Hollerbach Aufloesung Der Rechtsstaatlichen

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  • Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universitt Freiburg

    ALEXANDER HOLLERBACH Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? Zu Ernst Forsthoffs Abhandlung Die Umbildung des Verfassungsgesetzes in der Festschrift fr Carl Schmitt Originalbeitrag erschienen in: Archiv des ffentlichen Rechts 85 = N. F. 46 (1960), S. 241-270

  • Archiv des offendichen Rechts. 85 = N. F. 46 (1960), S. 241-270.

    AUFLSUNGDER RECHTSSTAATLICHEN VERFASSUNG? 1

    Zu Ernst Forsthoffs Abhandlung >Die Umbildung desVerfassungsgesetzes< in der Festschrift fr Carl Schmitt 2

    Von ALEXANDER HOLLERBACH

    A

    Forsthoffs aufrttelnder Aufsatz mu nicht nur deshalb die ge-spannte Aufmerksamkeit der Staatsrechtswissenschaft beanspru-chen, weil darin das schwierige Problem der Verfassungswandlung 3

    1 Dem Aufsatz liegt ein Referat zugrunde, das am 16. 2. 1960 in demvon Professor Dr. Konrad Hesse (Freiburg i. Br.) veranstalteten staats-rechtlichen Seminar ber Verfassungsnderung und Verfassungswand-lung" gehalten wurde. Herrn Professor Hesse und einigen Seminarmit-gliedern gilt herzlicher Dank fr weiterfhrende Anregungen, die hieraufgenommen wurden.

    2 Ernst Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, in: Fest-schrift fr Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, hrsg. v. H. Barion, E. Forst-hoff, W. Weber, Berlin 1959, S. 35-62; zit.: Umbildung. (Vgl. Schle,Eine Festschrift, JZ 1959, S. 729 ff.) Von den sonstigen Verffentlichun-gen Forsthoffs, die fr die vorliegende Untersuchung herangezogenwurden, steht dieser Arbeit thematisch am nchsten der Aufsatz >Die Bin-dung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG). Strukturanalytische Be-merkungen zum bergang vom Rechtsstaat zum JustizstaatRecht und Sprache. Prolegomena zu einerrichterlichen Hermeneutik

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    angesprochen wird, sondern auch, wenn nicht in erster Linie, weiles sein grundstzlich ernstzunehmendes Anliegen ist, zur Strkungder normativen Kraft der Verfassung" (Hesse) beizutragen. Esfragt sich, ob dieses Ziel erreicht, ja ob berhaupt der richtige Wegdahin beschritten wird. Indem diese Frage gestellt und dabei ir-gendwie schon ein Bild vom Richtigen als Mastab vorausgesetztwird, behauptet der kritische Betrachter nicht, abschlieend ge-sichert zu wissen, welches der richtige Weg sei. Er will, ohne Voll-stndigkeit zu erstreben, lediglich gewisse grundstzliche Frage-richtungen markieren.

    Eine ins Detail ausgefhrte Gegenthese zu entwickeln, ist nicht dieAbsicht dieser hauptschlich auf Methoden- und Begriffsanalyse gerich-teten Untersuchung. Forsthoffs sehr konziser Aufsatz, der mitten in dieGrundlagenproblematik der gegenwrtigen deutschen Staatsrechtswissen-schaft hineinfhrt, wirft eine Flle von Fragen auf, zu denen nicht mitwenigen Stzen Stellung genommen werden kann. Auch mssen wichtigeEinzelprobleme der Verfassungsjudikatur und -praxis, die von ihmdiskutiert werden, auer Betracht bleiben. Ebenso mute bei den litera-rischen Nachweisen auf Vollstndigkeit verzichtet werden.

    Forsthoffs Ausfhrungen lassen sich folgendermaen zusammen-fassen:

    Das Grundgesetz trgt als rechtsstaatliche Verfassung von bestimmterFormtypik vornehmlich technischen Charakter. Dazu gehrt zuvrderstdie auf rationale Evidenz und Stabilitt hin angelegte Gesetzesformder Verfassung" (36). Sie will ernstgenommen werden. Das geschieht ambesten durch eine spezifisch juristische Auslegung des Verfassungsgesetzes,die sich auf einen gesicherten Bestand berkommener hermeneutischerRegeln sttzen kann und mu. Gesetzesauslegung stellt sich dann dar alsdie Ermittlung der richtigen Subsumtion im Sinne des syllogistischenSchlusses" (41). Demgegenber wird die Verfassungstheorie und Staats-rechtslehre Rudolf Smends mit ihrer auf Verstehen" ausgerichtetengeisteswissenschaftlich-werthierarchischen" Methode der Verfassungs-,insbesondere der Grundrechtsinterpretation, und mit ihrer These von der

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    flieenden Geltungsfortbildung des gesetzten Verfassungsrechts" 4 demnormativen Anspruch und der Wirklichkeit des Rechtsstaates nicht ge-recht. Solche Interpretation berschreitet den Rahmen der Gesetzesaus-legung, lst die Verfassung als Gesetz auf (42), indem sie deren formaleElemente bersieht (44), und fhrt so zu einer hochgradigen Verunsiche-rung des Verfassungsrechts" (54). Da die Rechtsprechung weithin diesergeisteswissenschaftlichen, am Wert" orientierten Auslegungsmethodehuldigt, kam es, untersttzt durch die Schubwirkung des sozialen Trends"(48), zu einem Abbau der Formqualitten des rechtsstaatlichen Verfas-sungsgesetzes, und so zu einer bedeutsamen Verfassungswandlung. DieRechtsprechung zur sogenannten Drittwirkung der Grundrechte etwaoffenbart eine Verfassungswandlung grten Ausmaes (47). Entforma-lisierung des Verfassungsrechts und Entfaltung des Justizstaates gehenHand in Hand (60). In diesem Wandlungsproze kommt dem Bundes-verfassungsgericht schon durch seine das berkommene rechtsstaatlicheGefge sprengende Existenz wie auch durch seine weithin kasuistischeRechtsprechung, die sich in besonderem Mae der geisteswissenschaftlich-werthierarchischen Methode bedient und nicht frei von politischen undzeitgeschichtlichen Erwgungen ist (60), eine fhrende Rolle zu, zumales fr sich die Stellung eines echten Verfassungsorgans beansprucht.

    Mit diesen (hier notwendigerweise grob skizzierten) Ausfhrun-gen will Forsthoff zur Analyse des gegenwrtigen Verfassungsrechtsbeitragen (60). Er betont (51, 60), da er die dargestellte Entwick-lung die neuartige Deutung des Verfassungsgesetzes sei lngsteine objektive Realitt geworden (50) nicht kritisieren wolle: esgehe nicht um das Richtig oder Falsch, sondern um ihren objek-tiven Sinn" (51); er spricht anderseits in dezidierter Form die dochwohl allein kritisch-wertend 5 zu verstehende Warnung vor derIllusion" einer schrankenlosen Wandlungsfhigkeit und Verfg-barkeit des Rechtsstaats aus (62).

    4 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: Staats-

    rechtliche Abhandlungen, Berlin 1955, S. 242; vgl. Umbildung S. 38.5 Auch S. 61 bemerkt Forsthoff, da seine Darstellung nicht habe un-

    kritisch bleiben knnen, was seinen Grund in den berzeugungen desVerfassers und im Gegenstand selbst habe. In der Tat ist berall deutlicherkennbar, da und wie Licht und Schatten verteilt sind.

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    C

    1. Analyse der Begriffe Verfassung, Rechtsstaat, Sozialstaat,Verwaltung und Justizstaat

    In der Reihe der Begriffsklrungen, die im Rahmen einer kriti-schen Analyse zu vollziehen sind, ist zunchst nach dem Verfas-sungsbegriff zu fragen.

    Forsthoff folgt augenscheinlich der Carl Schmittschen Unter-scheidung von Verfassung im positiven Sinne" und Verfassungs-gesetz". 6

    Hinter dem Verfassungsgesetz, der Gesetzesform derVerfassung", der Verfassung als Gesetz", wovon er ausgeht, 7 stehtalso die Verfassung als (notwendig formale 8) Entscheidung. Dermoderne, auf eine Legitimitt" gegrndete, legalitr-normativ"gestaltete Verfassungsstaat 9 ist seinem Wesen nach Herrschafts-organisation" lo. Das Verfassungsgesetz hat nun zwar die poli-tische Gesamtordnung des Staates" 11 zum Gegenstand, es ist abernicht Integrationsrecht. 12

    Nach Forsthoff ist fr das Grundgesetz

    6 Carl Schmitt, Verfassungslehre, 3. Aufl., Berlin 1957, S. 20 ff.; auf

    diesen verweist Forsthoff im Zusammenhang mit der Analyse des Ver-fassungsgesetzes summarisch", Umbildung S. 36 Anm. 2. Vgl. auch:Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I. Bd. Allgemeiner Teil, 7. Aufl., Mn-chen und Berlin 1958 (zit.: VerwR), S. 32 Anm. 2. Siehe ferner HorstEhmke, Grenzen der Verfassungsnderung, Berlin 1953, S. 36 ff.

    7 Umbildung S. 36.8 Vgl. die Kritik Ehmkes, a. a. 0. S. 37 u. 43.

    9 Forsthoff, Die politischen Streikaktionen des Deutschen Gewerk-

    schaftsbundes . .., Rechtsgutachten, Kln 1952, S. 27, ferner ebda. S. 20.1 Forsthoff, Verfassungsprobleme des Sozialstaats, Mnster 1954 (zit.:

    Verfassungsprobleme), S. 5: . . . wie freiheitlich er auch verfat sei . . .Der Staat beruht ... auf dem Gehorsam. Man kann den Staat freiheit-lich als Rechtsstaat in Schranken verweisen: innerhalb dieser Schrankenbleibt er Herrschaft."

    " Umbildung S. 37.12 Unter ausdrcklicher Berufung auf Smend sagt Forsthoff allerdings

    einmal im Hinblick auf Art. 4 Abs. 3 GG, die Bedeutung dieser Normliege nicht nur" in dem, was sie an spezifisch juristischer Wirkung her-gebe, sondern nicht minder" in ihrem integrierenden Sachgehalt". Diesen

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    kennzeichnend, da es strenges Gesetzesrecht enthlt und auf diesachliche Integration durch programmatisch verheiende Normie-rungen verzichtet" 13. Demgem ist es die Aufgabe der Verfassung, lediglich die Sicherheit der staatlichen Form und Existenzsowie die Rechtssicherheit der Brger zu gewhrleisten." Wie dasRechtswesen allgemein auf Kontinuitt angelegt ist, 15 ist der Ver-fassung in besonderem Mae das Moment der Dauer, der Abge-schlossenheit und Endgltigkeit eigentmlich; sie ist etwas Behar-rendes, Zustndliches. 16 Diesem ihrem Wesen und ihrer Funktiongegenber der Wirklichkeit kann sie nur gerecht werden, wenn ihreformalen Qualitten als Gesetz im Sinne der abstrakten, generellenNorm und damit ihre technische Strenge" beachtet werden.' 7 Esgilt die Herrschaft des Gesetzes" mit seiner Rationalitt" undEvidenz", mit seiner Verllichkeit und Berechenbarkeit". 18 Da-mit wird das Gesetz zum Eckpfeiler der rechtsstaatlichen Verfas-sung.

    Die Errterung des Verfassungsbegriffs mu so notwendig zueiner Betrachtung des fr Forsthoffs Abhandlung zentralen Begriffsdes Rechtsstaats fhren. Unter all den verschiedenen Wendungen,mit denen er in je anderem Ansatz und Zusammenhang das Wesendes Rechtsstaats umschreibt," erscheint die folgende als die cha-

    sieht er in dem Bekenntnis zur selbstverantwortlichen Gewissensentschei-dung des einzelnen als solchem" (Wehrbeitrag und Grundgesetz. Rechts-gutachten ..., in: Der Kampf um den Wehrbeitrag, 2. Halbbd., Mnchen1953, S. 317; zit.: Wehrbeitrag).

    13 Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12, 1954,

    S. 12 (zit.: Sozialer Rechtsstaat)." VerwR S. 62; vgl. auch ebda. S. 12, wo zum Begriff des materiellen

    Verfassungsrechts alle Normen gerechnet werden, welche die wesent-liche, die Staatsform bestimmende Organisation und Funktion der ober-sten Staatsgewalt und deren Verhltnis zu den Staatsgenossen, insbeson-dere die politischen Aktivrechte, zum Gegenstand haben".

