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Helga Fleischhacker Parteiensystem und Verfassung in Afrika

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Helga Fleischhacker

Parteiensystem und Verfassung in Afrika

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Politik in Afrika, Asien und LateinamerikaPolitikwissenschaftliche Analysen zurEntwicklungs- und Schwellenländerforschung

Herausgegeben von

Aurel CroissantJörg FaustHans-Joachim LauthSiegmar Schmidt

In der Reihe sind bisher erschienen:

Aurel Croissant, Von der Transition zur defekten Demokratie. Demokratische Entwicklung in den Philippinen, Südkorea und ThailandISBN 978-3-531-13796-4

Wolfgang Muno, Reformpolitik in jungen Demokratien. Vetospieler, Politikblockaden und Reformen in Argentinien, Uruguay und Thailand im VergleichISBN 978-3-531-14395-8

Veit Straßner, Die offenen Wunden LateinamerikasVergangenheitspolitik im postautoritären Argentinien, Uruguay und ChileISBN 978-3-531-15599-9

Jenniver Sehring, The Politics of Water Institutional Reform in Neopatrimonial StatesA Comparative Analysis of Kyrgyzstan and TajikistanISBN 978-3-531-16508-0

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Helga Fleischhacker

Parteiensystem undVerfassung in AfrikaStrukturen – Funktionen – Typen

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1. Auflage 2010

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010

Lektorat: Dorothee Koch / Tanja Köhler

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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, MörlenbachGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany

ISBN 978-3-531-16448-9

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Zugl. Dissertation an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 2008 unter dem Titel: Afrikanische Party Polities. Strukturen, Funktionen, Perspektiven in der Demokratisierung.

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Meiner Familie

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis .......................................................................................................11

Abkürzungsverzeichnis......................................................................................................15

1 Einleitung ....................................................................................................................19 1.1 Afrika und die Moderne als nachholende Entwicklung .....................................21 1.2 Afrika und die Moderne als differente Entwicklung..........................................25 1.3 Reflexive Modernisierung: Struktur-funktionaler Ansatz und

Fragestellungen ..................................................................................................30

2 Parteiensysteme und Demokratieentwicklung.........................................................33 2.1 Begriffsbestimmungen .......................................................................................33 2.1.1 Demokratie und Demokratisierung ....................................................................33 2.1.2 Repräsentation und Parteiensysteme ..................................................................40 2.1.3 Afrikanische Parteiensysteme ............................................................................42 2.2 Fluide und strukturierte Party Polities................................................................44 2.2.1 Konzeptueller Rahmen.......................................................................................44 2.2.2 Merkmale afrikanischer Machtordnungen .........................................................48 2.2.3 Ordnung und Institutionalisierung......................................................................53 2.3 Hegemonialer Kompromiss und Institutionalisierung........................................57 2.3.1 Konzeptueller Rahmen.......................................................................................57 2.3.2 Entwicklungspfade afrikanischer Party Polities .................................................58 2.3.3 Institutionalisierung von Party Polities als ko-evolutiver Prozess .....................62 2.4 Demokratisierung interdependenter Party Polities .............................................66 2.4.1 Institutionalisierung von Demokratie .................................................................66 2.4.2 Funktionale Anpassungsleistungen des Parteiensystems ...................................68

3 Paradigmen afrikanischer Party Polities .................................................................71 3.1 Entfaltung des politischen Raumes unter kolonialer Herrschaft ........................71 3.1.1 Politischer Diskurs und institutionelle Entwicklung ..........................................71 3.1.2 Typenbildung und funktionale Einbindung........................................................75 3.2 Postkolonialer hegemonialer Kompromiss: Partis-Nations und

Avantgardeparteien ............................................................................................77 3.2.1 Politischer Diskurs und institutionelle Entwicklung ..........................................77

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8 Inhaltsverzeichnis

3.2.2 Typenbildung und funktionale Einbindung........................................................81

3.3 Postkoloniale hegemoniale Krise .......................................................................82 3.3.1 Geplante Parteiensysteme und Kein-Parteiensysteme........................................82 3.3.2 Krise des postkolonialen hegemonialen Kompromisses: Semi-kompetitive

Reformen des Einparteienstaates........................................................................84 3.3.3 Typenbildung und funktionale Einbindung........................................................86 3.4 Multipartismus ...................................................................................................87 3.4.1 Politischer Diskurs und institutionelle Entwicklung ..........................................87 3.4.2 Typenbildung und funktionale Einbindung: Präzisierung der Fragestellung .....89

4 Afrikanische Massenparteien: Ghana und Mali......................................................95 4.1 Ghana .................................................................................................................95 4.1.1 Übergang in die Unabhängigkeit (1950-1972)...................................................95 4.1.2 Hegemoniale Krise.............................................................................................98 4.1.3 Demokratisierung.............................................................................................103 4.1.4 Konflikt und Konsens von der Gründungswahl bis zur zweiten Neuwahl.......110 4.2 Mali ..................................................................................................................114 4.2.1 Übergang in die Unabhängigkeit (1957-1968).................................................114 4.2.2 Prekärer hegemonialer Kompromiss ................................................................117 4.2.3 Demokratisierung.............................................................................................121 4.2.4 Konflikt und Konsens von der Gründungswahl bis zur zweiten Neuwahl.......127 4.3 Zusammenfassender Polity-Vergleich .............................................................134 4.3.1 Partizipation .....................................................................................................134 4.3.2 Herrschaft.........................................................................................................136 4.3.3 Kompetitivität ..................................................................................................139

5 Avantgardeparteien: Kongo und Benin .................................................................141

5.1 Kongo/Brazzaville............................................................................................141 5.1.1 Übergang in die Unabhängigkeit (1957-1968).................................................141 5.1.2 Prekärer hegemonialer Kompromiss ................................................................146 5.1.3 Demokratisierung und Bürgerkrieg..................................................................150 5.2 Benin (Dahomey) .............................................................................................158 5.2.1 Übergang in die Unabhängigkeit (1957 bis 1972) ...........................................158 5.2.2 Hegemonialer Kompromiss..............................................................................162 5.2.3 Demokratisierung.............................................................................................166 5.2.4 Konflikt und Konsens von der Gründungswahl bis zur zweiten Neuwahl.......170 5.3 Zusammenfassender Polity-Vergleich .............................................................180 5.3.1 Partizipation .....................................................................................................180 5.3.2 Herrschaft.........................................................................................................182 5.3.3 Kompetitivität ..................................................................................................185

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Inhaltsverzeichnis 9

6 Mehrparteiensysteme: Gambia und Botswana......................................................187 6.1 Gambia .............................................................................................................187 6.1.1 Übergang in die Unabhängigkeit......................................................................187 6.1.2 Hegemonialer Kompromiss..............................................................................189 6.1.3 Militärputsch und prekäre Redemokratisierung ...............................................193 6.2 Botswana..........................................................................................................196 6.2.1 Übergang in die Unabhängigkeit......................................................................196 6.2.2 Hegemonialer Kompromiss..............................................................................199 6.2.3 Hegemoniale Krise und institutionelle Reform................................................203 6.3 Zusammenfassender Polity-Vergleich .............................................................207 6.3.1 Partizipation .....................................................................................................207 6.3.2 Herrschaft.........................................................................................................209 6.3.3 Kompetitivität ..................................................................................................210

7 Multipartismus – Typen und Funktionen ..............................................................213 7.1 Artikulation ......................................................................................................213 7.1.1 Konfliktlinien im politischen Raum.................................................................213 7.1.2 Machtstrategische Ziele und Zwänge...............................................................218 7.2 Alternation .......................................................................................................224 7.2.1 Regierungsbildung und Regierbarkeit..............................................................224 7.2.2 Alternationspotentiale und Systemstabilität .....................................................232 7.3 Aggregation......................................................................................................240 7.3.1 Vom Wähler zur Stimme: Wählererwartung und Wählerbindung ...................240 7.3.2 Parteien als Aggregationsagenturen in die politischen Arenen ........................244 7.4 Responsivität ....................................................................................................254 7.4.1 Zusammenfassende typologisierende Überlegungen .......................................254 7.4.2 Funktion und funktionale Äquivalente vertikaler Kohäsion ............................262

8 Schlußbemerkung.....................................................................................................271

9 Literatur....................................................................................................................277 9.1 Offizielle Quellen.............................................................................................277 9.2 Bücher und Zeitschriftenaufsätze.....................................................................279

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Abbildungsverzeichnis

1. Liberalization, Inclusiveness and Democratization (Dahl 1971:7)..............................33

2. Dreidimensionales Untersuchungskonzept: Herrschaft, Wettbewerb, Partizipation ...39

3. Party Polities: Typologie nach Sartori (1976:283) ......................................................45

4. From Fluidity to Crystallisation: Lineare Verfestigung von Party Polities nach

Sartori (1976:260) .......................................................................................................47

5. Gesamteinschätzung der Entwicklung politischer Systeme 1995/1996 ......................48

6. Regimetypen nach Sartori in Sequenzen .....................................................................49

7. Between and Alongside: Ordnung, Autorität und Dominanz......................................54

8. Komplexitätstheoretische Axiome zu ‚lebenden Systemen’ .......................................63

9. Analytische Ebenen demokratischer Institutionalisierung...........................................67

10. Operationalisierung der Repräsentationsfunktionen politischer Parteien I..................69

11. Letzte Parlamentswahl im brit. Kolonialgebiet ...........................................................74

12. Letzte Parlamentswahl im franz. Kolonialgebiet.........................................................75

13. Semi-kompetitive Elemente bei Legislativwahlen in Einparteisystemen....................85

14. Nationalkonferenzen in den Transitionen frankophoner Staaten.................................87

15. Parlamentarische Wahlsysteme und koloniale Herkunft .............................................88

16. Stimmanteil ehemaliger Staatsparteien bei kompetitiven Parlamentswahlen

1989-2002....................................................................................................................90

