Hintergrund Brasilien 21.08.2014

4
 Hintergrund: Brasilien Nr. 50 / August 2014 | 1 Tragödie markiert Auftakt des Präsidentschaftswahlkampfes und könnte zu einem völlig unerwarteten Ausgang führen Dr. Gabriele Reitmeier Durch den tragischen Flugzeugabsturz des Spitzenkandidaten Eduardo Campos (PSB) werden die Karten für den Präsidentschaftswahlkampf neu gemischt. Mit dem erst 49-jährigen Eduardo Campos starb nur zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen einer der beiden wichtigsten Rivalen der amtierenden Präsidentin Dilma Roussef im Rennen um das höchste Amt im Lande. Er hinterlässt ein großes politi- sches Vakuum. Sein Tod ist ein schwerer Verlust für das ganze Land. Eduardo Campos galt vielen als einer der fähigsten und verheißungsvollsten Politiker des Landes, denn er verkörperte jenen Typus von Politiker, den sich viele Brasilianer wünschen: ehrlich, bescheiden, volksnah, unbestechlich und wirklich um die Sorgen und Nöte der Bürger besorgt. Der Bischof von Recife würdigte ihn während der Trauerfeier als „Mensch, der nicht die Schwäche zeigte, sein Gewi s- sen zu verkaufen“. Der starke Applaus der riesigen Trauergemeinde gab ihm Recht. Gleichzeitig war Eduardo Campos ein Politiker aus Leidenschaft mit großer Vitalität, ein Modernisierer und ein effizien- ter Manager. Er war ein Freund der freien Marktwirtschaft, ohne dabei die sozialen Fragen außer Acht zu lassen. Während seiner knapp achtjährigen Amtszeit als Gouverneur von Pernambuco hat er es ge- schafft, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, das Bildungssystem zu reformieren und die Kriminali- tätsrate um 40% zu senken. Die Bürger dankten es ihm, indem sie ihn mit 82,8% in die zweite Amts- zeit wählten. Im April 2014 musste er von seinem Amt als Gouverneur zurücktreten, um als Präsidentschaftskandi- dat ins Rennen gehen zu können. Hintergrund: Brasilien Nr. 50 / 21. August 2014

Transcript of Hintergrund Brasilien 21.08.2014

  • 5/21/2018 Hintergrund Brasilien 21.08.2014

    1/4

    Hintergrund: Brasilien Nr. 50 / August 2014 |1

    Tragdie markiert Auftakt des Prsidentschaftswahlkampfesund knnte zu einem vllig unerwarteten Ausgang fhren

    Dr. Gabriele Reitmeier

    Durch den tragischen Flugzeugabsturz des Spitzenkandidaten Eduardo Campos (PSB) werden die Kartenfr den Prsidentschaftswahlkampf neu gemischt. Mit dem erst 49-jhrigen Eduardo Campos starb nurzwei Monate vor den Prsidentschaftswahlen einer der beiden wichtigsten Rivalen der amtierendenPrsidentin Dilma Roussef im Rennen um das hchste Amt im Lande. Er hinterlsst ein groes politi-

    sches Vakuum. Sein Tod ist ein schwerer Verlust fr das ganze Land.

    Eduardo Campos galt vielen als einer der fhigsten und verheiungsvollsten Politiker des Landes, denner verkrperte jenen Typus von Politiker, den sich viele Brasilianer wnschen: ehrlich, bescheiden,volksnah, unbestechlich und wirklich um die Sorgen und Nte der Brger besorgt. Der Bischof vonRecife wrdigte ihn whrend der Trauerfeier als Mensch, der nicht die Schwche zeigte, sein Gewis-sen zu verkaufen. Der starke Applaus der riesigen Trauergemeinde gab ihm Recht. Gleichzeitig warEduardo Campos ein Politiker aus Leidenschaft mit groer Vitalitt, ein Modernisierer und ein effizien-ter Manager. Er war ein Freund der freien Marktwirtschaft, ohne dabei die sozialen Fragen auer Achtzu lassen. Whrend seiner knapp achtjhrigen Amtszeit als Gouverneur von Pernambuco hat er es ge-schafft, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, das Bildungssystem zu reformieren und die Kriminali-

    ttsrate um 40% zu senken. Die Brger dankten es ihm, indem sie ihn mit 82,8% in die zweite Amts-zeit whlten.

