Herber Ritter

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INSTITUT FÜR MARKEN- ENTWICKLUNG GRAZ Am 20. November 2009 STUDIE „WAS LERNEN SIE GERADE?“ IM GESPRäCH MIT HERBERT RITTER, M&R HOLDING

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Wenn Unternehmen eine besonders komplexe Aufgabe im Bereich der Automation vor sich haben, darf man davon ausgehen, dass in kürze Herbert Ritters Telefon läuten wird. Der Boss von M&R-Automation hat sich mit seiner Firmengruppe in 20 Jahren zum weltweit gesuchten Troubleshooter seiner Branche entwickelt. Und darüberhinaus auch noch weitere Standbeine geschaffen, die das Unternehmen zu einem der innovativsten des Landes machen. Herbert Ritter im Interview über die Freiheiten des Unternehmerstums, über die reinigende Wirkung der Krise und über die Effizienz als Unterrichtsgegenstand.

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INSTITUTFÜRMARKEN-ENTWICKLUNGGRAZ

Am 20. November 2009

STUdIE „WAS LERNEN SIE GERAdE?“IM GESpRäCh MIT hERbERT RITTER, M&R hoLdING

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Wenn Unternehmen eine besonders komplexe Aufgabe im Bereich der Automa-tion vor sich haben, darf man davon ausgehen, dass in kürze Herbert Ritters Telefon läuten wird. Der Boss von M&R-Automation hat sich mit seiner Fir-mengruppe in 20 Jahren zum weltweit gesuchten Troubleshooter seiner Branche entwickelt. Und darüberhinaus auch noch weitere Standbeine geschaffen, die das Unternehmen zu einem der innovativsten des Landes machen. Herbert Ritter im Interview über die Freiheiten des Unternehmerstums, über die reinigende Wir-kung der Krise und über die Effizienz als Unterrichtsgegenstand.

Franz Hirschmugl: Was ist Unternehmertum?

Herbert Ritter: Unternehmertum ist im Unterschied zum Unselbständigen, dass man

gewisse Gestaltungsmöglichkeiten hat, die man sich frei herausnehmen kann. Und dass

ich für jede Aktion, die ich setze, auch eine Verantwortung trage. Diese Verantwortung

spiegelt sich immer in Geld wider. Ich bin mehr oder weniger erfolgreich. Es kann sein,

dass man ein schönes Leben führen kann, aber auch, dass man im schlechtesten Fall im

Konkurs landet.

FCH: Was sind die drei wesentlichsten Eigenschaften von Unternehmertum?

HR: Innovation. Trotzdem aber eine gewisse Disziplin zu haben und etwas zur Umset-

zung bringen. Und die gewisse Leidenschaft dahinter.

FCH: Wie kommen Sie persönlich zur Innovation? Wie geht das?

HR: Sich kritisch mit gewissen Themen auseinanderzusetzen. Im Team, mit den Kollegen

neue Ideen, neue Technologien, neue Kombinationen aus bestehenden Technologien zu

bilden und daraus ein innovatives Produkt zu kreieren. Innovation entsteht ganz un-

terschiedlich. Es kann sein, dass es im alltäglichen Leben ist, wo man sagt, da wäre jetzt

Handlungsbedarf, das könnte man auch anders machen bzw. es entsteht teilweise aus lau-

fenden Projekten. Wir haben von Kunden Projekte im Haus, wo wir dann Möglichkeiten

der Verbesserung sehen bis dahingehend, dass wir dem Kunden einen Vorschlag machen

und sagen: da schau her, wir könnten uns das ganz anders vorstellen, das wäre einfacher,

günstiger.

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FCH: Habt ihr diese Innovationen institutionalisiert oder passieren die im laufenden

Prozess?

