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bulletin Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus Association suisse du journalisme scientifique Swiss Association for Science Journalism 1/08 http://www.science-journalism.ch Thema und SNF Seminar: Verstehen von Texten 2-8 EUSJA 9 GV 2008 10 Klima 11-12 Exkursion 13 Wissenswerte 2007 14-15 Weltkongress 16-17 Klatsch 18 Mutationen 19 Agenda 19 Verstehen und Verständnis Die Diskussion im Vorstand hatte sich an den Reaktionen auf eine Serie von Artikeln entzündet. Diese waren in verschiedenen Medien zum Thema Brustkrebsscreening erschienen. Ob alle Autoren sich auf die gleichen Quel- len gestützt hatten, war nicht eindeutig, schien aber naheliegend. In vielen die- ser Artikel wurden zwar die Fortschrit- te bei der Behandlung dieser Krebsform dargestellt, ihnen aber häufig eine - an- scheinend unanfechtbare - Kostenrech- nung gegenüber gestellt. Die Interpre- tation der Kosten verlieh dem Thema einen neutralen, wissenschaftlichen Anstrich. Einer der Autoren begrün- dete im Gespräch die Zahlenwirtschaft mit Empirie und folglich mit einer streng wissenschaftlichen Darstellung der Problematik. So weit, so gut. Oder etwa doch nicht? Zu der Zeit führte ich häufig Gespräche mit anderen Frauen. Bei der Diskussi- on um die Behandlung früh erkannter Tumore und die medizinischen Mög- lichkeiten zur Vermeidung schwerwie- gender, kostenintensiver Therapien verwiesen die meisten auf diese Arti- kel. Der Tenor: Totale Verunsicherung. Denn wer die Zahlen sehe, die durch Mammographien und Röntgenbilder (es gibt kostengünstige Verfahren, von denen in den Artikeln keine Rede war) verursachten Kosten, die niedrigen Zahlen der Ueberlebenden - da brin- ge ja die Früherkennung nichts. Im Gegenteil, die Lektüre solcher Artikel habe eher die Angst vor einer möglichen Diagnose Krebs geschürt. Man schiebe eine Mammographie lieber auf. Diese Gespräche machten (wieder ein- mal) klar: Es gilt, die eigene Arbeitswei- se einmal mehr einem kritischen Test zu unterziehen. Das Thema für das SNF-Seminar 2008 war gesetzt: «Wie versteht man was richtig?». Zum (eigenen) Verstehen gehören das Verständlichmachen, das Verstanden- werden und damit auch das journa- listische Selbstverständnis. Damit befasst sich Christoph Drösser (Chef- redaktor des Magazins „Wissen“ der ZEIT) in seinem Beitrag zu Anspruch und Wirklichkeit im Berufsalltag. Er spricht damit sicher vielen Journa- listen aus der Seele. Geschrieben war der Text für ein Seminar, an welchem Matthias Kohring, Professor für Kom- munikationswissenschaft an der Uni- versität Münster, seine These vertrat, der Journalist sei ein Vertrauensvermitt- ler. - Die Seite der Vermittlung medizini- scher Fakten in einem klar definierten Le- serumfeld beleuchtet Sabine Olff aus ihrer Erfahrung bei einer Spenden- organisation. Sie vertritt die Haltung „Keine falschen Hoffnungen wecken“. – Auch das eine Aufforderung, über das Selbstverständnis von uns Journalisten zu reflektieren. Mürra Zabel INHALT EDITORIAL März 2008 Zürich im April: zwischen Pop und Uni-Jubiläum

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bulletinSchweizer Klub für WissenschaftsjournalismusAssociation suisse du journalisme scientifiqueSwiss Association for Science Journalism

1/08

http://www.science-journalism.ch

Thema und SNF Seminar: Verstehen von Texten 2-8EUSJA 9GV 2008 10Klima 11-12Exkursion 13Wissenswerte 2007 14-15Weltkongress 16-17Klatsch 18Mutationen 19Agenda 19

Verstehen und Verständnis

Die Diskussion im Vorstand hatte sich an den Reaktionen auf eine Serie von Artikeln entzündet. Diese waren in verschiedenen Medien zum Thema Brustkrebsscreening erschienen. Ob alle Autoren sich auf die gleichen Quel-len gestützt hatten, war nicht eindeutig, schien aber naheliegend. In vielen die-ser Artikel wurden zwar die Fortschrit-te bei der Behandlung dieser Krebsform dargestellt, ihnen aber häufig eine - an-scheinend unanfechtbare - Kostenrech-nung gegenüber gestellt. Die Interpre-tation der Kosten verlieh dem Thema einen neutralen, wissenschaftlichen Anstrich. Einer der Autoren begrün-dete im Gespräch die Zahlenwirtschaft mit Empirie und folglich mit einer streng wissenschaftlichen Darstellung der Problematik. So weit, so gut. Oder etwa doch nicht?

Zu der Zeit führte ich häufig Gespräche mit anderen Frauen. Bei der Diskussi-on um die Behandlung früh erkannter Tumore und die medizinischen Mög-lichkeiten zur Vermeidung schwerwie-gender, kostenintensiver Therapien verwiesen die meisten auf diese Arti-kel. Der Tenor: Totale Verunsicherung. Denn wer die Zahlen sehe, die durch Mammographien und Röntgenbilder (es gibt kostengünstige Verfahren, von denen in den Artikeln keine Rede war) verursachten Kosten, die niedrigen Zahlen der Ueberlebenden - da brin-ge ja die Früherkennung nichts. Im Gegenteil, die Lektüre solcher Artikel

habe eher die Angst vor einer möglichen Diagnose Krebs geschürt. Man schiebe eine Mammographie lieber auf. Diese Gespräche machten (wieder ein-mal) klar: Es gilt, die eigene Arbeitswei-se einmal mehr einem kritischen Test zu unterziehen. Das Thema für das SNF-Seminar 2008 war gesetzt: «Wie versteht man was richtig?».

Zum (eigenen) Verstehen gehören das Verständlichmachen, das Verstanden-werden und damit auch das journa-listische Selbstverständnis. Damit befasst sich Christoph Drösser (Chef-redaktor des Magazins „Wissen“ der ZEIT) in seinem Beitrag zu Anspruch und Wirklichkeit im Berufsalltag. Er spricht damit sicher vielen Journa-listen aus der Seele. Geschrieben war der Text für ein Seminar, an welchem Matthias Kohring, Professor für Kom-munikationswissenschaft an der Uni-versität Münster, seine These vertrat, der Journalist sei ein Vertrauensvermitt-ler. - Die Seite der Vermittlung medizini-scher Fakten in einem klar definierten Le- serumfeld beleuchtet Sabine Olff aus ihrer Erfahrung bei einer Spenden-organisation. Sie vertritt die Haltung

„Keine falschen Hoffnungen wecken“. – Auch das eine Aufforderung, über das Selbstverständnis von uns Journalisten zu reflektieren.Mürra Zabel

I N H A L T

E D I T O R I A L

März 2008

Zürich im April: zwischen Pop und Uni-Jubiläum

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S N F - S E M I N A R

Wer versteht da was wie richtig?

Das diesjährige Frühlingsseminar widmet sich dem Verstehen von Texten: Um uns über das Verstehen und Verstandenwerden etwas mehr Klarheit zu verschaffen. Es findet am 22. Mai (Fronleichnam) in Olten statt und wird wie immer vom Nationalfonds unterstützt.

Von Marcel Hänggi

Journalistische Arbeit ist nichts wert, wenn die Leserinnen oder Hörer sie nicht verstehen. Nur schreiben (sprechen) wir JournalistInnen dummerweise fast immer im Ungewis-sen darüber, ob das, was wir schreiben, auch verstanden und richtig ver-standen wird. Zu den seltenen Momenten, in denen man auf seinen Text ein Feedback erhält, gehören Live-Auftritte. Vor einiger Zeit mod-erierte ich eine D i s k u s s i o n s -veranstaltung. Ein Referent erwähnte, dass eine Schwanger-schaft als Risiko-schwangerschaft gelte, wenn die Wahrscheinlich-keit, dass das Kind einen Chromosomenfehler habe, gröss-er sei als 1:400. Das Publikum reagierte nicht. Eher zufällig formulierte ich das um und sagte, das bedeute, dass das Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,75 Prozent gesund sei. Jetzt ging ein Raunen durch das Publikum. Ich war überra-scht, dass das Publikum sich unter der zweiten Zahl offen-sichtlich eher etwas vorstellen konnte als unter der ersten

– für mich als jemand, der sich den Umgang mit Zahlen gewöhnt ist, war das einfach das selbe anders ausgedrückt. Tückische Zahlen, klare BegriffeSobald Zahlen im Spiel sind, wird Verständnis schwierig, und Wahrscheinlichkeiten sind besonders tückisch. Aber wie ist es mit den Begriffen? Holger Wormer, einer un-serer Referenten, erzählte mir eine Anekdote: Ein Wissen-schaftsredaktor wollte einem Kollegen, der nicht vom Fach war, erklären, dass es Alternativen zu den embryonalen Stammzellen gebe. Nach umständlichen Erklärversuchen

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möglichst ohne Fachbegriffe sagt der vermeintlich unwis-sende Kollege plötzlich: «Ach, du meinst die adulten Stam-mzellen!» Umgekehrt ergeht es mir gelegentlich, wenn ich unter Freunden von meiner Arbeit zum Thema Klimawan-del erzähle und annehme, die seien mit dem Thema hal-bwegs vertraut. Dann erwähne ich das IPCC, und mein Gegenüber fragt mich: «Eipissiwas?»Das Problem betrifft natürlich nicht nur den Wissen-schaftsjournalismus. Ich habe von gewissen Artikeln über die Hintergründe der Hypothekenkrise nur Bahnhof ver-standen. Aber vielleicht betrifft das Thema uns Wissen-schaftsjournalisten dennoch in einem stärkeren Ausmass als andere KollegInnen. Eine jüngst publizierte Studie der Yale University zeigte, dass ProbandInnen bereit waren, unsinni-

ge Erklärungen zu akzeptieren, wenn behauptet wurde, diese seien neurowis-senschaf t l i ch fundiert. Die (echte oder v e r m e i n t l i -che) Wissen-schaft l ichkeit hat eine grosse Suggestivkraft. Das Risiko, dass Halb- oder Falsch-ve r s t a n d e n e s geglaubt wird, ist in unserem Fach vermutlich grösser als bei

den Kollegen aus Politik, Kultur, Sport oder Wirtschaft. Wenn es um ein politisch relevantes Thema geht, kann Halb- und Falschverstandenes grosse Auswirkungen ha-ben. Mir fallen derzeit vor allem Beispiele aus dem Bere-ich Klima und Energie auf. Energie ist besonders schwi-erig: Erstens geht es um Grössenordnungen weit weg von dem, was wir körperlich erfahren. Ein kleines Zahlenspiel: Der Kommandant eines modernen Kampfpanzers befeh-ligt über die selbe Leistung (1 Megawatt) wie ein Feldherr mit einer Armee von 10.000 Mann (ohne Pferde) zur Zeit Napoleons. Zweitens hat die Physik erst recht spät (Mitte 19. Jahrhundert) das Konzept Energie (und Entropie) en-twickelt.

