Historie Als die Kernenergie „Ahoi“ rief - Kernenergie in ...NS Otto Hahn auf Kiel gelegt. 19...

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652 atw Vol. 58 (2013) Issue 11 | November Historie Als die Kernenergie „Ahoi“ rief NS Otto Hahn: Nuklearbetriebenes Forschungs- und Frachtschiff Jerome Reinartz, Hattingen Anschrift des Verfassers: Jerome Reinartz atw-Redaktion Vor 50 Jahren, im September 1963, be- gann in Kiel der Bau des bis heute einzigen deutschen nuklearen Schiffes, des NS Otto Hahn (Abbildung 1). Das Forschungs- und Frachtschiff zeigt im Rückblick vor allem eines: Die Technik lief zuverlässig. Doch Kostendruck und Vorbehalte machten den Traum von einem Zeitalter der Kernener- gie-Schifffahrt zunichte. Unter den Augen von Prof. Dr. Otto Hahn, dem Entdecker der Kernspaltung, lief das zu diesem Zeitpunkt noch konven- tionelle Schiff am 13. Juni 1964 vom Sta- pel. Zuvor war es von Hanna Lenz, der Ehe- frau des damaligen Wissenschaftsministers Hans Lenz (FDP) getauft worden. Vier Jah- re später war der Reaktor eingebaut und betriebsbereit. Schon der Name des Ener- gielieferanten für das 16.870-B.R.T.- Ge- fährt wies in Richtung Zukunft und zeigte gleichzeitig den Prototyp-Charakter an: Der „Fortschrittliche Druckwasserreaktor (FDR)“ der Otto Hahn war nicht nur auf- grund der Anpassung an den Einsatz auf hoher See eine Weiterentwicklung damali- ger Druckwasserreaktoren. (Tabelle 1) Die Konstrukteure um Erich Bagge spra- chen deshalb von einem „Fortschrittlichen Druckwasserreaktor“, weil das Konzept besser und sicherer sein sollte, als die Re- aktoren an Bord anderer Atomschiffe. Ein FDR enthält Wasser als Kühlmittel. Aber der Reaktor führt nicht, wie ande- re Leichtwasserreaktoren, das Primärkühl- mittel über einen Wärmetauscher, um dann dort Dampf in einem sekundären Kreislauf zu erzeugen, sondern dieser Re- aktor benutzt das Wasser in seinem eige- nen Behälter dazu, um dort schon Dampf für den Antrieb der Turbinen zu erzeugen. Dieses integrierte Konzept macht den Re- aktor kompakter und wartungsärmer. Gründlich hatten sich die Konstrukteu- re auf die ungewohnte Aufgabe vorberei- tet. Mit zahlreichen Tests und Nullleis- tungsexperimenten an Land sollte sicher gestellt werden, dass alles möglichst rei- bungslos funktioniert. Die Mühen mach- ten sich bezahlt. Es waren nur Kleinigkei- ten, die im jahrelangen Betrieb noch opti- miert werden mussten. Dabei lernten die Nuklearwissenschaftler unschätzbar viel. Geschichte Der deutsche Atomfrachter war weltweit nicht das erste zivile mit Kernenergie be- triebene Schiff: Das russische NS Lenin (Eisbrecher) und das amerikanische NS Savannah stachen bereits 1958 bzw. 1962 in See. Durch eine Vereinbarung mit der Babcock & Wilcox Company konnte in Deutschland auf die Bau- und Betriebs- erfahrungen des NS Savannah zurückge- griffen werden. Die GKSS, Gesellschaft für Kernenergie- verwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbH in Geesthacht hatte 1960 per Aus- schreibung nach einer Werft für den Bau des ersten europäischen zivilen Nuklear- schiffes gesucht. Im November wurde der Werftbauvertrag mit der Kieler Howaldts- werke AG unterzeichnet. 1963 wurde das NS Otto Hahn auf Kiel gelegt. 19 Millionen DM sollte das Schiff inklusive der konven- tionellen Antriebsanlage kosten. Hinzu ka- men die Mittel für die Lieferung und Mon- tage des Reaktors (27,5 Mio. DM), der ge- meinsam mit der Deutschen Babcock und der Interatom GmbH entwickelt wurde. Als weitere Posten kamen hinzu: Die erste Brennelementbeladung sowie weitere technische Ausstattung in den Jahren bis 1975. Insgesamt wurden rund 60 Mio. DM investiert. 16 Millionen kamen von der Europäischen Atomgemeinschaft (Eura- tom), die damit an den gewonnenen Er- kenntnissen teilhaben und Wissenschaftler auf das Schiff entsenden konnte. Zwar war die Otto Hahn wesentlich ein deut- sches Projekt, doch auch bei der Verga- be der zahlreichen Aufträge an Zulieferer waren die Partnerländer mit eingebunden. So lieferten französische, niederländi- sche, luxemburgische und italienische Unternehmen Komponenten oder Dienst- leistungen. Den Rest der Investitionskosten trugen der Bund (60 %) und die 4 norddeutschen Küstenländer (40 %). Als die Stilllegung des Reaktorbetriebs 1979 erfolgte, waren inklusive Bau und Betrieb rund 200 Mio. DM an Aufwand angefallen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Forschungsbetrieb Abb. 1: Die „Otto Hahn“ vor Kapstadt, Quelle: Helmholtz-Zentrum Geesthacht (ex GKSS)