HR: Nein. Wir sind jetzt dabei, das ein bisschen mehr zu fokussieren. In den letzten 20

Jahren ist das einfach entstanden. Diese ganzen Themen, die ich Ihnen früher aufgezählt

habe, sind nicht von mir nix dir nix gekommen, sondern der eine ist eben dort weg, der

hat dort bei der GAW gearbeitet, ist dann zu BT, so sind wir zur BT gekommen, über ein

Projekt von der Magna sind wir irgendwann zu BMW gekommen. Dort haben wir immer

wieder ähnliche oder überlagernde Aufgabenstellungen bekommen. Und so hat sich unser

Produktportfolio erweitert. Was jetzt unser Vorteil ist, weil aufgrund des breiten Produkt-

portfolios, das Sie gesehen haben, ist immer irgendwo eine Arbeit da.

Wir haben jetzt drei Fokusse: das sind Bildverarbeitung, Prozessindustrie, Montage- und

Prüftechnik. Das sind die drei Hauptstoßrichtungen. In jeder dieser Stoßrichtung gibt es

einen Geschäftsführer und ein Management, die sich mit neuen Ideen beschäftigen.

FCH: Ich stelle mir das bei euch vor wie ein Kristall, der wächst.

HR: Daraus ergeben sich wieder sehr viele neue Ideen und Kreationen und von Zeit zu

Zeit müssen wir das natürlich wieder kanalisieren. Sonst wird der Kristall zu groß.

FCH: Sagen Sie mir bitte etwas über die Disziplin. Was genau heißt Disziplin?

HR: Disziplin heißt: Es gibt sehr viele kreative Köpfe, aber von der Zielsetzung bis zur

Innovation, Umsetzung ist ein langer Weg. Da muss man eine gewisse Disziplin einhal-

ten. Einerseits, dass man in der Fokussierung bleibt und nicht Hunz und Kunz betreibt.

Und dass man das, was man sich vorgenommen hat, in einem schlanken, sauberen System

durchzieht. Da gibt es Leute, die sprühen vor Ideen, dann muss das Ganze in eine um-

setzbare Form gebracht werden. Dafür gibt´s immer zwei hauptverantwortliche Personen.

Einer, der kreativ ist und einer, der der Umsetzer ist.

FCH: Sind die ein Kreativer in Ihrem Tun?

HR: Eher weniger. Da ist eher mein Kollege der Kreativere. Ich schau, dass das alles in der

Qualität, in der Zeit, in den Kosten über die Bühne geht.

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FCH: Es ist kein Zufall, dass bei Ihnen das Controller-Wörterbuch steht.

HR: Es gibt zwei Arten von Controlling. Es gibt ein kaufmännisches Controlling, das ist

das, was jeder macht: Kostenstellenrechnung, Projektcontrolling von den Kosten her. Und

es gibt ein technisches Controlling mit der Frage „Muss das so sein, wie es ist?“. Da ist

z.B. alles unter dem Tisch eingebaut, das heißt, braucht dann optisch nicht so viel her-

geben. Was können wir einfacher machen, um dieses Ziel zu erreichen? Denn der Kunde

zahlt ein Ergebnis und nicht den Prozess. Er will ein Ergebnis haben und es führen halt

viele Wege nach Rom. Und das ist für mich ein genauso oder noch wichtigeres Cont-

rolling. Techniker neigen sehr stark dazu, die perfekte Anlage zu bauen mit den tollsten

Messgeräten usw. und dann schießt man halt oft am Ziel vorbei. Da sind oft Sachen

drinnen, die ich gar nicht brauche. Bringe ich mit einem Mercedes ein Packerl nach Wien

oder kann ich das auch mit einem Skoda? Techniker sind da eben verspielter. Der möchte

sich alle Möglichkeiten offenlassen. Nehmen wir halt das bessere Messgerät, weil das kann

ja das auch noch.

FCH: Sagen Sie mir etwas über die Leidenschaft. Der dritte Aspekt, den sie genannt

haben.

HR: Wenn sie aus Leidenschaft Journalist sind und Ihnen das Spaß macht und sie in

dem Beruf aufgehen, dann sind Sie erfolgreich. Man muss Techniker sein, man muss in

seiner Arbeit aufgehen. Wenn man nur hergeht und Stunde mal Stundensatz rechnet, was

man mit diesem Einsatz verdient – ich meine das aus persönlicher Sicht – dann ist man

vielleicht falsch. Man muss eine gewisse Vorleistung erbringen. Man muss aus Leiden-

schaft eine Aufgabe erfüllen, weil sonst muss ich mir einen anderen Job suchen, wo ich

die Überstunden bezahlt bekomme. Man macht ja leider im Projektgeschäft auch immer

wieder Erfahrungen, die mit Schmerzen verbunden sind, wenn irgendetwas nicht so geht,

wie man möchte.

