Herausforderung von Digitalisierung und Automatisierung · 10/ 40 Digitalisierung der Arbeitswelt...

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1 / 40 Herausforderung von Digitalisierung und Automatisierung Prof. Dr. Klaus Dörre Friedrich-Schiller-Universität Jena IPAA Schulungstage 2018: Digitale Revolution. Arbeitsplätze zwischen virtuellen und realen Welten Dortmund, Westfalenhalle 3B, 20. März 2018

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Herausforderung von Digitalisierung und AutomatisierungProf. Dr. Klaus Dörre Friedrich-Schiller-Universität Jena

IPAA Schulungstage 2018: Digitale Revolution. Arbeitsplätze zwischen virtuellen und realen WeltenDortmund, Westfalenhalle 3B, 20. März 2018

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GliederungI. Die These

II. Was ist Digitalisierung, was Industrie 4.0?

III. Löst digitale Technologie gesellschaftliche Probleme?

IV. Kommt die digitale Prosperität?

V. Verschwindet die Arbeit?

VI. Kommt das demokratische Unternehmen?

VII. Ist digitale Produktion umweltfreundlich?

VIII. Was tun?

Prof. Klaus Dörre, Herausforderung von Digitalisierung und Automatisierung

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I. Die These

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Erik Brynjolfsson/Andrew McAfee (2014): The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird

Paul Mason (2016): PostCapitalism: A Guide to Our Future

Evgeny Morozov (2013): Smarte neue Welt: Digitale Technik und die Freiheit des Menschen

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Campus von Apple im Silicon Valley (Quelle: SZ, 16. März 2018: Highway zum Internet von Michael Kuntzhttp://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/report-highway-zum-internet-1.3908847)

Flugtaxi beim Testflug(Quelle: NGIN Mobility, 21. April 2017https://ngin-mobility.com/artikel/lilium-jet-testflug/)

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Die Technologie:

Digitale Revolution, Industrie 4.0 und Internet der Dinge lauten Schlagworte, unter denen derzeit auch in Deutschland diskutiert wird, ob und wie die Automatisierung von Produktions- und Dienstleistungsarbeit weiter vorangetrieben werden kann. Diskutiert werden technologische Möglichkeiten, die Herstellung von Gütern und Dienstleistungen auf neue Weise mit dem Internet zu verbinden. In der internationalen Debatte stehen cyberphysische Systeme und die Koppelung von realwirtschaftlichen Operationen mit dem Internet der Dinge für eine vierte industrielle Revolution, die nicht nur die Erwerbsarbeit insgesamt, sondern auch die Unternehmensorganisation, die Führungskultur der Unternehmen, die Struktur der Wertschöpfungsketten und nicht zuletzt die Sozialstruktur und damit die Gesellschaft verändern wird. Mit Hilfe neuester Informationstechnologie, so jedenfalls die Botschaft, bemächtigten sich Automaten menschlicher Kreativität: Roboter und Maschinen seien in der Lage, miteinander zu kommunizieren und eigenständig Prozesse zu optimieren. Vergleichsweise billig hergestellt, könnten sie künftig nicht nur einfache, sondern zunehmend auch qualifizierte, kreative menschliche Arbeit ersetzen.

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These:

Wir erleben eine neue Phase der Informatisierung und Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Dieser Wandel wird vermutlich disruptiv und zugleich restaurativ sein. Präziser: Wir erleben vermutlich eine Revolution-Restauration, eine digitale Revolution-Restauration. Im Zentrum dieser Entwicklung steht eine hochtechnologie-Wirtschaft, die Informationen/Daten als Rohstoff nutzt, auf Finanzialisierung beruht und digitale Dienste als werbefinanzierten Gratisservice anbietet. Durch Nutzung leisten wir alle unbezahlte Arbeit für diese Industrie.