    15 Umbildung S. 41.16 VerwR S. 12.17

    Vgl. Sozialer Rechtsstaat S. 17 f.18 Ebda. S. 16.19

    Vgl. etwa DOV S. 43, wo, unter Berufung auf Carl Schmitt, Verfas-

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    rakteristischste: Der Rechtsstaat ist seinem Wesen nach nicht eineorganisierte Gesinnungs- oder Erlebniseinheit, sondern ein institu-tionelles Gefge, oder um es kra zu formulieren, ein System rechts-technischer Kunstgriffe zur Gewhrleistung gesetzlicher Freiheit." 20Rechtsstaatlichkeit erfordert deshalb insbesondere die Regelunggeordneter Rechtsschutzverfahren. 21 Die wesentlichen Struktur-elemente des Rechtsstaats wie Gewaltenteilung, allgemeines Gesetz,das mit Vorrang ausgestattete Verfassungsgesetz, das Prinzip derGesetzmigkeit der Verwaltung, die Gewhrleistung der Grund-rechte sowie die Unabhngigkeit der Gerichte sind im einzelnenund damit die rechtsstaatliche Verfassung im ganzen durch einehochgradige Formalisierung" gekennzeichnet. 22

    Forsthoff ist sich dessen sehr wohl bewut, da der so charakteri-sierte Rechtsstaat im Grunde der Konzeption des brgerlichenRechtsstaats des 19. Jahrhunderts entspricht. Obwohl dieser auf derTrennung von Staat und Gesellschaft beruhte, heute indes dieSchranke zwischen Staat und Gesellschaft gefallen st, 23 und diesebeiden Sozialkrfte, wie Forsthoff einmal treffend gesagt hat, 24 ineinem Zustand der Osmose" leben, entfaltet nach seiner Auffas-sung der Begriff des Rechtsstaats in diesem Sinne noch heute seineLebenskraft. Er meint nmlich, infolge der Formalisierung undTechnisierung der rechtsstaatlichen Strukturelemente trgen diesedie Bedingungen ihrer Wirkweise in sich selbst. 25 Sie erleiden beiihrer Wirkung im sozialen Raum zwar unter Umstnden gewisse,

    sungslehre S. 127, gesagt wird: Rechtsstaat ist Herrschaft des Gesetzes`."Siehe auch: ber Manahme-Gesetze, in: Forschungen und Berichte ausdem 'ffentlichen Recht, Gedchtnisschrift fr Walter Jellinek, Mnchen1955, S. 222, 228 (zit.: Manahme-Gesetze).

    20 Umbildung S. 61.21 Umbildung S. 59.22 Umbildung S. 61 und Sozialer Rechtsstaat S. 16.23 VerwR S. 3. Zum Verhltnis Staat und Gesellschaft vgl. auch Hesse,

    Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernenStaat, VVDStRL 17, 1959, S. 116 (zit.: Parteien).

    24 Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, Stuttgart 1959, S. 18 (zit.:Rechtsfragen).

    25 Sozialer Rechtsstaat S. 16.

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    die strenge Formtypik durchbrechende Modifikationen," erweisensich aber im ganzen gesehen als stetig und unverndert. Hierausfolgert Forsthoff grundstzlich: Man kann das Verfassungsrechtdes Rechtsstaats von dem Wechsel der Ambiance", dem soziolo-gischen Grund", in hohem Mae isolieren; 27 es bietet durchausgengende Mglichkeiten der Anpassung". Auch fr die Bewlti-gung der Probleme des Sozialstaats hlt er den Rechtsstaat frtauglich, woraus er ein besonderes Anrecht auf dessen Bestand ab-zuleiten geneigt i5t. 28

    Was Forsthoffs Verstndnis des Begriffes Sozialstaat anlangt, sohat nach seiner Ansicht das Grundgesetz keinen spezifischen sozia-len Gehalt." Der Sozialstaat als Staat der Daseinsvorsorge, derLeistung und der Verteilung 30 ist ganz einfach gegeben" 31 . Zwarwird der Rechtsstaat durch das sozialstaatliche Bekenntnis in ge-wisser Weise inhaltlich determiniert", dies hat aber keine institu-tionelle Bedeutung. Es berhrt die strukturelle Verfassungsformder Bundesrepublik nicht. Diese ist nach wie vor mit dem BegriffRechtsstaat erschpfend bezeichnet. Rechtsstaat und Sozialstaatsind also auf der Verfassungsebene nicht verschmolzen." 32 Der

    26 Vgl. Umbildung S. 35 und bes. Manahme-Gesetze S. 228.

    27 Sozialer Rechtsstaat S. 17; vgl. auch ebda. S. 30: Es erwies sich, da

    die Institutionen des Rechtsstaates sich ... von der ursprnglichen ge-sellschaftlichen Wirklichkeit, der sie zugeordnet waren, ablsen lieen.Die Selbstndigkeit der rechtsstaatlichen Institutionen gegenber demWechsel der Ambiance war nur erreichbar durch die Technisierung dieserInstitutionen."

    28 Umbildung S. 61; vgl. aber: Die Daseinsvorsorge und die Kom-munen, Kln-Marienburg 1958, S. 7 (zit.: Daseinsvorsorge): die Freiheitverbrgende rechtsstaatliche Verfassung komme dem modernen Staat beiseiner Aufgabe der Daseinsstabilisierung nicht zu Hilfe.

    29 Sozialer Rechtsstaat S. 24.

    30 Verfassungsprobleme S. 8; vgl, ebda. S. 10 u. . sowie Daseinsvor-sorge S. 9 zum Verhltnis von Sozialfunktion und Herrschaftsfunktion.

    31 Vgl. Sozialer Rechtsstaat S. 8 und, sehr charakteristisch, S. 29: die

    Sozialstaatsklausel bedeutet lediglich die Bekrftigung einer Anforderungan staatliches Verhalten, die auch ohne diese Bekrftigung bestehenwrde".

    32 Sozialer Rechtsstaat S. 29.

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    Sozialstaat mit seinen materiellen Gehalten ergnzt auf der Ebeneder Verwaltung die rein technische rechtsstaatliche Verfassung. 33

    Damit ist die weitere Frage nach dem Verhltnis von Verfas-sung und Verwaltung, von Verfassungsrecht und Verwaltungsrechtgestellt. Verwaltung bedeutet wertverwirklichende Gestaltung";fr das Verwaltungsrecht ist der unmittelbare Rckgriff auf denWert" typisch. 34 Demgegenber ist das Verfassungsrecht gekenn-zeichnet durch einen stilisierten Legalittsschematismus technischerNormen, angelegt auf regulierendes, Willenssphren abgrenzendes,nicht gestaltendes Funktionieren mit strenger Effektivitt. Die Ver-waltung als Trger der an jedem Tage notwendigen Daseinsvor-sorge" 35, eines Bereichs, der an der rechtsstaatlichen Verfassungvorbeilebt" 36, legitimiert sich heute weitgehend aus sich selbst.Die Verfassung bedarf einer Legitimitt von auen, aus einer vonder Normativitt nicht mehr erreichten Entscheidung, aus einem,bestimmten politischen System 37 oder aus welchen Momenten im-mer. Kurz: Verfassungsrecht ist technisch-formales, Verwaltungs-recht untechnisch-materiales Recht. So ist es nur konsequent zusagen, die Verfassungsprobleme unserer Zeit seien in Wahrheit Ver-waltungsprobleme.38

    Dem Begriff Rechtsstaat wird der Begriff Justizstaat schroffgegenbergestellt. Damit ist zunchst der Staat gemeint, der (wiedas Grundgesetz durch Art. 19 Abs. 4) in umfassender WeiseRechtsschutz gewhrt, also der Rechtsschutzstaat" 39, der Rechts-wege-Staat. Strukturell gesehen ist aber nach Forsthoff fr denBegriff des Justizstaates entscheidend die berlegenheit der Recht-sprechung ber Gesetz und Gesetzgebung"; denn darber, wanner an das Gesetz gebunden ist, wann er unter Berufung auf dasRecht von der Gesetzgebundenheit frei ist, entscheidet heute der

    " Vgl. ebda. S. 31.34 VerwR S. 78.35

    VerwR S. 13.36

    Daseinsvorsorge S. 9.37

    Vgl. VerwR S. 13.38

    Rechtsfragen S. 48 f.36

    DOV S. 43.

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    Richter selbst." 40 Als das besondere Stigma des Justizstaatserscheint dann das Bestehen und die Wirkweise einer mit weit-reichenden Kompetenzen ausgestatteten und sich als echtes Ver-fassungsorgan verstehenden Verfassungsgerichtsbarkeitan Fr dasBundesverfassungsgericht ist es charakteristisch, da es durch seineFunktionsweisen", nmlich: Kasuistik und Bestreben, durch Ver-meidung jurisdiktioneller Selbstbindung offen zu bleiben und keineKontrollen endgltig aus der Hand zu geben" 42, in dem Prozeder Entformalisierung des Verfassungsrechts eine ganz berragendeRolle spielt.

    II. Formales oder materiales Verfassungsdenken?

    Hlt man an diesem Punkt zu einer kritischen Besinnung inne,so mssen insbesondere die folgenden Fragerichtungen angedeutetwerden:

    1. Der Begriff des Rechtsstaats, wie er sich im 19. und zu Beginndes 20. Jahrhunderts entwickelt hat, wird von Forsthoff gewinicht einfach unkritisch, ohne Bercksichtigung der tiefgreifendenVernderungen in der sozialen Wirklichkeit bernommen. Dochwerden diese Vernderungen deswegen fr unmageblich erklrt,weil von vornherein eine Entscheidung fr den Rechtsstaat im for-mal-technischen Sinne, also fr den Gesetzesstaat" mit seiner Pr-ponderanz des Selbstwerts der Ordnung" 42' und der Rechts-sicherheit" getroffen wurde.'" Hierin liegt doch wohl in gewisser

    40 Ebda. S. 44.41

    Umbildung S. 55 ff., 60.42 Umbildung S. 60.

    In seiner Wrdigung Carl Schmitts (vgl. unten Anm. 135) meintForsthoff, ohne Ordnung und ohne Parteinahme fr sie sei die Unter-scheidung von Recht und Unrecht berhaupt nicht mglich". Zur Kritikdieser These, die in einen dezisionistischen Positivismus hineinfhrt, hatErich Kaufmann das Ntige gesagt (Carl Schmitt und seine Schule. OffenerBrief an Ernst Forsthoff, in: Deutsche Rundschau 1958, S. 1013).

    43 Sozialer Rechtsstaat S. 17: in diesem Sinne allein knne der Rechts-

    staat ernst genommen werden; vgl. auch ebda. S. 14: Option fr den

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    Weise eine petitio principii: was aus dem geschichtlichen Verlauferklrt werden soll, ist im Grunde schon vorausgesetzt, und zwarin einer Weise, die etwas vom Verfahren der Begriffsjurisprudenzan sich hat. Der historisch fixierte Begriff ist, von Randkorrekturenund Adaptationen abgesehen, intransigent gegenber der sozialenWirklichkeit mit ihren Vernderungen. Soziale Wirklichkeit er-scheint dann fr die Norm lediglich als Anwendungsfeld, alsGrenze, sie ist factum brutum. Da jedoch mit ihr die Macht derTatsachen verbunden ist, ist sie mchtig genug, an bestimmtenDruckstellen und Reibungsflchen dem Normenkomplex Zuge-stndnisse abzuringen. Norm und Faktum stehen fr eine solcheAuffassung nicht im Verhltnis einer echten korrelativen Zuord-nung,44

    einer polar-dialektischen Spannung und Verschrnkung. Siehaben zwar sozusagen aufeinander Rcksicht zu nehmen, aber daserscheint nicht als ihr Wesen kraft einer ihnen strukturell inne-wohnenden intentional-entelechialen Konvergenz, sondern es istlediglich empirische Notwendigkeit. Indem Forsthoff so mit demlogisch gefgten Begriffsblock Rechtsstaat operiert, kann er seinereigenen Forderung, den Rechtsstaat von der heutigen Wirklichkeitaus" 45

    neu zu denken, letztlich nicht gerecht werden. 45 '

    Rechtsstaat." Demgegenber wird in aufflliger Diskrepanz hierzu VerwRS. 4 gesagt, fr die Verwaltungsrechtswissenschaft" (nur fr diese?) be-stehe Anla, sich von jener technischen Auffassung des Rechtsstaatesloszusagen, welche die Gewhrleistung des Rechts in den spezifischenStruktureigentmlichkeiten dieses Staates: Gewaltenteilung, Grundrechteund Prinzip der gesetzmigen Verwaltung hinreichend gesichert fand".

    44 Vgl. hierzu Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, Tbingen

    1959, S. 7; ferner Leibholz, Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit,in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, Karlsruhe 1958, S. 280.