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Historie

Als die Kernenergie „Ahoi“ riefNS Otto Hahn: Nuklearbetriebenes Forschungs- und Frachtschiff

Jerome Reinartz, Hattingen

Anschrift des Verfassers:Jerome Reinartzatw-Redaktion

Vor 50 Jahren, im September 1963, be-gann in Kiel der Bau des bis heute einzigen deutschen nuklearen Schiffes, des NS Otto Hahn (Abbildung 1). Das Forschungs- und Frachtschiff zeigt im Rückblick vor allem eines: Die Technik lief zuverlässig. Doch Kostendruck und Vorbehalte machten den Traum von einem Zeitalter der Kernener-gie-Schifffahrt zunichte.

Unter den Augen von Prof. Dr. Otto Hahn, dem Entdecker der Kernspaltung, lief das zu diesem Zeitpunkt noch konven-tionelle Schiff am 13. Juni 1964 vom Sta-pel. Zuvor war es von Hanna Lenz, der Ehe-frau des damaligen Wissenschaftsministers

Hans Lenz (FDP) getauft worden. Vier Jah-re später war der Reaktor eingebaut und betriebsbereit. Schon der Name des Ener-gielieferanten für das 16.870-B.R.T.- Ge-fährt wies in Richtung Zukunft und zeigte gleichzeitig den Prototyp-Charakter an: Der „Fortschrittliche Druckwasserreaktor (FDR)“ der Otto Hahn war nicht nur auf-grund der Anpassung an den Einsatz auf hoher See eine Weiterentwicklung damali-ger Druckwasserreaktoren. (Tabelle 1)

Die Konstrukteure um Erich Bagge spra-chen deshalb von einem „Fortschrittlichen Druckwasserreaktor“, weil das Konzept besser und sicherer sein sollte, als die Re-aktoren an Bord anderer Atomschiffe. Ein FDR enthält Wasser als Kühlmittel. Aber der Reaktor führt nicht, wie ande-re Leichtwasserreaktoren, das Primärkühl-mittel über einen Wärmetauscher, um dann dort Dampf in einem sekundären Kreislauf zu erzeugen, sondern dieser Re-aktor benutzt das Wasser in seinem eige-nen Behälter dazu, um dort schon Dampf

für den Antrieb der Turbinen zu erzeugen. Dieses integrierte Konzept macht den Re-aktor kompakter und wartungsärmer.

Gründlich hatten sich die Konstrukteu-re auf die ungewohnte Aufgabe vorberei-tet. Mit zahlreichen Tests und Nullleis-tungsexperimenten an Land sollte sicher gestellt werden, dass alles möglichst rei-bungslos funktioniert. Die Mühen mach-ten sich bezahlt. Es waren nur Kleinigkei-ten, die im jahrelangen Betrieb noch opti-miert werden mussten. Dabei lernten die  Nuklearwissenschaftler unschätzbar viel.