Von Halbwissen und HalbverstandenemDie Klimadebatte wimmelt von Halbverstandenem. Die jüngste Energiedebatte im deutschen Bundestag zeigte

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etwa, dass die PolitikerInnen verstanden haben, dass man CO2 im Boden verbunkern kann. Sie haben aber nicht verstanden, um welche Grössenordnungen es geht – sonst nähme das keinen so prominenten Platz ein. Und das hat mit unserer Arbeit zu tun: Ich habe kaum einen Artikel zu Carbon Capture and Storage gelesen, der nach dem Po-tenzial fragte. Dabei wäre das gar nicht so schwierig. Ein Siebtel des weltweiten anthropogenen CO2 abscheiden hiesse, dass man es mit einer Menge zu tun hätte, die dem weltweiten Erdölverbrauch entspricht. Um CO2 sicher zu lagern, müsste es mineralisch gebunden werden. Dabei entstünden pro Tonne CO2 fünf Tonnen Abraum, bei en-tsprechendem Bedarf an mineralischen Rohstoffen. Das kostet so viel Energie, dass der elektrische Wirkungsgrad eines Kraftwerks halbiert würde. Man kann mit solchen Zahlen ein bisschen rumspielen, dass auch dem Laien die Grenzen ins Auge fallen.Ein anderes Beispiel: Ein journalistischer Text schlug vor, CO2 aus der Luft zu gewinnen und damit den Energieträger Methanol herzustellen. Wenn der Text dabei vom «ge-schlossenen Stoffkreislauf» spricht, dann dürfte beim ther-modynamisch ungebildeten Leser vor allem «geschlossener Kreislauf» und «Energie gewinnen» hängen bleiben – ein Perpetuum mobile! (Einige Leser, die ich fragte, bestätigten meine Vermutung.) Manchmal muss man beim Schreiben vorwegnehmen, was falsch verstanden werden könnte, und dem explizit widersprechen (darüber wird am Seminar Walter Herzog sprechen). An unserem Seminar werden wir Gelegenheit haben, an-hand weiterer Beispiele darüber zu diskutieren, wie es zu Missverständnissen kommt und wie sich diese besser vermeiden lassen. Wir haben einen Linguisten einge-laden, der über die linguistische Textverständnisfor- schung referieren wird (Felix Steiner, Zürcher Hochschule Winterthur). Ein Pädagoge befasst sich mit «impliziten Wissen»: Was wissen wir, was glauben wir zu wissen, was «wissen» wir falsch – und wie beeinflusst dieses Vorwissen (oder Vor-Unwissen) das Verständnis wissenschaftlicher Aussagen? (Walter Herzog, Universität Bern.) Ein ehema-liger Wissenschaftsjournalist und heutiger Professor für Wissenschaftsjournalismus befasst sich mit der Karriere von Wörtern wie «Stammzelle» – vom unverständlichen Fremdwort zum vertrauten zum verstandenen oder miss-verstandenen Begriff (Holger Wormer, Universität Dort-mund). Ganz handfeste Erkenntnisse bringt Carlo Imboden mit: Er hat den Reader-Scan entwickelt, eine Art Einschalt-quotenmessgerät für den Printbereich. Erbarmungslos registriert dieses, wenn bei einem Satz fünfzig Prozent aller LeserInnen das Handtuch werfen. Und schliesslich wird Thomas Kropf von Radio DRS auf die Eigenheiten des gesprochenen Texts eingehen – nicht alles, was auf dem Papier klar ist, wird auch akustisch verstanden.

Frühlingseminar des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus (SKWJ)

in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF)

Donnerstag, 22. Mai 2008, Hotel Arte, Olten

Moderation:Marcel Hänggi und Irène Dietschi

Programm:9.00 bis 10.00 Felix Steiner Zürcher Hochschule Winterthur, Angewandte Linguistik: Wie LeserInnen journalistische Texte im Wissenschaft-steil von Zeitungen verstehen. Linguistische Textverständnisforschung (inkl. Fragen und Diskussion)

10.00 bis 11.00 Walter Herzog Universität Bern, Institut für Erziehungswissenschaften: Wie implizites Wissen das Textverständnis beeinflusst (inkl. Fragen und Diskussion)

11.00 bis 11.20 Kaffee

11.20 bis 12.20 Holger Wormer Universität Dortmund, Institut für Journalistik: Stammzellen, Fälschungen. Zur Dynamik des Verständ-nisses wissenschaftlicher Begriffe (inkl. Fragen und Diskussion)

12.30 bis 13.20 Mittagessen

13.30 bis 13.50 Carlo Imboden ReaderScan Imboden & Co: Einführungsreferat Erfahrungen mit dem ReaderScan

14.00 bis 14.45 / 14.45 bis 15.30 Zwei Workshops parallel mit je der Hälfte der Teilnehmer: Carlo Imboden: Reader-Scan / Thomas Kropf und Christian Heuss, Radio DRS: Verständlichkeit gesprochener Texte

15.30 bis 16.15 Feedbackrunde und Schlussdiskussion

AnmeldungBis spätestens 10. Mai 2008 an: Kathrin Sterchi, [email protected].

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T H E M A V E R S T E H E N V O N T E X T E N

Keine falschen Hoffnungen wecken

Medizinische Themen sind ein besonders heikles Ge-biet. Zu schnell können Hoffnungen geweckt werden. Die Autorin berichtet von ihren Erfahrungen an der Schnittstelle zwischen Experten und Betroffenen.

Von Sabine Olff

Auf Seite Eins der BILD-Zeitung prangte: Nierenzellkrebs geheilt. Illustriert war der Artikel über die verheissungs-volle Krebs-Impfung mit einer Tumorzelle, die sich in die fette Überschrift zu fressen schien. Die BILD-Front frass sich auch in mein Gedächtnis. Denn erstmals bekam ich an diesem Tag direkt zu spüren, welche Hoff-nungen Zeitungsartikel bei Betroffenen schüren kön-nen. Und ich bekam eine Ahnung davon welch verant-wortungsvollen Job Medizinjournalisten innehaben.Damals, vor sechs Jahren, arbeitete ich als Presserefer-entin bei der Deutschen KreAbshilfe (DKH). Die Spen-denorganisation unterhält zwar eine Hotline für Kreb-spatienten, aber an jenem Tag als die BILD die Heilung für Nierenzellkrebspatienten in Aussicht stellte, «ver-irrten» sich Schwerstkranke oder deren Angehörige auch immer wieder in die Pressestelle. Die Meldung verbreitete sich unter den Patienten wie ein Lauffeuer.

Berichterstattung mit VorsichtVon wem sie derart therapiert werden könnten, war die immer wiederkehrende Frage. Und die nüchterne Ant-wort: Die Therapie sei noch nicht einsatzbereit. Sie sei erstmals in einer kleinen klinischen Studie getestet worden. Von Heilung könne man in diesem Stadium der Studie nicht sprechen. Es müssten weitere, gössere Stu-dien durchgeführt werden, die die Wirksamkeit bestäti-gen. Aber dann sei es zu spät, entgegneten die Patienten. Es verschlug mir die Stimme. Stille. Ihre kurzzeitige

Hoffnung auf Heilung musste ich am Telefon zerstören.Derartige Begegnungen mit Krebskranken gab es während meiner zweijährigen Tätigkeit als Pressereferentin immer wieder. Das prägt. Und so hatte ich die Betroffenen beim Schreiben von Presseinformationen, Patientenbroschüren oder Artikeln für die DKH-Zeitung immer vor Augen. Sow-ie die Frage: Weckt mein Artikel falsche Hoffnungen? Den Grundsatz habe ich bis heute, seit knapp zwei Jahren arbeite ich als Redakteurin bei der SonntagsZeitung, beibehalten.Um keine falschen Hoffnungen zu schüren und so gründlich wie nötig zu informieren, versuche ich mich bei der Berichterstattung an folgende Punkte zu halten:

Studiendesign kurz beschreibenIn der Studienbeschreibung sollte enthalten sein, wie viele und welche Patienten an der Studie teilgenommen haben. Ein Beispiel: In der vielfach beschriebenen Anti-Nogo-Therapie für Querschnittgelähmte wird meist von einer Therapieoption für Querschnittgelähmte im Allge-meinen berichtet. Gern werden Silvano Beltrametti und Christian Wenk als mögliche Nutzniesser genannt. Für sie ist die Therapie aber gar nicht geeignet. Erstens sind sie nicht frisch verletzt und zweitens ist ihr Rücken-mark komplett durchtrennt. Die Anti-Nogo-Therapie wird derzeit aber nur bei frisch verletzten getestet. Und: Sie vermag wahrscheinlich nur jenen Patienten zu helf-en, deren Rückenmark über Restverbindungen verfügt.Ausserdem wichtig: Vergleichsgruppe beschrei-ben und Studiendauer nennen.- Darstellung des Therapieerfolgs:Pharmafirmen drücken den Therapieer-folg gern in Prozentzahlen aus. Besser und ehrlicher werden die Leser informiert, wenn man mit absoluten Zahlen ar-beitet. Ein Beispiel: Wenn bei einer Patientin mit metas-tasierendem Brustkrebs die Lebenserwartung ohne Ther-apie ein Jahr und mit Therapie anderthalb Jahre beträgt, heisst das in Prozent: Die Lebenserwartung nimmt um 50 Prozent zu. Das klingt natürlich um einiges eindrucksvol-ler als das halbe Jahr, das die Patientin durchschnittlich durch die neue Therapie gewinnt. Und: Zur Darstellung des Therapieerfolgs gehören auch die Nebenwirkungen!