    45 VerwR S. 55; vgl. auch cbda. S. 71.

    45' Vgl. demgegenber etwa Hesse, Der Gleichheitsgrundsatz im Staats-

    recht, AR 77 (1951/52), S. 214: Der bisherige Redusstaatsbegriff hatdie Ausschlielichkeit seines Geltungsanspruchs verloren und bedarf einesneuen, lebendigen Inhalts, der nur unter materialen Gesichtspunkten ge -funden werden kann". Als wesentliches Element wird hierbei der Gleich-heitssatz als Prinzip gerechter sozialer und politischer Gleichordnung"eine Rolle spielen. Zum Begriff des materiellen Rechtstaates als freiheit-

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    2. Es kann nur lebhaft zustimmend unterstrichen werden, wennForsthoff selbst einmal sagt, die Sozialordnung sei nicht nur zweck-haft, sondern als ein auf Gerechtigkeit angelegtes Gebilde" zuverstehen, und es sei ohne Geringschtzung von gegebenenrechtstechnischen Vorkehrungen" Rechtsverwirklichung imSinne einer Verwirklichung der tragenden, nicht notwendig an den.formulierten Gesetzesausdruck gebundenen Gerechtigkeitsprinzi-pien" aufzufassen. 46 Wenn demgegenber ausdrcklich an einemformalisierten (und das heit doch: inhaltsentleerten 47), technischenund lediglich auf formale Rationalitt abzielenden Verfassungs-und Rechtsstaatsbegriff festgehalten wird, so fragt es sich dannaber, welche Rolle der Verfassung bei der Erfllung dieser Auf-gabe zukommen kann. Offenbar keine zentrale! Gegenber derVerwaltung als wertverwirklichender Gestaltung" hat sie dannallenfalls die Komplementrfunktion der Verstetigung, des Schutz-walls gegen jegliche Dynamisierung. Gewi, diese Funktion darfund soll keineswegs gering geachtet werden. Sieht man jedoch nichtmehr als dies, so verliert die Verfassung ihren Charakter als bil-dendes, alle Lebensuerungen des Staates durchwaltendes, zusam-men-ordnendes Grund-gesetz". Verfassung und Verwaltung 48 ,Rechtsstaat und Sozialstaat 49 fallen dann auseinander, eine Sinn-mitte der Rechts- und Sozialordnung des Staates ist nicht mehrvorhanden bzw. wird entweder in einen auernormativen oder in

    lich-sozialem Staat vgl. Bumlin, Die rechtsstaatliche Demokratie, Zrich1954, bes. S. 60 ff.

    46 VerwR S. 4.47 Besonders deutlich DOV S. 43 f.48 Aspekte zum positiven Verhltnis zwischen Verfassung und Ver-

    waltung bei Drig, Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, JZ1953, S. 193 ff.; Werner, Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungs-recht, DVB1. 1959, S. 527 ff.; Reu, Die Wirkungseinheit von Verwal-tungs- und Verfassungsrecht, DOV 1959, S. 321 ff. Vgl. ferner Partsch,Verfassungsprinzipien und Verwaltungsinstitutionen, Tbingen 1958,sowie Imboden, Das Gesetz als Garantie rechtsstaatlicher Verwaltung,Basel u. Stuttgart 1954, bes. treffend S. 45.

    46 Dazu vgl. vor allem: Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechts-

    staates. Der soziale Rechtsstaat in verwaltungsrechtlicher Sicht, VVDStRL

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    einen Bereich abgeleiteter Normen verlagert. Wenn die Verfassungso in letzter Konsequenz zu einer Summe rechtstechnischerRegeln zum Zweck der Abgrenzung von Willenssphren denatu-riert ist und sie nur noch als Mittel einer technisch ermglichtenHerrschaftsmechanik" 49' erscheint, verliert sie gegenber derhochdifferenzierten, teleologisch-material erfllten Verwaltungs-rechtsordnung schlielich jeglichen substantiellen Eigenwert undunterliegt dadurch der Gefahr der Instrumentalisierung von un-ten" aus der Sphre der mchtigen, eigengesetzlichen Verwaltung."

    3. In einem technisch-formalistischen Verfassungsverstndnis hatdas Phnomen des Politischen keine echte Heimstatt, vielmehr wirddadurch die eigengesetzlich vorhandene Tendenz des Politischenzur vlligen Emanzipation von der Normativitt und zur Instru-mentalisierung normativer Ordnungen fr bestimmte Zwecke nurnoch verstrkt. Verfassung wird dann zum bald gut, bald schlechtfunktionierenden, technischen Hilfsmittel im Dienste des Macht-erwerbs. Die Aussage, das Verfassungsgesetz habe die politischeGesamtordnung des Staates" 51 zum Gegenstand, mu dann aberals fragwrdig erscheinen. Das hier entscheidende Anliegen sei nocheinmal so formuliert: Verfassung hat (zumindest auch) den Auf-trag zu einer sinnvollen, daseinsgestaltenden Verwirklichung einergerechten Sozialordnung zum Inhalt und kann sich deshalb nicht inbloer Schrankenziehung erschpfen, die dem Staat und den poli-tischen Krften infolge mangelnder Zusammenordnung in einemMae Spielraum lt, da es ihnen ein leichtes wre, im Falle desNichtfunktionierens das formalistisch erstarrte Gefge zu sprengenund auer Kraft zu setzen.

    12, 1954, S. 37 ff.; Gerber, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes. EinRechtsgutachten, AR 81, 1956, S. 1 ff.; Jahrrei, Freiheit und Sozial-staat. Vom Brgersinn, in: Mensch und Staat, Kln-Berlin 1957, S. 69 ff.

    49' Dieser Ausdruck bei Forsthoff selbst: Daseinsvorsorge S. 29." Forsthoff bezieht auch in seiner Sicht des Verhltnisses von Ver-

    fassungs- und Verwaltungsrecht genau die Gegenposition zu Smend. Furdiesen ist Staatsrecht Integrationsrecht", Verwaltungsrecht technischesRecht" (Verfassung S. 236). Freilich ist auch diese Antithese nicht un-problematisch.

    51 Umbildung S. 37.

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    4. Technik und Formalitt vermgen zwar Legalitt zu verbr-gen, was gewi nicht unterschtzt werden soll; sie knnen abernicht Grundlage fr umfassende Legttimitt 52 sein, wenn auchStetigkeit, Kontinuitt und Effektivitt legitimittsbildende Fak-toren darstellen. Von einem technisch-formalistischen Verfassungs-verstndnis aus kann es ferner keinen positiven Ansatz zu einerVerfassungsethtk 53 geben. Zwar ist Forsthoff selbst einmal demVerhltnis von modernem Staat und Tugend" nachgegangen undhat deutlich gemacht, da der Staat der Tugend bedarf; diese heit:allgemeine Verllichkeit im ethischen Sinne" 54 . Diese Tugend istaber nicht nur als gesinnungsethische in hohem Grade eine reinformale es ist die Tugend, mit der man einen Apparat, der gutfunktionieren soll, bedient, oder mit der man sich in einen hoch-funktionalisierten Betrieb einfgt , sie hat insbesondere keinenspezifischen, verantwortungsethischen Bezug zur normativen Ord-nung der Verfassung.

    5. Im Rahmen dieser kritischen Besinnung mu noch auf einecharakteristische uerung Forsthoffs hingewiesen werden, die einwichtiges Motiv fr die von ihm bejahte Option fr den Rechts-staat" 55 erschliet. Er meinte einma1, 56 nach den verschiedenartig-

    52 Vgl. die Abwehr demokratischer Legitimittsvorstellungen": Ma-nahme-Gesetze S. 222.

    53 Vgl. aber Smend, Art. Integrationslehre, in: Handwrterbuch derSozialwissenschaften, Bd. V (1956) S. 301.

    54 Der Staat und die Tugend, in: Tymbos fr Wilhelm Ahlmann. EinGedenkbuch, hrsg. von seinen Freunden, Berlin 1951, S. 89. Vgl. Um-bildung S. 53: nach Max Weber fordere der Gterverkehr im Mae seinerAusdehnung und Komplizierung Loyalitten und gesinnungsbedingteVerhaltensweisen". Im Rechtsformalismus sind allerdings pathetischesittliche Postulate" (Max Weber) ein Fremdkrper!

    55 Sozialer Rechtsstaat S. 14.56 Diskussionsbemerkung in der Aussprache ber >Das Gesetz als Norm

    und Manahme

  • 166 Alexander Hollerbach

    sten Staatsumbrchen der letzten Jahrzehnte sei kein Staatsbe-wutsein" mehr vorhanden; dadurch erscheine die staatlicheWirklichkeit gefhrdet. In dieser Wirklichkeit sind uns die entschei-denden Hilfen die Formalhilfen, die technischen Hilfen, die sozu-sagen das technische Gerst des Handelns sind. . ." Diese uerung,in der offenkundig ein gerttelt Ma skeptischer Resignation mit-schwingt, darf nicht leichtgenommen werden; denn in der Tat spieltes eine sehr entscheidende Rolle, ob in einer Sozialordnung ein (na-trlich nicht psychologistisch mizuverstehendes) integres Staats-,allgemeiner: ein Rechtsbewutsein als tragende, legitimierendeKraft lebendig ist. Gegen Forsthoffs Feststellung mu aber sogleichgefragt werden, ob nicht gerade das Fehlen eines Staatsbewutseinsmit eine Folge formalistisch-technischen Rechtsstaats- und Verfas-sungsverstndnisses ist. Kann nicht gerade ein materiales Rechts-staats- und Verfassungsverstndnis dazu beitragen, Staats- undRechtsbewutsein anregend mitzubilden? Es ist nicht das Anliegen,dieser Betrachtung, dieses positive Gegenbild im einzelnen zu ent-werfen; einige Momente drften im Ansatz der Kritik zum Aus-druck kommen. Nur eines sei angedeutet: Materiale Verfassungs-lehre steht keineswegs in einem kontradiktorisch-ausschlieendenGegensatz zu formalem Verstndnis. Es ist einer der Wesenszgematerialer Betrachtungsweise, die Erscheinungen und Problemenicht zu isolieren, sie vielmehr in ihrer Verschrnkung und in ihremjeweiligen Gesamtzusammenhang zu sehen. Recht verstandenschliet das die Bercksichtigung der technischen Formalhilfen anihrem Ort und in ihrer eigentmlichen Wirkweise gerade ein. Siesind aber nicht das Ganze und machen insbesondere nicht das Wesender auf die politische Gesamtordnung des Staates ausgerichtetenVerfassung aus. Oder sollte es wirklich die Quadratur des Zirkelsbedeuten, eine materiale Verfassungstheorie zu entwickeln, in wel-cher Formalitt und Technizitt ihr relatives Recht behalten?

    6. In seiner kritischen Strukturanalyse glaubt Forsthoff, vorallem im Hinblick auf die Verfassungsgerichtsbarkeit, von einerAblsung des Rechtsstaats durch den justizstaat" 57 sprechen zuknnen. Dabei denkt er indes zu stark von Carl Schmitts Hter

    57 DOV S. 44.

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 167

    der Verfassung" her, 58 als da er der Institution der Verfassungs-gerichtsbarkeit im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung gerechtwerden knnte. Kasuistik etwa ist keineswegs ein dekadentes Ne-cessarium, sondern sie erscheint, zumal fr das Transitorium" desGrundgesetzes (Th. Heuss) zumindest auch als Positivum mitverfassungsstabilisierender Wirkung. Wenn brigens Forsthoff demBundesverfassungsgericht die Vermeidung jurisdiktioneller Selbst-bindung" 59 und die Auflsung" selbst technischer Normen in Ka-suistik vorwirft, so mu jedenfalls insoweit seine Beweisfhrung 80als miglckt angesehen werden:

    Er konstruiert zwischen den Entscheidungen BVerfGE 5, 13 und 6, 55einen Widerspruch, der gar nicht existiert. Hier gilt es, sehr klar dietechnische Verschiedenheit der Normen und des Verfahrens zu beachten.Die erstere Entscheidung ist in einem Verfahren der Verfassungs-beschwerde ergangen und hat die Frage nach dem Geltungsumfang des inArt. 19 Abs. 1 S. 2 GG normierten Zitiergebots zum Gegenstand. Diesesbezieht sich nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht aufvorkonstitutionelle Gesetze, aber auch nicht auf solche nachkonstitutio-nellen Gesetze, die lediglich bereits geltende Grundrechtsbeschrnkungenunverndert oder mit geringen Abweichungen wiederholen" (16). Dabeiqualifiziert das Gericht jedoch 372 a ZPO i. d. F. d. Gesetzes zur Wieder-herstellung der Rechtseinheit vom 12. 9. 1950 keineswegs, wie Forsthoffzu Unrecht behauptet, als vorkonstitutionelles Recht, ordnet diese Vor-schrift vielmehr der zweiten Kategorie zu. BVerfGE 6, 55 kommt dannim Hinblick auf 5 26 EStG 1951 zu dem Ergebnis, da die unverndertgebliebene Norm eines nach Verkndung des Grundgesetzes im brigengenderten Gesetzes dann nicht als vorkonstitutionelles Recht zu behan-deln ist, wenn der an das Grundgesetz gebundene Gesetzgeber auch jeneBestimmung in seinen Willen aufgenommen hat (65); diese Entscheidungwurde in einem Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ge-troffen. Allein solche Flle aber hat die das Verwerfungsmonopol um-

    58 Vgl. VerwR S. 468 f. Manahme-Gesetz S. 231 gibt er unter Be-rufung auf Carl Schmitt (a. a. 0. S. 36 ff.) ausdrcklich seinem Zweifeldaran Ausdruck, ob die Prfung von Gesetzesnormen auf ihre inhaltlichebereinstimmung mit der Verfassung nicht den Rahmen der durchSubsumtion bestimmten richterlichen Tatigkeit berschreitet".

