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heilpädagogische schulen auf anthroposophischer grundlage eine information für eltern bundeselternvereinigung für anthroposophische heilpädagogik und sozialtherapie e.v.

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heilpädagogische schulen

auf anthroposophischer grundlage

— eine information für eltern —

bundeselternvereinigungfür anthroposophische heilpädagogik und sozialtherapie e.v.

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HinweisDiese Broschüre gibt es nur in elektronischer Form als pdf-Datei.Download unter www.bev-ev.de > Hilfe/Service > HP-Schulen.

ImpressumHerausgeberBundesElternVereinigung für anthroposophische Heilpädagogik und Sozialtherapie e. V.Argentinische Allee 25, 14163 Berlin

September 2008

FotonachweisHans-Dietrich Beyer: Fotos aus der Parzival-Schule Berlin (S. 3, 6, 7, 12)Archiv der Hans-Müller-Wiedemann-Schule Mannheim (S. 8, 9, 10)

Erstellt mit freundlicher Unterstützung durch die Selbsthilfe-Fördergemeinschaft der Ersatzkassen

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Heilpädagogische Schulenauf anthroposophischer Grundlage

Eine Information für Eltern

Es gibt Kinder und Jugendliche, denen fällt es schwerer, in die Welt, in die menschliche Gemein-schaft und in ihr eigenes Leben hineinzuwachsen. Sie sind Menschen mit einem besonderenSchicksal und besonderen Bedürfnissen. Sie benötigen eine erweiterte und ganzheitliche Pädago-gik, die so genannte Heilpädagogik, die sowohl die besonderen Fähigkeiten und Begabungen alsauch die Schwierigkeiten und Einschränkungen umfasst.

Seit über 80 Jahren gibt es Heilpädagogische Schulen auf anthroposophischer Grundlage. Was inenger Beziehung zur Waldorfpädagogik und als kleine Bewegung begann, ist inzwischen weltum-spannend. Es gibt heute mehr als 500 Einrichtungen der anthroposophischen Heilpädagogik undSozialtherapie in über 40 Ländern. Dazu gehören Sonderschulen für Schüler mit geistiger Behinde-rung, Lernbehinderung und Verhaltensauffälligkeiten ebenso wie integrative Schulen. Es bestehenaußerdem Einrichtungen der Frühförderung, Kindergärten, Internate sowie Orte zum Leben undArbeiten für Menschen mit Behinderung.

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1. Waldorfpädagogik

1.1. Waldorfpädagogik –ganzheitliche Erziehungs-kunst seit 1919

Im Herbst 1919, mitten hinein in die Wirrennach dem Ersten Weltkrieg, in eine Zeit dessozialen Umbruchs, fällt die Gründung derersten Waldorfschule. Aus der Initiative desInhabers der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria, Emil Molt, wird die erste Waldorf-schule von Rudolf Steiner als Schule für dieKinder der Fabrikarbeiter in Stuttgart ge-gründet. Rudolf Steiner begleitet bis zu sei-nem Tod 1925 ihre Entwicklung mit Rat undTat. Hier richtet er 1920 eine Klasse für Kin-der mit besonderem Hilfebedarf ein. Baldnach der ersten Gründung entstehen weitereSchulen, auch im europäischen Ausland.

Heute gibt es in Deutschland über 200 Wal-dorfschulen. Auf der ganzen Welt sind es andie 800 Schulen.

Jede Schule ist als solche unabhängig, hat eineigenständiges Profil und verwaltet sichselbst in freier Trägerschaft.

Wer war Rudolf Steiner?Rudolf Steiner wurde 1861 in Kraljevec imheutigen Kroatien (damals Österreich-Ungarn) geboren, veröffentlichte im Laufeseines Lebens eine Vielzahl von Schriften undhielt zahlreiche Vorträge, von denen heuteknapp 6000 als Mitschriften vorliegen. In jun-gen Jahren prägte ihn wesentlich die Ausei-nandersetzung mit Goethe. Bereits mit 21Jahren begann er mit der Herausgabe vondessen naturwissenschaftlichen Schriften fürzwei renommierte Goethe-Ausgaben. 1894veröffentlichte R. Steiner sein philosophi-sches Hauptwerk "Die Philosophie der Frei-heit", auf das er im späteren Leben immer

