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40 Histologie der Niere Hintergrundinformation zum Präparationsabend in der MGW 12.10.2010 von Dr. Thomas Kann Einleitung: Am 12.10.2010 wurde im Rahmen eines Präparationsabends folgende Dauerpräparate angefertigt: Zupfpräparat von der Nierenrinde (Schweineniere) Zupfpräparat vom Nierenmark (Schweineniere) Paraffinschnitte von der unipapillären Rattenniere Das Material für die Zupfpräparate wurde in Formalin fixiert, in Ethanol entwässert und vorfragmentiert in Zedernholzöl zur Verfügung gestellt. Das abschliessende „Zupfen“ in kleinste Gewebsfragmente erfolgte im Einschlussmedium (Malinol) direkt am Objektträger. Die Fixierung der Rattenniere erfolgte in Bouin Gemisch; die Einbettung in Paraplast; geschnitten wurde am Reichert Rotationsmikrotom mit Schnittdicke 5 μm. Gefärbt wurde mit Kresylechtviolett als Kernfärbung und Eosin als Gegenfärbung. Kurzer historischer Rückblick zur Histologie der Niere: ►Bartolomeo Eustachio (1524-1574): 47 Kupferstiche in Opuscula Anatomica (1564): beschreibt Nierenkelchsystem; Gefäßversorgung, und erstmals Sammelrohre; 1714 von Lancisi nochmals publiziert (Abb.: 1). ►1666: Marcello Malpighi (1628-1694): beschreibt Glomerula als „kleine runde Körper“, hielt sie aber für Drüsen; er erkannte aber dass sie mit Arterien zusammenhängen. Malpighi liefert jedoch keine Kupferstiche dazu. ►Lorenzo Bellini: (1643-1704): 1662: „De Structura et Usu Renum” beschreibt terminale Sammelrohre in der Papillenspitze (Abb. 2). ►Giovanni Alfonso Borelli (1608-1679): De motu animalium (1680), beschreibt , dass Urin aus Blut herausfiltriert wird. ►Alexander Schumlansky (1748 -1795): De Structura renum (1782): gibt Zusammenfassung über das Wissen seiner Zeit in seiner Dissertation (Abb.3). ►1830: Johannes Müller beschreibt Kapsel um Glomerula, erkennt aber keine Verbindung mit den Tubuli. ►1842: Sir William Bowman (1816-1892) interpretiert die Kapsel um die Glomerula richtig als zusammenhängend mit den Nierenkanälchen (Abb. 4). ►1866: Jacob Henle (1809-1885): beschreibt Schleife der Tubuli (Abb.5) ►1916: Arthur Cushny: begründet Theorie der Ultrafiltration in Glomerula und Modifikation des Primärharnes in den Tubuli.

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Histologie der Niere Hintergrundinformation zum Präparationsabend in der MGW 12.10.2010

von Dr. Thomas Kann

Einleitung: Am 12.10.2010 wurde im Rahmen eines Präparationsabends folgende Dauerpräparate angefertigt: Zupfpräparat von der Nierenrinde (Schweineniere)

Zupfpräparat vom Nierenmark (Schweineniere) Paraffinschnitte von der unipapillären Rattenniere

Das Material für die Zupfpräparate wurde in Formalin fixiert, in Ethanol entwässert und vorfragmentiert in Zedernholzöl zur Verfügung gestellt. Das abschliessende „Zupfen“ in kleinste Gewebsfragmente erfolgte im Einschlussmedium (Malinol) direkt am Objektträger. Die Fixierung der Rattenniere erfolgte in Bouin Gemisch; die Einbettung in Paraplast; geschnitten wurde am Reichert Rotationsmikrotom mit Schnittdicke 5 μm. Gefärbt wurde mit Kresylechtviolett als Kernfärbung und Eosin als Gegenfärbung.

Kurzer historischer Rückblick zur Histologie der Niere: ►Bartolomeo Eustachio (1524-1574): 47 Kupferstiche in Opuscula Anatomica (1564): beschreibt Nierenkelchsystem; Gefäßversorgung, und erstmals Sammelrohre; 1714 von Lancisi nochmals publiziert (Abb.: 1). ►1666: Marcello Malpighi (1628-1694): beschreibt Glomerula als „kleine runde Körper“, hielt sie aber für Drüsen; er erkannte aber dass sie mit Arterien zusammenhängen. Malpighi liefert jedoch keine Kupferstiche dazu. ►Lorenzo Bellini: (1643-1704): 1662: „De Structura et Usu Renum” beschreibt terminale Sammelrohre in der Papillenspitze (Abb. 2). ►Giovanni Alfonso Borelli (1608-1679): De motu animalium (1680), beschreibt , dass Urin aus Blut herausfiltriert wird. ►Alexander Schumlansky (1748 -1795): De Structura renum (1782): gibt Zusammenfassung über das Wissen seiner Zeit in seiner Dissertation (Abb.3). ►1830: Johannes Müller beschreibt Kapsel um Glomerula, erkennt aber keine Verbindung mit den Tubuli. ►1842: Sir William Bowman (1816-1892) interpretiert die Kapsel um die Glomerula richtig als zusammenhängend mit den Nierenkanälchen (Abb. 4). ►1866: Jacob Henle (1809-1885): beschreibt Schleife der Tubuli (Abb.5) ►1916: Arthur Cushny: begründet Theorie der Ultrafiltration in Glomerula und Modifikation des Primärharnes in den Tubuli.

