Heinrich Seuse - Flug Der Seele

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  • 8/6/2019 Heinrich Seuse - Flug Der Seele

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    Vom hchsten Flug einer im geistlichen Lebenerfahrenen vernunftigen Seele

    Heinrich Seuse

    Die kluge Tochter des Dieners sprach: "Ich weite nichts so gern aus den Schriften(der Lehrmeister) als die bermchtige Bedeutung davon, wo und wie eines ingeistlicher bung wohlerfahrenen Menschen Erkenntnis im tiefsten (gttlichen)Abgrund als seinem hchsten Ziel enden solle, derart, da lebendige Empfindungmit der Ansicht der Schriften bereinstimme."

    Da entnahm er aus dem Schrifttum eine verstndige Antwort, und die lautete ihremverborgenen Sinne nach so: Ein solch edler Mensch nimmt in schlichterGeruhsamkeit das sinnreiche Wort auf, das Gottes ewiger Sohn in der Frohbotschaftsprach: "Wo ich bin, soll auch mein Diener sein." Wer nun dies ,Wo', das der Sohnseiner Menschheit nach am Kreuz sterbend auf sich nahm, wer das harte ,Wo' inChristi Nachfolge nicht gescheut hat, dem kann nach des Heilands Verheiung wohlzuteil werden, das gnadenvolle ,Wo' zu erfahren der lauteren Gottessohnschaft, inerkenntnisreicher, freudevoller Weise in Zeit und Ewigkeit, so weit mglich, mehroder weniger.Ja, wo ist nun das ,Wo' der lauteren, gttlichen Sohnschaft?1

    Das ist in dem berwesentlichen Licht gttlicher Einheit und ist, seinem namenlosen

    Namen nach, ein Nichts, von der Entrckung aus gesehen, eine wesenhafte Stille,von dem entrckt gewesenen, seiner wieder bewut gewordenen Geiste ausbetrachtet die dreieinige Natur; seiner Eigenheit nach ist es ein Licht seiner Selbstheit,der ungeschaffenen Urschlichkeit nach ein allen Dingen das Sein gebendes Sein.Und in der dunklen Weiselosigkeit vergeht alle zerstreuende Vielheit, und dem Geistentschwindet sein eigenes Sein; er versinkt im Hinblick auf eigene Wirksamkeit. Unddies ist das hchste Ziel und Wo' ohne Ende; in ihm endet aller Geister Geistigkeit:sich darin fur immer verloren zu haben, ist ewige Seligkeit.

    Und damit du dies besser verstehst, mut du wissen, da in dem berwesentlichenLicht der gttlichen Einheit der darin verharrende Ursprung der Ausgieung der

    gttlichen Personen aus der allvermgenden ewigen Gottheit ist; denn die Dreiheitder Personen liegt in der Einheit der Natur und die Dreiheit ihr Wirkvermgen inder Einheit, wie St. Augustinus in seinem Buch ber die Dreifaltigkeit2 sagt. DieDreiheit der Personen hat in sich die Einheit als ihr natrliches Wesen beschlossen;darum ist jede Person Gott und gem der Einfachheit ihrer Natur Gottheit.

    Nun spricht sich die Einheit. in der Dreiheit in unterschiedlicher Weise aus, aber dieDreiheit leuchtet, sobald der Geist aus der Beschauung in die Betrachtungzurckgekehrt ist, in unvermischter Einheit, wie sie es in Einfachheit in sich

    beschlossen hat.

    1Das Folgende ist im Anschlu an M. Eckbarts Traktat: "Diz ist diu glose ber den berschal"(Pfeiffer, Meister

    Eckhart, Gttingen 1924, S. 516-520) entstanden.2Buch I und VII.

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    Dieses selbe ber allem Sein stehende Wo, von dem gesprochen wurde und in demein erprobter Diener mit dem ewigen Sohne die Wohnsttte teilen soll, kann man dasseinshafte namenlose Nichts nennen. Und da gelangt der (menschliche) Geist zumNichts der Einheit. Diese Einheit heit darum ein Nichts, weil der Menschengeistkeinen der Endlichkeit angehrigen Ausdruck finden kann, um zu sagen, was es sei.

