Herkunft - USA - Credit Suisse · April /Mai 2011. Herkunft. Alles eine Frage des Zeithorizonts....

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/ Seit 1895 das Magazin der Credit Suisse Schweizer Ausgabe /Deutsch Nummer 1 April/Mai 2011 Herkunft Alles eine Frage des Zeithorizonts Branchenhandbuch Kurzarbeit bewährt sich in der Krise Nouriel Roubini Der US -Starökonom im exklusiven Leader-Interview Dossier Immobilienanlagen Nachhaltiges Bauen ist auch in der Schweiz das Gebot der Stunde

Transcript of Herkunft - USA - Credit Suisse · April /Mai 2011. Herkunft. Alles eine Frage des Zeithorizonts....

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    Seit 1895 das Magazin der Credit Suisse Schweizer Ausgabe / Deutsch 

    Nummer 1 April /Mai           2011

    HerkunftAlles eine Frage des Zeithorizonts

    Branchenhandbuch Kurzarbeit bewährt sich in der Krise Nouriel Roubini Der US-Starökonom im exklusiven Leader-InterviewDossier Immobilienanlagen Nachhaltiges Bauen ist auch in der Schweiz das Gebot der Stunde

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  • Editorial 1Foto: Cédric Widmer

    Gold Winner

    Gold Winner

    Preisträger

    kooabakooaba erkennt Fotos von CDs, Büchern und Zeitungen und liefert Infos aus dem Web.

    Meine Geburtsurkunde weist mich als Bürger eines kleinen Dorfes namens Ober erlinsbach im Schweizer Mittelland aus. Obwohl Erlinsbach insgesamt kaum mehr als 6000 Einwohner zählt, war es bis vor Kurzem dreigeteilt, und zwar in ein Ober- und Niedererlinsbach Solothurn und Erlinsbach Aargau. Der Erzbach, der mitten durchs Dorf fliesst, ist gleichzeitig auch die Kantonsgrenze. Immerhin haben sich auf der Solothurner Seite vor fünf Jahren die Ober- und Niedererlinsbacher zu einer Gemeinde vereint.

    Nun ist mein Vater tatsächlich auch im solothurnischen Obererlinsbach geboren und aufgewachsen. Insofern stimmten bei ihm bezüglich Herkunft Sein und offi zieller Schein noch überein. Doch kaum hatte er die Berufslehre abgeschlossen, zog es ihn in die Ostschweiz, wo er nicht nur eine gute Stelle, sondern auch seine künftige Frau fand. Auch wenn er sich am Anfang wegen seines unüberhörbar «fremd-ländischen» Dialektes so manche spitze Bemerkung gefallen lassen musste, fühlte er sich schon bald heimisch und hielt der Ostschweiz und letztlich St. Gallen sein Leben lang die Treue. Solche innerschweizerischen Migrationsgeschichten sind  aber noch immer die Ausnahme, erst recht über die Sprachregionen hinaus. Die Schweizer sind in der Regel stark verwurzelt in ihrer Wohngemeinde und gelten im internationalen Vergleich als ausgesprochen migrationsfaul. 

    Das tut der Attraktivität der Schweiz als Immigrationsland aber keinerlei Abbruch. Vergleichsweise gute Löhne und ein hoher Lebensstandard bei gleichzeitig tiefer Arbeitslosenquote ziehen Jahr für Jahr Tausende ausländischer Arbeitskräfte an. Sie sind zu einem wichtigen Motor der Schweizer Wirtschaft und damit unseres Wohlstands geworden. Aber sie verursachen auch Ängste: Gemäss dem vom bulletin bereits zum siebten Mal durchgeführten Identitätsbarometer, das diesem Heft beiliegt, sehen 78 Prozent der Schweizer ihre Identität durch Einwanderung und 67 Prozent durch die internationale Öffnung bedroht. Die Schweizer scheinen vergessen zu haben, dass wir alle irgendwann einmal Einwanderer waren. Man muss bei der Ahnenforschung einfach nur weit genug zurückgehen. 

    Ein reges Kommen und Gehen herrscht im Übrigen auch bei den Tieren und Pfl anzen. So streiften im Schweizer Mittelland einst Löwen und Leoparden umher, bevor sie nach Süden abwanderten. Gleichzeitig ist das Edelweiss, das Symbol für Schweizer Alpenfolklore schlechthin, erst relativ spät von der asiatischen Hochsteppe zu uns eingewandert. Auf der Spurensuche nach der Herkunft von Menschen, Tieren und Pflanzen stösst man in diesem bulletin auf so manche Überraschung. Mir hat es gezeigt, dass Herkunft immer nur als Momentaufnahme definiert werden kann. Die Welt ist und bleibt in Bewegung. So habe ich meine eigene, amtlich beglaubigte Herkunftsgeschichte mittlerweile auch wieder aktualisiert, indem ich zusätzlich das St. Galler Bürgerrecht erworben habe. Die Obererlinsbacher mögens mir verzeihen.  Daniel Huber, Chefredaktor bulletin

  • Aus Freude an Kunst.

    Die Credit Suisse pfl egt langjährige Partnerschaften mit ausgewählten Kunstinstitutionen.So mit dem Kunsthaus Zürich, dem Singapore Art Museum und der National Gallery in London.

    credit-suisse.com/sponsorship

    L E S A M I S D U C R E D I T S U I S S E

  • Inhalt 3Coverfoto: Pia Zanetti | Foto: Pia Zanetti

    Herkunft  Neun Menschen aus sieben verschiedenen Ländern finden in Zürich bei der Credit Suisse zum  Team «Currency & Commodity Research» zusammen. Wir zeigen sie mit Dingen aus ihrer Heimat, die ihnen wichtig sind, und befragen sie zum Ur-Schweizerischen.

      4 _ Ahnenforschung Autor Till Hein hofft im genetischen Selbstversuch auf einen Tropfen Wikingerblut.

      6 _ Lebensmittel  Konsumenten wollen wissen, woher ihr täglich Brot stammt – regional wäre es ihnen am liebsten.

      9 _ Identitätsbarometer  Die Schweizer sind stolz auf ihr Land und glauben an die Stärke der Wirtschaft. 

     10 _ Schmelztiegel  Sie kommen aus der ganzen Welt, um in Zürich zu einem Team zusammenzufinden.

     26 _ Menschheit  Eine Reise Millionen Jahre zurück zu den Ursprüngen der menschlichen Baumaterialien.

     29 _ Wanderungen  Auch bei den Pflanzen und Tieren herrscht ein reges Kommen und Gehen.

    Invest

         

       

       

    10     Aktuelle Analysen und PrognosenWirtschaft

    34 _ Branchenhandbuch 2011 Kurzarbeit  erweist sich in der Krise als probates Mittel 

    39 _ Experteninterview Warum Herkunft für die Anlagestrategie so wichtig ist

    40 _ Afrika  Bodenschätze, Landwirtschaft und Mobilfunk treiben Wirtschaftswachstum an

    44 _ Nano Winzige Technologie mit riesigem Wachstums potenzial

    46 _ Schwellenländer Von der Werk  bank der Welt zum vielversprechenden Anlagethema

    Dossier

    greenproperty Nachhaltiges Bauen ist auch in der Schweiz das Gebot der Stunde 

    Credit Suisse

    50 _ World Economic Forum Konstruktive  Dia loge am Rande des offiziellen Geschehens

    53 _ Region mit Zukunft Gespräch mit Antonio Quintella, Leiter des Amerikageschäfts 

    55 _ San Francisco  Diskussionen über Inno vation, alternative Energie und Investitionen

    62 _ Ausgezeichnete Mi Zhou  Die Cellistin  gewinnt den Prix Credit Suisse Jeunes Solistes

    64 _ Haubentreffen  Das Tessin ist eine kulinarische Hochburg – das ganze Jahr hindurch

    66 _ Man Ray und Adolf Wölfli Für die Kunst nach Lugano und Bern reisen

    69 _ Uster Dank Branch Excellence ist diese Geschäftsstelle noch attraktiver geworden

    70 _ Innovation Erkenntnisse vom Swiss Innovation Forum auf dem Novartis-Campus

    71 _ Risikokapital Zehn Jahre Venture Incubator – ein Rückblick mit Chairman Pius Baschera

    72 _ Gastkommentar Für Osec-DirektorDaniel Küng ist Neuland in Sicht

    Leader

    73 _ Roger Federer Drei hektische Tage im Dienst seiner Foundation und ein ent spanntes Fotoshooting mit Mario Testino

    76 _ Nouriel Roubini Der globale Nomade überdie Weltwirtschaft, die Gier und sich selbst

    Service

    72 _ Impressum

    Ihr Link zu unserem Know-how: www.credit-suisse.com/bulletin

    http://www.credit-suisse.com/bulletin

  • bulletin 1/11  Credit Suisse

    4 Herkunft Ahnenforschung

    Foto: C Squared Studios, Getty Im

    ages

      

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    Gene lügen nicht – leiderRussische Seele? Französisches Savoire-vivre? Oder Wikingerblut in den Adern? Hobby-Familienforscher können sich bei der Suche nach ihren Urahnen von Genetikern unter die Arme greifen lassen: ein Selbstversuch.

    Text: Till Hein

    Wo meine Urururgrosseltern wohl einst gelebt haben? In Patagonien? Auf Sansibar ? Oder gleich hier um die Ecke, im St.- Johann-Quartier in Basel? Ob sie Jäger waren? Bauern? Oder Piraten?«Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart meistern»,

    sagen Historiker. Doch über die Herkunft meiner Familie weiss ich fast nichts. Vor Generationen soll in Österreich ein Grossonkel von mir gelebt haben, erfuhr ich neulich auf einem Familienfest: Er war adlig,  steinreich – und  verspielte  sein gesamtes Vermögen. Doch  vor dem Jahr 1850 ist unsere Familiengeschichte ein einziger blinder Fleck.Zum Glück scheint die Wissenschaft in Sachen Ahnenforschung 

    enorme Fortschritte zu machen. Mittlerweile gilt als erwiesen, dass jeder Mensch in seinem Erbgut (der DNA) genetische Spuren seiner Vorfahren trägt, die bis in längst vergangene Epochen der Mensch-heitsgeschichte zurückreichen. Und manche Genforscher behaupten,diese Spuren lesen zu können.

    Es war Zufall, dass  ich auf diese Methode aufmerksam wurde:Für ein Magazin sollte ich einen Artikel über die Wikinger schreiben.Als grosser Fan von «Hägar dem Schrecklichen» kam mir dieser Auf-trag wie gerufen. Bei der Recherche stiess ich im Internet auf ein Gentest-Unternehmen aus Zürich. «Sind Sie ein Wikinger ?», lockt die Firma Igenea auf  ihrer Website – und bietet diverse Tests  zur  genetischen Abklärung an. Ab 199 Franken.