wieder Bezug nahm. Ab 1900 arbeitete er ander Ausgestaltung der von ihm begründeten„Anthroposophie“, begann seine ausgedehn-te Vortragstätigkeit und initiierte 1913 die"Anthroposophische Gesellschaft". Sie arbei-tet heute international und hat ihren Sitz amGoetheanum in Dornach in der Schweiz. Von1918 bis zu seinem Lebensende im Jahre1925 prägte R. Steiner die Praxis vieler Le-bensgebiete entscheidend mit. So wurdebeispielsweise unter seiner Anleitung dieerste Waldorfschule in Stuttgart begründet.Auf Grundlage der Waldorfpädagogik erhieltdann die anthroposophische Heilpädagogikihren wichtigsten Gründungsimpuls durchseinen "Heilpädagogischen Kurs". Dieser istwesentliche Grundlage der Arbeit an unserenSchulen.

1.2. Pädagogik für Leib, See-le und GeistIn Waldorfschulen wird auf Grundlage desanthroposophischen Menschenbildes unter-richtet. Der Mensch ist ein leibliches, seeli-sches und geistiges Wesen, welches in seineBiographie individuelle Befähigungen undBegabungen mitbringt. Die Entwicklung desMenschen (insbesondere des Kindes) voll-zieht sich rhythmisch. Ungefähr alle siebenJahre können neue Impulse sichtbar werden,die dem Menschen helfen, sich in die Welt zustellen und seinen Platz in derselben zu fin-den.

Es geht darum, den Menschen in seinerGanzheit zu betrachten und sein Denken,Fühlen und Wollen in Einklang zu bringen.

Jeder Unterricht an der Waldorfschule ist einUnterricht für Kopf, Herz und Hand. Die Er-ziehungswissenschaft wird zur Erziehungs-kunst, indem Unterricht so gestaltet ist, dasser Atem hat, dass Rhythmus und Bewegungentstehen, sowohl innerlich wie auch äußer-lich.

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Was ist Anthroposophie?

Rudolf Steiner (1861-1925), der Begründerder Anthroposophie, verstand diese als Aus-weitung der Methoden der Naturwissen-schaft auf die Gebiete des Geistigen und desSeelischen. Daher auch die Bezeichnung"Geisteswissenschaft" oder "anthroposophi-sche Geisteswissenschaft".

Anthroposophie ist ein Weg, den jeder, deres möchte, betreten kann. Sie ist eine ME-THODE, die den Menschen sich selbst, demLeben und der Welt näher bringen soll. Sie istauch eine LEHRE, aber gerade eine solche, inder es nicht darum geht, "Dogmen" festzu-setzen oder ihnen zu folgen. Solche Dogmenwürden den Menschen unfrei und be-herrschbar machen. Gerade der oft missach-teten menschlichen FREIHEIT wird in der Anth-roposophie ein hoher Stellenwert zuge-sprochen.

Die anthroposophische Methode fordert zu-nächst eine Ausbildung des wissenschaftli-chen Denkvermögens. Das Denken soll sichmit der Liebesfähigkeit und dem guten Willendes Menschen verbinden. Wenn vom „gan-zen Menschen“ die Rede ist, wird er als einleibliches, seelisches und geistiges Wesenangesehen. Eine ganzheitliche Herangehens-weise an Mensch und Welt ist Ziel der anth-roposophischen Schulung. So erschließt sichüber das Mess- und Berechenbare hinaus dasUnsichtbare, das dem oberflächlichen alltäg-lichen Blick verborgen bleibt.

Rudolf Steiner legte großen Wert darauf,dass sich die Geisteswissenschaft nicht inabstrakten Theorien erschöpft, sondern daspraktische Leben erneuert und befruchtet.Auf der Anthroposophie fußen heute nebender Waldorfpädagogik und der anthroposo-phischen Heilpädagogik und Sozialtherapieauch die biologisch-dynamische Landwirt-schaft, die anthroposophische Medizin, die

Bewegungskunst "Eurythmie" und viele wei-tere Einrichtungen des sozialen, kulturellenund wirtschaftlichen Lebens.

2. HeilpädagogischeSchulen

2.1. Die Entwicklung deranthroposophisch-heilpädagogischen Bewe-gungMit dem 1924 durch Rudolf Steiner gehalte-nen „Heilpädagogischen Kurs“ erfuhr dieanthroposophische Heilpädagogik ihren we-sentlichen Gründungsimpuls. An drei Ortenwar schon zuvor mit der Arbeit begonnenworden: In einer "Hilfsklasse" der erstenWaldorfschule in Stuttgart, im „Heil- und Er-ziehungsinstitut für Seelenpflege-bedürftigeKinder Lauenstein" in Jena und am Klinisch-therapeutischen Institut in Arlesheim.

