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Helga Schultz: Transformation 1 „Zurück nach Europa“ Zusammenbruch und Transformation der sozialistischen Staatswirtschaften

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Helga Schultz: Transformation

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„Zurück nach Europa“

Zusammenbruch und Transformation der sozialistischen

Staatswirtschaften

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Gliederung

• Implosion des Systems

• Transformation

• Zurück nach Europa – in die EU

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Literatur

• Ivan T. Berend: Central and Eastern Europe 1944-1993. Detour from the periphery to the periphery, Cambridge: University Press 1996, 222-382.

• Hans-Jürgen Wagener; Rückkehr nach Europa, in: H.G. Nutzinger (Hg.): Osterweiterung und Transformationskrisen, Berlin: Duncker & Humblot, 2000, S. 93-117.

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1. Implosion des Systems

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Finale Krise

• Der Niedergang begann Mitte der siebziger Jahre auf allen Feldern: – Wirtschaft – Schuldenfalle,– Politik - Helsinki-Prozess,– Ideologie - Eurokommunismus.

• Der Zusammenbruch des Ostblocks war ein Erfolg westlicher Strategie („Wandel durch Annäherung“) im Zusammenwirken mit der Systemkrise im Inneren.

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Wirtschaftskollaps

• Der wirtschaftliche Zusammenbruch wurde verursacht durch die Erschöpfung der extensiven Wachstumsreserven.

• Die Informationsrevolution und der Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft wurden nicht bewältigt.

• So verschlechterten sich die Terms of Trade rapide. Die Schuldenfalle der zunächst billigen Westkredite (Petrodollar!) schnappte zu.

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Die Wirtschaft entscheidet

• Die wirtschaftliche Misere entschied zugleich über den Ausgang des Wettrüstens und über den Abstieg der Sowjetunion als Supermacht unter Gorbatschow.

• Dem wirtschaftlichen Niedergang kam eine Schlüsselrolle zu, weil er den Regimes die politische Legitimation entzog.

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Solidarność in Polen

• Als Gewerkschaft begründet war dies die erste politische Massenbewegung gegen ein staatssozialistisches System.

• Die Unterstützung der katholischen Kirche (Papstbesuch 1979) und das Bündnis zwischen Intellektuellen (KOR) und Arbeitern ermöglichten den Weg von der Staatskrise 1980/81 bis zum Wahlsieg 1989.

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Solidarność 1980

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Reformsozialismus in Ungarn

• Die Sozialdemokratisierung der ungarischen Kommunistischen Partei höhlt die Parteiherrschaft aus:

• Rückzug der Partei aus den Betrieben,• Verfassungsgericht, • Pressefreiheit.

• János Kornai: Das sozialistische System ist nicht reformierbar, es stürzt zusammen, wenn man einen Ziegel aus dem Bau herauslöst.

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Sopron August 1989

„Europäisches Picknick“ an der ungarisch-österreichischen Grenze

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Dominoeffekt

• Die Massenflucht der DDR-Bevölkerung im Sommer 1989 brachte den Eisernen Vorhang zu Fall.

• Binnen weniger Wochen kollabieren im Herbst und Winter 1989 die sozialistischen Herrschaftssysteme in der DDR, der Tschechoslowakei, Rumänien, Bulgarien und Albanien.

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2. Transformation

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Begriff

• Transformation ist ein alle Bereiche der Gesellschaft umwälzender Prozess, dessen Kern der Wechsel der Wirtschaftsordnung ist.

• Transformation meint im Unterschied zu Revolution einen intendierten, von den Eliten geplanten Systemwechsel.

• In Ostmitteleuropa erfolgte seit 1989 die Transformation von Zentralplanwirtschaft und Parteidiktatur zu Marktwirtschaft und Parlamentarismus.

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Säulen der Transformation

• Aufgaben der wirtschaftlichen Transformation: – Liberalisierung des Marktes;– Privatisierung; – Wandel der Institutionen;– Strukturwandel der Wirtschaft.

• Entsprechend den Erkenntnissen der neoklassischen Institutionenökonomie sehen westliche Forscher und Politiker im Institutionentransfer den Schlüssel zum Erfolg.

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Wege

• Polen wählte unter Assistenz des Harvard-Ökonomen Jeffrey Sachs die Schock-Therapie des Balzerowicz-Planes.

• Tschechien unter Ministerpräsident Vaclav Klaus pflegte eine Schock-Rhetorik bei moderater Praxis: „Marktwirtschaft ohne Attribute“ und schleppende Kupon-Privatisierung.

• Ungarn und (zunächst auch) Jugoslawien gingen den begonnenen Reformweg weiter.

• Rumänien und Bulgarien hatten längere Zeit noch die Illusion des Dritten Weges.

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Transformationskrise• Symptom ist der Rückgang der Produktion,

der Beschäftigung und der Reallöhne.• Die Wege beeinflussen Tiefe und Verlauf der

Transformationskrise. • Die polnische Schocktherapie verursacht

einen frühen und heftigen Verlauf, der moderate tschechische Weg einen verzögerten.

• Nur Ungarn mit seinem Reformvorlauf kann das Negativwachstum vermeiden.

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Index der IndustrieproduktionQuelle: Eurostat, DB-Research

0

50

100

150

200

250

300

1989=

100

Polen Tschechien/CSR Ungarn Russland Bulgarien

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Verlierer und Gewinner

• Jede Transformation hat Gewinner und Verlierer durch den Wandel der Eigentumsverhältnisse und die Umwertung von sozialem und kulturellem Kapital.

• Gewinner ist die städtische, junge und gut ausgebildete Bevölkerung.

• Verlierer sind die bürokratischen alten Eliten, denn die Privatisierung staatlichen Vermögens durch alte Seilschaften wird bei weitem überschätzt.