    59 Umbildung S. 60.60 Umbildung S. 56.

  • 168 Alexander Hollerbach

    grenzende Leitentscheidung BVerfGE 2, 124 im Auge. Es ist deshalb vl-lig zutreffend, wenn Zeidler in seiner ausfhrlichen Anmerkung zu demBeschlu des BVerfG vom 6. 10. 1959, 6 ' in welcher er die Rechtsprechungdes BVerfG zu Art. 100 GG berblickt, die angeblich inkonsequente Ent-scheidung 5, 13 mit keinem Wort erwhnt und von einer kontinuierlich"verlaufenen Entwicklung spricht.

    Um im brigen, abgesehen von diesen wenigen Bemerkungen,gegenber Forsthoffs Verstndnis von Justizstaat Ansatzpunkteund Elemente der Kritik bzw. der vom Grundgesetz gefordertenpositiven Sehweise erkennbar werden zu lassen, mu es hier gen-gen, auf die Arbeiten von Leibholz 62, Marcic 63 und Bachof 64 hin-zuweisen. 64 a

    III. Grundrechte und Wertsystem"

    Es ist nunmehr auf ein bisher unbesprochen gebliebenes Elementdes Rechtsstaatsbegriffs, nmlich die Grundrechte, zurckzugreifen.Besteht das Wesen des Rechtsstaats in einem technisch-formalenNormengefge, das der Abgrenzung von Willenssphren dient, soist es konsequent, da auch die klassischen Grundrechte, ja geradesie, lediglich als technische Mittel der Ausgrenzung" von bestimm-ten Freiheitsrumen und ausschlielich mit Blickrichtung auf denStaat gesehen werden. 65 Es ist deshalb sehr verstndlich, da fr

    61 DOV 1960, S. 23 ff. Vgl. BVerfGE 10, 124.

    62 Verfassungsgerichtsbarkeit im demokratischen Rechtsstaat, in: Struk-

    turprobleme der modernen Demokratie, Karlsruhe 1958, S. 168 ff.63 Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, Wien 1957, bes. S. 336 ff.64 Grundgesetz und Richtermacht, Tbingen 1959, brigens schon mit

    kritischer Bezugnahme auf Forsthoff, DOV a. a. 0. (S. 10, 40).64' [ . .] Stimmen in der Diskussion: Werner, Das Problem des Richter-

    staates, Berlin 1960; Ermacora, Verfassungsrecht durch Richterspruch,Karlsruhe 1960.

    65 Sozialer Rechtsstaat S. 18: ... alle klassischen Grundrechte sindAusgrenzungen, die Aufrichtung von Bereichen, vor denen die Staats-gewalt haltmacht." Wenn es dann weiter heit, die Ausgrenzung be-zeichne nur" die technisch-normative Seite der Sache, sie besage nichtsdarber, aus welchem Grunde und mit welcher Intensitt die Ausgren-

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 169

    Forsthoff die sog. Drittwirkung der Grundrechte einer der grten.Steine des Anstoes ist. 66

    Betont wendet er sich gegen Smends Auf-fassung, wonach der Grundrechtskatalog eine sachliche Reihe voneiner gewissen Geschlossenheit, d. h. ein Wert- oder Gter-, einKultursystem" normieren will. 67

    Vielmehr stnden die Grundrechtetrotz gewisser systematischer Disponiertheiten" mit eigener Lo-gik" fr sich, ein normimmanenter, systematischer Zusammenhangsei nicht erkennbar. 68

    Um ihrer Effektivitt willen msse die Tech-nizitt der Grundrechte gewahrt bleiben. Nach solcher Auffassungsind dann aber die Grundrechte nicht mehr als punktualistischeSpezialisierungen des ohnehin selbstverstndlichen Grundsatzesder Gesetzmigkeit der Verwaltung" 69 .

    Wenn Forsthoff bemerkt, auch historisch gesehen fehle jeder Anhaltfr eine Systembezogenheit der Grundrechtsnormierungen, so bedarf dieseThese, was hier nur kurz angedeutet werden kann, zumindest einer ber-prfung. Die natur- bzw. vernunftrechtlichen Gedanken vor allem Pufen-dorfs und Lockes, die auf die Konzeption der Menschen- und Brgerrechtein erheblichem Umfang eingewirkt haben, waren in starkem Mae voneinem rational-systematischen Schema her geprgt. 7 Zutreffende histo-rische Analyse wird auch erkennen, da selbst fr das 19. Jahrhundert der

    zung erfolge, so zeigt sich gerade hier wiederum die verhngnisvolle Re-duktion des Normativen auf das Technisch-Formalisierte.

    66 Dieses vielschichtige Problem wird hier ausdrcklich ausgeklammert.Doch darf bemerkt werden: auch wenn man grundstzlich SmendsGrundrechtskonzeption fr richtig hlt, folgt daraus nicht automatisch die(undifferenzierte) Anerkennung einer Drittwirkung. Leider hat sich Forst-hoff, abgesehen von einem bestimmten methodischen Aspekt (UmbildungS. 45 f. m. Anm. 18), nicht mit dem Lth-Urteil des Bundesverfassungs-gerichts auseinandergesetzt (BVerfGE 7, 198), wo immerhin das Bundes-arbeitsgericht wegen zu weitgehender Folgerungen aus BVerfGE 6, 55 und6, 84 gergt wird (204). [...] Diskussionsbeitrag hierzu bei Th. Ramm,Die Freiheit der Willensbildung. Zur Lehre von der Drittwirkung derGrundrechte und der Rechtsstruktur der Vereinigung, Stuttgart 1960.

    67 Verfassung S. 264; Forsthoff, Umbildung S. 38 ff.68 Umbildung S. 40.69 Smend, Verfassung S. 262.7 Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 2. Aufl., Gt-

    tingen 1955, S. 156 ff. und: Ein Kapitel aus der Geschichte der amerika-

  • 170 Alexander Hollerbach

    Gedanke der bloen Entgegensetzung zum Staat den Gehalt der Grund-rechte nicht erschpft. 71

    Woran sich Forsthoff besonders stt, ist die Vorstellung desWertsystems", das Smend an die Grundrechte herantrage, womiter normfremde Hypostasierungen vornehme. 72 Sosehr fr Forst-hoff Verwaltung als wertverwirklichende Gestaltung" gekenn-zeichnet werden kann, 73 so sehr bedeutet ihm das Operieren mitWertvorstellungen auf der Ebene des Verfassungsrechts offenbarheillose Auslieferung an unsichere Ideologien und subjektivistischePhilosophie. Das Wertproblem kann hier selbstverstndlich nichtentfaltet werden. Jedenfalls aber existieren fr Smend 74 - gemder philosophischen Grundlegung bei Th. Litt 75 - Werte" nicht

    nischen Erklrung der Menschenrechte. John Wise und Samuel Pufendorf,in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche, Festg. f. R. Smend, Gottingen1952, S. 387 ff.

    71 Vgl. Smend, Brger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht (1933),in: Staatsrechtliche Abhandlungen a. a. 0. S. 314 ff., 318. [. ..] WilhelmHennis hat (Zum Problem der deutschen Staatsanschauung, Viertel-jahreshefte fr Zeitgeschichte 7, 1959, S. 8) unter Berufung auf ErnstFraenkel (Jb. ff. R. N. F. 2, 1953, S. 45) wieder daran erinnert, da alleGrundrechte im angelschsischen Rechtsbereich nicht als subjektiveffentliche Rechte" gegenber einer potentiell allmchtigen Staatsgewaltbegriffen werden. Aufschlureiche Beobachtungen hierzu neuestens beiRamm, a. a. 0. S. 42 ff. In der Tat drfen die Grundrechte nicht nur alsindividuelle negative Abwehrrechte gegen den Staat aufgefat, sondernsie mssen zugleich auch als Prinzipien der Begrndung und Gewahr-leistung sachlich gerechtfertigter Gesamtordnung" verstanden werden (so,im Sinne Smends, Hesse, Parteien S. 32; vgl. auch ebda. S. 28).

    72 Vgl. Umbildung S. 39.

    73 VerwR S. 78.74 Ich beschrnke mich auf eine Verteidigung Smends, was natrlich

    das Problem nicht erschpft. Damit soll das oft zu vorschnelle Umgehenmit Werten" in der neueren Literatur und Rechtsprechung keineswegsentschuldigt werden, wie berhaupt Forsthoffs Appell zu methodischsauberem, diszipliniertem Denken in Jurisprudenz und Judikatur sehrernst genommen wird.

    75 Vgl. etwa Ethik der Neuzeit, 1926, S. 182 ff.; Das Allgemeine imAufbau der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis, Leipzig 1941, S. 65 ff.

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 171

    als abstrakte Wesenheiten, als in sich ruhende statische Blckeauerhalb des realen Lebensvollzugs, die wie etwas Vorzeigbares,Fremdes uerlich an Rechtsnormen herangetragen werden knn-ten." Vielmehr fhren die Werte ein reales Leben nur in der kon-kreten Verwirklichung, d. h. aber, auf das Recht bezogen, nur inder Positivierung. 77 Es ist bezeichnend, da im Sinne Smends frWert oft einfach Sachgehalt", Prinzip", Rechtsgut", politischesGut" 78 steht und stehen kann. Zu dem Wertsystem" gehren auchMinderheitswerte und Kompromisse" 79 . Demgem meint Wert-system" nicht einen abstrakten, kryptonaturrechtlichen, nach be-stimmten Gesetzen und Notwendigkeiten funktionierenden Sche-matismus von intransigenter Geschlossenheit. 80 Die Rede vomWertsystem", wie allgemein vom Sinnsystem" oder von der

    76 Vgl. Verfassung S. 160.

    77 Vgl. Verfassung S. 264: der Grundrechtskatalog normiert", posi-

    tiviert". Siehe ferner: Das Recht der freien Meinungsuerung (1928), in:Staatsrechtliche Abhandlungen a. a. 0. S. 92: grundlegende Elemente einesbestimmten Kultursystems sind als oberstes Gesetz .. . normativ an-erkannt", und S. 96: die Grundrechte nehmen zu bestimmten sachlichenKulturgtern in einer bestimmten geschichtlich bedingten Wertkonstella-tion von Verfassungs wegen Stellung". Vgl. auch die starke Betonungder Positivitt der Grundrechte, unbeschadet ihrer legitimierenden undregulierenden Eigenart", Verfassung S. 267 Anm. 17.

    78 Meinungsuerung S. 91.

    Ebda. S. 92.89

    Ein System" mu nicht eine perfektionistische Vollstndigkeit undGeschlossenheit" (Umbildung S. 40 Anm. 8) erreicht haben, um als Systemgelten zu knnen. In der Jurisprudenz gibt es allenthalben offene"Systeme, vgl. etwa Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fort-bildung des Privatrechts, Tbingen 1956, S. 44, 238 u. .; Wrtenberger,Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft, 2. Aufl.,Karlsruhe 1959, S. 12. Zu diesem Problemkreis in bezug auf das Ver-fassungsrecht vgl. Smend, Art. Staat, in: Evangelisches Kirchenlexikon,Bd. III, 1959, Sp. 1109 und Hesse, Parteien S. 20 m. Anm. 25, wo in derOffenheit des Verfassungssystems geradezu die Legitimitt der politischenOrdnung des Grundgesetzes gesehen wird. Forsthoff, Umbildung S. 55,konstatiert zwar, da das Verfassungsrecht offen" geworden sei, versiehtdas jedoch im Hinblick auf die unsichere Kasuistik" mit einem negativenWertakzent.