Umgang mit präklinischen Studien (Tierversuche)Für die aktuelle Therapie von Patienten spielen präklinis-che Studien keine Rolle. Sofern es sich um einen neuen, plausiblen therapeutischen Ansatz handelt, haben solche Publikationen auf den Wissenschaftsseiten oder in den

-journalen dennoch ihre Berechtigung. Allerdings sollte die Tatsache, dass die Therapie bislang nur im Tierversuch getestet worden ist und damit die klinische Relevanz fehlt, so früh wie möglich im Beitrag verdeutlicht werden. Ein Betroffener wird sich dennoch die Frage stellen, wann die Behandlung verfügbar ist und wie sie ihm helfen könnte.

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L I T E R A T U R

Benutzerhandbuch, Planet ErdeWissenschaftsberichte in Zeitungen, Radio und Fernsehen sind beliebt. Das zeigen mehrere repräsentative Umfragen. So kommen Themen aus Naturwissenschaft, Medizin und Technik beim Publikum der Sonntags-Zeitung besser an als Sportbe--richte; Schweizer Radio DRS hat seine Wissenschaftsredaktion erweitert, und Pro 7 baut die erfolgreichste TV-Wissenssen- dung Europas, das Magazin Galileo, weiter aus und will bald auch täglich senden.

Der Erfolg des Wissenschaftsjournalismus’ stellt ihn jetzt vor eine Neuorientierung. Die Herausgeber haben die Entwicklung in den vergangenen Jahren beobachtet und zeichnen in einem Fachbuch* Trends auf; gleichzeitig skizzieren Praktiker theore-tische Überlegungen und Theoretiker praktische Konzepte.

Auf den ersten Blick scheinen die Beiträge eine Diskussion un-ter Experten, den Wissenschaftsjournalisten, zu widerspiegeln; der zweite Blick zeigt aber die Brisanz des Themas: hier geht es um Qualität im Wissenschaftsjournalismus, um die Diskus-sion, ob im Fachressort Spezialisten oder Generalisten gefragt sind. Für das Autorentrio ist klar, dass sich professionelle Wis-senschaftsreporter dadurch auszeichnen, „dass sie durch lang-fristige Beobachtung der Wissenschaft Aktualität und Hintergr-und in der Berichterstattung kombinieren können“. Weiter seien sie „unerschrockene, unbequeme und neugierige Beobachter der Wissenschaft, nicht aber Verkünder wissenschaftlicher Wahrheiten“.

Die hehre Sicht vom „Lotsen im Dschungel mutmasslichen Wissens“ steht im Kontrast zur Entwicklung in vielen grossen Medienhäusern: aus Wissenschaftsjournalismus wird Wissens-Journalismus (siehe Galileo von Pro 7), der fachlich akkuraten Berichterstattung steht die Popularisierung entgegen. In Deutschland werden an allen Studiengängen für Wissen-schaftsjournalismus die journalistischen Grundkompetenzen gelehrt – begleitet von einer Vertiefung in Naturwissenschaft und Technik. Die Kombination soll helfen, Themen aus den Wissenschaften aus journalistischer Sicht (nach Relevanz und Aktualität) zu beurteilen und verständlich und fachlich korrekt darzustellen. Und der unterhaltende Wert? Dieser dürfe nicht fehlen. Wissenschaftsjournalismus muss auch unterhalten, fin-det etwa Christoph Drösser. Wie die Unterhaltung aber gewich-tet werden soll, darin scheiden sich die Geister. Frank Schätzing, Bestsellerautor („Der Schwarm“) und für das Buch ebenfalls um eine Stellungnahme angefragt, warnt vor einem „Informations-monstrum“ und plädiert dafür, Wissenschaft so einfach wie nur möglich unters Volk zu bringen – etwa in der Form eines

„Benutzerhandbuches, Planet Erde“.

Michel Breu

Gret Kienzlen, Jan Lublinski, Volker Stollorz: „Fakt, Fiktion, Fälschung. Trends im Wissenschaftsjournalismus“, UVK-Ver-lag, Konstanz, 2007 (244 Seiten, broschiert, sFr. 48.90)

Die Fragen gilt es zu beantworten. Es liegt nun am Wissen-schaftler verantwortungsvoll Auskunft zu geben.Wiederum Beispiel Querschnittlähmung: Auf die Frage was ein Paraplegiker von einer Anti-Nogo-Therapie er-warten könne, sagte mir Martin Schwab (vor Beginn der Humanstudien): Eine Verletzung am Rückenmark gleiche einer Bombe in einem Computerzentrum. Keine Thera-pie könne das Trümmerfeld komplett neu aufbauen. Es würden höchstens grobe Funktionen wie Stehen oder Ge-hen zurückzuholen sein.

Zweitmeinung unerlässlichOb klinische oder präklinische Studie: Es sollte neben den Studienautoren immer ein zweiter unabhängiger Fach-mann zu der Aussagekraft und der Bedeutung der Ergeb-nisse befragt werden.

Redaktions-PraxisZugegeben, es ist nicht ganz einfach im hektischen Redak-tionsalltag derart umfassend jede neue Therapie oder jeden neuen Therapieansatz zu beleuchten. Oft fehlen die Zeit und die nötigen Zeilen respektive die nötigen Sendemi-nuten. Ist dies bei einem heiklen Thema wie beispielsweise Psychoonkologie absehbar, tut man den Patienten (und sich) wahrscheinlich einen Gefallen das Thema zu verta-gen oder sogar ganz sein zu lassen. Entsprechend schreibe ich keine Kurzmeldungen über neue Therapien, die einer kritischen Einordnung bedürfen.Weniger schwieriger ist es im Artikel oder Beitrag auf Wörter wie Revolution, Heilung oder Durchbruch zu verzichten. Kaum eine neue Therapie hält diesen starken Worten stand. Insbesondere in der Überschrift haben die Worte nichts verloren.

Sowieso, die Überschrift. Ich denke es lohnt sich mit Produzenten «Kämpfe» um «patientenfreundliche» und nicht zu verheissungsvolle Überschriften zu führen. Man gewinnt nicht immer, aber man hat es zumindest versucht.

- Patientenkontakt suchen!Um zu wissen für wen man als Medizinjournalist vor allem schreibt, sollte man den Pa-tientenkontakt suchen. Dafür fehlt wiederum meist die Zeit. Und es kostet Überwindung kranken und vielleicht sogar todgeweihten Menschen zu begegnen. Um mit der nötigen Sensibilität zu berichten, ist es für einen Medizin-journalisten meines Erachtens aber unabdingbar.Eine Aussage von Christian Wenk, Arzt und Paraplegiker, hat sich ebenso in mein Gedächtnis eingebrannt, wie die Heilungsversprechungen auf der BILD-Zeitungs-Front: «Die Hoffnung auf Heilung steht der Akzeptanz im Weg. Mit falschen Hoffnungen lebt es sich viel schlechter als mit den Tatsachen.»

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Der Wissenschaftsjournalist als Anwalt des LesersAnspruch und Wirklichkeit stimmen im Beruf der Wis-senschaftsjournalisten nicht unbedingt immer überein. Der Autor vertritt die Haltung, als Experte sei er der „An-walt des Lesers“. In dieser Funktion müsse er kritisch berichten; es reiche nicht, die Beurteilung von Relevanz den Medien von internationalem Ruf zu überlassen.

Von Christoph Drösser

Ich habe in meinem „ersten Leben“ Mathematik studiert. Die gilt als eine sehr reine und vergeistigte Wissenschaft, die alles hinterfragt, auch ihre eigenen Grundlagen. De-mentsprechend hätten alle Mathematiker hochgradig ver-stört reagieren müssen, als im vergangenen Jahrhundert etwa durch die Arbeiten von Kurt Gödel klar wurde, dass ihr Gedankengebäude auf tönernen Füßen stand, dass es zum Beispiel Sätze gibt, die weder beweisbar noch wider-legbar sind. Das Gegenteil ist der Fall: Mathematiker be-treiben ihre Wissenschaft erstaunlich naiv und mit „ge-sundem Menschenverstand“. Daran musste ich denken, als ich Kohrings Text las – da denkt jemand sehr intensiv über die Grundlagen unserer Arbeit nach, während wir unseren Job machen, ohne uns groß um diese Grundla-gen zu kümmern. Was Journalismus im Allgemeinen und Wissenschaftsjournalismus im Besonderen ist, glaubt jeder Praktiker irgendwie zu wissen. Trotz oder gerade wegen dieser naiven Vorgehensweise ist es wichtig, ab und zu mal den Blick von außen auf unsere Profession zu werfen, insbesondere einen wissenschaftlichen Blick.

