Hoppe Eigentum Anarchie Staat

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    Hans-Hermann HoppeEigentum, Anarchie und Staat

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    Studien zur Sozialwissenschaft

    Band 63

    Westdeutscher Verlag

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    Hans-Hermann Hoppe

    Eigentum, Anarchieund Staat

    Studien zur Theorie des Kapitalismus

    Westdeutscher Verlag

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    CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

    Hoppe, Hans-Hermann:Eigentum, Anarchie und Staat: Studien zur Theoried. Kapitalismus/Hans-Hermann Hoppe. Opladen:Westdeutscher Verlag, 1987.

    (Studien zur Sozialwissenschaft, Bd. 63)ISBN 3-531-11811-0

    NE: GT

    Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann.

    Alle Rechte vorbehalten 1987 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

    Das Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlichgeschtzt. Jede Verwertung auerhalb der engen Grenzen desUrheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzuls-sig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigungen,

    bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung undVerarbeitung in elektronischen Systemen.

    Umschlaggestaltung: studio fr visuelle kommunikation, DsseldorfDruck und buchbinderische Verarbeitung: Lengericher Handelsdruckerei, LengerichPrinted in Germany

    ISBN 3-531-11811-0

    PDF-Version von Gerhard Grasruck fr www.mises.de

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    Inhalt

    Einleitung ................................................................................................. 9

    Kapitel 1ber die Begrndbarkeit normativer Gesellschaftstheorien. Die Theorie desindividualistischen Anarchismus....................................................... 11

    Kapitel 2Vom Konzept der Wohlfahrtsmessung zur Theorie der Gerechtigkeit .. 27

    Kapitel 3

    Reine Theorie der sozialen Wohlfahrt.................................................... 57

    Kapitel 4Die Grundlagen der Eigentumstheorie ................................................... 67

    Kapitel 5Anarchie und Staat. Untersuchungen zur reinen Theorie

    gesellschaftlicher Ordnungen............................................................ 97

    1. Einleitung: Grundbegriffe ............................................................. 972. Theorie wirtschaftlicher oder anarchischer Ordnungen .............. 1012.1. Austauschhandlungen: direkt und indirekt ........................... 1012.2. Sicherheit: Recht und Strafrecht; Rechtsdurchsetzung und

    Rechtsfrieden ........................................................................ 1062.3. Gterkonzentration, Monopolisierung und Wettbewerb ...... 129

    3. Theorie politischer oder staatlicher Ordnungen .......................... 1423.1. Die Grundlagen des Staates .................................................. 142

    3.1.1. Gewalt ......................................................................... 1423.1.2. Umverteilung............................................................... 1453.1.3. Demokratisierung........................................................ 152

    3.2. Die Folgen des Staates.......................................................... 1613.2.1. Gewalt ......................................................................... 161

    3.2.2.1. Umverteilung: direkte Subventionierung........ 1673.2.2.2. Umverteilung: verstaatlichte Produktion ........ 172

    3.2.3. Demokratisierung........................................................ 182

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    AnbangVon der Strafunwrdigkeit unterlassener Hilfeleistung ...................... 189Literaturverzeichnis .............................................................................. 193Namensregister ..................................................................................... 199

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    Motto

    Es waren immer nur wenige Menschen, die sich fr Ideen interessierten; die bereitund fhig waren, sie zu berdenken und sie ohne Rcksicht auf persnliche Nach-teile auszusprechen. Wenn Erkenntnis sich nicht ohne Mehrheit fortpflanzenknnte, htte es nie irgendeinen Fortschritt gegeben. Denn es war immer leichter,

    durch Scharlatanerie, Doktrinarismus, Kriecherei, sanftes oder geschftiges Schn-reden berhmt zu werden oder Geld zu verdienen als durch logisches, furchtlosesDenken. Nein - die Grnde, warum menschliche Erkenntnis sich in der Vergangen-heit erweitern konnte und dies in Zukunft auch tun wird, ist, da wahre Einsichtenkumulativ sind und ihren Wert unabhngig von dem, was ihren Urhebern geschehenmag, behalten, whrend Moden und Sensationsmache ihren Impresarios unmittel-

    baren Profit bringen mgen, aber letztlich nirgendwohin fhren, sich gegenseitigausstechen und fallengelassen werden, sobald ihre Anstifter nicht mehr da sind oderdie Macht verloren haben, die Schau weiter zu vollfhren. Wir wollen jedenfalls

    nicht verzweifeln.Stanislav Andreski, Die Hexenmeister der Sozialwissenschaften, Mnchen 1977,S. 17

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    Einleitung

    Die folgenden Studien behandeln die Frage Wie soll eine Gesellschaft geordnetwerden; und warum so und nicht anders? Derart mit normativen Problemen befat,unterscheiden sie sich grundstzlich von der in der sozial- und politikwissen-

    schaftlichen Literatur gegenwrtig immer exklusiver gepflegten Form empirischerForschung, bei der normative Fragen entweder vollstndig ausgeblendet oder -verbreiteter noch und fragwrdiger! - durch beliebig herbeizitierte subjektiveMeinungen gelst werden, und die von daher praktisch irrelevant bleiben muoder als partikularistische (parteiliche) Propaganda einzustufen ist. Die vorlieg-enden Untersuchungen knpfen demgegenber bewut an die Tradition derKlassiker politischer Theorie an. Wie etwa Th. Hobbes oder J. Locke, D. Humeoder J. J. Rousseau, A. Smith oder K. Marx in ihren Arbeiten allgemein, objektiv

    begrndete Lsungen fr praktische Probleme formulieren wollen, so auch diese

    Arbeit; wie sie sich nicht an den methodisch-methodologischen Kanonempirisch-analytischer Forschung halten, so folgen auch die hier vorgelegtenStudien einer nicht-empirischen Forschungslogik; und wie sie sich nicht um dieGrenzen der wissenschaftlichen Fcherteilung kmmern (knnen), so reichen auchdie folgenden Analysen von Philosophie bis konomie.1

    In inhaltlicher Hinsicht fllt die vorliegende Arbeit nicht weniger aus demRahmen. Im Gegensatz zur von Th. Hobbes bis R. Nozick reichendenoffiziell-offizisen Tradition der politischen Theorie wird die These entfaltet und

    begrndet, da es fr die Existenz eines Staates (auch eines liberalen Minimal-staates) nicht den Schimmer rechtfertigbarer Grnde gibt. Moralisch lt sich eine

    Institution, deren Reprsentanten das Recht haben, unaufgeforderte, zwangsweiseEingriffe in bestehende Eigentumsrechte von Privatrechtssubjekten vorzunehmen,genauso wenig allgemein rechtfertigen wie eine Norm, die besagte Ich darf dichungestraft verprgeln, aber du nicht mich. Und konomisch ist es genausounsinnig, dem Staat die Produktion von Sicherheit anzuvertrauen wie die von Brotund Butter: ein Unternehmen, das sich nicht frei finanzieren mu, sondern dasRecht auf Besteuerung besitzt, wird immer nur minderwertige Produkte herstellen,knappe Ressourcen vergeuden und den gesellschaftlichen Wohlstand beeintrchtig-en. Moralisch und konomisch zu rechtfertigen, so wird gezeigt, ist demgegenber

    allein das System eines individualistischen (Privateigentum-)Anarchismus, d.i.eines 100 % Kapitalismus bzw. einer reinen Privatrechtsgesellschaft.Diese These wird, durch eine Reihe von Problemverstelungen hindurch, in fnf

    Studien und einem kurzen Anhang entwickelt und begrndet. Jede der Studien ist insich abgeschlossen; sie verbinden sich aber in der Reihe ihrer Anordnung zu einer

    1 Zur Leistungsfhigkeit empirischer Sozialforschung und zur demgegenber logischdominanten Rolle einer aprioristischen Handlungswissenschaft sowie deren Logik vgl. meineArbeiten: Kritik der kausalwissenschaftlichen Sozialforschung. Untersuchungen zur Grund-legung von Soziologie und konomie, Opladen 1983; Is Research Based on CausalScientific Principles possible in the Social Sciences, in: Ratio, XXV, 1, 1983.

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    sich systematisch erweiternden und vervollstndigenden theoretischen Einheit. Dieerste Abhandlung, die, anders als die brigen, fr Vortragszwecke geschriebenwurde, bernimmt es, einen der Logik von Vortrgen gem anregend-aufregendenberblick ber die Theorie zu bieten. Der Anhang hat den Charakter einer fr jededer folgenden Studien wiederholt aufklrenden Anmerkung.

    Die vorliegenden Untersuchungen wurden in intellektueller Isoliertheit

    geschrieben. Das war nicht anders erwartet worden; ich konnte jedenfalls nichterkennen, welchen deutschsprachigen Sozialwissenschaftlerbataillonen ich michhilfesuchend htte zuwenden knnen. Nur indirekte Einflsse sind von daher zuerwhnen: Der philosophisch geneigtere Leser wird in meiner Art der Verwendungtranszendentalphilosophisch angeregter Argumente den Einflu J. Habermas (der1974 mein Doktorvater war) erkennen. Unbersehbar dominierend freilich ist derEinflu, den die Schriften von L. v. Mises und M. N. Rothbard gehabt haben. Es istder logischen Kraft vor allem ihrer Argumente zuzuschreiben, wenn mit den vor-liegenden Studien eine Position bezogen und theoretisch begrndet wird, die mit(auch von mir) allzu lange allzu selbstverstndlich geschtzten berzeugungenradikal bricht.

    Dafr, da sie mich bei meiner Arbeit an den vorliegenden Untersuchungenimmer wieder unbeirrbar ermutigt hat, und dafr, da sie mich immer wieder davonzu berzeugen verstand, da Grund besteht, langfristig optimistisch zu sein, dankeich meiner Frau Margaret.

    Dafr, da es mir whrend der Zeit der Arbeit finanziell gut ging, danke ich derDFG, deren Heisenberg-Stipendiat ich von 1982-86 war.

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    Kapitel 1ber die Begrndbarkeit normativer Gesellschaftstheorien.Die Theorie des individualistischen Anarchismus

    I.Normative Gesellschaftstheorien lassen sich nicht wissenschaftlich begrnden;

    Annahme oder Ablehnung solcher Theorien ist mehr oder weniger Geschmacks-frage - diese Auffassung ist zwar keineswegs unbestritten (insbesondere unterPhilosophen1), aber vermutlich stellt sie unter Fachwissenschaftlern derzeit nachwie vor die Mehrheitsmeinung dar. - Demgegenber mchte ich zu zeigenversuchen, erstens, da sich Normen bzw. normative Gesellschaftstheorien nichtweniger streng begrnden lassen als Aussagen der empirischen oder analytischenWissenschaften. Im Verlauf dieses Nachweises will ich zweitens zeigen, welche

    Normen sich auf diese Weise begrnden lassen - nmlich die Normen, die dieGrundlage der sogenannten Theorie des individualistischen Anarchismus bilden2 -und welche Normen andererseits als unbegrndbar gelten mssen. Drittens mchteich verdeutlichen, in welchem Ausma faktisch existierende gesellschaftliche

    Normensysteme im eindeutigen Widerspruch zu diesem begrndungsfhigenNormensystem stehen. Und schlielich mchte ich, viertens, der Frage nachgehen,warum Gesellschaften, insbesondere die demokratischen Industriegesellschaften,trotz des Ausmaes derartiger Diskrepanzen, ein so hohes Ma an innerer Stabilittaufweisen.

    II.Ich beginne mit der Frage Was ist unter einer wissenschaftlichen Begrndung

    zu verstehen?, um dann die Begrndungsfhigkeit auch von Normen zudemonstrieren.

    1 Vgl. zu kognitivistischen Moralphilosophien z. B. K. Baier, The Moral Point of View,Ithaca 1958; M. Singer, Generalization in Ethics, London 1963; W. Sellars, Objectivity,Intersubjectivity and the Moral Point of View, in: ders. Science and Metaphysics, London

    1968; F. A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, Bd. II, Chicago 1976; P. Lorenzen,Normative Logic and Ethics, Mannheim 1969; K. O. Apel, Das Apriori derKommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik, in: ders. Transformation derPhilosophie Bd. II, Frankfurt/M. 1973.

