Hintergrund Ukraine
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Hintergrund: Ukraine Nr. 25 / April 2015 | 1
Fehlinformation als Przisionswaffe
Juri Durkot
Der Kreml fhrt einen Informationskrieg nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen den Westen.
Er stellt damit demokratische Lnder oder solche, die es werden wollen vor enorme Herausforderun-
gen.
Die Ukraine wrde bald einen neuen 1000-Hrywnja-Schein in Umlauf bringen, so im Januar der russi-
sche Staatssender Rossija-1 in den Abendnachrichten. Auf dem Bildschirm erschien in diesem Au-
genblick ein zuknftiger 1000-Hrywnja-Schein, vorgeblich ein Entwurf der Banknote seitens der nati-
onalistischen ukrainischen Partei Swoboda, mit der Abbildung von ... Adolf Hitler.
Alles erwies sich als Flschung ein mit Photoshop manipulierter Entwurf, den die ukrainische Noten-
bank noch 2008 angefertigt hatte und spter nie zu nutzen beschloss. Auf dem Originalentwurf war
kein Nennwert angegeben und ein ukrainischer Schriftsteller aus dem 19. Jahrhundert abgebildet, wie
die Website Stopfake.org klarstellte, ein Projekt, das es sich zur Aufgabe gesetzt hat, Lgen der russi-
schen Propaganda zu entlarven. Und Swoboda hatte mit der ganzen Geschichte schon gar nichts zu
tun.
Die durch russische Medien produzierten Lgen, Flschungen, Manipulationen und Halbwahrheiten
nehmen seit mehr als einem Jahr kein Ende. Augenzeugenberichte ber einen durch ukrainische Sol-
daten gekreuzigten kleinen Jungen, Meldungen ber angebliche Grueltaten wie Vergewaltigungen
hunderter junger Frauen, umgebrachte Mnner und ausgelschte Drfer erinnern an die schlimmste
Goebbels-Propaganda.
Doch bei weitem nicht alle Manipulationen sind so plump und ungeschickt. Insbesondere der auch in
Englisch, Deutsch und Spanisch fr den westlichen Markt produzierende Sender RT (frher Russia To-
day) agiert und wirkt deutlich professioneller.
Hintergrund:
Ukraine
Nr. 25 / 20. April 2015
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Hintergrund: Ukraine Nr. 25 / April 2015 | 2
Die manipulierte Berichterstattung, instrumentalisier-
te Klischees und Mythen, Verschiebungen von Akzen-
ten sind aber nur ein Teil dieses Krieges. Viel spielt
sich unter dem Tisch ab, fr ein breites Publikum un-
sichtbar. Dazu gehren nicht nur gesteuerte Leser-
mails, bezahlte Kommentare (wie die russischen Zei-
tungen Moj Region und Nowaja Gazeta recher-
chierten, ist damit unter anderem eine ganze Agentur
in Sankt Petersburg beschftigt!) oder die Streuung
von Informationen zur Verunsicherung und Verwirrung
von Redakteuren, sondern sogar an Journalisten ge-
richtete Morddrohungen, wie die ARD-Moskau-
Korrespondentin Golineh Atai in ihrer bemerkenswer-
ten Dankesrede darlegte, als sie als Journalistin des
Jahres ausgezeichnet wurde.1
Wie den Informationskrieg erwidern?
Es ist nicht einfach, die richtige Antwort auf einen
Informationskrieg zu finden. Das grundstzliche Prob-
lem ist, dass ein demokratisches Land gar keinen In-
formationskrieg fhren kann. Dafr braucht man
auer Geld ganz bestimmte Voraussetzungen, etwa
die absolute Kontrolle ber die wichtigsten Medien
wie das Fernsehen und kanalisierte Berichterstattung.
Das knnen nur Diktaturen oder stark autoritre Re-
gime.
In Lndern mit einer pluralistischen Medienlandschaft sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Eine
demokratische Gesellschaft muss andere Mechanismen zu ihrem Selbstschutz schaffen. Und die ms-
sen auf dem Grundsatz basieren, immer die Wahrheit zu berichten und Propagandalgen zu entlarven.
Es wre falsch, mit symmetrischen Aktionen zu antworten. In diesem Sinne sind Initiativen wie der
Realittscheck des Auswrtigen Amts Russische Behauptungen Unsere Antworten 2 oder eben
Stopfake.org eine viel bessere Idee als ein Informationsministerium, wie es die neue ukrainische Re-
gierung grndete. Einige ukrainische Journalisten tauften es Ministerium fr Wahrheit nach dem
Roman 1984 von George Orwell.