Die Festreden, die von Wissenschaftlern und Industriever-tretern auf den Wissenschaftsjournalismus gehalten werden, machen deutlich, dass offenbar immer noch das Bild des Wissenschaftsjournalisten als eines „Über-setzers“ wissenschaftlicher Inhalte für die breite (gleich

dumme) Masse gepflegt wird – insbesondere bei denen, die Gegenstand unserer Berichte sind. Mich erinnert das an die Rolle, die die kommunistischen Parteien des letz-ten Jahrhunderts den Gewerkschaften zumaßen – „Trans-missionsriemen“, die die höheren Einsichten der Elite dem niederen Volk nahebrachten. So wie aber Gewerk-schaften, die den Namen verdient haben, die Interessen ihrer Mitglieder gegen „die da oben“ vertreten und nicht umgekehrt, so sind Journalisten, egal ob sie das Präfix

„Wissenschafts-“ tragen oder nicht, in erster Linie An-wälte ihrer Leser und nicht der Wissenschaftler. Es muss ja nicht gleich in Umsturz und Klassenkampf ausarten. Deshalb ist es zu begrüßen, dass Matthias Kohring in seiner Arbeit einige Dinge ein für allemal klar stellt:

-sensvermittlung.

-pagne zum Public Understanding of Science.

der Beziehung des Journalisten zum Publikum, nicht zum Berichtsgegendstand.

nach journalistischen Relevanzkriterien“.

Eigentlich hatte ich gedacht, dass diese Dinge zum Allge-meingut der Szene gehören, seit sich das (Selbst-)Ver-ständnis von Wissenschaftsjournalismus vor etwa 30 Jah-ren grundlegend gewandelt hat. Damals wurden erstmals die Segnungen von Wissenschaft und Technik nicht nur als objektive Wahrheiten aufgenommen und wiedergege-ben, sondern man begann sich kritisch mit deren An-wendung auseinanderzusetzen. Umweltzerstörung und der Streit um die Kernenergie waren Themen, bei denen Journalisten mit wissenschaftlichem Hintergrund die Funktion des kritischen Fragers gegenüber einem damals noch monolithisch erscheinenden „wissenschaftlich-poli-tischen Komplex“ übernahmen. Seitdem verstehen sich die meisten Wissenschaftsjournalisten eigentlich in erster Linie als Journalisten, die eine kritische Distanz zu ihren Quellen zu wahren haben – so wie ein politischer Jour-nalist sich auch nicht mit Politikern verbrüdern sollte.Einwände gegen Kohring habe ich da, wo er versucht, die Qualität von Journalismus völlig zu abstrahieren von sei-ner konkreten Form und seinem Inhalt, sondern sie nur aus der Beziehung zwischen Produzent und Konsument definiert. Wenn der Leser/Zuschauer dem Journalisten vertraut, ist der Journalismus gut – und der Journalist wird das als Ansporn begreifen, auch Qualität im Sinne der herkömmlichen journalistischen Kriterien zu lie-fern (Kohring zählt beispielhaft auf: Relevanz, Richtigkeit, Transparenz, Sachlichkeit, Ausgewogenheit, Vielfalt und

T H E M A V E R S T E H E N U N D V E R S T Ä N D N I S

Dieser Text von Christoph Drösser basiert auf einem Re-ferat. Der Chefredaktor des Magazins “Wissen” der ZEIT bezieht sich mehrfach auf die These Matthias Kohrings, Professor der Kommunikationswissenschaft an der Wilhelms-Universität Münster: Der Wissenschaftsjour-nalist sei ein Vertrauensvermittler und weniger ein Wissensvermittler. Die Qualität des Wissenschaftsjour-nalismus zeige sich im Vertrauen in Wissenschaft, Me-dizin und Technik und nicht zuletzt in Medien von in-ternationalem Rang. Beide Texte finden sich im Band

„Fakt, Fiktion, Fälschung. Trends im Wissenschaftsjour-nalismus“, den Michael Breu auf Seite 5 vorstellt.

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Verständlichkeit). Ich habe da meine Zweifel. Um sein Konzept „Qualität durch Vertrauen“ zu untermauern, gibt Kohring das Beispiel vom Zahnarzt: Zu einem Zahnarzt zu gehen, den man nicht kennt, entspricht in etwa dem Kauf einer Zeitung, die man noch nie gelesen hat. Sich diesem Zahnarzt gleich für eine Wurzelbehandlung anzuvertrauen, erfordert viel Mut zum Risiko, vergleichbar dem spontanen Abonnement eines Magazins, das man noch nie gelesen hat. Das macht man wohl nur, wenn einem der Zahnarzt von

jemandem empfohlen wird, auf dessen Urteil man viel gibt (oder auf dem Magazin “DIE ZEIT” als Absender steht).

Der Kommunikationswissenschafter Matthias Kohring von der Wilhelms-Universität in Münster rät den Journal-isten ein Umdenken vom Wissens- zum Vertrauenmittler. Denn die Qualität des Wissenschaftsjournalismus’ zeige sich im Vertrauen in Wissenschaft, Medizin und Technik.Mein Punkt ist: Die Qualität eines Zahnarztes kann jeder beurteilen. Etwa daran, ob man bei der Behandlung vor Schmerzen schreit, vor allem aber daran, dass die Bes-chwerden spätestens nach ein paar Tagen dauerhaft ver-schwunden sind. Es gibt also eine direkte Rückkopplung zwischen der Entscheidung, diesen Zahnarzt aufzusuchen, und dem Behandlungserfolg. Wenn der ausbleibt, wird sich auf lange Sicht das Wartezimmer des Arztes leeren. Die Erwartungen der „Kunden“ sind klar, die Qualität der Arbeit lässt sich nach objektiven Kriterien beurteilen, und jeder der betroffenen Laien ist dazu in der Lage.

Bei Medien ist das anders: Zunächst einmal sind die Er-wartungen der Leser sehr unterschiedlich – der eine will wissen, was auf der Welt passiert ist, der andere will „nur“ unterhalten werden. Im letzteren Fall kann der Leser das tatsächlich beurteilen – wer sich nicht unterhalten fühlt, kauft die Zeitung nicht mehr. Aber im ersten Fall? Gerade wenn es um Nachrichten aus der Welt der Wissenschaft geht? Da kann der Laie kaum beurteilen, ob er korrekt in-formiert worden ist. Sein Ver- oder Misstrauen dem Me-

dium gegenüber basiert also nicht auf gesicherten Daten, sondern auf „weicheren“ Faktoren. Die direkte Rückkop-plung zwischen guter Arbeit (in diesem Fall: wahrheits-gemäßer und umfassender Information) und dem Ver-trauen des Lesers ist nicht gegeben – eigentlich kann nur der Journalist selbst (bzw. seine peer group) beurteilen, ob wirklich die wichtigen Dinge korrekt berichtet wurden.Natürlich kann man sagen: Das ist alles egal, solange der Leser uns vertraut und dieses Vertrauen durch den Kauf der Zeitung (oder das Einschalten des Programms) kund-tut. Das bereitet aber den Weg für eine zynische Berufsauf-fassung: Gut ist, was gekauft wird (das erinnert fatal an den Satz von den 10 Millionen Fliegen, die sich nicht irren können). Ich möchte das an zwei Beispielen konkretisieren.Fall 1: Ein Boulevardblatt berichtet unter der Überschrift

„Asteroid rast auf die Erde zu“ über eine drohende Gefahr aus dem Weltall. Das kommt jedes Jahr ein paar Mal vor, im Kleingedruckten steht dann meistens, dass der Asteroid im Jahr 2043 die Erde um „nur“ 200.000 Kilometer verfehlen

Journalistische Qualität bieten den Leserinnen und Lesern nicht nur die Elite-Titel

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wird. Wenn es denn überhaupt da steht. Beim typischen Boulevard-Leser erzeugt eine solche Meldung ein angene-hmes Gruseln und ist am nächsten Tag wieder vergessen. Ein gewisser Unterhaltungszweck ist erreicht worden – trotz-dem darf man fragen: Ist das guter (Boulevard-)Journalis-mus? Fall 2: Eine Wochenillustrierte macht eine Serie über Naturheilverfahren. Die sind zurzeit in der Zielgruppe des Blattes schwer in Mode, also wird auch fleißig getitelt mit den

„Kräften der Natur“ etc. Nur haben die Redakteure bei ihrer Recherche festgestellt, dass bei fast all diesen Verfahren die Wirksamkeit nicht zu belegen ist und man streng wissen-schaftlich von einem reinen Placebo-Effekt ausgehen muss.

