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Sonderdruck uus GI2 W&&! +cet Ein Weltbild vor Columbus Die Ebstorfer Weltkarte Interdisziplinäres Colloquium 1988 Herausgegeben von Hartmut Kugler in Zusammenarbeit mit Eckhard Michael Mit Beiträgen von H. Appuhnt, A.-D. V. den Brincken, D. Brosius, K. Clausberg, S. Effertz, B. Hahn-Woernle, K. Hengevoss-Dürkop, D. Huschenbett, K. Jaitner, R. Kroos, H. Kugler, U. Lindgren, E. Michael, U. Ruberg, R. Simek, J. Strzelczyk, A. Wolf V C H 4!K Acta humaniora 0 VCH Vedapgesdschaft mbH, 1991

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Sonderdruck uus GI2 W&&! +cet

Ein Weltbild vor Columbus

Die Ebstorfer Weltkarte

Interdisziplinäres Colloquium 1988

Herausgegeben von Hartmut Kugler in Zusammenarbeit mit Eckhard Michael

Mit Beiträgen von H. Appuhnt, A.-D. V. den Brincken, D. Brosius, K. Clausberg,

S. Effertz, B. Hahn-Woernle, K. Hengevoss-Dürkop, D. Huschenbett, K. Jaitner, R. Kroos, H. Kugler, U. Lindgren,

E. Michael, U. Ruberg, R. Simek, J. Strzelczyk, A. Wolf

V C H 4!K Acta humaniora

0 VCH Vedapgesdschaft mbH, 1991

Die Ebstorfer Weltkarte im Verhältnis zur spanischen und angelsächsischen Weltkartentradition

Anna-Dorothee V. den Brincken

Einleitung: Die F~agestellung

Die Ebstorfer Weltkarte ist - soweit lieutc noch bekannt - die von der bemalten und beschrifteten Fläclie her größte Universalkarte des Mittelalters geivesen. Sie bot rnitliin den Raum für die größtmögliche Materialfülle.

In ihrer Vielseitigkeit diente sie keineswegs nur dein Geographen als Informations- quelle, vielinehr war sie imago midndi, bildhafte Enzyklopädie der Zoologie, Botanik, Gescliiclite, Kosiiiologic und vorrangig der Königin der Wissenschaften, der Tlicologie; sie ist dalicr vielfacl> als anssageiireicliste und schönste Suiniiia ilirei- Art verstanden worden.

Wenn dieses Kunstwerk hier in seinei- Stellung zur spanisclien und vor allen1 zur angelsäclisischen Kartentradition beleuchtet werden soll, so geht es um die Fi-agc nach denjenigen Darstellungen, die als Vorbild in Frasc kommen. Zeitliche Grenie ist der Ausgang des 13. Jaiirliunderts, da die Ebstorfer Weltkarte kauni jünger war, die Ent- wicklung der Universalliartograpiiie aber unter dem Einfluß der Portolanzcichner viel- fach eiii recht andersartiges Aussehen erhielt. Außer acht bleiben alle Sclienia-Karten. Iin Mittelpunkt steht die detaillierte Ökumene-Karte, ganz besonders illre wenigen großformatigen Exemplare, aber auch Kartengeniäide in1 Verband des Buclies, die ein oinfangrciclies Wisscnsprogramin reproduzieren und reiclies Legendengut iiiit sigiiifi- kanten Bildbeigaben bieten.

Mit der Formuliei-unp von einer spanischen lind angelsäclisischen Y'eltkarteiitradition ist bereits angedeutet, daR sich dort beacl~tenswerte Stücke finden, die deutliciie Rei.ie- hungen zur Ebstorfer Weltkarte aufweisen.

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1. Ubersicht über die Ökumenc-Karten des Früh- und Hochmittelalters

Die Hemorhebung einer spanischen und einer angelsäclisisclien Weltkartentradition ist insofern berechtigt, als die Atlantik-Anrainer die Führung der früh- bzw. hochmittelal- terlichen Univer~alkartogra~hie innehatten', während der Mittelmeerraum erst im 13. Jahrhundert Aktivität entfaltete. War auch zunächst jegliche Form einer Vermessung außer Gebrauch gekommen, so Iiat sich Kartographie zu allen Zeiten bei seefahrenden Völkern besonderen Interesses erfreuen können.

Insbesondere die Literaturwissenschaftler, die sich in jüngster Zeit recht nachdrück- lich der Kartographie des Mittelalters annelinicnz, liabcn rcclit überzeugend geltend machen können, daß die umfangreicheren Belegstücke nieist verschiedene Kartentypen ineinander integriert bieten3. Dennoch kann man behutsam aussagen, daß der stärker naturwissenscliaftlich orientierte Kartentyp, die Zonenkarte, mit ihrer Sonderversion, der Klimatenkarte des Mittelalters, aus der alcxandrinisclien Schule hervorgeht und letztendlicli die Kugelgestalt der Erde zur selbstverständliclien Voraussetzung hat; sie beschreibt die physikalischen Erscheinungen auf der Grundlage der Karte des Krates von Mallos, bei dem die Kugel durch zwei sich in reclitcm Winkel sclineidende Oze- anringe, einen Polar-Ozean und einen Äquatorial-~zean, in vier Kontinentc aufgeteilt ist. Dcm Abendland wurde sie durch Macrobius und Martianus Capclla in Gestalt einer für den Planiglob stehenden kreisförinigen Fläche bckanntgemacht" Der Okumene ist immer nur ein Teil des Kreiscs zugewiesen, so daß recht wenig Platz für Einzelheiten bleibt und die Karte in der Kegel ziemlich schematisch ausfällt. Sie interessiert daher hier weniger. Ausnahmen bilden nur zwei bedeutsame hemisphärische Ökumene-Karten, die des Westgoten Theodulf von Orleans aus der Zcit Karls des Großen, erhalten im Kodex von Ripoll von 1055' und ganz in dcr Tradition Isidors von Sevilla stehend, sowie diejenige des Lanibcrt von Saint-Omer in1 Liber Floridus (1112-1121), die sehr antik geprägt ist, fast ausnahmslos Provinznamen aufführt, an Siedlungen nur Rom, Babylon und Karthago nennt und sich als Karte des Martianus Capella bezeichnet6.

' Vgl. ANKA-DOKOTHEL VON DEK ~ ~ R T N C K ~ S , Kaicograpliirche Quellen: W e b , See- und Regionalkarieti (=Typologie des sources du nioyen-2ge occidenral fasc. 51), Turnliour 1988, S. 75f. ULYF RUBERG, Mappac inundi dcs Mitrcialteis ini Zusarnrnenivirken von Terz und Bild, in: Texi und Bild, Aspekte des Zusarnrnenwirkens zweier Kürisre in Mirreialrei und fiülier Neuzeit, ihrsg. von C r r n i s ~ r ~ Meienil l \v~ R i l ~ ~ n c , Wiesbadcn 1980, S. 552-592. - JÖKG-GEEKII ARLNTLEN, lmago rnundi Cartographica (=Münsceische Mirceiairer-Schriften 53), Münciien 1984. - I - f~ i i l r~ur - KOGI.EK, Die Ebsiorfer Welrkarrc. Ein euiopäischcs Weltbild im deuischen Mirrelalier, in: Zeirschiifr f. deutsches Alteiium U. deuirche Lirerniui 116, 1987 S. 1-29.

' AKEKTZEN (wie Anin. 2), S. 63 ff. ANN-DOROTHEE VON D E N BKLXCIEN, Die Kugelgcsralc der Eide in der Kartographie des Mittelalters, in: Arch. f. Kulrurgesch. 58, 1976, S . 77-95 in popuiäwissenschaftli~l~er Zusammenfassung.