17. Parteiensysteme bei kompetitiven Parlamentswahlen 1989-2002...............................92

18. Ghana:Parlamentswahlen 1969-1979 ..........................................................................99

19. Ghana: Gründungswahlen 1992 ................................................................................109

20. Ghana: Parlamentswahlen 1996-2004 .......................................................................112

21. Mali: Gründungswahlen 1992 ...................................................................................126

22. Mali: Parlamentswahlen 1992-2002..........................................................................130

23. Verfassungsgenese: Ghana, Mali ..............................................................................138

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12 Abbildungsverzeichnis

24. Politische Rechte und bürgerliche Freiheiten: Ghana, Mali ......................................140

25. Kongo: Chronologie parlamentarischer Mehrheiten 1957-1959 ...............................144

26. Kongo: Parteien der Nationalkonferenz nach Herkunft.............................................151

27. Kongo: Gründungswahlen 1992................................................................................153

28. Kongo: Parlamentswahlen 1993 und 2002 ................................................................156

29. Benin: Von Politikern reklamierte aristokratische Herkunft .....................................159

30. Benin: Herrschaftsbündnisse und institutionelle Ausprägung 1959-1972.................161

31. Benin: Zusammensetzung der Nationalkonferenz.....................................................167

32. Benin: Gründungswahlen 1991 .................................................................................169

33. Benin: Mehrheitsverhältnisse zu Beginn der 2., 3. und 4. Legislatur ........................171

34. Benin: Parlamentswahlen 1995-2003........................................................................174

35. Benin: regionale Sitzverteilung 1991, 1999, 2003 ....................................................179

36. Verfassungsgenese Benin, Kongo .............................................................................184

37. Politische Rechte und bürgerliche Freiheiten:Kongo, Benin.....................................185

38. Gambia:Parlamentswahlen 1966-1977......................................................................191

39. Gambia: Parlamentswahlen 1982-1992.....................................................................193

40. Gambia: Parlamentswahlen 1997-2002.....................................................................196

41. Botswana: Parlamentswahlen 1965-1974..................................................................199

42. Botswana: Parlamentswahlen 1979 -1989.................................................................202

43. Botswana: Parlamentswahlen 1994 -2004.................................................................204

44. Verfassungsgenese: Gambia, Botswana ....................................................................210

45. Politische Rechte und bürgerliche Freiheiten:Botswana, Gambia.............................211

46. Politische Konfliktlinien in afrikanischen Parteiensystemen ....................................218

47. Übersicht: Nationale historische Konflikt- und Kooperationsmuster........................226

48. Formale Struktur der Regierungssysteme anglophoner Tradition .............................228

49. Formale Struktur der Regierungssysteme frankophoner Tradition ...........................231

50. Anzahl und Stärke der Parteien in den strukturierten Fällen .....................................234

51. Anzahl und Stärke der Parteien in den fluiden Länderfällen.....................................236

52. Stimmen pro Sitz bei den Parlamentswahlen in Mali................................................246

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Abbildungsverzeichnis 13

53. Benin: Regionale Hochburgen, Parlamentswahlen 1999...........................................246

54. Stimm/Sitzverteilung bei Parlamentswahlen in Botswana ........................................247

55. Stimmen pro Sitz bei Parlamentswahlen in Gambia bis 1992...................................249

56. Präsidentschaftswahlen Kongo; regionale Stimmverteilung der wichtigsten

Kandidaten ................................................................................................................250

57. Präsidentschaftswahlen Benin; regionale Stimmverteilung der wichtigsten

Kandidaten ................................................................................................................251

58. Parlamentswahlen Benin; Sitzverteilung in Ouémé und Plateau...............................251

59. Akteursbindung, Wählerbindung und Repräsentation in strukturierten und

fluiden Parteiensystemen...........................................................................................257

60. The overall framework: Remapping and explanatory power ....................................261

61. Parteien nach nationaler, regionaler und lokaler Stärke ............................................263

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Abkürzungsverzeichnis Benin ADD Alliance pour la Démocratie et le Développement ADP Alliance pour la Démocratie et le Progrès All. Caméléon Alliance Caméléon API Alliance Politique des Indépendants ARC Alliance pour le Renouveau Civique ASD Alliance pour la Social – Démocratie BGLD Bâtisseurs et Gestionnaires de la Liberté et du Développement BPA Bloc Populaire Africain BSD Bloc pour la Social Démocratie FARD-Alafia Front d’Action pour le Renouveau Démocratique FDDM Forum pour la Démocratie le Développement et la Moralité GEN Groupe Ethnique du Nord MDD Mouvement Démocratique Dahoméen MDPS Mouvement pour la Démocratie et le Progrès Social MNDD Mouvement National pour la Démocratie et le Développement MSUP Mouvement pour la Solidarité, l'Union et le Progrès NCC Notre Cause Commune PCB Parti Communiste du Bénin PDD Parti Démocratique Dahoméen PDU Parti Dahoméen de l'Unité PND Parti des Nationalistes du Dahomey PNDD Parti National pour la Démocratie et le Développement PNSP Parti National pour la Solidarité et le Progrès PNT Parti National du Travail PPD Parti pour le Progrès et la Démocratie PRD Parti du Regroupement Dahoméen (1959) PRD Parti du Renouveau Démocratique (since 1991) PRPB Parti de la Révolution Populaire du Bénin PS Parti du Salut PSD Parti Social Démocrate RAP Rassemblement Africain pour le Progrès et la Solidarité Nationale RB Renaissance du Bénin RDD Rassemblement Démocratique Dahoméen RDL-Vivoten Rassemblement des Démocrates Libéraux – Vivoten RDP Rassemblement pour la Démocratie et le Panafricanisme RDT Rassemblement pour la Démocratie et le Travail RND Rassemblement National pour la Démocratie RNJP Rassemblement National pour la Paix et la Justice UDD Union Démocratique Dahoméenne UDES Union Démocratique pour le Développement Economique et Social UDFP Union Démocratique des Forces du Progrès

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16 Abkürzungsverzeichnis

UDP Union Dahoméen Progressiste UDRN Union pour la Démocratie et la Reconstruction Nationale UDRS Union Démocratique pour le Renouveau Social UDS Union pour la Démocratie et la Solidarité Nationale ULD Union pour la Liberté et le Développement UNDP Union Nationale pour la Démocratie et le Progrès UNSP Union Nationale pour la Solidarité et le Progrès UPD Union Progressiste Dahoméenne URD Union pour le Renouveau du Dahomey URP Union Républicaine du Peuple UTD Union pour le Travail et la Démocratie

Botswana BDP Botswana Democratic Party BFP Botswana Freedom Party BIP Botswana Independence Party BLP Botswana Labour Party BNP Botswana National Front BPP Botswana People's Party BPP No. 1 Botswana People's Party No.1 BPU Botswana Progressive Union IFP Independence Freedom Party LLB Lesedi la Botswana UDF United Democratic Front USP United Socialist Party

Gambia APRC Alliance for Patriotic Reorientation and Construction DCA Democratic Congress Alliance GPP Gambia People’s Party PPP People’s Progressive Party NCP National Convention Party NLP National Liberation Party NRP National Reconciliation Party PDOIS People’s Democratic Organisation for Independence and Socialism UDP United Democratic Party UP United Party

Ghana ACP Action Congress Party APRP All People’s Republican Party CPP Convention People’s Party DPP Democratic People’s Party EGLE Party Every Ghanaian Living Everywhere (EGLE) Party FYO Federation of Youth Organisations GCP Ghana Congress GCPP Great Consolidated Popular Party MAP Muslim Association Party NAL National Alliance of Liberals NCD National Commission for Democracy NCP National Convention Party

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Abkürzungsverzeichnis 17

NDC National Democratic Congress NIP National Independence Party NLM National Liberation Movement NPP New Patriotic Party (1992-2000) NPP Northern People’s Party (1956) PAP People’s Action Party PCP People’s Convention Party PFP Popular Front Party PHP People’s Heritage Party PNC People’s National Convention PNDC Provisional National Defence Council PNP People’s National Party PP Progress Party SDF Social Democratic Front TC Togoland Congress TFP Third Force Party UNC United National Convention UNP United Nationalist Party UP United Party

Kongo ADENA Alliance Démocratique Nationale AMICALE Union Amicale pour le Changement Intégral AND Alliance Nationale pour la Démocratie CNDD Comité National pour la Démocratie et le Développement FDP Forces Démocratiques et Patriotiques FDS Forum pour la Démocratie et la Solidarité FDU Forces Démocratiques Unies MARS Mouvement Africain pour la Renaissance Sociale MCDDI Mouvement Congolais pour la Démocratie et le Développement Intégral MNR Mouvement National de la Révolution MSA Mouvement Socialiste Africain PANA Parti National PCR Parti Congolais du Renouvellement PCT Parti Congolais du Travail PRDC Parti Républicain pour la Défense du Congo PSDC Parti Social Démocrate Congolais PSDL Parti Social Démocrate Libéral RDD Rassemblement pour la Démocratie et le Développement RDPS Rassemblement Démocratique pour le Progrès Social RDPSEL — RNDP Rassemblement National pour la Démocratie et le Progrès RUDL Rassemblement pour l’Unité, la Démocratie et la Liberté UDC Union pour la Démocratie Chrétienne UDDIA Union Démocratique de Défense des Intérêts Africains UDPS Union pour le Développement et le Progrès Social UDR ‘Mwinda’ Union pour la Démocratie et la République UFD Union des Forces Démocratiques UNAPAC Union Nationale des Patriotes Croyants UNDP Union Nationale pour la Démocratie et le Progrès UP Union pour le Progrès

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18 Abkürzungsverzeichnis

UPADS Union Panafricaine pour la Démocratie Sociale UPDP Union Patriotique pour la Démocratie et le Progrès UPRN Union Patriotique pour la Reconstruction Nationale UPSD Union pour le Progrès Social et la Démocratie URD Union pour le Renouveau Démocratique URN Union pour le Redressement National URP Union Républicaine pour le Progrès

Mali ADEMA Alliance pour la Démocratie au Mali ADVR Association des Victimes de la Répression AEEM Association desÉlèves et Étudiants Maliens CCTSP Comité de Transition pour le Salut du Peuple CNID Congres National d’Initiative Démocratique FSD Front Sauvegarde de la Démocratie PDP Parti pour la Démocratie et le Progrès PMD Parti Malien pour le Développement PRS Parti du Regroupement Soudanais PSP Parti Soudanais Progressiste PUDP Parti pour l’Unité la Démocratie et le Progrès RDA Rassemblement Démocratique Africain RDP Rassemblement pour la Démocratie et le Progrès RDT Rassemblement pour le Démocratie et le Travail RPM Rassemblement pour le Mali UDD Union pour la Démocratie et le Développement UDPM Union Démocratique du Peuple Malien UFD Union de Forces Démocratique UFDP Union des Forces Démocratiques pour le Progrès UMDD Union Malien pour la Démocratie et le Développement UNTM Union Nationale des Travailleurs Maliens US Union Soudanais US-RDA Union Soudanais – Rassemblement Démocratique Africain

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1 Einleitung Sich afrikanischer Politik zu nähern heißt, immer wieder die eigenen Fragen auf die Erklä-rungskraft der zu erwartenden Antworten hin zu überprüfen und über die grundsätzlichen politischen Begriffe wie Staat und Gesellschaft, Moderne und Entwicklung, Individuum und Interesse nachzudenken sowie ihre historische Determinierung, normative und teleolo-gische Implikationen mitzureflektieren.