1 http://www.zeit.de/2015/09/golineh-atai-preis-rede-kritik; Video auf: https://www.youtube.com/watch?v=tQI4mZrRt8k
2 http://augengeradeaus.net/2015/02/dokumentation-realitaetscheck-des-auswaertigen-amtes-zu-ukrainerussland/. Das
Auswrtige Amt will damit in der ffentlichen Diskussion hufig verwendeten Behauptungen zum Ukraine-Konflikt, die
auf unrichtigen oder nur teilweise richtigen Fakten beruhen, begegnen.
Das Neuerscheinungsregal einer Kaliningrader-
Buchhandlung im September 2014: Links: "Chaos und Revo-
lution, Die Waffe des Dollars"; rechts eine neue Darlegung
der Geschichte der Krim. / Foto: Oleg Friesen
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Hintergrund: Ukraine Nr. 25 / April 2015 | 3
Grundzge der russischen Argumentationskette
Vereinfacht lsst sich die pseudologische3 Argumenta-
tionskette der russischen Propaganda etwa so darstel-
len: 1. Amerikaner und Nationalisten organisierten den
Euromajdan und den Staatsstreich (alternativ: Natio-
nalisten und Amerikaner). 2. Durch diesen Staats-
streich kamen Nationalisten an die Macht und be-
drohten die russischsprachige Bevlkerung (in der
schlimmeren Version ist von direkter Verfolgung die
Rede). 3. Also waren die Krim und die Ostukraine in
Gefahr. 4. Der Kreml konnte die Krim retten, indem
die Russische Fderation die Halbinsel integrierte, die
Ostukraine aber erhob sich in einem Aufstand und
wollte Unabhngigkeit und Sicherheitsgarantien. 5.
Die Nationalisten, die durch den Staatsstreich an die
Macht gekommen waren, begannen den Krieg gegen
die eigenen Brger.4 Je nach Land und Zielgruppe wird
diese Argumentationskette modifiziert, unterscheiden
sich Hauptthesen, Methoden und Instrumente.
Mageschneiderte Propaganda fr jede Zielgruppe
Der russische Informationskrieg hat mindestens drei
groe Zielgruppen im Visier.
Zum einen gibt es Propaganda-Bilder fr die eigene
Bevlkerung. Hier mssen die Manipulationen nicht
besonders geschickt sein. Die Darstellung von ukraini-
schen Soldaten als Unmenschen spielt eine zentrale Rolle. Das erzeugt nicht nur Hass, sondern sorgt
auch fr den Nachschub Freiwilliger aus Russland, die auf der Seite der sog. Separatisten im Donbass
kmpfen. Gleichzeitig werden zwei Mythen instrumentalisiert: jener ber die ukrainischen Faschis-
ten, die durch den Putsch an die Macht kamen, und jener ber die Einkreisung Russlands durch den
Westen und die NATO. In diese Reihe fallen Berichte ber in der Ost-Ukraine kmpfende NATO-
Soldaten oder ber Rechtspopulisten und Nationalisten in der ukrainischen Politik. Tatschlich ist de-
ren Rolle marginal: Swoboda scheiterte bei der ukrainischen Parlamentswahl an der Fnf-Prozent-
Hrde und ist im ukrainischen Parlament nur durch wenige Direktkandidaten vertreten. Bei der Prsi-
dentschaftswahl im Mai 2014 erhielten zwei nationalistische Kandidaten zusammen zudem weniger
als zwei Prozent aller Stimmen.
3 Pseudologie nennt man den Zwang, die Unwahrheit zu erzhlen.
4 Diese Argumentationskette wird in ihren Grundzgen als Basis der Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts fr Mei-
nungsforschung (KMIS) genutzt siehe unten.
