gehört die Metaphysik nach dem WortKants zur Natur des Menschen. Wohl könnte dagegen das Den-ken, wenn ihm glückt, in den Grund der Metaphysik zurück-zugehen, einen Wandel des Wesens des Menschen mitveranlas-sen, mit welchem Wandel eine Verwandlung der Metaphysik

einherginge.Wenn somit bei der Entfaltung der Frage nach der Wahrheit desSeins von einer Oberwindung der Metaphysik gesprochen wird,dann bedeutet dies: Andenken an das Sein selbst. Solches An-denken kommt über das bisherige Nichtdenken an den Grundder Wurzel der Philosophie hinaus. Das in ,,Sein und Zeit”(1927) versuchte Denken macht sich auf den Weg, die so ver-

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standene Oberwindung der Metaphysik vorzubereiten. Das-

jenige aber, was ein solches Denken auf seinen Weg bringt, kanndoch nur das Zu-denkende selbst sein. Daß das Sein selber undwie das Sein selbst hier ein Denken angeht, steht nie zuerst undnie allein beim Denken. Daß und wie das Sein selbst ein Denkentrifft, bringt dieses auf den Sprung, dadurch es dem Sein selbstentspringt, um so dem Sein als solchem zu entsprechen.Warum ist dann aber eine so geartete Uberwindung der Meta-physik nötig? Soll auf diese Weise nur diejenige Disziplin derPhilosophie, die bisher die Wurzel war, durch eine ursprüng-lichere unterbaut und ersetzt werden? Handelt es sich um eineVeränderung des Lehrgebäudes der Philosophie? Nein. Odersoll durch den Rückgang in den Grund der Metaphysik einebisher übersehene Voraussetzung der Philosophie aufgedecktund dieser vorgerechnet werden, daß sie noch nicht auf ihremunerschütterlichen Fundament stehe und deshalb noch nicht dieabsolute Wissenschaft sein könne? Nein.

Anderes steht mit der Ankunft oder dem Ausbleiben der Wahr-heit des Seins auf dem Spiel: nicht die Verfassung der Philoso-phie, nicht nur die Philosophie selbst, sondern die Nähe undFerne von Jenem, woraus die Philosophie als das vorstellendeDenken des Seienden als solchen ihr Wesen und ihre Notwen-digkeit empfängt. Zur Entscheidung steht, ob das Sein selberaus seiner ihm eigenen Wahrheit seinen Bezug zum Wesen desMenschen ereignen kann oder ob die Metaphysik in ihrer Ab-kehr von ihrem Grunde fernerhin verwehrt, daß der Bezug desSeins zum Menschen aus dem Wesen dieses Bezugs selber zueinem Leuchten kommt, das den Menschen zum Gehören in dasSein bringt.Die Metaphysik hat in ihren Antworten auf ihre Frage nachdem Seienden als solchem vor diesem schon das Sein vorgestellt.Sie spricht Sein notwendig aus und darum ständig. Aber dieMetaphysik bringt das Sein selbst nicht zur Sprache, weil siedas Sein nicht in seiner Wahrheit und die Wahrheit nicht als die

Unverborgenheit und diese nicht in ihrem Wesen bedenkt, Das

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Wesen der Wahrheit erscheint der Metaphysik immer nur in derschon abkünftigen Gestalt der Wahrheit der Erkenntnis und derAussage dieser. Unverborgenheit könnte aber Anfänglicheressein als Wahrheit im Sinne der veritas. ‘Ah$&~a könnte dasWort sein, das einen noch nicht erfahrenen Wink in das unge-dachte Wesen des esse gibt. Stünde es so, dann könnte freilichdas vorstellende Denken der Metaphysik dieses Wesen der

Wahrheit nie erreichen, mag es sich auch noch so eifrig um dievorsokratische Philosophie historisch bemühen; denn es handeltsich nicht um irgendeine Renaissance des vorsokratischen Den-kens, solches Vorhaben wäre eitel und widersinnig, sondern umdas Achten auf die Ankunft des noch unausgesprochenen Wesensder Unverborgenheit, als welche das Sein sich angekündigt hat.Inzwischen bleibt der Metaphysik während ihrer Geschichtevon Anaximander bis zu Nietzsche die Wahrheit des Seins ver-borgen. Weshalb denkt die Metaphysik an sie nicht? Hängt dasUnterlassen solchen Andenkens nur an der Art des metaphy-sischen Denkens? Oder gehört es zum Wesensgeschick der Meta-physik, daß sich ihr der eigene Grund entzieht, weil im Auf-gehen der Unverborgenheit überall das Wesende in dieser, näm-lich die Verborgenheit, ausbleibt, und zwar zugunsten des Un-verborgenen, das als das Seiende erscheint?Nun spricht aber die Metaphysik ständig und in den verschie-densten Abwandlungen das Sein aus. Sie selbst erweckt und be-festigt den Anschein, als sei durch sie die Frage nach dem Seingefragt und beantwortet. Allein die Metaphysik antwortet nir-gends auf die Frage nach der Wahrheit des Seins, weil sie dieseFrage nie fragt. Sie fragt nicht, weil sie das Sein nur denkt, in-dem sie das Seiende als das Seiende vorstellt. Sie meint das Sei-ende im Ganzen und spricht vom Sein. Sie nennt das Sein undmeint das Seiende als das Seiende. Das Aussagen der Metaphy-sik bewegt sich von ihrem Beginn bis in ihre Vollendung auf eineseltsame Weise in einer durchgängigen Verwechslung von Seien-dem und Sein. Diese Verwechslung ist freilich als Ereignis zudenken, nicht als ein Fehler. Sie kann ihren Grund keineswegs

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in einer bloßen Nachlässigkeit des Denkens haben oder in einerFlüchtigkeit des Sagens. Dieser durchgängigen Verwechslungzufolge gelangt das Vorstellen auf den Gipfel der Verwirrung,wenn man behauptet, die Metaphysik stelle die Seinsfrage.Fast scheint es, als sei die Metaphysik durch die Art, wie sie dasSeiende denkt, dahin gewiesen, ohne ihr Wissen die Schrankezu sein, die dem Menschen den anfänglichen Bezug des Seinszum Menschenwesen verwehrt.Wie aber, wenn das Ausbleiben dieses Bezugs und die Vergessen-heit dieses Ausbleibens von weither das moderne Weltalter be-stimmten? Wie, wenn das Ausbleiben des Seins den Menschenimmer ausschließlicher nur dem Seienden überließe, so daß derMensch vom Bezug des Seins zu seinem (des Menschen) Wesenfast verlassen und diese Verlassenheit zugleich verhüllt bliebe?Wie, wenn es so wäre und wenn es seit langem schon so wäre?Wie, wenn Zeichen dahin deuteten, als wolle diese Vergessen-heit inskünftig sich noch entschiedener in der Vergessenheit ein-richten?Wäre da für einen Denkenden noch ein Anlaß, vor diesem Ge-schick des Seins sich überheblich zu gebärden? Wäre, wenn esso stünde, noch ein Anlaß, in solcher Seinsverlassenheit sich an-deres vorzugaukeln und dies gar aus einer selbstgemachten ge-hobenen Stimmung? Wäre, wenn es mit der Seinsvergessenheitso stünde, nicht Veranlassung genug, daß ein Denken, das andas Sein denkt, in den Schrecken gerät, demgemäß es nichts an-deres vermag, als dieses Geschick des Seins in der Angst aus-zuhalten, um erst das Denken an die Seinsvergessenheit zumAustrag zu bringen? Ob jedoch ein Denken dies vermochte,solange ihm die so zugeschickte Angst nur eine gedrückte Stim-mung wäre? Was hat das Seinsgeschick dieser Angst mit Psy-chologie und Psychoanalyse zu tun?Gesetzt aber, der Überwindung der Metaphysik entspräche dasBemühen, erst einmal auf die Seinsvergessenheit achten zu ler-

nen, um sie ZU erfahren und diese Erfahrung in den Bezug desSeins zum Menschen aufzunehmen und darin zu verwahren,

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dann bliebe die Frage ,,Was ist Metaphysik?” in der Not derSeinsvergessenheit doch vielleicht das Notwendigste alles Not-wendigen für das Denken.So liegt alles daran, daß zu seiner Zeit das Denken denkenderwerde. Dahin kommt es, wenn das Denken, statt einen höherenGrad seiner Anstrengung zu bewerkstelligen, in eine andereHerkunft gewiesen ist. Dann wird das vom Seienden als sol-chem gestellte und darum vorstellende und dadurch erhellendeDenken abgelöst durch ein vom Sein selbst ereignetes und dar-um dem Sein höriges Denken.Überlegungen darüber, wie sich das überall noch metaphysischeund nur metaphysische Vorstellen in wirksamer und nützlicherWeise zur unmittelbaren Aktion im täglichen und öffentlichenLeben bringen lasse, schweifen im Leeren. Denn je denkenderdas Denken wird, je entsprechender es sich aus dem Bezug desSeins zu ihm vollzieht, um so reiner steht das Denken von selbstschon in dem einen ihm allein gemäßen Handeln: im Denkendes ihm Zu-gedachten und deshalb schon Gedachten.Doch wer denkt noch an Gedachtes? Man macht Erfindungen.Das Denken auf einen Weg zu bringen, durch den es in den Bezugder Wahrheit des Seins zum Wesen des Menschen gelangt, demDenken einen Pfad zu öffnen, damit es das Sein selbst in seinerWahrheit eigens bedenke, dahin ist das in ,,Sein und Zeit” ver-suchte Denken ,,unterwegs“. Auf diesem Weg, und das sagt, im

Dienst der Frage nach der Wahrheit des Seins, wird eine Be-sinnung auf das Wesen des Menschen nötig; denn die unaus-gesprochene, weil erst zu erweisende Erfahrung der Seinsver-gessenheit schließt die alles tragende Vermutung ein, gemäß derUnverborgenheit des Seins gehöre der Bezug des Seins zumMenschenwesen gar zum Sein selbst. Doch wie könnte dieses er-fahrene Vermuten auch nur zur ausgesprochenen Frage werden,ohne zuvor alle Bemühung darein zu legen, die Wesensbestim-mung des Menschen aus der Subjektivität, aber auch aus der-jenigen des animal rationale herauszunehmen? Um sowohl denBezug des Seins zum Wesen des Menschen als auch das Wesens-

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Verhältnis des Menschen zur Offenheit (,,Da“) des Seins als

solchen zugleich und in ein em Wort zu treffen, wurde für denWesensbereich, in dem der Mensch als Mensch steht, der Name,,Dasein” gewählt. Dies geschah, trotzdem die Metaphysik die-sen Namen für das gebraucht, was sonst mit existentia, Wirk-lichkeit, Realität und Objektivität benannt wird, trotzdemsogar die gewöhnliche Redeweise vom ,,menschlichen Dasein”in der metaphysischen Bedeutung des Wortes zu sprechen pflegt.Darum wird nun auch jedes Nach-denken verbaut, wenn mansich begnügt festzustellen, in ,,Sein und Zeit“ werde statt ,,Be-wußtsein“ das Wort ,,Dasein“ gebraucht. Als ob hier der bloßeGebrauch verschiedener Wörter zur Verhandlung stünde, als obes sich nicht um das Eine und Einzige handelte, den Bezug desSeins zum Wesen des Menschen und damit, von uns aus gedacht,zunächst eine für das leitende Fragen hinreichende Wesens-erfahrung vom Menschen vor das Denken zu bringen. Wedertritt nur das Wort ,,Dasein” an die Stelle des Wortes ,,Bewußt- sein”, noch tritt die ,Dasein” genannte ,,Sache“ an die Stelledessen, was man beim Namen ,,Bewußtsein“ vorstellt. Viel-mehr ist mit ,,Dasein” solches genannt, was erst einmal alsStelle, nämlich als die Ortschaft der Wahrheit des Seins erfahrenund dann entsprechend gedacht werden soll.Woran im Wort ,,Dasein” überall durch die Abhandlung von,,Sein und Zeit“ hindurch gedacht ist, darüber gibt schon derLeitsatz (S. 42) eine Auskunft, der lautet: ,,Das , W e s e n ’ d e sD a s e i n s l i e g t i n s e i n e r E x i s t e n z . ”

Bedenkt man freilich, daß in der Sprache der Metaphysik dasWort ,,Existenz” das Selbe nennt, was ,,Dasein“ meint, nämlichdie Wirklichkeit jedes beliebigen Wirklichen von Gott bis zum

Sandkorn, dann wird durch den Satz, wenn man ihn nur ge-radehin versteht, die Schwierigkeit des Zu-denkenden nur vomWort ,,Dasein” auf das Wort ,,Existenz“ abgeschoben. DerName ,,Existenz“ ist in S. u. Z. ausschließlich als Bezeichnungdes Seins des Menschen gebraucht. Von der recht gedachten,Existenz” her läßt sich das ,,Wesen” des Daseins denken, in

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dessen Offenheit das Sein selbst sich bekundet und verbirgt, ge-währt und entzieht, ohne daß sich diese Wahrheit des Seins imDasein erschöpft oder gar mit ihm sich in eins setzen 1äßt nachder Art des metaphysischen Satzes: alle Objektivität ist als sol-che Subjektivität.