Zu kaum einer Region mit einer vergleichbar kurzen politischen Entwicklungsdauer existiert eine solche Fülle kontroverser Untersuchungskonzepte, Typologisierungsvorschläge, Erklärungsansätze und auch Erklärungsklischees. In der Tat stellen afrikanische Gesellschaf-ten den Politikwissenschaftler vor eine schwierige analytische Situation: die geringe Ausdiffe-renzierung der verschiedenen Ebenen (Politisches, Wirtschaftliches, Religiöses, Privates, Öffentliches) und ihre konstante und dynamische Durchdringung lassen bisweilen alle Vari-ablen als dependent und situativ erscheinen. Das macht es schwer, politische Phänomene mit an westlichen Erfahrungswerten abgeleiteten Erklärungsmustern zu interpretieren und führt oft zu paradoxen Ergebnissen. Gleichzeitig scheint etwa Wahlverhalten an ethno-regionale Identitäten fixiert und doch hoch volatil, der Staat überdimensioniert und als ein scheinexi-stentes international achievement, Staatsparteien als massenmobilisierende Einheitsstifter und als administrative Erfindungen. Afrikanische Politik wird dementsprechend beschrieben als ‚dysfunktionaler Risikofaktor auf dem Weg zur Demokratie’ (Schmidt 1997:253), als ‚The African labyrinth’ (Sartori 1978:248)‚ disorder as political instrument’ (Chabal/Daloz 1999) oder The Puzzling Features of African Party Systems (Mozaffar/Scarritt:2005).

Gemeinsames Ausgangsproblem aller Überlegungen bleibt dabei der große Gegensatz von ‚vormodernen’ gesellschaftlichen Grundstrukturen und den funktionalen Anforderungen ‚moderner’ Regierung, aber auch deren Gleichzeitigkeit und Verwobenheit. Die alte Frage nach Möglichkeit und Ausmaß, in dem das Demokratiemodell, wie es sich im Verlauf der europäischen Geschichte herausgebildet hatte, in differierendenden Kontexten Geltung bean-spruchen kann (Nohlen 1997), erhielt im Zusammenhang mit den politischen Reformversu-chen seit Ende der 80er Jahre wieder neue Bedeutung. Der Begriff der demokratischen Kon-solidierung hat dabei zwangsläufig das gesamte Netzwerk von Beziehungen zwischen Bürgern und Regierenden mitzureflektieren: „Most important, the conceptualisation of de-mocratic consolidation must carefully avoid adopting a historically or culturally peculiar Gestalt as the standard against which to measure the progress of contemporary nascent de-mocracies“ (Schmitter 1985:14). Konzeptionelle Bemühungen zur begrifflichen Klärung und Typologisierung solcher Regime, die durch ein Nebeneinander von formalen demokratischen Institutionen und demokratiefernen informellen Verhaltensregeln charakterisiert sind, wurden in jüngerer Zeit etwa mit dem Begriff der ‚defekten Demokratie’ (Croissant/Merkel 2000) und verwandten Ansätzen (Lauth/Liebert 1999, Betz/Köllner/Mattes 1999) vorgelegt.

Die afrikanische Transitionsdebatte wird also mit leichten Akzentverschiebungen ge-führt. Sie findet unter traditionell starker Beteiligung der Soziologie und einer fast aus-schließlich ökonomisch orientierten Entwicklungsforschung statt, welche die Rolle staatli-

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20 1 Einleitung

cher Institutionen bisher weitgehend ausgeblendet hatten. Die so formulierten Paradigmen sozio-ökonomischer Austauschbeziehungen ergaben dabei zwangsläufig eher Erklärungen für eine graduelle Inkompatibilität gesellschaftlicher Praktiken mit demokratischen Struktu-ren. Gleichwohl bietet der reichhaltige Bestand an soziologischen Forschungshypothesen aus politikwissenschaftlicher Perspektive zahlreiche Anstöße zur konzeptionellen Präzisie-rung solcher informalen Austauschbeziehungen und Verhaltensmuster, die oft relativ pau-schal als entwicklungs- und demokratiehemmende Patrimonial- oder Klientelbeziehungen eingeführt werden.

Denn erklärungsbedürftig bleiben nicht nur das Fortbestehen und die Muster ‚vormo-derner’ Gesellschaftsstrukturen, sondern auch die Einleitung institutioneller Reformprozes-se und ihre Auswirkungen. Gerade im subsaharischen Afrika wurden seit 1989 in 42 von 48 Staaten Wahlen unter Beteiligung mehrerer Parteien durchgeführt. Es ist seither in einigen Ländern eine starke Bewegung in der Institutionenbildung und eine rege Gesetzgebungstä-tigkeit zu beobachten. Im Zuge der politischen Liberalisierung ab 1989 waren es vor allem die Nichtregierungsorganisationen, die eine wichtige Rolle in der Legalisierung von Oppo-sitionsparteien spielten und die Abhaltung von freien Wahlen durchsetzten. Handels – und Juristenvereinigungen sowie Studentenvereinigungen setzten accountability and transpa-rency, Schlüsselbegriffe von good governance, auf die politische Agenda. Der politische Diskurs wandte sich von neokolonialen Schuldzuweisungen hin zur Kritik an den eigenen politischen Eliten (vgl. etwa Kabou 1991). Man erwartete, dass sich durch Parteienwettbe-werb die Regierungsverantwortlichkeit erhöhen würde, die Beziehung zwischen Eliten und Landbevölkerung sich vertiefen und die Verhandlungen zwischen den überall entstehenden Interessengruppen die Macht der Klientelherren eingrenzen würde. Das Eintreten für Mehr-parteiensysteme war in einige klar gefasste Vorstellungen über die Beziehung zwischen Gesellschaft, Staat und politischen Parteien gebettet. Die Welle des ‚Multipartismus’, die seit 1989 über den Subkontinent hinwegging, hat freilich zu unterschiedlichen Ergebnissen, von relativ erfolgreichen Transitionen wie in Mali, Ghana oder Benin, aber auch zu staatli-chen und gesellschaftlichen Zerfallsprozessen wie in Kongo (Brazzaville) und einer großen Anzahl steckengebliebender oder blockierter Demokratisierungen geführt.

Damit stand die Frage nach den Möglichkeitsräumen stabiler und demokratischer in-stitutioneller Fortentwicklung unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen in der Region erneut zur Debatte. Die Vielzahl und Varianz der Fälle im subsaharischen Raum bietet dabei ein privilegiertes Forschungsfeld.

Die inzwischen über 15jährige Erfahrung mit institutionellen Experimenten, mehr oder weniger freien Wahlen und demokratischen Konsolidierungsbeständen hat nach und nach zu einer erfreulichen Breite quantitativer Erhebungen und politikwissenschaftlicher Thesen- und Indexbildung geführt, nicht zuletzt auch in Bezug auf die Entwicklung politischer Par-teiensysteme in der Wechselwirkung mit Wahlsystemen und gesellschaftlichem Kontext (Nohlen/Krennerich/Thibaut:1999, Basedau:2003, Basedau/Erdmann/Mehler:2006; Mozaf-far:1997, Mozaffar/Scarritt:2005, Brambor/Clark/Golder:2005, Stoll:2007). Zugunsten von stark auf die kurze demokratische Phase hin ausgerichteten Fragestellungen gerät die historisch-genetische Perspektive und damit eine Betrachtung der Herausbildung institutioneller Muster als abhängige Variable dabei eher in den Hintergrund.

Die vorliegende Arbeit hat den Ehrgeiz, diese Lücke so weit als möglich zu schliessen, indem sie die Möglichkeitsräume und Entwicklungsperspektiven einer institutionalisierten Politik unter demokratischen Metaregeln in einer historische Perspektive aufrollt. Die Par-teien und Parteiensysteme wurden deshalb zum Untersuchungsgegenstand gewählt, weil sie

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1.1 Afrika und die Moderne als nachholende Entwicklung 21

die exponierteste Schnittstelle zwischen Staat und Gesellschaft im demokratischen System darstellen. Als exklusive Zugangsstrukturen zu politischen Ämtern und zentrales Repräsen-tations- und Aggregationsinstrument gesellschaftlicher Interessen fokussieren sie gleichsam die historische Fracht der gesellschaftlichen Austausch- und Kommunikationsprozesse einer Nation und projezieren sie in die staatlichen Strukturen. Dies soll im folgenden an-hand eines qualitativen Vergleichs anhand von sechs näher zu analysierenden Einzelfällen – Gambia und Botswana, Ghana und Mali sowie Kongo und Benin – geleistet werden und zu konkreteren Aussagen über Struktur- und Funktionspotentiale politischer Organisation in der Region führen. 1.1 Afrika und die Moderne als nachholende Entwicklung Nation-State-Building spielte sich im subsaharischen Afrika seit dem Start in die Unabhän-gigkeit als Balanceakt innerhalb eines magischen Dreiecks von Stabilität (politischer Ord-nung), Entwicklung (sozialer und ökonomischer Reform) und Demokratie (institutionali-sierte Öffnung des politischen Raumes) ab. Auch die wissenschaftliche Forschung folgte hier in ihrer Schwerpunktsetzung und den von ihr angenommenen Kausalzusammenhängen einem Kreislauf der wechselnden Betonung eines der drei Ziele.