' A. Vinier, La rnappernonde de Theod~l fe er Ja mappenionde de Ripoll ([Xe - XIc sikcle), in: Comiti de tiavaur liisioriques er ~cienrif i~ues, Bullerjn de gfograpliie histoiique ei descriprive 16, Paris 1911, S. 285-113.

QRICIIAKI> UHIIEN, Die \Veirkaite des Martianus Capeiin, in: Mcieniosyne 1. sci. 3, 1936, S. 97-124. Abb. findei sich aucli in der jüngsten Monographie zur Ebsrorfer Welrkaire, bei B inc i r Hniiru- WOEKNLE, Die Ebsroifei Weiikaire. Srucrgair-Bad Catinsrati 0.1. (1987), Abb. 7, S. 17.

Abb. I. Palimpsest aus Sr. Gallen (Nachzeichnung K. Milier, Mappae mundi VI, S. 58).

Klimatenkarten kommen erst über die Araber ins Abendland; sie sind erstmals zu Beginn des 12. Jahrhunderts bei Petrus Alfonsi in rein scheinatisclier Form bezeugt7. Johann von \Vallingfords, Zeitgenosse und Mitarbeiter des Matthaeus Parisiensis uin die Mitte des 13. Jahrhunderts in England, liefert auch Legcnden von Orten, die für die Klimata charakteristisch waren im Sinne der alten poieis q ü e m e i s , abcr gleichfalls spärlicli und schematiscl~, so daß diese Karte hier ohne besonderes Gewicht bleibt.

Im Mittelpunkt der folgendcn Betrachtungen stehen vielniehr die sogenannten T- Karten, geostete Radkarten, geteilt durch ein T von Gewässern, nämlich in der obercn Hälfte in Asien, begrenzt von Don und Nil als T-Balken, unten links in Europa, rechts in Afrika, getrennt durch das Mittelnieer als T-Schaft. Hier ist an erster Stelle Isidor zu erwähnen, von dem man eine auf 775 datierte große Ökumene-Karte besitzt, die aller- dings kaum Spuren des T-Schemas aufweist9, von dem außerdem auf einem Palimpsest aus St. Gallen1' aus der Karolingerzeit eine Darstellung überlebt hat, die das T der Gewässer auf der Karte als Kreuz deutet und Christi Leib darüber zeigt; zugleich ist

' KONRAD MILLER, Mappae Mundi 3, Srurrgarr 1895, C. 126 f. nach Ms. Pniis BN lai. 10722. A N N A - D O R ~ T I ~ E ~ v o ~ DEN BKINCKEN, Die Kliniaienkaite in der Chronik des Johann von Waliingford e i n Werk des Marrhaeus Parisiensis?, in: Wesrfale~i 51, 1973, S. 47-56. R I C H ~ I L I ) UIIDEN, Die Weltkarte des lsidorus von Sevilla, in: Mnemosyne 3. sei. 3, 1936, C. 1-28; die Karte aus Ms. Vni. Lat. 6018 fol. 64~165 ist u.a. auch abgebildet in dem Werk von M n ~ c ~ i . D~sioMnEs, Mappeiiiandes A.D. 1200 - I500 (=Monurncnta Cairoginpliicn Vetustioris Aevi I), Amsrerdnoi 1961, Tafel XVlll bzw. T, vgl. auch secr. 1, 7 S. 30; desgicichcn Abb. bei HAHN- WOFRNI.E (wie Anm. 6), Abb. 19, S. 33.

"Ms. St. Gallen 237, p. I ; vgl. D ~ s r o ~ s ~ s (wie Anm. 9), scct. 1, 6 S. 30, sowie Koux~i> MII.L.EII, Mappae muridi 6, Stuitgait 1898, S. 58; zur Kreuzform vgl. J. T. LANMANU, T l ~ e Reli~ioui Syrnbolisin of rhc T in T -0 Maps, in: Carrogrnphica 18, Toronto 1981, S. 18-22. -V$ Abb. I .

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Iiicr iin äußersten Süden, d.h. am rechten Kartenrand, der unzugängliche Antipoden- koiitinciit angedeutet, der ein Relikt des rückseitigen Antichtlionenkontinentes auf der Krates-Karte ist.

Mai-kstein cliristliciier Univei-~alkartogra~hic ist die nur abscliriftlicli erlialtene Karte des Beatus von Liebana, die dieser uni 776-786 seinem Apokalypsenl<oinmentar beigab; er wollte daiiiit die Ausscndiing der zwölf Apostel an alle Enden der Welt illustrieren. Gel-ade diese Dokumentation, die sich auf nur relativ wenigen inittelalterlicl?en Karten findet, ist auf der Ebstorfer Weltkarte aufgegriffen.

Weder Deutschland nocli Italien noch Frankreich bieten iiii Hochmittelalter bedeut- sanie Belege der Uiiivcrsalkartographic, wenn man einmal vom Rotulus von Vercelli absiclit. England hingegen geht eindeutig auf dem Gebiet der Kartograpliie iii Führung: dies dokumentieren die sogenannte Cottoniana, die beiden aus London überlieferten Hieronyinus-Karten, die den Orient und das Heilige Land zum Gegenstand Iiaben, die Karte des Heinrich von Mainz zur Imago Mund1 des \vohl aus Eiigland stammenden Honoriiis Augustodunensis, die Psalterkarte sowie die großformatige Karte in der Ka- tlicdrale von Hereford.

Wegen geringer individueller Aussage dürfen Sallust-Karten, aber auch die aus Albi oder die des Guido von Pisa außer acht bleiben. h4attliaeus Parisicnsis, der vielleiciit noch Zeitgenosse des Malers von Ebstorf war, ging eigene Wege mir seiner am Itincrar orientierten Darstellungsteclinik und wird daher niclit eiiibezogen.

Offen ist weiter die 17rage, wie man sicli eine Beeinflussung tecliniscli vorzustellen hat.

2. Anmerkungen zu den antiken (Text-)Vorlagen

Ilie abciidläiidisclie, d.11. lateinisclic Ökumcnc-Karte des Mittelalters baut auf ibrcr antiken Vorforni auf, die Ebstorfcr Weltliartc ebenso wie illre Vorläiifcr, die spanisclicn und angelsächsischen Karten. Die Forschung intercssierte sich übcrliaupt zunäclist für die mittclalterliclien Kartographen nur deshalb, weil sie über diese zu den verlorenen antiken Stücken vorzudringen Iioffte." Daß es eine römische Okuniene-Karte gegeben hat, die uni Rom und um das Mittelmeer zentriert war und übeiwiegend praktisclien Zwecken, näinlicli der Verwaltung des Großreiclies und seiner i:iilitärischen Siclierung, zugute kam, ist vielfacli bezeugt. Sie bediente sich als Griindlage vor allen1 der Itinera- rien, römiscber Straßenkarten, deren berühmteste Versiori die aus den1 Mittclaltcr crhal- tenc Karte des Castorius, bekannter unter dem Namen Tabitia Peutinger?ana, ist. Gerade seit Rom mit Beginn der Kaiserzeit Weltreicli wurde, benötigte man Karten nianiiigfaclicr Art, und es ist uns von vielen Autoren glaubwürdig überliefert, daß Vipsanius Agr ipp, Scliwicgersoiin von Augustus, diesem Mangel durch ein gelungenes Kartenwerk abhalf. Diese vielseitig verwendbare Karte war recht verbreitet, ist aber trotz allen Suchens bislang niclit aufgefunden worden. Dies ist ein Beweis für die geringen Ubcrlehenscliancen großformatiger Kartencxeniplare. Immer wieder Iiat inan