FCH: Hat sich in den letzten 20 Jahren die Leidenschaft der Mitarbeiter verändert? War

das schon besser, war das schlechter?

HR: Kann man nicht vereinheitlichen. Wir sind aus dem Pioniergeist bereits heraus. Am

Anfang jeder Firma haben Sie Schlüsselfiguren, die mit einem gewissen Pioniergeist dabei

sind, die das Ganze wachsen gesehen haben. Wenn jetzt Leute sich bei uns bewerben

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und anfangen, dann haben die von dem ursprünglichen Leidensweg und der Leiden-

schaft keine Kenntnis mehr. Dadurch sind Leute, die seit 15 oder 20 Jahren dabei sind,

mit einer anderen Begeisterung und Leidenschaft dahinter und sehen nicht nur den Job,

sondern auch das, was man gemeinsam geschaffen hat. Und der Erfolg einer Firma liegt

nur im Team. Eine Person allein kann gar nichts machen. Es steht und fällt alles mit der

Gemeinschaft und mit dieser Leidenschaft, die eingebracht wird. Wenn das nur als Job

gesehen wird, dann schafft man auch diese Innovation nicht, weil dann nur der Job im

Vordergrund steht und nicht die durch die Leidenschaft entstehende Innovation. Mit

allen positiven und negativen Seiten, die es dabei gibt. Was ich momentan sehe, ist so ein

bisschen der Einfluss, wie er in Nordamerika herrscht. Ich suche mir einen Job, und wenn

ich irgendwo ein besseres Angebot bekomme, dann wechsle ich. Diese Firmenloyalität ist

nicht mehr so ausgeprägt wie es früher einmal war.

Ich habe fünf Jahre bei Siemens gearbeitet. Mein Vater hat gesagt: „Bist du wahnsinnig,

von der Siemens weggehen. Ein sicherer Job.“ Das ist auch ein Thema bei uns, warum wir

versuchen, ein bisschen stärker in die Öffentlichkeit zu kommen, um zu zeigen, welche

Möglichkeiten die jungen Leute bei uns haben, sich zu entfalten. Wenn jemand in einen

großen Konzern geht, dann ist er genau in der Abteilung für das zuständig und das war´s

. Wenn Sie nicht bekannt sind, weil wir nur für die Zulieferindustrie tätig sind, kommen

wir nie mit Endkunden in Berührung. Und dadurch, dass wir nie mit Endkunden in

Berührung kommen, sind wir in der Öffentlichkeit sehr unscheinbar. Damit Sie zu guten

Leuten kommen, brauchen Sie eine gewisse Aufmerksamkeit. Denn wenn Sie jetzt sagen,

Sie arbeiten für AVL List, dann wird jeder sagen: Hochtechnologiefirma, muss ein toller

Job sein. Wenn Sie sagen, sie arbeiten für M&R, kann das genauso ein interessanter Job

sein, nur ist unsere Firma nicht so bekannt. Darum ist es wichtig, dass man da auch ent-

sprechende Aktivitäten setzt.

FCH: Halten Sie Neugier für eine wesentliche Eigenschaft, die Sie persönlich brauchen?

HR: Sicherlich. Ich bin sowieso von Haus aus ein neugieriger Mensch. Ich bin, glaub ich,

auch relativ kritisch, hinterfrage auch sehr viel. Dadurch entstehen gewisse neue Ideen,

neue Produkte, aus Neugier heraus. Wie lauft das, wie funktioniert das, wie sinnhaft oder

nicht sinnhaft ist etwas?

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FCH: Warum sind Sie Unternehmer geworden?