Die erste intensive politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit politischen Par-teien im Kontext nachholender Entwicklung in Richtung Moderne setzte mit der Beschleu-nigung der Dekolonialisierung ein, als die bisherigen Kolonialmächte Orientierungshilfen für die Formulierung ihrer politischen und ökonomische Optionen gegenüber diesen neuen Staaten suchten. Dabei wurde nicht nur die (westlich geprägte) Moderne als ein Endpunkt nachholender Entwicklung angenommen, das Konzept implizierte ein Afrika am Aus-gangspunkt einer Entwicklung von der Barbarei in die Zivilisation; bzw. von der Tradition in die Moderne.

Maßstäbe für die theoretischen und praktischen Forschungsstrategien setzte dabei das von Almond/Coleman (1960) herausgegebene Kompendium ‚The Politics in the Develo-ping Areas’. Coleman nahm von Parsons abgeleitete Kriterien, insbesondere strukturelle Differenzierung und funktionale Spezifizierung sowie allgemeine Orientierungsalternativen zum Ausgangspunkt, Staaten nach dem Grad ihrer Modernität zu klassifizieren (Al-mond/Coleman 1960:532ff).1 Wenn politische Entwicklung auch ausdrücklich nicht als unilinearer Prozess betrachtet und teilweise auch die Möglichkeit einer Involution der Strukturen und Kapazitätsverluste des politischen Systems als denkbar bezeichnet wurden, so befanden sich innerhalb dieses Konzeptes die politischen Systeme doch in einem Konti- 1 Kennzeichnend für die Entwicklung zum modernen politischen System seien dabei die Variablen Gleichheit,

Differenzierung, Spezialisierung und Kapazitätserweiterung. In jeder Entwicklungsphase erweiterten sich diese systemischen Fähigkeiten idealtypisch in mehreren Phasen, die durch das Auftreten besonderer Probleme und ihrer Lösung gekennzeichnet sind. Auf der Stufe des state-building hat die Penetration des modernen politi-schen Zentrums auf allen Ebenen des modernen Staatswesens zu erfolgen und über die Durchsetzung einer rati-onalen Bürokratie die Voraussetzungen für die Aktivierung der vorhandene Ressourcen zu gewährleisten. Dar-über hinaus werden die sich differenzierenden Strukturen und Teilsysteme integriert, um die Kapazität des Gesamtsystems zu steigern. In der Phase des nation- building stehen die Probleme der Schaffung einer neuen Identität der bisher parochialen Gruppen zu einer größeren, den gesamten Staat umfassenden Einheit und die Legitimierung der neuen Institutionen und Normen bei der betroffenen Bevölkerung im Vordergrund. Vgl. die geraffte Darstellung bei Rokkan (1969:233ff). Als Prototyp, in dem die einzelnen Krisen in zeitlich klar trenn-barer Abfolge aufgetreten sind, gilt England. Pye (1966), Almond/Powell (1966:58ff).

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22 1 Einleitung

nuum in Richtung Moderne. Dessen Skalenenden wurden auf der einen Seite von traditio-nalen Systemen mit unvollkommen ausgebildeten Strukturen und auf der anderen Seite von modernen hochdifferenzierten und säkularisierten politischen Systemen mit hoher Subsys-temautonomie und einer auf Partizipation ausgerichteten politischen Kultur markiert, zwi-schen denen sich die Übergangsgesellschaften ansiedelten.

Die Entwicklungsfunktion, die politischen Parteien innerhalb des Prozesses des politi-schen Modernisierung zugewiesen wurde, variierte je nach Fragestellung und Ansatz der einzelnen Autoren. La Palombara/Weiner (1966:3ff) stellten in ihrem Sammelband über politische Parteien und politische Entwicklung zuerst die Verbindung zu dem skizzierten Ansatz von politischer Modernisierung her: Politische Parteien treten notwendigerweise an einem Punkt der Entwicklung auf, an dem das politische System einen gewissen Grad an Komplexität erreicht hat. Ihre Bildung erfolgt dann, wenn Massenpartizipation innerhalb eines Systems geboten erscheint oder breite Schichten der Bevölkerung politischer Kontrol-le unterworfen werden sollen. Parteien erfüllten so auf allen Stufen der politischen Ent-wicklung normativ abgeleitete Integrationsfunktionen.2 Auf sozialpsychologische Aspekte verwiesen Almond/Powell (1966:116ff): Dort, wo im Verlauf des Modernisierungsprozes-ses die traditionalen Wertsysteme zusammengebrochen seien, kam Parteien nach Al-mond/Powell die Aufgabe zu, dem Individuum neue Wertmuster zu liefern und durch Par-tizipationsangebote zu verstärken. Dabei variierten die wichtigsten Funktionen von Parteien je nach politischem System; in autoritären Systemen bestünden sie in der Mobilisierung von Unterstützung, in demokratischen hingegen in der Artikulation und Aggregation von Interessen, in Übergangsgesellschaften in der Schaffung und Strukturierung neuer Verhal-tensnormen.3 Bei dem nicht direkt zum Kreis der Modernisierungstheoretiker zählenden Samuel Huntington (1968) wurden politische Parteien ebenfalls an einem bestimmten Punkt als historisch notwendig bezeichnet, um die Organisation und Strukturierung erwei-terter politischer Teilhabe zu gewährleisten. Die Funktion politischer Parteien wurde bei ihm bestimmt von den Variablen Stabilität, Institutionalisierung und Partizipation4. Politi-sche Parteien wurden dadurch zu Instrumenten der Modernisierung stilisiert, eine Einschät-zung, die Huntington mit dem von einem anderen Ansatz ausgehenden David Apter (The Political Party as a Modernizing Instrument, 1965:176ff) teilt.

Fasst man Aufgaben und Stellung politischer Parteien im Entwicklungsprozess nach der modernisierungstheoretischen Literatur zusammen, so ergibt sich trotz Differenzierun-gen im Detail ein relativ kohärentes Bild. Die Funktionen politischer Parteien wurden im-plizit teleologisch vom angestrebten Entwicklungsziel her entfaltet und normativ definiert.

2 Wobei LaPalombara/Weiner (1966:399) folgende Problembereiche analysieren: Beitrag zur nationalen

Integration; Partizipation großer Bevölkerungsteile am politischen Leben; Förderung der Legitimierung der herrschenden Institutionen; Instanzen zur Regelung von Konflikten.

3 Die Leistungsfähigkeit der Parteien hängt dabei stark von einer Reihe von Variablen ab: innerparteiliche Orga-nisation, ideologische Ausrichtung, Verhältnis zu anderen politischen Strukturen etc. Zu den Aufgaben, welche die Parteien bei der Schaffung und Konsolidierung neuer Wertsysteme zu leisten haben, gehören politische So-zialisierung und die Formung einer politischen Kultur auf der kognitiven, affektiven und evaluativen Ebene so-wie im Rahmen der Partizipation die Rekrutierung des politischen Personals (Almond/Powell 1966:177ff).

4 Institutionalisierung wird hier verstanden als ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Ausdehnung politi-scher Partizipation und der Erweiterung und Konsolidierung institutioneller Strukturen, welches eine grund-legende Voraussetzung für ein stabile politische Entwicklung darstelle. Das Hauptaugenmerk der Analyse gilt deshalb dem Ausbau politischer Organisation. Das Schlüsselproblem politischer Entwicklung liegt dem-nach darin, einen hohen Grad an Organisation mit einem hohen Grad an Mobilisierung zu vereinen (Hun-tington 1968:402).

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1.1 Afrika und die Moderne als nachholende Entwicklung 23

Sie sollten die nationale Integration vorantreiben, einen sich über das gesamte Souveräni-tätsgebiet erstreckenden Input-Mechanismus liefern, den Zusammenhalt des Gemeinwesens erleichtern, Unterstützung mobilisieren, breiten Gesellschaftsschichten politische Partizipa-tion ermöglichen usw. Das hinter diesem Entwicklungsleitbild der 60er Jahre aufscheinen-de Modell politischer Organisation war zweifellos das der europäischen Massenpartei.

Das Scheitern sorgsam konstruierter Staatsverfassungen an gesellschaftlichen Struk-turproblemen sowie zunehmende militärische Interventionen und Systemzusammenbrüche führten in der wissenschaftlichen Debatte der 60er Jahre dann zu einer Ablösung des De-mokratieimperativs der Modernisierungstheoretiker zugunsten einer zunehmenden Ord-nungs- und Stabilitätsorientierung. Als prioritäres Problem wurde damit wiederum das ganze Spektrum der Fragestellungen aufgegriffen, das unter dem Schlagwort des Nation-building subsumiert wurde: territoriale und soziale Integration, Entwicklung von übergrei-fenden Identitäts- und Loyalitätsmustern und von handlungsfähigen Kollektiven. Die in pluralistischen Systemen oftmals an ethno-regionalen Linien entlang mobilisierenden Par-teien schienen hingegen den notwendigen Integrationsprozeß eher zu konterkarieren und die politischen Systeme zu desintegrieren. (Zolberg 1966). Dementsprechend erfolgte eine Neubewertung der entstandenen autokratischen Einparteiensysteme als Stabilisierungs- und Integrationsinstrument in einem labilen Übergangsstadium. Parteienpluralismus wurde schließlich in der auf die Zielantinomie ‚Demokratie versus Stabilität‘ zugespitzten Sys-temdiskussion als Hauptproblemfaktor in einer prekären Balance zwischen Staat und Ge-sellschaft identifiziert.5

Mit der (vor allem in der amerikanischen Afrikanistik) einkehrenden Stabilitätsortho-doxie konnte sich in der Folge demokratische Herrschaft gegenüber dem Interesse an Ent-wicklung kaum mehr als Untersuchungsgegenstand behaupten. Huntington bestätigte die-sen Paradigmenwechsel in seiner Studie Political Order in Changing Societies (1968) nachdrücklich: ‚The most important political distinction among countries concerns not their form of politics, but their degree of government‘. Im Zuge dieser Umdeutung fanden sich schließlich auch eine Reihe von Autoren, die bereit waren, Einparteiensysteme als Subtypen demokratischer Herrschaft anzuerkennen.6