Entspricht meine Arbeit meinen Massstäben?Sollen sie diese „Wahrheit“ (d. h. das, was sie nach gründli-cher Recherche für richtig halten) ihren Lesern erzählen, oder sollen sie die Erwartung („Natur ist gut“) der Leser-schaft erfüllen? Die meisten Zeitschriften machen letzteres, in der Serie, die im Stern erschien, haben die Autoren auch ihre Bedenken gegen eine unkritische Propagierung der Naturverfahren dargelegt, auch wenn dadurch eine gewisse Schere zwischen Verpackung und Inhalt des Textes entstand.Was ich mit diesen Beispielen sagen will: Der Journal-ist ist letztlich doch zurückgeworfen auf seine eigene Beurteilung von Qualität. Entspricht das, was ich schreibe, meinen journalistischen Maßstäben? Will ich, und sei es noch so boulevardesk, Sachverhalte kor-rekt darstellen, oder will ich nur Nervenkitzel erzeugen? Will ich die Erwartungen der esoterisch angehauchten Leserschaft erfüllen oder nach bestem Wissen und Gewissen die Ergebnisse meiner Recherche mitteilen?Wenn es konkret wird, gibt eigentlich auch Kohring zu, dass es solche immanenten Kriterien für die Beurteilung von journalistischen Produkten gibt. Er bedient sich dabei eines kleinen Tricks: Unter der Überschrift „Was bedeutet Vertrauen in den Wissenschaftsjournalismus?“ schreibt er, eine Funktion des Wissenschaftsjournalismus sei „die Beobachtung von Wissenschaft auf solche Ereignisse hin, die für die gesellschaftliche Umwelt der Wissenschaft re-levant sein könnten; und zweitens: die Beobachtung der Gesellschaft im Hinblick auf solche Ereignisse hin, die für die Wissenschaft Konsequenzen haben könnten“. Dies sei die Erwartung des Publikums, an dem sich der Journalist zu messen habe. Klar – wenn das die Erwartung des Pub-likums ist, dann können wir uns schnell auf dieses Krite-rium für Qualität einigen. Der Trick ist, dass hier eine idea-lisierte Erwartungshaltung definiert wird, die allenfalls das Publikum der so genannten „Qualitätszeitungen“ hat (ein Begriff, der mir im Übrigen nicht besonders gefällt), und unter denen wahrscheinlich auch nur ein Teil. Viele Leser und Zuschauer haben aber eine so ausgeprägte Erwartung nicht – sie kaufen eine Zeitung, weil sie sich unterhalten lassen wollen, weil sie Lesestoff für die Frühstückspause suchen oder Zerstreuung auf einer längeren Bahnfahrt.

Trotzdem finde ich die Definition gut – und würde so weit gehen zu sagen: Journalismus guter Qualität orientiert sich an einem derart idealisierten Bild vom Leser. Er er-füllt sozusagen die hehren und hohen Erwartungen dieses Vorzeigekonsumenten – auch wenn der reale Leser diesen hohen Anspruch gar nicht hat. Und dann sind wir ganz schnell wieder bei den etwas abfällig abgehandelten „in-neren Werten“ wie Relevanz, Richtigkeit, Transparenz, Sachlichkeit, Ausgewogenheit, Vielfalt und Verständlichkeit.Ich glaube nicht, dass so verstandene Qualität nur von

„Elite-Medien“ wie der “Süddeutschen Zeitung”, “Frank-furter Allgemeine Zeitung”, der “ZEIT” oder den Sendun-gen im Spätprogramm der öffentlich-rechtlichen Sender geliefert werden kann – deshalb auch meine Abneigung gegen deren Selbstdefinition als „Qualitätsmedien“. Qual-ität gibt es in jedem Genre, vom Boulevard bis zum Bil-dungsfeuilleton, vom lokalen Fernsehmagazin bis zur Fachzeitschrift. Die Kriterien sind halt unterschiedliche

– aber sie sind in meinem Verständnis allesamt journalis-tische. Letztlich geht es darum, dass der Journalist als „An-walt des Lesers“ nach bestem Wissen und Gewissen handelt.

Kritisch heisst: aus fundierter Sachkenntnis schreiben Ich schrieb am Anfang vom gewandelten Selbstverständ-nis des Wissenschaftsjournalismus. Wie ist denn nun der Qualitätsstandard, gemessen an diesem Selbstverständnis? Da würde ich der Zunft ein „befriedigend“ verleihen. An-spruch und Wirklichkeit klaffen immer noch auseinander, noch ist der Wissenschaftsjournalismus nicht wirklich im Journalismus angekommen. Zunächst rein handwerklich: Es mangelt weiterhin an guten Autoren, die die Vielfalt der journalistischen Formen souverän beherrschen und nicht nur das Standard-„Feature“, das mit einem szeni-schen Einstieg im Labor beginnt, nach einem Absatz auf die Erklär-Ebene wechselt, ganz viele Fakten vermittelt und zum Ausstieg wieder an die Eingangsszene anknüpft. Es gibt wenige richtige Reportagen, persönliche Porträts oder respektlose Interviews. Viel bedenklicher ist aber die Tatsache, dass es wenige Autoren gibt, die den Anspruch erfüllen können, wirklich kritisch, und das heißt aus einer fundierten Sachkenntnis heraus, über ein Wissenschafts-gebiet zu berichten. Das liegt an der Komplexität der Ma-terie – die Autoren, die etwa in der aktuellen Stammzellen-Debatte nicht nur eine Meinung wiedergeben, sondern die Relevanz der wissenschaftlichen Arbeit beurteilen können, lassen sich an zwei Händen abzählen. Viel zu oft überlassen wir die Beurteilung dieser Relevanz Medien wie “Science” und “Nature” – wenn es eine Arbeit in diese Zeitschriften geschafft hat, dann wird sie schon wichtig sein. Das reicht aber letztlich nicht aus, um das zu tun, was in meinen Au-gen guter Journalismus immer tut: kritisch zu berichten und aufklärerisch zu wirken.

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E U S J A

DV im Zeichen von «change»

An der DV in Berlin wurde der Vorstand der Eusja auf-gefrischt. Neuer Präsident ist Hajo Neubert von der deutschen Teli.

Die diesjährige Delegiertenversammlung der Eusja (Eu-ropean Union of Science Journalists’ Association), der unser Klub seit über 30 Jahren angehört, fand Mitte März erstmals in Kooperation mit Euroscience statt. Über 20 europäische Delegierte tagten in Berlin in den Räumlich-keiten der Helmholtz-Gemeinschaft. Der SKWJ wurde wie in den vorigen beiden Jahren von Vorstandsmitglied Irène Dietschi vertreten. Dabei wurde sie in voller Aktion sie bildlich festgehalten

Erweiterung nach Ost und West Die Tagung stand im Zeichen von «change» – galt es doch, den gesamten Eusja-Vorstand neu zu wählen, wobei sich drei Bisherige erneut für Ämter zur Verfügung stellten. Ganz schied einzig Istvan Palugyai (Ungarn) aus, der den Ver-band in den vergangenen vier Jahren präsidiert hatte. Er sei sehr zufrieden, erläuterte Istvan in seinen Abschiedsworten, dass unter seiner Ägide diverse neue Vereinigungen zur Eusja gestossen seien: Klubs aus Tschechien, Polen, Portu-gal, Katalanien oder die deutsche Wissenschaftspressekon-ferenz WPK, um einige zu nennen; in Berlin stiessen Griechenland und Rumänien als neue Sektionen dazu.Ebenso betonte der scheidende Präsident die guten Kontak-te zur Europäischen Kommission oder zum Weltverband der WissenschaftsjournalistInnen. Dadurch sei das Profil der Eusja gestärkt worden. Zudem habe die Beteiligung am EU-Projekt «Wonders» (eine Art Wissensfestival, an dem sich in der Schweiz auch der SKWJ zusammen mit Science-et-cité in Form eines Science Cafés beteiligte) viel Geld in die Eusja-Kassen gespült. Für diese Aktivität musste sich Istvan Palugyai allerdings wiederholt scharfe Kritik aus den eigenen Reihen gefallen lassen, da mehrere Vereini-gungen – darunter auch der SKWJ – der Meinung waren, «Wonders» habe mit Journalismus herzlich wenig zu tun.

Bisherige Köpfe in neuen ÄmternNeu ins Präsidium gewählt wurde der vormalige Vize und Teli-Präsident Hajo Neubert (Deutschland). In seinem Programm sieht er vor, neue Netzwerke unter den Eusja-Mitgliedern aufzubauen und insgesamt die Kommunika-tion zu intensivieren. Hajo Neubert sagte, die Eusja solle auf dem Terrain des Wissenschaftsjournalismus «sichtba-rer» werden und auch neue Aufgaben anpacken, beispiels-weise Mentoring-Programme für Ost-Vereinigungen, oder Partnerschaften in Afrika, wo der Wissenschaftsjournalis-mus in diversen Ländern organisierte Formen annehme.Um ein «besseres Profil» der Eusja – insbesondere im

Hinblick auf die Weltkonferenz in London im Juni 2009 - will sich die neu gewählte Vizepräsidentin Bar-bara Drillsma (United Kingdom) kümmern, die vor-her als Generalsekretärin des Verbands tätig war. Dieses Amt bekleidet jetzt die Russin Viola Egikova. In seinem Amt als Schatzmeister wurde der Bisherige Vesa Niini-kangas (Finnland) bestätigt. Als Beisitzer und Verant-wortlicher für die Kommunikation liess sich der Schwede Kaianders Sempler erneut verpflichten. Die aktuellen Eusja-News sind übrigens auf www.eusja.org einsehbar.

Diverse Study TripsDie durch unseren Klub organisierte Eusja-Studienreise über Nanotechnologie im Juni letzten Jahres erhielt an der Delegiertenversammlung viel Lob – «perfekt wie eine Schweizer Uhr», wie der scheidene Eusja-Präsident Palug-yai witzelte. Offenbar hatten sich diverse Klubs vom Furor Bernhartschen Zuschnitts anstecken lassen, denn in Berlin wurden für 2008 einige vielversprechende Studienreisen vorgestellt:

Spanien, organisiert durch die katalanische Vereinigung.

Niederlanden, wo vor 400 Jahren das Teleskop erfunden wurde.

klusive Besuch eines Sami-Dorfs), zu der die finnische Ver-einigung einlädt.Details folgen rechtzeitig wie immer via Newsletter.