Was bedeutet ,,Existenz” in S. u. Z.? Das Wort nennt eineWeise des Seins, und zwar das Sein desjenigen Seienden, dasoffen steht für die Offenheit des Seins, in der es steht, indem essie aussteht. Dieses Ausstehen wird unter dem Namen ,,Sorge”erfahren. Das ekstatische Wesen des Daseins ist von der Sorgeher gedacht, so wie umgekehrt die Sorge nur in ihrem ekstati-schen Wesen zureichend erfahren wird. Das so erfahrene Aus-stehen ist das Wesen der hier zu denkenden Ekstasis. Das ek-

statische Wesen der Existenz wird deshalb auch dann noch unzu-reichend verstanden, wenn man es nur als ,,Hinausstehen“ vor-

stellt und das ,,Hinaus” als das ,,Weg von” dem Innern einerImmanenz des Bewußtseins und des Geistes auffaßt; denn soverstanden, wäre die Existenz immer noch von der ,,Subjekti-vität“ und der ,,Substanz“ her vorgestellt, während doch das,Aus“ als das Auseinander der Offenheit des Seins selbst zudenken bleibt. Die Stasis des Ekstatischen beruht, so seltsam esklingen mag, im Innestehen im ,,Aus” und ,,Da” der Unver-borgenheit, als welche das Sein selbst west. Das, was im Namen,,Existenz“ zu denken ist, wenn das Wort innerhalb des Den-kens gebraucht wird, das auf die Wahrheit des Seins zu und ausihr her denkt, könnte das Wort ,,Inständigkeit” am schönsten nennen. Nur müssen wir dann zumal das Innestehen in der

Offenheit des Seins, das Austragen des Innestehens (Sorge) und das Ausdauern im Äußersten (Sein zum Tode) zusammen und als das volle Wesen der Existenz denken.Das Seiende, das in der Weise der Existenz ist, ist der Mensch.Der Mensch allein existiert. Der Fels ist, aber er existiert nicht.Der Baum ist, aber er existiert nicht. Das Pferd ist, aber es exi-stiert nicht. Der Engel ist, aber er existiert nicht. Gott ist, aberer existiert nicht. Der Satz: ,,Der Mensch allein existiert”, be-

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deutet keineswegs, nur der Mensch sei ein wirklich Seiendes,alles übrige Seiende aber sei unwirklich und nur ein Schein oderdie Vorstellung des Menschen. Der Satz: ,,Der Mensch existiert”bedeutet: der Mensch ist dasjenige Seiende, dessen Sein durchdas offenstehende Innestehen in der Unverborgenheit des Seins,vom Sein her, im Sein ausgezeichnet ist. Das existenziale Wesendes Menschen ist der Grund dafür, daß der Mensch Seiendes alsein solches vorstellen und vom Vorgestellten ein Bewußtseinhaben kann. Alles Bewußtsein setzt die ekstatisch gedachte Exi-stenz als die essentia des Menschen voraus, wobei essentia dasbedeutet, als was der Mensch west, sofern er Mensch ist. DasBewußtsein dagegen schafft weder erst die Offenheit von Seien-dem, noch verleiht es erst dem Menschen das Offenstehen fürdas Seiende. Wohin und woher und in welcher freien Dimensionsollte sich denn alle Intentionalität des Bewußtseins bewegen,wenn der Mensch nicht schon in der Inständigkeit sein Wesenhätte? Was anderes kann, falls man je ernstlich daran gedachthat, das Wort ,-sein” in den Namen ,,Bewußtsein” und ,,Selbst-bewußtsein” nennen als das existenziale Wesen dessen, das ist,indem es existiert? Ein Selbst zu sein, kennzeichnet zwar dasWesen desjenigen Seienden, das existiert, aber die Existenz be-steht weder im Selbstsein, noch bestimmt sie sich aus diesem.Weil jedoch das metaphysische Denken das Selbstsein des Men-schen von der Substanz her oder, was im Grunde das Selbe ist,vom Subjekt her bestimmt, deshalb muß der erste Weg, der vonder Metaphysik zum ekstatisch-existenzialen Wesen des Men-schen hinleitet, durch die metaphysische Bestimmung des Selbst-seins des Menschen hindurchführen (S. u. Z. §§ 63 u. 64).

Weil nun aber die Frage nach der Existenz jederzeit nur imDienste der einzigen Frage des Denkens steht, nämlich der erstZU entfaltenden Frage nach der Wahrheit des Seins als dem ver-borgenen Grunde aller Metaphysik, deshalb lautet der Titelder Abhandlung, die den Rückgang in den Grund der Meta-physik versucht, nicht ,,Existenz und Zeit”, auch nicht ,,Be-wußtsein und Zeit”, sondern ,,Sein und Zeit”. Dieser Titel läßt

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sich aber auch nicht in der Entsprechung zu den sonst geläufigen

denken: Sein und Werden, Sein und Schein, Sein und Denken,Sein und Sollen. Denn hier ist überall das Sein noch einge-schränkt vorgestellt, gleich als gehörten ,,Werden“, ,,Schein”,,,Denken“ , ,,Sollen” nicht zum Sein, während sie doch offen-kundig nicht nichts sind und darum zum Sein gehören. ,,Sein”ist in ,,Sein und Zeit“ nicht etwas anderes als ,,Zeit”, insoferndie ,,Zeit” als der Vorname für die Wahrheit des Seins genanntwird, welche Wahrheit das Wesende des Seins und so das Seinselbst ist. Weshalb nun aber ,,Zeit” und ,,Sein“?Das Andenken an den Anfang der Geschichte, in der sich dasSein im Denken der Griechen enthüllt, kann zeigen, daß dieGriechen von früh an das Sein des Seienden als die Anwesen-heit des Anwesenden erfuhren. Wenn wir E~WX durch ,,sein”übersetzen, dann ist die Ubersetzung sprachlich richtig. Wir er-setzen jedoch nur einen Wortlaut durch einen anderen. Prüfenwir uns, dann stellt sich alsbald heraus, daß wir weder ~ivcn

griechisch denken, noch eine entsprechend klare und eindeutigeBestimmung von ,,sein“ denken. Was sagen wir also, wenn wirstatt E%IKXL ,,sein“ und statt ,,sein“ Aa1 und esse sagen? Wirsagen nichts. Das griechische und das lateinische und das deutscheWort bleiben in der gleichen Weise stumpf. Wir verraten unsbei dem gewohnten Gebrauch lediglich als Schrittmacher dergrößten Gedankenlosigkeit, die je innerhalb des Denkens auf-gekommen und bis zur Stunde in der Herrschaft geblieben ist.Jenes E!V~L aber sagt: anwesen. Das Wesen dieses Anwesens ist

tief geborgen in den anfänglichen Namen des Seins. Für unsaber sagt EivaL und oVola als stag- und Bnouoia zuvor dies:

im Anwesen waltet ungedacht und verborgen Gegenwart undAndauern, west Zeit. Sein als solches ist demnach unverborgenaus Zeit. So verweist Zeit auf die Unverborgenheit, d. h. dieWahrheit von Sein. Aber die jetzt zu denkende Zeit ist nichterfahren am veränderlichen Ablauf des Seienden. Zeit ist offen-

bar noch ganz anderen Wesens, das durch den Zeitbegriff derMetaphysik nicht nur noch nicht gedacht, sondern niemals zu

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denken ist. So wird Zeit der erst zu bedenkende Vorname fürdie allererst zu erfahrende Wahrheit des Seins.Wie in den ersten metaphysischen Namen des Seins ein ver-borgenes Wesen von Zeit anspricht, so in seinem letzten Namen:in der ,,ewigen Wiederkunft des Gleichen”. Die Geschichte desSeins ist in der Epoche der Metaphysik von einem ungedachtenWesen der Zeit durchwaltet. Dieser Zeit ist der Raum nichtneben-, aber auch nicht nur eingeordnet.Ein Versuch, vom Vorstellen des Seienden als solchen in dasDenken an die Wahrheit des Seins überzugehen, muß, von je-nem Vorstellen ausgehend, in gewisser Weise auch die Wahr-heit des Seins noch vorstellen, so daß dieses Vorstellen notwen-dig anderer Art und schließlich als Vorstellen dem Zu-denken-den ungemäß bleibt. Dieses aus der Metaphysik herkommende,auf den Bezug der Wahrheit des Seins zum Menschenwesen ein-gehende Verhältnis wird als Verstehen gefaßt. Aber das Ver-stehen ist hier zugleich aus der Unverborgenheit des Seins hergedacht. Es ist der ekstatische, d. h. im Bereich des Offenen inne-stehende geworfene Entwurf. Der Bereich, der sich im Entwer-fen als offener zustellt, damit in ihm etwas (hier das Sein) sichals etwas (hier das Sein als es selbst in seiner Unverborgenheit)erweise, heißt der Sinn (vgl. S. u. Z. S. 151). ,,Sinn von Sein“und ,,Wahrheit des Seins“ sagen das Selbe.Gesetzt, die Zeit gehöre in einer noch verborgenen Weise zurWahrheit des Seins, dann muß jedes entwerfende Offenhaltender Wahrheit des Seins als Verstehen von Sein in die Zeit alsden möglichen Horizont des Seinsverständnisses hinaussehen.(Vgl. S. u. Z. §§ 31-34 u. 68.)Das Vorwort zu ,,Sein und Zeit” auf der ersten Seite der Ab-handlung schließt mit den Sätzen: ,,Die konkrete Ausarbei-tung der Frage nach dem Sinn von ,Sein’ ist die Absicht derfolgenden Abhandlung. Die Interpretation der Z e i t als desmöglichen Horizontes eines jeden Seinsverständnisses über-haupt ist ihr vorläufiges Ziel.”Einen deutlicheren Beleg für die Macht der Seinsvergessenheit,

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in die alle Philosophie versunken ist, die aber zugleich der ge-schickhafte Anspruch an das Denken in S. u. Z. geworden undgeblieben ist, konnte die Philosophie nicht leicht aufbringen alsdurch die nachtwandlerische Sicherheit, mit der sie an der eigent-lichen und einzigen Frage von S. u. Z. vorbeiging. Darum han-delt es sich auch nicht um Mißverständnisse gegenüber einemBuch, sondern um unsere Verlassenheit vom Sein.Die Metaphysik sagt, was das Seiende als das Seiende ist. Sieenthält einen hoyoq (Aussage) über das iiv (das Seiende). Derspätere Titel ,,Ontologie” kennzeichnet ihr Wesen, gesetzt frei-lich, daß wir ihn nach seinem eigentlichen Gehalt und nicht inder schulmäßigen Verengung auffassen. Die Metaphysik bewegtsich im Bereich des ii~ fi iiv. Ihr Vorstellen gilt dem Seiendenals dem Seienden. In solcher Weise stellt die Metaphysik überalldas Seiende als solches im Ganzen, die Seiendheit des Seiendenvor (die o+&.x des 6~). Aber die Metaphysik stellt die Seiendheitdes Seienden in Zwiefacher Weise vor: einmal das Ganze desSeienden als solchen im Sinne seiner allgemeinsten Züge (0~r.c&%ov, XOLYOY); zugleich aber das Ganze des Seienden als sol-chen im Sinne des höchsten und darum göttlichen Seienden(0~ x&%ow, &q&xtov, &LOV). D i e U n v e r b o r g e n h e i t d e s

Seienden als eines solchen hat sich in der Metaphysik des Ari-stoteles eigens in dieses Zwiefache herausgebildet (vgl. Met.

r, E, WDie Metaphysik ist in sich, und zwar weil sie das Seiende alsdas Seiende zur Vorstellung bringt, zwiefach-einig die Wahr-heit des Seienden im Allgemeinen und im Höchsten. Sie istihrem Wesen nach zugleich Ontologie im engeren Sinne undTheologie. Dieses onto-theologische Wesen der eigentlichen Phi-losophie (qWq cphoaocpia) muß wohl in der Art begründetsein, wie sich ihr das 6v nämlich als 6v ins Offene bringt.

