Heidi Schroth - Vortragsmanuskript

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Manuskript für den 16.12.2010 Vorbemerkungen: Gebäudereinigung: Ab 01.01.2011: West: 8,55 € / Ost: 7,00 €. Wir haben Branchen, in denen die tariflich vereinbarten Löhne noch weit darunter liegen. 10 € / Stunde: existenzsichernder Lohn. Prekäre Arbeit (Mayer-Ahuja): Unterschreitung materieller Standrads (Niedriglöhne), rechtlicher Standards (Arbeits-/Szial-/Tarifrecht) und betrieblicher Integrationsstandards. Wenn prekäre Arbeit in Abgrenzung zum männlichen Normalarbeitsverhältnis gesehen wird, bleibt die Grenzziehung, die moderne Arbeitsverhältnis im Niedriglohnsektor „auszeichnet“, nämlich die Ethnisierung und Feminiserung von Arbeit unangetastet. Und grade prekäre ist ohne die Kategorien Geschlecht und Ethnie nicht zu charakterisieren. 48.871 + 1? Internetsuchmaschine: Gewerkschaften, empirische Studie: mindestens 48.000 Sucherergebnisse. Warum habe ich noch eine empirische Studie gemacht? Drei Gründe: 1. Warum zeigen sich gerade in den USA Zeichen des Wandels? Denkbar widrige Bedingungen der Arbeitsbeziehungen und 1

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Manuskript von Heidi Schroth zum Vortrag "Klinken putzen!? Spannungsfelder gewerkschaftlicher Mitgliederaktivierung im Niedriglohnsektor" im Rahmen der GPA-djp/PoWi-Ringvorlesung "Globale Arbeitsverhältnisse - gewerkschaftliche Perspektiven?" am 16.12.2010 in Wien.

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Manuskript für den 16.12.2010

Vorbemerkungen: Gebäudereinigung: Ab 01.01.2011: West: 8,55 € / Ost: 7,00 €.

Wir haben Branchen, in denen die tariflich vereinbarten Löhne noch weit darunter

liegen. 10 € / Stunde: existenzsichernder Lohn.

Prekäre Arbeit (Mayer-Ahuja): Unterschreitung materieller Standrads

(Niedriglöhne), rechtlicher Standards (Arbeits-/Szial-/Tarifrecht) und betrieblicher

Integrationsstandards. Wenn prekäre Arbeit in Abgrenzung zum männlichen

Normalarbeitsverhältnis gesehen wird, bleibt die Grenzziehung, die moderne

Arbeitsverhältnis im Niedriglohnsektor „auszeichnet“, nämlich die Ethnisierung und

Feminiserung von Arbeit unangetastet. Und grade prekäre ist ohne die Kategorien

Geschlecht und Ethnie nicht zu charakterisieren.

48.871 + 1?

Internetsuchmaschine: Gewerkschaften, empirische Studie: mindestens 48.000

Sucherergebnisse. Warum habe ich noch eine empirische Studie gemacht? Drei

Gründe:

1. Warum zeigen sich gerade in den USA Zeichen des Wandels? Denkbar

widrige Bedingungen der Arbeitsbeziehungen und Ende der 1980er Jahre

Abgesänge auf die Gewerkschaftsbewegung angestimmt wurden.

2. Neue Formen der Solidarisierung zeigen sich ausgerechnet in der

Gebäudereinigung. Einer Branche mit geringer Bezahlung, formaler

Qualifikation, Anerkennung, wenig Jobstabilität und Karrierechancen.

Kurzum in Tätigkeitsfeldern, die wirkungsmächtig anhand der Kategorien

Geschlecht und Ethnizität hierarchisiert und zugewiesen werden.

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3. Die Frage der Praktikerin: Was genau ist eigentlich Organizing und kann

meine eigene Gewerkschaft auch ein Löffel von dem Elixier zur

Revitalisierung der Gewerkschaftsbewegung einnehmen?

Methodisches Vorgehen

Organisationsfallstudien:

• teilstrukturierte ExpertInnen-Interviews

• teilnehmende Beobachtung

• Dokumentenanalyse

Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU)

Service-EmployeesInternational Union (SEIU)

Erhebung: 2007: Vor dem ersten Streik in der Gebäudereinigung in der

Geschichte der Bundesrepublik. Aktuelle Entwicklungen bleiben außer Acht.

Die Dienstleistungsgewerkschaft SEIU hat drei Schlüsselsektoren:

Gesundheitsversorgung (health care), öffentliche Verwaltung (public services) und

Gebäudedienstleistungen (property services). Zum Bereich der

Gebäudedienstleistungen gehört neben der Gebäudereinigung auch die

Sicherheitsbranche. Massive Mitgliederverluste insbesondere in den 1980er

Jahren konnten im Fall der SEIU überwunden werden. Organizing bzw.

umfassende Organisierungsprogramme trugen zu einem erheblichen Maß mit

dazu bei, dass sich die Mitgliederzahlen der Gewerkschaft in zwanzig Jahren

verdoppelten.