  • 172 Alexander Hollerbadi

    Sinnmitte" hat auch hier zunchst einmal die Bedeutung: ber-windung der punktualistischen Vereinzelung, Intendieren und Se-hen des Zusammenhangs und der Bezogenheiten, die zwischen denvielen Einzelnormen einer Verfassung und Rechtsordnung obwal-ten. Jedes Einzelne verweist schon aus sich immer auf das All-gemeine, ist berhaupt Einzelnes nur als Einzelnes eines Allgemei-neren. Insofern ist die systematische Disponiertheit" durchaus einenormimmanente, die freilich in einem blo formal-logischenVerfahren als solche nicht erkannt werden kann. Fr ein formal-logisches Aufeinander-Beziehen mu in der Tat vieles als norm-transzendent und als Hypostasierung" erscheinen, was in Wirk-lichkeit normimmanent ist. In hnlicher Weise folgen auch dieangeblichen interpretativen Rangstufungen" 81 nicht etwa einemfreischwebenden Schema, sondern suchen das immanente Sinngefgeder Normen zu erweisen. Wovon hier andeutend die Rede ist, hatmit dynamischem" Verfassungsverstndnis nichts zu tun. Ist nichtsolche Sehweise: vom Einzelnen zum Ganzen und wieder zurck,also eine Art in sich zurckschwingende Induktion, gerade auchvom Gedanken des institutionellen Gefges her gefordert?

    IV. Institutionelles Rechtsdenkenund geisteswissenschaftliche Interpretation

    Mit diesen berlegungen ist der Forsthoff zutiefst bewegende, inder Tat grundlegende Fragenbereich der Interpretation und damitletztlich des Wissenschaftsbegriffs erreicht.

    Hier ist zuerst auf die methodologische Grundlegung einzuge-hen, die Forsthoff in seiner knappen Skizze des sog. institutionellenRechtsdenkens im Rahmen seines Lehrbuchs des Verwaltungsrechtsentfaltet; 82

    diese Art von Rechtsdenken erheischt nach seiner In-tention unzweifelhaft Geltung fr den gesamten Bereich des Rechts.

    81 Umbildung S. 38.82

    VerwR S. 151 f. Zur geistesgeschichtlichen Herleitung des institutio-nellen Rechtsdenkens vgl. Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneue-rung, in: Zeitwende 1947/48, S. 679 ff. Wie sich mit jenen Ausfhrungen,die auf Luthers Rechtsauffassung und das reformatorische Menschenbild

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 173

    Die institutionelle Rechtsauffassung geht von der Grundberzeu-gung aus, da das Recht eine Kulturerscheinung und als solche Teilder objektiven Kulturwerte" ist, innerhalb deren die Erscheinun-gen des Rechts nach Rang und Sinnzusammenhang" ihren festen.Ort haben. Gegenber dem Positivismus hlt sie von dieser Grund-berzeugung aus an den unverlierbaren Einsichten geisteswissen-schaftlicher Forschung in den letzten Jahrzehnten" fest 83 So ist esihr besonderes Anliegen, zu einer Art der Rechtsanwendung zugelangen, die das positive Recht in seiner Strenge bestehen lt, esjedoch im Zusammenhang mit den tragenden allgemeinen Rechts-gedanken versteht und handhabt". Dieses Ziel wird erreicht, wennman die Rechtsordnung als ein sinnvolles Gefge von Institutio-nen, d. h. von gestalthaften Rechtsgebilden" begreift. Staat, Ver-fassung, Selbstverwaltung, Eigentum . . ., Gesetz, . . . Ehe und Fa-milie stellen sich als solche Gebilde dar, die je ein Sinn ganzes sind,zu dem sich die Vorschriften des positiven Rechts und die sie tra-genden allgemeinen Rechtsgedanken zusammenfgen. Einen Rechts-satz auslegen heit also, ihn wrtlich interpretieren und aus demimmanenten Sinnzusammenhang der Institution und der Stellungder Institution im Ganzen der Rechtsordnung verstehen." 84 MitRecht betont Forsthoff, da diese Auffassung nicht nur zu einemrichtigeren Verstndnis der Normativitt des Rechts in ihrem Ver-hltnis zu den tragenden Grundgedanken beitragen kann, sondernda hiermit auch der Wirklichkeitsbezug des Rechts erst adquatzur Geltung komme. So vermeidet das institutionelle Denken eineGefahr, welcher der Normativismus immer wieder erliegen mu,der, indem er die Rechtsstze als Sollensstze versteht und seineAufgabe ausschlielich in ihrer Auslegung aus sich selbst herausversteht, notwendig den Zusammenhang mit der Seinssphre ver-lieren mu." 85

    zurckgreifen, die neuesten Thesen Forsthoffs vereinbaren lassen, erscheintziemlich rtselhaft.

    83 VerwR S. 152 Anm. 2 zitiert Forsthoff beifllig eine uerung von

    Erich Kaufmann, VVDStRL 4, 1928, S. 81, wonach sich Rechtsstze undInstitute nur geistesgeschichtlich" erfassen lassen.

    84 VerwR S. 151 f. Hervorhebungen vom Verf.

    85 VerwR S. 152.

  • 174 Alexander Hollerbach

    Es kann hier nicht darum gehen, Grundlagen und Tragfhigkeitder institutionellen Rechtsauffassung oder etwa ihr Verhltnis ZUMkonkreten Ordnungsdenken" 86 nher zu untersuchen. 87 Es ver-dient lediglich festgehalten zu werden, da Forsthoff damit eineauf Sinnverstehen hin angelegte geisteswissenschaftliche Interpreta-tionsmethode anerkennt, die jeden isolierenden normativistischenFormalismus zu vermeiden trachtet, indem sie Sinnganzheiten ineinem Sinnzusammenhang sieht. Sie ist bestrebt, bei allem Bem-hen, die heilsame Strenge" des positiven Rechts zu wahren, eineEntfremdung der Norm von der sozialen Wirklichkeit zu verhin-dern.

    Kehrt man von hier aus zu den entsprechenden methodologischenErrterungen in Forsthoffs Beitrag zur Carl-Schmitt-Festschrift zu-rck, so springt die Diskrepanz mit dem soeben Dargelegten in dieAugen. Trotz gewisser verbindender Momente erscheint sie nichthinreichend erklrbar. Soll nicht der naheliegende Eindruck ent-stehen, als ob hier ein grundstzlicher Meinungsumschwung vor-liege, so darf insbesondere zu diesem Problemkreis eine baldige,der Verwirrung vieler abhelfende Klarstellung Forsthoffs erwartetwerden. 87 a

    86 Vgl. hierzu v. Krockow, Die Entscheidung, Stuttgart 1958, S. 94 ff.

    Siehe auch E.-W. Bckenfrde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, Berlin1958, S. 137 m. Anm. 29.

    87 Die groe Gefahr der institutionellen Methode liegt, falls das ihr an

    sich innewohnende Element der Dialektik vernachlssigt wird, in ihrerTendenz zu statischer Vergegenstndlichung und starrer begrifflicherBlockbildung mit der Folge, da die Institutionen gleichsam als fensterloseMonaden erscheinen. Demgegenber bedrfte sie notwendiger Korrekturdurch die Bercksichtigung alles Dynamisch-Prozehaften im Rec.htsleben.Keineswegs alle Rechtserscheinungen stellen (nur) gestalthafte Gebilde"dar. Insbesondere Staat und Verfassung sind eben Institution und Er-eignis" (Leuba), womit die einzuschlagende Denkrichtung schlagwortartigangedeutet sei. Vgl. hierzu auch Hesse, Parteien S. 19, sowie Marsch, Art.Institution, RGG3 III, 1959, Sp. 783 ff.

    87' Die [...] unser Thema betreffende Abhandlung Forsthoffs, DerJurist in der industriellen Gesellschaft, NJW 1960, S. 1273-1277, bringtkeine Klrung, unterstreicht vielmehr das in der Carl-Schmitt-FestschriftDargelegte. Die neuen" Formen der richterlichen Rechtsfindung, die einen

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 175

    Gesetzesauslegung bedeutet fr ihn, so wie er es in der zu analy-sierenden Abhandlung darlegt, Ermittlung der richtigen Subsum-tion im Sinne des syllogistischen Schlusses" 88 . Hierfr stehen demRichter und jedem, der das Recht anzuwenden hat, eine Summeklassischer" Regeln, ein berkommenes, zum Kernstck der abend-lndischen Kultur 88' gehrendes System der juristischen Hermeneutik, eine spezifisch juristische Methode zur Verfgung. Alssolche, sich aus der immanenten Logik" der Normen ergebendeRegeln erscheinen etwa die Stze lex specialis derogat legi gene-rali", lex posterior derogat legi priori", 89 oder der Grundsatz, dader Rckgriff auf den systematischen Zusammenhang" erst zuls-sig ist, wenn die Auslegung ber Wortlaut und Sinn" der Text-

    weiten Entscheidungsraum usurpierende Selbstbefreiung des Richters vonden Kunstregeln und logischen Prozeduren der gesetzanwendenden Rechts-findung" (1277) seien vor allem bedingt durch die mit den Jahren nach1945 eingetretene Vernderung" des Rechtsbewutseins; dieses sei beigleichzeitiger geistiger Minimalisierung" des Staates am Individuum mitseinen Rechtsschutz-Erwartungen in einem Mae orientiert, fr das sichein historisches Vorbild schwerlich finden lassen drfte" (1274, 1275).

    88 Umbildung S. 41. In diesem Zusammenhang darf an Forsthoffs

    uerung (Sozialer Rechtsstaat S. 128) erinnert werden, wonach er immerbescheidenere Vorstellungen von dem Beruf des Juristen in dieser Zeithabe. Ganz anders noch etwa Recht und Sprache, a. a. 0. passim, bes.deutlich S. 29: Indem wir anerkennen, da der Richter zu einer schpfe-rischen, das heit das Recht fortfhrenden Rechtsprechung befhigt undbefugt ist was heute eines Beweises nicht mehr bedrftig sein sollte ,schlieen wir die Deutung der Rechtsfindung als bloe Gesetzesvollziehungaus." Anderseits wiederum Umbildung S. 61: Der Abbau der formal-rationalen Qualitten des Verfassungsgesetzesrechts ist zugleich auch dieDepossedierung der Rechtswissenschaft und des Juristen im Raum der Ver-fassung." Vgl. hierzu auch NJW 1960, S. 1277: Reduzierung des Juristenauf den Rechtsfachmann."

    88' Dies wurde von Forsthoff neuestens (N JW 1960, S. 1277) noch ein-

    mal betont; ausdrcklich wird dann von diesem Gedanken her ber die(angebliche) Preisgabe" des hermeneutischen Systems das Verdikt derPrimitivierung" verhngt.

    89 Vgl. etwa Umbildung S. 38 Anm. 5 u. S. 43.

  • 176 Alexander Hollerbach

    stelle nicht zum Ziele fhrt. 9 Fr Forsthoff gibt es weiter offenbarfeststehende Regeln der Analogie, wozu etwa der Grundsatz ge-hrt, da aus Grnden der Logik" (?) jede Ausnahme der Er-streckung durch Analogie entzogen i5t. 91 Im brigen aber bleibtdas herkmmliche System klassischer hermeneutischer Regeln eineweithin ungeklrte Gre. 92 Von dem verwirrenden Prinzipien-antagonismus" 93 in der Interpretationslehre 94 scheint Forsthoffkeinerlei Notiz zu nehmen. Larenz hat sich scheinbar getuscht,wenn er seine Untersuchung ber >Wegweiser zu richterlicherRechtsschpfung< mit der Feststellung beginnt, es bedrfe heutekeiner Ausfhrung mehr, da jede richterliche Ttigkeit, auch wennsie nur in der schlichten Anwendung der Gesetzesnorm auf denSachverhalt besteht, ein schpferisches Moment" enthalte. 95 Selbst

    99 Umbildung S. 40 f.91 VerwR S. 154.92 Trotz der Berufung auf Savigny: Umbildung S. 36! Dessen Aus-

    legungstheorie mit ihren verschiedenen Elementen gehort zwar zumeinigermaen festen Bestand der juristischen Hermeneutik" (Engisch, Ein-fhrung in das juristische Denken, 2. Aufl., Stuttgart 1959, S. 77); aber siebedrfen einer viel strkeren Differenzierung und werfen im Grundemehr Fragen auf als sie lsen, wie gerade etwa in der Darstellung Engischsallenthalben deutlich wird. Jedenfalls aber sind sie nur mittels geisteswis-senschaftlicher Methode hinreichend zu verstehen.

    93 So Bender, Zur Methode der Rechtsfindung bei der Auslegung und

    Fortbildung gesetzten Rechts, JZ 1957, S. 593.94

    Aus der Flle des Schrifttums wird hier verwiesen auf Betti, Teoriagenerale della interpretazione, 2 vol., Milano 1955; ders., Zur Grund-legung einer allgemeinen Auslegungslehre, in: Festschrift fr Ernst Rabel,Band II, 1954, S. 79 ff.; Coing, Die juristischen Auslegungsmethoden unddie Lehren der allgemeinen Hermeneutik, Kln u. Opladen 1959; Kron-stein, Rechtsauslegung im wertgebundenen Recht, Karlsruhe 1957; vgl.ferner die Beitrge von Esser, Zur Methodenlehre des Zivilrechts, und vonJesche& Methoden der Strafrechtswissenschaft, in: Studium Generale1959, S. 97 ff., 107 ff.

