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Beilage zu Falter. Stadtzeitung Wien | Steiermark. Nr. 25/08 Erscheinungsort: Wien. P.b.b. 02Z033405 W; Verlagspostamt: 1010 Wien; lfde. Nummer 2153/2008; Abb.: Viktor Deak, aus „Der lange Weg zum Menschen“ heureka! 2–08 Das Wissenschaftsmagazin im Falter Woher wir kommen Auf der Suche nach unseren Vorfahren Heureka 2_08.qxd 13.06.2008 12:37 Uhr Seite 25

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Beilage zu Falter. Stadtzeitung Wien | Steiermark. Nr. 25/08 Erscheinungsort: Wien. P.b.b. 02Z033405 W; Verlagspostamt: 1010 Wien; lfde. Nummer 2153/2008;

Abb.: Viktor Deak, aus „Der lange Weg zum Menschen“heureka!2–08Das Wissenschaftsmagazin im Falter

Woherwirkommen

Auf der Suche nach unseren Vorfahren

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IRRIGER STAMMBAUM 4 Aller Anfang ist schwer – so auch

die Deutung von Fossilien der er-

sten Menschenartigen in Afrika.

ERSTE EUROPÄER 12Funde auf der Iberischen Halbin-

sel stellen das bisherige Besied-

lungsmodell Europas in Frage.

LETZTE VERWANDTE 16Wie der Neandertaler mit Homo

sapiens zusammenlebte – und

wie er ausgestorben sein könnte.

ALTE DAMEN 18

Vor 100 Jahren wurde die Venus

gefunden – rätselhaft sind sie

und ihre Schwestern bis heute.

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser!

Woher wir kommen? Auf diese uralteFrage wird es wohl nie eine definitiveAntwort geben. Sei’s drum. NeueFunde, aber vor allem auch neue wis-

senschaftliche Methoden wie DNA-Analysenmachen die Suche nach unseren Anfängenheute zu einem besonders spannenden For-schungsfeld. Und die Computergrafik gibt unsbildhafte Vorstellungen von unseren Vorfahren– wie zum Beispiel von „Lucys Tochter“, dieunser Cover ziert. Das Bild dieses 3,5 Milliar-den Jahre alten Vormenschen haben wir dembrandneuen Band „Der lange Weg zum Men-schen“ entnommen. Einen relativ langen Weg legten die zahlrei-chen Beiträge von Oliver Hochadel für diesesHeft zurück. Er ist im Zweitberuf Wissen-schaftshistoriker und erforscht derzeit in Bar-celona die Vormenschenforscher. Spanien istdafür ein guter Ort, hat man doch dort geradeerst den Unterkiefer des bislang „ältesten Euro-päers“ gefunden.Aber auch in Österreich wird gegraben. Zu-letzt auch wieder in Willendorf in der Wachau.Willendorf? Genau! Vor ziemlich genau 100Jahren wurde dort die berühmte Venus gefun-den. Die kleine Steinfigur wird gerade pompösgefeiert. Dem wollen auch wir uns nicht ver-schließen: Sie lebe hoch! Die Redaktion

Impressum: Beilage zu Falter Nr. 25/08; Herausgeber: Falter Verlags GmbH, Medieninhaber: Falter Zeitschriften GmbH,Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T.: 01/536 60-0, F.: 01/536 60-912, E.: [email protected], DVR-Nr.: 0476986; Redaktion: Birgit Dalheimer, Klaus Taschwer, Oliver Hochadel; Satz, Layout, Grafik: Reinhard Hackl; Druck: Berger, Horn

heureka! erscheint mit Unterstützungdes Bundesministeriums für

Wissenschaft und Forschnung

LUCY 7 Ein Skelett und viele Bilder | KNOCHENHATZ 8 Ein A-Z der Hominidenforschung | ANDALUSISCHER SCHMELZTIEGEL 11

Urzeitliche Artenvielfalt in Südspanien | OUT OF AFRICA 14 Die Ausbreitung des modernen Menschen | WILLENDORF REVISITED 16Grabungsleiter Bence Viola im Interview | TRAUMBERUF FOSSILSUCHE 22 Fünf Wissenschaftler über ihren Grabungsalltag

Unter einem Mammutschulterblatt wurden diese beiden Säuglinge vor rund 27.000 Jahrenam Wachtberg nahe Krems begraben. Geschmückt mit einer Elfenbeinperlenkette sind siedie weltweit ältesten Zeugnisse von Kinderbestattung und wurden vor drei Jahren beiGrabungen wiederentdeckt. Sie könnten weitere Aufschlüsse über das Leben unsererVorfahren geben. Vorerst aber werden sie einmal ausgestellt: noch bis 29. Juni imWeinstadtmuseum Krems und ab August im Naturhistorischen Museum Wien.

INHALT

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Monsterschädel. Zu Beginn seines Vortragszeigt Friedemann Schrenk ein Bild desKlagenfurter Lindwurms. So interpretierteman im 14. Jahrhundert den Schädel einesWollnashorns, der musste einem Monstergehört haben. Die heutige Wissenschaft seiim Prinzip auch nicht besser, sagt der deut-sche Paläoanthropologe seinem interessier-ten Laienpublikum. Unser Weltbild fließein die Interpretation von Fossilien unwei-gerlich mit ein.90 Minuten und viele Powerpointfolienspäter beginnt die Diskussion: Sprache,aufrechter Gang, unsere Verwandtschaftmit den Neandertalern – immer wiederzeigen die Zuhörer auf und stellen noch

eine Frage. Schrenk referiert den jeweilsletzten Stand der Forschung, um am Endenochmals klarzustellen: „Sie wollen wissen:Wie war es denn nun? Keine Ahnung. Esgibt in der Paläoanthropologie nur ‚wahr-scheinlich‘ oder ‚unwahrscheinlich‘ bezo-gen auf eine Hypothese.“Schrenk, Professor an der UniversitätFrankfurt am Main und Leiter der Abtei-lung Paläoanthropologie am Forschungsin-stitut Senckenberg, hält häufig Vorträge.Er rede gerne mit den Menschen, sagt er.Das gilt wohl auch fürs Schreiben: vier po-pulärwissenschaftliche Bücher hat er inden letzten Jahren (mit-)verfasst. 2006 er-hielt er den mit 50.000 Euro dotiertenCommunicator-Preis für herausragendesEngagement in der Vermittlung von Wis-senschaft.Noch lieber als durch deutsche Landenfährt Schrenk freilich nach Afrika. Das seija das Beste an der Paläoanthropologie,

auch wenn das nicht alle Forscher so of-fen zugäben.

Geografisch denken. Schrenk (51) ver-bringt seit den frühen 1980er-Jahren so

viel Zeit wie möglich auf dem schwarzenKontinent. Bei der Wahl seines ersten For-schungsgebiets entschied er sich für Mala-wi in Südostafrika, eines der ärmsten Län-der der Welt, das genau zwischen den be-deutenden Fundorten in Äthiopien, Keniaund Tansania im Osten und Südafrika imSüden liegt. Unsere Vorfahren mussten auch Spurendazwischen hinterlassen haben, so dieÜberlegung. Nach acht Jahren Buddeleiendlich der Lohn: 1991 fand das „Homi-nid Corridor Research Project“ einen 2,5Millionen Jahre alten Unterkiefer eines so-genannten Homo rudolfensis, genannt UR501 (s. S. 10). Schrenk könnte sich nunbrüsten, das älteste Fossil der GattungHomo entdeckt zu haben. Tut er abernicht. Im Grunde sei es ungerecht, dassFunde so stark bewertet würden.

Denkfalle. Die Vormenschenkunde hatteimmer etwas von einer Jagd an sich, seitder Holländer Eugene Dubois 1890 als er-ster Forscher nach Java auszog, um dasMissing Link zwischen affenartigen Vor-

Nach wie vor jagen die Wissen-

schaftler nach unserem ältesten

Vorfahren. Sie finden immer

spektakulärere Fossilien, aber

keine endgültigen Antworten –

weil Stammbäume auch zum

Brett vor dem Kopf werden

können. Oliver Hochadel

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Afrikanische Anfänge

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fahren und „uns“ zu finden. Zunächststand Asien hoch im Kurs, ab den 1960er-Jahren durchstöberten westliche Forschervor allem den ostafrikanischen Graben-bruch.Zwar wollen Paläoanthropologen längstnicht mehr als Trophäenjäger gesehen wer-den, sondern als Wissenschaftler mit Blickfür das Ganze. Aber so ganz überzeugendgelingt ihnen diese Verwandlung nicht.Gerade zu Beginn dieses Jahrtausends kames wieder zu einer Fülle an Funden, bei derman sich kaum des Eindrucks erwehrenkonnte, es handele sich dabei um eine ArtWettrennen. Bis dahin war kein hominides, d.h. (vor-)-menschenartiges Fossil bekannt, das älterals etwa 4,5 Millionen Jahre war. Im Okto-ber 2000 wurde der in Kenia gemachteFund des „Millennium Man“ (Orrorin tu-genensis) öffentlich gemacht. Alter: sechsMillionen Jahre. Im Juli 2001 folgte deräthiopische Ardipithecus kadabba mit etwa5,6 Millionen Jahren. Genau ein Jahr spä-ter wurde der erstaunten Weltöffentlich-keit der bis zu sieben Millionen Jahre alteSahelanthropus tchadensis präsentiert.Die jeweiligen Finder behaupteten umge-hend, „ihre“ Schädel und Schienbeinestammten vom ältesten Hominiden. DieFossilien der jeweils anderen Forschergrup-pen seien hingegen keine Hominiden, son-dern Vorfahren der Menschenaffen, derenAbstammungslinien sich nach heutigerLehrmeinung vor sechs bis sieben Millio-nen Jahren getrennt haben. Die Kontrover-sen werden dabei nicht nur wissenschaft-lich, sondern mitunter auch handfest aus-getragen.

No fossil, no fame. Martin Pickford, derEntdecker des „Millennium Man“, landetefür einige Tage im kenianischen Gefängnis,weil ihm angeblich die Grabungslizenzfehlte. Yohannes Haile-Selassie, der Ent-decker des Ardipithecus kadabba, beschul-digte das Team des österreichischen An-thropologen Horst Seidler, widerrechtlichauf seinem Territorium in der äthiopischenAfarsenke zu graben. Wenn der Preis hochist, steigt auch der Einsatz.Schrenk kann dieser Hatz nach unseremältesten Vorfahren nichts abgewinnen. Dassei anthropozentrisch und mittlerweileüberholt. Klassische, also schlanke und li-neare Stammbäume haben in der Stam-mesgeschichte des Menschen ausgedient.Mindestens vier verschiedene hominideSpezies wurden allein in den 1990er-Jah-ren entdeckt: Australopithecus bahrelgaza-li, Australopithecus anamensis, Kenyan-

thropus platyops, Ardipithecus ramidus.Hier kann man sich nur mehr mit demBild eines „Stammbusches“ behelfen, umdie vielfachen Verzweigungen und unkla-ren Abstammungsverhältnisse zu visuali-sieren. Jüngstes Beispiel ist der 2007 veröf-fentlichte Fund eines Homo habilis in Ke-nia, der auf 1,44 Millionen Jahre datiertwird. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich – zu-mindest gemäß dem traditionellen Stamm-baum – der Homo habilis aber längst in

Homo erectus weiterentwickelt, offenbarlebten die Arten aber einige hunderttau-send Jahre lang zumindest zeitlich neben-einander.

Das Ende des Missing Link. „Man muss dieFunde in der Gesamtheit sehen“, fordertSchrenk und meint damit den Blick auf dieBiogeografie, sprich: die sich wandelndenLebensräume. Vor zehn Millionen Jahrenerstreckte sich der tropische Regenwaldvon der West- bis zur Ostküste Afrikas. Voretwa acht Millionen Jahren zog er sich im-mer weiter zurück, wodurch eine 8000 Ki-lometer lange Mischform aus Regenwaldund baumbestandener Savanne entstand.

Für Schrenk stellte diese Landschaftsformein natürliches Experimentierfeld dar. Sosei der aufrechte Gang dort vermutlichmehrmals entstanden, zeitlich und geogra-fisch versetzt. Die spektakulären Funde derJahre 2000 bis 2002 stärken diese These:Sie liegen nämlich einerseits tausende Ki-lometer voneinander entfernt, andererseitsaber alle an der ehemaligen Regenwaldpe-ripherie.Besteht da Konsens in der Scientific Com-munity? „Nein, die meisten Kollegen küm-mern sich nicht um Biogeografie“, konsta-tiert Schrenk: „Die sind ganz auf die Fossi-lien fixiert und versuchen die Arten in Be-ziehung zueinander zu setzen.“Für Schrenk krankt dieses rein taxonomi-sche Denken aber daran, dass es nur dieDimension Zeit einbezieht und jene desRaums ignoriert. Der Lindwurm der Mo-derne ist der Stammbaum. „Was soll einModell, in dem auf Australopithecus afa-rensis der Australopithecus africanus folgt?Die folgen zwar zeitlich aufeinander, aberdie erste Art findet sich in Ostafrika unddie andere in Südafrika, tausende Kilome-ter voneinander entfernt.“ So erklärt sichdie große Variabilität der Vormenschenar-ten durch geografische Varianten. „Je mehrman findet, desto weniger wird es das eineMissing Link geben.“

Gezielte Suche. Das biogeografische Modellhat zudem den Vorteil zu prognostizieren,wo sich eine Suche lohnen könnte.Schrenk sondiert derzeit im westafrikani-schen Land Mali, ob dort Sedimente ausder entsprechenden Zeit zugänglich sind,während andere – wie der österreichischeHumananthropologe Horst Seidler – wei-ter auf die „traditionellen“ Fundorte inOstafrika setzen (s. Kasten S. 6).Schrenk sagt, er habe Seidler gefragt:„Warum gehst du nach Äthiopien? Nochein paar Zähne im Afardreieck zu findenändert mein Weltbild nicht.“ Aber,schränkt Schrenk gleich ein, Vorhersagenlassen sich bei der Fossilienhatz natürlichnur bedingt treffen. Funde wie den klein-wüchsigen Homo floresiensis (siehe Stich-wort „Hobbits“, S. 9), der 2003 in Indone-sien gemacht wurde, hätte man nie pro-gnostizieren können.