Unter dem Regime der Nationalsozialistenmussten die bis dahin entstandenen siebendeutschen Einrichtungen teilweise unterdramatischen Umständen schließen. 1939wurde die Camphill- Bewegung durch einenKreis um den anthroposophischen Arzt Dr.Karl König im schottischen Exil begründet.Nach dem zweiten Weltkrieg kam es wiederzu Schulgründungen in Deutschland. Heutegibt es ca. 160 Einrichtungen der anthropo-sophischen Heilpädagogik und Sozialtherapiein Deutschland.

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2.2. Behindert oder Seelen-pflege-bedürftig?

Nach anthroposophischer Anschauung ist derindividuelle Kern des Menschen, sein "Ich",geistiger Natur. Das Ich des Menschen unter-liegt auch dann KEINER Schädigung, wenn derKörper oder die Seele des Menschen als "be-hindert" oder "gestört" gelten.

Zwischen Geist und Körper vermittelt dasDenken, Fühlen und Wollen der Seele. Wodiese drei Seelenkräfte ins Ungleichgewichtgeraten sind, kann ein Mensch Hilfe benöti-gen. Denn sein innerstes Wesen zeigt sich jamittels der Seele der Welt und seinen Mit-menschen. In der anthroposophischen Heil-pädagogik spricht man folglich von "Seelen-pflege-Bedürftigkeit", nicht von „geistigerBehinderung“, denn der Geist kann nicht„behindert“ sein.

Jeder Mensch bringt eine Aufgabe mit, wenner geboren wird. Er kommt nicht aus demNichts und wird nicht in ein zufälliges Lebengeworfen. Gerade bei Seelenpflege-bedürftigen Menschen fragen wir uns: Wel-che Aufgaben stellen sie uns? Wie könnenwir ihnen helfen, ihren eigenen Weg zu fin-den und zu gehen?

Zur heilpädagogischen Ethik gehört es, denMenschen nicht nach seinen Schwächen,sondern nach seinen Fähigkeiten und Stärkenzu beurteilen. Grundlage der Therapie istimmer die Anerkennung und Unterstützungdes GESUNDEN menschlichen Ich, das seinSchicksal auslebt. Sie ist nicht einfach "Repa-ratur" eines "beschädigten" Menschen, son-dern ein Schritt zur Heilung, welche denMenschen frei machen will, sein Leben soselbstbestimmt wie möglich zu führen.

2.3. Das Schulleben

2.3.1. Unter- und Mittelstufe: DieKlassenlehrerzeit - Klasse 1- 8

• Der Hauptunterricht

Wie auch an der Waldorfschule wird eineKlasse in der Regel von einer Klassenlehrerinbzw. einem Klassenlehrer von der ersten biszur achten Klasse geführt. Die Klassengrößebeträgt zwischen 6 und 12 Schülern, nebendem Lehrer gibt es nach Möglichkeit einenHelfer, der den Lehrer in seiner Arbeit unter-stützt und ihm pflegerische Aufgaben ab-nimmt. Die Klassenlehrerin oder der Klassen-lehrer unterrichtet den Hauptunterricht amMorgen, in dem vier Wochen lang eine Epo-che, d.h. ein Fach behandelt wird. Der Unter-richt selbst orientiert sich am Waldorflehr-plan, welcher der Klasse und einzelnenSchülern gemäß angepasst wird.

"Bewegung" ist das Motiv des "rhythmischenTeils", mit dem der Hauptunterricht beginnt.Bewegung, Musik und Sprache ermöglichendem Kind, in seinem vielleicht widerstreben-den Körper ein Zuhause zu finden, sich seinerzu bedienen und mit ihm in die Welt zu tre-ten. Dass man im Anschluss an körperlicheBetätigung und emotionale Anregung besser

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denken kann, ist ein Grundsatz, der hier indie Tat umgesetzt wird.

Der Lern- und Arbeitsteil des Unterrichts for-dert eine andere Form der Aktivität von denSchülern. Der eigentliche "Unterrichtsstoff"wird hier vermittelt - immer mit der Maßga-be, dass er altersgemäß und entwicklungs-fördernd wirken soll. Hier ist Individualisie-rung oberstes Gebot. Wer beispielsweise dieDampfmaschine verstehen kann, indem mansie ihm erklärt, dem kann man sie erklären.Die anderen aber, denen die Worte zu wenigsagen: Warum sollten sie nicht die Dampfma-schine einmal in ihrer Bewegung darstellen?