HR: Es war eigentlich kein Traum, sondern ich wollte einfach mehr machen. Ich habe

einen Zweitjob gehabt, weil ich sehr an Technik interessiert bin, und dort die Möglichkeit

bekommen habe, mich weiter zu entfalten. Beide Jobs haben meine ganze Aufmerksam-

keit in Anspruch genommen. Bei dem einen Job hab ich gesehen, dass ich mich selbst

weiterentwickeln kann. Beim anderen Job hab ich gesehen, dass ich gewisse Struktu-

ren hab, an die ich mich halten muss und dass ich nur gewisse Selbstverwirklichungs-

Möglichkeiten habe. Durch die Möglichkeit, dass ich dort nebenberuflich beginnen

habe können, hat sich das dann ergeben. Als wir zu zweit, Gerhard Maitz und ich, in

die Selbständigkeit gegangen sind, hat jeder seinen Bereich gehabt. Gerhard Maitz hat

sich mit Automation X, mit der Prozessleittechnik beschäftigt und ich mit Steuerungs-,

Maschinenbau- und Prüftechnik. Und damit haben wir gesagt, ok, wir starten mit Aufträ-

gen in unser Berufsleben, wir haben zwei Bereiche, die unabhängig von einander sind, wo

wir uns auch wirtschaftliche Unabhängigkeit schaffen können. Einmal ist dort mehr, und

dort weniger, das gleicht sich aus. Und das hat sich in der Vergangenheit auch bewiesen.

Einmal war der Bereich stärker, einmal der andere. Und so hat man sich hochgearbeitet.

FCH: Das heißt, Sie haben kein unternehmerisches Gen in Ihrer Familie?

HR: Nein, überhaupt nicht.

FCH: Mit wem müsste man reden, um mehr vom Unternehmer Ritter zu begreifen?

HR: Langjährige Freunde. Wir haben erst vor kurzem ein Klassentreffen gehabt – 25 Jah-

re Bulme. Das sind Kollegen, mit denen man zusammen aufgewachsen ist.

FCH: Wenn ich beim Klassentreffen dabei gewesen wäre, was hätten die Schulkollegen

über Herbert Ritter und über sein Unternehmen gesagt?

HR: Dass sie das nie geglaubt hätten. Dass ich schnell begreife und eine gewisse Dynamik

habe, aber, ich hätte es selber nicht gedacht, wir haben damals gesagt: klein aber fein. Da

waren 16 Programmierer, wie beschäftigt man 16 Leute? Inzwischen haben wir 370 Leute

plus eine Menge Fremdfirmen, die wir beschäftigen. Die Grenzen verschwimmen dann.

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FCH: Was ist im Moment die größte Herausforderung für M&R?

HR: Das kann man nicht für alle drei Firmen gleich sagen. Im Maschinenbau gilt es, die

Produkte so darauf abzustimmen und den neuen Gegebenheiten anzupassen, d.h. ein-

fachere Bedienung, geringere Komplexität bei weit höheren technischen Anforderungen

und eine Kostenstruktur zu schaffen, um mit dem aufstrebenden asiatischen Markt mitzu-

halten. Da ist Korea und China gemeint.

FCH: Ist das etwas, was im letzten Jahr beschleunigt wurde, oder ist eh schon gleichmäßig

eine Anforderung an das Unternehmen?

HR: Das ist eine Anforderung, die gleichmäßig entsteht. Das hat mit der Wirtschaftskrise

nur so weit was zu tun, dass wir mit der Krise wieder auf den Boden der Realität gekom-

men sind. Wir als Mitteleuropäer. Aufgrund dieses Wirtschafts-Hypes ist es zu einem

extremen Engpass am Technikersektor gekommen. Es hat in der ganzen Zulieferkette von

der Lohnfertigung bis Sonstiges extreme Preisverteuerungen gegeben.

Der ganze Materialzukauf ist teurer geworden. Durch die Geschwindigkeit sind automa-

tisch die Kosten mitgestiegen. Und man hat nicht mehr so viel nachgedacht über mach-

bare, hebbare Potenziale. Weil es nur wichtig war: raus, raus, raus. Koste es, was es wolle.

Der Liefertermin ist heilig. Da waren extreme Lieferengpässe.

FCH: Worüber wurde weniger nachgedacht?