    Eine solche Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen. Denn die meisten meiner Verwandten sind ruhelose Menschen, genau wie ich. Ständig packt uns das Fernweh, die Sehnsucht nach der Weite des Meeres. Und waren nicht die Wikinger die grössten Seefahrer der Weltgeschichte? Vielleicht ist die Erklärung simpel, dachte ich: Wir Heins sind ihre Nachkommen! Wikinger sind Sympathieträger.

    Hillary Clinton etwa  liebt  sie ebenfalls  heiss. Die Passion  für  die  nordischen Barbaren hat sie in die Arme ihres Mannes getrieben. «Er sah aus wie ein Wikinger »,  schwärmt die US-Aussenministerin  in ihrer Autobiografie über die erste Begegnung mit Bill 1970 in einem Studentenclub. Besonders sexy fand Hillary seinen roten Bart und die langen Haare. Einem solchen «Wikinger aus Arkansas» konnte sie unmöglich widerstehen.

    Dabei haben die echten Wikinger  im Mittelalter ganz schön  ihr Unwesen getrieben: Sie fackelten Klöster und ganze Dörfer ab, stah-len Gold und Edelsteine. «O furore Normannorum libera nos, domi-ne!», beteten die Menschen, «Bewahre uns, Herr, vor der Raserei der Wikinger !» Doch heute ist ihnen niemand mehr böse. Sie gelten als Kultfiguren: etwas tollpatschig vielleicht und grobmotorisch ver-anlagt – wie «Hägar der Schreckliche» –, aber unkapriziös, humorvoll und authentisch.

    Fischkonserven, Würfelzucker, Senf und Autos werden unter dem Zeichen des Wikinger-Drachenboots vermarktet, Gurken, Würstchen,rüffel, Marzipan. Skandinavische Ernährungswissenschaftler  pro-pagieren eine «Wikingerdiät » – und auch die Gentest-Firma Igenea nutzt die Wikingerbegeisterung. Dank Erbgutanalysen aus Knochen-funden konnten Wissenschaftler nicht nur DNA-Profile der Kelten,Perser, Germanen, Skythen, Slawen und Illyrer erstellen, erfahre ich auf der Igenea-Website: Durch Analysen von Blutspuren aus dem Nordwesten Englands, die über 1200 Jahre alt seien, habe man nun auch echtes «Wikingerblut » isoliert !Ob in meinen Adern tatsächlich Wikingerblut fliesst ? Um diese 

    Frage zu klären, soll ich eine Speichelprobe einschicken. Die nötigen Utensilien lässt mir Igenea per Post zukommen. Nun gleite ich mit einem Wattestäbchen an der  Innenseite meiner Wange entlang.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Ahnenforschung Herkunft 5

    Sanft,  aber druckvoll,  damit genügend Zellmaterial  hängen bleibt.Ein seltsames Gefühl, denn bisher kannte  ich Speichelproben nur aus der TV-Serie «Tatort ». Dann packe ich die Probe in eine Plastik-dose, schicke sie nach Zürich und überweise die 199 Franken.Wochenlang  keine  Antwort.  Ob mich  Igenea  vergessen  hat ? 

    Schliesslich kommt doch Post. Aus einem grossen, dicken Couvert ziehe  ich eine dunkelbraune Mappe mit goldenem Firmenzeichen.Die Farbkopie  einer  handgemalten Weltkarte  liegt  darin.  Völker-wanderungen sind eingezeichnet: fast 20 unterschiedliche Routen.Kein leichtes Unterfangen, die Urahnenforschung!Auf einem weiteren Blatt  steht mein persönliches Testresultat: 

    «Haplogruppe: R1a1, Urvolk: Germanen oder Slawen.» Ratlos starre ich auf die Urkunde. Also doch kein Wikinger ? Und was soll das  überhaupt sein, eine Haplogruppe? Eine beigelegte Legende hilft weiter: Haplogruppen seien eine Art «dicke Äste des Stammbaums des Homo sapiens», oder gleichsam «Ethnien der Frühzeit ». Sie ent-stehen, wenn sich Populationen einer Art längere Zeit isoliert von-einander entwickeln. So weit, so gut.

    Meine Haplogruppe R1a1 scheint, nun  ja, hundsgewöhnlich  zu sein: «Über 40 Prozent der Männer, die im Gebiet von Tschechien bis nach Zentralasien wohnen, gehören dazu», steht im Beitext. Und in Indien jeder dritte Hindi-sprechende Mann ebenfalls. Ganz schön unübersichtlich. Was das Wikingerblut angeht, sieht es schlecht aus: In grauer Vorzeit lebten die Angehörigen der Haplogruppe R1a1 wahr-scheinlich im südlichen Asien.

    Und die Rubrik «Urvolk»? Damit werde das Volk bezeichnet, zu dem meine Ahnen  im Zeitraum  zwischen 900  vor und 900 nach Christus gehört haben. Eine eindeutige Zuteilung sei aber nicht im-mer möglich. Zum Beispiel bei mir: «Germanen oder Slawen» –  ja was denn nun?! Igenea lässt mich nicht im Stich: Mit Hilfe meines DNA-Profils könne ich nun in einer Datei mit rund 300 000 weiteren 

    Profilen  nach «genetischen  Vettern»  suchen,  macht  mir  Igenea- Geschäftsführer  Roman C. Scholz  am  Telefon  Mut.  Das  seien  Menschen, die mit mir in jüngster Zeit einen gemeinsamen Vorfahren teilen. «Mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der letzten 24 Gene-rationen»,  so Scholz.  Ich gebe Testnummer und Passwort  in  die Suchmaske ein – und sofort identifiziert die Software einen solchen «Vetter »: in Dänemark. Neue Hoffnung keimt auf. Denn das könnte auf Wikingerblut hindeuten!

    Doch kein einziger «genetischer Vetter » sitzt in den klassischen Wikingerhochburgen Island und Norwegen. Mist ! Insgesamt identi-fiziert das Computerprogramm 15 «Vettern»: Neben dem aus Däne-mark sind es 3 Polen, 3 Deutsche, 2 Russen, 2 Italiener, 1 Ukrainer, 1 Bulgare, 1 Holländer, 1 Rumäne. Ganz schön rumgekommen, mei-ne Sippschaft ! Es sei trotz allem «nicht völlig ausgeschlossen», dass in meinen Adern Wikingerblut fliesse, tröstet mich Scholz. Und die Website seiner Firma empfiehlt diverse «Upgrades». Zum Beispiel eine «Super-Kombi», die viel genauer sei als der Einsteigertest, den ich absolviert habe. Dieses Verfahren analysiere zur Abklärung der väterlichen Verwandtschaftslinie auf dem Y-Chromosom der DNA statt 12 Markern deren 67 und nehme zusätzlich auch die mütterli-che Linie unter die Lupe. Kostenpunkt: 899 Franken. Wow!

    Ich glaube, da lege ich mich lieber gemütlich aufs Sofa und lese weiter im neuen «Hägar der Schreckliche»-Taschenbuch.  <

    Till Heinlebt und arbeitet als freier Autor in Berlin. Der gebürtige Salzburger schreibt unter anderem für «Die Weltwoche», «mare», «Die Zeit », «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» und die «GEO»-Familie.

    Obwohl oder gerade weil die Wikinger im Mittelalter so gefürchtet waren,

    wünscht sich so mancher eine direkte Ahnenlinie.

  • 6 Herkunft Lebensmittel

    bulletin 1/11  Credit Suisse

    Lieber aus der RegionTrendforscher stellen in Europa und in den USA ein «neues Bewusstsein für Nahrung» fest. Dabei spielt neben der guten Qualität vor allem die Herkunft eine zentrale Rolle. Lebens-mittel, die aus der Region stammen oder deren Herkunft klar überprüfbar ist, ermöglichen eine emotionale Bindung, die im Zeitalter der Globalisierung zunehmend wichtiger wird.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Lebensmittel Herkunft 7Foto: Valentyn Volkov, Shutterstock

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    Text: Beat Stauffer

    Beim Blick in die Speisekarte des Restaurants Krafft  in Basel fällt dem Gast sofort auf: Hier gibt es nur relativ wenige Gerichte, doch sind diese umso ausführlicher beschrieben. Ein dreigängiges Menü könnte wie folgt aussehen: Nach einem «Zweierlei von der Zeininger Räucherforelle» werden «Rapssamen-Capuns im Bodensee-Ver jus-Sud, Shitakepilze und Belperknolle» aufgetragen. Als Nachspeise stehen Schweizer Rohmilch-Käsespezialitäten auf dem Programm.

    Dazu gibts weiter hinten detaillierte Angaben zur Herkunft von Fleisch, Gemüse, Fischen und Meeresfrüchten. Dasselbe gilt für den Wein,  der  ausschliesslich aus  identifizierbaren Betrieben stammt. Wer noch mehr wissen möchte – etwa über die Herkunft von Oliven-öl  oder Süssigkeiten – , wird auf der Website des altehrwürdigen Hotel-Restaurants fündig.

    Kaum zehn Minuten vom Hotel-Restaurant Krafft entfernt und in unmittelbarer Nachbarschaft  zu grossen Produktionsstätten des Pharmamultis Novartis liegt der Matthäusplatz – eine Oase inmitten eines dicht bewohnten Viertels. Hier findet jeweils am Samstag ein lebendiger, farbiger Markt statt. Es handelt sich um einen echten Produzentenmarkt; rund 80 Prozent der angebotenen Waren sind aus eigenem Anbau oder eigener Herstellung. Gemüsebauern aus der Umgebung von Basel – viele aus dem angrenzenden Süddeutsch-land – verkaufen Obst und Gemüse, Brot und Blumen und dazu eine Reihe  von Spezialitäten wie Honig,  selbst gemachtem Essig oder Schnaps. Der 2006  ins Leben gerufene Markt, dessen  Initianten kürzlich einen Förderpreis der Stadt Basel entgegennehmen durften, ist ein voller Erfolg und zieht mittlerweile zahlreiche Besucher aus anderen Quartieren an. Er liegt, so Christof Dietler, Mitinhaber der Beratungsfirma Pluswert , voll im Trend. Derartige Experimente wür-den  von Experten der Nahrungsmittelindustrie  und der Trendfor-schung im Bereich Lebensmittel sehr aufmerksam verfolgt, weil sie zukünftige Entwicklungen vorwegnähmen.

    Irreführende Bezeichnungen

    Heute haben viele Konsumenten das ungute Gefühl, nur ungenügend über die Herkunft  von Lebensmitteln  informiert  oder gelegentlich gar betrogen zu werden. Dass Italien seit langen Jahren weit mehr Olivenöl  exportiert  als  es  selbst  herstellt,  dass das so genannte Bündner Fleisch häufig mit argentinischem Rindfleisch hergestellt wird, wissen mittlerweile nicht nur Eingeweihte. Dazu kommt eine grosse Verunsicherung der Konsumenten betreffend die Verwendung von Zusatzstoffen und Konservierungsmitteln bei  der Herstellung vieler Lebensmittel. 