Eine der auflagenstrksten russischen Tageszeitungen Kom-
somolskaja Prawda macht ihre Kaliningrad-Regionalausgabe
vom 30.9.2014 mit dem Bericht eines russischen Kmpfers
auf: "Erst im Donbass verstand ich, dass ich mein Leben
bisher verplempert habe". / Foto: Oleg Friesen
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Hintergrund: Ukraine Nr. 25 / April 2015 | 4
Die zweite Zielgruppe sind jene Ukrainer, die russische Medien als Informationsquelle nutzen. Dabei ist
die Immunitt gegen die Propaganda je nach Region unterschiedlich ausgeprgt. Whrend die West-
und Zentralukrainer den Lgen kaum noch glauben, muss das fr die direkt an den Donbass grenzende
Region Dnipropetrowsk schon etwas relativiert werden. Das Kiewer Internationale Institut fr Mei-
nungsforschung hat auf der Grundlage einer Umfrage vom Februar 20155 einen Index ausgearbeitet,
um die Effektivitt der russischen Propaganda unter Ukrainern zu beurteilen. Demnach teilen im Wes-
ten der Ukraine nur wenige Brger die Hauptthesen des russischen Informationskrieges (fr die westli-
chen Oblasti (Regionen) ergibt sich ein Mittelwert von 12 Indexpunkten; dem Einfluss am wenigsten
verfallen ist die Region Lemberg mit nur 8 Indexpunkten).6 In der Zentralukraine (18 bis 19 Index-
punkte) sind es schon mehr. Dieser Wert steigt fr Dnipropetrowsk und die Sdukraine noch auf 28 bis
29 Indexpunkte. In Charkiw, Odessa oder den von Kiew kontrollierten Gebieten im Donbass glaubt
sogar eine noch wesentlich grere Anzahl der Brger nach wie vor den Mythen der russischen Propa-
ganda (zwischen 40 bis 50 Indexpunkte). Interessanterweise verteilt sich dieser Einfluss ziemlich
gleichmig unter verschiedene Alters- und Sozialgruppen. Auch das Geschlecht oder der Bildungs-
stand scheinen keine Rolle zu spielen, wenn es darum geht, anfllig fr manipulierte Bilder und In-
formationen zu sein. Zwei Bezge sind aber erkennbar: Der Anteil derer, die russische Thesen teilen,
ist in der Gruppe der Russischsprachigen hher als in der Gruppe der Ukrainischsprachigen und Bilin-
gualen. Was die finanzielle Lage der Befragten anbelangt, so gilt: je rmer die Menschen sind, desto
fter zeigen sie sich bereit, den Mythen der russischen Propaganda zu folgen. Erstaunlicherweise ist
der Anteil derjenigen eher gering, die den russischen Medien, welche ja diese Bilder und Informatio-
nen transportieren, insgesamt Glauben schenken: Nur 8,9 Prozent aller ukrainischen Brger vertrauen
nach derselben Umfrage noch vllig oder zumindest teilweise russischem Fernsehen, Radio und
Zeitungen, whrend ber 80 Prozent das Vertrauen in die Medien des Nachbarlandes verloren haben.
Klassische Medien sind nur ein Teil des Eisbergs. Insbesondere bei der ukrainischen Zielgruppe spielen
die sozialen Netzwerke eine groe Rolle. Meldungen, die auf Panik zielen, sind keine Seltenheit. So
werden Gerchte ber die angeblich bevorstehenden militrischen Offensiven nicht nur gestreut,
sondern auch besonders intensiv kommentiert. Auch Niederlagen der ukrainischen Armee (etwa Illo-
wajsk, Debalzewe) werden zur Panikmache genutzt. Zudem greifen gerade die sozialen Medien jeden
mglichen Protest gegen die Politik der Kiewer Regierung sofort auf. Hier ist es besonders schwer, die
Wahrheit von einer gezielt gestreuten Lge zu trennen. Verwirrung und Unsicherheit sind die beab-
sichtigten Folgen.
Die dritte Zielgruppe sind Brger westlicher Lnder. Hier sind die Methoden subtiler. Die Mythen ber
die Faschisten in Kiew und die Einkreisung durch die NATO werden instrumentalisiert. Bei den ers-
ten wird besonders die Kollaboration von ukrainischen Nationalisten mit Nazi-Deutschland verallge-
meinert (die tatschlich nur auf einen Bruchteil Ukrainer zutrifft) und auf die heutige politische Situa-
5 http://www.kiis.com.ua/?lang=ukr&cat=reports&id=510&page=1
6 Obwohl die Indexskala bis 100 geht und das Ergebnis sehr stark mit Prozentwerten korrelieren wrde, wre es aus statis-
tischer Sicht falsch, die Resultate als Prozentwerte darzustellen, weil der Index auf mehreren Fragen basiert (so Volodymyr
Paniotto in einem Telefonat mit dem Autor am 14.04.2015).
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tion bertragen. Der Einfluss von Rechtsextremisten und Nationalisten wird stark bertrieben. Zudem
spielen Rechtsextreme in Russland selbst (aber auch in europischen Staaten) eine wesentlich grere
Rolle als in der Ukraine. In Deutschland rcht sich, wenn es darum geht, solche Darstellungen wissen-
schaftlich zu widerlegen, die fehlende Tradition von Ukrainistik-Studien, wie der Chefredakteur von
Osteuropa Manfred Sapper anmerkt. Zwei weitere Instrumente spielen in westlichen Lndern eine
Rolle: mehrere selbst offensichtlich absurde Versionen eines Ereignisses zu streuen, um zu verun-
sichern und den eigentlichen Informationswert zu untergraben (so beim MH17-Flug) sowie in zahlrei-
chen Leserbriefen und Diskussionsforen russische Positionen aggressiv zu verteidigen.