Geschichte

Der deutsche Atomfrachter war weltweit nicht das erste zivile mit Kernenergie be-triebene Schiff: Das russische NS Lenin (Eisbrecher) und das amerikanische NS Savannah stachen bereits 1958 bzw. 1962 in See. Durch eine Vereinbarung mit der Babcock & Wilcox Company konnte in Deutschland auf die Bau- und Betriebs-erfahrungen des NS Savannah zurückge-griffen werden.

Die GKSS, Gesellschaft für Kernenergie-verwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbH in Geesthacht hatte 1960 per Aus-schreibung nach einer Werft für den Bau des ersten europäischen zivilen Nuklear-schiffes gesucht. Im November wurde der Werftbauvertrag mit der Kieler Howaldts-werke AG unterzeichnet. 1963 wurde das NS Otto Hahn auf Kiel gelegt. 19 Millionen DM sollte das Schiff inklusive der konven-tionellen Antriebsanlage kosten. Hinzu ka-men die Mittel für die Lieferung und Mon-tage des Reaktors (27,5 Mio. DM), der ge-meinsam mit der Deutschen Babcock und der Interatom GmbH entwickelt wurde. Als weitere Posten kamen hinzu: Die erste Brennelementbeladung sowie weitere technische Ausstattung in den Jahren bis 1975. Insgesamt wurden rund 60 Mio. DM investiert. 16 Millionen kamen von der Europäischen Atomgemeinschaft (Eura-tom), die damit an den gewonnenen Er-kenntnissen teilhaben und Wissenschaftler auf das Schiff entsenden konnte. Zwar war  die Otto Hahn wesentlich ein deut-sches Projekt, doch auch bei der Verga-be der zahlreichen Aufträge an Zulieferer waren die Partnerländer mit eingebunden. So lieferten französische, niederländi-sche,  luxemburgische und italienische Unternehmen Komponenten oder Dienst-leistungen.

Den Rest der Investitionskosten trugen der Bund (60 %) und die 4 norddeutschen Küstenländer (40 %). Als die Stilllegung des Reaktorbetriebs 1979 erfolgte, waren inklusive Bau und Betrieb rund 200 Mio. DM an Aufwand angefallen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Forschungsbetrieb

Abb. 1: Die „Otto Hahn“ vor Kapstadt, Quelle: Helmholtz-Zentrum Geesthacht (ex GKSS)

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Tab. 1: Technische Daten des NS Otto Hahn Fortsetzung auf der nächsten Seite

schon alle wesentlichen Erkenntnisse über den Reaktorbetrieb auf See und den FDR im Speziellen geliefert. Dies war mit ein Grund dafür, dass die Otto Hahn keine wei-tere neue Reaktorbeladung und damit kei-ne längere Laufzeit bewilligt bekam. Der neue Reaktorkern und die kumulierten weiteren Betriebskosten hätten laut Schät-zungen aus dem Jahr 1977 noch einmal mit 60 Mio. DM zu Buche geschlagen.

Den Kosten standen im Laufe der über 10-jährigen Einsatzzeit auch Erträge aus Ladungsfahrten (Erz, Kohle, Phosphat, Ge-treide) gegenüber: 73 Frachtfahrten er-wirtschafteten 13,7 Mio. DM.

Beeindruckende Zahlen

Fast 650.000 Seemeilen, soviel wie 30 Erd-umrundungen, legte das Schiff im Laufe seiner Betriebszeit zurück. (Abbildung 2) Die Crew nutzte annähernd 80 % der Be-triebstage für Fahrten auf See. Dabei kam der Reaktor auf 65.000 Betriebsstunden und zeigte damit, dass trotz des unge-wohnten Umfeldes die Lebensdauer mit Reaktoren an Land vergleichbar war. Die gesammelten technischen Daten ließen den Schluss zu: Die Kernenergie ist eine technische Treibstoffalternative zum Öl in der Handelsschifffahrt. Doch wirtschaft-lich betrachtet erwies sich der Nuklearan-trieb nicht als Alternative. „GKSS-Wirt-schaftlichkeitsuntersuchungen haben ge-zeigt, dass unter den gegenwärtigen Be-dingungen kernbetriebene Handelsschiffe (…) noch nicht konkurrenzfähig sind“, lautete das Fazit des ABE-Ausschusses des Deutschen Atomforums.