    Für Christof Dietler steht fest, dass die überprüfbare und nach Möglichkeit  regionale Herkunft  eines  Lebensmittels  eine  immer  wichtigere Rolle beim Kauf eines Produktes spielt. Es handle sich um einen Trend, der auch  international  zu beobachten sei, erklärt Dietler. Ganz ähnlich schätzt auch Denise Stadler, Mediensprecherin von Coop, die Lage ein. Viele Konsumenten wünschten sich nicht nur nachhaltig produzierte Lebensmittel, sondern auch solche aus regionaler  Produktion.  «Wir  stellen  immer  mehr  fest,  dass  die  Konsumenten sich nach der Herkunft der Ware erkundigen», sagt Stadler. Dies gelte  im besonderen Mass  für die «bio-affine Kund-schaft », wie dieses Kundensegment  in der Fachsprache der Mar-ketingexperten heisst. Für Dietler  ist bei diesen Konsumenten die regionale Herkunft  oft  sogar wichtiger  als  eine  zertifizierte biolo-gische Produktionsweise.

    Was steht hinter diesem Wunsch nach Lebensmitteln aus regionaler Produktion? Zum einen spielt offenbar der Faktor Vertrauen eine gewisse Rolle. «Man hat mehr Vertrauen  in Produkte,  die  in der  Region hergestellt werden»,  sagt Stadler. Bei  solchen Produkten lasse sich gegebenenfalls auch überprüfen, ob die Vorgaben stimm-ten. Eine wichtige Rolle spielt aber auch der ökologische Aspekt. Bei lokal hergestellten Lebensmitteln sind die Transportwege wesentlich kürzer; somit sieht die Ökobilanz in den meisten Fällen auch deutlich besser aus als bei importierten Produkten. Ein dritter, sehr wichtiger Faktor  ist aber emotionaler Art: Es geht,  so die beiden Experten übereinstimmend, um Heimat,  Identifikation, Verankerung, Bezie-hung. Gerade im Zeitalter der Globalisierung scheint dieses Bedürf-nis zuzunehmen; in einer Welt, in der regionale, bis anhin selbststän-dige Produzenten  aufgekauft  und  in multinationalen  Firmen  ein-gegliedert werden, die dann weltweit dieselben Produkte verkaufen, wird das Bedürfnis nach «Heimat » zunehmend wichtig. 

    Eine gewisse Rolle spielt auch ein Trend unter gut verdienenden, urbanen Menschen, der sich unter dem Begriff LOHAS von den USA aus in die westlichen Länder verbreitet hat. LOHAS (siehe Box Seite 8) steht für eine Lebenshaltung, in der gesunde Ernährung und Verant-wortung  für die Umwelt  zusammenfinden sollen. Oder  ist LOHAS vielleicht  eher der  schichtspezifische Ausdruck desselben Trends, der Konsumenten einer anderen Kaufkraftklasse dazu bewegt,  im Winter auf eingeflogene Bohnen oder Spargeln zu verzichten und stattdessen  Wurzelgemüse  vom  Gemüsebauern  aus  dem  Dorf nebenan einzukaufen? 

    Das Bedürfnis nach genauen Herkunftsbezeichnungen bei Le-bensmitteln  ist  nicht  neu.  Bei Qualitätsweinen wird  der  genaue P  roduktionsort  schon seit Langem auf der Etikette  vermerkt und auch bei  gewissen Käsesorten  spielt  die Herkunft  eine wichtige   Rolle. Mit  den  gesetzlich  geschützten  Ursprungsbezeichnungen  AOC und IGP (siehe Box Seite 8) versuchen die Hersteller schon seit den 1990er-Jahren, ihre «authentischen» von qualitativ weniger wert-vollen Produkten abzugrenzen. Dabei  spielt  auch der Begriff  des Terroir  eine wichtige Rolle. International hatte schliesslich die «Slow Food»- Bewegung den Bemühungen um echte, unverfälschte und einzigartige Lebensmittel,  die einen hohen Genuss bieten, einen wichtigen Anstoss g  egeben.

    Nachhaltige Beschaffungsketten

    Kleine,  lebhafte  Produzentenmärkte  und  Restaurants  wie  das «Krafft » in Basel mögen zwar wichtige Impulse geben, doch können sie die Probleme nicht lösen, die durch nicht nachhaltig produzierte Lebensmittel und durch gewaltige Transportwege entstehen. 

    Entscheidend sei, sagt Dietler, dass bei den Schweizer Grossver-teilern  in dieser Hinsicht quantitativ Erhebliches  in Gang gebracht wurde. Denn hier gehe es um Tausende von Tieren, die besser ge-halten werden, um gewaltige Mengen an Pestiziden, auf die vielleicht verzichtet wird,  um Hunderttausende  von Kilometern Lastwagen-transporte, die vielleicht wegfallen. «Es geht letztlich um nachhaltige Beschaffungsketten, von denen alle Beteiligten profitieren können», sagt Dietler. Produkte, die  in den  jeweiligen Regionen hergestellt werden, schneiden dabei logischerweise besser ab. 

    Die beiden Schweizer Grossverteiler Coop und Migros hätten in Sachen Nachhaltigkeit  und Regionalität  von Lebensmitteln  schon beachtliche Schritte unternommen, sagt Dietler. Die Rede  ist von wachsenden Programmen mit Namen wie «Naturaplan» (Coop, Bio mit Knospe, 760 Millionen Umsatz), «Naturafarm» (Coop, Tier-

  • bulletin 1/11  Credit Suisse

    8 Herkunft Lebensmittel

    haltungsprogramm, 480 Millionen), «Terrasuisse» (Migros,  IP-Pro-dukte aus der Schweiz, 650 Millionen), «Aus der Region. Für die Region.» (Migros 750 Millionen) oder «Pro Montagna». Dietler ist sich sicher, dass Coop und Migros mit diesen Umsatzzahlen und den re-gional  und ökologisch hergestellten Produkten  international  eine Vorreiterrolle gespielt haben und mittlerweile europaweit auf Beach-tung stossen. 

    Per Mausklick zum Bioproduzenten

    Für Coop-Sprecherin Stadler ist nicht nur klar, dass ein wachsendes Kundensegment  sich  an  solchen Trends orientiert;  sie  ist  sogar  überzeugt  davon,  dass  ihre  Firma  diesen Trend mitgeprägt  hat.  Diese Politik betreibe Coop nicht nur im Bereich Bioprodukte, son-dern  im gesamten Segment. Falls  immer möglich,  versuche man Produkte aus der Schweiz und zusätzlich aus der Region anzubieten. Gegenwärtig sollen rund 70 Prozent der unter der Coop-Eigenm  arke angebotenen Lebensmittel  aus der Schweiz  stammen; bei Frisch-produkten  ist  der Anteil  noch wesentlich höher. Ein besonderes G  ewicht  auf  die Herkunft  eines  Lebensmittels  legt  Coop  dabei  mit  so genannt  regionalen Produktelinien: Bioprodukte, die meist von Kleinproduzenten hergestellt werden, sowie Produkte, welche die  Label  «Pro  Montagna»  und  «Pro  Specie  Rara»  tragen.  Das  neuste  Projekt  in  Sachen  Transparenz  und  Rückverfolgbarkeit  von Lebensmitteln ist die auf den Produkten angebrachte «Natura - plan-ID». Es handelt  sich um eine drei-  bis  fünfstellige Nummer, mit Hilfe derer die Konsumenten die genaue Herkunft des betref-fenden Lebensmittels in Erfahrung bringen können. Per Mausklick gelangen die Kunden auf solche Weise  zum Biobauernhof. Diese neue Anwendung  (Webapplikation)  steht  seit  Oktober  2010  zur Verfügung.

    Das Konzept des Terroir

    Zurück  zum direkt  am Rhein gelegenen Hotel-Restaurant Krafft,  das seinen Gästen vornehmlich Gerichte mit regional hergestellten  Lebensmitteln anbietet und deren Herkunft in hohem Mass offenlegt. Küchenchef Steiner  ist davon überzeugt, dass seine «Philosophie der frischen und lokalen Produkte» und die weitgehende Herkunfts - de klaration von den Gästen des «Krafft » geschätzt wird. Eine ähn-liche Linie verfolgen auch etwa die Restaurants Terroir  in Zürich und Lötschberg in Bern. Im «Terroir » werden ausschliesslich schweizeri-sche, nach Möglichkeit regionale Produkte serviert, deren genaue Herkunft  auf  der  Speisekarte  akribisch  aufgelistet  ist. Mit  dem  Begriff Terroir   ist der Ursprung eines Erzeugnisses gemeint (siehe Box links). 100-prozentige «Swissness» gilt auch bei den leicht mo-dernisierten Rezepten aus Grossmutters Kochbuch. 

    Im Restaurant Lötschberg  in Bern werden  in einem etwas ein-facheren Rahmen ebenfalls ausschliesslich Schweizer Produkte ser-viert: Wein und Bier, Käse und Wurstwaren, diverse Fondues und Walliser Raclette. Auch hier finden sich im Glas und auf dem Teller Lebensmittel, deren Herkunft mit AOC-Labels (siehe Box links) zerti-fiziert ist und die sich gelegentlich bis auf die einzelnen Bauernhöfe oder Alpen zurückverfolgen lässt. Was die Zukunft von nachhaltig produzierten Lebensmitteln aus 

    der Region oder mit genauer Herkunftsbezeichnung betrifft, so sind sich alle befragten Experten einig: Der Trend geht ganz klar in diese Richtung. Herkunft, Terroir oder gar Ursprung sind gefragt, nur schon deshalb, weil  in diesen Begriffen  so  viele Gefühle mitschwingen, welche die nackte Ökobilanz nicht bieten kann.  <

    LOHASBedeutet «Lifestyles of Health and Sustain-ability»; (wörtlich: Lebensstile der Gesundh eit und Nachhaltigkeit), eine Lebenshaltung, in der gesunde Ernährung und Verantwortung gegenüber der Umwelt und den Mitmenschen zusammenfinden sollen.

    TerroirMit dem Begriff Terroir ist der Ursprung eines Erzeugnisses gemeint. Dieser Ursprung wiederum setzt sich zusammen aus einem Ort, geprägt durch seine natürlichen Voraus-setzungen (Bodenbeschaffenheit, Klima, Fauna, Flora und Topografie), und dem Menschen, der die örtlichen Beding ungen wertschätzend umsetzt.