" Vgl. Koxa~i> Mii.i.i-I,, Inrineiaria Roiiiann, Keiscwcge an der Hniid der Tabula l'eutincerinnn darge- stelli, Srurrgair 1916; als Voiarbeircii dazu cnirtand Mappac Muiidi 1 4 , 1895-1898, fcriier später Mappae Arabicae 1-5, 1926-1931

\,ers~icIit, die Agrippa-Karte aus ihren inittelalterlichen Ablegern zu rekonstruieren, allerdings bleiben viele Aussagen Iiypotlietiscli, obwohl man durch Agrippas Koiniiien- tatoren reclit genaue Vorstellungen von seinem Werk hat. I>ie Römer o,iiigen iciciine- riscli von der Fläche aus, die sie als ökumene ausgestalteten. Da vielfach von orhlr (Romanus) in1 Sinne von Reich die Rede ist, dachte man hier bereits an einc Radkarrc, ohne daß diese Form gesicliert ist. Noch weniger läßt sich beweisen, daß sie bereits geostet war wie dic christliclien Karten, denn griechische Karten sind gea~öhnlicli genordet. Die Römer zeichneten Straßen, dazu Etappcnstätten ein, einc Vcrrnessung war auch bei ihnen niclit üblich: man rechnete nacli Tagereisen, für deren Länge der Geländecliarakter niaßgeblicli war.

Ila die bedeutsameren mittelalterlichen Ökumene-Karten säiiitlicli einen teilweise auffallend gleichlautenden Legendenschatz und auch viele entsprechende Synibolc in den Zeichnungen aufweisen, ist zu Recht iininer wieder nacli einer Vor- lage gesuclit und dabei an die Agrippa-Karte gedacht worden. Man glaubte sie besonders ~inverfalscht erhalten, wenn auf einer inittclalterlichen Karte das klassische Narnenniate- rial überwog, insbesondere bci der Hereford-Karte.

Es stellt sich natürlicl? die Frage, wie häufig und in welclicr Form sie etwa dem 12. oder 13. Jalirhundcrt zur Verfügung stand. Da das Mittelalter wenig Wert auf Autorcn- nainen legtc und sowieso niclit das Ideal getreuer Quellenbenennung forderte, haben Benutzer allenfalls cinmal von einer mappa mundi oder imago mundi gesprochen, von dcr niclit einmal bekannt ist, ob es sicli uni einen Text und/oder ein Bild handelte. Kai-tenmaler", das ist nielirfacli bczeugt und auch zu beobachten, waren besonders traditionsgebiinden, insbesondere l~insichtiicli der picti~ra, werden also immer einc mög- liclist getreue Naclialin~ung als Ziel vor Augen gcliabt haben. Daher dürfte vieles von der antiken Ökumene-Karte in der mittelalterlichen Zeichnung überlebt Iiaben, olinc daß dies in1 einzelnen sicher einzugrenzen ist. Selbst über den Wandel bei den konven- tionellen Zeiclien weiß man nur bedingr Bescheid, denn etwa die lano,e als aiirik verstan- dene Tabula Pet*tzngeriana ist uns nur aus dem Hoclimittelalter erhalten und hat dessen Eigenheiten in sicli aufgeiioninien. Ganz. sicher ist, da8 Ebstorf- wie Hereford-Karte eincn Extrakt auf Vipsanius Agrippa enthalten, zumindest aus den Koininentarcii zur Karte. Da für englische Schreibscliulen des Mittelalters besondere Sorgfalt und spezieller Konservativismus typisch sind, ist die Hereford-Karte immer wieder als Hauptzeuge für das Werk des Agrippa angesproclien worden. Das gilt angesichts der vielen Gemeiiisain- keiten bedingt auch für die Ebstorfer Weltkarte, desgleichen vermutlich zudem für den Rotulus von Vercelli, der leider nur noch so bruclistückliaft zur Verfügung stclit", daß er bloß unter Vorbehalt hier initeinbczogcn werden kann; aber auch er ist bei den

12 NUI\-DOKOTHEE vow DEN ERINCKEX, .... Ut describciciur uiiircrsus oihis" - Zur Univer~alkarro~ra- pliie des Mirtcialrrrs, in: Metlioden iii Ui'isseiiscliaft und Kunsr des Mirrclalrers. i\lisccilanea Mcdiaeva- lia 7, 1970, S . 249-278; Dirs., Quiod non ricierur picurn - Dic Sorge iiiii das icclite Bild in der Kai-rogiapliie, in: Filrchungeii iin Mirrelalrei-, liirerriar. Koiiarei, dei- MGH bfüiicheii 1986 (=Still-. der MGH 33, I), Hannorcr 1988, S. 587-599.

" Archisio Capirolaie Vcicelii; abgcbildct Tafel 997 bei Yoossoui; K x x < n ~ , Moiiurnentn Caitographica Africae ec Aeaypii 111, Kairo 1935. C A K I . ~ F. C.~P~'EI.I.O, II mappain«i>do rnedioevalc di Veicelli (Nota prelimicinrc), in: Arri del XVIl. Coiigresso Gcografico Iraiiacio 4, Bari 3957, S. 577-585; I>~ i is . ,

Überforrnaten einzuordnen, soll nämlich 84 x 72 cm gemessen haben gegenüber der Ebstorfer Weltkarte von 358 X 356 c n ~ und der Hereford-Karte von 163 x 135 cnl. Er ist übrigens bislang auch noch nicht eindeutig datiert; Leitfossil ist ein in Nordafrika eingezeichneter französischer König Pliilipp, aber die Forschung ist sich nicht einig, o b P1iilipp 11. (1 180-1223) oder Pliilipp 111. (1270-1285) gemeint ist. Bildlich hat die Karte große Übereinstimmungen mit der Ebstorfer Weltkarte. Der Schwerpunkt der Lokal- kenntnisse betrifft ganz Westeuropa einschließlich Englands. Auch diese Karte ist ein Zufallsfund der jüngsten Zeit, nämlich zu Anfang unseres Jahrhunderts im Kapitelsar- cliiv von Vercelli, wo sie nach einem Rückvermerk zumindest seit dem 18. Jahrhundert einen Dornröscl~enschlaf geschlafen hat.

Betrachtet man nun die Ebstorfer Weltkarte auf ihre antiken Textvorlagen hin, so steht man auf etwas festerem Boden als hinsichtlich der Kartenvorbilder. Sehr oft bleibt natürlicl~ unkontrollierbar, ob Zitate aus dem antiken Autor direkt oder aus Exzerpten seiner Nachfahren oder auch aus mittelalterlichen Florilegien stammen. Aus der klassi- schen Zeit wie aus der Spätantike Iäßt sich immerhin eine beachtliche Reihe an Autoritä- ten namhaft machen. Konrad Miller" hat da besondere Verdienste, denn er hat in seiner Ausgabe alle Parallelbclege, die er fand, mitgeteilt.

Aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. ist hier die Chorographie des Pomponius Mela zu nennen, zumeist als ein unter Kaiser Claudius entstandener Kommentar zur Agrippa- Karte gedeutet, weiterhin die Historia Naturalis des Plinius (t 79). In die heidnische Welt gehört weiter Solinus mit seinen Collectanea rerum memorabifi~m, einer Kuriosi- tätensammlung aus der Mitte des 3. Jahrhundert, die im Mittelalter außerordentliche Beliebtheit genoß. Dem Itinerarium Antonini liegt eine Prnvinzliste aus der Zeit Diokie- tians zugrunde; Julius Honorius, Grammatiker und Rhetor, liefert mit seiner Kosmo- graphie gleichfalls wohl die Namensammlung zu einer ihm vorliegenden Karte, wie auch verwandte Schriften der Zeit benutzt worden sind, die sich in modernen Sammlungen von .Geographi minores" zu finden pflegen. Die Notitla dignitatum ist das Staatsliand- buch der römischen Behörden in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Damit ist auch die Zeit der ersten spätantiken christlichen Autoren erreicht, die hier zu nennen sind: Paulus Orosius verfaßte seine His toke adversirm paganox mit eingehender vorangestell- ter Schauplatzbeschreibung 417/4lS, etwa zui- gleichen Zeit entstand des Martianus Capella Enzyklopädie der Sieben Freien Künste D e nuptiir Philologule et Mercirrii. Der Geograph von Ravenna, ein anonymer Christ, ist etwa Zeitgenosse Isidors von Sevilla. O b von diesen Schriftstellern auchpicturae zur Hand waren, ist nicht mehr zu entschei- den.