Der theologische Charakter der Ontologie beruht somit nichtdarauf, daß die griechische Metaphysik später von der kirch-lichen Theologie des Christentums aufgenommen und durchdiese umgebildet wurde. Er beruht vielmehr in der Art, wie

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sich von früh an das Seiende als das Seiende entborgen hat.Diese Unverborgenheit des Seienden gab erst die Möglichkeit,daß sich die christliche Theologie der griechischen Philosophiebemächtigte, ob zu ihrem Nutzen, ob zu ihrem Schaden, dasmögen die Theologen aus der Erfahrung des Christlichen ent-scheiden, indem sie bedenken, was im ersten Korintherbriefdes Apostels Paulus geschrieben steht: oUxi @d.qavm d MIS ~i-paocpiav ~06 xhpov; hat nicht zur Torheit werden lassen derGott die Weisheit der Welt? (1. Kor. 1, 20). Die oocpia TOZ, icchs-pou aber ist das, was nach 1, 22 die “Ehhqq Qqto~cnv, was dieGriechen suchen. Aristoteles nennt die xphq rpdoaoqia (dieeigentliche Philosophie) sogar ausdrücklich Q~to+vq - die

gesuchte. Ob die christliche Theologie sich noch einmal ent-schließt, mit dem Wort des Apostels und ihm gemäß mit derPhilosophie als einer Torheit Ernst zu machen?Die Metaphysik ist als die Wahrheit des Seienden als solchenzwiegestaltig. Aber der Grund dieser Zwiegestalt und gar seineHerkunft bleiben der Metaphysik verschlossen, und zwar nichtzufällig oder zufolge eines Versäumnisses. Die Metaphysiknimmt diese Zwiegestalt dadurch hin, daß sie ist, was sie ist:das Vorstellen des Seienden als des Seienden. Der Metaphysikbleibt keine Wahl. Als Metaphysik ist sie von der Erfahrungdes Seins durch ihr eigenes Wesen ausgeschlossen; denn sie stelltdas Seiende (6~) stets nur in dem vor, was sich als Seiendes(5 6~) schon von diesem her gezeigt hat. Die Metaphysik ach-tet jedoch dessen nie, was sich in eben diesem Ov, insofern esunverborgen wurde, auch schon verborgen hat.

So konnte es zu seiner Zeit nötig werden, erneut dem nachzu-denken, was denn mit dem iiv, dem Wort ,seiend’ eigentlich ge-sagt sei. Demgemäß wurde die Frage nach dem iiv wieder indas Denken geholt (vgl. S. u. Z. Vorwort). Allein dieses Wie-derholen redet die platonisch-aristotelische Frage nicht bloßnach, sondern fragt in das zurück, was sich im iiv verbirgt.Auf dieses Verborgene im Ov bleibt die Metaphysik gegründet,wenn anders sie ihr Vorstellen dem iiv fi Ov widmet. Das Zu-

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rückfragen in dieses Verborgene sucht daher, von der Metaphy-sik her gesehen, das Fundament für die Ontologie. Darumnennt sich das Vorgehen in ,,Sein und Zeit“ (S. 13) ,,Fundamen-talontologie”. Allein der Titel erweist sich alsbald wie jederTitel in diesem Fall als mißlich. Von der Metaphysik her ge-dacht sagt er zwar Richtiges; doch eben deshalb führt er irre;denn es gilt, den Obergang von der Metaphysik in das Denkenan die Wahrheit des Seins zu gewinnen. Solange als dieses Den-ken selber noch sich als Fundamentalontologie bezeichnet, stelltes sich mit dieser Benennung selbst in den eigenen Weg und ver-dunkelt ihn. Der Titel ,,Fundamentalontologie” legt nämlichdie Meinung nahe, das Denken, das die Wahrheit des Seins zudenken versucht und nicht wie alle Ontologie die Wahrheit desSeienden, sei als Fundamentalontologie selbst noch eine Art vonOntologie. Indessen hat das Denken an die Wahrheit des Seinsals der Rückgang in den Grund der Metaphysik den Bereichaller Ontologie schon mit dem ersten Schritt verlassen. Dagegenbleibt jede Philosophie, die sich im mittelbaren oder unmittel-baren Vorstellen der ,,Transzendenz” bewegt, notwendig Onto-logie im wesentlichen Sinn, mag sie eine Grundlegung der Onto-logie bewerkstelligen oder mag sie die Ontologie der Versicherungnach als begriffliche Erstarrung des Erlebens zurückweisen.Wenn nun freilich das Denken, das versucht, die Wahrheit desSeins zu denken, und zwar im Herkommen aus der langen Ge-wohnheit des Vorstellens des Seienden als solchen, sogar selbstsich in diesem Vorstellen verfängt, dann wird vermutlich so-wohl zu einer ersten Besinnung als auch zur Veranlassung desObergangs vom vorstellenden in das andenkende Denken nichtsnötiger sein als die Frage: Was ist Metaphysik?Die Entfaltung dieser Frage durch die folgende Vorlesung endetihrerseits in eine Frage. Sie heißt die Grundfrage der Metaphy-sik und lautet: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht viel-mehr Nichts? Man hat zwar indessen viel über die Angst unddas Nichts, die in der Vorlesung zur Sprache kommen, hin- undhergeredet. Man hat sich aber noch nie einfallen lassen, zu über-

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legen, weshalb eine Vorlesung, die aus dem Denken an dieWahrheit des Seins her an das Nichts und von da in das Wesender Metaphysik zu denken versucht, die genannte Frage als dieGrundfrage der Metaphysik in Anspruch nimmt. Legt dieseinem aufmerksamen Hörer nicht ein Bedenken förmlich aufdie Zunge, das gewichtiger sein muß denn alles Eifern gegen dieAngst und das Nichts? Wir sehen uns durch die Schlußfrage vordas Bedenken gestellt, daß eine Besinnung, die auf dem Wegüber das Nichts an das Sein zu denken versucht, am Ende wie-der zu einer Frage nach dem Seienden zurückkehrt. Insoferndiese Frage gar noch in der herkömmlichen Weise der Meta-physik am Leitfaden des Warum? kausal fragt, wird das Den-ken an das Sein‘ zugunsten der vorstellenden Erkenntnis vonSeiendem aus Seiendem völlig verleugnet. Zu allem Überfluß

ist die Schlußfrage offenbar die Frage, die der MetaphysikerLeibniz in seinen Principes de la nature et de la grace gestellthat: pourquoi il y a plutot quelque chose que rien? (Opp. ed.Gerh. tom. VI, 602. n. 7).Fällt also, was an sich bei der Schwere des Ubergangs von derMetaphysik in das andere Denken möglich wäre, die Vorlesunghinter ihr eigenes Vorhaben zurück? Fragt sie an ihrem Endemit Leibniz die metaphysische Frage nach der obersten Ursachealler seienden Sachen? Warum ist dann, was sich wohl schickte,der Name Leibniz nicht genannt?

Oder wird die Frage in einem ganz anderen Sinne gefragt?Wenn sie nicht beim Seienden anfragt und für dieses die ersteseiende Ursache erkundet, dann muß die Frage bei dem an-setzen, was nicht das Seiende ist. Solches nennt die Frage undschreibt es groß: Das Nichts, das die Vorlesung als ihr einzigesThema bedacht hat. Die Forderung liegt nahe, das Ende dieserVorlesung einmal aus dem eigenen, sie überall leitenden Ge-sichtskreis zu durchdenken. Das, was die Grundfrage der Meta-

physik genannt ist, wäre dann fundamentalontologisch als dieFrage aus dem Grunde der Metaphysik und als die Frage nachdiesem Grunde zu vollziehen.

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Wie sollen wir aber dann, wenn wir der Vorlesung zugestehen,daß sie an ihrem Ende auf ihr eigenes Anliegen zudenkt, dieFrage verstehen?Sie lautet: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehrNichts? Hier kann auch, gesetzt daß wir nicht mehr innerhalbder Metaphysik in der gewohnten Weise metaphysisch, sondernaus dem Wesen und der Wahrheit der Metaphysik an die Wahr-heit des Seins denken, dies gefragt sein: Woher kommt es, daßüberall Seiendes den Vorrang hat und jegliches ,,ist” für sich be-ansprucht, während das, was nicht ein Seiendes ist, das so ver-standene Nichts als das Sein selbst, vergessen bleibt? Woherkommt es, daß Es mit dem Sein eigentlich nichts ist und dasNichts eigentlich nicht west? Kommt gar von hier der unerschüt-terte Anschein in alle Metaphysik, daß sich ,,Sein” von selbstverstehe und daß sich demzufolge das Nichts leichter macheals Seiendes? So steht es in der Tat um Sein und Nichts. Stündees anders, dann könnte Leibniz an der genannten Stelle nichterläuternd sagen: Car le rien est plus simple et plus facile quequelque chose.Was bleibt rätselhafter, dies, daß Seiendes ist, oder dies, daßSein ist? Oder gelangen wir auch durch diese Besinnung nochnicht in die Nähe des Rätsels, das sich mit dem Sein des Seien-den ereignet hat?Wie immer auch die Antwort lauten mag, die Zeit dürfte in-zwischen reifer geworden sein, die vielfach bekämpfte Vor-lesung ,,Was ist Metaphysik? “ einmal von ihrem Ende her zu

durchdenken, von i h r e m Ende, nicht von einem eingebildeten.

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D I E V O R L E S U N G

,,Was ist Metaphysik? “ - Die Frage weckt die Erwartung, eswerde über die Metaphysik geredet. Wir verzichten darauf.Statt dessen erörtern wir eine bestimmte metaphysische Frage.Dadurch lassen wir uns, wie es scheint, unmittelbar in die Me-taphysik versetzen. Wir verschaffen ihr so allein die rechte Mög-lichkeit, sich selbst vorzustellen.Unser Vorhaben beginnt mit der Entfaltung eines metaphysi-schen Fragens, versucht sodann die Ausarbeitung der Frage

und vollendet sich mit deren Beantwortung.

Die Entfaltung eines metaphysischen Fragens

Die Philosophie ist - aus dem Blickpunkt des gesunden Men-schenverstandes gesehen - nach Hegel die ,,verkehrte Welt”.Daher bedarf die Eigentümlichkeit unseres Beginnens der vor-bereitenden Kennzeichnung. Diese erwächst aus einer doppel-ten Charakteristik des metaphysischen Fragens.Einmal umgreift jede metaphysische Frage immer das Ganze derProblematik der Metaphysik. Sie ist je das Ganze selbst. So-dann kann jede metaphysische Frage nur so gefragt werden,daß der Fragende - als ein solcher - in der Frage mit da, d. h.in die Frage gestellt ist. Hieraus entnehmen wir die Anweisung:das metaphysische Fragen muß im Ganzen und aus der wesent-lichen Lage des fragenden Daseins gestellt werden. Wir fra-gen, hier und jetzt, für uns. Unser Dasein - in der Gemeinschaftvon Forschern, Lehrern und Studierenden - ist durch die Wis-senschaft bestimmt. Was geschieht Wesentliches mit uns imGrunde des Daseins, sofern die Wissenschaft unsere Leidenschaftgeworden ist?Die Gebiete der Wissenschaften liegen weit auseinander. DieBehandlungsart ihrer Gegenstände ist grundverschieden. Diese

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zerfallene Vielfältigkeit von Disziplinen wird heute nur nochdurch die technische Organisation von Universitäten und Fa-kultäten zusammen- und durch die praktische Zwecksetzungder Fächer in einer Bedeutung gehalten. Dagegen ist die Ver-wurzelung der Wissenschaften in ihrem Wesensgrund abgestor-ben.