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Abb.1: Neuauflage der Opuscula anatomica von B. Eustachius durch Lancisi 1714

Abb. 2: „De Structura et Usu Renum” von L. Bellini

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Abb. 3: A. Schumlansky: De Structura renum (1782)

Abb.4: aus Kölliker: Mikroskopische Anatomie 1854

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Abb: 5: Henle J. Handbuch der Eingeweidelehre des Menschen. F. Vieweg und Sohn, Braunschweig, 1866

Grobe Architektur der Niere:

Am Längsschnitt durch das Organ kann man bereits makroskopisch Mark und Rinde unterscheiden (Abb.6, Abb.17, Abb.18). Beim Menschen besteht das Mark aus mehreren Markpyramiden, die mit ihrem Markpapillen in die Kelche des Nierenbeckens ragen ( multipapillärer Typ der Niere); bei Nagetieren nur aus einer einzigen Pyramide (unipapillärer Nieretyp).

Bereits das einfache Zupfpräparat (Abb. 19) macht deutlich, dass die Nierenrinde neben den reichlich vorhandenen Blutgefäßen aus den sogennanten Nierenkörperchen (Malpihgi Körperchen = Glomerula) und den gewundenen Nierenkanälchen (Partes convulutae der Tubuli) besteht – während im Nierenmark nur die geraden Abschnitte der Nierenkanälchen (Partes rectae der Tubuli) und die Sammelrohre vorherrschen.

Die Summe aller gewundenen Tubuli innerhalb der Rinde werden auch als das Nierenlabyrinth bezeichnet.

Mikroanatomisch und funktionell kann man jedem Glomerulum die von diesem ausgehenden Nierenkanälchen zuordnen, sodass man diese gesamte Funktionseinheit als Nephron bezeichnet (Abb. 7, Abb.8). Jede menschliche Niere enthält ca. 1 Million Nephrone. Während die Glomerula den Primärharn produzieren besteht die Aufgabe der nachgeschalteten Kanälchen darin den Harn durch aktive + passive Transportprozesse zu modifizieren und zu konzentrieren.

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Abb. 6: Aus:O. Bucher, H. Wartenberg: Cytologie, Histologie und mikroskopische Anatomie des Menschen Verlag Hans

Huber; 11 Auflage; 1992

Abb.7: Aus: Histologie: Schwarzacher/Schnedl/Pavelka: Lehrbuch

der

Zytologie, Histologie und Mikroanatomie des Menschen; 5. Auflage

1995

Abb.8: Aus: Sobotta, Welsch:

Lehrbuch der Histologie; 2.

Auflage; Urban & Fischer 2006

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Abb 9: Histologischer Atlas von Zupfpräparaten unfixierter menschlicher Organe und Gewebe; H. Plenk; Wien 1928

Mikroskopische Anatomie der Niere:

Feinbau des Glomerulums (Abb.9 - 13):

Bereits Marcello Malpighi erkannte in seinem Werk De viscerum structura exercitatio anatomica (1666) dass die von ihm als runden Körperchen bezeichneten Glomerula („ rotunda & brevissima corpora“) an Blutgefäßen hängen („vasorum rami cum appensis globulis“). Heute weis man, dass aus einer zuführenden kleinen Arterie (Arteriola afferens sich ca. 6-12 Kapillarschlingen teilen und sich wieder zur Arteriola efferens vereinigen. Das Gewirr der Kapillarschleifen erweckt den Eindruck eines Knäuels, wie besonders das Zupfpräparat (Abb.9, Abb. 20) beweist. Erst im dünnem Paraffinschnitt (Abb. 13, 23, 24) erkennt man ansatzweise die einzelnen, feinen blutgefüllten Kapillarlumina mit ihren Endothelzellkernen und den dazwischen liegenden sogenannten Mesangiumzellen. Eine genaue Zuordnung der Zellkerne zu den einzelnen Zelltypen ermöglicht erst der Semidünnschnitt mit Schnittdicken unter 1 μm. Das gesamte Kapillarknäuel ist weiters in ein feines Häutchen „eingepackt“, das als inneres Blatt der Bowman`sche Kapsel bezeichnet wird. Die Beziehung zwischen Glomerulum und Bowman`scher Kapsel veranschaulicht Abb.12.