Allerdings betonte der Bericht auch den Prototypcharakter des Reaktors. Die ge-wonnenen Erkenntnisse sind dann in den Entwurf des nuklearen Containerschiff-projektes NCS-80 eingeflossen. Im Be-darfsfall hätten in diesen Jahren Kernener-gieschiffe gebaut werden können.

Bereits 1973, als die erste Ölkrise die westliche Welt bewegte, war eine nukleare Handelsflotte im Gespräch. Der Spiegel er-klärte: „Wie kein anderer Staat wäre die Bundesrepublik gerüstet, den Seeverkehr, wenn Diesel- und Bunkeröl knapp werden, auch mit Uran in Gang zu halten. Zwar nicht sofort, aber doch für das kommende Jahrzehnt könnten heimische Firmen Schnellfrachter und Supertanker mit Re-aktorantrieb auf Kiel legen.“ Die Planun-gen sahen einen Frachter mit 80.000 Wel-len-PS und damit der 8-fachen Leistung der Otto Hahn vor.

Auch den Einsatz als Fahrgastschiffe hielt man in der Aufbruchsstimmung der Konstruktionsjahre für möglich. 1965 schrieb der damalige Geschäftsführer der GKSS,Dr.vonzurMühlen, in der atomwirt-schaft: „Bei Fahrgastschiffen muß aber

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daneben auch noch das psychologische Moment berücksichtigt werden, ob diese neue Antriebsart für die Passagiere ab-schreckend oder anziehend wirken würde. Hier sei die Prognose gewagt, daß der Kernenergie-Antrieb eher ein anziehendes Moment darstellt, was für die technische Aufgeschlossenheit unseres Jahrhunderts sprechen würde.“

Kritische Stimmen

Bevor das NS Otto Hahn seine erste La-dungsfahrt angetreten hatte, wurde die Eignung als Frachter infrage gestellt. „Bombe in Beton“, titulierte der Spiegel 1968 in der Überschrift eines Artikels das Schiff und holte dann noch weiter aus: „Mit einem lahmen Dampfschiff mäßiger Tonnage steuern Deutschlands Schiffbauer das Jahr 2000 an – und vorerst rote Zah-len. Der Betrieb des Schiffes wird jedes Jahr 3 Millionen Mark Zuschuß erfordern. Sein kühn geschwungener Rumpf faßt ge-rade 12.000 Tonnen Ladung – die Hälfte dessen, was ein normales Frachtschiff glei-

cher Größe transportiert. Seine Höchstge-schwindigkeit, 16 Knoten, ist so bemessen, daß jedes neuere Handelsschiff ihm da-vonfährt.“

Dabei hatten die Geesthachter Bauher-ren stets betont, die Otto Hahn sei in erster Linie ein Forschungsschiff und solle nur nebenbei die Kernenergie auf dem Wasser hoffähig machen. Mit einer wirtschaftlich sinnvollen Nutzung eines Atomfrachters rechneten die Wissenschaftler erst in der nächsten Generation der Schiffe. Und dies auch nur unter der Voraussetzung von wei-terhin steigenden Energiepreisen, die kon-ventionelle Antriebe weniger attraktiv hät-ten werden lassen.

Die vorgegebenen Ziele für das NS Otto Hahn konnten hingegen aus heutiger Sicht insgesamt erfüllt werden, auch wenn es keine weiteren Bauten gab. Die Vorgaben lauteten: •Gewinnung von Erfahrungen mit kern-

energiebetriebenen Schiffen und Lö-sung spezieller technischer Probleme

•Erforschung des dynamischen Verhal-tens der Gesamtanlage auch unter ext-remen Bedingungen