Paläopolitik. Dass sich der „Ertrag“ homi-nider Fossilien in den letzten zehn, 15 Jah-ren so gesteigert hat, hängt ursächlich da-mit zusammen, dass sich die politische Si-tuation in vielen afrikanischen Ländernwesentlich entspannt hat. Äthiopien etwahatte von 1982 bis 1990 Ausländern jegli-

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Das Stammbaumdenkenkrankt daran, dass es nurdie Zeit einbezieht und denRaum ignoriert

„Je mehr man findet, desto weniger wird es daseine Missing Link geben.“ – Friedemann Schrenk

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che Feldforschung untersagt. Schrenk forschtlängst nicht mehr nur in Malawi, sondern auchin Tansania, Kenia und Uganda. „In Uganda hät-ten wir noch vor Jahren nicht graben können.“Auch in Namibia, Angola, Mosambik könneman jetzt arbeiten, auch wenn es dort noch nichtso viele Funde gebe.Paläoanthropologie ist immer auch Politik. Undin Afrika steht diese im Zeichen des Postkolonia-lismus. Anfangs waren Einheimische bei den Ex-peditionen westlicher Teams nur als Grabungs-helfer mit von der Pälao-Partie. Nun ist die Aus-bildung Studierender und die Einbindung vonWissenschaftlern aus dem Land selbst ein Muss.Das österreichische Team von Horst Seidler hat-te in seiner ersten Grabungssaison im Jahr 2000diesen Fehler gemacht. Nun sind dort äthiopi-sche Archäologen und Geologen mit dabei.Die Verschiebung des Gewichtes und der Sensi-bilitäten zeigt sich auch in der Sprache. Bezeich-nungen neuer Arten wie Ardipithecus kadabbaenthalten nun Ausdrücke aus der Sprache derEingeborenen. „Kadabba“ („Urvater“) ist derSprache der Afar in Äthiopien entlehnt. Selbstdie populären Spitznamen heißen nun nichtmehr „Lucy“, wie jener nach einem Song derBeatles 1974 benannte Australopithecus afaren-sis, sondern wie Sahelanthropus tchadensis„Toumaï“, „Hoffnung auf Leben“, in der Spra-che der Goran im Tschad.

(Post-)Koloniale Abhängigkeitsverhältnisse gebees aber nach wie vor, seufzt Schrenk und meintdie Forschungsförderung. „Es ist praktisch un-möglich, für unsere Partnerinstitutionen in Afri-ka deutsche Gelder zu bekommen.“ Das Pro-blem für europäische Geldgeber sei die mangeln-de Transparenz in den afrikanischen Ländern.Aber wie soll internationale Zusammenarbeitfunktionieren? „Sollen wir nur noch mit Frank-reich und Japan kooperieren, die die Gelderselbst aufbringen können?“

Neues Selbstbewusstsein. Auf den Sinn westlicherEntwicklungshilfe angesprochen reagiertSchrenk wie viele Afrika-Kenner mit einemSchulterzucken und berichtet dann, was damitalles schiefläuft. So wurde etwa am Malawiseeein topmoderner Containerhafen gebaut – mitdem Schönheitsfehler, dass dort keine Contai-nerschiffe fahren.Mit Geld und Technologie allein sei es jedenfallsnicht getan, es brauche ein Bewusstsein für dieeigene Kultur und Geschichte, zumal sie im Fal-le der Paläoanthropologie für ein neues Selbstbe-wusstsein sorgen könne. Schrenk und seine Mit-streiter haben in Karonga im Norden Malawisein Museum eingerichtet. Erst dadurch erfuhrenviele der Einheimischen, dass die Wiege derMenschheit (genauer natürlich: die Wiegen) inAfrika stand – und waren stolz. �

heureka! „Da lag nur ein winziges Bruch-stück auf dem Boden, der Kopf einesOberschenkels. Ich habe mir das ange-schaut und wusste: Es ist hominid.“ FürBence Viola ging im Februar 2005 ein Pa-läoanthropologentraum in Erfüllung. Erhatte das Fossil eines Vormenschen gefun-den. Viola (der auch in Willendorf aus-gräbt, s. Interview S. 21) ist Mitglied einesinternationalen Grabungsteam unter derLeitung des Wiener Anthropologen HorstSeidler, das seit Februar 2000 in der äthio-pischen Afarsenke bei Galili schon so man-chen Stein umgedreht hat. Sechs Zähnehat man bisher gefunden, das Prunkstückist der Oberschenkel.Unglück im Glück. Ausgerechnet an dieserStelle war ein Nilpferd „explodiert“.Sprich: Bei der Suche nach anderen Bruch-stücken des Oberschenkels galt es sichdurch einen Wust anderer fossiler Kno-chen und Knöchelchen durchzuwühlen.„Wir haben auf 16 Quadratmetern allesaufgesammelt und einen Meter tief abgear-

beitet“, berichtet Viola. Schließlich fandensich 26 Fragmente, die sich zum oberenTeil eines Oberschenkels zusammenfügenließen.Das Alter des Fossils schätzt Viola derzeit auf4,2 Millionen Jahre, ungeduldig wartet erauf die sich immer wieder verzögernde ge-naue Datierung der Vulkantuffe aus einemAmsterdamer Speziallabor.Der Fund sei sehr bedeu-tend, weil aus dieser Zeitsonst kein Oberschenkelbekannt ist. Der Hominidging aufrecht, verbrachteaber vermutlich noch vielZeit auf Bäumen. Um wel-che Art es sich handelt, seisehr schwer zu sagen, viel-leicht Australopithecus ana-mensis.

Rendezvous mit Tier und

Mensch. Natürlich seienPaläoanthropologen ehr-

geizig, sagt Horst Seidler. Aber an sich seies überhaupt nicht wichtig, wer den älte-sten Fund gemacht hat. Entscheidend sei-en die geologische Einordnung der Fossi-lien und die Rekonstruktion der Paläo-ökologie. Und da wurde sein Team in Ga-lili bereits reichlich fündig. Der Besitzerjenes Oberschenkels teilte sich seine Um-

welt neben besagtem Nil-pferd mit verschiedenenSchweinen und Elefanten.Spuren von insgesamt überfünfzig verschiedenenTierarten aus dieser Zeithaben die Forscher mitt-lerweile entdeckt. DieTierwelt lässt wiederumRückschlüsse auf die Vege-tation zu. Vor vier Millio-nen Jahren war die Afar-senke keine Steinwüste,sondern eine fruchtbareSavanne mit Bäumen undSträuchern. O.H.

Explosives Nilpferd

Apa

Zum Nachlesen

G. J. Sawyer, Esteban Sarmiento,Richard Milner und Donald C. Jo-hanson: Der lange Weg zum Men-

schen. Lebensbilder aus 7 Millionen Jahren Evo-lution. Heidelberg 2008 (Spektrum Akademi-scher Verlag). 216 S., e 41,10

Der 4,2 Mio. Jahrealte Oberschenkel-

knochen (m.) imVergleich: heutiger

Mensch (l.), Schimpanse (r.).

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Wiedererweckung. Am 30. November 1974fand Donald Johanson in der äthiopischenWüste fossile Rippen, Oberschenkel- undHüftknochen sowie Schädelfragmente, die zueinem Individuum gehörten. In seinem Buchüber „Lucy“ beschreibt er, wie das Team inden nächsten Wochen immer mehr Teile zu-rück ins Lager brachte und dort auf einemTisch anordnete: „Der Effekt war unheim-lich. Wir alle hatten das Gefühl, dass diesesuralte Wesen vor unseren Augen wiederer-schaffen wurde und zum Leben erwachte.“Dieser Australopithecus afarensis wurdeschnell zum bekanntesten Fossil eines Vor-menschen überhaupt. Nicht nur wegen sei-nes geschickt gewählten Spitznamens (nach„Lucy in the Sky with Diamonds“) und ho-hen Alters von knapp 3,2 Millionen Jahren.Sondern auch, weil es vergleichsweise voll-ständig war. Häufig findet sich ja nur einSchädelfragment oder zwei Zähne.

Vernachlässigt man die Hand- und Fußkno-chen, sind 30 bis 40 Prozent des Skeletts er-halten. Durch eine Spiegelung lässt sich diesauf etwa 70 Prozent steigern. Das Skelett„steht“, die entscheidende Frage, ob Lucyaufrecht ging, ist damit implizit schon beant-wortet. Durch die rasche Verbreitung diesesBildes (1) wurde der Eindruck erweckt, einen„ganzen“ (Vor-)Menschen vor sich zu haben.Lucy wurde zu unser aller Urmutter, zur Per-son.Der Schritt vom Skelett zur Ganzkörperfigurdauerte nicht lange, schon Anfang der 80er-Jahre versuchten sich Künstler im Auftragvon Naturkundemuseen an der Rekonstruk-tion aus Kautschuk. Nur: Weichteile fossilie-ren ja nicht. Wie aber werden die „Lücken“gefüllt, also etwa Haar- und Hautfarbe? Wieviel Fleisch trägt man auf? Dass hier die eige-ne Fantasie mitspielt, räumen alle Künstlerein. Gleichzeitig verweisen sie aber auch auf

ihre enge Zusammenarbeit mit Paläoanthro-pologen bei der Rekonstruktion.Diese fallen dennoch sehr unterschiedlich aus.Die Lucy im Genfer Muséum d’histoire na-turelle (2), gefertigt von Gérard Métral undOlivier Bindscheller, wirkt mit ihrer glattenHaut fast allzu menschlich. Schon etwas be-haarter die Lucy aus dem Commonwealth In-stitute in London (3), gefertigt von Derek undPatricia Freeborn, und die Lucy des BrünnerKünstlers Jan Jelinek (4). Sehr viel „affiger“wirken die Rekonstruktionen aus dem Mu-seum of Man im kalifornischen San Diego (5),aus dem Muséum national d’histoire naturellein Paris (6) (von William Munns) und demNaturkundemuseum CosmoCaixa in Barce-lona (7) (von Elisabeth Daynes).Was sie immerhin gemeinsam haben: Fastalle Lucys schauen – im Gegensatz zu heuti-gen Postergirls – ernst drein. Nur die aus Bar-celona zeigt den Anflug eines Lächelns. �

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Ein Skelett, sechs Rekonstruktionen. Wie die berühmte Lucy wirklich aussah, werden wir nie wissen.

So können wir unsere „Urmutter“ stets aufs Neue imaginieren. Oliver Hochadel

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Phantastisches Paläo-Postergirl

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Australopithecus Ende 1924 wurde in Südafrikadas „Kind von Taung“ gefunden. Der AnatomRaymond Dart erkannte, dass es sich bei diesemkleinen Schädel nicht um einen Affen handelte.Er taufte ihn „Australopithecus“ („Südaffe“) undverlegte die Wiege der Menschheit nach Afrika.Dies wurde aber erst um 1950 akzeptiert, zu sehrwaren die Forscher auf Asien und Europa als Ur-sprung fixiert, nicht zuletzt wegen des Fundes in� Piltdown.

Blumengrab Ab den 50er-Jahren wandelte sichdas Bild des Neandertalers vom tumben Torenzum Kulturwesen. Dabei schoss die Forscherfan-tasie mitunter übers Ziel hinaus. Als der US-Ar-chäologe Ralph Solecki im irakischen Shanidar ineinem Neandertalergrab zahlreiche Pollen buntblühender Pflanzen fand, glaubte er, dass der Toteauf ein prächtiges Blumenlager gebettet wordenwar. Passend zum Zeitgeist betitelte Solecki seinBuch 1971 „The First Flower People“. Als wahr-scheinlicher gilt mittlerweile aber, dass Kleinsäu-ger die Pollen in die Höhle brachten.

CIA Der US-Geologe Jon Kalb wurde 1978 ausÄthiopien ausgewiesen, weil ihn die Machthaberals Spion des C. im Verdacht hatten. Kalb be-schuldigte später � Donald Johanson, den Ent-decker von � Lucy, dieses Gerücht verbreitet zuhaben. Die beiden hatten zunächst zusammenge-arbeitet, sich aber 1973 im Streit getrennt undbefehden sich seither.

Dinkinesh So heißt � Lucy auf Amharisch, deräthiopischen Verkehrssprache. Zu Deutsch: Dubist wunderbar.

Eve, Black Die „schwarze Eva“ war die medialsehr wirkungsmächtige Vorstellung einer –einzigen! – Urmutter aller Menschen, die voretwa 140.000 Jahren in Afrika lebte. Die Ideeeiner B. E. wurde 1987 von den Molekular-biologen Rebecca Cann, Mark Stoneking undAllan Wilson formuliert. Dieser Ansatz, basie-rend auf der Analyse sogenannter mitochon-drialer DNA, wurde mittlerweile vielfach kri-tisiert und modifiziert – vor allem von Vertreterndes � Multiregionalismus. Nichtsdestotrotz hatB. E. das Gewicht in der Human-Origins-For-schung aber nachhaltig vom Feld ins Labor ver-schoben.