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Abb.10: Aus: Junqueira, Carneiro: Histologie; übersetzt von T.H. Schiebler; 4. Auflage; Springer

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Abb 11: Aus:O. Bucher, H. Wartenberg: Cytologie, Histologie und mikroskopische Anatomie des Menschen Verlag Hans

Huber; 11 Auflage; 1992

Abb.12: aus: A. Stevens, J. Lowe: Histologie; übersetzt von K. Tiedemann; VCH Verlag 1992

Abb. 13: Glomerulum mit umgebendem gewundenen Tubuli; Vergrößerung 1000x;Färbung: Kresylechtviolett – Eosin; PT = proximaler Tubulus mit „verwaschenem“ Lumen durch Bürstensaum der Epithelzellen; DT = distaler Tubulus mit flacheren Epithelzellen ohne Bürstensaum: daher klar abgrenzbares Lumen; 1 = parietales Blatt der Bowman`schen Kapsel; 2 =

PT

DT

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3

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viscerales Blatt der Bowman`schen Kapsel = Podozyten; 3 = Zellkerne der Mesangiumzellen und Kapillaren

Aus jeder Baumann`schen Kapsel entspringt schließlich am sogenannten Harnpol mit dem proximale Tubulus das diesem Glomerulum zugehörige Kanälchensystem (Abb. 24). Der über das Glomerulum ultrafiltrierte Primärharn wird in den nun nachfolgenden Tubuli zum konzentrierten Sekundärharn modifiziert.

Feinbau der Nierenkanälchen / Tubuli:

Den Weg des Primärharnes durch das Kanälchensystem (=Henle-Schleife) beschreibt Abb.14: Proximaler Tubulus (früher Hauptstück): gewundener Abschnitt → proximaler gerader Tubulusabschnitt → intermediärer Tubulus (früher Überleitungsstück) → distaler Tubulus (früher Mittelstück): gerader Abschnitt → gewundender distaler Tubulusabschnitt mit Rückkopplungsmechanismus an das Glomerulum über „Macula densa“→ Verbindungstubulus → Sammelrohre → terminales Sammelrohr (Ductus Bellini) → Papillenspitze

Die Querschnitte der einzelnen Tubulustypen stellen sich morphologisch deutlich unterschiedlich dar (s. Abb.15 und Abb.16): Während im proximalen Tubulus die kubischen, eosinophilen Zellen keine deutlichen Zellgrenzen besitzen aber an der Oberfläche einen Bürstensaum aufweisen ( Abb. 25), fehlt letzterer im distalen Tubulus (Abb. 27).

Sammelrohre sind durch ihre hellen, kubischen bis hochprismatischen Zellen mit klaren Zellgrenzen gut erkennbar (Abb. 26).

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Abb.14.: Aus:O. Bucher, H. Wartenberg: Cytologie, Histologie und mikroskopische Anatomie des Menschen Verlag Hans Huber; 11 Auflage; 1992

Abb. 15: Aus: Histologie: Schwarzacher/Schnedl/Pavelka: Lehrbuch der Zytologie, Histologie und Mikroanatomie des Menschen; 5. Auflage 1995

Abb. 16: Aus: O. Bucher, H. Wartenberg: Cytologie, Histologie und mikroskopische Anatomie des Menschen

Verlag Hans Huber; 11 Auflage; 1992

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Abb. 20: Zupfpräparat: Glomerulum aus der Schweineniererinde; 400x

Abb. 19: Zupfpräparat: Glomerula (1) und proximale gewundene Tubuli (2) der Schweinenierenrinde; 400x

Abb. 17: Längsschnitt durch Schweineniere: 1 = Rinde; 2= Mark. 3 = Nierenbecken

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3

Abb. 18: Längsschnitt durch Rattenniere (Lupenvergrößerung): 1 = Rinde; 2= Mark, 3 = Papille

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Abb.21: Nierenrinde; 100x; Kresylechtviolett-

Eosin: 1=Nierenlabyrinth; 2 = Glomerula

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Abb. 26: Längsschnitt durch Markpyramide; Kreylechtviolett – Eosin, 400x; Sammelrohre mit deutlichen Zellgrenzen

Abb. 22: Nierenmark, Innenzone, 100x; Kresylechtviolett; Sammelrohre schräg angeschnitten

Abb. 24.:Nierenrinde: 400x: Glomerulum mit

Harnpol(=1); 2 = prox. Tubulus; 3 = distaler Tubulus

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3

Abb. 27.:Nierenrinde:proximale (1) + distale Tubuli (2)

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2

Abb.23.: Glomerulum + proximale und distale,

gewundene Tubuli; 400x;Kresylechtviolett - Eosin

Abb. 25.:Nierenrinde 1000x; :proximaler (1) +

intermediärer Tubulus (2); Blutkapillaren (3)

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