Und doch - in allen Wissenschaften verhalten wir uns, ihremeigensten Absehen folgend, zum Seienden selbst. Gerade vonden Wissenschaften aus gesehen hat kein Gebiet vor dem ande-ren einen Vorrang, weder die Natur vor der Geschichte nochumgekehrt. Keine Behandlungsart der Gegenstände überragtdie andere. Mathematische Erkenntnis ist nicht strenger als diephilologisch-historische. Sie hat nur den Charakter der ,,Exakt-heit“, die mit der Strenge nicht zusammenfällt. Von der Histo-rie Exaktheit fordern, hieße gegen die Idee der spezifischenStrenge der Geisteswissenschaften verstoßen. Der alle Wissen-schaften als solche durchherrschende Bezug zur Welt läßt siedas Seiende selbst suchen, um es je nach seinem Wasgehalt undseiner Seinsart zum Gegenstand einer Durchforschung und be-gründenden Bestimmung zu machen. In den Wissenschaftenvollzieht sich - der Idee nach - ein In-die-Nähe-kommen zumWesentlichen aller Dinge.Dieser ausgezeichnete Weltbezug zum Seienden selbst ist ge-tragen und geführt von einer frei gewählten Haltung dermenschlichen Existenz. Zum Seienden verhält sich zwar auchdas vor- und außerwissenschaftliche Tun und Lassen des Men-schen. Die Wissenschaft hat aber ihre Auszeichnung darin, daßsie in einer ihr eigenen Weise ausdrücklich und einzig der Sacheselbst das erste und letzte Wort gibt. In solcher Sachlichkeit desFragens, Bestimmens und Begründens vollzieht sich eine eigen-tümlich begrenzte Unterwerfung unter das Seiende selbst, aufdaß es an diesem sei, sich zu offenbaren. Diese Dienststellungder Forschung und Lehre entfaltet sich zum Grunde der Mög-lichkeit einer eigenen, obzwar begrenzten Führerschaft im Gan-zen der menschlichen Existenz. Der besondere Weltbezug der

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Wissenschaft und die ihn führende Haltung des Menschen sindfreilich erst dann voll begriffen, wenn wir das sehen und fassen,was in dem so gehaltenen Weltbezug geschieht. Der Mensch -ein Seiendes unter anderem - ,,treibt Wissenschaft”. In diesem,Treiben“ geschieht nichts Geringeres als der Einbruch einesSeienden, genannt Mensch, in das Ganze des Seienden, so zwar,daß in und durch diesen Einbruch das Seiende in dem, was undwie es ist, aufbricht. Der aufbrechende Einbruch verhilft in sei-ner Weise dem Seienden allererst zu ihm selbst.Dieses Dreifache - Weltbezug, Haltung, Einbruch - bringt inseiner wurzelhaften Einheit eine befeuernde Einfachheit undSchärfe des Da-seins in die wissenschaftliche Existenz. Wennwir das so durchleuchtete wissenschaftliche Da-sein für uns aus-drücklich in Besitz nehmen, dann müssen wir sagen:Worauf der Weltbezug geht, ist das Seiende selbst - und sonstnichts.Wovon alle Haltung ihre Führung nimmt, ist das Seiende selbst- und weiter nichts.Womit die forschende Auseinandersetzung im Einbruch ge-schieht, ist das Seiende selbst - und darüber hinaus nichts.Aber merkwürdig - gerade in dem, wie der wissenschaftlicheMensch sich seines Eigensten versichert, spricht er von einemAnderen. Erforscht werden soll nur das Seiende und sonst -nichts; das Seiende allein und weiter - nichts; das Seiende ein-zig und darüber hinaus - nichts.Wie steht es um dieses Nichts? Ist es Zufall, daß wir ganz vonselbst SO sprechen? Ist es nur so eine Art zu reden - und sonstnichts?

Allein was kümmern wir uns um dieses Nichts? Das Nichts wirdja gerade von der Wissenschaft abgelehnt und preisgegeben alsdas Nichtige. Doch wenn wir das Nichts dergestalt preisgeben,geben wir es dann nicht gerade zu? Aber können wir von einemZugeben sprechen, wenn wir nichts zugeben? Doch vielleichtbewegt sich dieses Hin und Her der Rede bereits in einem lee-ren Wortgezänk. Dagegen muß jetzt die Wissenschaft erneut

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ihren Ernst und ihre Nüchternheit behaupten, daß es ihr einzigum das Seiende geht. Das Nichts - was kann es der Wissenschaftanderes sein als ein Greuel und eine Phantasterei? Ist die Wis-senschaft im Recht, dann steht nur das eine fest: die Wissenschaftwill vom Nichts nichts wissen. Dies ist am Ende die wissen-

schaftlich strenge Erfassung des Nichts. Wir wissen es, indemwir von ihm, dem Nichts, nichts wissen wollen.Die Wissenschaft: will vom Nichts nichts wissen. Aber ebensogewiß bleibt bestehen: dort, wo sie ihr eigenes Wesen auszu-

sprechen versucht, ruft sie das Nichts zu Hilfe. Was sie verwirft,nimmt sie in Anspruch. Welch zwiespältiges Wesen enthüllt sichda? .Bei der Besinnung auf unsere augenblickliche Existenz - alseine durch die Wissenschaft bestimmte - sind wir mitten in einenWiderstreit hineingeraten. Durch diesen Streit hat sich schon einFragen entfaltet. Die Frage verlangt nur, eigens ausgesprochenzu werden: Wie steht es um das Nichts?

Die Ausarbeitung der Frage

Die Ausarbeitung der Frage nach dem Nichts muß uns in dieLage bringen, aus der die Beantwortung möglich oder aber dieUnmöglichkeit der Antwort einsichtig wird. Das Nichts ist zu-gegeben. Die Wissenschaft ,gibt es, mit einer überlegenen Gleich-gültigkeit gegen es, preis als das, was ,,es nicht gibt”.Gleichwohl versuchen wir, nach dem Nichts zu fragen. Wasist das Nichts? Schon der erste Anlauf zu dieser Frage zeigtetwas Ungewöhnliches. In diesem Fragen setzen wir im vor-hinein das Nichts als etwas an, das so und so ,,ist” - als ein Sei-endes. Davon ist es aber doch gerade schlechthin unterschieden.Das Fragen nach dem Nichts - was und wie es, das Nichts, sei -verkehrt das Befragte in sein Gegenteil. Die Frage beraubt sichselbst ihres eigenen Gegenstandes.Dementsprechend ist auch jede Antwort auf diese Frage von

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Hause aus unmöglich. Denn sie bewegt sich notwendig in derForm: das Nichts ,,ist” das und das. Frage und Antwort sindim Hinblick auf das Nichts gleicherweise in sich widersinnig.So bedarf es nicht erst der Zurückweisung durch die Wissen-schaft. Die gemeinhin beigezogene Grundregel des Denkensüberhaupt, der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch, die all-gemeine ,,Logik”, schlägt diese Frage nieder. Denn das Denken,das wesenhaft immer Denken von etwas ist, müßte als Denkendes Nichts seinem eigenen Wesen entgegenhandel?,

Weil uns so versagt bleibt, das Nichts überhaupt zum Gegen-stand zu machen, sind wir mit unserem Fragen nach dem Nichtsschon am Ende - unter der Voraussetzung, daß in dieser Fragedie ,,Logik” die höchste Instanz ist, daß der Verstand das Mittelund das Denken der Weg ist, um das Nichts ursprünglich zufassen und über seine mögliche Enthüllung zu entscheiden.Aber läßt sich die Herrschaft der ,,Logik“ antasten? Ist der Ver-stand nicht wirklich Herr in dieser Frage nach dem Nichts? Mitseiner Hilfe können wir doch überhaupt nur das Nichts bestim-men und als ein wenn auch nur sich selbst verzehrendes Problemansetzen. Denn das Nichts ist die Verneinung der Allheit desSeienden, das schlechthin Nicht-Seiende. Hierbei bringen wir

doch das Nichts unter die höhere Bestimmung des Nichthaftenund somit des Verneinten. Verneinung ist aber nach der herr-schenden und nie angetasteten Lehre der ,,Logik“ eine spezifischeVerstandeshandlung. Wie können wir also in der Frage nachdem Nichts und gar in der Frage seiner Befragbarkeit den Ver-stand verabschieden wollen? Doch ist es so sicher, was wir davoraussetzen? Stellt das Nicht, die Verneintheit und damit dieVerneinung die höhere Bestimmung dar, unter die das Nichts alseine besondere Art des Verneinten fällt? Gibt es das Nichts nur,weil es das Nicht, d. h. die Verneinung gibt? Oder liegt es um-gekehrt? Gibt es die Verneinung und das Nicht nur, weil es dasNichts gibt? Das ist nicht entschieden, noch nicht einmal zurausdrücklichen Frage erhoben. Wir behaupten: das Nichts ist ur-

sprünglicher als das Nicht und die Verneinung.

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Wenn diese These zu Recht besteht, dann hängt die Möglichkeit

der Verneinung als Verstandeshandlung und damit der Ver-stand selbst in irgendeiner Weise vom Nichts ab. Wie kann erdann über dieses entscheiden wollen? Beruht am Ende die schein-bare Widersinnigkeit von Frage und Antwort hinsichtlich desNichts lediglich auf einer blinden Eigensinnigkeit des schweifen-den Verstandes?Wenn wir uns aber durch die formale Unmöglichkeit der Fragenach dem Nichts nicht beirren lassen und ihr entgegen die Fragedennoch stellen, dann müssen wir zum mindesten dem genü-gen, was als Grunderfordernis für die mögliche Durchführungjeder Frage bestehen bleibt. Wenn das Nichts, wie immer, be-fragt werden soll - es selbst - dann muß es zuvor gegeben sein.Wir müssen ihm begegnen können.Wo suchen wir das Nichts? Wie finden wir das Nichts? Müssenwir, um etwas zu finden, nicht überhaupt schon wissen, daß esda ist? In der Tat! Zunächst und zumeist vermag der Menschnur dann zu suchen, wenn er das Vorhandensein des Gesuchtenvorweggenommen hat. Nun aber ist das Nichts das Gesuchte.

Gibt es am Ende ein Suchen ohne jene Vorwegnahme, ein Suchen,dem ein reines Finden zugehört?Wie immer es damit bestellt sein mag, wir kennen das Nichts,wenn auch nur als das, worüber wir alltäglich dahin und daherreden, Dieses gemeine, in der ganzen Blässe des Selbstverständ-lichen verblichene Nichts, das sich so unauffällig in unseremGerede herumtreibt, können wir uns sogar kurzerhand in einer,,Definition“ zurechtlegen:Das Nichts ist die vollständige Verneinung der Allheit des Sei-

enden. Gibt diese Charakteristik des Nichts am Ende nichteinen Fingerzeig in die Richtung, aus der her es uns allein be-

gegnen kann?Die Allheit des Seienden muß zuvor gegeben sein, um als solcheschlechthin der Verneinung verfallen zu können, in der sichdann das Nichts selbst zu bekunden hätte. Allein, selbst wenn wir von der Fragwürdigkeit des Verhält-

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nisses zwischen der Verneinung und dem Nichts absehen, wiesollen wir - als endliche Wesen - das Ganze des Seienden inseiner Allheit an sich und zumal uns zugänglich machen? Wirkönnen uns allenfalls das Ganze des Seienden in der ,,Idee"denken und das so Eingebildete in Gedanken verneinen undverneint ,,denken". Auf diesem Wege gewinnen wir zwar denformalen Begriff des eingebildeten Nichts, aber nie das Nichtsselbst. Aber das Nichts ist nichts, und zwischen dem eingebilde-ten und dem ,,eigentlichen“ Nichts kann ein Unterschied nichtobwalten, wenn anders das Nichts die völlige Unterschiedslosig-keit darstellt. Das ,,eigentliche“ Nichts selbst jedoch - ist das nicht wieder jener versteckte, aber widersinnige Begriff einesseienden Nichts? Zum letztenmal sollen jetzt die Einwände desVerstandes unser Suchen aufgehalten haben, das nur durch eineGrunderfahrung des Nichts in seiner Rechtmäßigkeit erwiesenwerden kann.So sicher wir nie das Ganze des Seienden an sich absolut erfas-sen, so gewiß finden wir uns doch inmitten des irgendwie imGanzen enthüllten Seienden gestellt. Am Ende besteht ein we-senhafter Unterschied zwischen dem Erfassen des Ganzen desSeienden an sich und dem Sichbefinden inmitten des Seienden imGanzen. Jenes ist grundsätzlich unmöglich. Dieses geschieht stän-dig in unserem Dasein. Freilich sieht es so aus, als hafteten wirgerade im alltäglichen Dahintreiben je nur an diesem oder jenemSeienden, als seien wir an diesen oder jenen Bezirk des Seien-den verloren. So aufgesplittert der Alltag erscheinen mag, erbehält immer noch das Seiende, wenngleich schattenhaft, in einerEinheit des ,,Ganzen“. Selbst dann und eben dann, wenn wirmit den Dingen und uns selbst nicht eigens beschäftigt sind, über-kommt uns dieses ,,im Ganzen”, z. B. in der eigentlichen Lange-weile. Sie ist noch fern, wenn uns lediglich dieses Buch oder jenesSchauspiel, jene Beschäftigung oder dieser Müßiggang langweilt.Sie bricht auf, wenn ,,es einem langweilig ist“. Die tiefe Lange-weile, in den Abgründen des Daseins wie ein schweigender Nebelhin- und herziehend, rückt alle Dinge, Menschen und einen selbst