Foot, Little 1994 entdecke der PaläoanthropologeRonald J. Clarke in Sterkfontein in Südafrika ineinem Säckchen voller Rinderfossilien hominideFussknochen, drei Jahre später das untere Stückeines Schienbeins mit einer frischen Bruchstelle.Diese Fossilien stammten aus der Silberberggrot-te. Daraufhin ging Clarke mit zwei Kollegen indie riesige Höhle, und das Unglaubliche geschah:Sie fanden innerhalb von zwei Tagen die Bruch-stelle des Schienbeins im Fels. Darin steckte einweitgehend vollständiges Skelett eines � Austra-lopithecus, genannt L.F., dessen Teile nun bereitsseit Jahren Stück für Stück aus dem Gestein her-auspräpariert werden.

Goodall, Jane „I would have been the better Jane“,pflegt die berühmte britische Affenversteherin beiihren Vorträgen gerne zu behaupten. Als TarzansDschungelgefährtin hätte sie mit Cheeta wohl

mehr anzufan-gen gewusst.Im wirklichenLeben begannG. Ende der50er-Jahre imtansanischenNationalpark

Gombe aufEmpfehlung von Louis � Leakey ihre Feldfor-schungen. Dank ihrer Geduld bei der Beobach-tung der Schimpansen konnte sie deren komple-xe soziale Struktur und ihren Werkzeuggebrauch– u.a. das „Angeln“ von Termiten – dokumentie-ren. Primatologie ist heute eine der wichtigstenNachbardisziplinen der Paläoanthropologie und– völlig im Gegensatz zu dieser – mittlerweile fastvollständig in weiblicher Hand.

Hobbits Bis zum Oktober 2004dachte man, dass wir Men-schen seit dem Verschwindender Neandertaler vor etwa30.000 Jahren die einzigenVertreter der Gattung � Homogewesen seien. Dann wurdenauf der indonesischen Insel

Flores Fossilien des nur etwa einen Meter großenHomo floresiensis mit einem Gehirn, das nur dieGröße des eines Schimpansen hatte, entdeckt, dieden Spitznamen H. (nach den kleinwüchsigen Fi-guren in Tolkiens „Herr der Ringe“) bekamen.

Von Irrtümern und Betrügereien, Fossilien und Fehden, Glücksmomenten und Dynastien.

Eine bruchstückhafte Geschichte der Paläoanthropologie von A bis Z. Oliver Hochadel

Knochen und Kabale

Die bessere Jane heißt Goodall

Hobbit und Sapiens imVergleich

Die Höhle von Shanidar – Ort eines Blumengrabes?

Das Kind von Taung

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Bis heute wird erbittert darüber gestritten, ob dieH. eine eigene Art waren, die erst vor etwa18.000 Jahren ausgestorben ist, oder ob der Schä-del einem modernen Menschen mit pathologi-schem Kleinwuchs und Mikrozephalie gehörte.

Hominide Vor etwa sechs bis sieben MillionenJahre trennte sich die Abstammungslinie der Ho-minoiden („Menschenartigen“) in jene der H.und jene der Menschenaffen. Das Hauptcharak-teristikum der H. ist der aufrechte Gang, als älte-ster H. gilt � Toumaï.

Homo Gattungsbegriff, der u.a. H. erectus, H.neanderthalensis und „uns“ einschließt. Als ältes-ter H. gilt � UR 501 mit etwa 2,5 Millionen Jah-ren. Ab dieser Zeit lässt sich auch der Gebrauchvon Steinwerkzeugen nachweisen.

Johanson, Donald Fand 1974 �

Lucy und wurde dadurch mit 31Jahren weltbekannt. Seine spätereKarriere war durchwachsen: In den90er-Jahren wurden Vorwürfe laut,dass er das von ihm in San Francis-co gegründete Institute of HumanOrigins schlecht manage, weil ersich zu sehr um die Popularisierung(und seinen eigenen Ruhm) und zu wenig um dieForschung kümmere. Der Milliardär GordonGetty entzog dem Institut seine Förderung, dasdaraufhin nach Arizona umziehen musste.

Kimeu, Kamoya Der Kenianer war seit den1960er-Jahren Assistent der � Leakeys und ist ei-ner der erfolgreichsten Fossilienfinder überhaupt.So entdeckte er 1984 ein weitgehend vollständi-ges Skelett eines jungen Homo erectus („Nario-kotome Boy“). Häufig werden hominide Fossi-lien in Afrika nicht von den meist westlichen For-schern gefunden, sondern von einheimischenGrabungshelfern.

Leakey Britisch-stämmige keniani-sche Familiendy-nastie, die zahlrei-che bedeutendeVormenschenfos-silien in Keniaund Tansaniafand, bestehend

aus Louis L. (1903–1972), seiner Frau Mary L.(1913–1996), deren Sohn Richard L. (*1944)und dessen Frau Meave L. (*1942) sowie neuer-dings auch deren Tochter Louise L. (*1972). Be-merkenswert: Während die Paläoanthropologieeine eindeutig männlich dominierte Disziplin ist,sind die L.-Frauen punkto Funde und Publika-tionen mindestens so erfolgreich (gewesen) wieihre Männer.

Lucy Mittlerweile ist sie mit ihren 3,18 MillionenJahren längst nicht mehr das älteste bekannte ho-minide Fossil (�Toumaï), mit etwa 30 Prozentder erhaltenen Knochen auch nicht mehr dasvollständigste (�Little Foot), aber immer nochdas bekannteste. Das Postergirl der Paläoanthro-pologie, dessen Name auf einen Beatles-Song zu-rückgeht, ruht für gewöhnlich im Safe des Natio-nalmuseums in Addis Abeba (siehe S. 7). Seit2007 tourt L. (voraussichtlich bis 2013) als Zug-pferd einer Ausstellung über die menschlicheVor- und Frühgeschichte durch verschiedeneMuseen in den USA. Diese Leihgabe wurde vonmanchen Paläoanthropologen als unnötige Ge-fährdung dieses unersetzlichen Fossils kritisiert.

Multiregionalismus Seit über zwanzig Jahren lie-gen sich die Vormenschenforscher in den Haa-ren. Ist der Homo sapiens vor 100.000 aus Afri-

ka ausgewandert, wie dies die Verfechter desOut-of-Africa-Szenarios behaupten? Oderist der moderne Mensch durch einen be-ständigen genetischen Austausch zwischenPopulationen des Genus � Homo in Afrika,Asien und Europa in den letzten zwei Mil-lionen Jahren kontinuierlich entstanden?Die zweite Position wird von den Vertre-tern des M. verfochten, die mittlerweile al-

lerdings in der Minderheit sind. Artete dieseKontroverse zwischenzeitlich in einen doktrinä-ren Glaubenskrieg aus, weichen die Fronten nunauf. Vermischung wird auch von den Out-of-Africa-Vertretern eingeräumt, Streitpunkt istnun, wie stark diese gewesen sei.

Neandertal Im 17. Jahrhundert „vergriechischte“der deutsche Pfarrer und Komponist JoachimNeumann seinen Namen in Neander. Nach ihmwurde das N. in der Nähe von Düsseldorf be-nannt. Dort fand man 1856 den Neumann... äh,Neandertaler.

Osteodontokeratische Kultur Der Zungenbrecherbedeutet „Knochen-Zahn-Horn“ und steht fürdie Vorstellung eines von Natur aus gewalttätigenMenschen. Diese Idee war in der Zeit nach demZweiten Weltkrieg (und seinen Millionen vonToten) sehr populär, gilt mittlerweile aber alsKopfgeburt. Raymond Dart (� Australopithecus)sah in der Vorgeschichte des Homo sapiens ein„blutgetränktes Archiv“. Als Mitte der 90er-Jahredie Völkermorde in Ruanda und in Bosnien dieSchlagzeilen dominierten, schossen auch die Spe-kulationen ins paläoanthropologische Kraut, wo-nach Homo sapiens seinen „Bruder“, den Nean-dertaler, ausgerottet hätte. Dafür gibt es aller-dings keinerlei Belege.

Piltdown 1912 wurde in der südostenglischenOrtschaft P. ein Schädel entdeckt, der bald alsMissing Link zwischen affenartigen Vorfahren

Gemeinsam auf Fossilienhatz:Louis und Mary Leakey

Piltdown: eine Kiesgrube zum Betrügen

Joachim Neander

Lucy veränderte seinLeben: D. Johanson

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und dem modernen Menschengalt – was die britischen Forschermächtig stolz machte. Erst 1953 er-kannte man, dass es sich dabei umeinen nur wenige hundert Jahre al-ten Menschenschädel und den Un-terkiefer eines Orang-Utans han-delte, dem die Eckzähne abgefeiltworden waren. Der Fälscher ist bisheute nicht mit Sicherheit identifiziert, zu den zahl-reichen Verdächtigen zählt auch Sir Arthur ConanDoyle. Die folgenreichste Fälschung in der Geschichte derPaläoanthropologie verzögerte wesentlich die Ein-sicht, dass die Wiege der Menschheit in Afrikastand (� Australopithecus). Dabei hatte der Fälschereigens einen prähistorischen Cricketschläger in Ge-stalt eines Elefantenknochens beigegeben. DerScherz wurde aber nicht verstanden, der Eurozen-trismus vernebelte den Forschern die Sinne.

Protsch zur Zieten, Reiner Der Anthropologe warvon 1973 bis 2004 Professor an der Universität inFrankfurt am Main und galt als vermeintlicher Ex-perte der C-14-Datierungsmethode. Tatsächlichhat er zahlreiche Fossilien „geprotscht“. Durch„mentale Datierung“ schuf er etwa den „ältestenWestfalen“ (geprotscht 27.400 Jahre, real 250 Jah-re alt) und den „ältesten Hamburger“ (geprotscht35.000 Jahre, real 7500 Jahre alt). Die Neudatie-rung sorgte für lange Gesichter bei vielen Muse-umsdirektoren, und in der Geschichte der Jung-steinzeit im heutigen Deutschland klaffen nun etli-che Lücken.

Rekonstruktion, virtuelle Mit Hilfe moderner Bild-gebungsverfahren, sprich: der Computertomogra-phie, ergeben sich buchstäblich völlig neue Einblik-ke in Fossilien, etwa in Zähne. Auch lassen sich zer-trümmerte oder verformte Fundstücke im Compu-ter materialschonend rekonstruieren (�Toumaï).Mehr noch: mithilfe von Datenbanken ließen sichtheoretisch alle hominiden Fossilien allen zugäng-lich machen, was völlig neue Perspektiven (Stati-stik, Vergleiche) eröffnen würde. Doch viele For-scher wollen mit ihren hart erarbeiteten Datennicht herausrücken.

Schwein Die Datierung von hominiden Fossilienist gleichermaßen wichtig wie schwierig. Als einesehr verlässliche Methode haben sich die Backen-zähne der zahlreichen mittlerweile ausgestorbenenArten des S. erwiesen, die meist in großer Zahl anden afrikanischen Fundstellen vorhanden sind. DieBackenzähne sind nämlich einem schnellen evolu-tionären Wandel unterworfen und können daherals „Uhr“ für die Datierung der jeweiligen Schichtverwendet werden. Wenn man S. hat.

Toumaï Sahelanthropus tschadensis ist bis zu siebenMillionen Jahre alt und wäre damit der älteste be-

kannte �Hominide. Der FranzoseMichel Brunet hat über 20 Jahrelang danach im Tschad gesucht. Dergefundene Schädel, Spitzname T.,ist aber stark deformiert. Eine �

virtuelle Rekonstruktion ergab, dasssich das Hinterhaupts-loch unten befindet undnicht hinten (wie bei

Affen), sprich: T. ging aufrecht.

UR 501 Im Juli 1991 fand Tyson Mskika in Malawieinen 2,5 Millionen Jahre alten Unterkiefer, der äl-teste bekannte Fund der Gattung � Homo, benanntnach dem Fundort Uraha und der Levi’s Jeans 501.Wie aus dem Märchenbuch mutet die Suche nachdem fehlenden Viertel des rechten Backenzahns an.Sieben Tonnen Erdreich wurden ausgehoben, anden Strand des Malawisees geschleppt und wochen-lang ausgeschlämmt und gesiebt. Das winzigeZahnbruchstück fand sich in der letzten Ladung.

White, Tim Der Berkeley-Professor gehört aufgrundzahlreicher Funde zu den erfolgreichsten Paläoan-thropologen weltweit. Seine Arbeit wird geschätzt,als Person ist er höchst umstritten. Er hat sich mitfast allen seinen Partnern, darunter die � Leakeysund � Donald Johanson, zerstritten. Er gilt als noto-risch „territorial“, d.h. er versuche die hominidhalti-gen Regionen Äthiopiens unter sich und seinenSchülern zu verteilen. Ebenso verfahre er mit seinenFossilien, an die er niemanden heranlasse und fürderen Publikation er sich zu viel Zeit nehme.