•Erschließung ausländischer Häfen für Kernenergie-Handelsschiffe

•Durchführung von schiffstechnischen Untersuchungen

Ein Gebiet, auf dem das Reaktorschiff auf-grund der Vorgaben in unbekannte Gewäs-ser vordringen musste, waren die Genehmi-gungen zum Einlauf in fremde Häfen. Da es an generell gültigen Vereinbarungen man-gelte, wurden jeweils bilaterale Abkommen nötig, wenn die Otto Hahn in Häfen auf der ganzen Welt einlaufen wollte. Dazu kamen ungewöhnlich hohe Deckungssummen für Versicherungen. So betrug die Risikosum-me für den norwegischen Erzhafen Narvik, wo das Nuklearschiff eigentlich seine erste Erzfracht laden sollte, 400 Millionen Mark, das 25-fache der üblichen Risikosumme für einen Erzfrachter. Die Vorbehalte waren vielerorts unüberwindbar. Rotterdam, Lis-sabon und Southampton blieben die einzi-gen europäischen Häfen, die bis 1979 ange-laufen werden konnten. Bevor es 1970 auf die erste große Reise ging (Tabelle 2), lief das Schiff 1968/69 die deutschen Häfen Kiel, Hamburg, Bremerhaven, Bremen, Wil-helmshaven, Cuxhaven, Emden, Norden-ham und Lübeck an.

Die Ungewöhnlichkeit des Atomschiffes wurde durch das Prozedere deutlich, dass bei beinahe jedem Einlaufen in einen aus-ländischen Hafen abgespult wurde. Presse-konferenzen, Empfänge und Informations-veranstaltungen sind sonst an Bord von Schiffen höchst selten. Bei der Otto Hahn gehörten diese Veranstaltungen zum Alltag der Besatzung. Denn das Nuklearschiff war - neben den anderen Aufgaben - auch eine riesige Werbeplattform: Für die Kernener-gie, für die Leistungsfähigkeit der deut-schen Industrie und Forschung und für die Bundesrepublik insgesamt. So kamen beim erstmaligen Anlaufen eines Hafens stets zahlreiche Besucher an Bord. Darunter wa-ren nicht nur Techniker, sondern auch Pro-minenz. Doch egal wie groß der Name war, die peniblen Sicherheitskontrollen muss-ten alle über sich ergehen lassen. Denn die Sicherheit hatte, wie bei jeder kerntechni-schen Anlage, absolute Priorität. Dies wur-de auch schon bei der Auslegung des Schif-fes deutlich. Besonderheiten waren:•Hohe Wasserballastkapazität, mit der

das Schiff nur in Ballast auf den Konst-ruktionstiefgang gebracht werden kann. Entsprechend dem Forschungscharak-ter des Schiffes ließ sich unabhängig von einer Ladung der Entwurfszustand für die unterschiedlichsten Untersu-chungen einstellen.

•Große Aufbauten im Hinterschiff, um zu-sätzliches Forschungs- und Trainingsper-sonal mitnehmen zu können. Insgesamt sind zusätzliche Unterbringungs-mög-lichkeiten für 27 Personen vorhanden.

•Abweichend von einem konventionel-len  Massengutschiff war ein vorderer

Fortsetzung der Tabelle1

Abb. 2: Auch Rio de Janeiro war ein Ziel der Otto Hahn, Quelle: Helmholtz-Zentrum Geesthacht (ex GKSS)

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Brückenaufbau auf 1/4 Schiffslänge von vorn vorgesehen, um der nautischen Schiffsführung bei Navigation in beeng-ten Gewässern bessere Sichtverhältnisse zu geben.

•Anordnung eines speziellen Hilfsmaschi-nenraumes unter dem vorderen Brü-ckenaufbau, in dem sich, räumlich weit von dem übrigen Antriebsbereich ge-trennt, der Hilfsdieselgenerator befand.

•Anordnung einer Hilfskesselanlage als Notantrieb sowie wasserdichte und feuerfeste Trennung des Hilfskesselrau-mes vom Maschinenraum. Dieser Notan-trieb hätte im Falle eines Reaktorausfal-les die Dampferzeugung übernommen. Dafür standen 2.000 W-PS (1.500 KW) zur Verfügung, die eine Geschwindigkeit von 8,5 kn möglich machten.

•Große Ruderfläche im Verhältnis zum Unterwasserlateralplan und Vergröße-rung des Ruderschaftdurchmessers um 5 % gegenüber der Auslegung bei Fahrt ins Eis.