    2 Vgl. zu dieser Theorie insb. M. Rothbard, For A New Liberty, New Vork 1978; ders.,Power and Market, Kansas City 1977; vgl. auerdem: J. Hospers, Libertarianism, LosAngeles 1971; A. Rand, The Virtue of Selfishness, New York 1965; dies. Capitalism: TheUnknown Ideal, New York 1966; T. Machan (ed.), The Libertarian Alternative, Chicago1974; D. Friedman, The Machinery of Freedom, New York 1973; R. Nozick, Anarchy, Stateand Utopia, New York 1974; H. H. Hoppe, Vom Konzept der Wohlfahrtsmessung zurTheorie der Gerechtigkeit. Zur Begrndung einer analytischen Theorie der sozialenWohlfahrt, in: Zeitschrift fr Politik 1982; in diesem Band Kap. 2.

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    Eine Aussage - etwa der empirischen Wissenschaften - gilt als begrndet, wennman sie als objektiv gltig nachweisen kann, im Unterschied zu Aussagen, dielediglich auf subjektiver Einbildung oder Geschmack beruhen. Diese Feststellungverschiebt aber das Problem nur: wenn begrnden heit als objektiv (und nicht

    blo subjektiv) begrnden, was macht dann eine Aussage zu einer objektivenAussage? Hier hrt man gelegentlich: die Tatsache, da Aussage und Realitt

    bereinstimmen. Aber diese Antwort ist natrlich falsch: denn auch dieFeststellung Aussage und Realitt stimmen berein ist ja zunchst einmal wiedernur eine weitere subjektive Aussage. Auch Personen, die fliegende Untertassenwahrnehmen, behaupten selbstverstndlich, da diese Aussage mit der Realittbereinstimmt, aber dennoch wrde man diese Wahrnehmung nicht als objektiv

    begrndet auffassen wollen. So kommt man also nicht weiter. Stattdessen wird -hier herrscht weitgehend Einigkeit in der Wissenschaftslehre - Objektivitt durchIntersubjektivitt definiert:3 objektive Aussagen sind intersubjektiv berprfbareAussagen. Aber was heit das? Bedeutet das, da Aussagen, um als objektiv geltenzu knnen, faktisch von jedermann besttigt sein mssen? Natrlich nicht! Wennman so weit ginge, gbe es in den gesamten Wissenschaften nicht eine einzigeobjektiv begrndete Aussage. Und eine so weitgehende Forderung wre auchunsinnig: Man wei nmlich, da es Personen gibt, die, weil Zeit knapp ist, etwasBesseres zu tun haben als an dem Proze der berprfung von Aussagenteilzunehmen; wir wissen, da es Personen gibt, die intellektuell unfhig sind,

    bestimmte Aussagen zu berprfen; wir wissen, da es Personen gibt, die, trotz Zeitund intellektuellem Vermgen, kein Interesse an der Verbreitung wahrer, sondernfalscher Informationen haben; und schlielich wissen wir, da Personen, trotzTeilnahme am berprfungsproze, weil sie unter Gewaltandrohung stehen,

    berhaupt nicht als autonome Subjekte mit einer eigenen Meinung gewertet werdenknnen, und somit als objektivierende Instanz von vornherein ausfallen.

    All dies wrde den Versuch, fr eine bestimmte Aussage eine faktischuniverselle Zustimmung zu erlangen, von Anfang an illusorisch erscheinen lassen.Dennoch lt sich der (empirische) Wissenschaftler in seinem Anspruch aufObjektivitt bekanntlich nicht beirren. Angesichts der Existenz von Schwach-kpfen, Lgnern usw. verlangt er jedoch von Aussagen, um als objektiv gelten zuknnen, nur, da sie im Prinzip intersubjektiv berprfbar sein mssen: objektiv

    begrndete Aussagen sind demnach solche Aussagen, denen jedermann quaautonomes (d. i. nicht unter Gewaltandrohung stehendes) Subjekt zustimmen kann,vorausgesetzt, man ist als solches ausschlielich an der Wahrheit interessiert, manist hierzu intellektuell befhigt, und man hat im brigen nichts Besseres zu tun, alsAussagen zu berprfen.4

    Auf diese Weise lassen sich auch Normen begrnden, das ist meine Behaup-tung. Aber welche Normen, und ist es nicht eine offene empirische Frage, welche

    Normen sich so, wenn berhaupt, begrnden lassen? Um mit dem zweiten Frageteilzu beginnen: Im Unterschied zu empirischen Aussagen lassen sich Normen ohne

    3 Vgl. z. B. K. Popper, Logik der Forschung, Tbingen 1969, S. 18 f.4 Vgl. hierzu und zum folgenden auch Kap. 3.

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    Rckgriff auf Erfahrung begrnden. Hierin den analytischen Disziplinen hnlicher,lt sich vielmehr ein quasi-aprioristischer Beweis bezglich der Begrndung

    bestimmter Normen fhren: wann immer nmlich ein Wissenschaftler behauptet,bestimmte Aussagen knnten als begrndet gelten, mu er bereits eine bestimmteNorm als begrndet unterstellen - und zwar die Norm du darfst, wenn du irgendetwas, ganz gleich was, als begrndet nachweisen willst, keine physische Gewalt

    gegen irgendjemanden ausben oder androhen. Diese Norm ergibt sich aus dergerade getroffenen Feststellung hinsichtlich der Bedeutung von Begrndung: denneine Aussage kann nur dann als begrndet gelten, wenn ihr jedes Subjekt quaautonomes Subjekt im Prinzip zustimmen kann; greift man jedoch in die Auto-nomie anderer Subjekte ein, indem man sie durch Gewaltanwendung oder -drohungfr die eigenen Zwecke instrumentalisiert (sei es, indem man jemanden gegenseinen Willen zur Teilnahme am berprfungsproze zwingt, oder sei es auch,indem man ihn gegen seinen Willen zur Aufgabe seines Interesses an der Aufrecht-erhaltung oder Verbreitung von Lgen zwingt und auf Wahrheit verpflichtet), dann

    begibt man sich gerade der Mglichkeit, irgendetwas noch als in der Sachebegrndet' nachweisen zu knnen. Die Norm keine Person hat das Recht, anderenPersonen gegenber physische Gewalt anzuwenden oder anzudrohen ist also(kantisch gesprochen) die Bedingung der Mglichkeit von wissenschaftlichenBegrndungen und mu insofern ihrerseits als begrndet gelten: Begrnden heitgewaltfrei begrnden, und Gewaltfreiheit mu darum von jedem Wissenschaftlerimmer schon, ob ihm dies bewut ist oder nicht, als allgemein anerkennungsfhigunterstellt werden.

    Dies wird vielleicht noch deutlicher, wenn man das Gegenstck zu der geradeangegebenen Norm formuliert, d. i. die Norm bestimmte Personen haben das Recht

    gegenber anderen Personen (ohne deren Zustimmung) physische Gewalt anzuwen-den bzw. Anzudrohen, und dann unmittelbar erkennt, da diese Norm (wie alleNormen, die sich hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bestimmungen auf sie logisch zu-rckfhren lassen) nicht als begrndungsfhig angesehen werden kann, weil ihr je-denfalls die Personen nicht qua autonome Subjekte zustimmen knnten, denengegenber die Norm Gewaltttigkeit zuliee.

    Ich nenne diese erste in quasi-aprioristischer Weise als begrndet nachge-wiesene Norm das Gewaltausschluprinzip. Neben diesem Prinzip, das einuneingeschrnktes Verfgungsrecht jeder Person ber ihren eigenen Krperfestlegt, und das umgekehrt jeden unaufgeforderten Eingriff in die physischeIntegritt des Krpers einer anderen Person als nicht begrndbare bzw. nichtrechtfertigbare Aggression einstuft, lt sich noch ein zweites Prinzip objektiv

    begrnden. Dies zweite Prinzip, das naturgem, um seinerseits als begrndetgelten zu knnen, mit dem ersten logisch kompatibel sein mu, heit das Recht aufursprngliche Appropriation.5 Es besagt: Jede Person kann - in Analogie zurVerfgungsgewalt ber ihren eigenen Krper - die Verfgungsgewalt ber alleanderen Dinge erlangen, die noch von keiner anderen Person bearbeitet worden

    5 Die Formulierung dieses Rechts findet sich im Grundsatz schon bei J. Locke, Zwei Ab-handlungen ber die Regierung, Frankfurt/M. 1967, 2. Abh. 5. Kap., insb. 27.

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    sind, sondern sich im Naturzustand befinden, indem sie diese Sachen ihrerseits alserste bearbeitet und damit fr jedermann erkennbar als ihr Eigentum sichtbar macht.Sind Dinge erst einmal auf diese Weise angeeignet worden, dann kann Eigentum anihnen nur noch aufgrund freiwilliger vertraglicher bertragung von Eigentumstitelnvon einer Person auf eine andere begrndet werden. Jeder Versuch, sich Eigentumauf andere Weise anzueignen, und jeder Versuch, das Eigentum anderer Personen

    unaufgefordert in seiner physischen Integritt zu verndern, ist - in Analogie zuAngriffen auf den Krper anderer Personen - eine nicht begrndbare bzw.rechtfertigbare Aggression.

    Die Kompatibilitt dieser Norm mit dem Gewaltausschluprinzip soll auf demWeg eines argumentum a contrario nachgewiesen werden: htte ich nichtdas Recht,Eigentum an unbearbeiteten Gegenstnden durch eigene Arbeit zu erwerben, undhtten andere Personen umgekehrt das Recht, mir den Eigentumserwerb an Dingen,die sie selbst nicht bearbeitet haben, sondern die entweder von niemandem oder nurvon mir bearbeitet worden sind, streitig zu machen,6 so wre dies nur denkbar,wenn man Eigentumstitel nicht aufgrund von Arbeit, sondern aufgrund bloerverbaler Deklaration begrnden knnte. Eigentumsbegrndung durch Deklarationist aber mit dem Gewaltausschluprinzip inkompatibel; denn knnte man Eigentum

    per Deklaration begrnden, so knnte ich auch den Krper anderer Personen alsmeinen Krper deklarieren und dann mit ihm tun und lassen, was ich will. Dasentspricht aber offensichtlich nicht der durch das Gewaltausschluprinzipgetroffenen Aussage, bei der eine eindeutige Unterscheidung zwischen meinemKrper und den Krpern anderer Personen getroffen wird, die nur deshalb soeindeutig mglich ist, weil - bei Krpern nicht anders als bei allen anderen Dingen -die Unterscheidung zwischen mein und dein nicht aufgrund von Worten,

    sondern aufgrund von Taten erfolgt: aufgrund der Feststellung nmlich, da etwasfaktisch - fr jedermann an sichtbaren Zeichen ablesbar - Ausdruck bzw. Vergegen-stndlichung meines Willens ist, oder Ausdruck bzw. Vergegenstndlichung einesanderen Willens.

    Damit ist die Kompatibilitt des Rechts auf ursprngliche Appropriation mitdem Gewaltausschluprinzip nachgewiesen, und das Recht auf ursprnglicheAppropriation als zweite allgemein begrndbare Norm etabliert. Umgekehrt mudas Gegenstck hierzu, wie auch intuitiv leicht erkennbar, als nicht allgemein

    begrndbar gelten: eine derartige Norm wrde nmlich im Klartext besagen, daandere Personen das Recht haben, mir ohne meine Zustimmung das wegzunehmenoder streitig zu machen oder in seiner physischen Integritt zu verndern, wasausschlielich Frucht meiner (und jedenfalls nicht ihrer) Arbeit ist - und fraglos

    6 Diese im folgenden zurckgewiesene Eigentumstheorie ist die Rousseaus. Vgl. dessenSchriften zur Kulturkritik, Hamburg 1971, S. 191/93, wo er gegen die Lockesche Theorieeinwendet: Der erste, der ein Stck Land eingezunt hatte und dreist sagte: Das ist meinund so einfltige Leute fand, die das glaubten, wurde zum wahren Grnder der brgerlichenGesellschaft. Wieviele Verbrechen, Kriege, Morde, Leiden und Schrecken wrde einer demMenschengeschlecht erspart haben, htte er die Pfhle herausgerissen oder den Grabenzugeschttet und seinesgleichen zugerufen: Hrt ja nicht auf diesen Betrger. Ihr seid alleverloren, wenn ihr verget, da die Frchte allen gehren und die Erde keinem.