Am Schluss des Unterrichts wird eine Ge-schichte erzählt. Hier darf man nach intensi-ver Arbeit loslassen und lauschen. So ange-sprochen zu werden, lässt seelische Wärmeund einen inneren Ruheraum entstehen. Undnur wer auch Wärme und Ruhe erfahren hat,wird im Leben Initiative und Ausdauer entwi-ckeln können.

Höhepunkt der 8. Klasse am Ende der Mittel-stufe ist die Einübung eines Theaterstückes,das vor der Schulgemeinschaft und den El-tern aufgeführt wird.

Aus dem Schulalltag einerMittelstufe

Der Morgen an unserer Schule beginnt miteinem Morgenkreis, bei dem sich alle Schülerund Lehrer der Schule versammeln und denbeginnenden Tag mit einem Lied begrüßen.Geburtstagskindern wird ein Ständchen ge-sungen. Besucher und Neuankömmlingewerden begrüßt. Anschließend eilen die Kin-der fröhlich in ihre Klassenzimmer. Hier be-ginnt der Hauptunterricht.

Die 6. Klasse hat sich schon vor dem großenMorgenkreis im Zimmer begrüßt. Nunschreibt Daniel das Datum an die Tafel. "Sel-ber!", konstatiert er. Die Lehrerin setzt sichund schaut, wie Daniel mit großen Buchsta-ben schreibt: "Mittwoch, 18. Oktober". "Allesrichtig!", ruft sie. Der Schüler lacht undschreitet stolz auf seinen Platz.

Zwei Kinder sind heute mit ihrem "Zeugnis-spruch" dran. Jedes Kind der Klasse sprichtden seinen einmal pro Woche - ein ganzesJahr lang.

Anschließend rezitiert die Klasse chorisch dasGedicht "Einkehr" von Ludwig Uhland. ZumHerbstlied "Autumn comes" werden ein Me-tallophon und einige andere Instrumentehervorgeholt, auf denen einzelne Schüler denGesang der anderen begleiten. Der Assistenz-lehrer dirigiert die Spieler. Vielen fällt esschwer, im rechten Moment einzusetzen,weil sie nur mit Mühe Hören, Sehen undSpielen kombinieren können. Eine Frage derKoordination - man lernt durch solche klei-nen Übungen mehr, als es zunächst den An-schein hat!

Die Zeit - "Vergangenheit, Gegenwart undZukunft" - ist Thema des "Lernteils" desHauptunterrichts. Etwa vier Wochen langwird dieses Thema behandelt. Dann beginntdie nächste "Epoche". Nur so wird es vielenKindern überhaupt möglich, in den Unter-

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richtsstoff einzusteigen. An einer gewöhnli-chen Waldorfschule wäre die gegenwärtigeEpoche wohl eine Grammatik-Epoche, in derman von "Zeitformen", "Verben" und "Satz-bau" zu sprechen hätte. An unserer Schuleund in dieser Klasse wird man einfachereBegriffe wählen. Solche, die den Schülernzugänglich sind.

Nachdem jeder einen kurzen Text in sein Heftgeschrieben hat, gehen wir über zum "Erzähl-teil" des Unterrichts. Die Lehrerin erzählt vonder Gründung Roms. Gebannt hören dieSchüler zu, einige mit offenem Mund. Es istwichtig, gerade für sie, vom "Damals" undvom "Heute" etwas zu erfahren. Von denTaten der Menschen zu hören, bildet Kinderund Jugendliche, weil es ihnen ein Gefühlvom Menschsein gibt.

Es ist Pause. Die Schüler richten das Frühs-tück.

• Die Klassengemeinschaft als the-rapeutischer Ort

Der Unterricht erfolgt in altersspezifischenKlassen. Ein Seelenpflege-bedürftiges Kind,das entwicklungsverzögert erscheint, trägtimmer auch etwas in sich, das ganz seinemAlter entspricht. So lernen auch Schüler einer6. Klasse an einer Heilpädagogischen Schulewas ihrem Alter angemessen ist, nur in indi-viduell vereinfachter oder verwandelter Artund Weise.