Zusammenfügen Glücksmoment im Leben einesjeden Paläoanthropologen, indem zwei getrennt ge-fundene Teile eines Fossils genau zusammenpassen,wie etwa bei � Little Foot oder � UR 501. Diespektakulärste Wiedervereinigung gelang wohl RalfSchmitz und Jürgen Thissen. 1997, 141 Jahrenachdem dort der erste Neandertaler gefundenwurde, begannen die beiden deutschen Archäolo-gen wieder im � Neandertal zu graben. Obwohldie entsprechende Grotte dort längst verschwundenwar, fanden die beiden Forscher unterhalb einesSchutthaufens mehrere Fossilien des Ur-Neander-talers, von denen drei nahtlos zu den alten Kno-chen passten, darunter das Jochbein zum Schädel-dach. „Das war, als ob Weihnachten und Osternzusammenfielen“, so Schmitz. �

Geliebte Knochenarbeit: Jürgen Thissen und Ralf Schmitz

Hätte gerne alles für sich: Tim White

UR 501, Tyson Mskika und die Levis 501

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derzeitiger Rekordhalter:Toumaï

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Afrika mal vier. Alfonso Arribas Herrera ist be-geistert: „Die Fossilien liegen hier quasi an derOberfläche.“ Seit 2001 leitet der Paläontologevom Geologischen Institut in Madrid Ausgra-bungen in der Nähe der kleinen andalusischenOrtschaft Guadix. Nur 800 Quadratmeter istdie Fonelas P-1 getaufte Fundstelle groß – undlegt doch eine versunkene und bislang unbe-kannte Welt offen.Die Größe der Urtiere entspreche Afrikas heu-tiger Fauna „mal vier“, so Arribas. Urhyänenund Homotherium, eine löwengroße Säbel-zahnkatze, Mammuts und riesige Gazellenlebten hier vor etwa zwei Millionen Jahren ineinem wasserreichen Flussdelta. Vom einsti-gen Artenreichtum zeugt heute nichts mehrim kargen Guadixbecken. In den sommerli-chen Ausgrabungsmonaten schwitzen die For-scher hier bei über 40 Grad und bürsten intak-te Knochen, ja selbst ganze Skelette noch inihrer anatomischen Anordnung frei.

Artenschmelztiegel. Erstmals in Europa orte-ten die Paläontologen Vorfahren der heutigenGazellen, Zebras, Giraffen, der Wild- undStachelschweine bis hin zu Urwölfen, Gepar-den und Luchsen. Auch bislang unbekannteArten wie ein extrem robust gebauter Dachskamen zum Vorschein. Die älteste ZiegenartEuropas, die Cabra betica, ist eine von vielenFonelas-Arten, von der man gar nicht wuss-te, ob diese zu jener Zeit überhaupt in Europaexistierten.

Nebst 30 Arten großer Säuger fanden sich un-ter mehr als 340 Fundstücken auch Reptilien-und Vogelskelette. Der Artenreichtum imGuadixbecken zeige die Vermischung asiati-scher, europäischer, iberischer und afrikani-scher Spezies, so Arribas.Dieser paläontologische Schatz verdankt sichAasfressern. Riesenhyänen und die bis datoeinzig im Süden Afrikas bekannten braunenHyänen vergruben die Knochen, nachdem siedas Fleisch abgenagt hatten. Dies förderte die

rasche Konservierung und spiegelt sich im ex-zellenten Zustand der Funde wider.

Hominidensehnsucht. Eine Goldgrube ist derHyänenbau nur im rein wissenschaftlichenSinne. Denn Mittel aus prallen Fördertöpfenflössen vor allem an jene Forscher, die Fossi-lien von Urmenschen – wie etwa im nordspa-nischen Atapuerca – finden, lamentiert Arri-bas: „Medienwirksamen Funden erleichterndie Projektfinanzierung. Wer interessiert sich

schon für urzeitliche Stachelschwei-ne?“

Aber natürlich träumtauch der Paläontologedavon, Überreste vonVormenschen zu finden.

Und er glaubt auch bereits in-direkte Hinweise auf deren Präsenz in

Fonelas entdeckt zu haben. Er interpretiertzwischen einem und vier Zentimeter langeEinschnitte an zehn Knochen als Spuren pri-mitiver Steinklingen. Aber wie kann er sich si-cher sein, dass diese Spuren nicht durch Hyä-nen entstanden sind?„Wenn Hominiden mit primitiven Werkzeu-gen das Fleisch abschaben, dann tun sie das ineine Richtung. Dabei üben sie weniger Druckauf den Knochen aus als ein Raubtierkiefer.“Unter dem Mikroskop sehe der Schnitt ähn-

lich wie das von Lammrippen geschnitteneFleisch aus.

Frühe Besiedelung? In China fand man zweiMillionen Jahre alte und im Kaukasus auf biszu 1,8 Millionen Jahre datierte ähnlicheSchnittspuren. „Für Europa ist der Fund ein-zigartig“, behauptet Arribas, der an eine frühe-re Besiedlung Europas durch Hominidenglaubt, als bisher angenommen.Jene Urmenschen lebten jedoch nicht im Bek-ken, sondern an der vor Raubtieren Schutzbietenden Grenze zum Hügelland, vermutetder Paläontologe. „Wir haben bereits eineFundstelle geortet. In ersten Vorsondierungenfanden wir Steinwerkzeuge, die auf Homini-denaktivität vor 1,5 Millionen Jahre hinwei-sen“, sagt Arribas. Das wäre in der Tat eineSensation.Gesetzt den Fall, sein Wunschtraum ginge inErfüllung – woher wären diese Hominidengekommen? Das sei unklar, für eine Land-brücke bei Gibraltar gebe es jedenfalls keiner-lei Belege, betont Arribas. Doch zunächst giltes profanere Probleme zu lösen. Da man zumTeil auf Privatgrund grabe und die Bürokratiesehr langsam sei, könne man erst im Sommer2009 in Fonelas weitersuchen, klagt Arribas,prophezeit aber gleichwohl: „Wir werden inZukunft interessante Funde liefern.“ �

Vor zwei Millionen Jahren tummelte sich in Andalusien eine bislang unbekannte Vielfalt von

Urzeitmonstern – eine Mischung aus Serengeti und Jurassic Park. Was zur großen Sensation fehlt,

sind hominide Fossilien. Erste Spuren gibt es schon. Jan Marot

Gelobt sei die Hyäne

Alfonso Arribas bei derArbeit:„Wer interessiertsich schon für urzeitli-che Stachelschweine?“

Kiefer eine jener Riesenhyänen, die denKnochenfriedhofhinterließen.

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Europäer im Erdloch. Am 27. März 2008 zier-te ein auf 1,2 Millionen Jahre datierter Un-terkiefer das Cover des Wissenschaftsmaga-zins Nature und die Titelseiten von Tageszei-tungen weltweit. Schlagzeile: „Der erste Eu-ropäer!“ Gefunden wurden die prähistori-schen Beißerchen in der Sima de los Elefan-tes, dem „Erdloch der Elefanten“, einer derHöhlen der Sierra de Atapuerca unweit vonBurgos in Nordspanien. Mit ihnen delektier-te sich wohl ein etwa 1,60 Meter großer Vor-mensch mit einem Hirnvolumen von knapp1000 Kubikzentimetern am seinerzeit reich-haltigen Angebot an Fleisch und Pflanzen.Immer wieder Atapuerca: Der Ort ist in Spa-nien mittlerweile so bekannt wie das Nean-dertal in Deutschland oder Hallstatt inÖsterreich. In dem Karstgebirge, seit 2000Unesco-Weltkulturerbe, befinden sich zahl-reiche Höhlen, in denen immer wieder Men-schen und eben auch Vormenschen gelebthaben. Sie haben dort Unmengen an Stein-

werkzeugen, Speiseresten in Form von Tier-knochen und auch so manches Mitglied dereigenen Sippe zurückgelassen.Besonders spektakulär war 1992 der Fund inder Sima de los Huesos. In dieses „Erdlochder Knochen“ wurden während eines kurzenZeitraumes vor etwa 400.000 Jahren zahlrei-che Leichen geworfen. Über 5000 einzelneFossilien, die von mindestens 32 verschiede-nen Individuen stammen, kamen ans Tages-licht. Prunkstück ist der gut erhaltene Schä-del Nr. 5, zu Ehren der spanischen Radrenn-fahrerlegende Miguel Indurain „Miguélon“getauft. Eine derartige Masse an Fossilien –sie wurden der Art Homo heidelbergensis zu-geordnet – ist absolut einzigartig. Es ist nichtklar, wie es zu dieser Ansammlung kommenkonnte, eine Epidemie ist eine von vielenmöglichen Erklärungen.

Der erste Kannibale. Schon zwei Jahre späterfolgte die nächste Sensation, diesmal aus ei-

ner Höhle namens Gran Dolina. Auf780.000 Jahre wurden die Schädelknocheneines Jugendlichen datiert. Weitere Fundelegten nahe, dass die Vormenschen auch ih-resgleichen verspeisten, der älteste Beleg fürKannibalismus.Diesmal war es nicht der Umfang, sonderndas Alter des Fundes, das die Forscher mit derZunge schnalzen ließ. Bis dahin war man da-von ausgegangen, dass Europa erst vor etwaeiner halben Million Jahren besiedelt wordenwar. So alt ist der namensgebende Unterkieferdes Homo heidelbergensis, der 1907 in Mau-er in der Nähe von Heidelberg aufgetauchtwar. Für ihren wesentlich älteren Fund ausder Gran Dolina postulierten die spanischenAnthropologen – die Grabungen in Atapuer-ca werden seit 1991 von dem Triumvirat JuanLuis Arsuaga, Eudald Carbonell und José Ma-ría Bermúdez de Castro geleitet – nun eineneue Art: Homo antecessor. Der „vorausge-hende Mensch“, der Pionier Europas.

Wann wurde Europa zuerst besiedelt und von wem? Die Antwort könnte im Höhlensystem

Atapuercas liegen. Die Bewertung der spektakulären Funde hängt aber auch davon ab, ob man

Spanier ist oder nicht. Oliver Hochadel

Alt, älter, Atapuerca

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Ein Unterkiefer mit Biss: Die Besiedelung Europas begann wohl schon viel früher als bisher angenommen

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Kaukasus oder Gibraltar? Mit dem nun veröf-fentlichten Unterkiefer ist das Alter der Ho-miniden-Fundstelle Atapuerca nochmals umstattliche 400.000 Jahre gestiegen. Proviso-risch ordnete man den Fund ebenfalls demHomo antecessor zu. Was bedeutet dies? Diespanischen Forscher schließen in Nature,„dass die Besiedelung Europas schneller undkontinuierlicher erfolgte als bisher angenom-men“.Ein zentrales Puzzleteil in dieser Frage sinddie Funde, die man seit 1991 im georgischenDmanisi gemacht hat. Diese sehr gut erhalte-nen Schädel sind etwa 1,8 Millionen Jahre altund damit die ältesten hominiden Fossilienaußerhalb Afrikas. Nun stellt sich die Frage,ob diese ersten Migranten aus Afrika vomKaukasus aus weiter nach Europa bis ins heu-tige Spanien gezogen sind. José María Ber-múdez de Castro glaubt, man werde weitereKnochen in Bulgarien, Rumänien und ebenauch Atapuerca entdecken, die älter als 1,2Millionen Jahre sind.

Ursprungsmythen. Wissenschaft ist längst eineinternationale Angelegenheit, die keinerleinationale Scheuklappen kennt oder duldet.Sollte man meinen. Bei der ideologisch starkaufgeladenen Fragen unserer Herkunft istdies anders. Das eklatanteste Beispiel hierfürist die chinesische Paläoanthropologie, dieeine kontinuierliche Weiterentwicklung des500.000 Jahre alten Peking-Menschen, einesVertreters des Homo erectus, zum modernenChinesen vor Ort postuliert.Westlichen Forschern wird freundlich, aberdoch unmissverständlich zu verstehen gege-ben, dass der moderne Mensch sich keines-wegs nur von Afrika aus über den Globusverbreitet hätte. Hier dient die Paläoanthro-pologie der Schaffung einer nationalen Iden-tität. Salopp formuliert: Chinesen waren im-mer schon Chinesen.

Eurozentrisch? Nun würde es wohl keinem derspanischen Forscher einfallen zu behaupten,dass wir alle Iberer sind. Dennoch setzen siedie Bedeutung Atapuercas für die Besiede-lung Europas deutlich höher an als ihre aus-ländischen Kollegen. Der französische Paläo-anthropologe Jean-Jacques Hublin sagte derZeit, die Thesen der Atapuerca-Forscher sei-en ihm zu eurozentrisch, diese sähen dieWiege der Menschheit in Spanien.„Außer den Spaniern kann niemand viel mitHomo antecessor anfangen“, meint auch derdeutsche Paläoanthropologe FriedemannSchrenk. Dass es immer wieder Auswande-rungswellen aus Afrika gegeben habe, die of-fensichtlich auch die iberische Halbinsel er-reichten, sei ja unbestritten. Wenn man aber

alle anderen Fundstellen in Afrika und Asienmiteinbeziehe, so Schrenk, sei klar: „Wirbrauchen den Homo antecessor nicht, umdie Entstehung des modernen Menschen zuerklären.“Das sehen die Atapuerca-Forscher definitivanders. Mit ihrer These von einer „schnelle-ren“ und vor allem „kontinuierlicheren“ Be-siedelung Europas möchten sie das Gewichtin der Debatte verschieben. Das hat in Spa-nien Tradition, gibt es doch in Andalusien imSüden des Landes zwei noch ältere Fundstel-len. So fand Alfonso Arribas (s. S. 11) beiGuadix zwar bisher nur zwei Millionen Jahrealte Tierfossilien, sieht aber bereits Hinweiseauf die Präsenz von Vormenschen. Ganz inder Nähe von Guadix fand der katalanischePaläontologe José Gibert i Clols 1982 auf 1,8Millionen Jahre datierte Fossilien, den„Mann vom Orce“. Gibert ordnete diese ei-nem Vertreter der Gattung Homo zu und be-hauptete eine frühe Auswanderung aus Afri-ka via Gibraltar. Seine Interpretation diesesFossils ist heftig umstritten.