Die IG BAU hat drei Hauptbranchen: Baugewerbe, Gebäudereinigung und

Baustoffindustrie. In Anbetracht der in den 1980er Jahre noch geführten

Diskussion ob es sich überhaupt lohnt, „betreuungsaufwändige“ geringfügig

Beschäftigte Frauen überhaupt noch zu organisieren, ist die vorgenommene

Schwerpunktsetzung schon ein Erfolg.

Konfrontiert mit bedrohlichen Mitgliederverlusten, wendeten sich beide

Gewerkschaften – die SEIU Ende der 1980er Jahre, die IG BAU rund 15 Jahre

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später ausgerechnet einer Branche zu, die wenig geeignet erscheint, den

Rückgang der Gewerkschaftsmitglieder zu kompensieren und – die in beiden

Ländern als kaum zu organisieren galt.

Cleaning Affairs: Arbeitsbeziehungen in einer ethnisierten und vergeschlechtlichten Dienstleistungsökonomie

• Immer mehr gewerkschaftsfreie Zonen durch Outsourcing und Subcontracting

• Geschlechtshierarchische Strukturen der Arbeitsteilung und rassistische Zuschreibungen sind ermüdend hartnäckig

• Zunehmende Prekarisierung der Arbeit durch rechtliche Veränderungen

• Reiniger/innen sind strukturell machtunterlegen – aber nicht ohnmächtig

1 und 2: Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch Outsourcing. In beiden

Ländern: Direkt Beschäftigte bessere Arbeitsbedingungen als

outgesourcte. (Bezahlungen, Arbeitszeit, Fläche, Arbeitshetze, ,

Ausweitung von Mini-Jobs und Leiharbeit, in Deutschland:

befristete Beschäftigung ein großes Problem.

3: Deutschland: Durch die Verberuflichung wird die Außenreinigung zur

Männersache. Unterschiedliche Bezahlung, rassistisch gestaffelte

Stundenlöhne. Aber auch innerhalb der Gewerkschaften: Studien,

dass Tarifkommissionen erfolgreicher sind, die die Beschäftigten

der Branchen auch abdecken.

Die gesellschaftliche Konstruktion geschlechtshierarchisch differenzierter

Ungleichheiten (wer arbeitet wo und zu welchen Bedingungen), Zuschreibungen

(Tischerücken ist schwere Arbeit, sobald Männer es tun) und Dequalifizierung der

Tätigkeit (Verlust des Handwerksstatus) als Problem und als der Hintergrund für die

niedrige Bezahlung in der Branche wahrgenommen. Dass sich die IG BAU als Wächterin

der Arbeitsteilung und als Tarifpartnerin an dieser Re-Traditionalisierung beteiligt,

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beispielsweise indem die frauendominierte Innenreinigung deutlich schlechter entlohnt

wird als die männerdominierte Außenreinigung, wird dabei nicht reflektiert.

4. Mythos der Nichtorganisierbarkeit, wird gerne als Begründungsfolie in

Gewerkschaften herangezogen, um mässig erfolgreiche bzw.

erfolglose Arbeit zu entschuldigen.

Organizing

Zentrale Grundvoraussetzungen:• strategische Zielermittlung• top-down implementierte

Kampagnenform• finanzielle, personelle

Umstrukturierungen• Empowerment der Beschäftigten• Repräsentation der Mitgliedergruppen

Schlüsseltaktiken:• Bezug auf Migrationssituation• Bündnisse mit sozialen Bewegungen• Kartierung betrieblicher Bedingungen• eskalierend angelegte betriebliche Aktionsformen• Skandalisierung komplexer Ausbeutungsstrukturen • griffige Slogans und persönliche Lebensgeschichten• breite mediale Begleitung und Popularisierung der skandalösen

Bedingungen• Proteste richten sich an den Auftraggeber• Verantwortung wird personalisiert

Justice for Janitors-Kampagne war zunächst ein punktuelles Beispiel

Bedingungen, Effekte und Beschränkungen gewerkschaftlicher Mitgliederaktivierung

• Erfahrung kollektiver Handlungsmächtigkeit

• gewerkschaftliche Transformation statt Werkzeugkoffer-Prinzip

• Spannungsfeld: Zentralisierung versusBasisorientierung

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Aspekt der elementar ist für den Erfolg des kampagnen_Modells: Kämpferisches

Selbstbewusstsein in allen Statusgruppen: Si, se puede. Yes, we can. Fraglich

schien weder die Frage: können Billigjobber überhaupt gewerkschaftlich

organisiert werden? Oder : Lohnt es überhaupt? Sondern: Kopfzerbrechen: Wie

können innerhalb von kurzer Zeit größere Bereiche organisiert werden?