    AOC- und IGP- ProdukteDie offiziellen Qualitätszeichen AOC oder IGP sind (seit 1997) landwirtschaftlichen Erzeugnissen mit einer engen und traditionel-len Verbindung zu ihrem Ursprungsg ebiet vorbehalten. Fleisch- und Käseprodukte machen den Hauptteil der AOC- und IGP-zertifizierten Produkte in der Schweiz aus.

    Slow FoodDie Bewegung «Slow Food» ist in den 1990er- Jahren in Italien entstanden und hat sich von dort auf ganz Westeuropa aus gebreitet. Im Vordergrund steht dabei die Wiederent-deckung der Genusskultur.

    BuchtippThilo Bode, «Die Essensfälscher – Was uns die Lebens mittelkonzerne auf die Teller lügen». Frankfurt, S. Fischer Verlag, 2010.ISBN-10: 3-10-004308-1

    Weblinkswww.krafftbasel.ch/restaurant.htmlwww.terroir.ch/www.loetschberg-aoc.ch/de/accueil.htmlwww.naturli.ch/index.htmlwww.pluswert.ch/www.aoc-igp.ch

    http://www.krafftbasel.ch/restaurant.htmlhttp://www.terroir.ch/http://www.loetschberg-aoc.ch/de/accueil.htmlhttp://www.naturli.ch/index.htmlhttp://www.pluswert.ch/http://www.aoc-igp.ch

  • bulletin plus – das Heft im Heft zum HerausnehmenCredit Suisse Identitätsbarometer 2010

    Zusammen mit dem Forschungsinstitut gfs.bern möchte das bulletin aufzeigen, wo die Schweizerinnen und Schweizer der Schuh drückt beziehungsweise wie ihre Einstellung zu verschiedenen Aspekten des Lebens ist. In der Ausgabe Jugend des bulletin berichteten wir im Dezember über die Resultate des Credit Suisse Sorgenbarometers 2010 und des erstmals erhobenen Credit Suisse Jugendbarometers. Nun veröffentlichen wir im Credit Suisse Identitätsbarometer die wichtigsten Ergebnisse der siebten Umfrage zur Identität Schweiz. Diese geben unter anderem Aufschluss über die politisch- gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stärken und Schwächen des Landes. Es lohnt sich, die Erkenntnisse aller Umfragen miteinander zu vergleichen.

    PDF-Versionen (d/f/i) unter www.credit-suisse.com/bulletin.

    http://www.credit-suisse.com/bulletin

  • bulletin 1/11  Credit Suisse

    Sven SchubertDeutschland

    Marcus HettingerDeutschland

    Julia Dumanskaya Russland

    Tobias MerathDeutschland

    Shivani Tharmaratnam 

    Singapur

    10 Herkunft Schmelztiegel

    HERSchmelztiegel Schweiz: Neun Menschen aus sieben verschiedenen Ländern finden bei der Credit Suisse in Zürich zur Abteilung Currency & Commodity Research zusammen. Sie alle präsentieren Dinge und Orte, die sie mit ihrer Heimat verbinden. Und sie verraten, was ihnen an der Schweiz so ungemein schweizerisch vorkommt. Notiert: Bettina Bucher, fotografiert: Pia Zanetti

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Joe PrendergastIrland

    Stefan GraberSchweiz

    Anna-Mária SimonRumänien

    Karim CherifFrankreich

    Schmelztiegel Herkunft 11

    KUNFT

  • 12 Herkunft Schmelztiegel

    bulletin 1/11  Credit Suisse

    ...

    Julia DumanskayaRussland

    Meine Mutter hat mir diesen Schal vor ein paar Jahren in Moskau gekauft. Für mich ist es ein ganz besonderes Gefühl, wenn ich ihn trage, ich freue mich jedes Mal, wenn ich ihn anziehe. Das Muster ist typisch russisch, aber ich habe mir sagen lassen, dass es auch in Westeuropa immer mehr in Mode kommt. Das Buch unter m einem Arm ist ein alter Bildband von M oskau. Eine schöne, ledergebundene Ausgabe, die eigentlich meiner Mutter gehört. Ich nehme ihn hervor, wenn Schweizer Freunde mehr über meine Heimatstadt erfahren wollen. Mein Lieblingsbild darin ist die Abbildung der Kathedralen beim Kreml, dem Wahr-zeichen Moskaus.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Schmelztiegel Herkunft 13

    …Ich beobachte in der Schweiz ein ausge-prägtes Verantwortungsbewusstsein im Kleinen genauso wie im Grossen, eine nachhaltige Herangehensweise an alle Dinge. Ein gutes Beispiel dafür ist, wie im Eigental in der Nähe von Kloten während der Amphibienwanderungszeit im Frühjahr die Strasse für Autos gesperrt wird. Dank der Strassensperre können Kröten und Frösche unbeschadet ihre Laich-gewässer erreichen. Das fasziniert mich jedes Jahr aufs Neue.

  • 14 Herkunft Schmelztiegel

    bulletin 1/11  Credit Suisse

    ...

    Joe PrendergastIrland

    Das graue Gemälde hinter mir stammt von einem unbekannten walisischen Künst-ler. Es ist eines der ersten Bilder, die ich je gekauft habe. 20 Jahre ist das nun her, und trotz seiner gewaltigen Grösse hat es mich immer begleitet. Das Gemälde hat bereits mein Zuhause in London und dann in Irland geziert, nun ist es mit mir in die Schweiz gereist. Ich liebe seine Grösse und Tiefe. Es hat die Unendlichkeit zum Thema und ist w eitaus komplexer, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Schmelztiegel Herkunft 15

    …Wie wichtig hier Richtlinien, Anordnungen und Pünktlichkeit genommen werden, mag etwas kalt oder unpersönlich erschei-nen. Doch entsteht daraus eine kollektive Harmonie, die für mich einen wesentlichen Bestandteil der Schweizer Identität darstellt. Ein Vorteil dieser redlichen und verlässlichen Gesellschaft ist es, dass selbst kleine Kinder sicher alleine zur Schule gehen können. Das ist eine grosse Ausnahme in der modernen Welt.

  • 16 Herkunft Schmelztiegel

    bulletin 1/11  Credit Suisse

    ...

    Stefan GraberSchweiz

    Ich bin in Zürich fast ausschliesslich mit meinem Fahrrad unterwegs. Man ist schnell, verliert keine Zeit, muss nirgends warten, keine Fahrpläne studieren, keinen Parkplatz suchen: Das ist für mich ein Stück Lebens-qualität. In Singapur, wo ich knapp zwei Jahre lang gearbeitet und gelebt habe, fehlte mir diese unkomplizierte Form der Mobi - lität. Nicht nur ist die Verkehrsführung dort ganz aufs Auto ausgelegt, auch das heissfeuchte Klima ist nicht gerade radler-freundlich. Die Entwicklung verläuft in entgegen gesetzten Richtungen – hier vom Auto zum Velo hin, in Asien vom Velo zum Auto hin.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Schmelztiegel Herkunft 17

    …In der Schweiz hat die Privatsphäre, das eigene ‹Gärtli›, eine grosse Bedeutung. In öffentlichen Verkehrsmitteln etwa sitzt jeder möglichst allein. Im Restaurant bestellt jeder sein eigenes Gericht, während in Singapur gemeinsam geordert wird, das Essen kommt in die Tischmitte, und alle bedienen sich davon. Auch beim Wohnen sind die Menschen hier oft darauf bedacht, sich möglichst von den Nachbarn abzu-schotten. In Singapur hingegen verfügen die Wohnhäuser stets über einen Gemein-schaftsbereich, wo die Bewohner für alle möglichen Aktivitäten zusammenkommen.

    Foto: S

    tefan Jaeggi, K

    eystone

  • 18 Herkunft Schmelztiegel

    bulletin 1/11  Credit Suisse

    ...

    Sven SchubertDeutschland

    Geht die Liebe zur Heimat nicht auch ein wenig durch den Magen? Currywurst und Pommes, das ist echte Berliner Kost. In Berlin gibt es ein paar Institutionen, wie etwa den Imbissstand Curry 36 in Kreuzberg, wo die Leute bis nachts um drei Schlange stehen. In der Schweiz hingegen, wo ich seit sechs Jahren lebe, habe ich es noch nicht geschafft, eine richtig leckere Currywurst zu finden. Deshalb gehört bei meinen Besuchen in Berlin die Wurst aller Würste zum Pflichtprogramm. Aber ich bin kuli-narisch durchaus lernfähig. Ich habe erst in der Schweiz angefangen, Käse zu essen, und mittlerweile denke ich, dass Raclette und Fondue schon eine feine Sache sind.

    ...

    Marcus HettingerDeutschland

    Ein VW-Käfer wars, daran erinnere ich mich genau, wenn ich auch die Farbe vergessen habe. In dem Käfer also zogen meine Eltern aus beruflichen Gründen A nfang der 1970er-Jahre aus Süddeutsch-land in die Schweiz. Auf dem Rücksitz ich, in diesem Kindersitz. Da ich schon als Kleinkind in die Schweiz kam, spreche ich auch perfekt den Dialekt. Heute lebe ich in der Region Basel, der Sprung aus Süddeutschland war nicht allzu gross. Wohl auch deshalb habe ich ausser dem Kindersitz kaum Erinnerungsstücke aus der alten Heimat aufbewahrt.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Schmelztiegel Herkunft 19

    …Anscheinend diente an der Landsgemeinde in Appenzell lange ein Degen als Stimm-rechtsausweis. Der Degen wurde von Generation zu Generation vererbt, und noch heute sollen viele Appenzeller den Degen an der Landsgemeinde tragen. Auf der einen Seite ist das eine Kuriosität, auf der anderen Seite finde ich es schön, wenn Rituale erhalten bleiben, das bereichert die Kultur.

    Foto: S

    TR, K

    eystone

    …Vier Sprachen sind in der Schweiz zu Hause, das geht oft ein wenig vergessen. Es faszi-niert mich, dass man im eigenen Land herumreisen kann, und plötzlich wird eine andere Sprache gesprochen. Ohne die Grenze zu überqueren, befindet man sich auf ‹fremdem› Territorium – ich finde, wir sollten mehr Anstrengungen unternehmen, diese Landessprachen zu sprechen oder zumindest zu verstehen.

    Foto: A

    rno Balzarini, Keystone

  • 20 Herkunft Schmelztiegel

    bulletin 1/11  Credit Suisse

    ...

    Shivani TharmaratnamSingapur

    Eigentlich fotografiere ich ja lieber selber, als fotografiert zu werden. Und so habe ich, wenn ich geschäftlich reise, auch stets meine Digitalkamera dabei. Aber nicht nur, um meine neuen Eindrücke festzuhalten, sondern auch, weil darauf eine Menge Fotos von meinen Liebsten daheim in Singapur gespeichert sind. Und von vertrauten Orten. Ich bin ein absoluter Familienmensch, und meine Freunde sind mir ebenfalls wichtig. Eines meiner Lieblingsbilder zeigt meine Schwester und meine kleine Nichte. So erlaubt mir die moderne Technik, am anderen Ende der Welt ein Stück Heimat und Gebor-genheit im Taschenformat mitzuführen.