Mithin bleibt die Frage offen, welche Anteile die Agrippa-Karte an den überformati- gen Universalkarten des 13. Jahrhunderts hatte. Sicher aber hat nicht Ptolemaeus, sondern die römische Straßenkarte das Weltbild des Mittelalters überwiegend geprägt. Konrad Miller hat mit seinem Urteil, daß die Karte des Castorius ihm mehr bedeute für die Beurteilung des Altertums als die Geographie des Ptolemaeus", auch wissenschaft-

I1 niappainondo medioevale di Vercelli (1911-121S?), Uniucrsiri di Torino, rnemoiie e scudi Geogra- fici 10, 1976; s. unren Aiini. 59.

' I Mappae Mundi 5 (1596). "Itineiaria Rornana (wie Aom. II) , S. XXXIXf.

lich origineller sei, insofern rcclit, als er geltend machte, daß die Straßenkarte eine von Praktikern aufgenommene Arbeit ist, bei der in der späteren Uberlieferung allenfalls die Zahlen verderbt wurden, während Ptoiemaeus allgemeinen Fehlern der Geophysik und Astronomie Raum gab.

Isidor ist die Hauptfundgrube für den Maler von Ebstorf gewesen, erweitert und modifiziert von Honorius Augustodunensis und Gervasius von Tilbury. Zumindest die Darstellung des Mittelmeerraumes ist dabei noch ganz. von den antiken Erkenntnissen geformt, d.h. der Balkan, Italien, Frankreich, Spanien, die Inseln des Mittelmeeres, Afrika, während Nordeuropa und England die Merkmale des Mittelalters aufweisen. Für Asien spielt die biblische Tradition die entscheidende Rolle, so für Palästina, Syrien, Mesopotan~ien, für Indien ist die mittelalterliche Literatur um Alexander den Großen prägend. Für seinen cigcnen Lcbensbereich hat der Maler der Ebstorfer Weltkarte zweifellos auch neue Aussagen geliefert.

3. EinJZüsse spanischer Uniwersalkartographie des Frühmittelalters

Die Texte aus Isidors Etymoiogiae haben naliezu alle Aussagen der Ebstorfer Weltkarte mitbestimmt; die Mehrzahl größerer Textblöcke, insbesondere auch die Kolumnen in den Ecken der Karte außerhalb des Erdkreises, sind diesem Werk entnommen. Hin und wieder sind Zusatze aus verwandten Werken exzerpiert, so aus den Schriften des Hono- rius und Genrasius, bisweilen ist der Isidor-Text dann aus zweiter Hand zitiert. Das betrifft neben geographischen vor allem zoologische und botanische Kommentare. Die- ses Vorgehen ist in damaliger Zeit absolut keine Besonderheit, sondern die allenthalben geübte Technik der Materialbeschaffung. Isidor bot in seiner relativ handlichen Enzy- klopädie Extrakte aus nahezu allen Wissensgebieten der Antike, und es wäre eher ungewöhnlich gewesen, sich seiner nicht zu bedienen.

Von Isidors Karten besitzen wir zahllose schematische in seinem enzyklopädischen Schrifttum, dazu die schon erwähnte große von 775 in der Biblioteca Vaticanax6 mit Namenmarerial, das auch ausgeprägt aus Orosius geschöpft und daher sehr avtik bestimmt ist. Isidor ist noch nicht der Neugestalter des Wissens, sondern derjenige, der das Überkommene übersichtlich und handlich zusammenfaßt, der große Exzerptor. Allerdings ist die unter seinem Namen gehende Karte auf dem Palimpsest von Sr. Gallen entschieden als eine für das Frühmittelalter originelle Interpretation der \Welt im christli- chen Sinne zu wertenx7: aus der Welt wächst Christi Kreuz, es zeigt Christus als Sieger - enommen und Herrscher über die Welt, der sie überwunden hat. Hier ist etwas votwe,g an mystischem Weltverständnis, wie es erst im Hochmittelalter häufiger anzutreffen ist. O b das Bild in der überlieferten Form auf Isidor selbst zurückgeht, kann nicht eindeutig entschieden werden, ist aber durchaus denkbar, Iiatte doch Isidor den Buclistaben T als Kreuz Christi gedeutet''.

Die erste in ihrer Thematik christlich geprägte Ökumene-Karte erstellte in dcr Tat erst Beatus von Liibana, als er die Aussendung der zwölf Apostel in alle Welt verdeutlichen '"Vgl. Anm. 9. '/VSI. Anm. 10. I S Ezymologize 1, 3, 9.

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rvollte. Die Karte gehört zu seinem Apokalypscii-Konimentar, ist aber in ihrer ursprünglichen 1;onii niit Einzeichnung der Apostelgräber nur in der Handschrift von 1086 aus Burgo dc O s n ~ a ~ ~ erhalten: Offenbar haben viele Kopisten auf diese Informa- tion recht wenig Wert gelegt, dafür das antik bestimmte Legendengut sorgsain abgc- zeichnet und ausgebaut.

A c ~ h die Ebstorfer Weltkarte teilt immei-hin sieben der Apostelgräber niit, nämlich diejenigen von Tbomas", Bartholoinaens2', PhilippusD, M a t t h a e n ~ ~ ~ , Paulns und ~eti-us" sowie Jacobus maior"'. Die Hereford-Kartc bietet hier keine Entsprechung. Auf der Beatris-Karte von Osma" finden sich alle znrölf Apostel, für Judas Thaddaeus und Judas Iscliariotli stehen Paulus und Matthias. Auf allen bekannten Beatus-Karten fehlen sie gänzlich, denn das Original ist nicht auf niis gekommen. Der Rotulus von Vercelli aber Iäßt noch einige Apostclplätze erkennen, nämlich die Grabcskirchen von Bartlioloiiiaeus iiördlich von der Arche Noe, von Philippus nordwestlich von der Arche, Joliannes an der Westküste von Kleinasien, Tlionias in Indien sowie Simon und Juda nördlicli von Bahilon; Petrus, Paulus, Jacobus maior und Jacobus niinor fehlen offensiclitlicli, für Andreas und Matthaeus bzw. Matthias ist der Nachweis nicht inclir möglich, da hier Schriftverlust eingetreten ist".

Für die Ebstorfer Weltkarte läßt sich hier jedenfalls eine enge Beziehung zur Bcatus- Karte in ihrer urspriingliclien 1:orin konstatieren, bei der Gervasius als Mittler fungiert Iiaben könnte, denii er interessiert sich in seineiii Text ernstlicli für diesen Fragenbe- rcicli. Zugleich ergeben sich deutlich \~erwandtscliaftlicl,e Bezicliungen zuin Rotulus von Vercelli. Beide Großkarten verbindet mit der Beatus-Karte die betont christlich orien- ticrte Fragestellung, die etwa die Hereford-Karte nicht glcicherrnaßeii aufweist.