    Im April 2014 musste er von seinem Amt als Gouverneur zurcktreten, um als Prsidentschaftskandi-dat ins Rennen gehen zu knnen.

    Hintergrund: Brasilien

    Nr. 50 / 21. August 2014

  • 5/21/2018 Hintergrund Brasilien 21.08.2014

    2/4

    Hintergrund: Brasilien Nr. 50 / August 2014 |2

    Groen Mut bewies er, als er im letzten Herbstmit seiner Partei PSB die Koalition mit der regie-renden Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhado-res) verlie, um seine eigene Prsident-

    schaftskandidatur vorzubereiten. Seitdem war erZielscheibe heftigster Attacken aus der PT. Mitseiner eigenen Prsidentschaftskandidatur ver-suchte er, die politische Dichotomie zwischenArbeiterpartei PT und der brgerlichen PSDB auf-zubrechen, die sich seit Jahrzehnten an derMacht abwechseln. Damit htte Eduardo Camposmittel- bis langfristig fr all jene eine politischeOption werden knnen, die nach Wandel, nachdem dritten Weg suchen - das sind ber 70% der Brasilianer. Sein jher Tod machte diese Hoffnun-

    gen zunichte. Eduardo Campos starb im wichtigsten Augenblick seiner politischen Karriere. Er standvor einer groen politischen Zukunft. Dass er just an demselben Tag starb wie sein legendrer Grova-ter, Miguel Arraes - eine linke Ikone der 60er Jahre, wird seinen Mythos nur noch steigern. Eduardo eo guerrero do povo brasileiro (Eduardo ist der Krieger des brasilianischen Volkes) skandierte die Trau-ergemeinde immer wieder. Mit ihm starb ein Stck Hoffnung auf eine bessere Zukunft Brasiliens,auch darin waren sich die Trauergste einig.

    Die politischen Folgen

    Mit der Tragdie um Eduardo Campos haben alle bisherigen Wahlumfragen ihre Gltigkeit verloren.Nur eine Woche nach dem tragischen Ereignis hat die PSB das politische Schwergewicht Marina Silva

    zur neuen Prsidentschaftskandidatin gekrt. Sie war bisher die Kandidatin fr das Amt des Vize-Prsidenten. Da Marina jedoch nicht aus der PSB kommt, sondern mit dem Rede Sustentabilidadeihre eigene Partei hat, kann sie die Nachfolge nur unter der Bedingung antreten, die von EduardoCampos getroffenen Koalitionsvereinbarungen, sowie das von ihm erarbeitete Regierungsprogrammumzusetzen. Damit tritt Marina Silva ein groes politisches Vermchtnis an. Dass sie diesem gerechtwerden kann, hat sie in ihrer langen politischen Karriere als Abgeordnete, Senatorin und Ministerinunter Beweis gestellt. Schon jetzt erreicht sie in Umfragen 21%, whrend es Eduardo Campos nie ber10% geschafft hatte.

    Die Nominierung von Marina Silva kann denVerlauf des Wahlkampfes grundlegend ver-

    ndern. Aufgrund ihrer politischen Biografieverkrpert sie fr viele Brasilianer eine echtepolitische Alternative - mehr als jeder ande-re Kandidat dies tut. Vielleicht auch mehrals Eduardo Campos dies vermocht hat. Alseines von elf Kindern einer armen Kaut-schuksammlerfamilie tief im Amazonasge-biet aufgewachsen, lernte sie erst mit 16Jahren Lesen und Schreiben. Frh kam sie inKontakt mit der Befreiungsbewegung undder Umweltbewegung um Chico Mendes.