    ...

    Tobias MerathDeutschland

    Mein Lieblingsessen sind Maultaschen, und die sind in der Schweiz leider schwer erhältlich. Man glaubt es nicht – kaum überquert man den Bodensee, bekommt man sie nirgends mehr. Bei meinen Besuchen in Deutschland kaufe ich daher immer einige Päckchen und friere sie ein. Die Taschen aus Nudelteig mit einer Füllung aus Spinat, Brät und Zwiebeln sind eine Spezialität aus meiner schwäbischen Heimat. Umgangssprachlich werden sie manchmal auch als ‹Herrgottsbscheisserle› bezeichnet. Der Name rührt daher, dass man das Fleisch in der Fastenzeit durch das Einrollen im Nudelteig verstecken kann.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Schmelztiegel Herkunft 21

    …Mich wundert, dass man in der Schweiz einfach an einem Automaten einen Fahrschein lösen und dann damit in den Zug oder die Strassenbahn steigen kann. Kontrolliert wird nur in Stichproben. In Asien ist es meist so, dass man gar nicht erst bis zum Zug gelangt, wenn man keinen Fahrschein hat. Man scheint in der Schweiz sehr viel Vertrauen in die Benützer des öffentlichen Verkehrs zu haben.

    …Was mich manchmal erstaunt, ist die grosse Korrektheit, mit der in der Schweiz alles gehandhabt wird. Zum Beispiel muss das Altpapier sauber gebündelt sein, damit es auch abgeholt wird. Am Altglas-container sind die Benützungszeiten streng geregelt und genau einzuhalten. Und ist die Parkzeit auf einem Besucherparkplatz auf vier Stunden begrenzt, so ist die Chance hoch, dass jemand einen Zettel an die Windschutzscheibe hängt, wenn der Wagen dort einmal viereinhalb Stunden steht.

  • 22 Herkunft Schmelztiegel

    bulletin 1/11  Credit Suisse

    ...

    Anna-Mária SimonRumänien

    Ich bin eine Ungarin aus dem Szeklerland, das im rumänischen Transsilvanien liegt. Ein Objekt, das mich an meine geliebte Heimat erinnert, ist das Szekler Tor in Miniaturformat. Diese imposanten Holztore sind typisch für die transsilvanische Architektur. Sie sind mit Gemälden oder Schnitzereien verziert und verleihen dem Eingang der Häuser im Dorf etwas Majestä-tisches. Unter einem Dach sind zwei Durch-gänge vereint: der kleinere für Menschen, der grössere für Wagen. Der Besucher, der durch das Szekler Tor tritt, wird von Inschriften begrüsst, etwa ‹Segen für den, der eintritt, und Friede für den, der geht›.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Schmelztiegel Herkunft 23

    …Als ich neu in der Schweiz war, suchte ich in einer Buchhandlung nach Lektüre, um mein Deutsch zu verbessern. Mein Blick fiel auf Hugo Loetschers ‹Der Waschküchen-schlüssel›. Da ich bereits festgestellt hatte, dass der Umgang mit der Waschküche durchaus Konfliktpotenzial birgt, war ich neugierig und kaufte das Buch. Zum Glück! Denn es hat mir erklärt, wie die Schweizer Mentalität im Alltag funktioniert und warum es den Schweizern so wichtig ist, dass man sich an all die geschriebenen und u ngeschriebenen Gesetze hält. So hat mir Loetschers geniale Kurzgeschichte den Schlüssel verliehen, um das Schweizer Szekler Tor zu öffnen.

    Foto: D

    irk Holst, D

    H Foto

  • 24 Herkunft Schmelztiegel

    bulletin 1/11  Credit Suisse

    ...

    Karim CherifFrankreich

    In diesem marokkanischen Tea Room fühle ich mich ein bisschen wie zu Hause. Ich habe arabische Wurzeln. Die vielen bunten Kacheln vermitteln orientalisches Flair, und die niedrigen Sofas erinnern an ein arabisches Wohnzimmer. Dort macht man es sich bequem, verbringt Zeit mit der Familie und Freunden, trinkt Tee. Letzterer spielt eine wichtige Rolle in unserer Kultur und unserer Gastfreundschaft. Für einen Tee hat man immer Zeit, es gibt stets einen guten Grund, zusammen einen Tee zu trinken. Empfängt man einen Gast, so landet man unweigerlich im Wohnzimmer – mit einem Tee. Es sind Momente des Teilens und Austauschens, eigentlich des Glücks.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Schmelztiegel Herkunft 25

    …Am besten gefällt mir in der Schweiz der Sommer, wenn man am Abend in eine Badi-Bar gehen kann. So etwas kenne ich aus Frankreich nicht. In Paris würde kaum jemand in der Seine baden wollen. Meine Favoriten sind die Rimini-Bar und die Barfuss-Bar in der Frauenbadi. Mich fasziniert, wie sich diese Orte mit Einbruch der Dunkelheit komplett verändern. Aus der Badeanstalt wird ein Ort, wo die Leute zusammenkommen, sich amüsieren, Musik hören. Eine recht einzigartige Kombination aus grossstädtischem Nacht-leben und intakter Natur.

    Die bekannte Fotografin Pia Zanetti lebt und arbeitet seit 1971 in Zürich. Zuvor verbrachte sie acht Jahre in Rom und London. Pia Zanetti machte verschiedentlich mit eindrücklichen Reportagen aus Lateinamerika, Afrika, Nah- und Fernost, Ost- und Westeuropa auf sich aufmerksam. Ihre Fotos sind in öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten. 

    Foto: D

    agmar Lorenz

  • bulletin 1/11  Credit Suisse

    Kinder des Weltalls

    Während die Erklärungsversuche zur Herkunft der Menschheit oft mythische Elemente beinhalten, bleibt unser eigentlicher Ursprung dennoch im Dunkeln. Dagegen ist die Herkunft des «Baumaterials», aus dem der Mensch besteht, wesentlich besser erforscht.

    Tausende von Sternen mussten geboren werden und wieder sterben, damit die auf unserer Erde vor-kommenden Materialien entstehen konnten, aus denen wir Menschen letztendlich selbst gebaut sind.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Elemente Herkunft 27Foto: Reha Mark, Shutterstock 

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    Text: Andreas Walker

    Nach heutiger Kenntnis leben wir in einem Universum, das vor etwa 13 Milliarden Jahren entstand. Aus einer gewaltigen Explosion, dem «Urknall », ging ein extrem kleiner Feuerball mit unvorstellbarer Dich-te und Temperatur hervor – das frühe Universum. Als Folge der Ex-plosion begann es, sich auszudehnen, ein Vorgang, der bis heute immer noch andauert. Mehrere Hunderttausend Jahre nach dem Urknall hatten sich riesige Mengen an Wasserstoff, dem leichtesten Element, das aus einem Proton und einem Elektron besteht, sowie etwas Helium und Spuren von Lithium gebildet. Physiker rätseln heute noch, warum die Schöpfungsgeschichte 

    nicht schon kurz nach dem Urknall abbrach. Rein theoretisch hätte sich nämlich der Wasserstoff  ziemlich  regelmässig  im Universum verteilen können und wäre dann als Wolke im All geblieben, die mit der Expansion des Universums immer dünner geworden wäre.Hätte das Universum diese Entwicklung durchgemacht, wäre es 

    gestorben, bevor etwas aus ihm entstanden wäre, oder anders aus-gedrückt: Es hätte in einem gigantischen Raum geendet, in dem nur Wasserstoffwolken schwebten. Die Natur hatte aber eine andere Entwicklung vorgesehen.

    Durch Zusammenballung von Materie bildeten sich im Laufe der Zeit die Sterne, die  in riesigen Haufen, den Galaxien, angeordnet waren. Galaxien  sind  gigantische Ansammlungen  von mehreren  100 Mil liarden Sternen. Auch die Anzahl der Galaxien selbst schätzt man heute auf über 100 Milliarden.

    Gasmassen verdichteten sich zu Sternen

    So bildete sich vor Milliarden von Jahren aus Materie der Urwolke auch eine sich drehende Gasspirale – unsere Ur-Milchstrasse. Als sich die Gasmassen langsam zu Sternen verdichteten, entstanden die Sonnen. Massive Sterne der ersten Generation  verschmolzen Wasserstoff zu Helium und schwereren Elementen. Da diese mas-siven  Sterne  kurzlebig  waren  und  gegen  Ende  ihres  Lebens  instabil wurden,  zerbarsten  sie «bald»  in hellen Supernova-Explo-sionen – übrig blieben ein Sternrest und eine gigantische Gaswolke.Vor  einigen Milliarden  Jahren  verdichtete  sich  auch  eine Wolke  von Staub und Gas am Rande der Milchstrasse. In ihrem Zentrum  bildete  sich ein dichter,  heisser Kern,  aus dem ein gelber Stern e  ntstand –  unsere  Sonne.  Man  nimmt  heute  an,  dass  sich  die 

     verbleibende Materie in konzentrischen Kreisen um die neugebo rene Sonne sammelte, aus der schliesslich vor etwa 4,8 Milliarden Jahren die 8 Planeten, diverse Zwergplaneten, mindestens 60 Monde, Tau-sende von Asteroiden und unzählige von Meteoroiden und Kometen her vor gingen.