Kinder und Jugendliche mit verschiedenenFormen von Behinderungen oder Auffälligkei-ten werden in einer Klasse gemeinsam unter-richtet. Diese Integration ermöglicht, dass sievoneinander lernen. Was der eine gut kann,benötigt ein anderer und umgekehrt. Ge-meinsam mit dem Klassenlehrer bilden dieSchüler zumindest in den ersten acht Schul-jahren eine Lerngemeinschaft.

Die Bewältigung alltäglicher Abläufe vomSchnüren der Schuhe bis zum Reinigen des

Klassenzimmers ist für manche eine großeHerausforderung. Schließlich verbringt mannicht allein den Unterricht, sondern aucheinen Teil des Tages miteinander! Eine be-sondere Bedeutung kommt dem gemeinsa-men Zubereiten und Einnehmen der Mahlzei-ten zu. Hier lernen die Schüler nicht nur, mitMesser und Gabel zu essen, sie üben auchden höflichen Umgang und das Gesprächmiteinander. Durch das Übernehmen von"Diensten", wie dem Tischdecken oder demAbwasch, befähigen sie sich zum praktischenLeben und lernen, die eigene Arbeit der Ge-meinschaft zur Verfügung zu stellen.

Festveranstaltungen, Projekte, Ausflüge undKlassenreisen tragen ebenfalls zur Gemein-schaftsbildung bei.

• Der Fachunterricht

Am späten Vormittag nach dem Hauptunter-richt oder am Nachmittag findet Fachunter-richt statt.

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Von großer Bedeutung sind die handwerk-lich-künstlerischen Fächer wie Werken,Handarbeit, Gartenbau, Musik und Malen.Unterricht geht immer über bloße Wissens-vermittlung hinaus und soll Denken, Fühlenund Wollen gleichermaßen aktivieren - gera-de bei Seelenpflege-bedürftigen Kindern, beidenen es gilt, diese drei Seelentätigkeiten ineine harmonische Beziehung zu bringen.Denn was nützt das Denken ohne ein Ver-hältnis zum Sinn für das Schöne und zur prak-tischen Tätigkeit? Gerade, wenn es Men-schen schwer haben, sich mit ihrem Körperund der Welt zu verbinden, wirkt auf sie le-bendiges Gefühl und handwerkliche Tätigkeitausgesprochen therapeutisch.

Ein besonderes, künstlerisches Unterrichts-fach ist die Eurythmie. In der Eurythmie wirdSprache und Musik als Bewegung im Raumumgesetzt. Es ist ein "Tanz" nach der Spracheund nach der Musik, der die Schüler bis in dieFuß- und Fingerspitzen anregt und beweglichmacht. Nicht umsonst gibt es die mit derkünstlerischen Eurythmie verwandte Heileu-rythmie als Einzeltherapie. Harmonische Be-wegungen wirken heilend!

Weitere Fächer sind Sport, Religion, Fremd-sprachen und andere. In Übstunden werdendie Unterrichtsinhalte zusätzlich gefestigtund vertieft.

2.3.2. Die Oberstufe bzw. Werkstufe

Im Jugendalter verändert sich das Verhältniszur Welt. Jugendliche wollen handlungsfähigwerden, Sinnvolles leisten, Anerkennung fin-den und sich Freiräume erschließen. Gleich-zeitig ist es die Zeit innerer Konflikte, die auf-fordert, mit der eigenen Behinderung lebenzu lernen, die Auseinandersetzung mit Part-nerschaft und Sexualtiät zu führen und deneigenen Platz in der Gesellschaft zu finden.

In der Oberstufe wird die Rolle des Klassen-lehrers zumeist durch einen Klassenbetreuerübernommen. Der allgemeinbildende Epo-chenunterricht sowie die künstlerischen Fä-cher werden weitergeführt. Auch das Übender Kulturtechniken behält seinen Stellen-wert.

Einen großen Teil der Schulzeit nimmt nundas handwerkliche Tun ein. In verschiedenenHandwerksbereichen wie Holzwerkstatt,Hauswirtschaft, Keramik, Metallwerkstatt,Textilwerkstatt, Weberei oder Gartenbauerlernen die Schüler verschiedene Hand-werkstechniken und produktive Zusammen-hänge. Dabei werden genaues Wahrnehmen,exaktes Arbeiten, ästhetisches Urteilsvermö-gen, Pflichtbewusstsein, Sozialkompetenzund Selbstständigkeit erübt.