    Nachruf in den wichtigsten Medien / Quelle: FNF-Brasilien

    Das einstige Wahlplakat / Quelle: PSB

  • 5/21/2018 Hintergrund Brasilien 21.08.2014

    3/4

    Hintergrund: Brasilien Nr. 50 / August 2014 |3

    Sie entstammt also keinem der traditionellen Clans, aus denen blicherweise das Personal fr hohepolitische Positionen rekrutiert wird. Viele sehen in ihr auch das kritische Gewissen Brasiliens, dennim Mai 2008 trat sie nach fnfjhriger Amtszeit als Umweltministerin im Kabinett Lula da Silva zu-rck. Sie wollte politische Entscheidungen der PT-Regierung - wie v.a. die Freigabe des gentechnisch

    vernderten Soja-Anbaus und den umstrittenen Bau des Jirau-Staudammes am Rio Madeira sowie desgigantischen Wasserkraftwerkes Belo Monte - nicht mehr lnger mittragen. Wegen hnlicher politi-scher Differenzen verlie sie 2009 nach 24-jhriger Mitgliedschaft auch die PT. Bei den Prsident-schaftswahlen 2010 erreichte sie mit 20 Millionen Stimmen einen sehr beachtlichen dritten Platz undgeniet seitdem groe Popularitt in breiten Bevlkerungsschichten. Ihre Anhnger hat sie in der jun-gen Facebook-Generation genauso wie unten den Umweltaktivisten und den Evangelikalen sowie in-nerhalb der besser ausgebildeten und besser verdienenden Schichten. Ob sie aber tatschlich das not-wendige Mehr an Stimmen fr sich gewinnen kann, hngt sehr entscheidend von ihrer Akzeptanz so-wohl im Privatsektor wie bei den armen Bevlkerungsschichten ab.

    Marina Silva stellt vor allem eine Gefahr fr den zweitplatzierten Acio Neves (PSDB) dar, da sie indessen Hochburgen im Sden und Sdosten ebenfalls sehr stark vertreten ist. Neves, der sich bishersicher in einem zweiten Wahlgang gegen Prsidentin Rousseff whnen durfte, muss um diese Chancebangen und wird seinen Wahlkampf neu ausrichten mssen.

    Falls es Marina Silva in die Stichwahl schafft, kann sie auch der Amtsinhaberin Dilma Roussef sehrgefhrlich werden, der vor allem die schlechte wirtschaftliche Lage Brasiliens im Wahljahr viele Stim-men kosten wird. Auch die Prsidentin wird ihren Wahlkampf neu ausrichten mssen.Ihr kaum zu berschtzender Vorteil dabei ist, dass ihr der gigantische Partei- und Staatsapparat zur

    Verfgung stehen.

  • 5/21/2018 Hintergrund Brasilien 21.08.2014

    4/4

    Hintergrund: Brasilien Nr. 50 / August 2014 |4

    Kommt es zu einem Duell zweier Frauen um das hchste Amt im Staat?

    Nach der aktuellsten Datafolha-Umfrage vom 18. August, der ersten Umfrage nach dem Tod von Edu-ardo Campos, liegt Marina Silva mit 21% bereits ein Prozent vor Aecio Neves. Dieselbe Umfrage zeigtMarina Silva in einer mglichen Stichwahl gegen Prsidentin Dilma Roussef mit 47% gegen 43% alsSiegerin. Bis es so weit ist, wird aber noch viel Wasser den Amazonas hinunter flieen.

    Pesquisa Datafolha inteno de voto para presidente

    Dr. Gabriele Reitmeier ist Projektleiterin der FNF fr Brasilien mit Sitz in So Paulo.

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)Bereich Internationale PolitikReferat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2D-14482 Potsdam