ESOF 2008Ein Highlight des Wissenschaftsjournalismus zu werden ver-spricht das diesjährige Euroscience Open Forum ESOF vom 18. bis 22. Juli in Barcelona. Den Appetizern nach zu urteilen, die der Kommunikationsverantwortliche Michael Kessler den Delegierten präsentierte, ist das ESOF 2008 («Science for a better life» auf der Höhe des Zeitgeists: «The very big and the very small», «Engineering the body» oder «What should we eat and how should we look?» lauten einige Themen. Die Organ-isatoren erwarten 4000 Besucherinnen und Besucher in Barce-lona. Interessierte also schnell anmelden: www.esof2008.orgIrène Dietschi

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G E N E R A L V E R S A M M L U N G 2 0 0 8

Datum: Freitag, 6. Juni 2008Ort: MeteoSchweiz, Krähbühlstrasse 58, ZürichAnfahrt: Ab Haltestelle Bahnhofstrasse mit dem Tram 6 Richtung Zoo bis Haltestelle Krähbühlstrasse.http://www.meteoschweiz.admin.ch/web/de/meteoschweiz/downloads.Par.0005.DownloadFile.tmp/zuerich.pdf

Programm15:30 – 17:00 Uhr GV17:00 –17:30Uhr Begrüssung durch Meteo Schweiz und kleiner Apéro (bei schönem Wetter auf dem Dach)17:30 – 19:00 Uhr „Wetter- und Klimarisiken managen” Vortrag „Klimarisiken managen”, Christof Appenzeller (45 Minuten) Führung im Wetterdienst „Wetter risiken managen“, Daniel Gerstgrasserab 19:30 Uhr Nachtessen im Restaurant „Altes Klösterli“, Klosterweg 36, Zürich

http://www.zoo.ch/xml_1/internet/de/application/d5/d166/d169/f230.cfm

Menu: Pilz-Stroganoff (verschiedene Pilze an einer pikanten Paprikasauce im Reisring serviert, Salat und Tagesdessert; ca. sFr. 30.-)

Traktanden1. Genehmigung des Protokolls der GV 20072. Jahresbericht des Präsidenten3. Bericht des Sekretärs, Jahresabschluss der Rechnung4. Revisorenbericht von Christian Bernhart5. Budget 2008/09 und genehmigen des (gleichbleiben-den) Mitgliederbeitrages6. Bestätigung des Vorstandes und des Präsidenten. Neuwahl eines Vorstandmitgliedes (Rücktritt von Irène Dietschi (Sonntag). Vorschlag des Vorstandes: Hanna Wick (NZZ)).7. Gesundheitsseminar 2008: Wahl eines Themas8. Statutenänderung und Anpassung des Reglements zum Recherchierfonds9. Verschiedenes

Zum Traktandum 8, Statutenänderung. Antrag des Vorstandes: Ersatzlose Streichung der Mit-gliederkategorie „Gönner“ in Artikel 4 und in Artikel 10 der Statuten, Anpassung von Artikel 7, „Finanzierung des Fonds“ im Reglement zum Recherchierfonds.

Begründung: In den vergangenen Jahren diskutierten der Vorstand und die Generalversammlung mehrfach über den Gönnerstatus. Wir mussten Kritiken von verschiedenen Seiten einstecken; immer lautete die Begründung, wir seien von der Lobby gekauft. Unsere Finanzen lassen es zu, den Gönnerstatus aufzuheben. Finanzielle Mittel für den Recherchierfonds kön-nen wir durch einen leicht erhöhten Preis für bezahlte Hinweise im Newsletter und den Verkauf von Adressen kompensieren.

„Wetter- und Klimarisiken managen“1. Vortrag „Klimarisiken managen“, Christof Appenzeller (45 Minuten)Der globale Wandel wird zunehmend zu einem ökonomischen Thema. Versicherer und Rückversicherer, Land- und Ener-giewirtschaft sowie Finanzmärkte nehmen die Klimarisiken im-mer deutlicher wahr. Genaue Informationen über kurzfristige Klimaschwankungen, d.h. Klimavorhersagen für die kommen-den Wochen und Monate, werden zu Schlüsselfaktoren für En-tscheidungsträger. Seit kurzem bietet MeteoSchweiz Monatsprognosen (4 Wochen) und saisonale Klimaprognosen (3 Monate) an. Christof Appen-zeller wird diese Prognosen, neuste Entwicklungen und Forsc-hungsergebnisse präsentieren sowie zeigen, wie Endnutzer, z. B. die SwissRe, schon heute vom verbesserten Klimarisiko-Man-agement profitieren.

2. Führung im Wetterdienst „Wetterrisiken managen“, Daniel Gerstgrasser (45 Minuten)Daniel Gerstgrasser wird die Routinearbeit eines zPrognostik-ers im Wetterdienst vorstellen: Wie entsteht eine Wettervorher-sage, was sind die Quellen, ...Spezialthema: „Ensemble Prognosen“, die neueste Art von Wet-termodellen mit Wahrscheinlichkeitsvorhersagen. Methoden, Nutzen, Vor- und Nachteile, ...Beispiel: Baustelle unterirdischer Bahnhof Löwenstrasse in Zürich. Ab April 2008 liefert MeteoSchweiz spezielle Vorhersa-gen (u.a. Ensemble Vorhersagen) an die Betreiber der Baustelle, um die Sicherheit vor Ort zu unterstützen. Zeigen die Modelle 3 bis 5 Tage im Voraus ein grösseres Unwetter über dem Einzugsgebiet der Sihl, soll der Pegel des Sihlsees vorgängig abgesenkt werden, um die Wasser-massen aufnehmen zu können. Zeigen die Modelle kurzfristige Starkniederschläge (z.B. Gewitter im Sommer), die nur wenige Stunden vorher absehbar sind, muss die Baustelle geräumt werden, um den Hochwasser-Durchfluss der Sihl zu garantieren.

Wichtig: Anmeldungen für GV und Abendessen bis spätestens Mittwoch, 19. Mai 2008, an Michael Breu, [email protected]

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Journalistische Zurückhaltung und Klimaerwärmung

von Marcel Hänggi

«Scientific Reticence [Verschwiegenheit, Zurückhaltung] and Sea Level Rise» ist der etwas merkwürdige Titel eines Papers des Nasa-Klimatologen James Hansen vom ver-gangenen Mai, erschienen in den Environ Res Lett (man kann den lesenswerten Artikel von Hansens Website run-

terladen). Hansen beschrieb darin soziale Dynamiken innerhalb der Klimaforschung respektive zwischen Wis-senschaft und Politik, die dazu führten, dass Wissen-schaftler sich scheuten, aus drastischen Messresultaten drastische Schlüsse zu ziehen – unter anderem, weil man Mühe habe, Forschungsgelder zu erhalten, wenn man einmal als Alarmist bekannt sei: «Concern about the danger of ‹crying wolf› is more immediate than con-cern about the danger of ‹fiddling while Rome burns›.»Hansen geht kaum auf die Rolle der Medien ein, aber seine Gedanken lassen sich leicht in diese Richtung weiter spin-

nen. Als Beispiel nennt Hansen die Prognosen des Meer-esspiegelanstiegs. Das IPCC geht in seinen Szenarien von einem Anstieg um 18 bis 59 Zentimeter bis 2100 aus. Es schreibt dazu, dass das zu konservative Schätzungen sein dürften, weil es «rapid dynamical changes in ice flow» nicht berücksichtigt habe, da diese noch nicht ausreichend verstanden seien. Hansen argumentiert, solche Eisflüsse – Folgen non-linearer Rückkoppelungseffekte – dürften in Zukunft den Löwenanteil des Anstiegs ausmachen, weshalb er in einem Business-As-Usual-Szenario eher mit einem Anstieg um Meter denn um Dezimeter rechnen würde.

Wir wissen, welche Eigendynamik Zahlen entwickeln, wenn sie einmal in die Welt gesetzt sind. Das IPCC macht eine korrekte Aussage, wenn es vermerkt, dass gewisse Ef-fekte noch unverstanden seien – aber das sind die Fußno-ten, die dann in der Debatte rausfallen. Sowas übersieht man in der schnellen SMD- oder Google-Recherche.Es gibt andere Beispiele. Wie oft wurde schon behaupt-et, es sei wissenschaftlicher Konsens, dass ein Tempera-turanstieg um zwei Grad noch akzeptabel sei. Das ist Unsinn: Was akzeptabel sei, ist keine wissenschaftli-che Frage. Das IPCC macht keine solche Aussagen. Das

K L I M A

Schon Monsunvorboten oder noch Frühlingssturm?

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K L I M A

IPCC sagt lediglich: wenn die Temperatur um so und so viel ansteigt, wird das und das geschehen. Nein, die ziemlich willkürliche Schwelle von zwei Grad wurde von der Politik, nämlich von der EU, ins Spiel gebracht.Oder: Bis 2050 müssen die Treibhausgas-Emissionen um mindestens 50 Prozent sinken, um eine schlimme Er-wärmung abzuwenden. Das stand etwa in einem Appell von 200 Wissenschaftlern an die Klimakonferenz von Bali. Das IPCC sagt aber: Die Emissionen müssen um 50 bis 85 Prozent sinken, um die Erwärmung auf 2 bis 2,4 Grad zu begrenzen. Und schreibt dazu in einer Fußnote das selbe, was es auch zum Meeresanstieg schreibt: Diese Schätzungen dürften zu konservativ sein, weil Rückkop-pelungen nicht berücksichtigt seien. Das übersehen die meisten Medien und konstruieren aus den lückenhaften Elementen eine wissenschaftliche Tatsache, wonach eine Reduktion um 50 Prozent genüge, um Schlimmes zu ver-hindern. Und die Kollegen aus den Politressorts stützen sich natürlich darauf, schließlich sind wir die Spezialisten. Was bedeuten die IPCC-Zahlen, wenn man ein bisschen damit herumrechnet? Eine Reduktion um 50 bis 85 Prozent bedeutet, dass der Pro-Kopf-Ausstoß 2050 bei einer (vor-sichtig) angenommenen Bevölkerung von 9 Milliarden 1,4 bis 0,4 Tonnen CO2-Äquivalente betragen dürfte. Die