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Mehr als nur ein Hype: technischer Fortschritt im digitalen Zeitalter (vgl. Brynjolfsson/McAfee 2014):

à Umschlagspunkt der technologischen Entwicklungà Fortschritte in Robotik und Vernetzung/Interaktivität

Digital

Exponentiell

Kombinatorisch

II. Was ist Digitalisierung, was Industrie 4.0?

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Chart 1

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Chart 2: Amazon

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Digitalisierung der Arbeitswelt – sechs SzenarienSzenario eins (Prosperität): Industrie 4.0 ist der technologische Katalysator für eine neue „lange Welle“ ökonomischer Prosperität.

Szenario zwei (Strukturkrise): Die Digitalisierung bewirkt, dass die Erwerbsarbeit von Mittelschichten in großem Ausmaß wegfällt. Diese Entwicklung bringt den Kapitalismus in eine systemgefährdende Strukturkrise.

Szenario drei (Polarisierung): Die Digitalisierung ermöglicht es, neue Dienstleistungen billiger anzubieten; sozial bewirkt sie jedoch eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft.

Szenario vier (Gestaltung): Die Rationalisierungseffekte der Digitalisierung sind uneindeutig, umkämpft und somit (arbeits-)politisch gestaltbar. Was sich durchsetzt, hängt wesentlich von arbeitspolitischen Entscheidungen ab.

Szenario fünf (Wachstumskritik): In der Diskussion um Industrie 4.0 werden die bio-physischen Grundlagen des Neoindustrialismus und der Digitalisierung weitgehend ausgeblendet.

Szenario sechs (Demokratisierung und Kontrolle): Projekte, die auf eine intelligente Schwarmorganisation zielen, haben mittelfristig nur eine Chance, wenn sie mit einer Demokratisierungsstrategie verbunden werden.

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Erstes Fazit:

Weder Industrie 4.0 noch das Internet der Dinge bezeichnen homogene Technologie-, Organisations- oder Rationalisierungskonzepte. Es handelt sich um Labels, um Leitideen, die Heterogenes bündeln, um es durchsetzbar zu machen. Da Technikeinsatz und Anwendungen abhängig von Ländern, Branchen, Betrieben und deren institutionellen Besonderheiten höchst unterschiedlich ausfallen, ist es zum jetzigen Zeitpunkt kaum möglich, die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung auch nur einigermaßen exakt zu prognostizieren.

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Periodisierung:Zwei Phase der Informatisierung/Digitalisierung

Phase 1: Ausbreitung digitaler Technologie, werbefinanziertes Geschäftsmodell, Konzentration/Monopolisierung, Datensammeln, Durchdringung von Wirtschaft und Gesellschaft, Abhängigkeit vom Werbeaufkommen, Arbeit der Nutzer.

Phase 2: Neuer Technologieschub, Wandel des Geschäftsmodells. Zunehmend KI-getrieben. KI-Monopole. Irgendjemand muss zahlen.

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III. Löst digitale Technologie gesellschaftliche Probleme?

Herausfordernd ist der „Solutionismus“ (Morozov) moderner High-Tech-Unternehmen. Digitale Unternehmen verstehen sich als Akteure, die für alle künftigen gesellschaftlichen Herausforderungen und Krisen Lösungen finden.

6 Ds: Digitalisierung, Täuschung (Deception), Disruption, Demonstration, Dematerialisierung, Demokratisierung

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Zuckerberg-Manifest: Building Global Community

Mark Zuckerberg·Donnerstag, 16. Februar 2017, To our community,On our journey to connect the world, we often discuss products we're building and updates on our business.Today I want to focus on the most important question of all: are we building the world we all want? History is the story of how we've learned to come together in ever greater numbers -- from tribes to cities to nations. At each step, we built social infrastructure like communities, media and governments to empower us to achieve things we couldn't on our own. Today we are close to taking our next step. Our greatest opportunities are now global -- like spreading prosperity and freedom, promoting peace and understanding, lifting people out of poverty, andaccelerating science. Our greatest challenges also need global responses -- like ending terrorism, fightingclimate change, and preventing pandemics. Progress now requires humanity coming together not just as cities ornations, but also as a global community. This is especially important right now. Facebook stands for bringing uscloser together and building a global community. When we began, this idea was not controversial. Every year, theworld got more connected and this was seen as a positive trend. Yet now, across the world there are people leftbehind by globalization, and movements for withdrawing from global connection. There are questions aboutwhether we can make a global community that works for everyone, and whether the path ahead is to connectmore or reverse course […]