Ein weiteres christliclics Spezifikum ist die Einzeichnung des Paradicscs, die sich zuerst bei Isidor findet und gleiclifalls für Bcatus charakteristisch ist. Eiidlicli ersclicint auf den Beatus-Karten regelmäßig im Süden die Skizze eines vierten Erdteils, unzugäng- lich dnrcli den hciRen Äquator und jenseits von Afrika abgespalten. Diese Zone wird irn Bild des 13. Jahrhunderts zum Monstrenwohnort, der im Grunde das Relikt des Antich- thonenkontinents ist: Auf der Rückseite der Kugel des Krates von Mallos entsteht ein Ilepot für alle dem gewöhnlichen Menschen unzugänglichen Wesen: Extm tres armm

'"llurgo de Osma, Aicliiio de la Caredial, fol. i jv I i6 ; vgl. MII.L.EIL (i7:ic Anm. 7), Ud. 2, Tafel ja; auch Terc hci Diiz-i-o~ises (ivie Aniii. 9). scct 17,s S. 41; zuderii gl. H:IHN-WI>EIINI.E (wic Anm. 6), Abb. 36, C. 56. -\'SI. Abb. 2.

"In Iiidieii, Blatt 14 (Zähluiig iinch der Zählwcise der Pergamenrceile nach Eiwsr So~~rrinnoii-r. Die Ebsroiiei- Wcirkarie, Hniioover 1891, i ~ ä i i i l i ~ l ~ kolornneiiweisc von ober, nach unten); vgl. Haiis- WOEIIXI.E ( W ~ C Allill. 6), Abb. 31, S. 49.

2 , 181 Meropocamieii, Blaii 9, nördlich von der Arche Noe, vgl. H A I I N - W O E X Y ~ . ~ (wie Anm. 6), Abb. 2, S. 6.

7 , -- In Kappadokicn, Ulait 9, mesrlich von der Arche Noe. "In i\lesoporaniien, Biiirr 15. " I n Korn, Rlaic 17. " I n Spniiieii, Blaü 1s; ugl. H,%IIN-\Y'oE~~N~.E (~vie Ailm. 6), Abb. 1, S. 2. '"Vgl. Anm. 19; zu ivcirereri Karren mit Aposteln s. Liierniui bei ANNA-»OR».IIIEE V. DEN BKINCKEX,

Cliiisteii im Oi-ieni auf abendlindischen Kaireii dcs 11. bis 14. Jaliihutidcirs, in: %s.d.Dt. Morgcn- lind. Ges., Suppl. \JJ11. 1990, S. 92 f.

"Belege bei K,\M.%I. (wie Anm. 13) iind CAI~EL.LO (wie Aiiiii. I i ) , S. $21.

partes orLG quarta pars trans Oceanum interior est in meridie, quae solis ardore incognita nobis est. In cuius finibus antipodas fabulosae »?haLitare p,-oduntw?% Auf dei-

'"~exr bei Bearur nach dc i Karte voti Saint-Sevcr, Ms. Paris UN lax. 8578, ziricii bci MILLE,< (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 58.

großen Isidor-Karte trug cinc unbekannte Insel die Kennzeichnung als vierter Erdteil. Die Ebstorfcr Weltkarte zeigt ebenso wie die Psalterkarte von LondonZ9 und die Her- eford-Karte" eine Bildcrgaleric von Monstren, während der Rotulus von Vercelli ain Südrand zci-stört ist.

Alle fr-ülii~~ittelaltcrlicl~~r~ Karren, d.11. alle spanischen Ökumcne-Karten, stellen die Welt euro~azentrisch dar: Das europäisclic Karteiiviertel ist iin Verglcicli zu dcii übri- gen Teilen hervorgehoben und vergrößert, zumal Jerusalem nocli nicht kartographischer Weltmittelpunkt ist. Dicse Eigenheit hat auch auf der Ebstorfer Weltkarte Spureri hinterlassen, übrisens desgleichen bei Hcinricb von Mainz.

4. Das Vorbild der angelsäci7sischen Tradition des Hochmittelalters

Nachdem Spanien auch die Karolingerzeit über nocli die Position des \'orreiters innege- habt hattc, ging iiii Hochmittelalter England in Führung; das Gewicht verlagerte sicli aiis dem Mittelniecrraum, der erst im Spätn~irtelalter unter Einfluß der Kompaßbcnut- zung mit der I'ortolankarte gestaltend in die Kartenproduktion eingriff. Als Inselbe- wohner, angesicdclt in der Nordwestecke der dainals bekannten Wclt, waren die Engläiidcr stärker als andere Völker auf die Seefahrt angewiesen und von Nariirgcwaltcn abhängig. Sie haben sicli dalicr zweifellos überdurcbsclinittlic1i in der Kartographie engagiert, ohne deshalb gleich ncue Techniken zu entwickelii. Ganz allgemein ist fesrzu- halten, da8 Früh- und Hochmittelalter innerhalb der lateinischen Welt keine Blütezeiten der Scefalirt waren. Man fertigte Karten vor allem für den Schulbercich an, gewisserrna- ßen als Lebrbild und i~icht als Reisefülirer. Abgeselien von der Portolankarte gilt dalier, da8 allenthalben - ziimal nicht vermessen wurde - das Land und niclit die Meere darzustellen waren. Die Erdoberfläciie besteht auf niittelalterliclien Karten überwiegend aus Festland, obwolil die Wirklichkeit ganz anders aussiebt.

Mag es mit der eigentüinlichen Lage und Natur Englands, mag es mit seinem beson- ders gut ausgebildeten Schulwesen begründet wcrden, seit deni 11. Jahrhundert über- nininit England die Gestaltung der Universalkartograpliie. Hier ist die Cottoniana zu nennen, Honorius Augustodunensis mit seinen Beziehungen nach Canterbury und seinem Illustrator Heinrich von Mainz, dessen Arbeit nur aus England überliefert isr, die beidcn aus England crlialtenen Hieronynius-Karten aus der Kreuzzugszeit, die Psalter-Karte von London und die Karte der Katliedrale von Hereford; dabei ist liier abgeselien vom bedeutenden Kartenkomplex des Matthaeus Parisiensis3'. Die Ebstorfer Weltkarte stclit buchstäblich in dieser Tradition, ist von ihr geprägt und hat als jüngstes Quellenurerk die Otw lmperklia des Gervasius von Tilbury, eines Engländers, ausge- scI1öpft.

Eine spezielle Fragestellung brachte die Refeientin dazu, die Verzahnung dieser Kar- ten untereinander ein wenig sorgsamer zu betrachten, und dies niclit nur hinsichtlich der

"ivls. London BL Add. 28681 501. 1; v ~ l . Text hci D r s r o ~ u i s (wie Anm. 9), secc. 49.8, S. 168 if; vgl. H~HN-WOIRULE (wie Anm. G), Abh. 22, C. 37.