    95 Larenz, Wegweiser zu richterlicher Rechtsschpfung. Eine rechts-

    methodische Untersuchung, in: Festschrift fr Arthur Nikisch, Tbingen1958, S. 275, weil sowohl die Auswahl der zutreffenden' Norm wie dieWrdigung des Sachverhalts nach den in der Norm angegebenen Kriterien

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 177

    ein so sehr der Logik verpflichteter, jeglicher Spekulation abholderAutor wie Engisch betont, da die juristische Logik eine materialeLogik ist, die Besinnung wecken soll auf das, was zu tun ist. Sieist eine philosophische Logik und keine Technik" 96 . Dabei wird ernicht mde, die Mehrdimensionalitt" 97 oder den Perspektiven-reichtum" jeder Auslegungsmethode sowie die Sinnbezglichkeitjedes Rechtssatzes auf die Gesamtrechtsordnung" 98 hervorzuheben.

    Der Grundcharakter der von Forsthoff prtendierten spezifischjuristischen Hermeneutik wird dadurch bezeichnet, da sie von je-der Art geisteswissenschaftlicher", und das heit fr ihn: philo-sophischer" (ideenwissenschaftlicher) Deutung polemisch abgesetztwird.99 Zwar hat fr ihn die Rechtskunst" der Auslegung Sinn-erfassung" zum Gegenstand, diese geschieht jedoch nicht durchVerstehen". Sie lt nicht wie die geisteswissenschaftliche Methodedie formalen Elemente beiseite, die durch das Gesetz" im Sinnedes Reditsstaats gegeben sind, anderseits verzichtet sie auf die ver-stehende Erkenntnis einer Sinnmitte" und intendiert gerade nichteine Sinnerfassung durch Einordnung in weitere geistige Zusam-menhnge. no

    eine nicht lediglich mechanische Denkttigkeit erfordert. Die Anwendungdes Gesetzes ist niemals nur ein Rechnen mit im voraus genau bestimmtenGren". Vgl. auch Wieadwr, Gesetz und Richterkunst, Karlsruhe 1958,passim, bes. S. 17, ferner Bachof, a. a. 0. S. 8, und Kttgen, Kommentarezum Grundgesetz, AR 85 (1960), S. 76 f.

    96 Engisch, a. a. 0. S. 5; ders., Aufgaben einer Logik und Methodik desjuristischen Denkens, in: Studium Generale 1959, S. 76 ff. Dort wird be-sonders deutlich herausgestellt, da der Schwerpunkt auf der mit vielenZweifeln belasteten Gewinnung der Prmissen" liegt (S. 86). Die logischenFormeln klappen" erst dann, wenn die Prmissen richtig sind, also wennetwa festgestellt, welche Norm die allgemeine und welche die besondereist usw. Siehe hierzu auch Klug, Juristische Logik, 2. Aufl., Berlin-Gttin-gen-Heidelberg 1958, S. 145 ff., der ausdrcklich gegen die Verwechslungvon Auslegung" und juristischer Logik" Front macht.

    97 Einfhrung S. 79.

    98 Einfhrung S. 81.

    99 Umbildung S. 41.100 Umbildung S. 44.

  • 178 Alexander Hollerbach

    Selbstverstndlich ist es geboten, auf die polemische Richtungsolcher Thesen zu achten und das Anliegen Forsthoffs, mittels einerexakten" 101

    juristischen Methode die Normativitt der Verfas-sung zu strken, in Rechnung zu stellen. Es mu aber gefragt wer-den: Wenn die juristische Methode und Forsthoff spricht im all-gemeinen von ihr, nicht nur bezglich des Verfassungsrechts nichteine geisteswissenschaftliche ist, was ist sie dann? Wenn sie nichtverstehen" will, was tut sie dann? Hat Jurisprudenz dann ber-haupt noch Wissenschaftscharakter, und, wenn ja, welcher Katego-rie von Wissenschaft ist sie zuzuordnen?

    Der moderne Begriff der Geisteswissenschaften wird u. a. durchden Gegensatz zu den Naturwissenschaften bezeichnet. 102 Sprichtman der Rechtswissenschaft den Charakter einer Geisteswissen-schaft ab, so liegt es dann nahe, sie als Naturwissenschaft zu quali-fizieren; als Wissenschaft also, die nicht durch die Methode desVerstehens", sondern durch die des Erklrens" gekennzeichnet ist,die es nicht in erster Linie mit Qualitten, sondern mit Quantitten,nicht mit Grund und Folge", sondern mit der Verknpfung vonUrsache und Wirkung" zu tun hat, die nicht Freiheit, sondern(nur) Notwendigkeit kennt, die nicht auf Gewiheit", sondernauf Evidenz" angelegt ist. Es kann schwerlich angenommen wer-den, da Forsthoff mit seiner Abwehr des Verstehenselementes diejuristische Methode und damit die Jurisprudenz berhaupt im Be-reich der Naturwissenschaften habe ansiedeln wollen. Immerhinweisen die Betonung der bloen Subsumtion, des syllogistischenSchlieens, auch die Vorstellung, da die hermeneutischen Regelnexakt" seien, und nicht zuletzt der Gesetzesbegriff unbezweifelbarin die Nhe formal-quantifizierender naturwissenschaftlicherDenkweise.

    Eine andere Mglichkeit der Auslegung" der ForsthoffschenDarlegungen ist die der Leugnung des Wissenschaftscharakters derInterpretation berhaupt. Vielleicht ist sie nur Anwendung formal-technischer Kunstregeln", zu deren Kenntnis es lediglich empiri-

    101 Umbildung S. 38 oben.102 Vgl. Gadamer, Art. Geisteswissenschaften, RGG3 II (1958), Sp. 1304;

    Rombach, Art. Geisteswissenschaften, Staatslexikon6 III (1959), Sp. 664.Siehe auch Engisch, Einfhrung S. 7 u. 71.

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 179

    scher Kunde", mechanischen Scharfsinns" 103 bedarf, auf einenebenso formal-technisch verstandenen Normenmechanismus; viel-leicht ergeben sich aus deren Zusammenspiel automatisch" not-wendige" Konsequenzen, die es lediglich zu registrieren gilt. So-sehr wiederum auch solche Elemente mitschwingen, macht doch dasFesthalten Forsthoffs an einem wissenschaftlichen 104 System" derHermeneutik, in dem rational-evidente Regeln von logischer Strin-genz zusammengefgt sind, diese Deutung unmglich.

    Danach bliebe nur noch die Mglichkeit, juristische Methode und.Jurisprudenz als ein spezifisches aliud zwischen Natur- und Geistes-wissenschaften aufzufassen. Sollte Forsthoff dies meinen, so wredem freilich grundstzlich zu widersprechen. Rechtswissenschaft und Verfassungsrechtslehre zumal! ist eine geisteswissenschaft-liche Disziplin, weil sie es mit dem Menschen und einer bestimmtenObjektivation menschlichen Geistes, mit Menschenwerk" in derbesonderen Form des Sprachwerks" 105 zu tun hat. 106 Als solche,als angewandte Geisteswissenschaft" 107, ist sie notwendig, ja ge-radezu existentiell" 107' auf verstehende Interpretation angelegtund angewiesen, und zwar sowohl in ihrer historischen wie in ihrer

    103 So Schelling, Werke III, S. 335, bezglich der Auslegung des Privat-rechts.

    104 Vgl. Umbildung S. 36 u. 41 (wissenschaftliche Auslegung").105 Vgl. Rothacker, Die dogmatische Denkform in den Geisteswissen-

    schaften und das Problem des Historismus, Wiesbaden 1954, passim.106 Vgl. Rombach, a. a. 0.: Geist" meint das immer schon notwendig

    mitgegebene und -aufgegebene Selbstverhltnis und Selbstverstndnis . . .des Menschen in seiner Totalitt" (Sp. 662 f.). Alles Handeln, alle Objek-tivation geht notwendig durch das Medium einer Selbst- und Seinsaus-legung" hindurch. Die geisteswissenschaftliche Methode liegt .. . in derZurckfhrung der Fakten auf das Ganze eines Lebens- und Seinssinnes,also in der Interpretation" (Sp. 665). Zum Problem der Hermeneutik(nicht nur in theologischer Hinsicht) sehr gut orientierend Ebeling, Art.Hermeneutik, RGG 3 III (1959), Sp. 242 ff., wo auch betont wird, da dasVorverstndnis im Vorgang des Verstehens selbst jeweils der kritischenKlrung ausgesetzt bleibt (Sp. 257).

    107 Coing, a. a. 0. S. 23.17ft Vgl. Stern, Interpretation eine existentielle Aufgabe der Juris-

    prudenz, NJW 1958, S. 695-698.

  • 180 Alexander Hollerbach

    dogmatischen Form, als Forschungsdenken" wie als Meinungs-denken". 108 Juristische Methode und Interpretationslehre stehen inengem sachlichen Zusammenhang mit den Lehren der allgemeinengeisteswissenschaftlichen Hermeneutik. 109 Auch hier kann man sichwiederum auf Engisch als unverdchtigen Zeugen berufen: Nurder Jurist, der nach dem wahren Sinn und dem rechten Verstehender Rechtsvorschriften strebt, macht glaubhaft, da die Rechtswis-senschaft eine Geisteswissenschaft ist, so gewi Sinn und Verstehennach moderner Auffassung das magebliche Kriterium der Geistes-wissenschaften sind" 110. Fr solchermaen aufgefate Interpreta-tion ist es wesentlich, da dabei im Sinne des hermeneutischenZirkels" 111 und unter Bewutmachung der hermeneutischen Situa-tion des Menschen der Blick vom Ganzen zum Teil und vomTeil zum Ganzen" geht. Das Ganze existiert nur in den Teilen undwird allein in diesen begriffen; diese selber sind aber nur aus jenemverstndlich. 112

    Auf einige Momente aus dem hier angeschnittenen Problemkreisist noch hinzuweisen:

    1. Normsetzung setzt ein Verstehen des zu normierenden Sach-

    108 Vgl. hierzu Viehweg, Zur Geisteswissenschaftlichkeit der Rechts-disziplin, in: Studium Generale 1958, S. 334 ff., bes. S. 338, 340.

    109 Dies zu zeigen ist, in bereinstimmung mit Betti, das besondere An-liegen Coings in der Anm. 94 angefhrten Schrift.

    110 Einfhrung S. 71. Treffend auch S. 98: Das rechte Verstehen desGesetzes setzt voraus, da wir uns selbst recht verstehen." UmbildungS. 53 redet Forsthoff zur Wahrung von Rationalitt und Berechenbarkeiteiner sinnvollen Veralltglichung" von Normen mit ethischen oder reli-gisen Gehalten durch die richterliche Interpretation das Wort; demgegen-ber Engisch, S. 84: es ist notwendig, da der Jurist beim Interpretierendas Gesichtsfeld des bloen Praktikers durchbricht und um ein rein geistes-wissenschaftliches Verstehen ringt".

    111 Heidegger, Sein und Zeit, 8. Aufl., Tbingen 1957, S. 152 f.; Gada-mer, Vom Zirkel des Verstehens, in: Martin Heidegger zum 70. Geburts-tag. Festschrift, Pfullingen 1959, S. 24 ff.

    112 Rombach, a. a. 0. Sp. 665. Vgl. auch (im Anschlu an Betti) CoingS. 14 u. 18 f. zum hermeneutischen Canon der Einheit" im Sinne vonD. 1, 3, 24: Incivile est nisi tota perspecta lege una aliqua particula eiusproposita iudicare vel respondere" (Celsus).

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 181

    verhalts voraus, wenn anders sie nicht bloe Deskription bleibenwill. Die Norm hat also ein verstehend Erkanntes zum Gegenstand.Es ist dann aber nicht einsichtig, wie ein in der juristischen Aus-legung sich vollziehendes Erkennen dieses Erkannten und dessenWeiterdenken auf eine konkrete Entscheidung hin ohne Verstehenmglich, inwiefern hier eine ,t,e-rlif3acrtg. eig iino yivog " 3 notwendigsein soll. Dies gilt auch dann, wenn man Normierung in erster Liniein einer Dezision sich erschpfen lt; auch diese setzt ein bestimm-tes Verstehen des zu regelnden Sachverhalts voraus.

    2. Eine juristische Methode, die eine nicht-verstehende zu seinvorgibt, versteht allein schon damit sich und ihren Gegenstand inbestimmter Weise mittels eines unbewuten oder bewut ver-schleierten Vorgriffs". Erst recht kann sie, wie das selbstverstnd-lich auch Forsthoff tut, soziologische oder historische Erkenntnisse und sei es nur bezglich der Entstehungsgeschichte 114 eines Ge-setzes , aus denen ganz bestimmte, zum Teil normative Folgerun-gen abgeleitet werden, nur im Wege verstehender Sinnerfassunggewinnen. Nur scheinbar verzichtet sie hierbei auf eine Sinnmitteund auf die Einordnung in weitere geistige Zusammenhnge. Sol-ches ist, jedenfalls unterschwellig, immer schon mit im Spiel.