Scientific Community building. Der Versuch,die iberische Halbinsel als urzeitlichen Tum-melplatz unserer Vorfahren zu positionieren,hat auch wissenschaftspolitische Gründe. Biszum Tod von Diktator Franco im November1975 war die spanische Wissenschaft in wei-ten Teilen rückständig und isoliert. Die Evo-lutionsbiologen und Paläontologen musstensich noch mit Interventionen der mächtigenkatholischen Kirche herumschlagen. Dieletzten 30 Jahre stellten eine Aufholjagd dar,bei der Atapuerca, wo seit 1976 kontinuier-lich geforscht wird, eine zentrale Rolle zu-

kommt. Blättert man durch die aktuellenPublikationen, fällt auf, dass bei den Gra-bungen vergleichsweise wenige Ausländerbeteiligt sind. Eine Ausnahme ist der Öster-reicher Markus Bastir, der am Museo Nacio-nal de Ciencias Naturales in Madrid arbeitetund von 1999 bis 2006 in und über Atapu-erca forschte (s. auch S. 23).„Ja, das Team ist nicht so international be-setzt“, räumt Bastir ein, aber dahinter ste-cke auch eine forschungspolitische Strate-gie: „Die Spanier sagen sich: Wir habenjetzt das Material, und statt damit zitzerl-weise ausländische Institute zu füttern,bauen wir besser eine eigene Communityauf, auch wenn dies länger dauert.“ Dashabe funktioniert, die Wissenschaft sei hierim Gegensatz zu Frankreich und Deutsch-land sehr „unverstaubt“.

Material für Jahrzehnte. Freilich, dass in demneugegründeten Forschungszentrum in Bur-gos ganz in der Nähe der Fundstellen wiederfast nur Spanier angestellt sind, wurde imAusland schon irritiert zur Kenntnis genom-men, ja sogar belächelt. Zum Vergleich: Imhochrenommierten Max-Planck-Institut fürEvolutionäre Anthropologie in Leipzig ar-beiten fast keine Deutschen.Derweil sind die Höhlen noch gut mit Sedi-menten gefüllt, hier wird man noch jahr-zehntelang in der europäischen Vorgeschich-te herumstochern. Und man muss kein Pro-phet sein, um zu wissen, dass der 27. März2008 nicht der letzte Tag war, an dem einFund aus Atapuerca weltweit Schlagzeilenmachte. Letzte Woche begann wieder die all-sommerliche Grabungssaison. �

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Neugieriger Blick, zärtliche Berührung: José María Bermúdez de Castro (l.) und Eudald Carbonellhaben in Atapuerca einen sensationellen Fund gemacht.

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Der Neue. Die Erde vor etwa 200.000 Jah-ren: Afrika und große Teile Eurasiens wur-den bereits vor langer Zeit von aufrecht ge-henden Urmenschen der Gattung Homobesiedelt. In Europa und Westasien lebenNeandertaler, während Süd- und Ostasiensowie der afrikanische Kontinent, Urheimataller Hominiden, Populationen von Homoerectus beherbergen. Noch.Die Evolution hat gerade eine neue Speziesin der Mache: Homo sapiens, den „moder-nen Menschen“. Woher kam er? Und wiegelang es ihm, sich über den gesamten Glo-bus zu verbreiten? Diese Fragen befeuernseit dem späten 19. Jahrhundert zahlreichewissenschaftliche Debatten. Ein Ende ist –trotz erheblicher Fortschritte – noch langenicht in Sicht.Die ältesten bislang bekannten sterblichenÜberreste zweier Angehöriger unserer Spe-zies stammen aus Südäthiopien. Neueregeologische Untersuchungen der Ablage-rungen am Fundort datieren die Schädeltei-le auf ein Alter von 195.000 Jahren. DieseMenschen lebten im äthiopischen Hoch-land am Rande eines Deltas, welches damalsdie Mündung des Omo-Flusses in den Tur-kana-See bildete. Ähnlich wie heute war dieRegion reich an verschiedenen Lebensräu-men, von Savannen bis Bergwäldern. Eineechte ökologische Schatzkammer. Dement-

sprechend vielfältig dürfte auch das Nah-rungsangebot unserer dortigen Vorfahrengewesen sein.

Auf Spurensuche mit DNA. Ob Äthiopien tat-sächlich die Wiege des „modernen Men-schen“ ist, lässt sich noch nicht endgültigklären. Vielleicht werden in Zukunft an-derswo noch ältere Homo-Sapiens-Fossiliengefunden. Die große Mehrheit der Vormen-

schenforscher ist überzeugt, dass die Art inAfrika, und nur dort, ihre Wurzeln hat (fürdie Gegenposition des Multiregionalismuss. S. 9).Starke Argumente für dieses sogenannteOut-of-Africa-Szenario liefert die Analysedes Erbguts heute lebender Menschen. InAfrika findet sich nämlich die größte Diver-sität der sogenannten mitochondrialenDNA, darunter auch die ursprünglichen Li-nien L0 und L1, welche nur noch bei denVölkern der Khoisan (Buschmänner) und

Biaka (Pygmäen) häufig vorkommt. DieUntersuchung mitochondrialer DNA, kurzmtDNA, ist eine der neuesten Methodenzur Erforschung menschlicher Ursprünge.Mitochondrien sind die Kleinkraftwerke un-serer Zellen, sie verfügen über eigenes gene-tisches Material. Die Vererbung vonmtDNA erfolgt ausschließlich über die Mi-tochondrien der Eizellen, weil Spermien beider Befruchtung nur Zellkern-DNA beisteu-ern. Mit anderen Worten: Anhand dermtDNA lassen sich rein mütterliche Verer-bungslinien ohne Einmischung männlicherGene verfolgen. Vererbbare natürliche Mu-tationen sind die einzigen auftretenden Ver-änderungen der Mitochondriengene.

Molekulare Uhr. Molekularbiologen könnenim Labor die Reihenfolge von mtDNA-Mutationen erkennen und ältere von neue-ren unterscheiden. So gelingt die Rekon-struktion menschlicher Stammbäume bisweit in die Steinzeit hinein. Die genaue Da-tierung der Veränderungen ist allerdingsnoch schwierig.„Wir müssen die Mutationsrate festnageln,damit wir sie als Uhrwerk nutzen können“,erklärt der britische Paläogenetiker PeterForster im Gespräch mit heureka!. Fachleu-te bezeichnen die Zeitmessung anhand derAnzahl aufgetretener Mutationen dement-sprechend als „molekulare Uhr“. Ihre Präzi-sion mag noch verbesserungswürdig sein,aber für vergleichende Studien ist die Me-thode bereits bestens geeignet.

Auf zum Meer! Zurück in die Urzeit: Afrikaist groß, die menschliche Bevölkerungsdich-te muss vor 100.000 bis 200.000 Jahrensehr gering gewesen sein. Was also war derAuslöser für den Aufbruch in alle Welt?Eine archäologische Fundstätte an der nord-ostafrikanischen Küste im heutigen Eritrealieferte wichtige Hinweise. Dort grubenForscher hunderte von Steinzeitwerkzeugenaus einem urzeitlichen Riff aus.Massenspektrometrische Analysen der Ura-nium- und Thoriumkonzentrationen in den

Neuen Analysen zufolge sinddie Stammmütter aller heu-tigen Asiaten und Europäervor etwa 65.000 Jahren aufarabischem Boden gelandet

Muschelreste, Schädelbruchstücke und DNA-Schnipsel – aus diesen Puzzleteilen versuchen

Wissenschaftler den Auszug des modernen Menschen aus Afrika zu rekonstruieren.

Eine entscheidende Rolle spielte das Meer. Kurt de Swaaf

Der zweite Exodus

So in etwa könnte sich der Auszug aus Afrikain die weite Welt vollzogen habenW

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versteinerten Korallen ließen auf ein Altervon 125.000 Jahren schließen. Neben demRiff fanden die Wissenschaftler unter ande-rem Panzerreste von großen Krebsen unddie Schalen von insgesamt 31 essbaren Mol-luskenspezies, darunter zwei Austernarten.Gehörten die zurückgelassenen Werkzeugeetwa prähistorischen Feinschmeckern? Viel-leicht.Die Strandgänger dürften auf jeden Fallvom reichhaltigen Meeresfrüchteangebotangelockt worden sein. Die möglichen Hin-tergründe: Dürrezeiten im Inland könntendie Menschen ans Meer getrieben haben,ebenso Nahrungskonkurrenz mit anderenSäugetieren. An der Küste des Roten Mee-res war der Tisch üppig gedeckt mit protein-reicher Kost. Die Versorgung mit Trinkwas-ser mag allerdings schwierig gewesen sein.Eritrea war nicht das einzige Gebiet, woMenschen zu Küstenbewohnern wurden.Auch in Südafrika fand man entsprechendeFossilien und Artefakte, wie zum Beispielden Knochen- und Muschelschalen-Abfall-haufen von Herold’s Bay, der nach bisheri-gen Erkenntnissen etwas über 100.000 Jah-re alt ist. Für einige Experten markiert die Hinwen-dung zum Meer und die Erschließung sei-ner Ressourcen eine Zeitenwende in derEntwicklung von Homo sapiens. Diese An-passung, so argumentieren sie, war die Vor-aussetzung für die erfolgreiche und rapideBesiedlung Südasiens sowie Sahuls, also derurzeitlichen Landmasse aus Australien undNeuguinea. Der „moderne Mensch“ zogdemnach die Küsten entlang gen Osten.

Meerengen überquerte er wohl per Floßoder Einbaum. Aber wann und wo beganndieser zweite Exodus „Out of Africa“?

Rückzug vor der Kälte. Lange Zeit galt dieHalbinsel Sinai als Einfallstor nach Europaund Asien. Die ältesten eindeutig datiertenaußerhalb Afrikas gefundenen Homo-Sa-piens-Fossilien stammen aus den Höhlenvon Skhul und Qafzeh im heutigen Israel.Sie sind rund 100.000 Jahre alt. Doch wei-ter als in den Nahen Osten kamen die frü-hen Auswanderer anscheinend nicht. Esgibt auch keine Belege für eine dauerhafteBesiedlung der Region in diesem Zeitraum.Als mögliche Ursache haben Fachleute einevor rund 90.000 Jahren einsetzende kalteund trockene Klimaperiode in Verdacht, derdie wärmegewohnten Migranten nicht ge-wachsen waren. Der „moderne Mensch“zog sich wieder in seine afrikanische Heimatzurück und musste vielleicht sogar eineernsthafte Dezimierung seiner Art verkraf-ten.Die Zeiten mögen mitunter hart gewesensein, unsere Vorfahren ließen sich dennochnicht kleinkriegen. Irgendwann machte sicheine relativ kleine Gruppe erneut auf denWeg ins Unbekannte. Dieses Mal, so glau-ben viele Forscher, hätte die Reise zu Beginnüber die nur 18 Kilometer breite SeestraßeBab el-Mandeb, welche die arabische Halb-insel von Ostafrika trennt, geführt.Zwar fehlen archäologische Belege für dieseTheorie. Die Spur der mtDNA weist abereindeutig in diese Richtung. Ihr zufolgesind die Stammmütter aller heutigen Asia-

ten und Europäer vor etwa 65.000 Jahrenauf arabischem Boden gelandet. Von dortaus verbreitete sich Homo sapiens verblüf-fend schnell an den Küsten entlang nach In-dien, Südostasien und schließlich Sahul.Eine prähistorische Grabstätte in Südost-australien wurde auf 40.000 Jahre vor unse-rer Zeitrechnung datiert.

Kleine Gruppe, große Reichweite. Die Unter-suchung der mtDNA von isoliert lebendenasiatischen Völkern (wie z.B. der Orang AsliMalaysias) erlaubt auch Rückschlüsse aufdie Größe der ursprünglichen afrikanischenAuswanderergruppe. Den Berechnungennach müsste die Anzahl der Frauen zwi-schen 500 und 2000 gelegen haben. Hin-weise auf spätere Einwandererwellen gibt eserstaunlicherweise nicht.Die Besiedlung Europas verlief allem An-schein nach schleppender als der Vormarschvon Homo sapiens gen Osten. Die ältestenHinterlassenschaften unserer Spezies auf eu-ropäischem Boden stammen aus der Grottevon Bacho Kiro in Bulgarien und sind nachneuen Kalkulationen mindestens 46.000Jahre alt. Wahrscheinlich kämpften die Ein-wanderer mit erheblichen Anpassungspro-blemen. Je weiter sie nach Norden und We-sten vordrangen, desto rauer wurde das Kli-ma. Und dann waren da auch noch die Ne-andertaler – aber das ist wieder eine andereGeschichte. �

Eine genaue Liste der verwendeten Forschungsliteratur finden Sie unterwww.heurekablog.at

Sein oder nicht sein – und vor allem: Wo?Diese Frage stellt sich Homo sapiens seitrund 100.000 Jahren.

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Wissen über Verwandte. Sie waren eher kleinund stämmig, hatte einen langen, flachenSchädel, Wülste über den Augen und einfliehendes Kinn. Über keine andere Men-schenart außer dem Homo sapiens weiß manheute mehr als über die Neandertaler, die ih-ren Namen dem ersten Fundort im Neander-tal bei Düsseldorf verdanken (s. S. 9). Dasliegt auch daran, dass man mittlerweile inganz Europa und Teilen Asiens zahlreichekulturelle Überreste – Werkzeuge undSchmuck – sowie über 400 Knochenresteausgegraben hat.Wie man heute annimmt, haben sich diestammesgeschichtlichen Wege von Neander-taler und modernem Menschen vor rund ei-

ner halben Million Jahren getrennt. Ein Teilder Nachkommen der letzten gemeinsamenVorfahren entwickelte sich in Europa zumNeandertaler, während der andere Teil inAfrika zu Homo sapiens wurde. Womöglichgetroffen hat man sich vor gut 40.000 Jah-ren, als Homo sapiens vom Nahen Osten ausRichtung Süd- und Mitteleuropa zu ziehenbegann. Gute 12.000 Jahre später war vomNeandertaler nichts mehr übrig, zumindestauf den ersten Blick.