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    wre eine solche Norm (wie alle normativen Bestimmungen, die sich auf sie logischreduzieren lassen) fr mich qua autonomes Subjekt unannehmbar.7

    III.Soweit zur Darstellung der Theorie in abstracto und zum Nachweis ihrer

    objektiven Begrndbarkeit. Ich komme nun zu der Frage der Anwendung derTheorie, der Frage, in welchem Ausma faktisch geltende gesellschaftlicheNormensysteme in bereinstimmung mit diesem rechtfertigbaren Normensystemstehen oder nicht. Allgemein formuliert gilt: alle Handlungen bzw. Manahmensind rechtfertigbar, die in bereinstimmung mit den gerade formulierten Prinzipienstehen; alle Handlungen bzw. Manahmen dagegen, die mit den Bestimmungendieser Regeln nicht im Einklang stehen, oder die mit diesen Regeln unvereinbareRegeln durchzusetzen versuchen, mssen als nicht begrndbar gelten.

    Nicht zuletzt im Hinblick auf die folgenden Ausfhrungen soll kein Zweifelhinsichtlich der Bedeutung dieser Feststellung aufkommen. Mit dieser Feststellung

    wird natrlich keineswegs ausgeschlossen, da Personen dessen ungeachtet andereRegeln durchzusetzen trachten. Die Situation in Bezug auf Normen ist nicht andersals in Bezug auf Aussagen der empirischen Wissenschaften: Auch die Tatsache, da

    bestimmte empirische Aussagen begrndet sind und andere nicht, impliziertmitnichten, da Personen nur begrndete Aussagen vertreten, und in ihren Hand-lungen nur von begrndeten Aussagen ausgehen. Personen knnen nicht nurtatschlich von falschen empirischen Annahmen ausgehen, sie knnen sogar einausgesprochenes Interesse an der Verbreitung oder Aufrechterhaltung falscherempirischer Informationen haben. Gleichwohl behlt die Unterscheidung von

    begrndeten und unbegrndeten empirischen Aussagen ihren Sinn: man schlietnicht aus der Tatsache, da bestimmte Personen falsche berzeugungen teilen oderverbreiten, da es zwischen wahren und falschen Aussagen keinen Unterschiedgibt, sondern diejenigen Personen, die dies tun, werden entweder als uninformiert

    7 Wie die Rousseausche Eigentumstheorie als objektiv unrechtfertigbar zu gelten hat, sobrigens auch eine Theorie, die, anstelle des Gebots, man solle sich jedes unaufgefordertenEingriffs in die physische Integritt des Eigentums anderer enthalten, verlangt, man sollesich jeden Eingriffs enthalten, der den Wertdes Eigentums anderer (negativ) berhrt. Zumeinen hat letztere Theorie offensichtlich absurde Konsequenzen: denn whrend eine Person

    selbst im Prinzip die Kontrolle darber besitzt, ob ihre Handlungen diephysische Integrittvon etwas berhren oder nicht (und man also Kontrolle darber besitzt, ob man gerecht oderungerecht handelt), liegt die Kontrolle darber, ob jemandes Handlungen den Wert desEigentums anderer berhren, nicht bei einem selbst, sondern bei nicht vorweg bestimmbarenanderen Personen und deren immer subjektiven Bewertungen (und also htte niemand mehrKontrolle - ex ante - darber, ob seine Handlungen als rechtfertigbar oder unrechtfertigbar zuqualifizieren wren). - Zum anderen ist letztere Theorie, und das ist entscheidend fr ihreEinstufung als unrechtfertigbar, mit dem Gewaltausschluprinzip inkompatibel: denn dasGewaltausschluprinzip schtzt die physische Integritt des Krpers einer Person, aber dieseallein schon kann z. B. den Wert anderer Personen - etwa auf dem Beschftigungsmarkt, oderdem Heiratsmarkt - berhren; folglich mte man Eingriffe in die physische Integritt vonPersonen vornehmen drfen, wollte man den Wert von Personen schtzen.

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    bezeichnet, oder als bewute Lgner. Entsprechendes gilt im Hinblick auf Normen:natrlich gibt es Personen - sogar in riesiger Anzahl - die nicht entsprechend dengerade als begrndet nachgewiesenen Normen handeln oder andere Normen

    propagieren. Aber die Unterscheidung von begrndbaren und nicht begrndbarenNormen bricht damit sowenig zusammen wie die von wahr und falsch aufgrundder Existenz uninformierter oder lgender Personen zusammenbricht; sondern Per-

    sonen, die andere Normen vertreten, mssen - wieder - entweder als uninformiertoder als unehrenhaft gelten, sofern man ihnen nmlich einsichtig gemacht hat, dadie von ihnen propagierten Normen zwar angesichts bestimmter Interessen ver-stndlich sein mgen, aber doch keiner allgemeinen Begrndung fhig sind.

    Untersucht man nun die bereinstimmung von gesellschaftlicher Realitt unddem begrndungsfhigen Normensystem, so ergibt sich zunchst diese wenig ber-raschende erste Feststellung: Mord, Totschlag, Krperverletzung, Raub, Betrug,Vertragsbruch sind offensichtlich Taten, die nicht in bereinstimmung mit demdargestellten Regelsystem stehen und also als unrechtfertigbar zu gelten haben.Dann aber kommt eine berraschende zweite Feststellung, die im brigen erklrt,warum die normative Gesellschaftstheorie, die hier dargelegt wird, Theorie desindividualistischen Anarchismus oder auch private property anarchism genanntwird.8 Sie lautet: es gibt in der Realitt nur eine Gruppe von Personen, dieregelmig gegen das dargestellte, objektiv begrndbare Regelsystem verstoen,und dennoch regelmig ungestraft davonkommen kann (Mrder, Betrger,Vertragsbrecher u.. gehen in keiner Gesellschaft regelmig straffrei aus!) - dieGruppe der den Staat und seine Organe verkrpernden Personen. Staaten, um esabgekrzt zu sagen, begehen permanent nicht zu rechtfertigende und insofern alsAggression zu bewertende Handlungen gegenber Personen, die sich ihrerseits

    keinerlei Aggression gegen Krper oder Eigentum anderer Personen habenzuschulden kommen lassen.

    Um gleich die bedeutendste Form staatlicher Aggression anzusprechen: Staatenerzwingen permanent einen nicht-freiwilligen Leistungsaustausch zwischen sichund Brgern. Whrend man sich normalerweise - in bereinstimmung mit demrechtfertigbaren Regelsystem - (wenn man es aus eigener Kraft nicht kann) seinEinkommen dadurch sichert, da man Personen findet, die im Austausch gegen

    bestimmte Leistungen (Arbeit) freiwillig bestimmte Gegenleistungen (Geld)anbieten, finanziert sich der Staat aus Steuern, und Steuern sind Zwangsabgaben.Steuern werden nicht freiwillig im Austausch gegen bestimmte vom Staatangebotene Leistungen gezahlt, sondern man wird hierzu - bei Gewaltandrohungfr den Fall der Zuwiderhandlung - gezwungen. Ohne da der Brger seinerseitseinen aggressiven Akt gegen Krper oder Eigentum einer anderen Person begangenhtte, wird er zum Opfer staatlicher Aggression gemacht. Nun sage man nicht:Aber man bekommt doch eine Gegenleistung fr sein Geld. In der Tat. Aber wieder Filmfreund wei: auch der Ruber, der sein Handwerk nicht nur einmal,

    8 Vgl. L. Moss, Private Property Anarchism: An American Variant, in: FurtherExplorations in the Theory of Anarchism, (ed. G. Tullock), Blacksburg 1974; vgl. auerdemJ. R. Pennock/J. W. Chapman (eds.), Anarchism: Nomos XIX, New York 1978.

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    sondern dauerhaft betreiben will, bietet dem Opfer seiner erpresserischen AktionenSicherheit und Schutz frs Geld, um sich den Schein der Ehrenhaftigkeit zu gebenund seine auf Gewalt gegrndete Herrschaft damit stabilisieren zu helfen. Diestaatliche Methode, Geld zu verdienen, unterscheidet sich in nichts von derVorgehensweise derartiger Ruber-Schutzpatrone.

    Zum gleichen Typus staatlicher Aggression gehrt die Durchsetzung einer

    Wehrpflicht (Ersatzdienst). Auch hier erzwingt der Staat die Erbringung bestimmterLeistungen durch Personen, die sich keines Verstoes gegen begrndungsfhige

    Normen schuldig gemacht haben. Wehrpflicht ist von daher nichts anderes alsSklaverei (im Unterschied zu freier Lohnarbeit) auf Zeit - und wie diese keinerobjektiven Rechtfertigung fhig.

    Daneben gibt es einen kaum weniger wichtigen zweiten und dritten Typusstaatlicher Aggression gegenber ihrerseits strikt nach rechtfertigbaren Normenhandelnden Personen. Einmal greift der Staat dauernd in die Rechte isolierter (d. i.nicht austauschender) Personen ein, zum anderen in die Rechte (Vertragsfreiheit)von Austauschpartnern, indem er (beidemal) die Durchfhrung oder die Unterlas-sung von Handlungen erzwingt, deren Durchfhrung oder Unterlassung in keinerWeise als Angriff auf Krper oder Eigentum fremder Personen gewertet werdenknnte und natrlich handelt, wer rechtfertigungsfhige Handlungen verbietet,selbst in nicht begrndungsfhiger Weise.9

    Die Beispiele, die man hier anfhren kann, sind so zahlreich, da man Stundenzubringen knnte, sie aufzufhren. Ich will nur einige wenige aufzhlen: einige, dieden Linken gefallen werden, und einige, an denen Rechte ihre Freude haben werden- alle Aussagen ergeben sich jedoch aufgrund identischer Prinzipien, und man kannnur um den Preis von Inkonsistenzen die eine begren und die andere nicht.10

    Es ist eine Aggression gegen nicht-aggressive Personen, wenn der Staatisolierten Individuen verbietet, den Bundesprsidenten, die Bundesrepublik, derenSymbole oder Verfassungsorgane, oder auch den lieben Gott zu verunglimpfen;denn wessen Krper oder Eigentum wird durch solche Handlungen in seiner

    physischen Integritt beeintrchtigt? Ebenso ist es eine Aggression diesmal und inden folgenden Beispielen nicht gegenber einem Einzelnen, sondern gegenbereinem Paar austauschender Personen, wenn der Staat einen freien Drogenhandelunterbindet; denn wen (auer vielleicht mich selbst) schdige ich, wenn ich einenJoint rauche oder Koks schnupfe! Es ist eine Aggression, wenn man Eigentmer anProduktionsmitteln zwingt, anderen Personen hierber Mitbestimmungsrechteeinzurumen denn hier wird jemandem, der weder gegen Krper noch Eigentumanderer Personen eine Aggression begangen hat, verboten, sein Eigentum betref-fende Vertrge nur zu den von ihm selbst fr angemessen gehaltenen Bedingungenabzuschlieen. Es ist eine Aggression, wenn man diejenigen, die das Eigentumanderer durch ihre Handlungen in der physischen Integritt beeintrchtigen, indem

    9 Vgl. zu einer im Detail ausgearbeiteten Typologie staatlicher Aggressionsformen M.Rothbard, Man, Economy and State, 2 Bde, Los Angeles 1970.

    10 Zur Inkonsistenz der Linken wie der Rechten vgl. auch M. Rothbard, For A NewLiberty, New York 1978, S. 23 ff

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    sie es beschmutzen und verunreinigen (ohne da hierfr eine Zustimmung vorliegenwrde), und die damit zum Aggressor gegen fremdes Eigentum werden, vor dengerechtfertigten Schadensersatzforderungen der Opfer weitgehend schtzt und sichso zum Komplizen der Aggression macht.11 Es ist eine Aggression, wenn man dasBetreiben privater Rundfunk- und Fernsehstationen untersagt; denn wenn einUnternehmer dafr sein Geld aufs Spiel setzt, und wenn ich ihm als Konsument

    solcher Stationen bei der Finanzierung freiwillig helfe, gegen wen oder wessenEigentum sind er oder ich dann in unrechtfertigbarer Weise vorgegangen? Undschlielich: auch dadurch, da der Staat verbietet, da Personen gem ihrem Rechtauf ursprngliche Appropriation Eigentum an Dingen wie Bodenschtzen, Flssen,Meeren, Luftraum usw. erwerben, macht er sich zum Aggressor gegen friedlichePersonen; denn dies drfte der Staat nur, wenn er selbst der Eigentmer dieserDinge wre. Tatschlich ist dies aber nicht der Fall, weil diese Dinge entweder nachwie vor in einem unbearbeiteten Zustand sind (Meere, Bodenschtze), und daherniemandem gehren, oder weil (wenn dies nicht so sein sollte) die staatlicheAneignung aufgrund der Finanzierung der Appropriierungsakte durch vorange-gangene Besteuerung als ungltig zu werten ist.12

    IV.Ich nehme an, da die vorstehenden Ausfhrungen klar gemacht haben, in

    welchem Ausma faktisch existierende gesellschaftliche Normensysteme imGegensatz zu einem objektiv begrndungsfhigen Normensystem stehen, undinwieweit sie von daher als unrechtfertigbar gelten mssen. Die Konsequenz liegtauf der Hand: will man eine Gesellschaft, die auf rechtfertigbaren Grundlagen

    beruht (und kann man als Wissenschaftler, der doch angeblich in seinem Tun derWahrheit verpflichtet ist, etwas anderes wollen?), dann hat man auf grundlegendennderungen zu bestehen. Nicht weniger als die Abschaffung des Staates mu dann

    11 Es ist bezeichnend, da solche Akte der Umweltverschmutzung bis ins 19. Jahrhundertauch eindeutig als strafwrdige Handlungen klassifiziert wurden (vgl. M. Rothbard, a.a.O., S.257); erst im Zuge einer dann einsetzenden bewuten staatlichen Frderung des Prozessesder Industrialisierung wurden diese Regelungen durch neue gesetzliche Bestimmungenabgelst, die diese unrechtfertigbaren Eingriffe legalisierten. Vgl. auch L. v. Mises, HumanAction. A Treatise on Economics, Chicago 1966, S. 655 f.