    3. Mit der betonten Einbeziehung der Jurisprudenz in den Be-reich der Geisteswissenschaften ist allerdings nicht gesagt, da sienicht bezglich ihrer Methode spezifische Unterschiede von anderenGeisteswissenschaften aufwiese und da nicht auch innerhalb derrechtswissenschaftlichen Einzeldisziplinen weitere Differenzierun-gen bestehen knnten. Das ergibt sich schon aus der grundlegendenEinsicht in die Gegenstandsbezogenheit und -abhngigkeit jederMethode, und insofern ist die Rechtswissenschaft eine typische

    113 Vgl. Umbildung S. 41; fr Forsthoff ist umgekehrt jede verstehendeSinnerfassung l.tetfiaaL; ei; alo yvog', und zwar der Philosophie. Dabeibleibt aber der Bereich, aus dem ein berschreiten angenommen wird,weithin im unklaren.

    114 Umbildung S. 48 meint Forsthoff: Wo nichts gemeint ist, lt sichRudi nichts interpretieren." Vgl. demgegenber aber den berechtigten Hin -,weis Coings (S. 16, 21) auf den hermeneutischen Gesichtspunkt der ber-schieenden Bedeutung eines Geisteswerks".

  • 182 Alexander Hollerbach

    Normwissenschaft" 115, gehrt die juristische Auslegung zu denAuslegungstypen in funzione normativa 116. Der Gesetzesintere.pretation sind durch ihren Gegenstand in der Tat Schranken gesetzt,und es ist richtig, wenn Forsthoff darauf insistiert, da es eineBeliebigkeit der Auslegungsprozeduren" 117 nicht gibt. Mit Rechthat er auch schon frher betont, da es auf das grundstzliche Ver-hltnis von Gesetzgebung und Rechtsanwendung, insonderheit aufdie verfassungsmige Stellung des Richters ankomme. 118

    Aber esist ein Irrtum zu glauben, wahre geisteswissenschaftliche Auslegungbersehe dies 119 und ermgliche eine beliebige Methodenvielfalt. 12Wenn geisteswissenschaftliche Interpretation sich bewut ist, injenen oben beschriebenen hermeneutischen Zirkelgang vom Ein-

    115 Vgl. etwa Hesse, Normative Kraft, S. 5.116

    Betti, Teoria II, p. 790 sq. und in Festschrift Rabel II, S. 145: Aus-legung von Richtlinien des sozialen Verhaltens, die als Maxime einer Ent-scheidung oder eines Handelns, berhaupt als Mastab der Wertung einesVerhaltens im Rahmen und nach Magabe einer geltenden Rechtsordnunazu beachten sind." Entsprechend auch Coing, S. 23, 50.

    117 Umbildung S. 36.118 Recht und Sprache S. 45; vgl. auch Engisch, S. 94 f.116 Es ist deshalb unrichtig, da die geisteswissenschaftliche Methode die

    berkommene juristische Hermeneutik abstreife" oder da sich die soge-nannte geisteswissenschaftlich-werthierarchische Methode und die sonsti-gen herkmmlichen Methoden ausschlssen, Umbildung S. 51. Vgl. Anm.109.

    120 Jedenfalls kann man nicht Smend eine solche Beliebigkeit vorwerfenoder meinen, er sehe nicht die Grenzen der Verfassungsauslegung, die sichaus der Verfassung selbst ergeben. In seinem Gutachten zur Frage desWehrbeitrags etwa (in: Der Kampf um den Wehrbeitrag, 2. Halbbd.,Mnchen 1953, S. 569) erinnert er bei aller Anerkennung der Elastizi-tt einer Verfassung (vgl. Verfassung S. 190) ausdrcklich daran. DerVerfassungsgesetzgeber soll nach dem Grundgesetz klar reden, die Aus-legung des Grundgesetzes mu daher sorgfltig und restriktiv sein, damitdie Brger der Bundesrepublik sich auf das Wort des Grundgesetzes ver-lassen knnen ein ... dringendes Gebot der Verfassungsmoral."S. 572 ff. erhebt er im einzelnen Bedenken dagegen, da aus dem Grund-gesetz entweder zuviel herausgelesen oder da es in unzulssiger Weiseergnzt wird"!

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 183

    zelnen zum Ganzen und wieder zurck" eingespannt zu sein, solt dies nicht zu, die besonderen Formqualitten des Rechts unddes Gesetzes, ihren spezifischen Stellenwert innerhalb des Ganzenzu vernachlssigen. Sie nimmt die Positivitt des Rechts ernst denn in der Tat bedeutet die berwindung des Positivismus nichtdie Preisgabe der Positivitt berhaupt 121 -, ist aber nicht desGlaubens, die Wirklichkeit von Recht und Gesetz knne sich darinerschpfen oder das Recht bedrfe keiner Rechtfertigung" mehr.Sie stimmt gerade nicht ein in die heute verbreitete summarischeDiskreditierung des Positivismus" 122, und ebenso ist ihr eine ober-flchliche Diskreditierung der Legalitt" 123 fremd, wogegen sichForsthoff mit Grund wendet.

    4. Wie schon angedeutet, hat fr ihn geisteswissenschaftlichesVorgehen die Abdankung der juristischen Methode" 124 und eineheillose Auslieferung an die Philosophie, hinter deren jeweiligenSystemen sie berdies nachhinke, 124a an Philosopheme und Ideolo-gien, an Subjektivismus und divergierende Werte" zur Folge. Diesich hier auftuenden Schwierigkeiten sollen wahrlich nicht bagatel-lisiert werden, und es wre falsch, Forsthoffs Warnungen ohne kri-tische Besinnung einfach in den Wind zu schlagen. Es soll auch nichtgesagt sein, da das philosophische Fundament der Integrations-lehre Smends, gegen die er vornehmlich polemisiert, jeglicher Kritikentrckt sei. 125 Es kann ferner nicht verkannt werden, da heutige

    i 121 Umbildung S. 39. Allerdings wre dann alsbald zu fragen, wasman unter Positivitt versteht, ein durchaus klrungsbedrftiger Begriff.

    122 Umbildung S. 37.123 DCW S. 43.124 Umbildung S. 41.124a Vgl. Umbildung S. 41 u. 52.125

    Vgl. hierzu in erster Linie Smend selbst, Art. Integrationslehre,Hdwb SozWiss., Bd. V, S. 299 ff.; Momente der Korrektur sind auch inseinem Art. Staat, Ev. Kirchenlexikon, Bd. III (1959), Sp. 1105 ff. erkenn-bar. Vgl. ferner Hesse, Normative Kraft, S. 12 u. ., Hennis, a. a. 0. S. 22,Huling, Art. Integration, Staatslexikon 6, Bd. IV (1959), Sp. 341 ff.,und Ehmke, a. a. 0., wo S. 60 eine umfassende Wrdigung des Werkes vonTheodor Litt postuliert wird. Welches aber auch immer das Ergebnis einersolchen Untersuchung sein mag, es geht nicht an, die Philosophie Theodor

  • 184 Alexander Hollerbach

    Jurisprudenz oft zu schnell geneigt ist, zu Philosophemen und Wer-ten ihre Zuflucht zu nehmen, womit sie vielfach gerade die ihr auf-getragene Sachlichkeit" verfehlt. 125a Aber es ist vor einer juristi-schen Vogel-Strau-Politik zu warnen. Der Jurist mu sich derGefahr des Subjektivismus oder welcher notwendig mit unseren'Menschsein verbundenen Gefahr immer stellen; denn das Aus-weichen in die reine Positivitt und Technizitt des Rechts istimmer, wie Larenz zu Recht betont, eine Selbsttuschung". InWahrheit ist die Metaphysik, der man den offenen Zutritt versagt,in den unausgesprochenen Voraussetzungen immer schon enthal-ten. 126 hnlich mu man mit Coing die Meinung fr einenGrundirrtum" halten, man knne aus der Jurisprudenz alle Aus-legungsgesichtspunkte auer dem logischen ausschalten, man knnedie juristische Interpretation ausschlielich auf deduktive Logik zu-rckfhren und Wertgesichtspunkte vllig vermeiden" 127

    Litts kurzerhand als drittrangiges Philosophem" zu disqualifizieren; diesaber tut Forsthoff offenbar, wenn er anllich einer Besprechung von CarlSchmitts Verfassungsrechtlichen Aufsatzen (1958) sagt, das neue Werksehe sich einem Verfassungswesen konfrontiert, das im Begriff stehe, sei-nen juristischen Rang in der Hingabe an Gemeinpltze und drittrangigePhilosopheme zu verlieren" (Das historisch-politische Buch, 1958, S. 246).

    125a So fragt [...] etwa, allerdings ganz im Banne Forsthoffs, Scheer-barth, Ist im Verwaltungsrecht die Hermeneutik auf Abwegen?, DVB1.1960, S. 185 ff. Kritisch hierzu Hauseisen, Zur Rechtsfindung auf dem Ge-biet des Verwaltungsrechts, DVB1. 1960, S. 350 ff.

    ' 26 Larenz, a. a. 0. S. 290. Deshalb ist Forsthoffs relativ berech-

    tigter Ruf nach der Eigenstndigkeit der Rechtswissenschaft" gegen-ber der Philosophie (Umbildung S. 52 Anm. 30) im Grunde trgerisch.Will die Jurisprudenz nicht auf theoretische Fundierung und auf ihrenWissenschaftscharakter verzichten, und soll nicht doch die ernsthafte Ge-fahr bestehen, da das Rechtswesen auer Zusammenhang mit den gei-stigen Bewegungen der Zeit" (Umbildung S. 41 Anm. 9) gestellt wird, somu die Rechtswissenschaft (zumindest) fr philosophisches Fragen, unddas heit vordergrndig schlicht: ganzheitliches Fragen, Fragen nach demGrund, auf dem man sich bewegt, offen sein.

    ' 27 Coing, S. 22. Vgl. auch Bachof, S. 40 f.

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 185

    V. Verfassungswandlung und Umbildung"

    Nachdem versucht worden ist, in kritischer Beleuchtung die ver-schiedenen methodischen und sachlichen Elemente im Denken Forst-hoffs aufzuhellen, mu noch thesenhaft kurz auf das Problem derVerfassungswandlung eingegangen werden; alle jene Elementespielen hierfr eine Rolle.

    In dem zu besprechenden Aufsatz erscheint der Begriff der Verfassungs-wandlung undiskutiert. Andernorts kennzeichnet sie Forsthoff ausdrck-lich im herkmmlichen Sinne als Wandlung des materiellen Gehalts derVerfassung bei formell unverndertem Bestehen des Verfassungstextes" " 8 .Da Verfassung und Wirklichkeit" einander zugeordnet" seien, sei mitder Mglichkeit einer Verfassungswandlung als rechtlicher Gegebenheit",also einer nderung des Sinngehaltes" von Verfassungsnormen zu rech-nen. Eine Verfassungswandlung liegt aber nach Forsthoff nur dann vor,wenn sich in einem historischen Proze ein echter Wandel der Wirklich-keit" vollzogen hat; einmalige, in einem bestimmten historischen Ereignismanifeste, bewut-gesetzte oder intentional-gesteuerte Vernderungen derWirklichkeit knnen dagegen nicht Grundlage einer Verfassungswandlungim Rechtssinne sein.

    Bezglich der Umbildung" des rechtsstaatlichen Verfassungs-gefges unterscheidet Forsthoff in seinem Beitrag zur Carl-Schmitt-Festschrift zwei Arten von Verfassungswandlung 129 : einmal solche,die sich, ohne das Gefge grundstzlich in Frage zu stellen, lediglichals Zugestndnisse an die vernderte soziale Wirklichkeit", alsAdaptierungen" aus Grnden der Notwendigkeit" darstellen.Hier ist so gedacht, wie es schon oben charakterisiert wurde 130 :Norm und Wirklichkeit stehen sich grundstzlich als festgefgteBlcke gegenber. Verfassungswandlungen dieser Art sind vonjenen zu unterscheiden, die im Sinne einer Umbildung" das rechts-staatliche Gefge in seinem Wesensgehalt verndern. Als wichtig-stes Vehikel gerade einer solchen Verfassungswandlung erscheintbei Forsthoff die auf einer bestimmten staatsrechtlichen und

    128 Wehrbeitrag S. 326 f.128 Umbildung S. 35.130

    Vgl. o. S. 162.