Neben- oder gegeneinander? Was dazwischengeschah, gehört zu den spannendsten Kapi-teln der Altsteinzeitforschung. Haben Nean-dertaler und Homo sapiens mehr neben-,

mit- oder gegeneinander gelebt? Hat derNeuankömmling etwas mit dem Aussterbender Alteingesessenen zu tun?Immerhin hatten die Neandertaler vor derAnkunft des Homo sapiens schon gut100.000 Jahre europäische Siedlungsge-schichte hinter sich. Klimaschwankungen,massive Kälteeinbrüche und damit einherge-hende drastische Veränderungen des Nah-rungsangebots inklusive. Dass die letzte gro-ße Kälteperiode der Eiszeit ein endgültigerTodesstoß für die Neandertaler gewesen seinkönnte, schließen die meisten Forscher heutedaher aus. Kaum wissenschaftliche Unter-stützung findet außerdem die These, dass sievon kriegerischen modernen Menschen suk-zessive ausgerottet worden wären.

Rare Begegnungen. Weitgehend ungeklärt ist,ob und wie viel Kontakt Neandertaler undHomo sapiens in ihrem Jahrtausende wäh-renden Nebeneinander in Europa überhaupthatten. Schließlich gab es ja nicht sehr vielevon ihnen. Die aktuellen Schätzungenschwanken stark – zwischen ein paar hundertund rund 20.000 Neandertaler dürften je-weils gleichzeitig gelebt haben, in kleinenGruppen über ganz Europa verstreut. Vom Homo sapiens gab es nach der erstenBesiedlungswelle vermutlich auch nicht vielmehr Individuen. Bei dieser Bevölkerungs-dichte muss man einander nicht unbedingtregelmäßig begegnet sein. Was aber umge-kehrt nicht heißt, dass man gar nichts mit-einander zu tun gehabt hätte.Als ziemlich wahrscheinlich gilt heute, dasses irgendeine Art von kulturellem Austauschzwischen den Arten gegeben haben dürfte.Diese Kontakte könnten zu Innovationen aufbeiden Seiten geführt haben. Das trifft nichtnur auf die Art und Weise zu, wie Steinwerk-zeuge hergestellt wurden, sondern auch aufdie Produktion von Schmuck.

Zwischenmenschliches. Apropos Schmuck:Hatten die beiden nun auch zwischen-menschlich etwas miteinander zu tun – undwenn ja, trug das auch Früchte? Rein biolo-gisch gilt es als durchaus möglich, dass Nean-dertaler und moderner Mensch Kinder mit-einander zeugten und diese Kinder ihrerseits

Über 10.000 Jahre lang teilte er sich Europa mit dem Homo sapiens, dann starb der Neandertaler aus.

Unsere Vorfahren dürften damit höchstens indirekt etwas zu tun gehabt haben. Birgit Dalheimer

Die vorletzten Menschen

Sorgenvoll blickt der computerrekonstruierteNeandertaler dem grossgewachsenen aber kleingesichtigen Neuankömmling entgegen.

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auch Nachkommen hatten. Wissenschaftlerwie der Anthropologe Erik Trinkhaus sindüberzeugt, dass es zu solchen Vermischungengekommen ist. Er stützt seine umstritteneThese durch Fossilienfunde, an denen er so-wohl Neandertaler- als auch Homo-sapiens-Merkmale ausmacht.Eine entscheidende Rolle in dieser Fragespielt inzwischen die Genetik. Wissenschaft-ler des Max-Planck-Instituts für evolutionäreAnthropologie in Leipzig haben sich seit län-gerer Zeit darauf spezialisiert, das Erbgut ausuralten fossilen Knochen zu untersuchen. Vor über zwei Jahren haben sie sich an denNeandertaler gemacht und warteten kurzdarauf mit ersten spektakulären Ergebnissenauf: Ja, Neandertaler und Homo sapiens hat-ten gemeinsame Nachfahren, und zwarHomo-sapiens-Männer mit Neandertaler-Frauen. Die Homo-sapiens-Frauen hingegenschienen die Neandertaler-Männer nicht ansich rangelassen zu haben. Allerdings stelltesich kurze Zeit später heraus, dass die Ergeb-nisse auf DNA-Verunreinigungen durch ei-nen Projektmitarbeiter (der Art Homo sa-piens) beruhten, und die Arbeiten begannenvon vorne.Letzter Stand: Wahrscheinlich hat sich derNeandertaler doch nicht genetisch mit demHomo sapiens vermischt – zumindest nichtdiejenigen Individuen, deren sterblicheÜberreste so gut erhalten geblieben sind, dassrund 40.000 Jahre später Paläogenetiker dar-aus ihre DNA untersuchen können. Nochdieses Jahr wollen die Leipziger Forscher dasganze Genom des Neandertalers entzifferthaben. Dann wird man weitersehen.

Genetische Gemeinsamkeit. Mit einem interes-santen Detailergebnis konnte man in Leipzigdennoch bereits aufwarten: Auch Neanderta-ler besaßen das Gen FoxP2. Dieses Genmachte vor einigen Jahren in Wissenschafts-kreisen Furore, als sich herausstellte, dass esoffensichtlich eine wichtige Rolle für dieSprachfähigkeit des Menschen spielt. Bisher dachte man, das sei eine ganz junge,auf den Homo sapiens beschränkte evolutio-näre Errungenschaft. Das hätte die Idee ge-stützt, dass die Sprachfähigkeit des moder-nen Menschen der ausschlaggebende Faktorwar, der ihn allen anderen Arten gegenüberüberlegen machte. Nun zeigt sich aber, dass der Neandertalernicht nur über ein zur Lautbildung geeigne-tes Zungenbein verfügte – das war bereits ausfrüheren Fossilfunden bekannt –, sondernauch von seiner genetischen Ausstattung herzu einer ebenso differenzierten Sprache fähiggewesen sein könnte wie wir. Die genetischen Untersuchungen verleihen

dem Bild, das wir vom Neandertaler haben,eine weitere Nuance: Zumindest einige vonihnen dürften rothaarig gewesen und blasseHaut gehabt haben.

Geringer Vorteil genügt. Eine weitere Vermu-tung zum Verschwinden der Neandertalerstellten Wissenschaftler vor kurzem auf ma-thematische Beine: Wenn man eine gleich-zeitige Existenz von Neandertaler und Homosapiens in Europa von 10.000 bis 15.000Jahren annimmt, dann entspricht dasmindestens 500 Generationen. Hätte Homosapiens aufgrund welcher Eigenschaft immerauch nur einen ganz geringen Selektionsvor-

teil gehabt, so wäre das genügend Zeit gewe-sen, sich quasi natürlich dem Neandertalergegenüber durchzusetzen. Und so wären dieNeandertaler langsam, aber beständig weni-ger geworden, ehe vor rund 28.000 Jahrender Letzte seiner Art verschwand.

Der Letzte? Da gibt es doch noch diese Kno-chenfunde aus der Gorham-Höhle in Gibral-tar, an der Südspitze der Iberischen Halbin-

sel. Renommierte Forscher sehen in diesenFossilien Überreste von Neandertalern. Hät-ten sie Recht, würde das bedeuten, dass dasMit- oder Nebeneinander von Neandertalerund Homo sapiens noch um einige Jahrtau-sende länger gedauert hat: Die Funde sindnämlich nur 24.000 Jahre alt.

Die letzten Menschen. Das endgültige Ver-schwinden des Neandertalers war jedenfallsnicht gleichbedeutend mit einer massivenAusbreitung des Homo sapiens. Im Gegen-teil: Vor rund 20.000 Jahren wurde es nocheinmal so richtig kalt und in den meisten Ge-genden Europas mehr als unwirtlich. Die

Menschen zogen sich so weit wie möglich inden Süden zurück. Zur ersten Bevölkerungsexplosion des mo-dernen Menschen kam es dann erst mitdem Siegeszug der Landwirtschaft. Derging wiederum vom Nahen Osten aus –und das passierte erst vor rund 10.000 Jah-ren. Da war Homo sapiens schon lange dieeinzige und letzte verbliebene Menschenartauf der Erde. �

Auch für den modernen Menschenwar die Anpassung an die neueUmgebung nicht ganz einfach.

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Sensation aus der Steinzeit. Am 7. August 1908 fand der Arbeiter Jo-hann Veran bei den Ausgrabungen in Willendorf eine kleine Stein-figur. Ohne ihr weitere Beachtung zu schenken, legte er sie zu sei-nen anderen Funden. Einem der Grabungsleiter, Josef Szombathy,fiel das Stück behauener Stein jedoch gleich auf. Die üppige Frau-enfigur, als die sich der behauene Stein nach der Reinigung ent-puppte, war rund 27.000 Jahre alt und wurde schnell als „Venus vonWillendorf“ berühmt.Willendorf, ein kleiner Ort nahe des linken Donauufers inder Wachau, war zu diesem Zeitpunkt als altstein-zeitliche Fundstätte bereits seit über 20 Jah-ren bekannt. Schon in den 1880er-Jah-ren waren dort Steinwerkzeuge und

fossile Knochen auf-getaucht. Bereits da-mals war Szombathyan den Grabungenbeteiligt, die Fund-stücke bereichertendie Sammlungen deseben erst eröffnetenk.k. NaturhistorischenHofmuseums, des heu-tigen NaturhistorischenMuseums Wien. Nach einer längeren Gra-bungspause entschloss sichJosef Szombathy 1908, inzwi-schen honoriger Leiter der an-thropologisch-prähistorischenSammlung des k.k. NaturhistorischenHofmuseums, gemeinsam mit zwei jun-gen Prähistorikern – Josef Bayer und HugoObermaier – neue systematische Grabungenin Willendorf durchzuführen. Für das vor-sichtige Abgraben des Geländes heuerten sieTagelöhner an. Sie selbst widmeten sichhauptsächlich der genauen Aufzeichnung derGrabungsarbeiten und der Untersuchung derFundstücke.

Von Eintracht zur Zwietracht. Am Abend des 7. August 1908 feiertendie drei Prähistoriker den spektakulären Fund ausgelassen im nahe-gelegenen Wirtshaus. Tags darauf wurde die Figur nach Wien trans-portiert. Aus jahrtausendealten Lössschichten geborgen sollte sieden Großteil der nächsten Jahrzehnte in einer Lederkassette in ei-nem Safe des Naturhistorischen Museums verbringen. Die Gra-bungsstätte Willendorf lag währenddessen mit wenigen Unterbre-chungen die meiste Zeit still.Die ausgelassene Stimmung und die Eintracht der drei Grabungslei-

ter verflogen indes recht schnell. Die Frage, wer genaudenn nun die Venus aus ihrem 27.000 Jahre wäh-

renden Dornröschenschlaf erweckt und ans Ta-geslicht befördert hätte, führte bald zu wi-

dersprüchlichen Darstel-lungen. „Die Ahnherren unsererForschung waren ebenauch nicht frei von Eitel-keit und haben versucht, inder ganzen Geschichte die-ses so bedeutenden Fundes

einen möglichst wichtigenPlatz einzunehmen“, sagt die

Prähistorikerin WalpurgaAntl-Weiser. Sie hat für ihr eben

erschienenes Buch „Die Frau vonW.“ die Geschichte der Auffindung

des „Lösskindls“, wie die Venus ur-sprünglich genannt wurde, minutiös

aufgearbeitet – inklusive nachträglicherVersuche der Beteiligten, die eigene Rolle

darin zu beschönigen.

Hüterin des Schatzes. Seit vielen Jahren schonbeschäftigt sich Antl-Weiser an der prähistori-schen Abteilung des Naturhistorischen Muse-ums mit dem altsteinzeitlichen Schatz. Sie hatder vollbusigen Plastik viele Jahre ihres For-scherlebens gewidmet, manche Kollegen be-zeichnen sie deshalb gar als Gralshüterin.

Die Interpretationen reichen vom Totem

für einen Ahnenkultbis zum Symbol

für weibliche Fruchtbarkeit.

Vor ziemlich genau 100 Jahren wurde die Venus von Willendorf gefunden. Die Bedeutung der

weltberühmten Steinzeitplastik ist bis heute ungeklärt. Eine ältere „Schwester“ und Fingerabdrücke

beflügeln die Fantasie zusätzlich. Birgit Dalheimer

Venus und Fanny

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Viele Fragen tun sichauf, wenn es umdie Bedeutungder berühmtenVenusstatuettegeht.

„Was sie wirklich war,kann heute niemand wissen“, sagt WalpurgaAntl-Weiser, die führen-de Venus-Expertin.

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Sie untersuchte jede Kerbe, jeden Schnitzer aufder Steinfigur und kann inzwischen ziemlichgenau sagen, wie sie hergestellt wurde.Erst vor kurzem wurde eine Untersu-chung in Auftrag gegeben, um heraus-zufinden, woher das Material stammenkönnte, aus dem die Venus gehauenwurde. Erste Ergebnisse legen nahe,dass der Oolith, ein Kalkstein, von ei-nem 150 Kilometer entfernten Stein-bruch aus Mähren kam.Von der feingemeißelten Haartracht oderKopfbedeckung (nicht nur an diesem De-tail scheiden sich die Geister) bis zu denFettwülsten um die Knie ist die Venus vonWillendorf zwar die mit Abstand am detail-reichsten gearbeitete prähistorische Plastik,die bis jetzt gefunden wurde. ÄhnlicheFrauenfiguren aus dieser Zeit wurden mittler-weile aber in ganz Europa ausgegraben. Sie allewerfen viele Rätsel auf, die die Wissenschaft ver-mutlich nie endgültig wird lösen können.