HR: Wie kann ich etwas einfacher machen, wie kann ich etwas sparen. Es ist einfach

gesagt worden: Ich muss das jetzt zusammenbauen, ich kauf das gleich alles fertig. Das

passt zwar nicht so genau. Oder, wir nehmen gleich die fertige Konstruktion. Das ist zwar

ein Overkill für das, was ich hier brauche, aber das geht schnell. Egal, Hauptsache, wir

können liefern. Weil die Preise geben´s eh her.

Das gilt für alle, am ganzen Markt. Schauen Sie die Autos an. Ein kleines Auto, z.B. ein

Toyota Yaris, hat 14.000 Euro gekostet. Heute kriegen Sie ein Auto um 9.000. Sie kriegen

heute auch den Yaris um 15 Prozent billiger.

FCH: Was ist die Nachricht davon?

HR: Dass aufgrund der Wirtschaftskrise wieder alle begonnen haben, nachzudenken. Und

wir einfach wieder konkurrenzfähiger zum asiatischen Markt werden. Die haben eine ganz

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andere Kostenstruktur. Uns ist die Kostenstruktur explodiert durch diesen Hype. Gehalts-

vorstellungen in astronomischen Maße, Überstunden usw. Das hat den Preis nach oben

getrieben. Wenn ich alles mit Überstunden machen muss, dann habe ich schon mal um

50 % höhere Lohnkosten.

FCH: War das bei euch im Haus so?

HR: Sicherlich. Aufgrund des starken Booms und des Wachstums und des geringen Tech-

nikeranteils. Allein Magna hat im Entwicklungscenter 700 Techniker aufgenommen.

Ja, und das treibt natürlich den Preis. Nachfrage und Angebot treibt den Preis.

Wenn Sie jetzt ein Teehäferl haben oder Ihren Player. Je höher die Nachfrage, desto höher

können Sie mit dem Preis raufgehen. Das geht aber in der ganzen Kette nach hinten. Das

heißt nicht, dass Sie jetzt um das mehr verdienen, sondern es wird auch alles teurer, was

Ihnen zugeliefert wird. Weil alles immer mehr Mangelware wird. Jetzt, wo ein Überfluss

da ist, geht der Preis dementsprechend runter, weil jetzt gibt es vier Anbieter, die Ihnen

das gerne liefern würden. Und die machen jeden Preis, damit sie zu einem Auftrag kom-

men. Und die Krise ist bei weitem noch nicht durchgestanden.

FCH: Davon bin ich überzeugt. Ich merke an Ihnen kein so großes Entsetzen darüber.

Das ist schon eine homöopathische Reduktion, die mal notwendig war.

HR: Genau. Um von einem Gipfel zum anderen zu kommen – der Ludwig Hirsch hat ge-

sagt – muss man durch´s Tal gehen. Wenn ich nicht einmal runterkomme, werde ich das

nächste Obere nicht genießen können. Es geben sich daraus wieder neue Möglichkeiten.

Wenn ich den Einbruch nicht habe, geht wieder Innovation verloren. Wenn ich immer

nur erfolgreich bin, warum soll ich mich dann verbessern.

FCH: Wie stark spürt ihr die Krise?

HR: Minus 30 Prozent, wie alle. Wir haben aber sehr viele Fremdfirmen beschäftigt

gehabt, ob das Konstruktionsbüros, Planungsbüros, Leiharbeiter waren. Die haben wir

natürlich wie jeder andere als erstes abgebaut.

Das heißt für unseren Stamm haben wir genügend Auftragsvolumen. Und jetzt investie-

ren wir sehr viel in Ausbildung und neue Entwicklungen, auch die Zeit jetzt absolut zu

nutzen, um für den nächsten Anstieg wieder gewappnet zu sein. Ob das jetzt 3-D-Kons-

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truktionstechnologien sind, ob das neue Technologien in Elektroplanung sind. Aufgrund

der vielen Arbeit ist die Ausbildung sehr stark nachgehinkt. Weil, wenn Sie eh schon zu

wenig Leute haben und um fünf mehr bräuchten, als Sie haben, dann können Sie nicht

nachdenken, wie Sie die Leute ausbilden, sondern das ist Learning by doing. Und jetzt

werden die Grundlagen wieder nachgefasst. Jetzt lernen wir wieder, warum wir gewisse

Sachen gemacht haben, die wir eigentlich nur gemacht haben, weil wir sie jetzt am Tisch

gehabt haben.