    Die Entwicklungsstadien der Sonne und anderer Sterne

    Die Sonne befindet sich gegenwärtig  ziemlich genau  in der Mitte ihres Lebens. Für die «nächste Zukunft » – einige 100 Millionen Jah-re – wird sie mit der gleichen Konstanz strahlen wie heute. Danach wird ihre Leuchtkraft langsam zunehmen, und sie wird sich aufblä-hen, bis  sie etwa eineinhalbmal  so gross  ist wie heute und etwa doppelt so hell. Gleichzeitig wird es deshalb auf der Erde unerträg-lich heiss mit der Folge, dass die Polkappen abschmelzen und die Landmassen  sich  in Wüsten  verwandeln.  In  rund  fünf Milliarden  Jahren schliesslich wird der Wasserstoffvorrat im Inneren der Sonne verbrannt sein. Der Kern schrumpft dann durch seine eigene Schwer-kraft  zusammen und heizt  sich auf,  bis  die Kernverschmelzungs-prozesse  in  äusseren Bereichen einsetzen, wo noch Wasserstoff vorhanden ist. Dabei dehnt sich die Sonne noch weiter aus, gleich-zeitig kühlt ihre Oberfläche ab. In diesem Stadium wird sie zu einem roten Riesenstern, der etwa 100-mal heller ist als die heutige Sonne und der sich bis zur Merkurbahn ausdehnen wird. Auf unserer Erde wird dann ein «Backofenklima» herrschen,  in dem die Ozeane ver-dampfen und die Erdoberfläche glühend heiss wird.Nach einigen weiteren Millionen von Jahren wird die Temperatur 

    im Heliumkern der roten Riesensonne auf rund 100 Millionen Grad ansteigen. Dann wird die Verschmelzung von Heliumatomen zu Koh-lenstoff- und Sauerstoffatomen beginnen. Von diesem Zeitpunkt an sammelt  sich  im Zentrum der Sonne Kohlenstoff  an.  Im weiteren Verlauf schrumpft der Kern erneut, und die Heliumbrennzone wan-dert nach aussen. Damit bläht sich der Rote Riese derart gigantisch auf, dass er die Erde verschlucken wird.Schliesslich  stösst  die  Sonne  in  einem  Zeitraum  von  etwa  

    100 000 Jahren ihre äusseren Schichten in den Weltraum ab. Diese Gaswolke expandiert als so genannter planetarischer Nebel immer weiter ins All, und im Zentrum bleibt ein heisser, lichtschwacher Stern zurück – es ist der freigelegte Kern der roten Riesensonne.

  • bulletin 1/11  Credit Suisse

    28 Herkunft Elemente

    Nach weiteren Millionen von Jahren schrumpft dieser Stern langsam zu einem Weissen Zwerg. Wenn die Sonne dieses Stadium erreicht hat,  besitzt  sie etwa noch die halbe Masse der heutigen Sonne,ist  jedoch nur noch etwa so gross wie unsere Erde. Den Rest der  Materie hat sie im Riesenstadium in den Weltraum abgegeben.Weisse Zwerge haben eine mittlere Dichte von etwa einer Tonne 

    pro Kubikzentimeter.  In  ihnen  finden  keine Kernverschmelzungs-prozesse mehr statt,  sodass sie  in einem Zeitraum von mehreren Milliarden Jahren langsam auskühlen.

    Sterne mit bis zu vierfacher Sonnenmasse machen eine ähnliche Entwicklung durch wie die Sonne, allerdings viel schneller. Je mas-sereicher ein Stern ist, umso kürzer ist seine Lebensdauer. Der Stern Sirius  zum Beispiel erreicht mit etwa zwei Sonnenmassen nur un-gefähr ein Zehntel  des Alters unserer Sonne. Sehr massereiche Sterne existieren sogar «nur » einige Millionen Jahre, was nach kos-mologischen Massstäben sehr kurz ist.

      

    Sternenreste als Baumaterial

    Sehr massereiche Sterne haben zwar eine kurze Lebensdauer – sie erfüllen jedoch eine ganz wichtige Funktion im Kosmos: Sie produ-zieren die schweren chemischen Elemente. Im Verlauf ihrer Entwick-lung werden sie zu Roten Überriesen und im Kernbereich so heiss, dass die Kernverschmelzung weit  über das «Heliumbrennen»  von sonnenähnlichen Sternen hinausgeht. So entsteht eine Kettenreak-tion, in der immer schwerere Elemente produziert werden. Nachdem der Stern Siliziumkerne  zu Eisenkernen  verschmolzen hat,  endet  die Energieproduktion, und der Kern fällt in sich zusammen. Dabei  stösst er seine äusseren Bereiche explosionsartig ab, was zu einem gigantischen kosmischen Feuerwerk von unvorstellbarem Ausmass führt – einer Supernova. Der Stern kann dabei die Leuchtkraft von Milliarden normaler Sonnen annehmen und so viel Materie  in den Raum schleudern, wie für etliche Exemplare unseres Sonnensystems notwendig wäre. Für Beobachter auf der Erde wird der Stern plötz-lich so hell, dass er seine ganze Galaxie überstrahlt, auch wenn er vorher für uns gänzlich unsichtbar war. Es scheint dann, als ob ein neuer Stern aus dem Nichts entstanden wäre. Deshalb bezeichnet man das plötzliche Aufleuchten eines  sternähnlichen Objekts als Nova, ein ganz grosses derartiges Ereignis sogar als Supernova.Während einer Supernova-Explosion herrschen Bedingungen, 

    unter denen auch schwerere Elemente als Eisen entstehen können. Dabei werden auch so «exotische» Atome wie Gold oder Uran pro-duziert, die ja ebenfalls auf unserer Erde vorkommen. Mit dieser gi-gantischen Explosion werden die neu entstandenen Elemente in den Weltraum hinausgeschleudert, wo sie sich mit anderen Gaswolken wieder vermischen und später zum Aufbau von neuen Sonnen und Planeten «verwendet » werden. Alle Elemente, die auf unserem Pla-neten vorkommen, wurden in Sternen und Supernovae «ausgebrütet ». Unsere menschlichen Körper bestehen buchstäblich aus verglühtem Sternenstaub – oder anders ausgedrückt: Unsere Körper sind trans-

    formierte Überreste  längst vergangener Sonnen. Faszinierend die Vorstellung, dass Menschen, die dieses bulletin gerade  lesen,  ja selbst die Teleskope, mit denen sie die Sterne beobachten, und letzt-lich das gesamte Baumaterial  der Erde aus  vergangenem Stern-material bestehen. Wir sind im Wortsinne «Kinder des Weltalls»!

    Hier wird die faszinierende Intelligenz sichtbar, die im Universum offensichtlich ziemlich zielgerichtet auf das Leben «hinarbeitet ». Aus Unmengen an Wasserstoff bildeten sich durch geringfügige Dichte-schwankungen und den Einfluss der Gravitation Galaxien und Ster-ne. Hätte sich der Wasserstoff völlig gleichmässig verteilt, gäbe es uns heute nicht. Die «sehr grossen Sonnen» verbrannten sehr schnell und lieferten dadurch die Bausteine, die für einen weiteren Aufbau des Universums unbedingt notwendig waren. Nach einigen Stern- ge nerationen gab es im Weltall auch schwerere Elemente als Was-serstoff und Helium – unter anderem auch Kohlenstoff und Silizium, die auf unserer Erde für die Entstehung des Lebens eine wichtige Rolle spielen. Schliesslich braucht es gelbe, kleine Sonnen wie die unsrige, die eine genügend lange Lebensdauer haben und ein Pla-netensystem besitzen.  In diesem Planetensystem muss es zudem einen Planeten mit dem passenden Abstand zur Muttersonne geben. Er darf nicht zu nahe oder zu weit von dieser entfernt sein. Ausser-dem muss er die richtige Atmosphärendichte und -zusammensetzung haben, weil sonst entweder ein Backofenklima wie auf der Venus oder eine ewige Eiszeit wie auf dem Mars herrschen dürfte. Unter diesen Voraussetzungen können die uns heute bekannten Lebens-formen entstehen, falls zudem noch genügend Wasser in geeigneter Form (flüssige Ozeane) vorhanden ist. 

    Rein statistisch betrachtet sind die 13 Milliarden Jahre, seit denen der Kosmos besteht, für eine völlig zufällige Entstehung des Lebens viel zu kurz. Mit anderen Worten: Das hoch entwickelte Leben ent-stand praktisch in der kürzest möglichen Zeit. Auch wenn es auf den ersten Blick scheint, dass sich unsere Erde in einem kalten, lebens-feindlichen Universum befindet, das so gross ist, dass wir uns viel-leicht verloren vorkommen – es ist genau umgekehrt. 

    Das Universum ist auf Leben programmiert

    Das Universum scheint darauf programmiert zu sein, in immerwäh-renden Zyklen von Werden und Vergehen von Abermilliarden Sonnen eine immer höhere Ordnung der Materie zu schaffen, die zuerst pri-mitives Leben und schliesslich die höheren Lebensformen entstehen liess. Mehrere Generationen von Sternen mussten geboren werden und wieder sterben, damit diejenigen Materialien entstehen konnten, die  auf unserer Erde  vorkommen und aus denen wir  letztendlich selbst gebaut sind.

    Die Frage nach dem Warum scheint das menschliche Denkver-mögen  zu sprengen. Egal ob diese Kraft Gott, höhere  Intelligenz, Schöpfer oder wie auch immer genannt wird – für menschliche Be-griffe wird die Entstehung des Lebens  im Universum das faszinie-rendste Wunder bleiben, das je stattgefunden hat ! 

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Flora und Fauna Herkunft 29

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    Ein Kommenund Gehen

    Seit zwei Millionen Jahren herrscht in der Schweizer Tier- und Pflanzenwelt ein stetes Kommen und Gehen. Ohne Zuwanderung sähe die Landschaft erbärmlich aus. Selbst das Edelweiss ist ursprünglich keine Alpenpflanze, sondern ein Kind der asiatischen Steppe.

    Text: Mathias Plüss

    Mit den Pflanzen und Tieren ist es wie mit den Menschen: Wenn man nur weit genug zurückschaut, sind alle Ausländer.Selbst die Alpen, für viele Schweizer Inbegriff von Heimat, sind 

    fast  ausschliesslich  von Einwanderern besiedelt. Als  sie  sich  vor  25 bis 35 Millionen Jahren auffalteten, bekamen sie Zustrom von älteren Gebirgen: Alpenrose, Primel und Enzian etwa wanderten aus asiatischen Berggebieten in die Alpen ein – Krokus, Margerite und Narzisse aus dem Mittelmeerraum.

    Dabei  ist  die Artenzusammensetzung der Hochalpen noch  ver-gleichsweise stabil. Ungemein stärker waren die Umwälzungen, die Flora und Fauna des voralpinen Raumes erlebt haben: Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, angetrieben von Klimaänderungen und zuletzt von menschlichen Eingriffen. «So etwas wie ein Urzustand unserer Umwelt lässt sich nicht definieren», sagt der Münchner Zoo-loge Josef Reichholf. «Die Entwicklung war stets sehr dynamisch.»

    Ein ständiges Hin und Her zwischen Kalt- und Warmzeiten

    Das prägendste Ereignis vor dem Auftreten des Menschen waren die Eiszeiten. Für die Tiere und Pflanzen bedeuteten sie eine Katas-trophe: Sechzig Millionen Jahre lang war es stabil warm gewesen –dann rückten vor zwei Millionen Jahren plötzlich die Gletscher vor.Nun folgte ein stetes Hin und Her zwischen langen Kalt- und kurzen Warmzeiten; die vorläufig letzte Kaltzeit ging bei uns erst vor 12 000 Jahren zu Ende.