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E. Morozow: Solutionismus. Unternehmen und digitale Ökonomie als große Problemlöser: Hegemoniale Ideologie. Industrie 4.0 bleibt dahinter zurück, Projekt des Standortwettbewerbs, Geld und Diskurs: alle spielen mit…

„In den letzten Jahren wurde aus dem Lieblingsslogan des Silicon Valley Innovation über alles allmählich Verbesserung über alles. Dabei kommt es gar nicht so sehr darauf an, was verbessert wird. Wichtig ist, dass man Dinge verändern, die Menschen dazu bringen kann, sich verantwortungsbewusster und nachhaltiger zu verhalten, dass die Effizienz maximal gesteigert wird […] Kalifornien hat noch nie unter einem Mangel an Optimismus und Selbstbewusstsein gelitten. Trotzdem zücken angesichts der Möglichkeiten, die neueste Innovationen verheißen, noch die pragmatischsten und nüchternsten Investoren ihre Brieftaschen. Schließlich bekommt man nicht alle Tage die großartige Möglichkeit, dadurch reich zu werden, dass man die Welt rettet.“ (Morozov 2013, S. 10)

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IV. Kommt die digitale Prosperität?

These:

Es ist nicht zu sehen, wie die Digitalisierung zu einem anhaltenden makroökonomischen take-off führen soll.

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V. Verschwindet die Arbeit?

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These:

Die Erwerbsarbeit verschwindet nicht, aber sie verändert sich grundlegend. Wahrscheinlich ist eine Polarisierung von Tätigkeiten und Qualifikationen. Neu ist einen „Steuerungsimperialismus“, der auf einer Entgrenzung von Arbeitsvermögen beruht. Die Flexibilisierungszwänge aus der Erwerbsarbeitssphäre beginnen, alle andere Arbeits-/Tätigkeitsvermögen zu okkupieren

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Unklare Beschäftigungswirkung, soziale Polarisierung

Quelle: Ernst Ulrich von Weizsäcker, Andreas Wijkman (2018): Club of Rome: Der große

Bericht, S. 108

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Qualifikationsanforderungen

Prinzipiell offene Entwicklung zwischen Schwarmorganisation und Automatisierungsszenario

Gründe für erhöhte Qualifikationsanforderungen (vgl. Hirsch-Kreinsen 2015b):• Wegfall von Routinetätigkeiten; stattdessen Erfahrungsträger, Entscheider, Koordinator

• Informatisierung und Transparenz: „intellective skills“ (Zuboff 1988)

• Dezentralisierung: Zunahme von Entscheidungsspielräumen und von dispositiven Aufgaben

• Kombination thematisch breiter Fachkenntnisse mit Erfahrungswissen

• Neue Qualifikationen: Integration von IT-und Produktionswissen; „Arbeiter-Ingenieur“

Kritik: Schablonen der letzten Rationalisierungswelle• Koexistenz von Einfacharbeit und Industrie 4.0: Logistikbranche

• Autoritäre“ Formen der Mensch-Maschine Interaktion: https://www.youtube.com/watch?v=TTQxfElnlN0 (3:17-4:31)

• „Systemregulierer“ in sich selbst regulierenden Systemen? Entwertung mittlerer Qualifikationen

• „Dystopie der „shareholder value Maschine“?

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(a) Beziehungsarbeit und andere Formen unbezahlter, reproduktiver Arbeit; (b) unbezahlte Konsumentenarbeit, die produktiv sein kann, sofern

Konsumenten Firmen Funktionen abnehmen, die letztere früher selbst verrichtet haben;

(c) kreative Tätigkeiten, die, so lange sie aus eigenem Antrieb allein dem privaten Gebrauch dienen, auch dann unproduktiv bleiben, sofern sie nachträglich von youtube angeeignet werden und

(d) Subsistenzarbeit, deren Wertbeitrag zwar schwer zu definieren ist, für die jedoch auch gilt, dass jegliche freie Arbeit im Internet häufig auf die Lohn-und Subsistenzarbeit anderer Familienmitglieder angewiesen bleibt.