Wir gehen jetzt wieder in die Tiefenausbildung, um die Basis wieder stärker zu stärken.

Die Technologiebasis zu stärken, die wir teilweise zugekauft haben.

FCH: Ihr Unglück über die Krise ist nicht 30 %?

HR: Nein, unser Unglück ist 10 %. Es ist nicht lustig, aber man muss damit umgehen

lernen. Und das ist nicht die erste Krise. Da gab es schon 1991, 1997, 2001 und 2009.

Man lernt, mit den Höhen und Tiefen zu arbeiten. Und jedes Tief war wieder die Ba-

sisbildung, die Bildung für den nächsten größeren Schritt. Wir sind immer relativ kon-

stant geblieben und dann sind wir wieder stark gewachsen. Da haben wir wieder unser

Grundstruktur neu aufgestellt, unsere Organisation den Gegebenheiten neu angepasst,

unser Projektmanagement verbessert usw. Momentan nutzen wir die Zeit, um uns tech-

nologisch bildungsmäßig, organisatorisch neu zu festigen, um für den nächsten Ansturm

gewappnet zu sein, nur in einer anderen Dimension. Früher sind wir von 10 Mio. auf 20

Mio. gestiegen, dann von 20 auf 40 Mio. Euro Umsatz und jetzt richten wir unsere Basis

darauf aus, dass wir die nächsten Wachstumsschübe wieder sehr gut verkraften.

FCH: Was ist Ihr persönliches Learning im letzten Jahr? Was lernen Sie gerade, was Sie

vorher noch nicht gewusst haben?

HR: Es gibt bittere Erfahrungen, wenn eine gewisse Auftragslage nicht da ist, wenn ich

Partner, Kollegen, Mitarbeiter nicht mit Arbeit versorgen kann und mich von dem ei-

nen oder anderen trennen muss. Wo man sehr viel Mühe und Arbeit hineingesteckt hat,

um in der Zeit der Hochkonjunktur und des Personalmangels aufzubauen, dass man

sich trennen muss von gewissen Leuten. Wenn ich einem Bereich zu geringe Auslastung

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habe, dann kann ich nicht Mitarbeiter weiter beschäftigen. Ich muss die Firma ja gesund

erhalten. Ich kann ja nicht zu stark ins Negative gehen. Das habe ich auch zu Beginn der

2000er Jahre in Kanada gelernt, wo die Krise viel früher eingetreten ist, wo wir Personal

auf Reserve gehalten haben, wo die Wirtschaft aber nicht angezogen hat. Das hat dann

wirklich viel Geld gekostet. Und dann musst dich erst trennen – doppelt sinnlos.

FCH: Was ist das Learning jetzt?

HR: Das Learning ist jetzt, dass man sehr rasch reagiert auf die Veränderungen und dass

man sich den veränderten Situationen anpasst. Keine Sentimentalitäten und keine Jam-

merei. Es hilft ja nichts. Das Leben geht ja weiter. Das heißt jetzt nicht, dass man ein

liebloser Mensch ist, sondern man muss sich einfach dem anpassen und jeder hat seine

Aufgabe zu erfüllen. Und wenn es Leute gibt, die sich nicht anpassen wollen, oder so tun,

als ob eh noch alles eitle Wonne wäre, dann muss man sich mit den Leuten auseinander

setzen und sie darüber in Kenntnis setzen, dass jetzt andere Zeiten sind. Und dass gewisse

Sachen nicht mehr möglich sind, die vielleicht noch vor zwei Jahren möglich waren. Dass

wir jetzt nicht mit einem VW Passat fahren, sondern vielleicht mit einem Oktavia fahren.