•Enge wasserdichte Unterteilung des Schiffes, die praktisch an einen 3-Abtei-lungsstatus heranreichte. 3-Abteilungs-status bedeutet, dass in 3 beliebig be-nachbarten Abteilungen Wasserein-bruch erfolgen kann, ohne dass das Schiff sinkt oder kentert.

•Anordnung eines speziellen bauli-chen  Kollisionsschutzes im gesamten Reaktorbereich, der nach vorn und hin-ten in die Längsstruktur des Schiffes auslief.

•Anordnung eines baulichen Grundbe-rührungsschutzes in Form eines 3-fach-bodens im gesamten Reaktorbereich, wobei der obere Tragboden im Verhält-nis zum unteren beulweichen Schiffs-doppelboden so stark ausgeführt war, dass er das gesamte Reaktorgewicht al-lein aufnehmen konnte.

•Anordnung eines Bordkrans im Reak-torbereich auf der Steuerbordseite mit einer Kapazität von 35 t, um mit der schweren Brennelement-Wechselfla-

sche für die Brennelement-Handha-bung operieren zu können.

Entsorgung

Als die nukleare Entsorgung bzw. der Rück-bau der Nuklearkomponenten des Schiffes 1982 abgeschlossen war, wurde die Otto Hahn zum Containerschiff mit Dieselan-trieb umgebaut. Die Stilllegung kostete ins-gesamt 46 Mio. DM, von denen allein 17 Mio. DM auf die Lagerung und Wiederauf-bereitung der Brennstäbe entfielen.

Der Reaktor und die abgebrannten Brennelemente kamen nach Karlsruhe und zurück zur GKSS in Geesthacht. Insgesamt lagerten auf dem GKSS-Gelände 52 Brenn-stäbe des Reaktors. Diese wurden 1981 in einem Sondertransport nach Geesthacht gebracht und eingelagert. Bürgerinitiativen behaupteten später, dass darüber nicht aus-reichend informiert wurde, da das Hauptin-teresse dem Reaktordruckbehälter galt. Die GKSS stellte allerdings klar: „Wir haben da niemals ein Geheimnis daraus gemacht. Die Brennstäbe verblieben seinerzeit zur Nach-untersuchung in sicherer Verwahrung in einem abgeschirmten Bereich des For-schungsreaktors im GKSS-Forschungszen-trum“, so GKSS-Sprecher Torsten Fischer im Jahr 2010. Danach wurden die Brennstäbe zur längerfristigen Zwischenlagerung in das Zwischenlager Nord der EWN in Lubmin überführt. Der Druckbehälter mit Schild-tank des NS Otto Hahn lagert für wissen-schaftliche Nachuntersuchungen seit 1981 in einem eigens dafür errichteten Beton-schacht auf dem Gelände des heutigen Helmholtz-Zentrums Geesthacht.

Wissenswertes am Rande

Ab 1969 war Heinrich Lehmann-Willenbrock Kapitän der Otto Hahn. Von 1974 bis 1979 führte RalfMatheiseldas Schiff. Die letzte Reise des Schiffes nach Durban (Abbildung 3) ist in dem Roman „Der Abschied“ von Lo-thar-Günther Buchheim beschrieben. 1960 Ausschreibung der GKSS, Gesell-

schaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbH, Geesthacht, über ein nuklear ange-triebenes Handelsschiff mit der Be-tonung des Vorranges von For-schungsaufgaben auf dem Gebiet nuklearer Antriebe

1963 Kiellegung in den Kieler Howaldts-werken

1964 13. Juni, Stapellauf in Anwesenheit von Prof. Dr. Otto Hahn

1968 Erstkritikalität des Reaktors an Bord

1968 11. Oktober, Probefahrt. Aufnahme des Fahrtbetriebs für die Massen-gutfracht und Forschung

Tab. 2: Angelaufene ausländische Häfen, Zeittabelle

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1969 8. bis 21. März, erste nukleare At-lantikfahrt

1970 Mit Casablanca wird der erste aus-ländische Hafen angelaufen

1972 Austausch des ersten Reaktorkerns. Mit der ersten Brennstoffladung wurde das Schiff 4 Jahre lang be-trieben, wobei es eine Strecke von ca. 250.000 Seemeilen zurückge-legt hat.