.30 V$. MII.LEX (wie Anm. 7), Ud. 4; vgl. HAHN-WOEKNLE (wie Anm. 6). Abb. 23, C. 35. " VSI. RlcHnxn VAUGHAN, Matther\. Paris (=Srudies in Mcdicval Life and Time 11, 6), Cambridsc 1958

u.ö., S. 235-253; aucli VON DEN BRLNCKEF~ (wie Anm. I ) , S. 5 9 4 6 .

klassisch-antiken Aussagen, sondern auch der biblischen Aspekte, nämlich die Sucbc nach der Lokalisierung der Völker Gog lind Magog, der apokalyptisclien Nationen, deren Hervorbrechen aus deni Norden das Weltende ankündigen sollte. ~ n d e r s o n ' ~ hat sicli bereits niit diesem Problemkreis befaßt, aber nicht einmal erkannt, daB mittelaiter- liche Weltkarten geostet zu scin pflegen; ei- war daher zu recht wirren Aussagen über die Cottoniana, Heinrich von Maini sowie die Karten von Ebstorf und Hereford gekoni- men. Gog und Magog und die von Alexaiider deni Großen eingesclilosscnen zehn verlorenen Stämine Israels erscheinen zudem in der 18. Sure des Korans. Seit der Cottoniana auf Karten eingeführt, erhalten sie durch Hcinrich von Mainz sogar eine eigcne Bildtradition. Etwas Vergleichbares sucht man auf der Beatus-Kartc vergeblich, obwohl diese zu einem Apokalypsen-Kommentar gehört, wo man i.wangsiaufig auf Gog und Magog stoßen n3ußtc. Mithin Iiaben dic apolialyptischen Nordvölker die Kartographen Nordeuropas besonders bcscliäftigt, und im 13. Jahrhundert muß dies im Zusanimenliang mit den1 Einbruch der Mongolen noch eine ausgeprägte Aktu a 1. isiertlng .

erfahren haben, ohne daß hier in der Kartographie eine Identifizierung vorgenommen würde. Die apokalyptisclien Völker erscheinen als Symbol der Verderber des Mensclien- gesclilcchts, nämlich als Menschenfresser. Diese Tradition läßt sicli deutlich an den tlieologisch orientierten Meltkartenkompendien aufzeigen, sogar noch in1 14. und 15. Jahrhundert. Ob die Karte von Vercelli dieses Signum kannte, Iäßt sich deshalb niclit entscheiden, weil dcr Nordrand verlorengegangen ist.

Die britische Kartographie a k ~ n t u i e r t gerade die außermediterranen Zoncn, gibt eine Vorstellung von den Inseln iin Atlantik, widmet auch irn Mittelmeer Küsten und Inseln ihr besonderes Augenmerk. Dazu kommt das theologisch-didaktische Interesse, dic Karte zu einer echten imago rnundi zu gestalten. Nicht von ungefähr stammt die erstc Weltkarte, dic kurz vor 1100 Jerusalcm auch im Bild gemäß einet- textlichen Forderung des Kirchenvaters Hieionymus3' zum Mittelpunkt erhebt, aus Oxford3': Die heilige Stadt wird von eincr Insel iin Schnittpunkt der Gewässer von T-Balken und T-Schaft ins Mecr verlegt, unbeeindruckt von den rcalen Verhältnissen.

Die Cottoniana" gestaltet die Welt nach der Vorgabe des Blattformates annähernd rechteckig. Jerusalem ist noch niclit Zentrum, auch ist das Architektursymbol noch reclit bescheiden ausgefallen im Vergleich zu Weltstädten wic Babylon und Rom. Im Mittelpunkt der Karte ersclieinen niclit näher bezeichnete Inseln des östliclien Mittel- meerrauines, man könnte eine größere als Zypern deuten. Die konventionellen Zeichen auf dieser Karte erinnern in ihren1 Aussehen sehr an die Tabula Peutzngeriana, die gleichfalls nur in einer Abschrift aus dem hohen Mittelalter verfügbar ist. Die Cottoni- ana wird gewöhnlich ins 11. Jahrhundert datiert. Das Namenmatcrial entspriclit Isidor

"ANDKEW RUNNI ANIIERSON, Alexandei's Gare, Goo, aiid Mapg, 2nd rhe Incloscd Nations, Cam- bridgA4nrs. 1932, S. 871.

" Cornm. in Ezech. 5.5. MIGNE PL 25 col. 52. . . '" Ms. Sc. John's College Onford "Io. 17 fol. 6; vgl. M i ~ i . r n (wie Anm. 7) 3 , S. 118f.; aiicii Text bei

DESTOMKFS (wic Anm. 9), secr. 25,8, S. 48. "Ms. 1,oiidon BL Corton. Tib. B. V. fol. 58v; "EI. MILLLR ( W ~ C Aiiin. 7) 3 , S. 2911.; Texi bei

Drsronnrs (wic Anm. 9), sec<. 24.6, S. 47; rgl. #A~.IN-WOER~I.F (wie ~ n i . 6), Ahb. 17, S. 30. - Vgl. Abb. 3.

140 Anna-Dol-otbce W. den ßrincken

Abb. 3. AiiSelsäclisisclie Welikaric (Coiioniana), crste Hälfte 11. Jalirhundert (Nachzeichnunc Milier, Mappae inuiidi 111, S. 33).

und Theodulf. Zumeist beziehen sich die Legenden auf Provinzen, die zudem durch schematische Linien eingegrenzt wirken. Neuartig ist im Nordosten die Figur eines Löwen mit der Bemerkung, es gäbe dort deren in Fülle. Erstnials erscheint die Arche Noe eingezeichnet, weiter finden sich hier Gog und Magog, die auf früheren Karten unbekannt sind, lokalisiert arestlich vom Kaspischen Meer. Apostelgräber fehlen; falls die Beatus-Karte bekannt war, dann nicht in der Form von Osina. Doch dürfte zumeist nur Isidor Pate bei dieser Karte gestanden haben, noch mehr Orosius und sonst wenig jüngere Vorlagen. Eine Identifizierung der Welt niit dem Leib Cllristi fchlt hier iioch völlig. Doch zeigt der Kartennialer schon erhöhtes Interesse für das Hcilige Land. Wie Gog und Magog so sind auch einige der zwölf Stämme Israels benannt. Das biblische Namengut dürfte weitgehend aus den Schriften des Hieronymus geschöpft sein bzw. aus einer Karte, die sich der Angaben des Kirchenvaters bediente. Generell überwiegt das seit Jahrhunderten vertraute Legendengut der Antike; jüngeren Datums sind Legen- den im Norden wie Island, Slesvic, Norweci, Turchi zwischen Asowscheiii und Kaspi- schem Meer, Huni in Ungarn und endlich Sciavi.

In diesem Zusammcnliang sind die beiden Hieronymus-Karten3" zu betrachten, die aus dem England des 12. Jahrl~underts und damit aus der frühcre~t Kreuzziigszeit erhalten sind. Es handelt sich niclit um Weltkarten, sondern um eine Heilig-Land- Illustration und um eine Orient-Karte, die zu Hieronymus Schrift De sitic et nominibus locorum Hebraicorum gehören. O b das überlieferte Bild auf ein Gemälde des Kirclien- Vaters selbst zurückgelit, Iäßt sich nicht sicher ausmachen, da einige eindeutig jüngere Zutaten zu konstatieren sind. Dein Text aber liegt die Überarbeitung des Onomarticon des Eusebios zum Alteii und Neuen Testament zugrunde. Die Palästina-Karte erläutert die Lage von Plätzen des Heiligen Landes selbst, die Orient-Karte betrifft die Orte des Umlandes, das im Hochmittelalter um so mehr interessierte, als man nunmehr von Jerusalem Sen Osten auf die andere Welthälfte blickte und sich dazu cern des Wissens der hellenistischen Zeit bediente. Die Welt Alexanders des Großen, die die mittelalter- liche Literatur der Zeit so sehr faszinierte, wird hier lebendig nicht nur in stereotypen Provinznamen, sondern auch mit Siedlungen und Plätzen liistoriscl~eil Gescliehens.