Fragen über Fragen. Die fangen bei der Venus vonWillendorf damit an, dass niemand weiß, vonwem sie hergestellt wurde. Mit Stein aus Stein ge-hauen – das war eine Arbeit, die nicht jeder aus-üben konnte. War es ein früher „Künstler“? Wel-che Rolle spielte er – oder war es eine sie? – in der

damaligen Gesellschaftsstruk-tur? Und warum hat sich da-mals überhaupt irgendjemanddiese Mühe angetan?Noch mehr Fragen tun sich

auf, wenn es um die Bedeutungder Venusstatuette geht. Die In-

terpretationen reichen vom Totemfür einen Ahnenkult bis zum Sym-bol für Fruchtbarkeit. „Was siewirklich war, kann heute niemandsagen“, stellt Walpurga Antl-Wei-ser im Gespräch mit heureka! klar.Speziell der Idee des Fruchtbarkeits-symbols begegnet sie mit Skepsis –schon allein deshalb, weil allzu vieleGeburten in den nomadisierendenJäger- und Sammlergesellschaften derAltsteinzeit vielleicht gar nicht er-

wünscht waren.

Die ältere Schwester. Die nicht nur in Österreichweltberühmte Venus von Willendorf war langeZeit die älteste Plastik unseres Landes. Vor genau20 Jahren jedoch bekam sie Konkurrenz. Im Som-mer 1988 nämlich tauchten am Stratzinger Gal-genberg bei Krems, also in unmittelbarere Nähezu Willendorf, Bruchstücke einer noch älteren,aber weniger gut erhaltenen Steinfigur aus grü-Ju

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Die Route von Wien in die Kaserne in St.Pölten war streng geheimgehalten worden.Für die letzte Wegstrecke in das Landesmu-seum stand dann ein Pandur-Schützenpan-zer bereit, um vor bösen Überraschungen

gefeit zu sein. Und um wirklich auf Num-mer sicher zu gehen, hat sich Bernd Lötsch,Generaldirektor des Naturhistorischen Mu-seums Wien (NHM), auch noch an jenenKoffer gekettet, in dem die „älteste Wa-

chauerin und berühmteste Niederösterrei-cherin“ (Lötsch) in das NÖ Landesmuseumtransportiert wurde. Dort wird sie nun bis Anfang August ausge-stellt, ehe sie über Willendorf (Heimatbe-such!) – und natürlich wieder unter militäri-schem Geleitschutz – nach Wien zurück-kehrt. „Wird ein rundes Ereignis!“, ver-spricht der NHM-Direktor. In seinem Mu-seum wird im Anschluss daran eine großeJubiläumsausstellung zum 100. Jahrestag derVenus-Entdeckung stattfinden.Dass heute so ein großes Theater um die alteKleine gemacht wird, ist ein vergleichsweisejunges Phänomen. Denn die ersten 90 Jahreverbrachte die Venus von Willendorf im Tre-sor des NHM unter Ausschluss der Öffent-lichkeit. Der schlichte Grund: „Das Mu-seum konnte sich die Hochsicherheitsvitrinenicht leisten“, so Lötsch. Deshalb „nur Ge-lehrte und Topsponsoren das paläolithischeBusenwunder mit weißen Handschuhen be-fingern durften“. Letzteres wird auch weiterhin ein exklusivesVergnügen bleiben. Immerhin: Anschauenkönnen wir sie uns nun alle. K.T.

„Wird ein rundes Ereignis!“

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Mit weißen Handschuhenim Schützenpanzer: DieMuseumsdirektorenBernd Lötsch (mit Koffer)und Carl Aigner (l.) beimVenus-Transport

Gröber geschnitztund 5000 Jahre älterals die Venus vonWillendorf: Fannyvom Galgenberg beiKrems.

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LINKTIPP

Das neue Willendorf-Projekt im Internet: www.willendorf-project.org

nem Serpentin auf. Christine Neugebauer-Ma-resch, die damals die Grabung leitete, war die Be-deutung des Fundes schnell klar. Zusammengesetzt stellten die Bruchteile in denAugen der Archäologin von der PrähistorischenKommission der Österreichischen Akademie derWissenschaften eine Frauenfigur dar. Ihre Körper-haltung erinnerte Neugebauer-Maresch an die ei-ner Tänzerin. Die nicht ganz acht Zentimeter gro-ße Statue wurde daher in Erinnerung an FannyElßler, eine der berühmtesten Tänzerinnen des19. Jahrhunderts, „Fanny“ genannt. Fanny vomGalgenberg, so stellte sich heraus, ist mindestens5000 Jahre älter als die Venus von Willendorf.Auch diese Venusplastik, so Neugebauer-Ma-resch, könnte so etwas wie eine Ahnenfigur sein.Geht man nach dem, was bisher gefunden wur-de, dann dürften sich die Menschen der Altstein-zeit beim künstlerischen Behauen von Stein undElfenbein vor allem auf Frauendarstellungen spe-zialisiert haben.

Kult um die Kultfigur. Niemand kann heute mitGewissheit sagen, wie die Gesellschaftsstrukturenund das Sozialleben der Menschen in der Altstein-zeit ausgeschaut haben und welche Rolle dabeiden Frauen zukam. Wohl auch deshalb stürzensich viele mit derart großer Interpretationslust aufdie wenigen erhaltenen Beweise kultureller Aktivi-täten. Frühhistoriker greifen für ihre Interpretationenauf ethnologische Vergleiche zurück und stützensich auf Beobachtungen von Verhaltensweisenheutiger nomadisierender Jäger- und Sammlerge-sellschaften. Aufgrund solcher Vergleiche vermu-tet Neugebauer-Maresch, die Venusfiguren könn-ten kultischen Zwecken gedient haben und seienbei bestimmen Ritualen eingesetzt worden. Vor kurzem konnten Forscher auf einer weiterenaltsteinzeitlichen Tonplastik Fingerabdrückenachweisen. Die Abdrücke stammen höchstwahr-

scheinlich von jener Person, die diese Figur herge-stellt hat. Es ist nicht klar, ob sie von einem Mannoder einer Frau stammen, nur eines ist ziemlichgewiss: Es sind die Fingerabdrücke eines Jugendli-chen. Die Figur könnte damit womöglich – wieauch andere ihrer Art – ein Bestandteil der Initia-tionsriten von Jugendlichen an der Schwelle zumErwachsenenalter gewesen sein. Den Spekulatio-nen über das Sozialleben der altsteinzeitlichen Ge-meinschaften setzt natürlich auch diese Deutungkein Ende – im Gegenteil.Wie bei „Fanny“ ist auch bei der Venus von Wil-lendorf das, was die Wissenschaft mit Sicherheitüber die elf Zentimeter große Plastik sagen kann,sehr beschränkt. Die besondere Ausstrahlung derVenus geht aber weit über logisch begründbareAussagen hinaus, wie Walpurga Antl-Weiser auslanger Erfahrung weiß. Zum Beispiel, wennKünstler sie um die Erlaubnis für ein stundenlan-ges Tête-à-Tête mit der Venus zur Inspiration füreigene Werke bitten.

Es wird wieder gegraben. In Willendorf selbst stehtseit geraumer Zeit eine manns-, oder besser: frau-hohe Nachbildung der Steinfigur. Sie ist nicht nurWahrzeichen des Ortes geworden, sondern auchPilgerstätte meditierender Venusverehrer. Und siemarkiert den Eingang zu den Grabungen in Wil-lendorf, die vor zwei Jahren wiederaufgenommenwurden. Und wie vor genau 100 Jahren sind esauch diesmal drei Frühmenschenforscher, die dasneue Grabungsprojekt ins Leben gerufen haben:der Archäologe Philip Nigst (siehe Seite 23), derPrähistoriker Gerhard Trnka und der Paläoanthro-pologe Bence Viola.Die Grabungsbedingungen und die wissenschaft-lichen Methoden haben sich im Vergleich zu vor100 Jahren allerdings deutlich geändert: Den For-schern steht heute modernste Technologie zurVerfügung, etwa um den genauen Fundort jedesentdeckten Stücks genau zu vermessen oder dasAlter von Funden zu bestimmen. Während der vergangenen beiden Grabungssaiso-nen 2006 und 2007, die jeweils sechs Wochendauerten, waren im Schnitt zehn Personen gleich-zeitig bei der Arbeit – im Unterschied zu damalskeine Tagelöhner, sondern vor allem Studenten,die im Rahmen eines Praktikums unentgeltlichmitmachten. Gefunden haben die jungen Forscher bereits ei-niges, so unter anderem ein Steinwerkzeug, des-sen Spuren sich auf einem Fundstück der altenGrabungen von 1908 finden lassen, wie BenceViola berichtet (siehe Interview S. 21). Dass mangenau 100 Jahre nach dem Venusfund eine ähn-lich sensationelle Entdeckung macht, ist aller-dings ausgeschlossen. Ausgerechnet im Venus-fund-Jubiläumsjahr machen die Grabungennämlich Pause: Philip Nigst und Bence Violamüssen im Sommer ihre Doktorarbeiten fertig-schreiben. �

In Willendorf wird wieder gegraben. Was wird der Lössboden noch alles freigeben?

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Zum Nachlesen

Walpurga Antl-Weiser: Die Frau vonW. Die Venus von Willendorf, ihreZeit und die Geschichte(n) um ihre

Auffindung. Wien 2008 (Verlag des Natur-historischen Museums Wien), 207 S., e 27,50

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heureka!: Sie machen an derselben Stelleweiter, an der schon vor über 100 Jahrengegraben wurde. Was ist so interessant anWillendorf?

Bence Viola: Der Fundort ist einzigartig inEuropa, auch weil er so eine lange Zeitspan-ne abdeckt. Die ältesten Spuren von Homi-niden, die wir dort finden, sind bis zu60.000 Jahre alt. Als der moderne Menschvom Nahen Osten kommend Europa besie-delt hat, ist er wahrscheinlich durch das Do-nautal gekommen. Willendorf war also mit-ten auf seiner Wanderroute. Danach gibt esnahezu durchgehend Funde bis vor etwa24.000 Jahren, anhand deren wir nicht nurdie menschliche Kultur rekonstruieren kön-nen, sondern auch Klima, Vegetation undandere Umweltbedingungen.

Wer hat denn in diesem Zeitraum in die-ser Gegend gelebt? Waren das auch Nean-dertaler?

Das ist wahrscheinlich, aber schwer zu be-weisen. Eine der untersten Schichten, die wirgenauer untersuchen, ist etwa 48.000 Jahralt. Das fällt eigentlich in die Zeit der Nean-dertaler. Allerdings haben wir bis jetzt keineMenschenreste gefunden. Und allein anhandder Steinwerkzeuge, die wir gefunden haben,ist schwer zu sagen, wer das hergestellt hat.Weiter oben ist es eindeutiger, da gibt es auchein paar Homo-sapiens-Überreste – die sindaber „nur“ rund 25.000 Jahre alt.

Was weiß man darüber, was diese Men-schen in Willendorf getan haben?

Das, was wir aus der Zeit von vor rund38.000 Jahren und älter finden, stammt ver-mutlich von durchziehenden Menschen-gruppen, die dort Werkzeuge hergestelltoder verloren haben, sich aber nicht längeraufhielten. Bei der obersten Grabungs-schicht dagegen, aus der die Venus stammt,also aus der Zeit vor gut 25.000 Jahren,nehmen wir wegen der Dichte der Fundean, dass es ein Lagerplatz war, den man auchfür längere Zeit nutzte.

Auf welchen Zeitraum konzentrieren SieIhre Grabungen?

Das Interessanteste für uns ist das, was aus

der Zeit von vor rund 40.000 Jahren übrigist. Das ist genau der Zeitraum, wo inEuropa der Wechsel vom Neandertaler zummodernen Menschen begonnen hat.

Die unterste, 60.000 Jahre alte bekannteKulturschicht in Willendorf interessiertSie nicht?

Doch, aber diese Schicht liegt viereinhalbMeter unter der heutigen Oberfläche, dort-hin zu kommen wäre ein Riesenaufwand.Das Grabungsareal liegt direkt neben derBahntrasse. Würden wir in der Tiefe weiter-machen, hätten wir wahrscheinlich auch mitStabilitätsproblemen am ganzen Hang zukämpfen. Außerdem: Bei den alten Grabun-gen wurden schon 120 Quadratmeter in die-ser Tiefe ausgegraben. Und damals hat man

gerade einmal drei Steinwerkzeuge gefunden– eine ziemlich geringe Ausbeute. Mit derGenauigkeit, mit der heute gegraben wird,würden wir für so eine Fläche Jahre brau-chen – das wollten wir uns nicht antun.

Was haben Sie bis jetzt gefunden?Einer der wichtigsten neuen Funde vom ver-gangenen Sommer ist ein Steinwerkzeug, des-sen Abschlagkanten genau auf ein Fundstückaus den alten Grabungen VON 1908/09 pas-sen. Das ist deshalb so interessant, weil es im-mer wieder Zweifel über die Datierungen derFunde aus den früheren Grabungen gab. Un-ser Steinwerkzeug haben wir mit modernstenMethoden datiert. Es ist rund 44.000 Jahrealt – genauso alt muss auch der Fund aus derfrüheren Grabung sein.