Keine amerikanisierte Form des Voluntarismus, sondern gemachte Erfahrung:

Insbesondere in einem Tätigkeitsfeld, das von Nähe zur Haushaltsarbeit, Unsichtbarkeit

und Entwertung geprägt ist, ist das Heraustreten und öffentlich Sichtbarwerden, die

Erfahrung der Unterstützung bspw. von Student/innen oder Community-Gruppen, aber vor

allem von kollektiver Handlungsmächtigkeit, die eigenen Arbeitsbedingungen tatsächlich

zu verbessern, von zentraler Bedeutung. Umfassende Kampagnenformen stoßen genau

deshalb bei den Beschäftigten im Reinigungssektor auf Akzeptanz. Sie machen die

Erfahrung, dass Widerstand möglich ist, dass eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen,

insbesondere eine Erhöhung des Stundenlohnes und die Einführung von

Sozialversicherungsleistungen erzielt werden können. Und dass nicht Konkurrenz um

einheimische Arbeitsplätze, sondern eine Solidarisierung der dort Beschäftigten zu einer

elementaren Verbesserung der Arbeitsbedingungen führt. Arbeiter/innen sind

insbesondere dann von einer gewerkschaftlichen Vertretung zu überzeugen, wenn

Organisierungserfolge (an anderen Orten) bereits errungen werden konnten. Widerstand

ist möglich. Widerstand beinhaltet zivilen Ungehorsam. Dafür bedarf es einer

Organisation, die mit beträchtlichen finanziellen aber auch zeitlichen Resssourcen

in Vorleistung geht und Leute beschäftigt, die das strukturkonservative

Normalapparatsverhalten herausfordern.

Charakteristisch für die Arbeit der SEIU ist das widersprüchliche Nebeneinander

einer zentralistisch und hierarchisch strukturierten Organisation, in der Organizing seit

1996 von allen örtlichen Gewerkschaftsniederlassungen vorangetrieben werden muss,

und eines basisdemokratisch angelegten Konzepts von Mitgliederpartizipation. Mit der

vom neu gewählten Gewerkschaftsvorstand geforderten organisationalen

Verallgemeinerung des Organizing-Modells werden Entscheidungsprozesse hierarchisiert

und zentralisiert. Den Locals wird nicht nur Entscheidungsmacht entzogen, eigene

politische Zielsetzungen zu entwickeln, das Spannungsfeld zwischen der Unterstützung

bereits organisierter und dem Gewinnen neuer Mitglieder auszuloten; auch die lokale

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Verhandlungsmacht wird beschnitten, indem Tarifverträge für immer größere Flächen

ausgehandelt und Vertragsverhandlungen zunehmend auch vom Vorstand aus geführt

werden. Gleichzeitig ist im Organizing-Modell eine demokratische Beteiligung der

Arbeiter/innen angelegt:

2: Für den Fortbestand und das Transformationspotential von Gewerkschaften

zentral scheint mir der Konflikt zwischen konservativen ‚Besitzstandswahreren’, die

männliches Normalapparatsverhalten fortschreiben und denjenigen, die soziale

Ungleichheitsverhältnisse transformieren wollen. Bei der SEIU wurde dieses Problem auf

der Funktionärsschiene kompromisslos gelöst: Funktionär/innen, die den

‚Bewegungskurs’ ihrer Gewerkschaft nicht mittrugen, wurden entlassen oder von einem

‚freiwilligen Ausscheiden’ überzeugt. Versäumt wurde, mit massiven Konflikten zwischen

„neuen“ und „alten“ Mitgliedergruppen zu reagieren und z. B. über Bildungsangebote

gegen Ressentiments vorzuegehn.

Solange eine tradierte Form brüderlicher Solidarität in der BAU-Gewerkschaft

dominiert und fortgeschrieben wird, die ’Fremde’ tendenziell ausgrenzt - beispielsweise

indem die Reinigungsbranche weiterhin in der Organisation randständig bleibt,

Gebäudereiniger/innen überhaupt nicht in Führungspositionen und kaum als

hauptamtliche Funktionär/innen anzutreffen sind und tradierte Formen der Arbeitsteilung

in der Organisation (der politische Sekretär ist männlich und seine Sekretärin weiblich)

fortgeschrieben werden – scheitern auch die US-amerikanischsten, kreativsten,

militantesten Strategien zur Organisierung neuer Mitgliedergruppen. Denn dann werden

Beschäftigte im Reinigungssektor höchstens als Bestands- oder Beschäftigungsschutz

instrumentalisiert. In einem solchen Fall greift ein gewerkschaftlicher self-destroying

mechanism (ein drastischer Mitgliederweggang, der zu einer völligen Bedeutungslosigkeit

der Gewerkschaft und schließlich zu ihrer Auflösung führt) völlig zu Recht.

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