    12 Durch das Verbot privater Appropriierung der genannten Gter werden diese demObjektbereich des Privatrechts und seiner Bestimmungen ber Haftung und Schadensersatz(ber das in Anm. 11 Gesagte hinaus) vollstndig entzogen. - Fr im Gemeineigentumbefindliche Gter gibt es dann jedoch niemanden mehr, der, weil er durch bergriffe auf seinEigentum hinsichtlich seiner Einkommens- und Vermgensverhltnisse persnlichgeschdigt wrde, noch ein unmittelbares Interesse an der Verfolgung solcher bergriffebesitzen wrde. Die Verfolgung wird vielmehr, das kennzeichnet die gegenwrtigeRechtslage, abhngig von bloen politischen Opportunittserwgungen. Es ist von daheralles andere als ein Zufall, wenn gerade die im Gemeineigentum befindlichen Gterbevorzugte Gegenstnde von Umweltverschmutzung sind. Hierin, wie es z. B. die Grnentun, ein Versagen des Kapitalismus zu sehen, bezeugt nur, da man buchstblich nicht wei,wovon man redet. Vgl. auch Anm. 11.

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    verlangt werden; denn nur solche Handlungen lassen sich rechtfertigen, die inbereinstimmung mit dem Gewaltausschluprinzip und dem Recht aufursprngliche Appropriation stehen. Die Existenz des Staates jedoch stellt, alleininsoweit sie auf Steuern beruht, eine eklatante Verletzung dieser Prinzipien dar. Die

    jetzt staatlicherseits erbrachten Leistungen lassen sich nur dann - und nur in demAusma - rechtfertigen, in dem sie auch von freifinanzierten Unternehmungen

    angeboten werden knnen. Objektiv rechtfertigbar ist nur das System eines mitAnarchie identischen 100 %igen Kapitalismus.

    Wenn dies so ist, wie kommt es dann, da insbesondere die demokratischverfaten Industriegesellschaften des Westens, aber auch die kommunistischenGesellschaften des Ostens, ein so hohes Ma an Stabilitt aufweisen? Diese Fragedrngt sich um so mehr auf, als der Umfang des in seiner Existenz unrechtfertig-

    baren Staatsapparates seit Jahrhunderten stndig zugenommen hat. Bertrand deJouvenel hat dies in seinem Buch ber das Wachstum der Staatsgewalt seit dem 11.und 12. Jahrhundert, der Zeit, in der sich die ersten modernen Staaten zu formieren

    beginnen, eindrucksvoll dargestellt.13Jahrhundertelang gebieten Staaten nur ber hchst bescheidene Einknfte; oft

    mssen die Knige bei den Reichen des Landes regelrecht betteln; an die Unter-haltung eines stehenden Heeres und einer Polizeitruppe ist gar nicht zu denken;Kriege sind nach Dauer und Umfang hchst begrenzt, mssen weitgehend ausPrivateinknften bestritten werden und fhren zu langandauernder Verschuldung

    bei Kreditgebern;14 die Durchsetzung einer regelmigen Besteuerung und einerWehrpflicht ist infolge des Widerstands der Bevlkerung illusorisch.15 Selbstwhrend der hohen Zeit des Absolutismus, bei Ludwig XIV., gelingt es nicht, eineallgemeine Wehrpflicht durchzusetzen, und brechen die stndig wachsenden Be-

    mhungen, ein System regelmiger Besteuerung zu etablieren, immer wiederwenigstens zeitweise zusammen oder werden weitgehend unterlaufen.16

    Inzwischen hat die Staatsquote (Anteil der Staatseinnahmen einschlielichSozialversicherung am Bruttosozialprodukt) in der Bundesrepublik ungefhr 40 %erreicht, in den Niederlanden und Schweden liegt sie bei ca. 50%, in der Schweiz

    13 B. de Jouvenel, ber die Staatsgewalt, Freiburg 1972.14 Vgl. z. B. die aufschlureichen Ausfhrungen noch ber die Kriege im Zeitalter

    Napoleon I. bei R. Friedenthal, Goethe. Sein Leben und seine Zeit, Mnchen 1977, S. 501 f.15 Vgl. z. B. G. M. Trevelyan, English Social History, London 1977. Er stellt dort z. B.

    (S. 106) auf das 16. Jahrhundert bezogen fest: An obstinate refusal to pay taxes was acharacteristic of the English at this period. A new tax of any weight, even though voted byParliament, was liable to produce a rebellion in some part of the country, and the Tudors hadno standing army. - Vgl. auch folgende Beobachtung (B. Leoni, Freedom and the Law,Princeton 1961, S. 119/20): As has been pointed out by some scholars (for instance, byMcKechnie in his Commentary in Magna Charta (1914, an early medieval version of theprinciple no taxation without representation was intended as no taxation without theconsent of the individual taxed and we are told that in 1221 the Bishop of Winchestersummoned to consent to a scutage tax, refused to pay, after the council made the grant, onthe ground that he dissented, and the Exchequer upheld his plea.

    16 Vgl. W. Treue, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit Bd. 1, Stuttgart 1973, S. 91 ff.

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    auf Max Weber zurck20 - Macht (und Herrschaft als deren institutionalisierteForm) als Chance definiert, fr bestimmte Verhaltenserwartungen bei anderenPersonen Gehorsam zu finden. Da bei dieser Definition die Methode, mit der derGehorsam erreicht wird, auer Acht bleibt, macht man hiermit politische undwirtschaftliche Macht zunchst vergleichbar. Dies fhrt dann dazu, da man dasAugenmerk auf die Gre machtausbender Institutionen verlagert; hier stellt man

    fest, da manche wirtschaftliche Organisation, insbesondere die multinationalenKonzerne, so gro wie oder grer als staatliche Apparate sind, und schon hat mandas Ergebnis, auf das es ankommt: da man sich eher um die Macht solcherKonzerne zu sorgen habe als um die des Staatsapparats bzw. da die Sorge umletztere jedenfalls kein besonderes Problem darstelle.21

    So offenkundig diese Argumentationskette fadenscheinig ist - in weitensozialwissenschaftlichen Kreisen wird sie wirksam geglaubt und propagiert.Darber hinausgehend ist sie jedoch wohl kaum als volkstmlich zu bezeichnen:der Normalbrger wei, da unternehmerische Macht nicht wie staatliche auf

    Gewalt gegrndet ist, sondern sich als Ergebnis freiwilliger (jedenfalls nichterzwungener) Kaufentscheidungen ergibt, und er wei, da dies einen erheblichenUnterschied darstellt - nmlich den zwischen rechtfertigbaren und nichtrecht-fertigbaren Handlungen.22

    20 Vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tbingen 1972, S. 28.21 Als typisches Beispiel derartiger Machttheorien vgl. A. Berle, Macht, Hamburg 1973;

    zur Kritik solcher Theorien vgl. insb. F. A. Hayek, The Constitution of Liberty, Chicago1960, insb. Kap. 9. - Die angesprochene Ausweitung' des Machtbegriffs, in deren Folge der

    Unterschied zwischen erzwungenem und nicht-erzwungenem Handeln mehr oder wenigerzum Verschwinden gebracht wird, hat u. a. auch dazu gefhrt, da man in derOrganisationssoziologie und der Brokratiesoziologie zwischen wirtschaftlichen undpolitischen Organisationen bzw. Brokratien zunehmend keinen Unterschied mehr sieht. ZurKritik derartiger Vorstellungen vgl. vor allem L. v. Mises, Bureaucracy, New Haven 1944.

    22 Zwei andere, ebenfalls im wesentlichen auf Intellektuellenkreise beschrnkte Staats-Rechtfertigungsideologien sollen zumindest noch erwhnt werden. - Die eine geht u. a. aufHobbes zurck und besagt, da im vorstaatlichen Zustand nicht zwischen Recht und Unrechtunterschieden werden kann (vgl. Th. Hobbes, Leviathan, Neuwied 1966, S. 98), sondern dadiese Unterscheidung erst mit der Existenz eines rechtsetzenden Staates auftritt. DieKonsequenz dieser positivistischen Rechtsauffassung ist bekannt: dann ist alles, was ein

    Staat als Recht setzt, Recht, und keinerlei (sich immer auf vorstaatliche Normen sttzende)Beschrnkungen staatlicher Willkr sind denkbar. - Die entscheidende Schwche dieserAuffassung ist jedoch, da sie genau das, was sie zu leisten vorgibt, nicht leisten kann:nmlich eine Recbtfertigungdes Staates und staatlicher Normierungen; denn der bergangvom vor-staatlichen Zustand in den Staatszustand knnte ja nur dann als gerechtfertigt (undnicht als willkrlich) gelten, wenn es eine vor-staatliche Norm gbe, aufgrund deren er sichbegrnden liee. (Die von Hobbes zu diesem Zweck - gemessen an seinen eigenen o. a.Prmissen: illegitimerweise - vorgeschlagene Einfhrung der vor-staatlichen Norm du bistverpflichtet, den Frieden zu suchen erweist sich brigens hierzu als untauglich, weil sienicht angibt, im Rahmen welchen Rechtssystems man Rechtsfrieden halten soll, und Friedenim Rahmen beliebig festgesetzter Rechtsregeln natrlich keinen allgemeinanerkennungsfhigen Wert darstellt.) (Zur Kritik der positivistischen Rechtsauffassung vgl.

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    Volkstmlicher, und wenn man so will: gefhrlicher, ist eine andere Ideologie,die in letzter Zeit insbesondere von konomischer bzw. finanzwissenschaftlicherSeite eine pseudowissenschaftliche Untermauerung erfahren hat: es handelt sich umdie Auffassung, da bestimmte Gter vom Markt grundstzlich nicht angebotenwerden knnen, und da hier also der Staat einspringen mu. Technisch sprichtman von sogenannten ffentlichen oder kollektiven Gtern, wobei man vor allem

    an die klassischen Staatsaufgaben der Herstellung von Law und Order undbestimmte Infrastrukturaufgaben denkt.23

    Dieser Ideologie mu auf zwei Ebenen begegnet werden: einmal auf derempirisch-historischer Argumentation, dann auf der systematischer berlegungen.Zunchst mu festgehalten werden, da es nicht eine einzige staatliche Leistunggibt, die nicht auch von privaten, sich keiner Aggression schuldig machendenOrganisationen entweder bernommen worden ist oder noch bernommen wird:dies ist so in bezug auf die Bereitstellung prventiver wie vollstreckender Sicher-heitsleistungen; es gilt fr Rechtssprechung, Hilfeleistung fr Bedrftige,Ausbildung und Bildung, fr Feuerwehr und Post, fr Bahn, Straenbau, Militrund Versicherungswesen. Das Argument, bestimmte Arten von Leistungen knntenvon Privaten grundstzlich nicht angeboten werden, ist also empirisch falsch.24

    insb. F. A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, 3 Bde, Chicago 1973-79). Die zweiteIdeologie geht u. a. auf Locke zurck, der zunchst, im Unterschied zu Hobbes,korrekterweise vorstaatliche Rechte anerkennt (das Gewaltausschluprinzip, und das Rechtauf ursprngliche Appropriation einschlielich Vertragsfreiheit), und dann die Existenz desStaates durch die Konstruktion impliziter bzw. stillschweigender Vertrge zu begrndenversucht. (Vgl. J.Locke, Zwei Abhandlungen ber die Regierung, Frankfurt/M. 1967, 2.