  • 186 Alexander Hollerbach

    verfassungstheoretischen Methode aufbauende Verfassungsinter-pretation. Die Frage nach normativen Grenzen einer verfassungs-wandelnden Umbildung (oder nach Abhilfen dagegen!) wird nichtausdrcklich gestellt; doch wird man im Sinne Forsthoffs sagenmssen, da mit der grundstzlichen Vernderung eines begrifflichenGefges auch normativ die Grenzen einer Verfassungswandlungberschritten sind. Hier wird deutlich, wie eng fr ihn Verfassungs-wandlung und Begriffswandlung zusammenstehen. Der eigentlicheBezugspunkt, von dem aus beurteilt wird, ob eine Verfassungs-wandlung vorliegt oder nicht, ist dann in letzter Konsequenz,der sich freilich Forsthoff zumindest sehr anzunhern scheint nicht die konkrete Verfassung in ihrer Ganzheit, mit ihren anti-nomischen Prinzipien, sondern der Begriff, den man in der Verfas-sung rein institutionalisiert sieht. Es bedrfte einer umfassendenWrdigung des Grundgesetzes, um zu zeigen, da es die Elementedes Rechtsstaats, des Sozialstaats 131 und des Justizstaats bewutauf der Ebene des Verfassungsrechts zusammenordnet und geradeihr Spannungsverhltnis will, so da sie nicht gegeneinander aus-gespielt werden drfen. Das Grundgesetz hat mit der Sozialstaats-klausel, mit der Schaffung der Verfassungsgerichtsbarkeit und derallgemeinen Strkung der dritten Gewalt" diese Zusammenord-nung von vornherein intendiert. Es ist deshalb nicht mglich, hierinvorn Standpunkt des Grundgesetzes aus eine Verfassungswandlungzu sehen, allenfalls von einem reinen Typusbegriff des formalenRechts- bzw. Gesetzesstaats oder mglicherweise von der WeimarerReichsverfassung aus. Gewi, in der Verfassungspraxis hat sich die-ser Zug verstrkt, jener ist zurckgetreten, man kann Akzent-verschiebungen konstatieren; das soll nicht geleugnet werden undbedrfte im einzelnen sorgfltiger Untersuchung, vor allem im Hin-blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 132 Es

    131 Vgl. E. R. Huber, Zur Problematik des Kulturstaats, Tbingen 1958,

    S. 4: Das rechtsstaatliche und das sozialstaatliche Moment sind demmodernen Verfassungsstaat per definitionem zugeordnet . . . Der moderneStaat ist Verfassungsstaat in dem Ma, in dem er als Rechtsstaat undSozialstaat sich bewhrt."

    132 Vgl. W. Weber, Spannungen und Krfte im westdeutschen Ver-

    fassungssystem, 2. Aufl., Stuttgart 1958.

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 187

    gibt auch ein legitimes, vielleicht sehr spannungsgeladenes Einlebenin die Verfassung, wobei gewisse in der Verfassung angelegte Linienund Intentionen erst mit Leben erfllt werden und widerstreitendePrinzipien sich zu dem von der Verfassung gewnschten optimalenMa auspendeln. Es wird hier nicht untersucht, ob auch schon von-)Standpunkt des Grundgesetzes aus Flle echter Verfassungswand-lung festgestellt werden knnen; jedenfalls kann aber von einerUmbildung" im Sinne Forsthoffs, von einer Ablsung" desRechtsstaats durch den Justizstaat begrndetermaen nicht gespro-chen werden.

    Forsthoff behauptet, der Proze der Umbildung des Verfas-sungsgesetzes" mit seinen vollendeten oder sich anbahnenden Ver-fassungswandlungen sei untersttzt durch den Wechsel der herr-schenden staatsrechtlichen Methode, wenn nicht letztlich allein eineFolge davon. Er macht gewissermaen, wenn das so pointiert ge-sagt werden darf, Rudolf Smend fr alle von ihm kritisch analy-sierten Erscheinungen verantwortlich. 133 Nun kann sicherlich eingrundstzlicher Wandel in der Methode interpretative Verfassungs-wandlungen zur Folge haben. Aber einmal ist die Lehre Smendsnicht erst von 1949; zum andern ist die Frage, welche Methode dieangemessene ist, richtigerweise nicht allein abstrakt nach demRichtig" oder Falsch" der wissenschaftlichen Methoden, sondernin erster Linie von der konkreten Verfassungslage aus zu beurtei-len. Hier aber drfte es, schon von einem vordergrndigen histori-schen Sinnverstndnis her, als sicher gelten, da dem Grundgesetznichts ferner lag, als ein formal-technisches Verstndnis eines rei-nen, ausschlielich als institutionelles Gefge gesehenen Rechtsstaats

    133 Dabei ist Forsthoff dem methodischen Grundansatz und sachlichenAnliegen Smends schwerlich gerecht geworden. Was speziell dessen zu-gegeben: weiterer Klrung und Absicherung" bedrftige These vonder flieenden Geltungsfortbildung des gesetzten Verfassungsrechts"(Verfassung S. 242) anlangt, so bersieht Forsthoff vllig, da es frSmend, zumindest wenn man von ihm aus weiterdenkt, selbstverstndlichauch Grenzen der Geltungsfortbildung gibt. Vgl. auch Hesse, Der Rechts-schutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, Gttingen 1956,S. 28 ff., 33. Eine technisch-formalisierte Norm kann allerdings an einerGeltungsfortbildung nicht teilhaben.

  • 188 Alexander Hollerbach

    mit dessen Annahme Forsthoffs Interpretationsmethode stehtund fllt zu restaurieren.

    VI. Forsthoff und Max Weber

    Abschlieend wird in gedrngter Skizzierung versucht, den phi-losophisch-wissenschaftstheoretischen Wurzelgrund der Auffassun-gen Forsthoffs unter wissenschaftsgeschichtlichem Blickpunkt 134aufzuspren.

    In strkstem Mae zeigt sich Forsthoff von Max Weber 135 auf den er sich in seinen Schriften allenthalben als Autoritt be-ruft 136 - und damit vom Neukantianismus 137 beeinflut. Schonaus diesem Grunde mu brigens der Vorwurf, Smend huldige einerPhilosophie von vorgestern" 138, als rein zeitlich nicht zutreffendzurckgegeben werden. Einige Einzelmomente sind zur Sprache zubringen:

    Schon Erich Kaufmann 139 hat, u. a. gerade mit Blick auf MaxWeber, die fr die neukantische Richtung bezeichnende Ein-dimensionalitt des Denkens" deutlich signalisiert und hervorge-

    134 Vgl. auch Sontheimer, Zur Grundlagenproblematik der deutschen

    Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, ARSP XLVI (1960), S. 39 ff.135 Die Vermittlung durch Carl Schmitt, Webers gelehrigen Schuler"

    (Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920, Tubingen1959, S. 380), und dessen selbstndiger Einflu werden hier auer Betrachtgelassen. Vgl. Forsthoff, Der Staatsrechtler im Brgerkrieg. Carl Schmittzum 70. Geburtstag, in: Christ und Welt, Nr. 29 v. 17. 7. 1958, S. 14.Dieser Wrdigung Carl Schmitts ist Erich Kaufmann mit vollem Rechtentgegengetreten (Carl Schmitt und seine Schule. Offener Brief an ErnstForsthoff, in: Deutsche Rundschau, 84. Jg. 1958, S. 1013-1015).

    136 Vgl. etwa Umbildung S. 40, 52 f., 57; auch Grenzen des Rechts,Knigsberg 1941, S. 12, wonach Max Weber unverlierbare Einsichten indas Wesen des modernen Rechts" zu verdanken sind.

    137 Vgl. u. a. Erik Wolf, Max Webers ethischer Kritizismus und dasProblem der Metaphysik, in: Logos XIX (1930), S. 359 ff. (360).

    138 Umbildung S. 52.

    139 Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, Tbingen 1921,S. 64 ff., 75.

  • Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung? 189

    hoben, da isolierend-statisches Denken notwendig eine entgeisti-gende und entwirklichende Technisierung (Stilisierung, Formalisie-rung) zur Folge hat. Nicht als ob Kaufmann Notwendigkeit undBerechtigung der Technisierung, im besonderen der Rechtstechnikbersehen habe; aber er betont mit vollem Recht, da die Rechts-technik lediglich eine relative Berechtigung" habe, und wehrt sichdagegen, da man unter Verkennung ihrer Funktion die Technikzum Prinzip mache und so Recht ausschlielich als soziale Tech-nik" begreife. Eben dies ist aber kennzeichnend fr Max Webers An-schauung von Staat und Recht. Fr ihn ist der Staat Betrieb", ein,wie treffend gesagt worden ist, Konglomerat von Techniken" zubestimmten Zwecken 140, eine res fungibilis gewissermaen. Indembei Weber blo kausalwissenschaftlich-sozialtechnologisches" 141Vorgehen und der Gedanke der technisch-formalen Rationalisierungbeherrschend sind, kann er den Staat nur als ein auf Gewaltsam -keit gesttztes Herrschaftsverhltnis von Menschen ber Men-schen" 142, als rationalen Anstaltsbetrieb mit dem Monopolphysischer Gewalt 143 und die Verfassung als System praktischerSpielregeln 144 sehen. Diese Technisierung und Formalisierung beruhtletztlich, wie schon erkennbar wurde, auf der neukantischen Ent-gegensetzung von Wirklichkeit und Wert, von Norm und Faktum.Danach tritt alles geistige Wissen und Verhalten in ein wissen-schaftlich wertfreies und dmonisch wertendes" 145 auseinander.

    140 Smend, Verfassung S. 184 f.

    141 Smend, Verfassung S. 158 f. Zur Auseinandersetzung Smends mitMax Weber siehe auch Staat und Politik (1945), in: Staatsrechtliche Ab-handlungen, 1955, S. 370 ff., 375.

    142 Staatssoziologie (hrsg. v. J. Winckelmann), Berlin 1956, S. 28. Hier-

    zu Hennis, a. a. 0. S. 21 (vgl. oben Anm. 71); dort findet sich eine scharfeKritik an der technisch-formalen Rechts- und Staatsauffassung Max We-bers mit weiteren Hinweisen zur gegenwrtigen Max-Weber-Diskussion.Siehe dazu noch G. Richter, Max Weber als Rechtsdenker, Diss. iur., T-bingen 1953.

    143 Vgl. hierzu auch Winckelmann, Gesellschaft und Staat in der ver-stehenden Soziologie Max Webers, Berlin 1957, S. 41.

    144 Vgl. Mommsen, a. a. 0., S. 402.

    145 A. Bergstraesser, Max Weber. Der Nationalstaat und die Politik,

  • 190 A. Hollerbach: Auflsung der rechtsstaatlichen Verfassung?

    Mitbedingt durch die Wirkung der damals aufstrebenden Natur-wissenschaften, verschliet sich nach dieser Auffassung wahre Wis-senschaft" allen Problemen der Wertung, ist wertneutral. Ihr ober-stes Ziel ist Verzicht auf Spekulation. . . Analytische Arbeit, ohneVoraussetzung oder Zielsetzung eines Gesamtsinnes, Diagnose, nichtTherapie" 146. Dahinter stehen ein ethischer Kritizismus 147 mit derFolge eines historistischen Wertrelativismus und ein theoretischerAgnostizismus mit der Folge einer Staatsfremdheit. 148 Darber darfdas Positive solcher Haltung nicht bersehen werden; denn es wirdhier geradezu mit ethischem Rigorismus um entideologiserte, ent-mythologisierte Objektivitt gerungen. In der Forderung nachintellektueller Rechtschaffenheit" drckt sich dieses ernstzuneh-mende Ethos selbstkritischer Wahrhaftigkeit" 149 aus.

    Daran zu erinnern und zu solcher Haltung zu mahnen, ist wohlein Anliegen von Forsthoffs Abhandlung ber die Umbildung desVerfassungsgesetzes. Insofern ist sie positiv zu bewerten und knntesich trotz ihrer bisweilen allzu flchtigen Skizzenhaftigkeit mitihrer scharfen Analyse und Kritik in der verfassungstheoretischenGrundlagendiskussion als heilsam erweisen. Aber sie schlgt nichtden richtigen Weg zur Strkung der normativen Kraft der Ver-fassung" ein.

    in: Aus der Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaften zu Freiburg,hrsg. v. H. J. Wolff, Freiburg 1957, S. 73; vgl. auch Mommsen, a. a. 0.S. 69 ff.

    1" So treffend Erik Wolf, a. a. 0. S. 363. Von hier aus fallt ein deut-liches Licht auf Forsthoffs strukturanalytische" Intention und seine immerwieder betonte Urteilsenthaltung, vgl. oben B. Hierin kommt ferner dieNeigung zu einem soziologichen Positivismus zum Ausdruck, der sich derVerfallstheorie" bedient; zum letzteren vgl. Erich Kaufmann an derAnm. 135 genannten Stelle.

    147 Hierzu Erik Wolf, a. a. 0.

    148 Smend, Verfassung S. 123.

    149 Bergstraesser, a. a. 0. S. 73.

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