Von wem stammen diese Werkzeuge?Die Steinwerkzeuge wurden damals herge-stellt, indem Steine mit anderen Steinen ab-geschlagen wurden. Und zwar mit je nachKultur unterschiedlichen Methoden. Waswir da gefunden haben, gehört zum soge-nannten Aurignacien, der ersten Kultur desmodernen Menschen in Europa.

Dieses Werkzeug wäre deutlich älter alsdie bisher ältesten Homo-sapiens-Funde inMitteleuropa ...

Richtig, die ältesten Homo-sapiens-Kno-chenfunde in Europa stammen aus Rumä-nien und sind etwa 36.000 Jahre alt. Fürkulturelle Überreste, die man eindeutigHomo sapiens zuordnet, gibt es in Europaallerdings ein paar ältere Fundstellen, undeine davon ist Willendorf. Die Kultur desAurignacien lässt sich aus nichts herleiten,was die Neandertaler gemacht haben, sehrwohl aber aus einigen Kulturen im NahenOsten, wo es zu der Zeit sicher auch schonmoderne Menschen gab.

Das stützt also wieder die These der Be-siedlung Europas durch Homo sapiens ausdem Nahen Osten?

Ja, genau. Allerdings ist das Aurignacien imNahen Osten um einiges jünger als in Mit-teleuropa, als das, was wir hier in Willen-dorf finden. Das ist sehr störend! �

Bence Viola ist einer der drei Grabungsleiter in Willendorf. Ein Gespräch mit dem Forscher über

die Frühgeschichte des Orts, die neuen Funde – und deren schwierige Interpretation.

Interview: Birgit Dalheimer

„Das ist sehr störend!“

„Einzigartig in Europa“ – PaläoanthropologeBence Viola über die Fundstelle Willendorf

Julia

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ZUR PERSON

Bence Viola

ist Paläoanthropologe an der Universität

Wien und einer der drei Grabungsleiter in

Willendorf. Viola grub bereits in Usbekistan,

Äthiopien und forschte in sibirischen Museen.

Der 30-Jährige gilt als heimische Nachwuchs-

hoffnung in seinem Forschungsgebiet.�

Kath

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Page 21: Heureka 2 08 - IGME pdf/heureka_2_08_low.pdfBiogeografie, sprich: die sich wandelnden Lebensräume. Vor zehn Millionen Jahren erstreckte sich der tropische Regenwald von der West-

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Ich begann schon in meiner Gymnasialzeitmit dem Aufsammeln von Tonscherben.Einem Lehrer habe ich es auch zu verdan-ken, dass sich diese Leidenschaft in dierichtigen Bahnen bewegte. Im Sommer1975 nahm ich zum ersten Mal an denAusgrabungen in Thunau bei Gars/Kampund auf dem Oberleiserberg im Weinvier-tel teil, zwei Grabungsstellen, die für 15Jahre bestimmend in meinem „archäologi-schen“ Leben waren. Der Wechsel in diePrähistorische Abteilung des Naturhistori-schen Museums Wien brachte es mit sich,dass seit 1993 meine Grabungstätigkeitenauf das Gräberfeld in Hallstatt ausgerichtetsind.Bei der Arbeit versucht man, sich gedank-lich in die damalige Zeit zurückzuverset-zen, doch gleichzeitig gilt die Konzentrati-on dem Graben, denn jede Ausgrabung be-deutet zugleich auch eine gewollte undkontrollierte Zerstörung der Vergangen-heit. Vieles in unserer Forschung ist heutevom Einsatz der finanziellen Mittel abhän-gig, die zusehends schwieriger aufzustellensind, weil einerseits die eigenen For-schungsbudgets immer kleiner werden, an-dererseits auch die Unterstützung von pri-vater Seite abnimmt.Für die Forschung in Hallstatt bestehtnoch keine Gefahr, da wir mit den SalinenAustria einen potenten Partner als Fördererbesitzen. Durch die Grabungen auf demHallstätter Salzberg und durch Veranstal-tungen wie „Archäologie am Berg“ kom-men wir in engen Kontakt mit vielen Besu-chern. Vielen von ihnen erscheit die Archäologieals Traumberuf. Sicherlich haben Filmewie „Indiana Jones“ fälschlicherweise einabenteuerliches, teilweise auch romanti-sches Bild von unserem Fach entworfen.Die Wirklichkeit sieht sicherlich etwasnüchterner aus, ist aber trotz allem faszi-nierend.

So lange ich mich erinnern kann wollte ichArchäologin werden, denn Ausgrabungenhaben mich immer fasziniert. Ferialjobs,Studien-Praktika und selbst die Urlaube ori-entierten sich immer daran, in der Archäo-logie zu arbeiten und mein Wissen zu erwei-tern.Während meiner Ausbildung sammelte icham Magdalensberg, am Hemmaberg, inTeurnia und Carnuntum wichtige Erfahrun-gen. Nach dem Studienabschluss verlagertesich die Arbeit in die Türkei und nach Ägyp-ten. Folgen meiner Berufswahl sind monate-lange Abwesenheiten und ein Leben in oftunkomfortablen Grabungscamps. Da ist dieAbenteuerromantik mangels Wasser, Stromoder wegen extremer Hitze sehr schnell be-einträchtigt. Aber meine Begeisterung hatdies nie getrübt. Im Gegenteil, ich versuchedie Faszination des Archäologenlebens auchan meine dreijährige Tochter weiterzugeben.Beruflicher Erfolg definiert sich wenigerüber Einzelfunde, vielmehr sind es komple-xe kulturhistorische Erkenntnisse. Für Lai-en unscheinbare Funde können für dieFachwelt von immenser Bedeutung sein,während „Traumfunde“ oft mehr Aufmerk-samkeit als Erkenntnisse liefern. Zweifellosfreut man sich über jeden außergewöhnli-chen Fund und genießt den Augenblick derEntdeckung. So ein Moment war für mich1991, als ich die vierte frühchristliche Kir-che am Hemmaberg in Kärnten mit ihremreichen Mosaikschmuck fand.Zu meiner Bezahlung habe ich ein durchausambivalentes Verhältnis. Für einen sehr ho-hen Arbeitsaufwand und Einsatz fühle ichmich nicht ausreichend belohnt. Zum an-deren habe ich es täglich mit hervorragen-den Kollegen zu tun, die meist in prekärenArbeitsverhältnissen leben und nicht wis-sen, wie sie das nächste Jahr finanzieren sol-len. Insofern ist es ein Privileg, einen Traumverwirklicht zu haben und diesen auch le-ben zu können.

»Jede Ausgrabung bedeutet zugleich aucheine gewollte und kontrollierte Zerstörung der Vergangenheit.«

Anton Kern, Ur- und Prähistorikeram Naturhistorischen Museum Wien

»Die Folgen meiner Berufswahl sind monate-lange Abwesenheiten undein Leben in oft unkomfor-tablen Grabungscamps.«

Sabine Ladstätter, Archäologin undstellvertretende Grabungsleiterin inEphesos/Türkei

Archäologie gilt als Traumberuf. Doch wie sieht die Arbeitsrealität der Jäger nach den verborgenen

Schätzen aus? Fünf Profi-Buddler geben Auskunft über die Lust und den Frust beim Graben.

Indiana Jones in echt

Anton Kern (50), Studium Ur- und Frühgeschichte

sowie Geschichte in Wien. Seit 1991 Mitarbeiter der

Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Mu-

seums in Wien, seit 2001 Direktor dieser Abteilung.

Spezialgebiet: hallstattzeitliche Bestattungssitten.�

Sabine Ladstätter (39), Studium der Klassischen

Archäologie in Graz und Wien. Spezialgebiet:

Wirtschaftsarchäologie. Grabungen derzeit in

Syene/Ägypten und Ephesos/Türkei, wo sie stell-

vertretende Grabungsleiterin ist.�

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»Die alltägliche Arbeit aufder Grabung hat nichts mitder Indiana-Jones-Action zu tun.«Philip Nigst, Paläoarchäologe undGrabungsleiter in Willendorf

»Ungeduldig wird manbeim Graben nicht, weilman ja nicht nach speziel-len Dingen sucht.«Markus Bastir, Paläoanthropologeund Neandertalerspezialist

»Wenn ich an Schwierig-keiten bei Grabungen denke,dann spielte das Wetterdabei eine wichtige Rolle.«Viola Schmid, Archäologiestudentinund Mitarbeiterin in Willendorf

Philip Nigst (31) Studium der Archäologie, Spezial-

gebiet: Altsteinzeit. Arbeitet am Max-Planck-Institut

für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Grabungen in Österreich, Marokko, Frankreich,

Deutschland, Sizilien und Ägypten.�

Markus Bastir (39) Anthropologie- und Paläoan-

thropologiestudium in Wien und Madrid, Spezial-

gebiet: Evolution von Neandertalern und moder-

nen Menschen. Ausgrabungen unter anderen in

Sima del Elefante, Atapuerca und El Sidrón.�

Es hat mich immer interessiert, wie die prä-historischen Menschen auf unterschiedlichesKlima, zum Beispiel die Eiszeiten, reagierthaben. Oder wer die Neandertaler warenund warum sie ausgestorben sind. Um dasherauszufinden, untersuche ich die Werkzeu-ge, Kunstobjekte und Abfälle der letzten Ne-andertaler und ersten modernen Menschen.Diese Forschungen haben mich zu Grabun-gen in Österreich, aber beispielsweise auch inFrankreich, Deutschland und Marokko ge-führt. Ich leite seit 2006 die Grabungen inWillendorf in der Wachau, wo wir Werkzeu-ge und Abfälle der ersten modernen Men-schen in Mitteleuropa finden.Die alltägliche Arbeit auf der Grabung hatnichts mit der Indiana-Jones-Action zu tun,wenn auch schon mal eine Schlange in derGrabung oder ein Skorpion unter dem Zeltsein kann. Manchmal kann die Arbeit eintö-nig sein und könnte man fast ungeduldig

werden: Warum ist es denn hier nur so heiß?Man träumt natürlich von einem spektakulä-ren Fund wie der Venus von Willendorf, aberes ist auch sehr wichtig zu wissen, wie alt je-der einzelne Fund ist. Dafür brauchen wirorganisches Material, wie beispielsweiseHolzkohle oder Knochen, für die C14-Da-tierung.Graben als Traumberuf? Für mich auf alleFälle, weil ich Neues über das Leben derMenschen in der Eiszeit, das Aussterben derNeandertaler und das erfolgreiche Überlebendes modernen Menschen lerne.

Dass Archäologie vielen als Traumberuf gilt,kann ich gut nachvollziehen. Ich musste da-für ins Ausland gehen und sehe meine Fami-lie und Freunde nur mehr selten. Das ist einhoher Preis, um als Paläoanthropologe zu ar-beiten. Wissenschaft ist ein internationales,schlecht planbares Unterfangen. Dieser Le-bensstil liegt nicht jedem. Ich hatte vielGlück und bin nach wie vor von meiner Ar-beit erfüllt.Nach meinem Anthropologiestudium inWien wollte ich mich auf Hominidenevolu-tion in Europa spezialisieren. Für meine Dis-sertation ging ich deshalb nach Madrid, undwährend dieser Arbeit über die Evolution derNeandertaler arbeitete ich auch in Atapuerca.Besonders aufregend war für mich, in Simadel Elefante (nahe Atapuerca) leuchtend wei-ße Steinsplitter zu entdecken, wie sie als Ab-fall bei der Herstellung von Steinwerkzeugenenstehen.Beim Graben man muss sich auf das Sedi-ment konzentrieren, um nicht „zu tief“ in dieZeit vorzustoßen. Ungeduldig wird mannicht, weil man ja nicht nach speziellen Din-gen sucht, sondern das Sediment abarbeitet.Ich musste mich aber auch schon von Steil-wänden abseilen oder mich einen Kilometerlang durch extrem schmale Höhlenschächtezwängen, um danach bei zwölf Grad CelsiusNeandertalerknochen zu identifizieren.

Die Entscheidung, mich der Archäologie zuwidmen, fiel bereits sehr früh in meinem Le-ben. Bereits als Kind war ich fasziniert da-von, auf Feldern Überreste aus vergangenenZeiten aufzuspüren. Als ich dann mein Stu-dium begann, löste es in mir eine noch grö-ßere Begeisterung aus, auf einer Grabung dieObjekte im Kontext zu entdecken. Dadurchkönnen nämlich viel mehr Aussagen übervorangegangene Epochen getroffen werden.Ich habe bereits an mehreren Grabungen inverschiedenen Ländern teilgenommen. Daich Österreich sehr verbunden bin und denWunsch hege, im eigenen Land einen sensa-tionellen Fund zutage zu fördern, war ichhauptsächlich hierzulande tätig.

Wenn ich an Schwierigkeiten denke, die beiGrabungen zu bewältigen waren, dann spiel-te das Wetter dabei eine wichtige Rolle. Letz-ten August zum Beispiel hatten wir in Wil-lendorf mit sintflutartigen Regenfällen zukämpfen. Denn trotz einer Konstruktion, dieunsere Grabungsfläche schützen sollte, wur-de einiges überflutet, was wir dann bei strö-mendem Regen und mit höchstem Einsatzausschöpften und besser absicherten.Ich kann nachvollziehen, dass für viele Men-schen Archäologie ein Traumberuf wäre, weilsie sich wahrscheinlich der Illusion hingeben,dass irgendwo ein Loch zu graben reicht, umtolle Funde zu machen. Aber die Realitätsieht anders aus.

Viola Schmid (21) studiert Archäologie an der Uni-

versität Wien, Spezialgebiet: Altsteinzeit. Bisher

Grabungen an mehreren Fundstätten in Österreich

Frankreich, Italien, Deutschland und den Vereinig-

ten Arabischen Emiraten.�NHM

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