Dass man halt einen kleineren PC hat. Dass man bei gewissen Sachen jetzt kürzer treten

muss. Dass ich nicht Überstunden machen kann, wo keine sind, nur weil ich mich daran

gewöhnt habe, dass ich im Monat 40 Überstunden bezahlt bekommen habe. Ich muss ja

sofort die Luken dichtmachen. Wenn das große Gewitter kommt, kann ich ja nicht bei

offenen Fenstern dasitzen und mich dann wundern, wenn der Fußboden unter Wasser

steht.

FCH: Erstaunt Sie die Reaktion der Leute? Oder ist es eh logisch?

HR: Es erstaunt mich immer wieder in unterschiedlichen Bereichen. Gar nicht so bei

den Arbeitern, sondern eher im Angestellten- oder im höheren akademischen Bereich, die

eigentlich auch Zeitung lesen, aber die Realität doch ein bisschen verdrängen. Wir haben

keinen klassischen Arbeiterbereich. Wir haben 50 bis 60 Arbeiter, aber die meisten haben

eine Meisterausbildung, sind sehr hoch gebildet. Bei den Anlagen, die wir bauen, fangen

wir mit einem normalen Elektriker oder Schlosser nichts an. Das heißt, das sind schon

Leute, die ein bisschen mehr mitdenken, die nicht am Förderband arbeiten oder jeden

Tag eine Hausinstallation machen oder was immer gleich ist. Sondern die haben jeden

Tag andere Herausforderungen, andere Maschinen und sind es gewohnt, sich an neue

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Anforderungen anzupassen. So sind die Leute auch im Persönlichen, weil er gewohnt

ist, sich anzupassen. Eines ist im Arbeiterbereich auch, dass viele im Arbeiterbereich in

der Schattenwirtschaft tätig sind, und eigentlich gar nicht unglücklich darüber sind, dass

einmal nicht so viel Arbeit in der Firma ist, dass ihre ganzen Freunderlarbeiten einmal

aufgearbeitet werden können. Bei denen, die Firmenloyalität haben, die schrauben sofort

zurück. Die, die keine Firmenloyalität haben, die arbeiten mit den Überstunden weiter

bis ihm einer auf die Finger klopft und sagt: „Das brauchen wir erst in zwei Monaten,

warum machst du das schon für nächste Woche fertig, mit Überstunden? Es ist ja kein

Bedarf.“

FCH: Herr Ingenieur, wenn ich Sie für zwei Minuten zum Unterrichtsminister machen

würde, welchen Schulgegenstand würden Sie einführen?

HR: Zwei Sachen einmal. Eins, Lernen zu lernen, das logische Denken wieder hervorzu-

kehren und was für uns als Mitteleuropäer wichtig ist, Effizienz zu lernen. Wir müssen

uns mit allen unseren Wettbewerbern messen, und weil wir in einem besseren Wohlstand

leben wollen und ein höheres Gehalt wollen, müssen wir eine höhere Effizienz bringen,

um das Gleiche herzustellen.

FCH: Wie würde der Unterrichtsgegenstand „Effizienz“ mit Prof. Ritter ausschauen?

HR: Ich sehe es bei meinen Kindern. Es geht darum, mit ihrer Zeit, ob das privat oder

sonst was ist, effizient umzugehen. Einmal spiele ich, einmal lerne ich, oder lese ein Buch.

Und ich sitze nicht nur vor dem Fernseher und lasse mich sinnlos berieseln. Das heißt

nicht, dass sie immer was lernen müssen, sondern dass sie Fußball spielen gehen, Tennis

spielen gehen, etwas Sinnvolles in der Freizeit unternehmen. Wenn ich ein gutes Zeitma-

nagement habe, geht sich das leicht aus.

FCH: Welche Eigenschaften müssen unsere Kinder haben, die wir zwei nicht brauchen?

Wenn die in 10 oder 15 Jahren in ein Unternehmen kommen.

HR: Mobiler werden sie sein müssen. Es wird einfach immer globaler.Und mehr Sprach-

kenntnisse. Auch anderen Religionen und Ideologien offener sein – kulturell aufgeschlos-

sener sein. Kulturelle Aufgeschlossenheit und ein gewisse Mobilität und damit verbunden

Sprachkenntnisse. Die Aufgeschlossenheit wird noch viel wichtiger sein.

FCH: Danke für das Gespräch.