    Abh., insb. 119) - Dieser Begrndungsversuch scheitert, weil implizite Vertrge nicht nurmit Lockes eigenen vorstaatlichen Rechten inkompatibel sind (die erlauben nur expliziteVertrge, von denen Locke deutlich sieht, dasie jedenfalls nichtdie Grundlage der Existenzdes Staates sind) - implizite Vertrge sind vielmehr das genaue Gegenteil von Vertrgen (d. i.keine Vertrge); denn sie sollen gerade solche Verpflichtungen begrnden, die manausdrcklich nicht eingegangen ist. Eine Norm aber, die besagte du kannst auch solcheVerpflichtungen bernommen haben - und zu ihrer Einhaltung gezwungen werden - vondenen du ausdrcklich erklrst, da du sie nicht bernehmen willst, und die du auch nichtausdrcklich bernommen hast ist offensichtlich nichtallgemein anerkennungsfhig. (Trotzder Absurditt der Konstruktion impliziter Vertrge, die an Orwells fr 1984 vorgeseheneSprachreformen erinnert (,kein Vertrag ist trotzdem einer') machen Politiker regelmig

    ungenierten Gebrauch von ihr, indem sie auf meinen Auftrag verweisen, wenn sie michunaufgefordert beherrschen.)

    23 Zu dieser Theorie vgl. z. B. R. Musgrave, Finanztheorie, Tbingen 1966, insb. S. 7-19u. S. 71 ff.; auerdem auch P. Samuelson, Economics, New York 1976, insb. S. 159 ff.;ders., The Pure Theory of Public Expenditure, Review of Economics and Statistics, 1954; zurKritik vgl. die an Klarheit kaum zu bertreffenden Ausfhrungen bei L. v. Mises, HumanAction. A Treatise on Economics, Chicago 1966, insb. S. 654 ff., sowie M. Rothbard, Man,Economy and State, Los Angeles 1970, S. 883 ff.

    24 Vgl. hierzu vor allem M. Rothbard, For A New Liberty, New York 1978; auerdem seipauschal auf eine Vielzahl von Artikeln zu diesem Thema verwiesen, die inzwischen in demseit 1977 erscheinenden, interdisziplinren (von Rothbard herausgegebenen) Journal ofLibertarian Studies erschienen sind.

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    Und in systematischer Hinsicht steht es mit der Validitt des Arguments nichtbesser: zunchst gelingt es den Theoretikern ffentlicher Gter nicht, eineDefinition dieser Gter zu geben, aufgrund deren eine eindeutige Unterscheidungzweier Gterklassen mglich wrde - der ffentlichen, die vom Staat oder mitseiner Hilfe, und der nicht-ffentlichen, die von Privaten bereitgestellt werden(diese Tatsache berrascht vermutlich aufgrund der gerade getroffenen empirischen

    Feststellungen nicht mehr!): ffentliche Gter werden nmlich definiert als solcheGter, deren Nutznieung nicht eindeutig auf den Kreis der sie tatschlichfinanzierenden Personen eingegrenzt werden kann; es sind, kurz gesagt, Gter, vondenen auch Personen profitieren, die sich an ihrer Bezahlung nicht beteiligen.Zweifellos trifft diese Charakterisierung auf manche staatlicherseits angebotenenGter zu: durch die Feuerwehr, die mein brennendes Haus lscht, profitiert auchmein Nachbar, auf dessen Haus das Feuer dann nicht bergreift - auch dann nicht,wenn er keinen Beitrag zur Finanzierung der Feuerwehr geleistet htte; hnlich

    profitierte er etwa davon, wenn ich zum Zweck der Prvention von Verbrecheneinen Sicherheitsdienst die Umgebung meines Hauses kontrollieren liee. Aberdiese Definition trifft auf eine ganze Reihe staatlicherseits erbrachter Leistungengenauso auch nicht zu: etwa bei Bahn, Post, Telefon, Straenbau usw.; sie trifft, wie

    bei staatlichen Leistungen, so auch fr eine beliebige Anzahl privaterseitsangebotene Leistungen zu: von meinem Rosengarten profitiert u. U. auch die

    Nachbarschaft, genauso wie von allen Manahmen, die ich an meinem Eigentumvornehme, und die sich wertsteigernd auch auf angrenzendes Eigentum auswirken;von der Vorstellung eines Straenmusikanten profitieren auch die, die dann amEnde kein Geld in den Hut werfen; von meinem Deodorant profitieren auch dieStraenbahnmitfahrer, die mich dann besser riechen knnen. Heit das nun, da

    Deodorants, Rosengrten und Straenmusik, weil sie zweifellos die Kennzeichenffentlicher Gter aufweisen, staatlicherseits oder mit staatlicher Hilfe bereitgestelltwerden mssen? Und es kommt noch eine weitere Schwierigkeit hinzu: was wredenn der Fall, wenn meine Handlungen, gemessen an den Wertmastben andererPersonen, nicht positive, sondern negative Auswirkungen htten, wenn z. B.derjenige, dessen Haus von meiner Feuerwehr vor einem Brand bewahrt wird, ausversicherungstechnischen Grnden dringlich gewnscht htte, es wrde abbrennen?

    Selbst wenn man jedoch all diese Schwierigkeiten auf sich beruhen liee, taugtdas ffentliche-Gter-Argument nichts: nachdem man nmlich die Eigentmlich-keit ffentlicher Gter dargestellt hat, geht das Argument so weiter: die positivenAuswirkungen solcher Gter auf einen weiteren Personenkreis belegten ihreWnschbarkeit; dennoch wrden sie auf dem freien Markt (jedenfalls teilweise)nicht angeboten, weil nicht alle von ihrem Angebot profitierenden Personen zueiner die Finanzierung erleichternden oder erst ermglichenden Gegenleistung

    bereit seien; daher msse hier der Staat einspringen, um diese doch offenbar an sichwnschbaren Gter, die sonst nicht hergestellt wrden, dennoch bereitzustellen.

    Gleich zweimal mu man zu diesem Argument sagen: Fehlschlu. Einmalwird unter der Hand eine Norm eingeschmuggelt, die sich, formuliert man sieexplizit, unmittelbar als nicht allgemein begrndbar herausstellt: die Norm immer

    wenn man zeigen kann, da die Herstellung eines Gutes positive Auswirkungen auf

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    andere Personen hat, jedoch nicht hergestellt wird, wenn diese anderen sich nichtauch an der Finanzierung beteiligen, dann darf man sie staatlicherweise zurFinanzierung unter Gewaltanwendung bzw. -drohung zwingen. Ich mu auf dieAbsurditt dieser Norm nicht nher eingehen. - Zum anderen ist auch dernutzentheoretische Argumentteil unhaltbar: natrlich knnen die ffentlichen Gterwnschbar sein; es ist besser sie zu haben, als sie nicht zu haben. Aber das ist vllig

    belanglos, denn um diese Alternative geht es nicht. Um nmlich diese wnschbarenGter zu finanzieren, mu bestimmten Personen zwangsweise Geld entzogenwerden, und es ist allein die Frage, ob das, was sie mit diesem Geld gemacht htten,nun aber nicht mehr tun knnen, ntzlicher gewesen wre als der durch dieBereitstellung der ffentlichen Gter fr sie erzielte Nutzen. Und die Antwort aufdiese Frage ist eindeutig: gemessen an den Wertmastben dieser Personen ist der

    Nutzen der ffentlichen Gter natrlich vergleichsweise geringer, denn htte manihnen die Wahl gelassen, so htten sie ja offensichtlich andere Verwendungsmg-lichkeiten fr ihr Geld vorgezogen.25

    Die Ideologie ffentlicher Gter ist demnach in jeder denkbaren Hinsicht un-haltbar. Aber sie ist wirksam, sie wird geglaubt, und man geht wohl nicht fehl in derAnnahme, ihr einen wichtigen Anteil bei der Stabilisierung objektiv nichtrechtfertigbarer gesellschaftlicher Strukturen zuzuschreiben.

    Wichtiger als alle Ideologien sind fr die Stabilisierung solcher Strukturenjedoch m. E. organisationstechnische Kniffe. Auch hierzu zum Schlu ein paarBemerkungen. Ein Kniff, der zweifellos die Wahrnehmbarkeit des gewaltttigenCharakters des Staates herabsetzt, ist z. B. die Tatsache, da man bei allen abhngigBeschftigten die Eintreibung von Steuern bereits durch den Arbeitgeber vor-nehmen lt, und ein unmittelbarer Kontakt mit staatlichen Steuereintreibern fr

    den Normalbrger so gar nicht erfolgen mu. Aus einem hnlichen Grund gehenStaaten in zunehmendem Mae dazu ber, anstelle direkter Steuern indirekteSteuern zu erheben, weil diese als solche nicht mehr sichtbar sind, sondern vielmehrmit den Warenpreisen zu einer Einheit verschmelzen. Bedeutsam ist auch dieSchaffung und Aufrechterhaltung einer buchungstechnischen Fiktion: der Fiktion,auch die im ffentlichen Dienst Beschftigten zahlten Steuern. Sie lt die in dergewerblichen Wirtschaft beschftigten Personen die Last der Steuern leichter alsgerecht ertragen - aber natrlich ist es nur eine Fiktion, denn wenn jedermann

    pltzlich aufhrte, Steuern zu zahlen, dann wrden nicht alle Personen Brutto stattNetto kassieren, sondern der ffentliche Dienst kassierte vielmehr Null statt Netto.Auerdem ist es ein bedeutsamer Fortschritt aus der Sicht des Staates, da man - inder Regel seit Beginn dieses Jahrhunderts - ber ein staatliches Notengeldmonopol

    25 Zu den Argumenten, die die Notwendigkeit staatlicher Korrekturen vonMarktresultaten nachzuweisen versuchen, bemerkt M. Rothbard (Man, Economy and State,Los Angeles 1970, S. 887) zusammenfassend: Such a view completely misconceives theway in which economic science asserts that free-market action is everoptimal. It is optimal,not from the standpoint of the personal ethical views of an economist, but from thestandpoint of free, voluntary actions of all participants and in satisfying the freely expressedneeds of the consumers. Government interference, therefore, will necessarily and alwaysmove away from such an optimum. Vgl. auch Kap. 2, FN 27.

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    verfgt: frher mute man mhsam Mnzenverschlechterung betreiben, dievergleichsweise leicht als Betrug erkannt werden konnte und wurde26; heutedagegen sind solche Flscheraktionen, sofern sie der Staat vornimmt, nicht nurlegal, sie sind vor allem fr den Laien, dem man ber die Grnde der Inflationgetrost das Mrchen von der OPEC auftischen kann27, nicht mehr unmittelbarerkennbar, und auch das Ausma, in dem derartige staatliche Flscheraktionen zu

    nicht-deklarierten Steuererhhungen verwendet werden knnen, ist ihm in allerRegel unklar.28

    Die bedeutendste organisationstechnische Erfindung zurAusweitung staatlicherGewalt ist jedoch die Demokratie.29 Damit soll nicht behauptet werden, da eineDemokratie notwendigerweise, mehr als andere Staatsformen, zur Ausdehnungunrechtfertigbarer Eingriffe in das Netz sozialer Beziehungen fhren mu. EineDemokratie kann genauso wie etwa eine nicht-parlamentarische Monarchie sowohldie Form eines liberalen Minimalstaats wie die Form totalitrer Herrschaftannehmen. Was allerdings behauptet wird, ist dies: bei einem gegebenen, in einer

    Gesellschaft verbreiteten Sinn fr Gerechtigkeit (in der Bedeutung der von mir zuBeginn explizierten objektiv rechtfertigbaren Normen), und bei einem gegebenen,aus diesem Gerechtigkeitssinn resultierenden, in der Bevlkerung verbreitetenWiderstandswillen gegen den Versuch der Durchsetzung nicht rechtfertigbarer

    Normen, auf den alle Staaten zu allen Zeiten um der eigenen Stabilitt willenRcksicht zu nehmen haben, ist die Demokratie im Vergleich zu allen anderenOrganisationsformen staatlicher Herrschaft diejenige, die die vergleichsweisegrte Ausdehnung unbegrndbarer Aktionsspielrume erlaubt, ohne dadurch umihre Stabilitt frchten zu mssen.30 Anders, konkreter formuliert heit das:aufgrund gegebener Traditionen kann man den Deutschen erheblich mehr anunrechtfertigbaren staatlichen Handlungen zumuten, ohne einen Aufstandheraufzubeschwren, als den US-Amerikanern, und den Russen wiederumerheblich mehr als den Deutschen; aber in jedem Fall, in den USA nicht anders alsin der Bundesrepublik, erlaubt die Demokratie mehr an Herrschaft als andere,alternative staatliche Organisationsformen; und selbst fr die UdSSR, die mannatrlich nur in sehr eingeschrnktem Sinn als demokratisch bezeichnen kann, dieaber wohl eher als demokratisch einzustufen ist als das zaristische Ruland, gilt

    26 Vgl. zu dieser von Staaten immer wieder betriebenen Praxis W. Treue,

    Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart 1973.27 Zur Unhaltbarkeit, der Konzeption einer Cost-push-Inflation vgl. z. B. F. A. Hayek,The Campaign Against Keynesian Inflation, in: ders., New Studies in Philosophy, Politics,Economics and the History of Ideas, London 1978.