(Ursula Huws (2014), S. 173 f.)

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Quelle: Ursula Huws (2014): Labor in the Global Digital Economy: The Cybertariat Comes of AgeS. 155.

Paid Labor Unpaid Labor

Reproductive: productive for society/capitalism in general

APublic administration and public service work (including NGOs); individually provided private services

BDomestic labor: childcare, household maintenance, etc., including non-market cultural activities

Directly productive: for individual capitalist enterprises

CCommodity production, including distribution

DConsumption work –substituting the unpaid labor of consumers for that of paid service and distribution workers.

Labor: A Schematic Typology

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Reproduktionsmodell

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Bezahlte professionelle Erwerbsarbeit

Steuerungs-arbeit

Unbezahlte Sorgearbeiten

Eigenarbeit

Frei gewählte Tätigkeiten

„Balance Ökonomie“

„Inbalance“

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VI. Kommt das demokratische Unternehmen? Wird die Demokratie demokratisiert?

Ohne Zweifel beinhaltet die Digitalisierung Demokratisierungschancen. Gegenwärtig ist die smarte Kontrolle wahrscheinlicher als das demokratische Unternehmen/die Demokratisierung der Demokratie.

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Demokratie und Kontrolle

Demokratisches Unternehmen, Agilität

Quelle: Sattelberger/Welpe/Boes

(2015): Das demokratische Unternehmen, S. 46.

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Quelle: Sattelberger/Welpe/Boes (2015): Das demokratische Unternehmen, S. 43.

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Auszug aus dem Blog:

…in werne müsste ich mal nachschauen ob der balken noch im scanner ist. aber die zeit läuft ja im Hintergrund weiter gegen die picker, stehste mal ein paar Minuten bekommen die picker sofort eine Meldung " warum stehst du rum" !!!!…Am Mittwoch haben die Picker eine Nachricht auf die Scanner bekommen, ihr "persönliches Ziel" liege bei 100 Artikeln pro Stunde, was bei den aktuellen Laufwegen ein schlechter Witz ist. Wie man hört, hat sich der Betriebsrat sofort eingeschaltet, und es heißt, dass derartige Nachrichten in Zukunft nicht mehr vorkommen werden. :-DKommentar von: -Gruß aus Koblenz!…

Frage: Ist es üblich, eine Nachricht über Scanner zu erhalten, die auffordert GAS zu geben ... ?Kommentar von: -….

Um uns permanent zu Bestleistungen anzuspornen, hat sich das Management etwas Besonderes einfallen lassen: Die POWER HOUR.In dieser „Kraft-Stunde“ sollen wir Höchstleistung bringen. Während die Picker auf dem Scanner eine Nachricht erhalten, läuten in der Packhalle AC/DC's Höllenglocken die große Stunde ein. Und mit dem Startschuss geht's los: Viele legen einen guten Zahn zu

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Quelle: http://amazon-verdi.de/?admin=&npage=0%3A8&query=scanner

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"Das Einzige, was zählt, ist die Performance"Ein früherer Picker, 49 Jahre alt

Ich habe 2011 sechs Wochen lang in der Vorweihnachtszeit für Amazon gearbeitet, während der absoluten Hochsaison, und im vergangenen Jahr noch einmal eine Woche lang. Ich habe studiert und lange in der Kulturbranche im Ausland gearbeitet. Seit ich vor ein paar Jahren nach Deutschland zurückkam, suche ich hier eine feste Stelle. Aber mit 49 ist das nicht so einfach. Ich hangle mich von Job zu Job.

Bei Amazon war ich Picker. Ich ging durchs Lager und sammelte die bestellten Waren ein. Als Picker trägt man einen Scanner bei sich, der einem alles vorgibt: das nächste Produkt, und wo man es findet. Selbst die Wege, die man durch diese riesigen Lagerhallen nimmt, sind genau vorgeschrieben. So wird man quasi zur Verlängerung der Maschine. Das Einzige, was die Schichtführer interessiert, ist, dass man schnell ist und sein Soll erfüllt.