    Die Temperaturunterschiede waren dabei in Mitteleuropa so gross, dass mit dem Klimawechsel jeweils auch die Tier- und Pflanzenwelt zu einem grossen Teil ausgetauscht wurde. In Kaltzeiten verschwand der Wald, und auf die eisfreien Flächen wanderten Tundra- und Step-penarten ein, die  ihr Kerngebiet  in Osteuropa und Sibirien hatten. Dahin  zogen  sie  sich  in Warmzeiten  auch  wieder  zurück.  Dafür  wurde Mitteleuropa dann jeweils von Tieren und Pflanzen wiederbe-siedelt, die im Mittelmeergebiet «überwintert » hatten. Jeder Klima-wechsel war also von gewaltigen Migrationsströmen begleitet.

    Manche Art  blieb bei  den Wanderungen auf der Strecke. Die grossen europäischen Gebirge (Pyrenäen, Alpen, Karpaten) verlau-fen  von West nach Ost und erschweren die Rückwanderung  von Süden her. Mit  jedem Wechsel  von warm zu kalt oder umgekehrt gingen  daher  Arten  verloren  –  deshalb  hat  Europa  heute  eine  verhältnismässig arme Flora.  In Nordamerika (wo die Gebirge  in Nord-Süd-Richtung  verlaufen) gibt  es mehr  als 20 Eichenarten,  in Europa nur 4.

    Löwen und Leoparden im Mittelland

    Manchmal brachte der Klimawechsel aber auch Bereicherungen: Das Edelweiss, ursprünglich ein zentralasiatischer Hochsteppenbewoh-ner, kam wahrscheinlich erst in der letzten Eiszeit ins europäische Tiefland. Als es wieder wärmer wurde, zog es nicht  in die Steppe zurück, sondern kroch die Berge hoch. Auch die charismatischste 

  • 30 Herkunft Flora und Fauna

    bulletin 1/11  Credit Suisse

    Fotos: Creativ Studio Heinemann, Getty Im

    ages | M

    ichael Breuer, Prism

    a Bildagentur

    aller Alpenpflanzen  ist also ein Einwanderer,  ja sogar ein ziemlich junger Zuzüger. Schlimmer als bei den Pflanzen waren die Verluste bei den Tieren. 

    Wir machen uns kaum eine Vorstellung davon, wie reich die Welt der grossen Säugetiere bei uns noch vor 30 000 Jahren war. Man kennt von der Eiszeit-Fauna vielleicht das Mammut, die Säbelzahnkatze, den Höhlenbären,  aber da waren noch  viel mehr: Wollnashörner, Moschusochsen, Steppenbisons, Wildpferde, Saiga-Antilopen. Rie-senhirsche mit bis  zu 45 Kilogramm schweren Geweihen. Grosse Raubtiere wie Hyänen, Vielfrasse und Leoparden. Der Löwe kam bei uns auch nach der Eiszeit noch vor – in Ungarn und auf dem Bal-kan sogar bis vor 2500 Jahren.

    Flusspferde im Rhein weit verbreitet

    Ganz anders und vielleicht noch exotischer sah die mitteleuropäische Tierwelt der letzten Warmzeit vor etwa 120 000 Jahren aus: Waldnas-horn, Damhirsch und Auerochse  lebten hier – dazu Wasserbüffel,Wildpferd und Wildesel. Im Rhein waren Flusspferde weit verbreitet.Am eindrücklichsten dürften die zahlreichen Waldelefanten mit einer Schulterhöhe von bis zu vier Metern gewesen sein ! Noch im 18. Jahr-h  undert war den Gelehrten die Vorstellung von europäischen Nashör-nern und Elefanten derart ungeheuer, dass sie sämtliche Knochen-funde auf Importe für Zirkusspiele in römischer Zeit zurückführten.

    Da wir heute wieder in einer Warmzeit leben, müssten wir natür-licherweise auch wieder eine Warmzeit-Fauna haben. Doch die meis-ten dieser Tiere sind ausgestorben oder haben sich nach Afrika und Asien  zurückgezogen. Für die grossen Säuger und Raubtiere der 

      

    Eiszeit gilt dasselbe. Zwar dürften viele Populationen geschwächt gewesen  sein  wegen  des  abrupten  Klimawandels  am  Ende  der  letzten  Kaltzeit.  Da  aber  all  die  verschwundenen  Arten  frühere  Temperatursprünge  jeweils  überlebt  hatten,  kann man  für  diese Ausster bewelle kaum dem Klima die Schuld geben. Als einzige sinn-volle Erklärung bleibt, dass es der Mensch war, der durch Jagd und Nahrungskonkurrenz die einst  so  farbige Tierwelt Europas so arg dezimiert hat.

    Die Ausrottung der grossen Säuger war  aber erst  der Anfang.  Mit dem Aufkommen der Landwirtschaft vor 7000 Jahren begann der Mensch, auch die Landschaft und mit ihr die Pflanzenwelt um-zu gestalten –  zuerst  langsam,  dann  immer massiver,  sodass  es  heute  in der Schweiz kaum mehr einen Flecken gibt, der wirklich  ursprünglich ist. Noch vor 8000 Jahren war Mitteleuropa unterhalb der Baumgrenze zu 80 bis 90 Prozent von Wald bedeckt. Wirk lich offene Flächen gab es im Flachland nur nach Waldbränden, Erdrut-schen oder entlang von Gewässern. Allerdings darf man sich den Schweizer Urwald nicht als strammen, dunklen Fichtenw  ald vorstel-len – er war mit Bestimmtheit vielfältiger und licht durchfluteter. Da-für sorgten unter anderem die letzten überlebenden grossen Weide-tiere, etwa Hirsche, Auerochsen und Wisente, die durch Fressen und Trampeln den Wald offen hielten.

    Einerlei im Wald ist menschgemacht

    Dann begannen unsere Vorfahren, durch Brandrodung Flächen frei-zulegen und darauf Getreide anzubauen. Dadurch wurde der Wald immer weniger und  immer eintöniger. Die heutige Dominanz  von  Buchen, Eichen und Rottannen  ist menschgemacht, wie Untersu-chungen der Forschungsgruppe des Berner Botanikers Willy Tinner gezeigt haben: Indem der Mensch immer wieder Feuer legte und den Wald nutzte,  dezimierte er  die  im Mittelland einst  dominierenden  Ulmen, Linden, Ahorne und Eschen. Profitiert haben jene Arten, die besonders feuer- und störungsresistent sind, und das sind vor allem Buchen und Eichen.Während also die Wälder verödeten, blühten die Felder auf. Denn 

    auf den gerodeten Flächen wuchs nicht nur das Korn, sondern auch eine ganze Begleitflora, die die Steinzeit-Europäer unabsichtlich mit dem Getreide aus dem Nahen Osten importiert hatten. Kamille, Korn-rade, Klatschmohn, Kornblume: Diese attraktiven, heute teilweise wieder seltenen Arten sind Ost-Importe.Aber nicht nur sie. Man schätzt, dass in der Schweiz 40 Prozent 

    der Pflanzenarten so genannte Kulturfolger sind – dass sie also von der Tätigkeit der Menschen profitiert haben. Manche sind aus Step-pen eingewandert, als bei uns die Bäume im grossen Stil fielen. An-dere waren schon zuvor auf kleinen offenen Flächen vorhanden und haben sich dank der Landwirtschaft massiv ausgebreitet. Ähnliches gilt für Tiere, etwa für Feldmäuse und Kohlweisslinge, aber auch für inzwischen bedrohte Arten wie das Rebhuhn, den Feld hasen oder den Kiebitz.

    Experten fordern wieder mehr Wildnis

    Fast nichts mehr  in der Schweiz  ist vom Menschen unbeeinflusst. Ursprüngliche Wälder oder auch Flussläufe gibt es kaum mehr. Und ausgerechnet die  artenreichsten Flächen, die  kleinstrukturierten Wiesen und Felder mit Hecken, Einzelbäumen und Waldrändern, für viele Leute der Inbegriff von Natur, sind letztlich ein Kunstprodukt: Sie entstanden als unbeabsichtigte Folge einer bestimmten Form der Landbearbeitung und verschwinden  jetzt  im Zuge der  Inten si-

    Das Edelweiss kam vermutlich erst in der letzten Eiszeit von der asiatischen Steppe zuerst ins europäische Tiefland.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Flora und Fauna Herkunft 31Flora und Fauna

    vierung der Landwirtschaft wieder. Wie  soll  der Naturschutz mit dieser Situation umgehen? Einerseits, da sind sich die Fachleute einig, braucht es mehr Wildnis, etwa neue Nationalpärke, wo sich die natürliche Dynamik möglichst  ungestört  entfalten kann. Aller-dings muss man sich bewusst sein, dass sich dafür  in absehbarer Zeit keine riesigen Flächen finden lassen. « In der Jungsteinzeit leb-ten nur 20 000 Menschen auf dem Gebiet der Schweiz, in der Bronze-zeit vielleicht 100 000», sagt Urs Tester von der Umweltorganisation Pro Natura. «Mit den heutigen Einwohnerzahlen ist es völlig i llusorisch, dass wir zum Beispiel wieder 80 Prozent Wald haben werden.» 

    Mit staatlichen Mitteln Landschaften pflegen?

    Anderseits begleitet uns die traditionelle Kulturlandschaft schon seit einigen Tausend Jahren und ist darum wertvoll, auch wenn sie letzt-lich etwas Menschgemachtes  ist. Doch wie soll man sie erhalten, wenn die zugehörige extensive Landwirtschaft verschwindet ? Bei Pro Natura propagiert man Buntbrachen und Extensivstreifen, die der Bauer  zwischen  seine Felder  streuen  soll. «Die Begleitflora gehört zum Ackerbau», sagt Urs Tester. «Wenn es  in der Schweiz keine Getreidefelder mehr gäbe, dann bräuchte es auch die Begleit-pflanzen nicht mehr. Denn ohne den entsprechenden Lebensraum wären sie nur noch etwas Museales, und das wollen wir nicht.»Josef Reichholf  hingegen betont gerade die Parallele  zum Mu-

    seum: « Im Agrar- oder Forstbereich mit Gewalt  einen Zustand  zu erhalten, der ertragsschwächer  ist als die  Intensivbearbeitung,  ist auf lange Sicht unrealistisch», sagt er. Um den Erhalt der Kulturland-schaft sollten sich daher die Naturschützer kümmern und nicht die 

    Landwirte. «Es geht um ein Kulturgut und ist daher auch eine Kul-turaufgabe. Am besten wäre es, wenn die Naturschutzverbände Grundbesitzer würden und Teile der Landschaft pflegten. Das Geld könnte vom Staat kommen. Das wäre dann das Gleiche wie bei einem Museum, wo man mit Staatsmitteln gewisse Dinge erhält, die einem Teil der Bevölkerung etwas bedeuten.»