Schweiz verursacht heute 12,5 Tonnen pro Kopf. Wenn man davon ausgeht, dass eine halbwegs gerechte Lösung gefunden werden soll, so müsste man für die Schweiz, aus-gehend von den IPCC-Zahlen, also eher von einer Reduk-tion um 89 bis 97 als von einer um 50 Prozent sprechen.Ja, das ist noch so eine Zahl: 12,5 Tonnen pro Kopf. Offi-ziell nach UNFCCC emittiert die Schweiz nur 7 Ton-nen. In den 7 Tonnen ist aber die Bilanz von (importi-erten) «grauen» und (exportierten) «weißen» Emissionen nicht enthalten; 12,5 Tonnen sind die realistischere Zahl. Sie stammt vom Bafu, was aber weder Amtsdirektoren

noch Bundesrätinnen daran hindert, immer wieder mit den 7 Tonnen zu argumentieren und zu behaupten, die Schweiz habe im OECD-Vergleich eine wenig CO2-inten-sive Wirtschaft. Wozu braucht es Journalisten, wenn nicht, um solchen irreführenden Aussagen zu widersprechen.Insgesamt findet eine Dynamik statt, ein Rückkoppelung-seffekt, der alle Zahlen abschwächt. Die Wissenschaftler sind «reticent», wie Hansen beschreibt, ihre Botschaften werden im Verlauf der Debatte weiter verkürzt, die Poli-tik macht daraus dann noch einmal abgeschwächte Kom-promisse, was die Wissenschaftler darin bestätigt, nicht zu viel erwarten zu dürfen, weshalb sie noch zurückhaltender werden. Das hat auch mit Gruppendynamik zu tun, wie sich am Fall von Bali beobachten ließ: Kurz vor Konferenz-schluss sah es nach einem Scheitern aus, bis die USA – grup-pendynamisch spektakulär, politisch heuchlerisch – aus-gebuht wurden, ihre Delegationsleiterin zusammenbrach und ein Schlussdokument unterzeichnet wurde. Dass in diesem nichts Substanzielles drin stand, wurde dann von vielen übersehen. Die «Süddeutsche» zitierte einen Forscher, er sei zufrieden, mehr habe man nicht erwarten können.Was können wir Wissenschaftsjournalisten besser tun? Erstens ab und zu mal wieder der Herkunft der Zah-len nachgehen. Zweitens nicht ignorieren, was wir wis-sen: Die Zusammenfassungen der IPCC-Berichte sind politische Dokumente. In den eigentlichen Berichten stehen Bemerkenswerte Dinge – beispielsweise, wie die Zahlen zustande kommen, wo sie mit Vorsicht zu ge-nießen sind und so weiter. Natürlich liest kein Journalist drei tausendseitige Berichte. Aber diese Dinger haben ja Inhaltsverzeichnisse, jedes Kapitel hat eine Zusammen-fassung, in den Technischen Zusammenfassungen steht vieles über die Methodik. Und schließlich gibt es Leute, die wissenschaftlich über die IPCC-Berichte arbeiten.

Marcel Hänggi schreibt zur Zeit mit Unterstützung des Klubs an einem Buch über Klimapolitik und deren wis-senschaftliche und ökonomische Grundlagen.

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E X K U R S I O N

Zur Glarner Hauptüberschiebung In diesem Gebiet wurden mehr als 250 Millionen Jahre alte grünliche bis rötliche Verrucanogesteine auf 35 bis 50 Millionen Jahre alte bräunlichgraue, meist schieferige Flyschgesteine geschoben. Somit liegen alte Gesteine auf fast 200 Millionen Jahre jün-geren! Die Anerkennung dieses Faktums und des-sen Erklärung beschäftigte die Erdwissenschafter über Jahrzehnte. Erst nach intensiver Forschung - oft begleitet von heftigen Streitereien - wurde zu Be-ginn des 20. Jahrhunderts die These einer riesigen Überschiebung akzeptiert: Ein 10 bis 15 Kilometer dickes Gesteinspaket wurde im Vorderrheintal aus-gequetscht und entlang der Glarner Hauptüberschie-bung mindestens 35 Kilometer nordwärts geschoben.Die Glarner Hauptüberschiebung (<http://www.glarnerhauptueberschiebung.ch/>) im Kerngebiet des GeoParks Sarganserland-Walensee-Glarnerland zwischen Elm, Schwanden, Kerenzerberg, Flums, Bad Ragaz und Flims soll jetzt aufgrund seiner geologis-chen Besonderheiten als Weltnaturerbe in die Liste der UNESCO-Welterbe aufgenommen werden. Ein entsprechendes Gesuch liegt bei der UNESCO in

Paris; An der Welterbekonferenz in Québec vom 2. – 10. Juli 2008 wird der definitive Entscheid erwartet.Der Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus (SKWJ) plant deshalb zusammen mit der St.Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft eine Exkursion in den GeoPark Sarganserland-Walensee-Glarnerland.Die Exkursion findet bei jedem Wetter am Samstag, 21. Juni statt. Wir treffen uns um 09.30 Uhr am Bahn-hof Sargans (SBB ab Zürich: 08.12 Uhr, ab St. Gallen: 08.04 Uhr). Die Exkursion wird fachlich begleitet von David Imper, Geologe und Präsident des GeoParks SWG, und Toni Bürgin, Biologe und Direktor des Naturmuseums St.Gallen. Die Wanderung führt ins Pizolgebiet, falls es die Witterungs- und Schneever-hältnisse zulassen an die Glarner Hauptüberschie-bung und in die Pizolgletscherlandschaft im Gebiet Wildseeluggen auf ca. 2500 m ü. M. Die reine Wan-derzeit beträgt etwa 2-3 Stunden (Lunch mitneh-men). Rückkehr am Bahnhof Sargans: ca. 17 Uhr.Bei schlechten Wetter-, Sicht- oder Schneeverhält-nissen wird eine Ersatztour im Talgebiet organisiert.Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Ameldungen bis spätestens 11. Juni an: [email protected] .

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Im Zeichen des Netzwerks

Im vergangenen November hat in Bremen zum vierten Mal die „Wissenswerte“ stattgefunden, ein Fachkongress für Wissenschaftsjournalisten, Pressesprecher und in-teressierte Forscher aus dem deutschsprachigen Raum. Nach einer TV-Sonderveranstaltung im Jahr 2006 war einer der Schwerpunkte diesmal das Thema Internet.

Von Hanna Wick

Seit der ersten Ausgabe der „Wissenswerte“ hat sich der Fachkongress zu einem festen Treffpunkt unserer Gilde gemausert. Auch diesmal war der Andrang in Bremen mit 490 Teilnehmenden gross; der Kongress war einmal

mehr schon Wochen im Voraus komplett ausgebucht. So traf man viele interessante Kollegen erstmals oder wie-der, konnte neue Artikelideen diskutieren und abends bei einem Bier brancheninternen Klatsch und Tratsch aus-tauschen. Schliesslich ist das, was man nüchtern mit den Worten „Kontakte aufbauen, pflegen und nutzen“ um-schreiben könnte, der Hauptsinn der Veranstaltung: das Networking. Doch auch thematisch bildete das „Netzwer-

W I S S E N S W E R T E 2 0 0 7

ken“ – in diesem Fall das Arbeiten auf dem Internet - einen Schwerpunkt der „Wissenswerte“ 2007. So wurde etwa da-rüber diskutiert, wie sich der Wissenschaftsjournalismus im Internet heute präsentiert ¬- in einer Zeit, in der das Web mehr und mehr zum Partizipationsmedium wird.

Bloggende Forscher allüberall?Die unter dem Schlagwort Web 2.0 bekannte Entwicklung erfasst immer mehr auch den Bereich der Wissenschaften, wie Annette Lessmöllmann, die Leiterin des Studiengangs Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt, bei einer kurzem Themeneinführung in Bremen sagte. Sie konzentrierte sich dabei vor allem auf Weblogs, in denen Forscher oder Journalisten regelmässig online über allerlei Bemerkenswertes aus dem Reich der Forschung berichten.

Solche Blogs seien im englischsprachigen Raum schon weit verbreitet und auch renommierte Verlage wie die „Nature Publishing Group“ mischten dabei kräftig mit , wohinge-gen Blogs in Deutschland – vor allem in den Naturwissen-schaften – noch ein Nischendasein fristeten. Doch auch hier seien Veränderungen im Gang, meint Lessmöllmann, und führt als Beispiel das Projekt „Scienceblogs“ an. Von diesem amerikanischen Internetportal, das gleich eine

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ganze Sammlung verschiedener Blogs präsentierte, gibt es seit Ende 2007 dank der Beteiligung des Hubert Bur-da-Medienkonzerns auch eine deutschsprachige Fassung.Auch der Verlag „Spektrum der Wissenschaften“ will beim Web 2.0 mit dabei sein: Seit kurzem schreibt eine Gruppe von eigens dafür engagierten Wissenschaftlern, Journalis-ten und Praktikern unter dem Titel „Wissenslogs – science unplugged“ zu verschiedensten Themen. Dass es gar nicht so leicht ist, geeignete Blogger zu finden, zeigte in Bremen eine Wortmeldung aus dem Publikum: Einer der Grün-der der Internetseite „Hard blogging scientist“ schilderte ernüchtert die harzige Suche nach Forschern, die gut und gerne schreiben und sich auch trauen, ihre Meinung zu sagen. Schliesslich soll ein Blog kein nüchternes Labor-journal sein, sondern Persönliches und Überraschendes bieten. Vor allem für Leute aus dem akademischen Mit-telbau scheint das problematisch zu sein: Viele dürfen nicht bloggen oder wollen es der Konkurrenz wegen nicht.