Heinrich von Mainz3' illustriert die Imago Mundt des Honorius und gibt der textli- chen Vorlage eine Bilden~~klopädie auf kleinster Fläche an die Seite, vor alleni für den Schulgebraucli bestimmt. Die Welt des Heinrich von h'iainz ist rund, in Anpassung an das Format des Beschreibstoffcs letztlich aber oval geraten. In jeder der vier Ecken findet sich außerhalb des Erdkreises ein Engel mit erhobenem Zeigefinger an Stelle der sonst übliclien Winde. Ganz oben zeigt die Karte das Paradies mit den vier Strömen der Bibel wie die Beatus-Karten, hier über die Cottoniana Iiinausgehend. Diese Karte stellt die Welt ganz in den theologischen Kontext einer Wiedergabe des \Welt-Ordo, ent- spricht auch im ornamentalen Umfeld der Darstellungsweise des Honorius in seiner Imago Mxndi. Das Heilige Land ist sehr viel sorgfältiger als auf der Cottoniana geraten,

'"Ms. London BL Add. 10049 fol. 64/64"; M ~ L L E R (wie Anm. 7) 3, S. I f f . "Ms. Carnbridge, Corpus Chiisri C o l l e ~ e 66, p. 8; MII.LEII (wie Anrii. 7) 3, S. 21ff.; Terr bei

DES~OMUES (wie Anm. 9). secr. 25.3, S. 48; vgl. HAHN-Wo~nni.~ (wie Anri,. 6). Abb. 18, S. 31. - Vgl. Abb. 4.

AbL. 4. Welrkartc des Heinrich von Mainz 1110, aus einer Handschrift um 1150 (Nachzeicli- nunp Miller, Mappae mundi 111, Tab. 11).

wie dies für die Kreuzfahrerzeit nicht vem,underiich ist. Zudcm dürfte sich der Zeichner der Arbeiten des Hieronymus bedient haben. Die Karte ist im übrigen reich an maleri- schen Elementen, sie zeigt Flüsse eigenwilligen Laufes, Gebäude mit individuellen Architekturen - etwa in Jerusaleni offenbar den Felsendom. Vielen SiedlungssyinboIen fehlt freilich die Legende. Man hat daher die Abzeichnung einer größeren Vorlage angenommen, dachte in der Forschung hevoriugt an die Karte des Agrippa, zuinal sie der jüngeren Hereford-Karte älinlicli ist, die gleichfalls als Schatten der Agrippa-Karte verstanden wird. In der Tat sind die Meeres- und Flußformcn auf beiden Karten einander reclit ähnlich. Zu wünsclien übrig läßt bei Heinrich freilich noch die Plazierung Jeriisaleins im Wcltmittelpunkt, aber auch dies könnte auf einc antikc Vorlage zurück- zufüliren sein. Heinrich apostrophiert hier einc als Delos gckennzeiclinctc Inscl inmitten ciiies Inselkraiizes als Zentrum; aucli das könnte eine antike Karte als Vorbild vermuten lassen. Das T-Schema läßt konsequenterweise den Mittelpunkt ins Meer treffen, es sei denn, man vcrscliiebt das T leicht nach Westen, d.11. nacli unten, wie dies die Überfor- mate und die Psalterkartc besorgen. Außerdem sind Solin und Aetliicus Ister benutzt. Zeitgen6ssisclic Namen geben wenig Anhaltspunkte für eine spezielle Intcressenregion, weisen aber allgemein in den Norden oder Nordwesten Europas.

Annähernd gleichzeitig mit der Ebstorfcr Welrkartc, d.11. uiii 1260, ist die Entstellung der Psalterkarte von London3%nzusetzen. Sie wirkt auf den ersten Blick just wie die Kleiii-Ausgabe der Ebstorfer Weltkarte, was die allgemeine Linicnfülirung Wasser-Land anbelangt, auch dic Gebirgszüge verlaufen ganz entspreclicnd, etwa der Rundbogen im Nordosten, der die Kaspisclicn Bcrge niitsaint der Kaspischen Pforte darstellen soll. \Välirend die Ebstorfer Weltkarte einen Durclimesser von mchr als dreieinhalb Meter hat, sind es bei der Psaltcrkarte ganze 8 cm. Daher sind naliezii alle Reproduktionen von ihr bereits vergrößert, man kann Details auf ihr nur niit der Lupe erkennen. Dies Iiat zwangsläufig zur I'olge, daß der Maler selir sparsam niit Legenden umging, dcnn wenn sie leserlich bleiben sollen, reicht der Plarz nur für wenige. Analog zu den Großkarten von Ebstorf und Hereford ist der Erdkreis mit dem Leib Christi in Verbindung gebracht, sorgsain ausgeführt auf der Vorderseite, während die Rückseite eine Zeile für Zeile mit Inschriften gefüllte schematische T-Karte bietet. Die Vorderseite zeigt Chri- stus im Brustbild mit Segensgestus uiid Erdkugel, durch das T gekennzeichnet, in der Linken, beseitet von zwci Engcln mit Weilirauchfässern, während unter dem Erdkreis zwei Drachen siclitbar sind; auf der Rückseite ist der Erdkreis mit Christi Leih iden- tisch, er sucht ihn von oben mit den Armen zu umfassen, während unten seine Füße die bciden Drachen oder Schlangen zertreten. Ini Bild der malerischen Vorderkarte mit den 12 Winden ist Jerusalem der Mittelpiinkt; oben, d.h. im Osten, sieht man das Paradies, aus dem sich fünf Flüsse - der Ganges ist zu den biblischen Strömen hinzugekommen - auf die Erde ergießen. Eine Monstrengalerie, deren Bewohner gen Süden blicken, schließt das Bild rechts ab, ganz der Ebstorfer Karte entsprechend, wo die Unwesen auf der Hereford-Karte nach Westcn zuin Betrachter hinblicken. Die Apostelgräher suclit man vergebens, für ein solches Detail war auf dieser Mini-Weltkarte kein Plarz. Es liegt

)%s. London BL Add. 28681 fol. 9 1 9 ~ ; hliii~n (wie Anm. 7) 3, C . 37 ff ; Texr bei DEST~MBES (wic Anm. 9), s c c t 49'8, S. 16s-170; V%. HAHX-WoeRNrE (wie Anm. 6), Abb. 21 und 22, C. 36 und 37. - Vg1 Abb. 3. des BeiiiaSs von H I ~ R T M ~ T KUGLER, in diesem Band S. 356 .

144 Anna-Doroibce V. den Brinokcn

auf der Hand, auch hier eine Großvorlage zu vermuten, zumal die Bilder recht gelungen sind, während die Legenden viele Flüchtigkeiten und Schreibfehler aufweisen. Die

-en des B i ldk~nze~ t ion steht der Ebstorfer Karte nahe, aber zweifellos auch derjeni, Rotulus von Vercelli, während die Karte des Heinrich und die von Hereford eine etwas andersartige Ausformun- ieigen. *. -

Die Karte von Ver~ei l i '~ , die hier melirfach erwähnt wurde, müßte sorgfältig analy- siert werden, doch ist dies auf Grund des schlechten Erlialtnngszustandes kaum mehr möglicli. Offen bleibt hier die Fragc nach einem möglichen Einfluß des Genrasius von Tilbury. Das erhaltene Namenmaterial der Karte zeigt Schwerpunkte in Südfrankreich, Italien wie Spanien, aber aucli in Deutschland und den Britischen Inseln; vieles mag ans einer zur Verfügung stehenden Tradition übernommen sein, man bediente sich aller Aussagen, die greifbar waren''.

Die Hereford-Karte hat Richard of Haldingham zuin Scliöpfer, der um 1276-1305 belegt ist. Sie faßt die Typika der angelsächsischen Kartentradition zusammen und ist für den Vergleich wichtig. Zeitlich gehört sie ans Ende, stofflich ist sie sehr antik geformt.