    28 Zu einer Alternative zum staatlichen Notengeldmonopol vgl. L. v. Mises'Ausfhrungen ber ,free banking' in: Human Action. A Treatise on Economics, Chicago1966, S. 444 ff.; auerdem F. A. Hayek, Entnationalisierung des Geldes, Tbingen 1977.

    29 Vgl. zum folgenden auch die kritischen Anmerkungen zur Demokratie bei A. deTocqueville, ber die Demokratie in Amerika, Mnchen 1976, insb. S. 227 f.; S. 240 f.,sowie 1. Teil, II, Kap. 7 (S. 284 ff.).

    30 Vgl. hierzu z. B. D. Hume, Of the first principles of government, in: ders., Essays,Moral, Political and Literary, Oxford 1963, S. 29 ff.

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    diese Aussage: kein Zar konnte so unbeschrnkt und willkrlich herrschen, wie esheute im Ruland der kommunistischen Partei alltgliche Praxis geworden ist.Warum dies so ist? Die Antwort wird von de Jouvenel formuliert: Frher war (dieStaatsgewalt) sichtbar, manifest in der Person des Knigs, der sich als Herr zuerkennen gab, von dem man wute, er war Mensch. In ihrer Anonymitt gibt sieheute vor, keine Eigenexistenz zu besitzen und nur das unpersnliche,

    leidenschaftslose Instrument des Gemeinwesens zu sein. Das ist offensichtlich eineFiktion! ... Wie eh und je wird die Staatsgewalt heute von einer Gruppe vonMnnern ausgebt, die ber die Maschinerie gebieten. Diese Ganzheit bildet das,was man Macht nennt, und ihr Verhltnis zu den Menschen ist das des Befehls. -Gendert hat sich nur, da man dem Volk geeignete Mittel an die Hand gibt, dieHauptbeteiligten an der Macht auszutauschen. In gewisser Weise wird dadurch dieMacht geschwcht, da der Wille, der dem sozialen Leben vorsteht, nach Beliebendurch einen anderen, der jetzt Vertrauen geniet, ersetzt werden kann. Dadurchaber, da dies (demokratische) Regime jedem Ehrgeiz Aussicht auf die Machterffnet, erleichtert es ihre Ausweitung erheblich. Denn im Ancien Regime wutendie Einflureichen, sie wrden niemals an der Macht teilhaben, und sie warengerade deshalb stets bereit, den geringsten bergriff der Staatsgewalt zu rgen.Heute dagegen sind alle Prtendenten und niemand hat ein Interesse daran, einePosition zu schwchen, die er eines Tages selber einzunehmen hofft, eine Maschinelahmzulegen, deren er sich seinerseits zu bedienen gedenkt. Aus diesem Grundetreffen wir in den politischen Kreisen der modernen Gesellschaft auf eineausgedehnte Kumpanei zugunsten einer Ausweitung der Staatsgewalt.31 Diessollte, gerade wer an der Etablierung rechtfertigbarer GesellschaftsordnungenInteresse hat, im Auge behalten: es ist insbesondere der demokratische Staat, der

    diesem Anliegen insofern im Wege steht, als es kein anderes System gibt, in demman das jedermann jedenfalls manchmal ergreifende Interesse, andere Personen zu

    beherrschen, besser ausleben knnte als gerade in der Demokratie.

    31 B. de Jouvenel, ber die Staatsgewalt, Freiburg 1972, S. 22/23.

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    Kapitel 2Vom Konzept der Wohlfahrtsmessung zur Theorie derGerechtigkeit

    I.In der gesamten industrialisierten westlichen Welt ist wirtschaftliches Wachs-

    tum als Ma der sozialen Wohlfahrt ins Gerede gekommen. Insbesondere seit eszeitgem geworden ist, kologisches Bewutsein zur Schau zu stellen, lt kaum

    jemand, der auf sich hlt, sich die Gelegenheit entgehen, seine Meinung zumThema Ist wirtschaftliches Wachstum Wohlfahrtszuwachs? kundzutun.

    Im Zentrum der kritischen Aufmerksamkeit stehen das Bruttosozialprodukt(BSP) bzw. das um entsprechende Abschreibungen verminderte Nettosozialprodukt(NSP) als die traditionell meistbeachteten wirtschaftsstatistischen Kennziffern zur

    Erfassung der in einem gegebenen Zeitraum gesamtwirtschaftlich erbrachtenLeistungen.1Die vielfltigen Anmerkungen bezglich der Unzulnglichkeiten dieses Maes

    lassen sich in drei Gruppen unterteilen:a) Es wird darauf hingewiesen, da bei der Ermittlung des BSP (NSP) eine

    Reihe von Leistungen, seien sie negativer oder positiver Art, unbercksichtigtbleiben, weil sie nicht gegen Geld getauscht werden und somit keinen monetrenAusdruck besitzen, obschon ein solcher Ausdruck fr hnliche Leistungen exis-tiert, und dieser ohne grere technische Probleme als Nherungsgre fr dieausgeblendeten Leistungen verwendet und bei der Errechnung des BSP (NSP)

    bercksichtigt werden knnte.b) Die Kritik am Aussagewert des BSP (NSP) bezieht sich darauf, da eine

    Reihe gleichfalls positiv wie negativ bewerteter Leistungen deshalb unter den Tischfllt, weil aufgrund eines bestimmten gegebenen gesetzlichen Rahmens ihr Handeluntersagt ist und allenfalls auf Schwarzmrkten (zu dann freilich fr Schtzzweckeungeeigneten und berdies technisch mglicherweise nicht einmal berhaupt ermit-telbaren Schwarzmarktpreisen) stattfindet, obwohl sich ein auf diese Leistungenerstreckender Handel und entsprechende Marktpreise bilden wrden, nderte mandie gesetzlichen Rahmenbedingungen.

    c) Schlielich wird das BSP (NSP) dafr getadelt, da es ein quantifizierendesEinheitsma ist: Unabhngig davon nmlich, wie auch immer man versucht, die un-ter (a) und (b) angeschnittenen Probleme zu lsen, das BSP (NSP) umfat generellnur solche Leistungen, die gegen Geld getauscht werden (knnen) und die insofernkommensurabel sind, es ignoriert aber prinzipiell alle Leistungen, die, selbst unter

    1 Hinsichtlich der genauen Definition von BSP bzw. NSP, ihren verschiedenenBerechnungsmethoden, sowie einer Analyse der Aussagefhigkeit des Konzepts, sei aufeines der volkswirtschaftlichen oder wirtschaftsstatistischen Lehrbcher verwiesen, z. B. P.Samuelson, Economics, New York 1976, insbes. Kap. 10.

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    wie auch immer vernderten gesetzlichen Rahmenbedingungen, nicht ge- undverkauft werden, die aber dennoch negativ wie positiv bewertet werden (knnen).

    Diese dreifache Kritik, die das BSP (NSP) als ein in seiner Komposition arbi-trres Ma sozialer Wohlfahrt erkennbar werden lt, hat inzwischen zu einerVielzahl von Verbesserungsvorschlgen gefhrt. Beschrnkt man sich bei derBetrachtung der Diskussionslandschaft allein auf die im engeren Sinn wissen-

    schaftlichen Beitrge, so lassen sich wenigstens zwei bzw. drei weithin sichtbargewordene Anstze vermerken, in deren Rahmen man versucht, mit der angesichtsder unbersehbar gewordenen Schwchen der BSP (NSP)-Kennziffer neu auf-tretenden Herausforderung einer befriedigenden Klrung des Begriffs sozialerWohlfahrt fertigzuwerden.

    Von konomischer Seite sind Vorschlge gemacht worden, die BSP (NSP)-Kenn-Ziffer durch verfeinerte Mae, wie etwa den sogenannten konomischen

    Netto-Wohlfahrtsindex (NEW) zu ersetzen, bei dessen Berechnung im Vergleichzum BSP (NSP) zustzliche monetarisierbare Leistungen (wie z.B. Umwelt-verschmutzung, Freizeit etc.) in Rechnung gestellt werden.2 Und von im engerenSinn sozialwissenschaftlicher Seite sind Versuche unternommen worden, zum einenobjektive, zum anderen subjektive bzw. perzeptuelle Indikatoren als Me-instrumente fr Lebensqualitt zu entwickeln und fr den Zweck einergesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsmessung - sei es in Ergnzung zu oder alsErsatz von monetren Kennziffern - zu empfehlen.3

    Diese Versuche verbesserter sozialer Wohlfahrtsmessung haben ein unge-whnliches Ma an Publizitt erreicht, die jedoch u. E. im Gegensatz zurBedeutung der genannten Forschungen und Forschungsprogramme steht, derenLeistung im Grunde nur darin besteht, ein beliebiges Ma (wie das BSP) durch

    andere, nicht weniger beliebige Mae, etwa einen NEW-Index oder sogenanntesoziale Indikatoren zu ersetzen oder zu ergnzen. Das eigentliche Problem ist dieEntwicklung eines Begriffs der sozialen Wohlfahrt, dessen Definition nicht ansubjektiver Beliebigkeit krankt, und der sich gleichwohl als operabel erweist, indemsich auf seiner Grundlage fr jede Handlung entscheiden lt, ob sie die sozialeWohlfahrt frdert oder nicht. Dieses Problem ist einer Lsung nicht oder nichtmerklich nher gebracht worden.

    (Enttuschend sind hier gerade die Arbeiten von Sozialwissenschaftlern imengeren Sinn, in deren Lager man sich ansonsten so hufig zugute hlt, anstelleeiner verengten konomischen Perspektive ber eine erweiterte soziologischeBetrachtungsweise, in deren Rahmen die erstere nur noch als ein Teilaspekt einerumfassenderen sozialen Welt erscheint, zu verfgen. Aber auch die Beitrge, die

    2 Vgl. hierzu z. B. W. Nordhaus/J. Tobin, Is Growth Obsolete?, 50th AnniversaryColloquium V, National Bureau of Economic Research, New York 1972; sowie: EconomicCouncil of Japan, Measuring Net National Welfare, Economic Research institute, Tokyo1973.

    3 Vgl. hierzu z. B. W. Zapf, Zur Messung der Lebensqualitt in: Zeitschrift frSoziologie 1972; ders., Sozialberichterstattung: Mglichkeiten und Probleme, Gttingen1976; speziell zu subjektiven Indikatoren, F. M. Andrews/St. B. Withey, Social Indicators ofWell-Being, New York 1976.

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    von Vertretern des von Samuelson als mainstream economics bezeichnetenLagers stammen, d.h. von Reprsentanten der die westlichen Lnder dominierenden

    post-keynesianischen, makrokonomisch und empirisch orientierten Lehrbuch-konomie4, sind kaum vielversprechender. Hier wie dort ist man sich desentscheidenden Problems, die vorgeschlagenen Indikatoren der sozialen Wohlfahrtals nicht-beliebige Meinstrumente nachweisen zu mssen, nicht recht bewusst.5

    Die in diesem Zusammenhang zentralen Arbeiten sind im wesentlichen von ei-ner kleinen Schar deutlich vom Zentrum der mainstream-Orthodoxie abgerckter,neoklassisch und mikrokonomisch orientierter und analytisch-deduktiv verfahren-der konomen, meist aus dem Umkreis der sterreichischen Schule aber auch derChicago School geleistet worden.6 Die aus ihrer Feder stammenden, immer nochzu wenig bekannten Beitrge, zeigen das klarste Problembewutsein, indem sienicht nur verstndlich machen, inwiefern der Versuch der Konstruktion sozial- bzw.wirtschaftsstatistischer Wohlfahrtskennziffern scheitern mu, sondern auch, indemsie, konstruktiv, eine Alternativlsung hinsichtlich des Problems einer nicht-

    beliebigen Klrung des Begriffs der sozialen Wohlfahrt und der Wohlfahrts-entwicklung inaugurieren.)