Praktika in Werkstätten und Betrieben aberauch „Probewohnen“ geben individuelle Ori-entierung und erste Einblicke in das Berufs-und Arbeitsleben und das „wirklich prakti-sche Leben“. Am Ende der Schulzeit beratenSchüler, Eltern und Lehrer gemeinsam überden weiteren Lebensweg.

2.3.3. Therapien

Unterricht und Tagesverlauf sind an einerHeilpädagogischen Schule anthroposophi-scher Prägung darauf ausgerichtet, heilendauf das Kind bzw. den Jugendlichen zu wir-ken. Die individuelle Situation eines Men-schen legt aber eine Unterstützung durch

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Einzeltherapien nahe. Hier findet sich an vie-len Schulen ein breites Spektrum an Angebo-ten. Das fachliche Urteil des Schularztes, derdem Kollegium der Schule beratend zur Seitesteht, hat bei der Entscheidung für eine Ein-zeltherapie besonderen Einfluss. Therapienfinden im Verlauf des Schultages statt.

Die Therapieangebote reichen von Kranken-gymnastik, Massagen, medizinischen Bädern,Chirophonetik bis hin zu Heileurythmie,Sprachgestaltung, Musiktherapie, Malthera-pie und Spieltherapie. Neben den gängigenmedizinischen Therapieformen kommt auchder seelischen Pflege ein maßgebliches Ge-wicht zu.

2.3.4. Eine therapeutische Umgebung

Der rhythmische Tagesverlauf mit seinenRitualen, Arbeitszeiten und Freiräumen har-monisiert. Regelmäßigkeit schafft einenRahmen, der gesundend wirkt. Eine Morgen-runde, gemeinsame Mahlzeiten und ein Ab-schlusskreis sind wesentliche Grundlage derheilpädagogischen Arbeit. Die Orientierungam Jahreskreislauf der Natur macht die Schü-ler nicht nur mit der "Welt da draußen" be-kannt, sondern bietet auch Halt und Orientie-rung.

Das Feiern der Jahresfeste ist für jede Schul-gemeinschaft ein intensives Erlebnis. In denHeilpädagogischen Schulen auf anthroposo-phischer Grundlage kommt den christlichenund traditionellen Festen eine besondereBedeutung zu. Diese sind Michaeli, Ernte-dank, Martinstag, die Adventszeit und derNikolaustag, Weihnachten, Fasching, Ostern,Pfingsten und Johanni.

Darüber hinaus wird das Schulleben durchweitere herausragende Ereignisse geprägt.Auf Schulfesten zeigen Schüler, was sie imUnterricht erarbeitet haben. Klassen studie-ren Theaterstücke ein und führen sie auf.

Die Gestaltung der Schule kann aufgrundihrer ästhetischen und künstlerischen Aus-prägung bis in die Architektur hinein einentherapeutischen Charakter haben.

2.4. SchulkonzepteDiese Information beschreibt allgemein dasSchulleben einer Heilpädagogischen Schuleauf anthroposophischer Grundlage. In Ab-hängigkeit von den besonderen Schülern sindunterschiedliche und erweiterte pädagogi-sche Konzepte in den HeilpädagogischenSchulen umgesetzt, die die individuellen Be-dürfnisse der Schüler berücksichtigen. Da-durch hat jede Schule ihre eigene Prägung.Neben diversen Förderschulformen undHeimschulen gibt es zunehmend integrativeWaldorfschulen und Waldorfschulen mitheilpädagogischen Kleinklassenzügen.

Die Schulen in Deutschland sind im Umbruch.Das betrifft auch die Waldorfschulen undHeilpädagogischen Schulen. Ausgehend vonder Grundidee der Waldorfpädagogik werdenneue Schulkonzepte entwickelt.

Informationen zu den einzelnen Schulen fin-den Sie unter www.verband-anthro.de und

www.waldorfschule.de

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2.5. Selbstverwaltung undKonferenzen

Schulen auf anthroposophischer Grundlagesind Schulen in freier Trägerschaft. Träger derSchulen sind in der Regel gemeinnützige ein-getragene Vereine, deren Mitglieder Elternund Lehrer sind. In Deutschland sind sie zu-sammengeschlossen im Verband für anthro-posophische Heilpädagogik, Sozialtherapieund soziale Arbeit e.V. und dem Bund derFreien Waldorfschulen.