1979 St i l l legung nac h insgesamt 650.000 Seemeilen Fahrt. Dabei sind 33 Häfen in 22 Staaten ange-laufen worden. Nuklearer Rückbau bis 1982.

1982 Umbau zu einem Containerschiff mit Dieselantrieb

1983 Probefahrt unter dem Namen MS Trophy

1983 Chartername MS Norasia Susan1985 Chartername MS Norasia Helga1989 Chartername Hua Kang He einer

Reederei in Shanghai1998 Chartername MS Madre2009 Abwrackung in Bangladesch

Ende 2009 wurde das Schiff nach längerer Aufliegezeit in Abu Dhabi von seinem letz-ten Reeder, der griechischen AlonMariti-meCorporation, für 2,45 Mio. US-Dollar zum Abwracken nach Bangladesh ver-kauft. Das Ende einer langen Reise. Den anderen zivilen Nuklearschiffen war ein deutlich weniger erfolgreiches Leben ge-gönnt, als der OttoHahn:

Die amerikanische Savannah wurde nach 8 Jahren auf See 1970 als Museums-schiff stillgelegt; der japanische Atom-frachter Mutsu kam aufgrund von Konst-ruktionsmängeln nicht über Testfahrten hi-naus und wurde stillgelegt. Nach Entfer-nung des Reaktors im Jahr 1995 fährt das Schiff heute als Mirai und dient der Erfor-schung des Ozeans. Endgültig zu Ende ging das Zeitalter der Atomfrachter aber erst im Jahr 2012, als der russische Frachter/Eis-brecher Sewmorput (fertiggestellt 1988) außer Dienst gestellt wurde. Russland be-treibt aber noch weiterhin eine Flotte ziviler Atomschiffe. Allerdings keine Frachter, son-dern allesamt Eisbrecher im Nordmeer.

Literatur

[1] Karr,Hans: Mit Atomkraft unterwegs, in Köhlers Flottenkalender 2014, Koehler Verlagsgesellschaft, Hamburg, 2013

[2] Bericht: Stillegung der NS „Otto Hahn“, in atw (atomwirtschaft, atomtechnik), November 1980, S. 556

[3] atw (atomwirtschaft, atomtechnik), Ja-nuar 1960, Oktober 1964, Februar, Mai 1965, Juni, Juli, Oktober 1968, Oktober 1978, Februar 1979, Juli 1979, Juli 1980

[4] GKSS-ForschungszentrumGeesthacht:NSOtto Hahn – Erstes deutsches Kernener-gieschiff, GKSS 81/E/20, 1981

[5] Fliegender Holländer, in: Der Spiegel, 50/1973

[6] Bombe in Beton, in: Der Spiegel 41/1968[7] Artikel in Bergedorfer Zeitung, abzuru-

fen unter: http://www.bergedorfer-zeitung.de/

geesthacht/article72996/Noch-immer-52-Brennstaebe-in-Geesthacht.html (ge-prüft am 27.08.2013)

http://www.bergedorfer-zeitung.de/printarchiv/geesthacht/article57322/Der-letzte-Kapitaen-der-Otto-Hahn.html (geprüft am 27.08.2013)

[8] zu wissenschaftlichen Ergebnissen der Fahrten: Genauigkeitsprobleme der Punktdynamik am FDR-Reaktor des NS „Otto Hahn“, R. Fiebig, Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt, Geesthacht

Messungen der Dynamik während der Anfahrexperimente des „Otto Hahn“-Re-aktors mit dem 2. Kern, M.Kolb,E.Ro-binson, E. Schwieger, Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt, Geesthacht,

Beide in: Fachtagung der Fachgruppen Thermo- und Fluiddynamik und Reak-torphysik der Kerntechnischen Gesell-schaft im Deutschen Atomforum e.V., 29. bis 31. Januar 1974

[9] Neumann,Hajo:Vom Forschungsreaktor zum Atomschiff Otto Hahn. Die Entwick-lung von Kernenergieantrieben für die Handelsmarine in Deutschland, Hau-schild Verlag, Bremen, 2009

Abb. 3: Die Otto Hahn am Kai. Quelle: Helmholtz-Zentrum Geesthacht (ex GKSS)

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