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mit ihnen in eine merkwürdige Gleichgültigkeit zusammen.Diese Langeweile offenbart das Seiende im Ganzen.Eine andere Möglichkeit solcher Offenbarung birgt die Freudean der Gegenwart des Daseins - nicht der bloßen Person -eines geliebten Menschen.Solches Gestimmtsein, darin einem so und so ,,ist”, 1äßt uns -

von ihm durchstimmt - inmitten des Seienden im Ganzen befin-den. Die Befindlichkeit der Stimmung enthüllt nicht nur je nachihrer Weise das Seiende im Ganzen, sondern dieses Enthüllen

ist zugleich -weit entfernt von einem bloßen Vorkommnis - dasGrundgeschehen unseres Da-Seins.Was wir so ,,Gefühle” nennen, ist weder eine flüchtige Begleit-erscheinung unseres denkenden und willentlichen Verhaltens,noch ein bloßer verursachender Antrieb zu solchem, noch ein nurvorhandener Zustand, mit dem wir uns so oder so abfinden.Doch gerade wenn die Stimmungen uns dergestalt vor dasSeiende im Ganzen führen, verbergen sie uns das Nichts, daswir suchen. Wir werden jetzt noch weniger der Meinung sein,die Verneinung des stimmungsmäßig offenbaren Seienden imGanzen stelle uns vor das Nichts. Dergleichen könnte entspre-chend ursprünglich nur in einer Stimmung geschehen, die ihremeigensten Enthüllungssinne nach das Nichts offenbart.Geschieht im Dasein des Menschen ein solches Gestimmtsein, indem er vor das Nichts selbst gebracht wird?Dieses Geschehen ist möglich und auch wirklich - wenngleichselten genug - nur für Augenblicke in der Grundstimmung der

Angst. Mit dieser Angst meinen wir nicht die recht häufigeÄngstlichkeit, die im Grunde der nur allzu leicht sich einstellen-den Furchtsamkeit zugehört. Angst ist grundverschieden vonFurcht. Wir fürchten uns immer vor diesem oder jenem bestimm-ten Seienden, das uns in dieser oder jener bestimmten Hinsicht

bedroht. Die Furcht vor . . . fürchtet jeweils auch um etwas Be-

stimmtes. Weil der Furcht diese Begrenztheit ihres Wovor undWorum eignet, wird der Fürchtende und Furchtsame von dem,worin er sich befindet, festgehalten. Im Streben, sich davor - vor

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diesem Bestimmten - zu retten, wird er in Bezug auf Anderesunsicher, d. h. im Ganzen ,,kopflos”.Die Angst läßt eine solche Verwirrung nicht mehr aufkommen.Weit eher durchzieht sie eine eigentümliche Ruhe. Zwar ist dieAngst immer Angst vor . . ., aber nicht vor diesem oder jenem.Die Angst vor. . . ist immer Angst um . . ., aber nicht um diesesoder jenes. Die Unbestimmtheit dessen jedoch, wovor und wor-um wir uns ängstigen, ist kein bloßes Fehlen der Bestimmtheit,sondern die wesenhafte Unmöglichkeit der Bestimmbarkeit. Siekommt in einer bekannten Auslegung zum Vorschein.In der Angst - sagen wir - ,,ist es einem unheimlich”. Was heißtdas ,,es“ und das ,,einem“? Wir können nicht sagen, wovor einemunheimlich ist. Im Ganzen ist einem so. Alle Dinge und wir selbstversinken in eine Gleichgültigkeit. Dies jedoch nicht im Sinneeines bloßen Verschwindens, sondern in ihrem Wegrücken alssolchem kehren sie sich uns zu. Dieses Wegrücken des Seiendenim Ganzen, das uns in der Angst umdrängt, bedrängt uns. Esbleibt kein Halt. Es bleibt nur und kommt über uns - im Ent-gleiten des Seienden - dieses ,,kein”.Die Angst offenbart das Nichts.Wir ,,schweben” in Angst. Deutlicher: die Angst läßt uns schwe-ben, weil sie das Seiende im Ganzen zum Entgleiten bringt.Darin liegt, daß wir selbst - diese seienden Menschen - inmittendes Seienden uns mitentgleiten. Daher ist im Grunde nicht ,,dir”und ,,mir“ unheimlich, sondern ,,einem” ist es so. Nur das reineDa-sein in der Durchschütterung dieses Sehwebens, darin es sichan nichts halten kann, ist noch da.Die Angst verschlägt uns das Wort. Weil das Seiende im Gan-zen entgleitet und so gerade das Nichts andrängt, schweigt imAngesicht seiner jedes ,,Ist”-Sagen. Daß wir in der Unheimlich-keit der Angst oft die leere Stille gerade durch ein wahllosesReden zu brechen suchen, ist nur der Beweis für die Gegenwartdes Nichts. Daß die Angst das Nichts enthüllt, bestätigt derMensch selbst unmittelbar dann, wenn die Angst gewichen ist.In der Helle des Blickes, den die frische Erinnerung trägt,

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müssen wir sagen: wovor und worum wir uns ängsteten, war,,eigentlich” - nichts. In der Tat: das Nichts selbst - als solches -

war da.Mit der Grundstimmung der Angst haben wir das Geschehendes Daseins erreicht, in dem das Nichts offenbar ist und aus demheraus es befragt werden muß.Wie steht es um das Nichts?

Die Beantwortung der Frage

Die für unsere Absicht zunächst allein wesentliche Antwort istschon gewonnen, wenn wir darauf achthaben, daß die Frage

nach dem Nichts wirklich gestellt bleibt. Hierzu wird verlangt,daß wir die Verwandlung des Menschen in sein Da-sein, die jedeAngst mit uns geschehen läßt, nachvollziehen, um das darinoffenkundige Nichts in dem festzunehmen, wie es sich bekundet.Damit ergeht zugleich die Forderung, ausdrücklich die Kenn-

zeichnungen des Nichts fernzuhalten, die nicht im Ansprechendesselben erwachsen sind.Das Nichts enthüllt sich in der Angst - aber nicht als Seiendes.Es wird ebensowenig als Gegenstand gegeben. Die Angst ist keinErfassen des Nichts. Gleichwohl wird das Nichts durch sie undin ihr offenbar, wenngleich wiederum nicht so, als zeigte sich dasNichts abgelöst ,,neben” dem Seienden im Ganzen, das in derUnheimlichkeit steht. Wir sagten vielmehr: das Nichts begegnetin der Angst in eins mit dem Seienden im Ganzen. Was meintdieses ,,in eins mit“?In der Angst wird das Seiende im Ganzen hinfällig. In welchemSinne geschieht das? Das Seiende wird doch durch die Angst

nicht vernichtet, um so das Nichts übrig zu lassen. Wie soll es dasauch, wo sich doch die Angst gerade in der völligen Ohnmachtgegenüber dem Seienden im Ganzen befindet. Vielmehr bekun-det sich das Nichts eigens mit und an dem Seienden als einementgleitenden im Ganzen.

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In der Angst geschieht keine Vernichtung des ganzen Seiendenan sich, aber ebensowenig vollziehen wir eine Verneinung desSeienden im Ganzen, um das Nichts allererst zu gewinnen. Ab-gesehen davon, daß der Angst als solcher der ausdrückliche

Vollzug einer verneinenden Aussage fremd ist, wir kämen auchmit einer solchen Verneinung, die das Nichts ergeben sollte, je-derzeit zu spät. Das Nichts begegnet vordem schon. Wir sagten,es begegne ,,in eins mit“ dem entgleitenden Seienden im

Ganzen.In der Angst liegt ein Zurückweichen vor . . ., das freilich keinFliehen mehr ist, sondern eine gebannte Ruhe. Dieses Zurückvor. . . nimmt seinen Ausgang vom Nichts. Dieses zieht nicht

auf sich, sondern ist wesenhaft abweisend. Die Abweisung vonsich ist aber als solche das entgleitenlassende Verweisen auf dasversinkende Seiende im Ganzen. Diese im Ganzen abweisendeVerweisung auf das entgleitende Seiende im Ganzen, als welchedas Nichts in der Angst das Dasein umdrängt, ist das Wesen desNichts: die Nichtung. Sie ist weder eine Vernichtung des Seien-den, noch enspringt sie einer Verneinung. Die Nichtung läßt sichauch nicht in Vernichtung und Verneinung auf rechnen. Das Nichtsselbst nichtet.Das Nichten ist kein beliebiges Vorkommnis, sondern als ab-weisendes Verweisen auf das entgleitende Seiende im Ganzenoffenbart es dieses Seiende in seiner vollen, bislang verborgenenBefremdlichkeit als das schlechthin Andere - gegenüber demNichts.In der hellen Nacht des Nichts der Angst ersteht erst die ur-sprüngliche Offenheit des Seienden als eines solchen: daß esSeiendes ist - und nicht Nichts. Dieses von uns in der Rede dazu-gesagte ,,und nicht Nichts” ist aber keine nachgetragene Erklä-rung, sondern die vorgängige Ermöglichung der Offenbarkeitvon Seiendem überhaupt, das Wesen des ursprünglich nichten-den Nichts liegt in dem: es bringt das Da-sein allererst vor dasSeiende als ein solches.Nur auf dem Grunde der ursprünglichen Offenbarkeit des Nichts

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kann das Dasein des Menschen auf Seiendes zugehen und ein-gehen. Sofern aber das Dasein seinem Wesen nach zu Seiendem,das es nicht ist und das es selbst ist, sich verhält, kommt es alssolches Dasein je schon aus dem offenbaren Nichts her.