    Der Geist empfindet nur, da er erhalten wird von einem, der anders ist als er selbst.Darum ist das, was ihn da erhlt, in bestimmterer Weise ein Etwas als ein Nichts; esist aber dem Menschengeist ein Nichts nach der Art seines Seins.

    Wenn der Geist in dieser verklrten, glanzvollen Dunkelheit, seiner selbst nichtbewut, in eigentlicher Weise seinen Aufenthalt nimmt, verliert er jegliches (ihn vonGott) trennende Hindernis und jede besondere Eigenschaft, wie St. Bernhard sagt.Und das geschieht mehr oder minder, je nachdem der Geist in dem Leib oder vondem Leib aus sich selbst in Gott entschwunden ist. Und der Verlust seiner Selbstheitist von gttlicher Art, die ihm irgendwie alles geworden ist, wie die Schrift sagt.3

    In dieser Entsunkenheit vergeht der Geist, doch nicht ganz; er empfngt wohl die

    eine oder andere Eigenschaft der Gottheit, aber er wird nicht Gott von Natur. Wasihm zuteil wird, erhlt er durch Gnade, denn er ist ein Etwas, geschaffen aus demNichts: und das bleibt er ewiglich; soviel sei gesagt, da im Versinken in dieBeschauung nach der Versenkung in Gott ihm die unsichere Verwunderung in dermystischen Versenkung entgeht; die Seele wird nmlich ihrer Selbstheit entzogen imgttlichen Sein, ihres eigenen Seins unbewut. Denn nach allgemeiner Meinung wirdder Geist durch des gttlichen berschwnglichen Wesens Kraft ber seinnatrliches Vermgen hinausgezogen in die Unverhltheit des Nichts; denn es istdurchaus frei von Geschpfen; aber in sich selbst hat es seine eigentmliche Artentsprechend seiner Seinsheit.

    Diese weiselose Art ist das Wesen der (gttlichen) Personen; diese haben es ineinfacher Weise beschlossen nach rechter Einsicht (in ihr Sein), ihrer Naturentsprechend. Diese Erkenntnis beraubt, wie gesagt, den Geist seines Selbst; und dasgeschieht in dem Nicht der Einfachheit gem des Nichtes unergrndlichemBewutsein, seiner eigenen Erkenntnisweise ermangelnd; denn da verliert er sich inein Nicht-Wahrnehmen seiner selbst und in ein Vergessen aller Dinge. Und diesgeschieht ihm dann, wenn der Geist an sich selbst sich von seinem Selbst und vonaller Dinge Gewordenheit abgekehrt hat und hinkehrt in die unverhllteUngewordenheit des Nichts.

    In diesem wilden Gebirge des bergttlichen Wo findet im (gttlichen) Abgrund einfr alle lauteren Geister empfindbares Spiel statt, und da kommt der Geist in die

    geheimnisvolle Unnennbarkeit (Gottes) und in unheimliche Entfremdung. Und dasist allen Geschpfen ein unergrndlich tiefer Abgrund, (nur) sich selbst ergrndbar;dieser Grund ist auch allen verborgen auer ihm selbst und denen, welchen er sichmitteilen will. Und diese mssen ihn voll Gelassenheit suchen und in gewisser Weisemit seiner Hilfe erkennen wie die Schrift sagt:" Wir werden erkennen, wie wirerkannt sind." 4 Diese Erkenntnis hat der Geist nicht aus seinem Selbst, sondern dieEinheit zieht ihn in die Dreiheit an sich, das ist an seine rechte bernatrlicheWohnsttte, wo er ber sich selbst in dem wohnt, was ihn dahingezogen hat.

    3Gemeint ist hier die Schrift des hl. Bernhard .De diligendo Deo: PL 182, col. 991.41 Kor 13,12.

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