Nachdem die Modernisierungstheorien in der Folge jahrelang an dependenztheoreti-scher Kritik abgearbeitet wurden, stellte sich das janusköpfige Erklärungsproblem von Demokratie und Entwicklung Ende der 70er Jahre mit den erfolgreichen Transitionen in Südeuropa und Lateinamerika in einem neuen Licht. Im Rahmen der dritten und vierten ‚Welle der Demokratisierung’ entstand mit der Redemokratisierung von als lame leviathans wahrgenommenen autoritär-bürokratischen und patrimonialen Staaten eine Forschungsrich-tung unter neuen Bedingungen. Hatte man vorher geschlossen, dass Demokratie das Ergeb-nis gesellschaftlicher Ausdifferenzierung, wirtschaftlicher Entwicklung und politisch kultu-rellen Wandels sei, so wurden im Zuge der dritten und vierten Demokratisierungswelle demokratische Regierungssysteme in Ländern eingeführt, welche die oben formulierten Voraussetzungen gerade nicht mitbrachten. Weil die Demokratisierung sich in einer Phase negativen Wachstums und zunehmender sozialer Desintegration abspielte, hielten die meis- 5 So sprach Löwenthal (1963, 187) von einer relativen und graduellen Antinomie von Freiheit und Entwick-

lung: ‚Jeder Grad von Freiheit wird mit etwas Verlangsamung der Entwicklung, jeder Grad an Beschleuni-gung mit etwas Verlust an Freiheit bezahlt‘. Ansprenger (1966:65) verwies darauf, daß die afrikanischen Staatsgesellschaften nicht defensive, sondern offensive Verfassungskonzepte benötigten, um die ökonomi-schen und politischen Überlebensprobleme zu lösen.

6 Beispielsweise Coleman/Rosberg 1964 oder Zolberg 1966.

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24 1 Einleitung

ten Autoren deshalb die Kombination von institutionellen mit sozialen und ökonomischen Kriterien für analytisch kontraproduktiv, da eine Überfrachtung der Agenda Fortschritte in der Anpassung der institutionellen Umgebung nicht würdigen könne (Diamond/Linz/Lipset 1990:6, Whitehead 1993:321). So wurde bewusst darauf verzichtet, gesellschaftliche Ent-wicklungsvoraussetzungen für erfolgreiche Demokratisierungsprozesse zu ermitteln, son-dern vielmehr das Ziel verfolgt, den Transitionsprozess systematisch zu erfassen und aus der vergleichenden Betrachtung Aussagen über Verlaufsmuster und -probleme abzuleiten. Man beschränkte sich auf einen eher deskriptiven Ansatz mittlerer Reichweite und verglich Systemwechselverläufe nach den idealtypischen Sequenzen von Liberalisierung, Demokra-tisierung und Konsolidierung.

Dabei berief sich die Transitionsforschung von Anfang an auf einen formalen, durch Verfahrenskriterien bestimmten Demokratiebegriff, wie er bis dahin vor allem von den demokratischen Elitisten vertreten wurde. Schnell avancierten die an Schumpeters Demo-kratietheorie7 von Robert Dahl (1971) entwickelten ‚prozeduralen und institutionellen Mi-nimalanforderungen’8 zu einem gemeinsamen Ausgangspunkt. Zahlreiche Studien zu Sys-temwechseln im südlichen Europa, Lateinamerika und Osteuropa haben sich in der Folge prinzipiell an die Dahl’schen Kriterien angelehnt und seinen Demokratiebegriff bekräftigt (O’Donnell/Schmitter/Whitehead 1986, Nohlen 1988, Linz/Lipset 1990). Im Vergleich zu den Modernisierungstheorien, welche die politischen Parteien als Agenten der politischen Entwicklung in das Zentrum der Betrachtung stellten, traten die Parteien als Funktionsträ-ger der Demokratisierung in den Überlegungen der Transitologen eher zurück. Huntington, der in den 60er Jahren die politischen Parteien noch als Dreh- und Angelpunkt politischer Integration stilisierte, konstatierte nun: „By the 1980s the debate was over and Schumpeter had won“ (1991:6). Politische Teilhabe wurde nun von einer Mehrheit formal als ‚right to participate in elections and office’ aufgefasst.

Die Problematik sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Entwicklung strukturell he-terogener Gesellschaften, ohne die eine funktionierende Demokratie illusorisch ist (Nohlen/ von Beyme 1995), wurde so von vielen Ansätzen auf die Phase der Konsolidierung ver-schoben. Im Vergleich zur Modernisierungstheorie wurden diese Prozesse als umgekehrt aufeinanderfolgende Wegmarken der Entwicklung aufgefasst. Demokratie wurde jetzt nicht mehr als Ergebnis, sondern als Voraussetzung für die weitere Erringung gesellschaftlicher Reformen, den Aufbau einer demokratischen Kultur und marktwirtschaftlich induzierte Entwicklung verstanden.

Der Gesichtspunkt, unter dem politische Parteien inzwischen im Verlauf von Demo-kratisierung und Konsolidierung betrachtet wurden, verengte sich auf die Aspekte der Re-gierbarkeit und Stabilisierung der jungen Institutionen, während die Mobilisierung und Organisation gesellschaftlicher Kräfte und andere sozio-politische Aufgaben, die im (euro-päischen) Westen von den alten Massenparteien absorbiert und schließlich vom Staat über-nommen worden waren, nun tendenziell auf das Konzept einer dezentral vernetzten Zivil-gesellschaft übertragen wurden. Insbesondere innerhalb einer relativ breiten liberalen Strömung in der Transitionsforschung schien die Zivilgesellschaft im Hinblick auf entwick-lungspolitische Integrations- und Partizipationsaufgaben eine Funktionsalternative zu den

7 Für Schumpeter ist „die demokratische Methode diejenige Ordnung zur Erreichung politischer Entscheidun-

gen, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben (Schumpeter 1950:428). Siehe auch Sartori 1975: 67ff, Dahrendorf 1975:76ff.

8 Für die eine nähere Definition siehe Kap.2.1.4.1.

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1.2 Afrika und die Moderne als differente Entwicklung 25

politischen Parteien darzustellen. Dies schien ein umso reizvolleres Alternativkonzept zu sein, als tatsächlich kaum politische Bewegungen und Parteien entstanden, die als ideolo-gisch und organisatorisch starke Träger demokratischer Werte wirkten.9

Der Triumph des politischen Liberalismus über die Probleme politischer Ordnung und sozio-ökonomischer Entwicklung blieb mit der Erfahrung in unterschiedlicher Weise stagnie-render Demokratisierungsprozesse jedoch aus. Für solche ‚Transitionsländer auf Dauer’ (Schmidt 2001), deren Herrschaftssysteme sich in einer Grauzone zwischen Diktatur und Demokratie bewegen, haben sich inzwischen eine Vielzahl von Begriffen etabliert, wie controlled-, guarded-, delegative- oder illiberal democracy. Kennzeichnend für solche hybri-den Systeme ist eine hoher Grad an Politik, die neben oder gegen die offiziellen Institutionen stattfindet. Vor allem Croissant/Merkel et.al. (2000) diskutieren unter dem konzeptionellen Begriff der defekten Demokratie den in vielen jungen Demokratien vorherrschenden Dualis-mus zwischen formalen und informalen Institutionen bzw. Regeln: ‚Informale Arrangements’ beschränkten sich dabei nicht auf den engeren Bereich des politischen Systems wie Regierun-gen und Parlamente, sondern sie erstreckten sich auf Interessengruppen, Parteien sowie die Zivilgesellschaft. In der Praxis bedeute dies, dass Klientelismus, institutionalisierte Korrupti-on und Patronage an die Stelle des verfassungsmäßigen und legitimen offenen Konflikts von divergierendenden Interessen treten. Die parallele Existenz von formalen und informalen Institutionen gefährde, so die zentrale These, die Funktionsfähigkeit der politischen Systems und erschwere damit demokratische Stabilität und letztlich Entwicklung. 1.2 Afrika und die Moderne als differente Entwicklung Lipset/Rokkan (1967)10 hatten als erste die westeuropäischen Parteiensysteme in einem breiteren historischen Kontext in der Erkenntnis analysiert, dass Parteiensysteme und Wahlsysteme miteinander verflochtene historische Prozesse darstellen und die heutigen, wettbewerbsorientierten Parteiensysteme das Produkt einer langen Entwicklung, die im 16. Jahrhundert begann und bis hin zu einer neuen Rationalität führte, die sich auf das Verhal-ten der Marktökonomie begründet. Modernität ist hier geknüpft an die Idee des rational-legalen Staates, der einen Rahmen spannt um ein Konzept des Politischen, das aufgrund der Marktrationalität seiner Akteure dynamischer war als das vormoderner Staatskonzepte.

Während sich jedoch nach dieser Vorstellung die Parteiensysteme, die sich parallel zum Durchbruch der Marktwirtschaft in Richtung marktorientierter, auf dem Vertragsge-danken basierenden Formen der Politik bewegten, hinkten patrimoniale Systeme11 darin

9 Dies hat zu einer weitverzweigten Diskussion über Zivilgesellschaft geführt, in der davon ausgegangen

wird, dass bürgerliche Demokratie nur dort eine Chance hat, wo sie gestützt wird von einer Vielzahl inter-mediärer Organisationen zwischen Staat und Individuum, die zwar im öffentlichen Raum tätig sind, deren Organisationsziele aber weder in der Ausübung politischer Herrschaft, noch im wirtschaftlichen Vorteil lie-gen. Demokratiedefizite werden in afrikanischen Staaten nach diesem Ansatz durch das Fehlen ebensolcher zivilgesellschaftlicher Organisationen erklärt; die Suche nach funktionalen Alternativen sind zentrale Be-standteile dieser Forschungen (Vgl. u.a. Harbeson/Rothchild/Chazan:1994).