    Diskussion über die Wiederansiedlung des Wisents

    Schwieriger ist es mit  jener Natur, die bereits ganz verschwunden ist. Wäre es möglich, in der Schweiz etwa Wisente wiederanzusie-deln – grosse Wildrinder, wie es sie hier noch vor ein paar Tausend Jahren in grosser Zahl gab? «Der Wisent würde als grosser Pflanzen-fresser eigentlich  in unsere Landschaft gehören», sagt Urs Tester von Pro Natura. Man überlege sich derzeit Wiederaussetzungen im Jura, allerdings in grossen Freigehegen. «Sie kämen sonst rasch in Konflikt mit  unserer Landnutzung.»  Josef Reichholf  hat  ähnliche Bedenken: Wenn man ein Tier wirklich  frei wiederansiedeln wolle, dann besser robuste Pferde. «Pferde sind am besten geeignet. Sie halten Distanz und sind lernfähig – kapieren etwa rasch, dass Autos gefährlich sind.»Und was ist mit den vielen grossen Raubtieren, die einst unsere 

    Gegend bevölkerten? Der dänische Biologe Jens-Christian Svenning hat den ernst gemeinten Vorschlag gemacht, Löwen in Europa wie-deranzusiedeln. Doch muss man kein Prophet sein, um zu wissen, dass das zumindest für die Schweiz völlig unrealistisch ist: Ein dicht besiedeltes Land, das mit einwandernden Bären und Wölfen seine liebe Mühe hat, wird niemals Löwen dulden.  <

    Wisente sind grosse Wildrinder, die vor ein paar Tausend Jahren in grosser Zahl die Landschaften der Voralpen besiedelten.

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    I nvestWirtschaft, Märkte und Anlagen

    Invest l

    Wirtschaft

    Wir erwarten ein weiteres Jahr mit starkem Wachs-tum. Die Dynamik nimmt vor allem in den Industrie-ländern zu. Die Infl ation steigt insbesondere in Schwellenländern weiter.

    Zinsen und Obligationen

    Gegen Ende 2011 ist mit ersten Zinsschritten der EZB und SNB zu rechnen. Die langfristigen Zinsen nehmen dies  vorweg.  Obligationen  bleiben unter Druck. 

    Währungen

    Wir erwarten einen eher schwächeren US-Dollar gegenüber dem EUR und asiatischen Währungen. Der Franken hat seinen Höchststand gegenüber dem EUR erreicht.

    Aktienmärkte

    Starkes Wachstum, starke Unternehmens-bilanzen, vernünftige Bewertungen und zuneh-mender Risikoappetit stützen Aktien. Das Hauptrisiko sind Zins-erhöhungen.

    Rohstoffe

    Die globale Nachfrage nach Rohstoffen nimmt weiter zu, aber wir erwar-ten zunehmende Preis-ausschläge. Das Risiko sind auch hier höhere Zinsen.

    Immobilien

    Schweizer Immobilien sind nur in einigen Regionen überteuert. Wir erwarten 2011 trotz zunehmenden Angebots weitere Preis-erhöhungen.

    Foto: Ed Darack, CorbisDie Turbulenzen in Libyen haben zu einem 

    Sprung bei den Ölpreisen und einem Rückschlag an den Aktienmärkten geführt. Müssen wir nun mit einem Szenario wie 1973 oder 1990 rechnen, als Kriege in Nahost zu einem Ölschock und bald darauf zu einer Rezession führten? Wir denken nicht, denn das Risiko scheint relativ gering, dass die wichtigsten Ölexportländer im Golf ernsthaft destabilisiert werden. Gerade weil sie ihre unzufriedenen Bevöl-kerungsschichten unterstützen müssen, werden Länder wie Saudi Arabien und Iran ihre Erd ölförderung sogar forcieren. Das Wachs tum der Weltwirtschaft sollte also kaum beeinträchtigt werden und die Infla-tion nur temporär ansteigen. Deshalb b  leiben wir im Moment in unserer Anlage-strategie auch bei einer Übergewichtung von Aktien. Einige Lehren lassen sich aber aus den jüngsten Entwicklungen doch  ziehen: Erstens sind politische Entwicklun-gen für Anleger ebenso wichtig wie wirt-schaftliche. Zweitens sind politische Syste-me, die nicht demokratisch verankert sind, längerfristig instabil. Drittens ist der Zeitpunkt politischer Änderungen ebenso schwierig zu prognostizieren wie derjenige der wirtschaftlichen. Viertens bleibt die  Abhängigkeit von fossilen Energieträgern eine der primären Fussangeln für unser Wirtschaftssystem.

    Dr. Oliver Adler Leiter Global Economics

  • bulletin 1/11  Credit Suisse

    ll Invest

    Wirtschaft

    Industrieländer besser, Schwellenländer weiter solide

    Das Wachstum der Weltwirtschaft hält an und ist zunehmend breiter abgestützt. Dabei fällt auf, dass die Ergebnisse von Unternehmensbefragungen  in Industrielän-dern sich jüngst weiter verbessert haben, während sie in Schwellenl ändern stabil oder leicht rückläufi g waren (siehe Chart). Der Wachstumsverlauf in Europa bleibt sehr un-einheitlich. Die grösseren Eurozone-Länder, insbesondere Deutschland, wachsen solide. Hingegen schränken die intensiven Spar-massnahmen die Wachstumsaussichten in den von der Schulden krise stark betroffenen Ländern sehr ein.  Thomas Herrmann

    Unternehmer in Industrieländern optimistischer Quelle: Bloomberg, PMIPremium, Credit Suisse

    G3 (USA, Eurozone, Japan) BRIC

    30

    35

    40

    45

    50

    55

    20102009200820072006

    ExpansionKontraktion

    2011

    EinkaufsmanagerindexIndustrie

    Frankenstärke dämpft Preise

    Die Schweizer Wirtschaft profitiert weiter- hin von der starken Auslands- und Binnen-nachfrage. Allerdings rechnen wir wegen der anhaltenden Frankenstärke mit einer Ver-fl achung der Exportdynamik. Positive Folge des starken Frankens ist die zunehmende Dämpfung der Preise. Die Kerninfl ation fi el im Januar im Vorjahresvergleich auf 0%. Ausser den höheren Energiepreisen sind kaum Preistreiber auszumachen, zumal die Produktionskapazitäten noch immer nur durchschnittlich ausgelastet sind. So wird die Nationalbank vor Ende 2011 wohl keine Zinserhöhung vornehmen müssen. Fabian Heller

    Marcus Hettinger

    Quelle: Datastream, Credit Suisse

    Marcus Hettinger

    Zinsen und Obligationen

    Kurzfristige Zinsen trotz Infl ationsanstiegs weiterhin historisch tief

    Insbesondere in Schwellenländern ist die Infl ation jüngst angestiegen (siehe Chart). Dies ist in erster Linie eine Folge der höhe-ren Rohstoffpreise (z. B. Nahrungsmittel), aber in Schwellenländern bestehen auch  zyklische Infl ationsrisiken, die über den «Rohstoffschock» hinausgehen. Die dortigen Notenbanken straffen daher zunehmend die Geldpolitik. In den Industrieländern rech-nen wir mit einer ersten Zinserhöhung der Bank of England im Mai. Im Euroraum und in der Schweiz dürften die kurzfristigen Zinsen noch bis etwa Ende Jahr auf ihrem histori-schen Tief verharren, in den USA wohl sogar noch länger.  Thomas Herrmann

    Infl ation steigt wegen höherer RohstoffpreiseQuelle: Bloomberg, Datastream, Credit Suisse

    Schwellenländer (EM-8) Industrieländer (G3: Eurozone, Japan, USA)

    – 2.0

    0

    2.0

    4.0

    6.0

    2009200720052003 2011

    InflationJahresveränderung (in %)

    Anleihemärkte: Investieren in schwierigem Zinsumfeld

    Die an Fahrt gewinnende Weltwirtschaft und der zunehmende Risikoappetit von  Anlegern dürften zu weiter steigenden län-gerfristigen Zinsen beitragen, nicht zu-letzt bei EUR- und CHF-Anleihen, deren Renditen wegen verbliebener Unsicherheiten über die EU-Schuldenkrise noch  gedrückt sind. Wir empfehlen in diesem  Umfeld eine Fokussierung auf kurz- und mittelfristige Laufzeiten und die Bei mischung von Fonds, die in Anleihen  geringerer Kreditqualität, z.B. im Bereich von Entwicklungsländern sowie hoch v  erzinster Unternehmens- oder nachrangiger Bankenanleihen, investieren.  Stefan Klein

    EUR/USD

    EUR/USD-Wechselkurs 2-jährige Zinsdifferenz Swap EUR minus USD

    1.10

    1.20

    1.30

    1.40

    1.50

    1.60

    2009200720052003

    –2

    –1

    0

    1

    2%

    2011

    Währungen

    US-Dollar ohne Zinsunter stützung

    Der US-Dollar dürfte 2011 gegenüber den meisten Währungen schwach bleiben oder sich sogar noch weiter abschwächen. Die Kombination von einem anhaltend tiefen US-Zinsniveau mit einem Aussenhandels- und Fiskaldefi zit steht unserer Meinung nach einer Erholung des Dollars im Wege. Wir erwarten auch, dass sich der strukturelle Aufwertungstrend der Währungen von Schwellenl ändern im Zuge der globalen Konjunkturerholung fortsetzen wird. Asiati-sche Währungen erscheinen uns attraktiv, da sie aufgrund ihrer Leistungsbilanz-überschüsse unter Aufwertungsdruck blei-ben dürften. 

    Tiefe US-Zinsen sprechen gegen Dollarerholung

    Das Ende der Frankenstärke gegenüber dem EUR

    Die deutliche Überbewertung des Frankens gegenüber dem Euro sowie die höheren Zinsen im Euroraum sprechen für einen schwächeren Franken. Dies vor allem, wenn sich die Eindämmung der Schuldenkrise in der EWU als dauerhaft erweist und die globale Konjunkturer holung – wie von uns erwartet – weitere Fortschritte macht. Unter diesen Umständen würden Kapital-abfl üsse aus der Schweiz zunehmend wahr-scheinlich. Das charttechnische Bild hat sich für EUR/CHF jüngst ebenfalls verbes-sert und signal isiert, dass die Frankenstärke einen Höhepunkt erreicht hat. 

  • Credit Suisse  bulletin 1/11

    Invest Ill

    Martin Bernhard

    Quelle: BfS, Credit Suisse

    Neu erstellte Wohnungen, Summe über 4 Quartale Im Bau befindliche Wohnungen

    30 000

    40 000

    50 000

    60 000

    70 000

    Anzahl

    201120092007200319991995

    Tobias Merath

    Quelle: Bloomberg, Credit Suisse

    Credit Suisse Commodity Benchmark

    0

    10

    20

    30

    40

    201120102009200820072006

    Historische 30-Tage-Volatilität (annualisiert) in %

    Akti