Da-sein heißt: Hineingehaltenheit in das Nichts.Sichhineinhaltend in das Nichts ist das Dasein je schon über das

Seiende im Ganzen hinaus, Dieses Hinaussein über das Seiendenennen wir die Transzendenz. Würde das Dasein im Grundeseines Wesens nicht transzendieren, d. h. jetzt, würde es sich nicht

im vorhinein in das Nichts hineinhalten, dann könnte es sich niezu Seiendem verhalten, also auch nicht zu sich selbst.Ohne ursprüngliche Offenbarkeit des Nichts kein Selbstsein undkeine Freiheit.Damit ist die Antwort auf die Frage nach dem Nichts gewonnen. Das Nichts ist weder ein Gegenstand, noch überhaupt ein Seien-des. Das Nichts kommt weder für sich vor, noch neben demSeienden, dem es sich gleichsam anhängt. Das Nichts ist die Er-möglichung der Offenbarkeit des Seienden als eines solchen fürdas menschliche Dasein. Das Nichts gibt nicht erst den Gegen-begriff zum Seienden her, sondern gehört ursprünglich zumWesen selbst. Im Sein des Seienden geschieht das Nichten desNichts.Allein jetzt muß endlich ein allzu lange zurückgehaltenes Be-denken zu Wort kommen. Wenn das Dasein nur im Sichhinein-halten in das Nichts zu Seiendem sich verhalten, also existierenkann und wenn das Nichts ursprünglich nur in der Angst offen-bar wird, müssen wir dann nicht ständig in dieser Angst schwe-ben, um überhaupt existieren zu können? Haben wir aber nichtselbst zugestanden, diese ursprüngliche Angst sei selten? Vorallem aber, wir existieren doch alle und verhalten uns zu Seien-dem, das wir nicht selbst und das wir selbst sind - ohne dieseAngst. Ist sie nicht eine willkürliche Erfindung und das ihr zu-gesprochene Nichts eine Übertreibung ?Doch was’heißt es: diese ursprüngliche Angst geschieht nur inseltenen Augenblicken? Nichts anderes als: das Nichts ist uns

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zunächst und zumeist in seiner Ursprünglichkeit verstellt. wo-durch denn? Dadurch, daß wir uns in bestimmter Weise völligan das Seiende verlieren. Je mehr wir uns in unseren Umtriebenan das Seiende kehren, um so weniger lassen wir es als solchesentgleiten, um so mehr kehren wir uns ab vom Nichts. Um SO

sicherer aber drängen wir uns selbst in die öffentliche Oberflächedes Daseins.Und doch ist diese ständige, wenngleich zweideutige Abkehrvom Nichts in gewissen Grenzen nach dessen eigenstem Sinn.Es - das Nichts in seinem Nichten - verweist uns gerade an dasSeiende. Das Nichts nichtet unausgesetzt, ohne daß wir mit demWissen, darin wir uns alltäglich bewegen, um dieses Gescheheneigentlich wissen.Was zeugt eindringlicher für die ständige und ausgebreitete, ob-zwar verstellte Offenbarkeit des Nichts in unserem Dasein alsdie Verneinung? Diese bringt aber das Nicht keineswegs aus sichals Mittel der Unterscheidung und Entgegensetzung zum Ge-gebenen hinzu, um es gleichsam dazwischenzuschieben. Wie sollauch die Verneinung das Nicht aus ihr selbst aufbringen, wo siedoch nur verneinen kann, wenn ihr ein Verneinbares vorgegebenist? Wie soll aber ein Verneinbares und Zu-Verneinendes als einNichthaftes erblickt werden können, es sei denn so, daß allesDenken als solches auf das Nicht schon vorblickt? Das Nichtkann aber nur offenbar werden, wenn sein Ursprung, das Nich-ten des Nichts überhaupt und damit das Nichts selbst, der Ver-borgenheit entnommen ist. Das Nicht entsteht nicht durch dieVerneinung, sondern die Verneinung gründet sich auf das Nicht,das dem Nichten des Nichts entspringt. Die Verneinung ist aberauch nur eine Weise des nichtenden, d. h. auf das Nichten desNichts vorgängig gegründeten Verhaltens.Hierdurch ist in den Grundzügen die obige These erwiesen: dasNichts ist der Ursprung der Verneinung, nicht umgekehrt. Wennso die Macht des Verstandes im Felde der Fragen nach demNichts und dem Sein gebrochen wird, dann entscheidet sich da-mit auch das Schicksal der Herrschaft der ,,Logik“ innerhalb der

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Philosophie. Die Idee der ,,Logik“ selbst löst sich auf im Wirbeleines ursprünglicheren Fragens.So oft und vielfältig nun auch die Verneinung - ob ausgespro-chen oder nicht - alles Denken durchsetzt, so wenig ist sie alleinder vollgültige Zeuge für die zum Dasein wesenhaft gehörigeOffenbarkeit des Nichts. Denn die Verneinung kann weder alsdas einzige, noch gar als das führende nichtende Verhalten ange-sprochen werden, darin das Dasein vom Nichten des Nichtsdurchschüttert bleibt. Abgründiger als die bloße Angemessen-heit der denkenden Verneinung ist die Härte des Entgegenhan-delns und die Schärfe des Verabscheuens. Verantwortlicher ist

der Schmerz des Versagens und die Schonungslosigkeit des Ver-bietens. Lastender ist die Herbe des Entbehrens.Diese Möglichkeiten des nichtenden Verhaltens - Kräfte, in de-nen das Dasein seine Geworfenheit trägt, wenngleich nicht mei-

stert - sind keine Arten des bloßen Verneinens

chen. Dadurch verrät sich freilich erst recht die Leere und Weiteder Verneinung. Die Durchdrungenheit des Daseins vom nichten-den Verhalten bezeugt die ständige und freilich verdunkelteOffenbarkeit des Nichts, das ursprünglich nur die Angst enthüllt.Darin liegt aber: diese ursprüngliche Angst wird im Dasein zu-meist niedergehalten. Die Angst ist da. Sie schläft nur. Ihr Atemzittert ständig durch das Dasein: am wenigsten durch das ,,ängst-liche” und unvernehmliche für das ,,Ja Ja” und ,,Nein Nein“ desbetriebsamen; am ehesten durch das verhaltene; am sicherstendurch das im Grunde verwegene Dasein. Dieses aber geschiehtnur aus dem, wofür es sich verschwendet, um so die letzte Größe

des Daseins zu bewahren.Die Angst des Verwegenen duldet keine Gegenstellung zur Freudeoder gar zum behaglichen Vergnügen des beruhigten Dahintrei-bens. Sie steht - diesseits solcher Gegensätze - im geheimen

Bunde mit der Heiterkeit und Milde der schaffenden Sehnsucht.Die ursprüngliche Angst kann jeden Augenblick im Dasein er-wachen. Sie bedarf dazu keiner Weckung durch ein ungewöhn-

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liches Ereignis. Der Tiefe ihres Waltens entspricht das Gering-fügige ihrer möglichen Veranlassung. Sie ist ständig auf demSprunge und kommt doch nur selten zum Springen, um uns insSchweben zu reißen.Die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts auf demGrunde der verborgenen Angst macht den Menschen zum Platz-halter des Nichts. So endlich sind wir, daß wir gerade nichtdurch eigenen Beschluß und Willen uns ursprünglich vor dasNichts zu bringen vermögen. So abgründig gräbt im Dasein dieVerendlichung, daß sich unsere Freiheit die eigenste und tiefsteEndlichkeit versagt.Die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts auf demGrunde der verborgenen Angst ist das Ubersteigen des Seiendenim Ganzen: die Transzendenz.Unser Fragen nach dem Nichts soll uns die Metaphysik selbst

‘vorführen\ Der Name ,,Metaphysik“ stammt aus dem griechi-schen T& ~LET& cppuotx& Dieser wunderliche Titel wurde später ge-deutet als Bezeichnung des Fragens, das MET& - trans - ,,über”das Seiende als solches hinausgeht.Metaphysik ist das Hinausfragen über das Seiende, um es alsein solches und im Ganzen für das Begreifen zurückzuerhalten.In der Frage nach dem Nichts geschieht ein solches Hinausgehen

über das Seiende als Seiendes im Ganzen Sie ist somit als eine,,metaphysische” Frage erwiesen. Von den Fragen solcher Artgaben wir zu Beginn eine doppelte Charakteristik: jede meta-physische Frage umgreift einmal je das Ganze der Metaphysik.In jeder metaphysischen Frage wird sodann je das fragende Da-sein mit in die Frage hineingenommen.Inwiefern durchgreift und umspannt die Frage nach dem Nichtsdas Ganze der Metaphysik?Über das Nichts spricht sich die Metaphysik von altersher ineinem freilich mehrdeutigen Satze aus: ex nihilo nihil fit, ausNichts wird Nichts. Wenngleich in der Erörterung des Satzesdas Nichts selbst nie eigentlich zum Problem wird, so bringter doch aus dem jeweiligen Hinblick auf das Nichts die

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dabei leitende Grundauffassung des Seienden zum Ausdruck.Die antike Metaphysik faßt das Nichts in der Bedeutung desNichtseienden, d. h. des ungestalteten Stoffes, der sich selbstnicht zum gestalthaften und demgemäß ein Aussehen (si80~)bietenden Seienden gestalten kann. Seiend ist das sich bildende

Gebilde, das als solches im Bilde(Anblick) sich darstellt. Ursprung,Recht und Grenzen dieser Seinsauffassung werden so wenig er-örtert wie das Nichts selbst, Die christliche Dogmatik dagegenleugnet die Wahrheit des Satzes ex nihilo nihil fit und gibt dabeidem Nichts eine veränderte Bedeutung im Sinne der völligen Ab-wesenheit des außergöttlichen Seienden: ex nihilo fit - ens crea-tum. Das Nichts wird jetzt der Gegenbegriff zum eigentlich Sei-enden, zum summum ens, zu Gott als ens increatum. Auch hierzeigt die Auslegung des Nichts die Grundauffassung des Seien-den an. Die metaphysische Erörterung des Seienden hält sichaber in derselben Ebene wie die Frage nach dem Nichts. DieFragen nach dem Sein und dem Nichts als solchen unterblei-ben beide. Daher bekümmert auch gar nicht die Schwierigkeit,daß, wenn Gott aus dem Nichts schafft, gerade es sich zumNichts muß verhalten können. Wenn aber Gott Gott ist, kanner das Nichts nicht kennen, wenn anders das ,Absolute” alleNichtigkeit von sich ausschließt.Diese rohe historische Erinnerung zeigt das Nichts als Gegen-begriff des eigentlich Seienden, d. h. als dessen Verneinung. Wirdaber das Nichts irgendwie Problem, dann erfährt dieses Gegen-verhältnis nicht etwa nur eine deutlichere Bestimmung, sondernes erwacht erst die eigentliche metaphysische Fragestellung nach

dem Sein des Seienden. Das Nichts bleibt nicht das unbestimmteGegenüber für das Seiende, sondern es enthüllt sich als zuge-hörig zum Sein des Seienden.,,Das reine Sein und das reine Nichts ist also dasselbe.” Dieser

Satz Hegels (Wissenschaft der Logik I. Buch, WW III, S. 74)besteht zu Recht. Sein und Nichts gehören zusammen, abernicht weil sie beide - vom Hegelschen Begriff des Denkens ausgesehen - in ihrer Unbestimmtheit und Unmittelbarkeit über-

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einkommen, sondern weil das Sein selbst im Wesen endlich istund sich nur in der Transzendenz des in das Nichts hinausge-haltenen Daseins offenbart.

Wenn anders die Frage nach dem Sein als solchem die umgrei-fende Frage der Metaphysik ist, dann erweist sich die Fragenach dem Nichts von der Art, daß sie das Ganze der Meta-physik umspannt. Die Frage nach dem Nichts durchgreift aber

zugleich das Ganze der Metaphysik, sofern sie uns vor das Pro-blem des Ursprungs der Verneinung zwingt, d. h. im Grundevor die Entscheidung über die rechtmäßige Herrschaft der,,Logik“ in der Metaphysik.

Der alte Satz ex nihilo nihil fit erhält dann einen anderen, dasSeinsproblem selbst treffenden Sinn und lautet: ex nihilo omne

ens qua ens fit. Im Nichts des Daseins kommt erst das Seiendeim Ganzen seiner eigensten Möglichkeit nach, d. h. in endlicherWeise, zu sich selbst. Inwiefern hat dann die Frage nach demNichts, wenn sie eine metaphysische ist, unser fragendes Daseinin sich hineingenommen? Wir kennzeichnen unser jetzt und hiererfahrenes Dasein als wesentlich bestimmt durch die Wissen-schaft. Wenn unser so bestimmtes Dasein in die Frage nach demNichts gestellt ist, dann muß es durch diese Frage fragwürdiggeworden sein.Das wissenschaftliche Dasein hat seine Einfachheit und Schärfedarin, daß es sich in einer ausgezeichneten Weise zum Seiendenselbst verhält und einzig zu ihm. Das Nichts möchte die Wissen-schaft mit überlegener Geste preisgeben. Jetzt aber wird imFragen nach dem Nichts offenbar, daß dieses wissenschaftlicheDasein nur möglich ist, wenn es sich im vorhinein in das Nichtshineinhält. Es versteht sich erst dann in dem, was es ist, wennes das Nichts nicht preisgibt. Die vermeintliche Nüchternheitund Überlegenheit der Wissenschaft wird zur Lächerlichkeit,

wenn sie das Nichts nicht ernst nimmt. Nur weil das Nichtsoffenbar ist, kann die Wissenschaft das Seiende selbst zumGegenstand der Untersuchung machen. Nur wenn die Wissen-schaft aus der Metaphysik existiert, vermag sie ihre wesenhafte

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Aufgabe stets neu zu gewinnen, die nicht im Ansammeln undOrdnen von Kenntnissen besteht, sondern in der immer neuzu vollziehenden Erschließung des ganzen Raumes der Wahr-heit von Natur und Geschichte.Einzig weil das Nichts im Grunde des Daseins offenbar ist,kann die volle Befremdlichkeit des Seienden über uns kommen.