Das Dilemma mit der Dreistigkeit
Die Propaganda stellt nicht selten auch Medienprofis vor groe Probleme. Ein Journalist, der sich mit
einem Konflikt befasst, geht im klassischen Fall von der Voraussetzung aus, dass beide Konfliktpartei-
en bestimmte Fakten und Ereignisse zu ihren Gunsten interpretieren. Die Wahrheit sollte irgendwo in
der Mitte liegen. Dadurch gert jemand, der sich zum ersten Mal mit dem Krieg in der Ostukraine be-
fasst (wie es besonders bei der Regionalpresse der Fall sein kann) in eine Falle, die vom Chefredakteur
des ukrainischen Magazins Nowoje Wremja Vitalij Sytsch so beschrieben wurde: In diesem Krieg
interpretiert eine Partei die Ukraine die Fakten. Sie stellt sie zuweilen auch nicht wahrheitsgetreu
dar, doch es handelt sich dabei immer noch um Interpretationen. Die andere Partei Russland erfin-
det dagegen eine Parallelwelt. Und wenn man in dieser Situation die Wahrheit in der Mitte sucht,
landet man automatisch in der Lge.
Deutsche Besonderheiten
Im Vergleich zu anderen westlichen Lndern tut sich Deutschland wegen seiner Geschichte und seiner
geschichtlichen Verantwortung manchmal besonders schwer, wenn es darum geht, aktuelle Gescheh-
nisse richtig einzuordnen. Vier Faktoren sind in diesem Zusammenhang zu betonen: Erstens ist das
Schuldgefhl im Zusammenhang mit dem berfall von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion zu nen-
nen, das gegenber Russland viel strker ausgeprgt ist als gegenber der Ukraine, obwohl gerade die
Gebiete der Ukraine vollstndig besetzt und Schauplatz der schwersten Kmpfe waren; zweitens gilt
die Dankbarkeit vieler Deutscher fr die Wiedervereinigung der Sowjetunion und wird wiederum auf
Russland projiziert; drittens gibt es eine latente Angst vor Russland als Militrmacht; und viertens das
Gefhl, das in Konfliktzeiten den meisten Menschen gemein ist, die nicht unmittelbar bedroht sind:
Ich will meine Ruhe haben. Zudem nutzen auch viele der nach Deutschland ausgewanderten Russen
ganz berwiegend russische Medien, so dass es unter ihnen, folgerichtig, viele Putin-Freunde gibt.
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Fazit
Mglicherweise hat die russische Propaganda in Deutschland und ande-
ren westlichen Lndern dennoch ihre Grenzen. Nach einer aktuellen
Studie des Allensbach-Instituts7 halten 55 Prozent der Deutschen Russ-
land fr den Hauptschuldigen im Donbass-Konflikt, 34 Prozent die Se-
paratisten. Nur 20 Prozent halten die Ukraine als fr die Lage verant-
wortlich (die Befragten konnten mehrere Hauptschuldige nennen). Auch
bei anderen Fragen zeigt sich ein fr russische Propagandisten durchaus
unerfreuliches Ergebnis: nur etwa 20 Prozent der Befragten unterstt-
zen die russischen Thesen. Genauso viele halten jedoch die Ukraine fr
den Hauptschuldigen! Und weil diese Minderheit zumeist sehr aktiv und
oft auch uerst aggressiv die russischen Thesen verteidigt, entsteht der
Eindruck, dass es sich um eine viel grere Gruppe handelt, als es tat-
schlich der Fall ist.
Es wre falsch zu hoffen, dass der Kreml mit seiner Propaganda aufhren wird, weil sie nicht effizient
genug ist. Eher wird er sie fortsetzen oder anpassen. Die dem Informationskrieg ausgesetzten Lnder
und direkt Betroffenen mssen die Illusion aufgeben, dass es in absehbarer Zukunft eine Rckkehr zur
Normalitt geben wird.
Juri Durkot ist Publizist aus Lemberg.
Impressum
Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)
Bereich Internationale Politik
Referat fr Querschnittsaufgaben
Karl-Marx-Strae 2
D-14482 Potsdam
7 Verffentlicht in der FAZ vom 18.03.2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/allensbach-studie-die-grenzen-der-
russischen-propaganda-13489238.html
Juri Durkot