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Quelle: http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2013-02/amazon-protokolle/seite-2

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• Flexibilisierung und Deregulierung, radikalisierter Neoliberalismus

• Technokratie: Herrschaft der Algorithmen.

• KI die Menschen ersetzt; Singularity (Ray Kurzweil“, KI verselbständigt sich, Krieg gegen die Menschheit?)

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Strukturwandel der Öffentlichkeit

• Fragmentierte Öffentlichkeiten

• Populismus, Echokammern

• Treiber sozialer Bewegungen

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VII. Ist digitale Produktion umweltfreundlich?

These:

Digitale Technologie kann ein Baustein nachhaltiger Produktionsweisen sein, aus sich heraus ist sie es nicht.

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Naturverhältnisse

(1) Beispiel 3-D-Drucker: logistische Folgen? 60 Chemikalien und Einsatzstoffe.

(2) Planbarkeit des Energie-, Ressourcenverbrauchs, CO2-Budgets.(3) Intelligente Nutzung.(4) Aber: Verbrauch von Naturressourcen Sand, seltene Erden…

„Trotz all der guten Dinge, die wir der Digitalisierung zuschreiben […] besteht kein Zweifel daran, das der ökologische Effekt negativ ist. Der IKT-Sektor selbst hat zu einer schnellen, in vielen Fällen exponentiellen Zunahme der Nutzung von Energie, Wasser und einigen kritischen Ressourcen wie Spezialmetallen geführt […]“ (v. Weizsäcker/Wijkman u.a., S. 107)

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VIII. Was tun?

• Dem Solutionismus misstrauen;

• die Wozu-Frage stellen; wozu brauchen wir welche Technologie?

• eine robuste-Dateninfrastruktur schaffen, die uns allen gehört;

• Mitbestimmung erweitern; digitale Rechte fordern;

• Kommunikative Gegenmacht aufbauen;

• Arbeitszeit verkürzen, mehr Zeitsouveränität einklagen;

• die Gesellschaft verändern; eine neue digitale Eigentumsordnung durchsetzen

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„Sowie nämlich die Arbeit naturwüchsig verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muss es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will -während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ (K. Marx, Dt. Ideologie, MEW 3, 33)

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„Weshalb brauchen wir eine Alternative zum Kapitalismus? Man kann die Beantwortung der Frage auch anders angehen, und die bürgerlichen MarktanhängerInnen werden es nicht gerne hören: Aber der Kapitalismus ist heute das Gegenteil einer Marktwirtschaft, einer sozialen Marktwirtschaft sowieso […] Statt Vielfalt und Ideenwettbewerb sehen wir Großunternehmen, die mit allen Mittel zum Monopol drängen – gerade in den Märkten der Zukunft, in der Internetbranche – und ihre Macht erfolgreich dazu benutzen, auf die demokratische Politik Einfluss zunehmen. Um das zu ändern, um Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Menschen statt des Kapitals zu ermöglichen, braucht es mehr Demokratie, mehr Mitbestimmung und Beteiligung.“

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„Gefragt ist eine Politik, die die Probleme an der Wurzel packt. Im Kern geht es darum, die Verteilungsfrage auszuweiten. Neben der steuerlichen Um- resp. Rückverteilung des gesellschaftlichen Reichtums im Nachhinein braucht es eine gerechtere Verteilung wirtschaftlicher (Entscheidungs-)Macht. Indem Betroffene zu Mitbestimmenden gemacht werden, wirkt man der Entstehung ungerechtfertigter und schädlicher Ungleichheiten entgegen. Wir wollen nicht nur die Vorherrschaft der Politik gegenüber dem Markt durchsetzen, sondern fordern eine Demokratisierung von Unternehmen, insbesondere von Großunternehmen […]“

Es geht um das Projekt einer Neuen Wirtschaftsdemokratie als Alternative zum digitalen Finanzmarkt-Kapitalismus