Nur wenn die Befremdlichkeit des Seienden uns bedrängt,weckt es und zieht es auf sich die Verwunderung. Nur auf dem

Grunde der Verwunderung - d. h. der Offenbarkeit des Nichts

- entspringt das ,,Warum?“. Nur weil das Warum als solches

möglich ist, können wir in bestimmter Weise nach Gründen fra-gen und begründen. Nur weil wir fragen und begründen kön-nen, ist unserer Existenz das Schicksal des Forschers in dieHand gegeben.Die Frage nach dem Nichts stellt uns - die Fragenden - selbstin Frage. Sie ist eine metaphysische.

Das menschliche Dasein kann sich nur zu Seiendem verhalten,wenn es sich in das Nichts hineinhält. Das Hinausgehen über das Seiende geschieht im Wesen des Daseins. Dieses Hinaus-gehen aber ist die Metaphysik selbst. Darin liegt: Die Meta-physik gehört zur ,,Natur des Menschen”. Sie ist weder einFach der Schulphilosophie, noch ein Feld willkürlicher Einfälle.Die Metaphysik ist das Grundgeschehen im Dasein. Sie ist dasDasein selbst. Weil die Wahrheit der Metaphysik in diesem ab-gründigen Grunde wohnt, hat sie die ständig lauernde Mög-lichkeit des tiefsten Irrtums zur nächsten Nachbarschaft. Daher

erreicht keine Strenge einer Wissenschaft den Ernst der Meta-physik, Die Philosophie kann nie am Maßstab der Idee derWissenschaft gemessen werden.Wenn die aufgerollte Frage nach dem Nichts wirklich von unsmitgefragt wurde, dann haben wir die Metaphysik uns nichtvon außen vorgeführt. Wir haben uns auch nicht erst in sie ,,ver-setzt”. Wir können uns gar nicht in sie versetzen, weil wir - so-fern wir existieren - schon immer in ihr stehen. cphssl yti~, 6

cpk, &wzL TLS cp~ho~orpla ~3 ZOG &v?&G~ G~avoiq (Platon, Phaidros

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279a). Sofern der Mensch existiert, geschieht in gewisser Weise

das Philosophieren. Philosophie - was wir so nennen - ist dasIn-Gang-bringen der Metaphysik, in der sie zu sich selbst undihren ausdrücklichen Aufgaben kommt. Die Philosophie kommtnur in Gang durch einen eigentümlichen Einsprung der eigenenExistenz in die Grundmöglichkeiten des Daseins im Ganzen. Fürdiesen Einsprung ist entscheidend: einmal das Raumgeben fürdas Seiende im Ganzen; sodann das Sichloslassen in das Nichts,d. h. das Freiwerden von den Götzen, die jeder hat und zudenen er sich wegzuschleichen pflegt; zuletzt das Ausschwingen-lassen dieses Schwebens, auf daß es ständig zurückschwinge indie Grundfrage der Metaphysik, die das Nichts selbst erzwingt:Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?

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N A C H W O R T

Die Frage ,,Was ist Metaphysik?“ bleibt eine Frage. Dasfolgende Nachwort ist für den, der bei der Frage verharrt, einanfänglicheres Vorwort. Die Frage, ,,W a s ist Metaphysik?”fragt über die Metaphysik hinaus. Sie entspringt einem Denken,das schon in die Überwindung der Metaphysik eingegangen ist.Zum Wesen solcher Obergänge gehört es, daß sie in gewissenGrenzen noch die Sprache dessen sprechen müssen, was sie über-winden helfen. Die besondere Gelegenheit, bei der die Fragenach dem Wesen der Metaphysik erörtert wird, darf nicht zurMeinung verleiten, dies Fragen sei daran gebunden, von denWissenschaften ausgehen zu müssen. Die neuzeitliche Forschungist mit anderen Weisen des Vorstellens und mit anderen Artendes Herstellens von Seiendem in den Grundzug derjenigenWahrheit eingelassen, der gemäß alles Seiende durch den Willenzum Willen gezeichnet ist, als dessen Vorform der ,,Wille zur

Macht“ das Erscheinen begonnen hat. ,,Wille”, als Grundzugder Seiendheit des Seienden verstanden, ist die Gleichsetzungdes Seienden mit dem Wirklichen dergestalt, daß die Wirklich-keit des Wirklichen zur bedingungslosen Machbarkeit der durch-gängigen Vergegenständlichung ermächtigt wird. Die neuzeit-liche Wissenschaft dient weder einem ihr erst angetragenenZweck, noch sucht sie eine ,,Wahrheit an sich”. Sie ist als eine

Weise der rechnenden Vergegenständlichung des Seienden einevom Willen zum Willen selbst gesetzte Bedingung, durch die er

die Herrschaft seines Wesens sichert. Weil jedoch alle Vergegen-ständlichung des Seienden in der Beischaffung und Sicherung desSeienden aufgeht und aus diesem sich die Möglichkeiten ihresFortgangs beschafft, verharrt die Vergegenständlichung beim Sei-enden und hält dieses schon für das Sein. Alles Verhalten zumSeienden bezeugt so ein Wissen vom Sein, zugleich aber dasUnvermögen, von sich aus im Gesetz der Wahrheit dieses Wis-sens zu stehen. Diese Wahrheit ist die Wahrheit über das Sei-

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ende. Die Metaphysik ist die Geschichte dieser Wahrheit. Sie

sagt, was das Seiende sei, indem sie die Seiendheit des Seiendenzum Begriff bringt. In der Seiendheit des Seienden denkt dieMetaphysik das Sein, ohne doch in der Weise ihres Denkens dieWahrheit des Seins bedenken zu können. Die Metaphysik be-wegt sich überall im Bereich der Wahrheit des Seins, die ihr derunbekannte ungegründete Grund bleibt. Gesetzt aber, daß nichtnur das Seiende dem Sein entstammt, sondern daß auch undanfänglicher noch das Sein selbst in seiner Wahrheit ruht unddie Wahrheit des Seins als das Sein der Wahrheit west, dann istdie Frage notwendig, was die Metaphysik in ihrem Grunde sei.Dieses Fragen muß metaphysisch denken und zugleich aus demGrund der Metaphysik, d. h. nicht mehr metaphysisch, denken.Solches Fragen bleibt in einem wesentlichen Sinne zweideutig.

Jeder Versuch, den Gedankengang der Vorlesung mitzugehen,wird daher auf Hindernisse stoßen. Das ist gut. Das Fragenwird dadurch echter. Jede sachgerechte Frage ist bereits dieBrücke zur Antwort. Wesentliche Antworten sind stets nur derletzte Schritt der Fragen. Der aber bleibt unvollziehbar ohnedie lange Reihe der ersten und nächsten Schritte. Die wesent-liche Antwort schöpft ihre Tragkraft aus der Inständigkeit desFragens. Die wesentliche Antwort ist nur der Beginn einer Ver-antwortung. In dieser erwacht das Fragen ursprünglicher. Des-halb wird auch die echte Frage durch die gefundene Antwortnicht aufgehoben.Die Hindernisse für das Mitdenken der Vorlesung sind zwie-facher Art. Die einen erheben sich aus den Rätseln, die sich imBereich des hier Gedachten verbergen. Die anderen entspringendem Unvermögen, oft auch dem Unwillen zum Denken. Im Be-reich des denkenden Fragens können bisweilen schon flüchtigeBedenken helfen, vollends gar die sorgfältig überlegten. Auchgrobe Irrmeinungen fruchten etwas, selbst wenn sie in der Wuteiner verblendeten Polemik ausgerufen werden. Das Nachden-ken muß nur alles in die Gelassenheit der langmütigen Be-sinnung zurücknehmen.

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Die vorwiegenden Bedenken und Irrmeinungen zu dieser Vor-

lesung lassen sich in drei Leitsätze sammeln. Man sagt:1. Die Vorlesung macht ,,das Nichts” zum alleinigen Gegen-stand der Metaphysik. Weil jedoch das Nichts das schlechthinNichtige ist, führt dieses Denken zur Meinung, alles sei nichts,SO daß es sich nicht lohne, weder zu leben noch zu sterben. Eine,,Philosophie des Nichts“ ist der vollendete ,,Nihilismus“.2. Die Vorlesung erhebt eine vereinzelte und dazu noch ge-drückte Stimmung, die Angst, zu der einzigen Grundstimmung.

Weil jedoch die Angst der seelische Zustand der ,,Angstlichen”und Feigen ist, verleugnet dieses Denken die hochgemute Hal-tung der Tapferkeit. Eine ,,Philosophie der Angst“ lähmt denWillen zur Tat.

3. Die Vorlesung entscheidet sich gegen die ,,Logik“. Weil jedochder Verstand die Maßstäbe alles Rechnens und Ordnens enthält,überantwortet dieses Denken das Urteil über die Wahrheit derzufälligen Stimmung. Eine ,,Philosophie des bloßen Gefühls” ge-

fährdet das ,,exakte“ Denken und die Sicherheit des Handelns.Die rechte Stellungnahme zu diesen Sätzen entspringt aus einemerneuten Durchdenken der Vorlesung. Es mag prüfen, ob dasNichts, das die Angst in ihr Wesen stimmt, sich bei einer leerenVerneinung alles Seienden erschöpft, oder ob, was nie und nir-gends ein Seiendes ist, sich entschleiert als-das von allem Seien- den Sichunterscheidende, das wir das Sein nennen. Wo immer und wie weit auch alle Forschung das Seiende absucht, nirgendsfindet sie das Sein. Sie trifft: immer nur das Seiende, weil sie zumvoraus in der Absicht ihres Erklärens beim Seienden beharrt.Das Sein jedoch ist keine seiende Beschaffenheit an Seiendem.Das Sein läßt sich nicht gleich dem Seienden gegenständlich vor-und herstellen. Dies schlechthin Andere zu allem Seienden istdas Nicht-Seiende. Aber dieses Nichts west als das Sein. Wir

sagen dem Denken zu übereilt ab, wenn wir das Nichts in billi-ger Erklärung für das bloß Nichtige ausgeben und es dem Wesen-losen gleichsetzen. Statt solcher Ubereilung eines leeren Scharf-sinns nachzugeben und die rätselhafte Mehrdeutigkeit des

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Nichts preiszugeben, müssen wir uns auf die einzige Bereitschaftrüsten, im Nichts die Weiträumigkeit dessen zu erfahren, wasjedem Seienden die Gewähr gibt, zu sein. Das ist das Sein selbst.Ohne das Sein, dessen abgründiges, aber noch unentfaltetes We-sen uns das Nichts in der wesenhaften Angst zuschickt, bliebe alles

Seiende in der Seinlosigkeit. Allein auch diese ist als die Seins-verlassenheit wiederum nicht ein nichtiges Nichts, wenn anderszur Wahrheit des Seins gehört, daß das Sein nie west ohne dasSeiende, daß niemals ein Seiendes ist ohne das Sein.Eine Erfahrung des Seins als des Anderen zu allem Seiendenverschenkt die Angst, gesetzt, daß wir nicht aus ,,Angst” vorder Angst, d. h. in der bloßen Ängstlichkeit der Furcht, vor derlautlosen Stimme ausweichen, die uns in den Schrecken des Ab-grundes stimmt. Verlassen wir freilich beim Hinweis auf diesewesenhafte Angst willkürlich den Gang des Denkens dieser Vor-lesung, lösen wir die Angst als die von jener Stimme gestimmteStimmung aus dem Bezug zum Nichts heraus, dann bleibt unsdie Angst als vereinzeltes ,,Gefühl” übrig, das wir im bekann-ten Sortiment der psychologisch begafften Seelenzustände gegenandere Gefühle unterscheiden und zergliedern können. Am Leit-faden des billigen Unterschieds zwischen ,,oben“ und ,,unten“lassen sich dann die ,,Stimmungen” in die Klassen der erheben-den und der niederziehenden verrechnen. Der eifrigen Jagd auf,,Typen“ und ,,Gegentypen“ der ,,Gefühle“, auf Abarten undUnterarten dieser ,Typen” wird die Beute nie ausgehen, Doch

bleibt dieses anthropologische Beforschen des Menschen stetsaußerhalb der Möglichkeit, im Gedankengang der Vorlesungzu gehen; denn diese denkt aus der Achtsamkeit auf die Stimmedes Seins in das aus dieser Stimme kommende Stimmen hinaus,das den Menschen in seinem Wesen in den Anspruch nimmt, da-mit er das Sein im Nichts erfahren lerne.Die Bereitschaft zur Angst ist das Ja zur Inständigkeit, den höch-sten Anspruch zu erfüllen, von dem allein das Wesen des Menschengetroffen ist. Einzig der Mensch unter allem Seienden erfährt,angerufen von der Stimme des Seins, das Wunder aller Wunder:

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Daß Seiendes i s t . Der also in seinem Wesen in die Wahrheitdes Seins Gerufene ist daher stets in einer wesentlichen Weise

gestimmt. Der klare Mut zur wesenhaften Angst verbürgt diegeheimnisvolle Möglichkeit der Erfahrung des Seins. Denn nahebei der wesenhaften Angst als dem Schrecken des Abgrundeswohnt die Scheu. Sie lichtet und umhegt jene Ortschaft des Men-schenwesens, innerhalb deren er heimisch bleibt im Bleibenden.