    Die Hoffnungslosigkeit eines jeden Versuchs, das Problem sozialer Wohlfahrts-messung durch Konstruktion einer Meziffer wie das BSP (NSP)oder anderer, inanaloger Weise konstruierter Indizes oder Indikatoren zu lsen, ergibt sich aus einernheren Betrachtung der oben gegen die BSP (NSP)-Kennziffer vorgetragenenEinwnde.

    Schon angesichts des unter a) dargestellten Einwands stt man aufschwerwiegende Probleme: Welche der zwar nicht selbst gegen Geld getauschten,

    aber aufgrund hnlicher Gter monetarisierbaren Leistungen, sollen erfat werd-en, welche nicht? Mte man nicht, um sich bei der Entscheidung hinsichtlichderartiger Fragen nicht dem Verdacht prinzipieller Willkr auszusetzen, alles daserfassen, was von irgend jemand als (erbrachte oder empfangene) Leistung bewertetwird, fr die es von ihm angebbare quivalente mit monetrem Ausdruck gibt?Aber was geschieht dann, wenn ein- und dieselbe Leistung von unterschiedlichen

    4 Vgl. zur Charakterisierung der mainstram economics, P. Samuelson, a. a. O., S. 845.5 Zum Beleg dieser These sei hier auf die in den vorangehenden Funoten angegebenen

    volkswirtschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Arbeiten verwiesen. Vgl. auerdem dieaufschlureiche uerung in Ballerstedt/Glatzer, Soziologischer Almanach, Frankfurt a. M.1979, S. 17, wo zugestanden wird, da die Auswahl der Indikatoren aufgrund informierterWillkr erfolgt.

    6 Vgl. z. B. F. A. Hayek, The Constitution of Liberty, Chicago 1960; ders., Law,Legislation and Liberty, 3 Bnde, Chicago 1973-79; M. Rothbard, Man, Economy and State,2 Bnde, Los Angeles 1970; ders., Power and Market, Kansas City 1977; ders., For A NewLiberty, New York 1978; H. Hazlitt, The Foundations of Morality, Los Angeles 1964; J.Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent, Arm Arbor 1962; Buchanan, The Limits ofLiberty, Chicago 1975; Tullock, Logic of the Law, New York 1971; ders., Private Wants,Public Means, New York 1970; auerdem vgl. J. Rawls, A Theory of Justice, Cambridge1971; R. Nozick, Anarchy, State and Utopia, New York 1974.

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    Personen unterschiedlich bewertet wird? Mte dann ein Durchschnittsbetrag dermonetarisierten Leistungsbewertungen bei der Erstellung der sozialenWohlfahrtsbilanz in Anschlag gebracht werden? Es ist klar, da man schon aufdieser Stufe jedenfalls vor nahezu unlsbarenpraktischen Problemenstehen wrde,wollte man eine in ihrer Komposition nicht vllig beliebige Wohlfahrtskennzifferermitteln.

    Ein weiteres Problem trmt sich auf, geht man zur Betrachtung des unter b)vorgetragenen Einwands ber. Das BSP (NSP) erfat alle Leistungen, die bei einemals gegeben vorausgesetzten Gesetzesrahmen gegen Geld ausgetauscht werden. Esist also ein am gesetzgeberischen Status quo orientiertes Ma. Mit genausoviel odergenausowenig Recht knnte man aber auf irgendeinem anderen Gesetzesrahmen alsAusgangspunkt bestehen. Jede diesbezgliche Entscheidung hat freilich unter-schiedliche Konsequenzen fr die Messung sozialer Wohlfahrt. Ist dann nicht aber,wenn die Wahl des Ausgangspunktes beliebig ist, gleichwohl jedoch Konsequenzenhinsichtlich dessen hat, was als Leistung erfat und was nicht erfat wird, jede aufsolchen schwankenden Grundlagen aufbauende gesellschaftliche Leistungsbilan-zierung von allem Anfang an hoffnungslos beliebig? Und wre es nicht fr dieWahl eines nichtbeliebigen Ausgangspunktes erforderlich, da der Gesetzesrahmen,innerhalb dessen Leistungen erbracht werden, von ausnahmslos allen Personen alsgerecht akzeptiert werden knnte, da ansonsten eine willkrliche Einschrnkunghinsichtlich des Angebots von bzw. der Nachfrage nach Leistungen bestimmter Art

    bestnde? - In der Tat scheint dies der Fall zu sein. Damit wrde freilich eineKlrung der Frage Wie lt sich soziale Wohlfahrt messen? eine vorhergehendeKlrung der grundlegenderen Frage Was ist eine gerechte soziale Ordnung?voraussetzen.

    Auf das entscheidende Problem stt man schlielich, wenn man den unter c)angefhrten Einwand gegen das BSP (NSP) als Ma sozialer Wohlfahrt betrachtet.Ein quantifizierendes monetres Ma wie das BSP (NSP)kann nicht erfassen, wassich nicht wenigstens im Prinzip fr bestimmte Quanten Geldes auch tatschlichkaufen (verkaufen) lt - und sei es vom subjektiven Standpunkt aus noch sowichtig. Ein an Krebs Erkrankter oder ein irreparabel Verletzter kann sich fr allesGeld der Welt nicht seine Gesundheit erkaufen und sich in den Status quo antezurckversetzen lassen - bestimmte Aspekte des Gutes Gesundheit haben alsokeinen Preis. Folglich knnte der im bergang vom Gesund- zum Krankseineingetretene Wohlfahrtsverlust auch nicht monetr erfat und bei der Messung dersozialen Wohlfahrt negativ in Anschlag gebracht werden. Die monetre Kennzifferder sozialen Wohlfahrt bliebe identisch, jedoch der subjektive Wert des durch dieseZiffer Gemessenen selbst htte sich mglicherweise deutlich verndert. Dies

    bedeutete aber offenbar nichts anderes, als da die fragliche Kennziffer keinobjektives (nichtbeliebiges) Ma sozialer Wohlfahrt sein kann, da sie ihrerseitsvariablen Bewertungen offensteht.

    Diese Einsicht kann so verallgemeinert werden: Fr jedes quantifizierendeWohlfahrtsma, sei es ein konomisches Ma la BSP (NSP) oder ein sozio-logisches Ma wie etwa Zufriedenheitskennziffern, gilt: Es scheitert als ein Ma,

    das es erlauben soll, in nicht-beliebiger Weise soziale Wohlfahrt zu quantifizieren,

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    individuelle Leistungsbewertungen in nicht-beliebiger Weise mittels arithmetischerOperationen zu aggregieren, und in nicht-beliebigen Differenzbetrgenausdrckbare inter- und intragesellschaftliche Wohlfahrtsvergleiche zu ermg-lichen, weil jeder derartige Mastab seinerseits bewertet ist (immer handelt es sichnicht nur um bewertende Mae, sondern gleichzeitig auch um bewertete!) und dieBewertung des Bewertungsmastabes logischerweise nicht ihrerseits in Einheiten

    des Bewertungsmaes erfolgen kann. Dann aber - wenn also Geld nicht gleich Geldund Zufriedenheit nicht gleich Zufriedenheit ist, und was einmal Fortschritt, einandermal Rckschritt sein kann - dann gibt es keine Mglichkeit nicht-beliebigerquantifizierender Wohlfahrtsmessung und vergleichung.7

    Mglich ist es allein - vom Standpunkt einer Einzelperson gesehen - Zustndeordinal zu ordnen, d. h. als relativ besser oder schlechter, gemessen an den zu einemgegebenen Vergleichszeitpunkt von einer gegebenen Person tatschlich verwend-eten, selbst mit bestimmten Bewertungen versehenen Vergleichsmastben (abereben nicht: quantifizierbar besser oder schlechter, gemessen an neutralen,objektiven Mastben!); zum anderen: vom Standpunkt eines bestimmtenPersonenaggregats gesehen, ist es allein mglich einen eindeutigen Vergleich vonLeistungsbilanzen aufzustellen, vorausgesetzt, da alle Personen in Anbetracht ihrerzum Vergleichszeitpunkt jeweils verwendeten bewerteten Bewertungsmastbe zueinem bereinstimmenden Urteil darber gelangen, welche zweier Leistungs-

    bilanzen als relativ besser bzw. schlechter zu bewerten ist. Nicht mglich ist es,gesellschaftliche Wohlfahrtsbilanzen als quantifizierbar besser oder schlechtereinzustufen sowie eitlen eindeutigen Vergleich als besser oder schlechter auch danndurchzufhren, wenn es hinsichtlich der individuellen ordinalen Bewertungen derBilanzenNicht-bereinstimmungen gibt.8

    7 Obwohl man gerade den konomen oft Blindheit in dieser Angelegenheit vorwirft (siebringen alles auf den gemeinsamen Nenner Geld), mu festgehalten werden, da die hierformulierten Einsichten in wnschenswerter Klarheit zumindest durch die konomen dersubjektivistischen sterreichischen Schule dargestellt worden sind. Vgl. z. B. L. v. Mises,Theory of Money and Credit (Erstauflage 1912; Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel),eines der frhen, grundlegenden und umfassenden Werke der subjektivistischen Wertlehre,das u. a. eine nach wie vor gltige Zurckweisung jeder Form von objektivistischerGeldtheorie (derzufolge Geld ein nicht seinerseits bewerteter objektiver Wertmastab ist)und eine Kritik der auf solchen Theorien aufbauenden Bemhungen der konomischen

    Statistik beinhaltet. S. auch ders., Human Action, Chicago 1966. - Allerdings mu daraufhingewiesen werden, da die subjektivistische Revolution in der konomie zu keinemZeitpunkt von vollem Erfolg gekrnt gewesen ist. Objektivistische Reste sind in derGegenwartskonomie allerorten auszumachen und insofern hat die oben angedeutete Kritikan den konomen durchaus eine gewisse Berechtigung. Zum Gegensatz vonsubjektivistischer und objektivistischer konomie vgl. die instruktive Arbeit von J.Buchanan, Cost and Choice, Chicago 1969.

    8 Einen eindeutigen Vergleich gesellschaftlicher Wohlfahrtsbilanzen vornehmen zuknnen, heit offenbar, den Obergang von einer Bilanz zur anderen als pareto-optimalauszeichnen zu knnen. Oder, umgekehrt: Nur wenn der bergang von einer Bilanz zuranderen als pareto-optimaler Wandel zu interpretieren ist, kann man auch von einernicht-beliebigen Beurteilung sozialer Wohlfahrtsbilanzen sprechen. Vgl. zum Konzept der

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    Vor dem Hintergrund dieses Diskussionsergebnisses erscheinen die im Zusam-menhang mit der Betrachtung der gegen die BSP-Kennziffer gerichteten Einwndea) und b) dargestellten Schwierigkeiten sozialer Wohlfahrtsmessung in neuemLicht. So stellt sich das Problem einer vollstndigen, nicht-beliebigen Ermittlungdes monetarisierten Wertes aller derjenigen Leistungen, die nicht selbst gegen Geldgetauscht werden, fr die es jedoch angebbare quivalente mit monetrem

    Ausdruck gibt, als ein Scheinproblem heraus. Seine Lsung wird rckblickendberflssig, da weder Geld, noch irgendein anderes Ma als objektiv gelten kann,und somit jede arithmetische Aggregierung zu einer Kennziffer sozialer Wohlfahrt

    per se mit einem beliebigen Resultat endet - gleichgltig, wie vollstndig dieErmittlung monetarisierbarer Leistungen auch immer gewesen sein mag.