• Verlierer sind die Industriearbeiter und die Frauen.

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ArbeitslosigkeitQuelle: DB-Research

0

5

10

15

20

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% d

er

Besch

äft

igte

n

Polen Tschechien Ungarn Russland Bulgarien

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Privatisierung

• Die Privatisierung gelingt überall als Grassroots Privatisation, durch die Gründung von Kleinfirmen in Handel und Kleingewerbe.

• Sie gelingt auch als Small Privatisation, durch Ausgründung und Verkauf staatlicher Kleinunternehmen.

• Die Big Privatisation der staatlichen Industrien geht jedoch äußerst schleppend voran.

• Ausländische Investitionen sind überwiegend Neugründungen „auf der grünen Wiese“.

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Ausländische Direktinvestitionen

-4

-2

0

2

4

6

8

10

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Mrd

. $U

S

Polen Tschechien Ungarn Russland Bulgarien

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ADI nach Branchen 2002 (Bestände in %) Quelle: Jutta Günther, IWH

41

5145

21

121517

1115

10 10 101015 13

1 1 2

0

10

20

30

40

50

60

Polen Ungarn Tschechien

Prod. Gewerbe Finanzdienstleistungen Handel

Transport, Lagerung etc. Sonstige Dienstlungen Landwirtschaft/Bergbau

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Wirkungen der ADI

• Während die einheimischen Unternehmer überwiegend im Kleinbetrieb und im Handel tätig sind, konzentrieren sich die ausländischen Direktinvestitionen auf die Großindustrie im Verarbeitenden Gewerbe.

• Die ADI beherrschen die führenden innovativen Branchen (Kommunikation, Bankwesen, Autoindustrie, Pharma).

• Sie sind der Motor des Strukturwandels.• Wegen der geringen Verflechtung sind Spill-over-

Effekte auch in der Unternehmenskultur bisher kaum spürbar.

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3. „Zurück nach Europa“ - als neue Peripherie?

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Osteuropäische Peripherie

• Die Länder des ehemaligen Ostblock – mit Ausnahme der Tschechoslowakei - lagen historisch in der Peripherie des alten Europa, des Kerneuropa der Industrialisierung.

• Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich die Kluft zwischen Zentrum und Peripherie weiter geöffnet.

• Während der sozialistischen Zeit näherte sich die Wirtschaftsleistung an, um seit den siebziger Jahren erneut auseinanderzudriften.

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Umweg in die PeripherieQuelle: Fischer, Handbuch, Bd. 6, Tab. 2,29; Graham/Seldon, Table 9.1;

Eurostat.

1929 1965 1980 2004

Land $ US1960

Zu W-Eur.

$ US1960

Zu W-Eur.

$ US Zu EU-11

€ Zu EU-15

ČSR 560 0,56 1427 0,93 3000 0,79 8500 0,34

Ungarn 420 0,42 1015 0,66 2102 0,55 8000 0,32

Polen 350 0,35 989 0,65 1680 0,44 5100 0,20

Bulgarien 300 0,30 877 0,57 1200 0,32 3120 0,12

Westeuropa 1000   1532 3800 25400  

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Gegensätzliche Thesen

• Ivan T. Berend geht davon aus, dass das Wirtschaftswachstum der staatssozialistischen Länder ein quantitativer Aufholprozess war, während sich die Schere während der Transformation erneut öffnete.

• Hans-Jürgen Wagener sieht die Länder im sozialistischen System erst eigentlich in eine periphere Situation abgleiten und erwartet ein Aufschließen infolge der Transformation.

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Peripherie als Schicksal?

• Iván T. Berend sieht die Peripherie als das historisch langfristige Strukturproblem des östlichen Mitteleuropa.

• H.-J. Wagener versteht die periphere Lage als relativ kurzfristige Deformation des Entwicklungspfades durch das sozialistische System.

• Während Wagener ein neuerliches Aufschließen erwartet, ist Berend skeptisch.

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Überholspur?BIP pro Kopf nach Kaufkraftstandards (Quelle: Eurostat)

0

5.000

10.000

15.000

20.000

25.000

30.000

1990 1995 2000 2003 2004

Eu

ro

Polen Tschechien Ungarn Bulgarien Belgien

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Rückkehr in die Peripherie?

• Die Rückkehr nach Europa könnte zur Rückkehr in die europäische Peripherie werden.

• Das erscheint nicht abwegig, wegen der– Niedrigen Arbeitsproduktivität; – Abhängigkeit von westlichen Kapitalzuflüssen;– Ungünstigen Struktur des Außenhandels

(Import humankapitalintensiv – Export arbeits- und energieintensiv);

– Geringen inneren Integration der Region.

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Arbeitsproduktivität

0

10

20

30

40

50

60

70

EU

-15=

100

Slowenien

Ungarn

Slowakei

Tschechien

Polen

Litauen

Estland

Lettland

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Bilanz

• Diejenigen Länder des ehemaligen Ostblocks, die seit Mai 2004 in der EU sind, haben eine spürbare Stabilisierung von Institutionen, Rechtssystem, Währung und Wirtschaft erreicht.

• Die Wachstumsraten sind beachtlich und liegen oft über dem europäischen Durchschnitt.

• Dessen ungeachtet ist die Annäherung an westeuropäisches Niveau nicht in Sicht.

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Aufgaben

• Ein Aufschließen zu den industriellen Kernländern der Union erfordert Strukturwandel:– Modernisierung der Landwirtschaft und Entwicklung

der ländlichen Regionen– Modernisierung der Infrastruktur– Entwicklung der Industriezweige mit Hochtechnologie– Steigerung des Humankapitals durch bevorzugte

Investitionen in Bildung und Ausbildung.

• Der eigentliche gesellschaftliche Wandel steht der Region noch bevor.