Die ,,Angst” vor der Angst dagegen kann sich so weit verirren,daß sie die einfachen Bezüge im Wesen der Angst verkennt. Was

wäre alle Tapferkeit, wenn sie nicht in der Erfahrung der we-senhaften Angst ihren ständigen Gegenhalt fände? In demGrade als wir die wesenhafte Angst und den in ihr gelichtetenBezug des Seins zum Menschen herabsetzen, entwürdigen wirdas Wesen der Tapferkeit. Diese aber vermag das Nichts auszu-stehen. Die Tapferkeit erkennt im Abgrund des Schreckens denkaum betretenen Raum des Seins, aus dessen Lichtung erst jeg-liches Seiende in das zurückkehrt, was es ist und zu sein vermag.Diese Vorlesung betreibt weder eine ,,Angstphilosophie”, nochsucht sie den Eindruck einer ,,heroischen Philosophie“ zu er-schleichen. Sie denkt nur das, was dem abendländischen Denkenseit seinem Beginn als das zu Denkende aufgegangen und gleich-wohl vergessen geblieben ist: das Sein. Aber das Sein ist keinErzeugnis des Denkens. Wohl dagegen ist das wesentliche Den-ken ein Ereignis des Seins.Darum wird jetzt auch die kaum ausgesprochene Frage nötig,ob denn dieses Denken schon im Gesetz seiner Wahrheit stehe,wenn es nur dem Denken folgt, das die ,,Logik” in seine For-men und Regeln faßt. Warum setzt die Vorlesung diesen Titelzwischen Anführungsstriche? Um anzudeuten, daß die ,,Logik“nur eine Auslegung des Wesens des Denkens ist, und zwar die-jenige, die schon dem Namen nach auf der im griechischen Den-ken erlangten Erfahrung des Seins beruht. Der Verdacht gegendie ,Logik”, als deren folgerichtige Ausartung die Logistik gel-ten darf, entspringt dem Wissen von jenem Denken, das in derErfahrung der Wahrheit des Seins, nicht aber in der Betrachtung

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der Gegenständlichkeit des Seienden, seine Quelle findet. Nie-mals ist das exakte Denken das strengste Denken, wenn andersdie Strenge ihr Wesen aus der Art der Anstrengung empfängt,mit der jeweils das Wissen den Bezug zum Wesenhaften des Sei-enden innehält. Das exakte Denken bindet sich lediglich in dasRechnen mit dem Seienden und dient ausschließlich diesem.Alles Rechnen läßt das Zählbare im Gezählten aufgehen, um esfür die nächste Zählung zu gebrauchen. Das Rechnen läßt an-deres als das Zählbare nicht aufkommen. Jegliches ist nur das,was es zählt. Das jeweils Gezählte sichert den Fortgang desZählens. Dieses verbraucht fortschreitend die Zahlen und istselbst ein fortgesetztes Sichverzehren. Das Aufgehen der Rech-nung mit dem Seienden gilt als die Erklärung seines Seins. Das

Rechnen gebraucht zum voraus alles Seiende als das Zählbareund verbraucht das Gezählte für die Zählung. Dieser verbrau-chende Gebrauch des Seienden verrät den verzehrenden Cha-rakter der Rechnung. Nur weil die Zahl ins Endlose vermehr-bar ist, und dies unterschiedslos nach der Richtung des Großenund des Kleinen, kann sich das verzehrende Wesen der Rech-nung hinter ihren Produkten verstecken und dem rechnendenDenken den Schein der Produktivität leihen, während es dochschon vorgreifend und nicht erst in seinen nachträglichen Er-gebnissen alles Seiende nur in der Gestalt des Beistellbaren undVerzehrlichen zur Geltung bringt. Das rechnende Denkenzwingt sich selbst in den Zwang, alles aus der Folgerichtigkeitseines Vorgehens zu meistern. Es kann nicht ahnen, daß allesBerechenbare der Rechnung vor den von ihr jeweils errechnetenSummen und Produkten schon ein Ganzes ist, dessen Einheitfreilich dem Unberechenbaren zugehört, das sich und seine Un-heimlichkeit den Griffen der Rechnung entzieht. Was jedochüberall und stets im vorhinein dem Ansinnen der Berechnungsich verschlossen hat und gleichwohl dem Menschen jederzeitschon in einer rätselhaften Unkenntlichkeit näher ist als jedesSeiende, darin er sich und sein Vorhaben einrichtet, kann zu-weilen das Wesen des Menschen in ein Denken stimmen, dessen

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Wahrheit keine ,,Logik“ zu fassen vermag. Das Denken, dessenGedanken nicht nur nicht rechnen, sondern überhaupt aus demAnderen des Seienden bestimmt sind, heiße das wesentlicheDenken. Statt mit dem Seienden auf das Seiende zu rechnen,verschwendet es sich im Sein für die Wahrheit des Seins. Dieses

Denken antwortet dem Anspruch des Seins, indem der Menschsein geschichtliches Wesen dem Einfachen der einzigen Notwen-digkeit überantwortet, die nicht nötigt, indem sie zwingt, son-

dern die Not schafft, die sich in der Freiheit des Opfers erfüllt.Die Not ist, daß die Wahrheit des Seins gewahrt wird, wasimmer auch dem Menschen und allem Seienden zufallen möge.Das Opfer ist die allem Zwang enthobene, weil aus dem Ab-grund der Freiheit erstehende Verschwendung des Menschen-wesens in die Wahrung der Wahrheit des Seins für das Seiende.Im Opfer ereignet sich der verborgene Dank, der einzig dieHuld würdigt, als welche das Sein sich dem Wesen des Men-schen im Denken übereignet hat, damit dieser in dem Bezugzum Sein die Wächterschaft des Seins übernehme. Das anfäng-liche Denken ist der Widerhall der Gunst des Seins, in der sichdas Einzige lichtet und sich ereignen läßt: daß Seiendes ist. Die-ser Widerhall ist die menschliche Antwort auf das Wort derlautlosen Stimme des Seins. Die Antwort des Denkens ist derUrsprung des menschlichen Wortes, welches Wort erst die Spra-che als die Verlautung des Wortes in die Wörter entstehen läßt.Wäre nicht zu Zeiten ein verborgenes Denken im Wesensgrundedes geschichtlichen Menschen, dann vermöchte er nie das Dan-ken, gesetzt daß in allem Bedenken und in jedem Bedankendoch ein Denken sein muß, das anfänglich die Wahrheit desSeins denkt. Wie anders aber fände je ein Menschentum in dasursprüngliche Danken, es sei denn so, daß die Gunst des Seins

durch den offenen Bezug zu ihr selbst dem Menschen den Adelder Armut gewährt, in der die Freiheit des Opfers den Schatzihres Wesens verbirgt? Das Opfer ist der Abschied vom Seien-

den auf dem Gang zur Wahrung der Gunst des Seins. Das Opferkann durch das Werken und Leisten im Seienden zwar vorbe-

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reitet und bedient, aber durch solches nie erfüllt werden. SeinVollzug entstammt der Inständigkeit, aus der jeder geschicht-liche Mensch handelnd - auch das wesentliche Denken ist einHandeln - das erlangte Dasein für die Wahrung der Würde desSeins bewahrt. Diese Inständigkeit ist der Gleichmut, der sichdie verborgene Bereitschaft für das abschiedliche Wesen jedesOpfers nicht anfechten läßt. Das Opfer ist heimisch im Wesendes Ereignisses, als welches das Sein den Menschen für die Wahr-heit des Seins in den Anspruch nimmt. Deshalb duldet dasOpfer keine Berechnung, durch die es jedesmal nur auf einenNutzen oder eine Nutzlosigkeit verrechnet wird, mögen dieZwecke niedrig gesetzt oder hoch gestellt sein. Solches Verrech-nen verunstaltet das Wesen des Opfers. Die Sucht nach Zweckenverwirrt die Klarheit der angstbereiten Scheu des Opfermutes,der sich die Nachbarschaft zum Unzerstörbaren zugemutet hat.Das Denken des Seins sucht im Seienden keinen Anhalt. Daswesentliche Denken achtet auf die langsamen Zeichen des Unbe-rechenbaren und erkennt in diesem die unvordenkliche Ankunftdes Unabwendbaren. Dies Denken ist aufmerksam auf dieWahrheit des Seins und hilft so dem Sein der Wahrheit, daß esim geschichtlichen Menschentum seine Stätte findet. Dies Hel-fen bewirkt keine Erfolge, weil es der Wirkung nicht bedarf.Das wesentliche Denken hilft als einfache Inständigkeit im Da-sein, sofern an ihr, ohne daß sie darüber verfügen oder davonauch nur wissen könnte, ihresgleichen sich entzündet.Das Denken, gehorsam der Stimme des Seins, sucht diesem dasWort, aus dem die Wahrheit des Seins zur Sprache kommt. Erstwenn die Sprache des geschichtlichen Menschen aus dem Wortentspringt, ist sie im Lot. Steht sie aber im Lot, dann winkt ihrdie Gewähr der lautlosen Stimme verborgener Quellen. DasDenken des Seins hütet das Wort und erfüllt in solcher Behut-samkeit seine Bestimmung. Es ist die Sorge für den Sprach-ge-brauch. Aus der langbehüteten Sprachlosigkeit und aus der sorg-fältigen Klärung des in ihr gelichteten Bereiches kommt dasSagen des Denkers. Von gleicher Herkunft ist das Nennen des

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Dichters. Weil jedoch das Gleiche nur gleich ist als das Verschie-dene, das Dichten und das Denken aber am reinsten sich glei-chen in der Sorgsamkeit des Wortes, sind beide zugleich am wei-testen in ihrem Wesen getrennt. Der Denker sagt das Sein. Der

Dichter nennt das Heilige. Wie freilich, aus dem Wesen desSeins gedacht, das Dichten und das Danken und das Denkenzueinander verwiesen und zugleich geschieden sind, muß hieroffen bleiben. Vermutlich entspringen Danken und Dichten in

verschiedener Weise dem anfänglichen Denken, das sie brau-chen, ohne doch für sich ein Denken sein zu können.Man kennt wohl manches über das Verhältnis der Philosophie

und der Poesie. Wir wissen aber nichts von der Zwiesprache derDichter und Denker, die ,,nahe wohnen auf getrenntestenBergen“.Eine der Wesensstätten der Sprachlosigkeit ist die Angst imSinne des Schreckens, in den der Abgrund des Nichts den Men-schen stimmt. Das Nichts als das Andere zum Seienden ist der

Schleier des Seins. Im Sein hat sich anfänglich jedes Geschick desSeienden schon vollendet.Die letzte Dichtung des letzten Dichters im anfänglichen Grie-chentum, der Oedipus auf Kolonos des Sophokles, schließt mitdem Wort, das sich unnachdenkbar auf die verborgene Ge-schichte dieses Volkes zurückwendet und dessen Eingang in dieungekannte Wahrheit des Seins aufbewahrt:

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lnhmo< ya@ EXE1 ‘GidE ?ciQoq. ty;t,

Doch laßt nun ab und nie mehr fürderhin

bei sich das Ereignete

verwahrt ein Entscheid der Vollendung.

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