Die freien Schulen verwalten sich selbst. Sieüben die Selbstverwaltung in Form der kolle-gialen Schulverwaltung aus. Pädagogische,organisatorische und wirtschaftliche Belangewerden in unterschiedlichen meist wöchent-lich tagenden Konferenzen besprochen. Inden Konferenzen werden die verbindlichen,das Schulleben betreffenden Entscheidungengetroffen. Aus den Konferenzen werden Ar-beitskreise und Aufgaben auf Zeit delegiert.Sie dienen auch der kontinuierlichen Weiter-bildung. So ist jeder Mitarbeiter durch per-sönliche Verantwortung und initiatives Han-deln Mitgestalter der Schulgemeinschaft.

2.6. Elternpartizipation

Die Zusammenarbeit von Elternhaus undSchule wird als partnerschaftlich angesehen.Sie ist von großer Bedeutung für die Entwick-lung der Schüler. Elternabende, persönlicheGespräche mit den Lehrern und Informati-onsabende zur Waldorf- und Heilpädagogikbilden die Grundlage. In der Eltern-Lehrer-Konferenz tauschen sich Eltern und Lehrerüber Belange des Unterrichtes und der Schu-le aus.

Die Eltern beteiligen sich am Schullebendurch Mitwirkung im Vorstand des Träger-vereines, in Arbeitskreisen wie z. B. dem Fi-nanzkreis, dem Baukreis, dem Festkreis undbei der Öffentlichkeitsarbeit. Gemeinsame

„Arbeitseinsätze“ von Eltern, Lehrern undSchülern z. B. zur Schulgartengestaltung oderKlassenzimmerrenovierung fördern die le-bendige Schulgemeinschaft.

Die Schulen in freier Trägerschaft werden inunterschiedlichem Maße, doch nicht voll-ständig durch die Bundesländer finanziert.Deshalb müssen die Eltern einen Teil der lau-fenden Kosten mittragen. WirtschaftlicheGründe sind jedoch kein Hinderungsgrund fürden Besuch der Schule. Darum sind Ermäßi-gungen und Sonderregelungen für Eltern mitgeringem Einkommen möglich.

An den Heilpädagogischen Schulen habensich Eltern und Freunde zu Fördervereinenoder Interessengemeinschaften zusammen-geschlossen. Sie unterstützen die Schulen mitfreiwilligem Engagement, finanziellen Zu-wendungen und setzen sich für die Interes-sen der Schule und der Schüler in der Öffent-lichkeit und bei den Behörden ein. Sie bildenauch Initiativen für die Gründung von Le-bensOrten für die Schulabgänger.

Immer gut informiert durch dieZeitschrift PUNKT UND KREIS

PUNKT UND KREISerscheint zu Ostern,Johanni , Michaeliund Weihnachtenund richtet sich anEltern und Angehöri-ge, an MitarbeiterIn-nen in Schulen, heil-pädagogischen undsozialtherapeuti-schen Einrichtungenund Werkstätten, anMultiplikatoren undPartner.

Neben Artikeln zu einem Schwerpunktthemafinden Sie Beiträge aus dem Leben in denEinrichtungen, zur Elternarbeit, zur aktuellensozialpolitischen Diskussion, Rechts- und Lite-raturhinweise, wichtige Termine, u.v.m.Gemeinsame Herausgeber sind der Verbandfür anthroposophische Heilpädagogik, Sozial-therapie und soziale Arbeit e.V. und die Bun-desElternVereinigung für anthroposophischeHeilpädagogik und Sozialtherapie e.V.Probeexemplar und Bestellung über Bundes-ElternVereinigung, Adresse siehe Umschlag.

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Kontaktadressen

Verband für anthroposophischeHeilpädagogik, Sozialtherapie undsoziale Arbeit e. V.

Schlossstraße 9, 61209 EchzellTel.: 060 35 / 811 90Fax: 060 35 / 812 17E-Mail: [email protected]: www.verband-anthro.de

Bund der Freien Waldorfschulen

Wagenburgstr. 6, 70184 StuttgartTelefon 0711 / 210 42-0Fax 0711 / 210 42-19E-Mail [email protected]: www.waldorfschule.de

BundesElternVereinigung füranthroposophische Heilpädagogikund Sozialtherapie e.V.undFreundeskreis Camphill e.V.

Argentinische Allee 2514163 BerlinTelefon: 030 / 80 10 85 18Fax: 030 / 80 10 85 21E-Mail: [email protected]: www.bev-ev.de

www.freundeskreis-camphill.de