10 Und Rokkan 1970, 1975. 11 Die klassische Definition nach Max Weber (Patrimonialismus 1980:133f, Patrimonialstaat 1980:137f): Mit

dem Entsehen eines rein persönlichen Verwaltungs- und Militärstabes neigt jede Herrschaft zum Patrimo-nialismus: Die patrimonale Herrschaft behandelt, im Falle des reinen Typus, alle Herrengewalten und öko-nomischen Herrenrechte nach Art privater apropriierter ökonomischer Chancen als Pfründe und Lehen. (...) Die Finanzwirtschaft des Patrimonialismus wirkt, auch wo sie geldwirtschaftlich ist, irrational.

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26 1 Einleitung

hinterher, offene politische Strukturen zu schaffen. Während vormoderne politische Eliten ihre Macht durch die Restriktion des Wahlrechts absicherten, führten die späte Industriali-sierung, eine ungleiche Verbreitung der Vertragskultur und die Heterogenität der sozialen, politischen und ökonomischen Rationalitäten sowie eine fragmentierte politische Ökonomie dazu, dass unter den Bedingungen des allgemeinen Wahlrechts die Eliten den Staat mit Hilfe patrimonialer Parteiensysteme kolonialisierten. Politischer Synkretismus, bürokrati-scher und parteilicher Klientelismus schienen damit die wichtigsten Elemente von Parteien-systemen in peripheren Gesellschaften zu sein, die einer späten oder nur teilweisen Indust-rialisierung unterworfen waren. Die Konstruktion solcher Parteien folgte einer Logik der Machterhaltung, durch Wahlmaschinen kontrolliert, zur Reproduktion der herrschenden Klasse. In den südeuropäischen Ländern Italien, Spanien und Griechenland wurde dieser Durchbruch in den ‚rationalen Markt’, der auf rational-legaler Logik und ‚one person, one vote, one value’ beruht, erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in Portugal sogar erst nach 1974 geschafft.

Für Afrika stellen sich unter diesem Blickwinkel die Bedingungen für eine kontinuier-liche Entwicklung von Parteiensystemen entlang westlich rational-legaler Logiken weitaus ungünstiger dar als im Fall der südeuropäischen Länder, denn die kulturellen und wirt-schaftlichen Disparitäten sind ungleich größer. In den meisten Ländern sind nicht nur im-mer noch weitaus mehr als die Hälfte der Bevölkerung Analphabeten, sie sprechen auch nicht die Sprache, in der die Politik in den politischen Zentren verhandelt wird. Industrien existieren nur rudimentär und für einen Großteil der Bevölkerung spielt sich ihr wirtschaft-liches Gebaren im Bereich der Pfennigökonomie und Subsistenzwirtschaft ab. Die Abge-trenntheit oder Heterogenität ‚moderner’ und ‚vormoderner’ Anteile in Staat und Gesell-schaft wurde noch verschärft durch die spezifischen Entwicklungsbedingungen der Kolonisierung. So identifizierte Peter Ekeh (1975: 101) eine durch den Kolonialismus aus-gelöste Entwicklung zweier völlig voneinander abgekoppelter Öffentlichkeiten:

‚In fact there are two public realms in post-colonial Africa, with different types of linkages to the private realm: In one public realm, primordial groupings, ties and sentiments influence the individual’s public behaviour. There is a second, civic public realm, which was created by colo-nialism and independence settlements, it in no way related to underlying norms. Hence there can be no accountability in this sphere’.

Beiträge, die soziologische Erklärungsmuster für die spezifischen Funktionsweisen und Aus-tauschbeziehungen solcher Gesellschaften erarbeitet haben, destillieren bisher fast ausschließ-lich die von ihnen vorgebrachten Kausalitäten an den kulturellen und sozio-ökonomischen Spezifika bestimmter Länderbeispiele. In der Regel setzen diese Konzepte bei der Auseinan-dersetzung mit der Aneignung des gesellschaftlichen Mehrproduktes an, wobei die mangelnde Trennung von Politik und Ökonomie und die damit einhergehende Privatisierung des Staates als allgemeines Merkmal der afrikanischen Sozialstrukturen gelten.

Die fundiertesten Erklärungsansätze untersuchen dabei die Akkumulationsbedingun-gen einzelner afrikanischer Gesellschaftssysteme12. Konzepte wie Pfründenkapitalismus13

12 Es existiert eine lebhafte Debatte darüber, in welchem Umfang eine Übertragung des Klassenbegriffes auf

Afrika vorgenommen werden könne (Herbst 1990:92ff), da Sozialstrukturen oft quer zu Differenzierungs-formen wie Schicht und Klasse verlaufen. Damit fehlt die für Europa lange Zeit dominante Trennungslinie zwischen Lohnabhängigen und selbständigem Mittelstand. Als eine Besonderheit des afrikanischen Konti-nents war es nach Elsenhans (1987) nicht die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel oder Großgrundbe-

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1.2 Afrika und die Moderne als differente Entwicklung 27

(Hauck 1984) oder Privatisierung des Staates (Traub 1986) wurden so am Beispiel Nigerias erarbeitet, wo der Staat aufgrund der Erdölproduktion die wichtigste Akkumulationsinstanz darstellt und dementsprechend vertikale Wettbewerbsbedingungen generiert. Göran Hyden (1980) erklärt ausbleibendes Wirtschaftswachstum am Beispiel Tanzanias aus dem Ver-hältnis von Bauern und Staat als uncaptured peasantry14. Der wohl bekannteste Beitrag dieser Art stammt von Jean Francois Bayart (1989), der seine zentrale These von der rezip-roken Assimilation der Eliten am Beispiel Kameruns entwickelt: Weder das Projekt einer ‚konservativen Modernisierung’ unter Beibehaltung der alten Klassenstrukturen, noch das einer bürgerlichen Revolution sei in Afrika verwirklicht worden, vielmehr zeichne sich der ‚Block an der Macht’ durch Teilhabe aller überhaupt vorhandenen Eliten durch möglichst totale Inklusion aller Konkurrenten aus; die ‚Politik des Bauches’ bleibe als der einzige gemeinsame Nenner.

Die meisten dieser Erklärungskonzepte sind eng mit spezifischen Ländererfahrungen verknüpft, werden aber in der Debatte oft zu generalisierenden Erklärungsmustern extrapo-liert. Sowenig vergleichende Forschung es zur Übertragbarkeit der immerhin reichhaltigen soziologischen Produktion von Erklärungsmodellen gibt, so wenig scheint die Genese der politischen Legitimationsinstrumente dieser Herrschafts- und Gesellschaftsordnungen an solche Überlegungen angebunden zu sein, oder zu politikwissenschaftlichen intraregional vergleichenden Studien angeregt zu haben. Staats- und gesellschaftszentrierte Forscher waren sich vor der Demokratisierungswelle der 90er Jahre noch prinzipiell darüber einig gewesen, dass es sich bei den institutionellen ‚Mänteln‘ der Regime (in der Aufrechterhal-tung von Bürokratie, Militär etc.) um die Fiktion funktionierender Staaten handle, empi-risch dieses formal-institutionelle System jedoch keinerlei Legitimität beanspruchen könne, da der politische Prozess weitgehend den informalen, machtpolitischen Spielregeln neo-patrimonialer und klientelistischer Natur folge.

Die Frage nach dem sozialen und historischen Sinn spezifischer Konfliktlagen und ih-rer Bewältigung oder Nichtbewältigung innerhalb der autoritären institutionellen Arrange-ments sowie die Frage nach der im Laufe der langjährigen stabilen Einparteisysteme ausge-prägten Funktionslogik des politischen Prozesses in der intermediären Sphäre zwischen

sitz, welche die gesellschaftliche Position bestimmte, sondern die Position innerhalb des staatlichen Stellen-apparates. Als Vertreter der Theorie des ‚peripheren Kapitalismus’ kommt Elsenhans zu dem Schluss, dass an die Stelle der Bourgoisie mangels Alternativen die Gruppe der ‚Staatsklassen’ als Entwicklungsagenturen zu fungieren hätten. Evers/Schiel (1988) identifizierten die Staatsklassen freilich als strategische Gruppe, die politische Entwicklung eher behindert als fördert. Schubert /Tetzlaff/Vennewald (1994) wiederum erklären blockierte afrikanische Transitionen über die Intervention strategisch konfliktfähiger Gruppen, die den Aus-gang des politischen Wandels zu bestimmen in der Lage sind.

13 Aufgrund privatkapitalistischer Prinzipien fördert der Staat in Nigeria nicht selbst seine Erdölvorkommen, sondern vergibt dieses Recht in einer Unzahl von contracts an Privatunternehmen. Die Allokationsentschei-dungen des Staates entscheiden daher über Art und Umfang der Akkumulation in der nigerianischen Bour-geoisie. In der Konsequenz spielt sich der Konkurrenzkampf der Bourgeoisie in erster Linie als Kampf um den Zugang zu politischer Entscheidungsmacht ab, was nicht nur für die Entfaltung der Produktivkräfte, sondern auch für die Chance eines demokratischen Machtwechsels extrem ungünstige Ausgangsbedingun-gen schafft. (Hauck 1984, 2001:175ff).

14 Die Bauern verfügen über genügend Land und sonstige Ressourcen, um alles für ihr Überleben in den überkommenen Gemeinschaften Erforderliche notfalls selbstständig, ohne Rückgriff auf den Markt, produ-zieren zu können. Sie können weder vom Markt noch vom Staat vereinnahmt werden, weil sie jederzeit eine ‚exit option’, die Option auf den Rückzug in die Subsistenzwirtschaft und damit in eine mutmaßliche ecom-nomy of affection besäßen. Daran müsse aber dauerhaftes wirtschaftliches Wachstum scheitern, weil dieses notwendig die Abschöpfung eines bäuerlichen Mehrproduktes und dessen produktive Verwendung in profit-trächtigen Bereichen voraussetze. (Hyden 1980).

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28 1 Einleitung

Staat und Gesellschaft wurden bis auf wenige Ausnahmen15 kaum in übergreifender Weise gestellt. Da die Ebene der high politics in der Diskussion der 70er und 80er Jahre weitge-hend als theoretisch irrelevant gegolten hatte, war kaum empirisch-analytisches Wissen akkumuliert worden.