    Aus dem gleichen Grund erledigt sich auch das zweite angesprochene Problemvon an nicht-beliebigen (gerechten) gesetzlichen Rahmen ansetzenden,weitergehenden Wohlfahrtsmessungen: Wohlfahrt lt sich nicht quantifizierbarmessen. Mit dieser negativen Entscheidung hinsichtlich der Frage Wie lt sichsoziale Wohlfahrt messen? ist jedoch keine entsprechende Zurckweisung deroben als grundlegend bezeichneten Frage Was ist eine gerechte soziale Ordnung?verbunden. Im Gegenteil: Vor dem Hintergrund der Einsicht in die Unmglichkeitquantifizierender Wohlfahrtsmessungen ist die Klrung dieser Frage nicht lngernur Voraussetzung der Klrung der anderen, erstere verwandelt sich vielmehrunter der Hand in letztere. Aufgrund der oben angedeuteten Definition vongerecht als allgemein - von ausnahmslos allen Personen - anerkannt bzw.anerkennungsfhig ergibt sich nmlich ersichtlich, da der bergang von einernicht-gerechten zu einer gerechten Gesellschaft ein bergang sein mu, der vonallen Personen als zustimmungsfhige Entwicklung betrachtet werden kann. Ebenso

    mu es sich beim bergang von einer relativ weniger gerechten zu einergerechteren Gesellschaft um einen bergang handeln, bei dem sich zweiGesellschaften dem bereinstimmenden Urteil aller Personen zufolge - ceteris

    paribus - wenigstens hinsichtlich eines einheitlich bewerteten Merkmalsunterscheiden.

    Genau dies: ordnende Urteile dieser Art knnen angesichts der Unmglichkeitquantifizierender Wohlfahrtsmessungen qua nicht-beliebige Aussage ber sozialeWohlfahrt als allein mglich und zulssig anerkannt werden. Als nicht-beliebigeUrteile ber die soziale Wohlfahrtsentwicklung knnen ausschlielich solcheAussagen gelten, die auf eine allgemein bereinstimmende Bewertung hinsichtlichwenigstens einer Merkmalsvernderung bezglich zweier zu vergleichenderGesellschaften zu verweisen vermgen. Nicht-beliebige Urteile ber sozialeWohlfahrt und Aussagen ber die (relative) Gerechtigkeit sozialer Ordnungen sindsomit dann ein und dasselbe, und die Frage Was ist soziale Wohlfahrt? wird,nachdem Wohlfahrt zunchst als nicht-quantifizierbares Ma festgestellt wurde, zuder im folgenden aufgenommenen Frage Was ist eine gerechte soziale Ordnung?

    Pareto-Optimalitt z. B. J. Buchanan/G. Tullock, a. a. O., (FN 6), insbes. Kap. 12; alsQuellentext siehe V. Pareto, Manual of Political Economy, New York 1971, insbes. VI, 33und Appendix 89-100, wo das Konzept der maximum ophelimity erlutert wird.

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    II.Was also ist eine gerechte Gesellschaft? Eine verfehlte, aber von Platos

    Ausfhrungen zum vollkommenen Staat, ber Morus und Campanella bis hin in dieGegenwart hinein immer wieder versuchte Antwort auf diese Frage besteht darin,eine bis in alle Einzelheiten durchdachte Blaupause einer sozialen Ordnung zuentwerfen und aufgrund der angenommenen allgemeinen Attraktivitt dieserOrdnung die Regeln zu rechtfertigen, aufgrund von deren Befolgung sie sichherstellt.9 In Anlehnung an terminologische Distinktionen Hayeks10 soll dieseProblemlsungsstrategie als konstruktivistischer Ansatz bezeichnet und abstraktso charakterisiert werden: Sie nimmt als Ausgangspunkt die Konstruktion einessozialenZustands, der als gerecht gelten soll, und rechtfertigt durch ihn die Regeln,die diesen Zustand hervorbringen (der Wahrheits- bzw. Gerechtigkeitswert desZustands bertrgt sich gewissermaen auf den der Regeln!). Gerechte Regeln sindim Rahmen dieses Ansatzes zustandsorientierte Regeln. Sie sind gerecht, weil sieeinen gerechten Zustand realisieren.

    (Der Entschlu, nurZustnden das Prdikat gerecht direkt zuzusprechen unddie Gerechtigkeit von Regeln davon abzuleiten, hat bedeutsame, oft berseheneKonsequenzen. Bei der Frage, ob einem Zustand irgendein Prdikat zukommt odernicht, wird blicherweise so vorgegangen, da untersucht wird, ob dieser eine

    bestimmte, festgelegte Merkmalskombination aufweist oder nicht, um ihm dann -ungeachtet der Tatsache, durch welche Merkmale die restliche Welt beschriebensein mag - entsprechend eindeutig zu klassifizieren. Dem entspricht aber nicht diePraxis konstruktivistischer Gerechtigkeitstheoretiker: Sie heben in der Regelkeineswegs bestimmte Zustandsmerkmale einer Gesellschaft als gerecht heraus undwollen dann die Zuordnung des Prdikats gerecht allein davon abhngig machen,ob diese Merkmale vorliegen oder nicht, unabhngig davon, welche weiterenMerkmale eine betrachtete soziale Ordnung aufweist. Vielmehr: Sie hebenZustandsmerkmale als Kriterien fr eine gerechte soziale Ordnung nur unter derimpliziten Annahme heraus, da die Einstufung des Vorliegens dieser Merkmale alsgerecht nicht durch ein gleichzeitiges Gegebensein anderer Merkmale der sozialenWelt wieder ungltig gemacht wird. Damit ist gerecht freilich kein operablerBegriff mehr. Von einem konstruktivistischen Gerechtigkeitstheoretiker mu mehrverlangt werden: Sofern er zur Beurteilung der Frage, ob eine soziale Ordnunggerecht ist oder nicht, die gesamte Ordnung mit ihren smtlichen Zustands-

    merkmalen und -merkmalskombinationen betrachten zu mssen glaubt, kann er esauch nicht bei der Angabe von gerechten Teilzustnden bewenden lassen, sondernmu diese folgerichtig auch als Teile der insgesamt beschriebenen gerechtenGanzheit darstellen.

    Man hat, abstrakt gesagt, immer dann, wenn man einen sozialen Zustand alsgerecht angeben will, in seiner Beschreibung dieses Zustandes in der Weisedefinitivund vollstndig zu sein, da die Einstufung dieses Zustandes als gerecht

    9 Vgl. hierzu z. B. Platon, Der Staat, Stuttgart 1950; K. J. Heinrich (Hg.), Der utopischeStaat; Morus, Utopia; Campanella, Sonnenstaat; Bacon, Atlantis, Hamburg 1962.

    10 Vgl. hierzu F. A. Hayek, Law, Legislation and Liberty, insb. Bd. I, Chicago 1973.

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    absolut unabhngig ist vom gleichzeitigen Vorliegen oder Nicht-Vorliegen aller inder Zustandsbeschreibung selbst nicht positiv festgelegten Merkmale. U. d. h.: Istdie Gesamtheit denkbarer sozialer Zustandsmerkmale relevant, um das Vorliegeneines bestimmten, einzelnen Zustandsmerkmals als gerecht oder nicht-gerecht zu

    beurteilen, so htte auch die Beschreibung eines sozialen Zustandes als gerechterZustand so vollstndig zu sein, da sie fr jedes denkbare soziale Zustandsmerkmal

    festlegt, ob und in welcher Kombination es auftreten darf oder nicht - und dies istpraktisch, da man schwerlich auflisten kann, was alles nicht auftreten darf, alleindadurch zu bewerkstelligen, da vollstndig aufgelistet wird, was allein an sozialenEreignissen auftreten darf. [Tritt irgendein soziales Ereignis auf, das nichtaufgelistet ist, hat dies unmittelbar die Einstufung ungerecht zur Folge!] Bei einersolchen definitiven und vollstndigen Zustandsbeschreibung mssen dannselbstverstndlich auch die zustandsorientierten Regeln, deren Charakterisierung alsgerecht sich aus der Tatsache ableitet, da sie diesen gerechten Zustand generierten,entsprechend eindeutig und vollstndig fixiert sein. Sie drfen den Handelnden, dieihnen folgen, keinerlei Entscheidungsspielraum bieten, da ansonsten nicht gewhr-leistet wre, da in der Tat nur, und nur allein diejenigen Zustandsmerkmalehandelnd realisiert werden, die den gerechten sozialen Zustand ausmachen. Siemssen lckenlose Angaben darber enthalten, wann und unter welchenBedingungen allein sie gelten, welche Ziele man, wenn man ihnen folgt, jeweilsallein anzustreben hat und durch Einsatz genau welcher Mittel bzw. Mittelkombi-nationen dies zu geschehen hat; denn nur sofern smtliche Handlungen lckenlosgeregelt sind, kann sich aus ihrem Ablauf und ihrer Aufeinanderfolge tatschlichder gerechte Zustand - und nichts anderes als er - immer wieder reproduzieren.)

    Ungeachtet seiner empirisch feststellbaren Attraktivitt ist der konstruktivist-

    ische Ansatz hinsichtlich einer Beantwortung der gestellten Frage nachweisbargrundstzlich aussichtslos.11 Obwohl empirisch zweifellos zutreffend, wre esverkrzt, lediglich auf die Tatsache hinzuweisen, da die als gerecht vorgestellten

    11 Wie andeutungsweise schon zum Ausdruck gekommen, uert sich die Attraktivittdes Ansatzes weniger in der Hufigkeit, mit der vollstndig durchgearbeitete,gesamtgesellschaftliche Gerechtigkeitszustandsmodelle vorgestellt werden, die methodischkonsequent bis hin zu der Formulierung entsprechender (gerechtigkeits-)zustandsorientierterHandlungsregeln durchdacht wren, als vielmehr in der immer wieder zu beobachtendenTatsache der Heraushebung bestimmter gesellschaftlicher Teilzustnde als gerecht (oder

    ungerecht), d.h. als notwendiger aber nicht hinreichender Voraussetzung eines gerechten(ungerechten) Gesamtzustandes und einer entsprechenden Rechtfertigung sie generierenderHandlungsregeln. (Man sehe sich in diesem Zusammenhang als typische Beispiele etwa dieGrundsatzprogramme von SPD und DGB an, in denen es von Teilzustandsbeschreibungenals gerecht [ungerecht] nur so wimmelt, und eine Rechtfertigung von Regeln quazustandsorientierter Regeln das durchgngige Rechtfertigungsmuster darstellt. - In derwissenschaftlichen Diskussion folgt u. E. die gesamte soziale Indikatorenbewegung demkonstruktivistischen Ansatz: Sofern sie nicht nur deskriptive, sondern auch explanatorischeFunktionen bernimmt und sich dann [typisch: SPES-Projekt] der wissenschaftlichenBegrndung von Sozialpolitik verschrieben hat, mu sie als Versuch interpretiert werden,Handlungsregeln durch als gut, gerecht, schn, funktional [bzw. entsprechendeAntonyme] charakterisierbare Zustnde zu rechtfertigen.)

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    (Teil-)Zustnde in aller Regel den Test allgemeiner Anerkennung nicht bestehendrften und das Prdikat somit nicht verdienen. Auf diesen Einwand liee sichnmlich erwidern, da mit ihm, selbst wenn man ihn als richtig unterstellt, nicht der

    Nachweis erbracht wre, da der Ansatz auch zuknftig prinzipiell erfolglos bleib-en mu: Es handelt sich bei ihm um kein Argument gegen einen immer wiedererneuerten Versuch, Regeln als zustandsorientierte Regeln zu rechtfertigen.

    Tatschlich ist der Einwand gegen den konstruktivistischen Ansatz grund-stzlicher Natur. Seiner konsequenten Anwendung und Durchfhrung steht dasProblem exogen wie endogen erzeugten Wandels als unberwindliches Hindernisim Wege: Auch ein gerechter Sozialzustand ist, wie jede durch Handlungen (Ver-halten) erzeugte Ordnung, zum einen eine Reaktion auf natrliche Gegebenheiten,d.h. eine Anpassungs- und Verarbeitungsleistung im Hinblick auf uereGegebenheiten (bezglich deren keine vollstndige Kontrolle besteht); und er istzum anderen immer auch eine Verarbeitungsleistung hinsichtlich endogen d.h.innerhalb des Persnlichkeitssystems erzeugter Datenkonstellationen. Kurz: Dasinnere und das uere System werden mittels dieses (sich selbst reprodu-zierenden) Zustands equilibriert. Diese Funktion eines Equilibriums kann dergerechte Sozialzustand jedoch in dem Augenblick nicht lnger erfllen, in dem einWandel, sei es der ueren, sei es der inneren Gegebenheiten auftritt. Ein Wandel z.B. hinsichtlich der relativen Knappheit natrlicher Ressourcen und Produktions-faktoren, Naturkatastrophen, Vernderungen der Bevlkerungsgre oder desBevlkerungsaufbaus, V