C. Schiuß: Zusammenfassung

Die Ebstorfer Weltkarte steht mit ihren Textaussagen - und das war für das 13. Jahrhundert nicht anders zu erwarten - primär noch in der Tradition Isidors von Sevilla, erweitert durch seine hochmittelalterlichen Nachfolger wie Honorius und Gervasius. Hier kommt es gewissermaßen textlich zur Vereinigung iberischer und angelsächsischer Kartographie in der scrzptura. Dies beweisen auch die verwendeten Anglizismen und Germanismen. Das Kartenbild zeigt deutlich die Spuren des Beatus von Liibana sowie der hochmittelalterlichen Hieronymus-Karten, steht außerdem besonders der Psalter- karte nalie, desgleichen wohl auch dem Rotulus von Vercelli, zu Heinrich von Mainz und zur Hereford-Karte ist die Verwandtschaft etwas weitläufiger. Ein angelsächsischer Einfluß dominiert sicher, doch ist das zwangsläufig auch dadurch bedingt, daß die festländische Kartographie nichts Vergleichbares an die Seite zu stellen hatte: Guidos von Pisa Karte war keine Kopie wert, Lambert von Saint-Omer widmete seine kunst- volle Darstellung vor allem naturwissenschaftlichen Phänomenen. Die Ebstorfer Karte aber ist in ganz ausgeprägtem Sinne Geschichtskarte, Projektion von Schauplätzen aller Zeiten auf die begrenzte Pergamentfläche der Karte: Siedlungen stehen im Mittelpunkt des Bildes.

Hier stellt sich die Frage, wie man sich das Zustandekommen von Beziehungen mittelalterlicher Karten, insbesondere Großkarten, vorzustellen hat. Bücher wurden

-e Karten waren von Stift zu Stift, von Kloster zu Kloster ausgelielien, aber überformati,

" Vgl. Anm. 13; ihr wie auch den Daiiemngsfragen im allaeineinen ist eine eingeliendere Studie gewidmet in Imago Mundi 42, 1990, S. 9-25: Monumental Legendr on Medieval Manusciipi Maps. Notes on designed capiral lcrrers on maps of large size (Demonsrrared fiom the of dating the Vercelli Map, 13th cenrury).

"Die Möglichkeii einer Späidatiemng unter Philipp 111. nacli 1270 kann auch CA PELL.^ (wie Anm. 13) nicht nusschlieRen.

Vcrhältnix zzi'r ipanirchen xnd angciiächsiichen Weitkartentradition 145

gegebenenfalls enormem Verschleiß ausgesetzt, wie man aus der Überlief~rungs~e- schiclite der Portolankarten weiß. Vermutlich waren große Karten im Mittelalter ,,von der Fernleihe ausgeschlossen", vielleicht auch nicht, und dann wäre hier die Ursache zu suchen für ihre spärliche Zahl heute. Falls die Karten ihren ständigen Platz in der Kirche oder in den Schul- und Versammlnngsräumen geistlicher Institute hatten, d.h. Andachts- und Lehrzwecken dienten, müßten Interessenten regelrechte Wallfahrten zu ihnen unternommen haben. Doch davon ist kein Wort überliefert, zumindest hielt man dies nicht für bemerkenswert für die Nachwelt. Wir nlissen bei den eilialiencn Karten mitnichten, da13 sie dem Mittelalter irgendwie als besondere Attraktionen erschienen wären, aucli wenn das argr~nzentum e silentio noch nicht unbedingt fur das Gegenteil spricht.

Beim Kopieren ging man besonders gewissenhaft vor, hielt sich strikt an Vorbilder. Daher ist zwar ein teninus post quem leicht zu bestimmen, nicht jedoch ein tennkus ante quem. Solange man keinerlei Vermessungstechniken kannte - wie sie etwa die Verwendung des Kompasses für die Portolankarte bereits mit sich brachte -, war die Erstellung zuverlässiger Kopien eine schwere Aufgabe. Mithin ist die Benutzung der Großvorlagen zum Zwecke der Kopie gar nicht problemlos nachzuweisen; aucli der beste Maler konnte Abweichungen nicht ganz vermeiden. Die Zahl großer Vorlagen ist nicht mehr zu erschließen, ebensowenig ist ein Nachweis von Agrippa-Karten möglich; gerade hier ist durchaus denkbar, da8 auch die mittelalterlichen Zeichner dieses Werk nur aus den Texten späterer Kommentatoren kannten wie wir heute. Schließlicli bleibt die Frage nach der Zutat des einzelnen Kopisten offen, auch wenn diese damals nicht als Vorzug galt wie heute. Technische Anweisungen zum Kartenzeichnen sind nicht auf uns gekommen, ebensowenig weiß man von Kartenflorilegien, die es durchaus gegeben haben mag. Gerade die Großkarten bleiben letztlich ein faszinierendes Rätsel. Mög- licherweise entstanden sie wirklich - wie es Vincenz von Beanvais4' sagt - zum Lobe Gottes als Form von Liturgie, Gott zur Ehre, nichr so sehr den h'litbrüdern zum Studium.

Der Prozeji) der Aktualisierung Polens und Osteuropas im Verständnis der gelehrten Kreise des 13. ~ahrhunder ts (mit besonderer BerücksichtLgung der Otia imperialia des Gernasius von Tilbury und der Ebstoyfer Weltkarte)

Jerzy Strzelczyk

I .

Im 10. und 11. Jahrhundert begann allmählich das politische und ethnische Antlirz Europas die Gestalt anzuneliinen, die sich stärker als früher der heutigen Kartc der Nationen uiid Staaten Europas annäherte. Zwischen den neuen Völkern und Ländern an den skandinavisclien, ostmittcl-, ostcuropäisclien und balkanischen Peripherien des Kontiiiciits befand sich auch der Staat der Piasten, also der polnische Staat. Das Tcrrito- rium dieses Staates, die Gesellschaft, die politiscl1e Struktur und das Sozialgefiige, die Spraclic seiner Bewohner, sein Brauclituin, waren der zivilisierten Welt eine vollkom- men unbekannte Größe.'

Das betrifft selbst die geographischen Vorstellungen, die in1 Gegensatz zu den labilen etlinisclien und politischen Faktoren ini wesentliclien iinverändert blieben. Im Verlauf der tausendjährigen Entwickliiiig des antiken geographischen Denkens (seit Homer, spätesteiis aber seit Herodot) bis auf Ptolomäus, hat die Erfahrung der mediterranen Welt vicl geleistet, uni auch die Gebiete des damaligen Noidosr-Europas kcn~icnzulei-- nen. Es wurde nicht nur eine große Mence von Detailinformationen gesammelt, son- dern auch ein gcwisscs Anschai~ungss~steni entwickelt.

Den Verlauf der .ersten (antiken) Entdeckiing Europas",' auch seincr östlichen Peripherie, inüssen wir hier natürlich beiseite lassen, nur darauf hinweisend, daß es im

I . Luiii PiozeR des Staaiswerdciis Polens s. vor allem HENPYX Lom&finNsxi, Poc~.+rki Polski, Bd. I-VI, \Varrznwa 1963-1985. - Jur.iuiz Rn~r>.~r :n , La foniiarion er !es struciuren dc I'Etni polotiais du Xe jusqu'au XIle siecle, in: Gli Slavi occidenrali e ineiidionali ncll'alio niedioero, T.I. (=Serciinane di Studio del Cenrro lialiano di Stiidi sull'Alio ~Mediocvo, 30), Spoieto 1985, S. 201-245. VgI. auch den Saniiiielbaiid I.'Europe aus iXe-Xlc sikle, Vaisovie 1968. \'%I. M n i i i i ~ NINCK, Die Entdeckung von Luropn durcli die Giiccheii, Basel 1945. Zur antiken Geo- und Erlinogiapliie, mic besonderer Beriicksichcigung der nördlichen und öscliclien Peripherie, bcson- ders: K ~ n u s E. MUL.I.EII, Gesciiichre der anriken Etlinographie und erhnologischeii T l ie~r ieb i ldun~ von den Arifängen bis auf die byzantinischen Historiographen, Teil 1-11, Wiesbaden 1972-1980. Analysen der anciken Zeugnisse über Miiiel- iind Osrcuiopa: KAZ~MIEKZ TYMLENIECXI, Zieinie