Dieses Defizit theoriegeleiteter Thesenbildung zur Genese afrikanischer politischer In-stitutionen musste sich schließlich in der Diskussion um die Reformprozesse der 90er Jahre niederschlagen. Neben ‚liegengebliebenen’ Argumentationsmustern der Modernisierungs- und Ordnungstheoretiker, wie etwa ethno-regionale Mobilisierung als Konsolidierungs-hemmer, wurden im Spannungsfeld von Transition und Konsolidierung nun spieltheore-tisch aufgeladene Dilemmata zwischen informalen und formalen Politikstrategien einge-führt, wie etwa ‚patrimonial/klientelistische Praktiken versus Demokratie’ (beispielhaft bei Erdmann 2001:294ff)16. oder ‚Machterhalt versus Demokratie’ bei O’Donnell (1992).

Machtpolitik unterliegt indes jeglicher Herrschaftsform; sie ist als ‚informale Politik’ (Betz/Köllner 2000) keineswegs auf traditional bestimmte oder im Übergang befindliche politische Systeme beschränkt und wird nicht durch demokratische Institutionen verdrängt. Alle sozio-politischen Austausch- und Beziehungsmuster zielen im Kern auf Machterhaltung und -sicherung, Einflussvergrößerung und statusmäßige Differenzierung. Sie sind nicht a priori negativ oder positiv zu bewerten und solange informal, als sie nicht durch Gesetze kodifiziert sind. Sie können genauso legitim oder illegitim, gerecht oder ungerecht wirken wie gesetzlich geregelte Austauschbeziehungen. Sie können wesentlich zur Effektivität oder Sta-bilität eines Systems beitragen, es aber auch lähmen oder destabilisieren. Es handelt sich dabei um ein Phänomen mit hoher funktionaler Anpassungsfähigkeit an die sozio-politische Chancen der Aneignung von Machtressourcen. Die Erscheinungsformen demokratisch nicht legitimierter Organisationen reichen von kriminellen Mafia-Strukturen bis zu den durch die Pluralismustheorien geadelten Interessengruppen, Verbände und pressure groups. Demokrati-sche (Herrschafts-)Methode und (nichtrepräsentative) Machtpolitik bilden insofern keine Gegensätze, sondern – analog zum Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag – analytisch zu trennende Politiksphären, aber in der Praxis miteinander verwobene Verfassung und Verfas-sungswirklichkeit.17

15 Chazan 1988, Allan 1996 16 O’Donnell bezeichnet das Strategiedilemma zwischen 1. Demokratie institutionalisieren und 2. Macht

erhalten als ‚das grundlegende Dilemma der Kandidatur’. Erdmann (2001:294ff) formuliert folgendermas-sen: Um Demokratie zu institutionalisieren, müssten klientele Beziehungen und Staatsapparat sowie Politik voneinander getrennt werden. Das Interesse am Machterhalt, das unter demokratischen Bedingungen aber an die Wiederwahl geknüpft sei, lege unter den Bedingungen der neopatrimonialen Verhältnisse nahe, auf die informelle Politik der machterhaltenden Klientelnetze nicht zu verzichten. Das Interesse am Machterhalt verlange so eine strategische Patronagepolitik, die im Gegensatz zu den skizzierten Reformaufgaben stehe.

17 Tatsächlich bieten gerade die ältesten liberalen Demokratien, England und die Vereinigten Staaten die am besten untersuchten historischen Beispiele, nicht für die Unvereinbarkeit, sondern die historische Verwo-benheit von liberaler Demokratie mit demokratisch nicht legitimierten politischen Organisationen. Vor al-lem die US-amerikanischen Parteien als politische Maschinen und ihre Bosse als freie politische Unterneh-mer stellen den Urtypus einer sozialen Organisation dar, die ihr politisches Kapital daraus schöpft, die Bedürfnisse von Gruppen zu befriedigen, die von den formalen staatlichen Strukturen ignoriert werden. Der Bedeutungsschwund der politischen Maschinen in den USA setzte laut Merton (1967) deshalb zwangsläufig nicht mit den Reformbemühungen nach mehr good governance ein, sondern schließlich mit sozio-ökonomischen Strukturveränderungen, welche die Bedürfnisbefriedigung derjenigen Subgruppen, welche die Maschinen stützten, durch legitime offizielle Integrationsstrukturen wie dem Wohlfahrtsstaat ersetzten und damit die wirtschaftliche und soziale Mobilität der benachteiligten Schichten erhöhten. Die politische Praxis der Maschinen stellte somit per se keine Gefahr für den Grundbestand der amerikanischen demokrati-

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1.2 Afrika und die Moderne als differente Entwicklung 29

In diachroner Perspektive besteht kein dilemmatischer Gegensatz zwischen demokratisch als illegitim zu betrachtenden sozialen Organisationen und demokratischer Herrschaft, denn soziologische Modelle bilden Begriffe für generelle Regeln des Geschehens im Gegensatz zur Geschichte (Max Weber 1980:9). Ihre gesteigerte Eindeutigkeit korrespondiert dabei mit ihrer relativen Inhaltsleere18. Die synoptischen Gesetze eines Modells (des Patrimonia-lismus, der politischen Maschine, der reziproken Assimilation, des Pfründenkapitalismus) – und seiner Dilemmata – als ein unendlich wiederholbarer Zyklus der Wechselseitigkeit von Verpflichtungen, müssen kontinuierlich geschaffen und können jederzeit unterbrochen werden. Jede ‚Eröffnungshandlung’ zur Bildung einer solchen Reihe kann ins Leere gehen und ohne Antwort bleiben19. Die zeitliche Struktur, d.h. ihr Rhythmus, ihr Tempo und vor allem ihre Richtung sind für die politische Praxis sinnbildend. Mit der Einführung von Zeit und Rhythmus kehrt sich das Modell in eine Dialektik von Strategien, die ihrerseits pfadab-hängig sind.

Institutionelle Regeln und legitime Strukturen entstehen so aus ihrer situativen Not-wendigkeit oder Vorteilhaftigkeit heraus und weniger aus der Einsicht in ihre intrinsischen Werte als ideale Verhaltensstandards; aus einer Entscheidungssituation, in der vor dem Hintergrund einer Einschätzung von Vergangenheit und Zukunft innerhalb eines bestimm-ten Zeitraumes konkrete unterschiedliche Interessen gegeneinander abzuwägen oder mit-einander in Einklang zu bringen sind.

Dieter Nohlen hat im Hinblick auf die Genese und Reformierbarkeit von Wahlsyste-men immer wieder auf diesen Tatbestand hingewiesen: „Die Prozesserfahrung lehrt, dass neue Institutionen das Ergebnis der Entscheidungen politischer Akteure sind, abhängig von deren jeweiliger Perzeption der Machtkonstellation, ihrer Machtinteressen und der diesen dienlichen institutionellen Elemente und Gesamtarrangements. Institutionen reflektieren somit die realen gesellschaftlichen und politischen Interessen und Strukturen (Stein Rokkan 1970:156f). Erst wenn dem nicht mehr so ist, sich Funktionserwartungen an eine Institution nicht mehr erfüllen, ergibt sich eine Möglichkeit zur Reform“ (Nohlen 2007:466).

schen Ordnung dar und verhinderte auch nicht die ökonomische Entwicklung. Vergleiche das britische Cau-cussystem, die amerikanische politische Maschine, Max Weber 1980:849).

18 Der Analytiker hat das Privileg der Totalisierung, also der Fähigkeit, eine synoptische Sicht einzunehmen, die eine Sicht auf die Einheit aller Beziehungen gestattet, welche die Voraussetzung für eine angemessene Be-schreibung ist. Dass er jede Möglichkeit hat, die sozialen und logischen Bedingungen der von ihm an der Praxis und ihren Produkten vorgenommenen Veränderungen des Charakters und zugleich den Charakter der logischen Umwandlungen zu ignorieren, die er an der erhaltenen Information vornimmt, verleitet den Analytiker jedoch zu allen Fehlern, die sich aus der Tendenz ergeben, den Standpunkt des Spielers mit dem des Zuschauers zu verwechseln. So sucht er Antworten auf Fragen des Zuschauers, welche die Praxis niemals stellt.

19 So bei Bourdieu (1993:150): „Wenn man den theoretischen Fehler ausgemacht hat, der darin besteht, der Geschichte das Modell zugrunde zu legen, das man zu ihrer Erklärung erst konstruieren muss, wird klar, dass dieser Fehler auf der Antinomie zwischen dem Zeitbegriff der Analyse und dem Zeitbegriff der Ge-schichte beruht: Ein Spieler, der im Spiel aufgeht, stellt sich nicht auf das ein, was er sieht, sondern auf das, was er vorhersieht, was er in der unmittelbar wahrgenommenen Gegenwart bereits vorausblickend erfasst, indem er Vorwegnahmen, oder wie beim Täuschen, Vorwegnahmen von Vorwegnahmen, einkalkuliert. Er entscheidet nach objektiven Wahrscheinlichkeiten, d.h. aufgrund einer momentanen Gesamteinschätzung al-ler Spieler, „...die er in ihrem Werden erfasst: der Sinn für das Spiel ist der Sinn für die Zukunft des Spiels, der Sinn für die Geschichte des Spiels, die dem Spiel seinen Sinn verleiht“.

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30 1 Einleitung

1.3 Reflexive Modernisierung: Struktur-funktionaler Ansatz und Fragestellungen Der Möglichkeitsraum für die institutionelle Reform eines politischen Systems ist also geknüpft an die erwartete Funktion und Funktionalität der politischen Ordnung. Dieser reflexive Blick auf die Institutionenentwicklung grenzt sich ab vom Funktionsbegriff der Systemtheorie in der Tradition von Durkheim, Malinowski oder Parsons und deren An-nahme, dass Systeme grundsätzlich funktional integriert seien, also eine einzige funktiona-listische Referenzebene bilden. Sie folgt so auch nicht der Annahme, die für einen System-bestand notwendigen Funktionen ließen sich theoretisch ableiten. Vielmehr orientiert sich die Arbeit an Mertons (1949) funktionalistischem Programm, das zwischen Handlungs- und Systemtheorie angesiedelt ist und sich auf die Analyse der von den Beteiligten mit einem Phänomen verbundenen Sinn stützt und sich somit – im Bereich der Parteiensystemfor-schung – vor allem mit Gruppen- und Machtstrategien auseinanderzusetzen hat:

Da sich Funktionalität, Dysfunktionalität oder auch Afunktionalität nicht nur auf die Gesellschaft schlechthin, sondern auch auf Individuen, Subgruppen und kulturelle Systeme beziehen kann und nicht jede Funktion zwingend für den Systembestand ist, sind funktiona-le Erfordernisse nur empirisch zu klären20. Manifeste und latente Funktionen (intendierte und nicht-intendierte Handlungsfolgen), spezifische nationale Umstände und Unterschiede in Timing und Charakter historischer Ereignisse produzieren eine Bandbreite politischer Konflikte und damit auch institutioneller Entwicklungspfade.

Eine fruchtbare Debatte über die Möglichkeitsräume einer demokratischen Fortentwick-lung kann also nicht auf historisch-empirisches Wissen verzichten. Erst die Rekonstruktion der Auseinandersetzungen, in denen die politischen Systeme der Gegenwart entstanden sind, erschließen den sozialen Sinn und den politischen Wert ihrer Institutionen: „Staat und Nation sind dabei die zentralen Begriffe einer Historiographie, die historische Zäsuren identifiziert, um die herum neue politische und soziale Rationalitäten entstanden, sich symbolische und sprachliche Repräsentationen veränderten und zwar in dem Maße, in dem sich soziale Bezie-hungen und Herrschaftspraktiken wandelten“ (Rosanvallon 1995:25ff).

Die vorliegende Arbeit setzt hier an, indem sie die Frage nach den Strukturen und Funktionen afrikanischer Party Polities als Schnittstelle zwischen Staat und Gesellschaft in einer prekären Balance zwischen der Errichtung moderner nationalstaatlicher Verfahrens-regeln und dem Erhalt stabiler politischer Ordnungen stellt. Der Ansatz der Arbeit greift von seinem Focus auf Parteiensysteme also in zwei Richtungen aus: Erstens wird mit der Verwendung des Begriffs Party Polity verdeutlicht, dass Staat, Parteiensystem und Gesell-schaft als vertikal integrierte Einheit betrachtet werden, deren funktionale Bezüge aus der historischen Empirie erklärt werden muss und nicht normativ abgeleitet werden kann. Zweitens stützt sich die Arbeit auf einen prozess- und akteurszentrierten Ansatz, indem als unabhängige Variable die durch den politischen Raum hergestellte politische Ordnung und als abhängige Variable Institutionalisierung und Demokratisierung als Reformkompromiß der Akteurs- oder Elitenordnung gesetzt wird. Sein reflexives Moment gewinnt der Ansatz dadurch, dass beide Pole, die Formulierung demokratischer Herrschaftsinstitutionenen, aber auch die Herstellung politischer Ordnung eine kollektive politische Leistung darstellen, die den Machtkalkülen und Machtkonstellationen der politischen Kräftegruppen unterliegt.

20 Genau so, wie jedes Phänomen unterschiedliche Funktionen einnehmen kann, kann auch dieselbe Funktion

von unterschiedlichen Phänomenen erfüllt werden, es können sich also funktionale Äquivalente bzw. funk-tionale Alternativen herausbilden. (Merton 1949:32f, 50).

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1.3 Reflexive Modernisierung: Struktur-funktionaler Ansatz und Fragestellungen 31

Auch politische Ordnung als die unabhängige Variable ist also kein statisches Ausgangs-phänomen. Herrschaftsinstitutionen und politische Ordnung reagieren über die Zeit aufein-ander, prägen wandelnde Funktionalitätserwartungen aus und formen so einen Korridor für den nationalen Entwicklungspfad.

Die Studie soll also zunächst dem tieferen Verständnis des politischen Prozesses in der afrikanischen Region dienen und die Strukturen, Rollen und Funktionen, die afrikanische Parteien unter spätkolonialen und postkolonialen Vorzeichen ausprägten, in historischer Per-spektive herausarbeiten. Dem geringen Forschungsinteresse an den afrikanischen Party Poli-ties der Vergangenheit entspricht ein mangelhaftes methodisches Instrumentarium zur Be-schreibung und Erklärung von Strukturen und Funktionen von Parteien in fluiden, sozio-ökonomisch schwach entwickelten und institutionalisierten Nationalstaaten. Kapitel 2 der Arbeit wird sich zunächst den Begriffsbestimmungen in der Auseinandersetzung mit den aufgeführten konzeptionellen Problemen widmen. Im Anschluss wird eine für den intraregio-nalen Vergleich brauchbare Typologie der historischen Parteiensysteme entwickelt: Afrikani-sche Staatsgesellschaften haben seit ihrer Unabhängigkeit auf die vorherrschenden politischen Problemlagen mit unterschiedlichen, einige mit expliziten Reform- und Revolutionskonzep-ten, andere mit eher inkrementalistischen, an den vorherrschenden gesellschaftlichen Macht-verhältnissen orientierten Ansätzen reagiert. Diese unterschiedlichen Entwicklungswege bil-den die Basis für eine Differenzierung von Strukturmustern politischer Organisation.

Auf der Grundlage der aus dem systematischen historischen Vergleich gewonnenen Erkenntnisse über Logik und Charakter politischer Organisation und politischer Herrschaft wird in einem zweiten Schritt die individuelle Genese nationalstaatlicher Institutionen auf der Grundlage der Konflikt- und Konsensprozesse behandelt: Die in den Kapiteln 2 und 3 erarbeiteten typologischen und institutionellen Konzepte werden an sechs Länderfällen mit unterschiedlichen demokratischen Entwicklungswegen entfaltet. Aufgrund der Annahme, dass Institutionen in jeder Staatsgesellschaft auf früher etablierte Regeln und Traditionen zurückverweisen und so im Verlauf von Entwicklungen gewisse Schranken aufzwingen, also pfadabhängig sind, und aufgrund der Annahme, dass soziale Organisationen insbeson-dere durch ihr Gründungsmoment geprägt sind, wurde die Fallauswahl anhand des Kriteri-ums ähnlicher Entwicklungswege getroffen. Mit der Anzahl der behandelten Länderfälle beschreitet die Studie einen Mittelweg zwischen einem variablenorientierten Ansatz, der spezifische historische Merkmale tendenziell ausblendet und einem fallorientierten Ansatz, der aufgrund einer breiten Berücksichtigung der historischen Besonderheiten die notwendi-ge Fallvarianz nicht herzustellen vermag, um zu plausiblen Thesen und zu einer Typenbil-dung zu gelangen. Die vorliegende Fallzahl erscheint hinreichend, um im systematischen Vergleich sowohl anhand von Differenz- als auch von Konkordanzmethode zu plausiblen Thesen über die Möglichkeitsräume einer Ausformung von Stabilisierungs- und Demokra-tisierungs-potentialen der Party Polities als intermediäre Agenturen des politischen Prozes-ses zu kommen.

Die Kerngruppe umfasst vier Länder, denen in ihrer politischen Geschichte ein hohes Maß an Übereinstimmung und ein für afrikanische Staaten prototypischer Verlauf unter-stellt werden kann: Ghana, Mali, Benin, Kongo. Trotz unterschiedlicher kolonialer Prägung setzten sich in allen Staaten unterschiedlich stabile Einparteienregime durch. Alle Staaten traten im Verlauf der 90er Jahre in einen Transitionsprozess ein, der zur Öffnung der politi-schen Räume und der Einführung von Mehrparteiensystemen führte. In je zwei Staaten kann darüber hinaus eine noch engere Übereinstimmung historischer Weichenstellungen

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32 1 Einleitung

festgestellt werden. Kongo und Benin stabilisierten sich nach einem turbulenten und kon-fliktreichen Start in die Unabhängigkeit in einem zentralistisch-avantgardistischen Einpar-teienkonzept mit hohem Exklusionseffekt und einer bedeutenden ideologischen Rolle des Militärs in der Politik. Mali und Ghana hingegen starteten mit starken nationalen Befrei-ungsbewegungen, deren zunehmende Zentralisierung durch konservative law and order – Militärs gestoppt wurde. Aus den unterschiedlichen Startbedingungen entwickelten sich in der Folge bedeutsame Unterschiede in den Funktionsweisen und Stabilitätsbedingungen der autoritären Herrschaftsstrukturen. Mit Gambia und Botswana werden schließlich zwei aty-pische Fälle hinzugezogen. Bei beiden handelt es sich um Länder mit ab der Unabhängig-keit anhaltenden, langjährig stabilen Mehrparteiensystemen, in deren Wahlgeschichte es allerdings nie zu einem Machtwechsel kam. Beide Staaten beantworteten die Herausforde-rungen der Unabhängigkeit nicht mit dem Aufbau präsidialer Einparteiensysteme, sondern bewahrten über die Jahre die konstitutionellen Verfassungen der Übergangszeit. Während sich Botswana in den ‚winds of change’ der 90er Jahre wiederum als krisenresistent erwies, erscheint Gambia als in doppelter Hinsicht abweichender Fall von besonderem Interesse. Gegen den kontinentalen Trend wurde das langjährig pluralistische Regime 1994 durch einen Militärputsch gestürzt.

Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich für alle Länderfälle von den ersten Über-gangswahlen zur Unabhängigkeit bis zum dritten bis vierten Wahlzyklus nach der politi-schen Öffnung der 90er Jahre, endet also in allen Fällen um 2004/5. Dieser Entwicklungs-zeitraum der politischen Systeme lässt sich in vier Phasen ‚politischer Großwetterlagen’ teilen, welche auch die historisch-empirische Analyse der Länderfälle skandieren werden. Dieser Teil der Arbeit ist historisch-empirisch mit einer Betonung auf die machtstrategi-schen Umbruchsituationen angelegt und entwickelt innerhalb der drei Zweiergruppen mit erhöhter Konkordanz anhand der im theoretischen Teil erarbeiteten Analysestränge die jeweiligen Krisen und ‚historischen Knoten’, an denen sich neue institutionelle, politische und soziale Rationalitäten herausbildeten.

Auf der Grundlage dieser empirischen Befunde werden schließlich in Kapitel 7 die Funktionsbedingungen und Strukturmerkmale afrikanischer Party Polities noch einmal übergreifend auf vier Analyseebenen aufgerollt und zu typologisierenden Erklärungsthesen verarbeitet.