Die Weisheit der Massen nutzenDass wohl kaum ein ernstzunehmender Forscher gleich seine Resultate in einem Blog veröffentlichen wird, scheint klar. Den einen oder anderen Hinweis auf eine in-teressante Geschichte liefern die Portale aber schon heute. Insofern werden Blogs wohl auch die Arbeit von nicht-bloggenden Wissenschaftsjournalisten beeinflussen. Dass sich diese allerdings noch weit stärker verändern könn-te, machte an der „Wissenswerte“ das Votum von David Cohn von NewAssignment.net deutlich. Dieses Projekt, das der renommierte amerikanische Medienwissenschaf-ter Jay Rosen leitet, beschäftigt sich mit der Beteiligung von Amateuren im Journalismus. In Zusammenarbeit mit Medienpartnern wie dem Technologie-Magazin „Wi-red“ und verschiedenen Regionalzeitungen werden im-mer wieder Zeitungsberichte konzipiert und verfasst, an denen Laien mitgearbeitet haben. Konkret sieht das laut Cohn zum Beispiel so aus, dass Leser über eine Website dazu aufgerufen werden, Vögel einer bestimmten Art in ihrer Umgebung zu zählen und das Resultat der Redak-tion zu melden. Ein Journalist schreibe dann darauf auf-bauend einen Beitrag über die regionale Verteilung dieser Vogelart. Ähnliches sei auch schon mit Messungen der Luftverschmutzung gemacht worden; die nötigen Geräte wurden dabei offensichtlich an die Teilnehmer verteilt.

Welchen Qualitätsansprüchen diese Form von Bürgerbe-teiligung, die auch als „Crowdsourcing“ bezeichnet wird, genügen kann und muss, wurde in Bremen kontrovers diskutiert. Gegner der Methode führten unter anderem ins Feld, dass es gerade im Bereich des Wissenschafts-journalismus sehr wichtig sei, sich auf die Genauigkeit einer Messung verlassen zu können. Die Befürworter

hielten dagegen, dass mit dieser Form des Bürgerjourna-lismus Geschichten zustande kämen, die sonst vielleicht am grossen Aufwand für Datensammlung und Recher-che scheiterten. Ausserdem sei es eine Form, den Leser zu beteiligen und ans Medium zu binden. Eine der heute am weitesten verbreiteten Formen des Bürgerjournalis-mus ist das Einsenden von selbstgeknipsten Fotos nach speziellen Ereignissen wie Naturkatastrophen. Dies wird von vielen Journalisten als relativ unproblematisch be-trachtet, doch auch hier gibt es offene Fragen: Markus Becker, der Leiter des Wissenschaftsressorts bei „Spiegel Online“ wies in Bremen etwa darauf hin, dass noch im-mer nicht geklärt sei, wem die Rechte an solchen Bildern gehörten - dem Medienunternehmen oder dem Autor.

Zuerst ins InternetWährend das „Crowdsourcing“ zumindest heute noch meist experimentellen Charakter hat, ist eine andere Form des Internet-affinen Journalismus bereits stark verbreitet: das Online-First-Prinzip. Es besagt, dass man Texte sofort aufs Internet stellt, wenn sie fertiggeschrieben sind; sie erscheinen also zuerst auf dem Web und erst später – al-lenfalls in angepasster Form - im Print. Diese Praxis ist schon in vielen Redaktionen gang und gäbe, zum Beispiel beim „Guardian“ , der Londoner „Times“ oder der deut-schen „Welt“. Für die Journalisten bedeutet es, dass Ge-schichten schon im Voraus für mehrere Kanäle, das heisst

„crossmedial“ geplant werden müssen. Nicht jeder Inhalt ist für jedes Format geeignet. In Bremen wurde mehr-mals betont, dass es bei Online-First nicht darum gehen kann, Inhalte einfach zu duplizieren. Vielmehr müsse man diese für jedes Format massschneidern, wobei auch Videos, Tondokumente und interaktive Grafiken eine immer grössere Rolle spielten. Wie das konkret aussehen soll, wurde allerdings nur angedeutet. Ob man dank dem (oft grossen) Zusatzaufwand mehr Geld verdienen kann, ist fraglich. Ob man es sich als Medienunternehmen in Zukunft wird leisten können, bei Online-First, Blogs und Crowdsourcing nicht mitzumachen, aber ebenso.

Links:http://www.nature.com/blogs/index.htmlhttp://scienceblogs.com/http://www.blogs-hbm.de/scienceblogs/http://www.wissenslogs.de/http://www.hardbloggingscientists.de/info/http://www.newassignment.net/http://www.beatblogging.org/

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T H E M A W I S S E N S C H A F T S B O O M

World Congress of Science and Factual Producers, New York 2007

600 internationale Delegierte aus 25 Ländern trafen sich wiederum Ende November, diesmal in New York City, zum 15. World Congress of Science & Factual Producers. Der regelmässig stattfindende WCSFP dient dem Ideenaus-tausch, dem Networking und als Vorschau auf Trends der audiovisuellen Aufbereitung wissenschaftlicher In-halte. Während vier Tagen wurden auch kritische und emotionsgeladene Fragen diskutiert. Die Highlight 07s: Von Reto Vetterli

What’s the Buzz? - Die TrendsDie erfolgreichen Trends fasst Referent Simon Andreae (Fox TV, USA) wortg-ewandt und witzig mit Beispielen zusammen:Extreme Environments : exotische, bizarre Natur kommt an beim Pub-likum in Serien mit Titeln wie „Ice Road Truckers“, „Meet the Na-tives“; Human Guinea Pigs (menschliche Ver-suchskaninchen fasten und verschönern sich in „Super Skim Me, Prof. Regan’s Beauty Par-lor”); The Green Wave (die grüne Welle rollt in „Crude“, „The Great Global Warming Swin-dle“); Big Science (die grossen Themen von Makro- und Mikrokosmos faszinieren in „Race to Mars“, The Living Body“); Return of the Doc (die erfolgreichen Dokus keh-ren zurück, etwa in „China’s Great Wall“); und Installation Shows (zu Gast in anderen Häusern und Küchen ist man etwa in „Human Footprint“ oder „Kill it Cook it Eat it“). Warm Bath Telly – Killing You Softly (or Just Boring You to Death) - Tödliche LangeweileWie Formate die Wissenschafts- und Geschichtspro-gramme beeinflussen, diskutieren der Historiker Tristram Hunt und der Physiker Lawrence Krauss. Sie bemängeln, dass Geschichte auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des Publikums reduziert werde, zum „Wohlfühlerbe“ ohne hartes Nachfragen. Das Nachstellen zur reality history glänze mit Detailfetischismus, sei aber ohne Relevanz für die Gegenwart. Familiengeschichten schaffen konstruierte

individuelle emotionale Höhepunkte ohne den Kontext der damaligen Periode. Ausserhalb des Mediums zählen Ideen und Fakten, im Medium die Erzählweise und die Emo-tion. Finde den Köder, mit dem du den Zuschauer angeln kannst, aber was, wenn sich alles nur noch um den Köder dreht? Die Annahme, dass die Zuschauer weder Interessen noch Intelligenz haben, werde zur self-fulfilling prophecy. Wissenschaft ist nicht ein Haufen von Fakten, sondern eine Fundgrube von faszinierenden Methoden und Ideen, die es dem Publikum zu vermitteln gelte. Die Macher halten dagegen, dass das Fernsehen kein didaktisches Medium sei und wenn niemand zusehe, nütze die beste Intention nichts. Eine der hitzigsten und emotionalsten Sessions drehte sich um die Frage, wie die Programmmacher den Klimawandel behandeln, nicht nur in quotenträchtigen Katastrophenszenarien (z.B. in „6 Degrees Could Change

the World“). Fast alle Filme gehen davon aus, dass die Erderwärmung menschengemacht isei, dass es wissenschaftlich daran nichts mehr zu rüt-teln gebe. Wer es aber wagt, auf die Konjunktive in den IPCC-Berichten hin-zuweisen, den Skeptikern Raum zu geben, die nicht die Erwärmung als solche bestreiten, aber andere Ur-sachen als die CO2-Emis-sionen anführen, steht im Solde der Ölindustrie, ist ein Faktenverdreher und sollte eigentlich gar nicht zu Wort kommen.

Diese „new orthodoxy with no room for arguments er-lebte der Teilnehmer, als der vortragende Martin Dur-kin - dessen „Great Global Warming Swindle“ als Ant-wort auf Al Gores „An Innocent Truth“ natürlich ebenso (gegen-)polemisch daherkommt - von Topleuten der BBC permanent und peinlich mit hämischen Zwischenrufen unterbrochen wurde, seine Wissenschaftler seien lediglich

„a bunch of old right-wing nutters”. Von Durkin, der auf die gewaltigen und langfristigen sozialen Auswirkungen des Vorsorgeprinzips aufgrund von Katastrophenszenarien hinwies, mag man halten, was man will. Zu Recht bemän-gelte er die Politisierung des Themas, die zum Teil schon so weit führe, dass alles und jedes derart mit dem Klimawan-del in Verbindung gebracht werde, dass die Grundprinzip-ien von Wissenschaft (Hypothesen testen und widerlegen) und Journalismus (Recherche) in den Hintergrund träten. So würde inzwischen kaum mehr hinterfragt, dass z.B. das

“Einstein”: Andrea Fischli-Roth eingerahmt von “nano”: Michael Breu und Reto Vetterli

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in natürlichen Zyklen abbrechende antarktische Eis als Symbolbild nichts zu tun habe mit Flutwellen, Hurricanes und dem Anstieg der Meeresspiegel, der auf die thermis-che Expansion der Ozeane zurückzuführen ist.Die Wichtigkeit der Rede-freiheit unterstrich auch Lars Mortensen, der seit Jahren die Forschung des dänischen Wissenschaftlers Henrik Svensmark doku-mentiert und Ausschnitte aus seinem Film “The Cloud Mystery” zeigt. Desa- stergeschichten seien viel leichter zu erzählen als die Subtilitäten des wissenschaftlichen Pro- zesses. Svensmark, Leiter der Sonnen-Klima-For- schung am Danish Na-tional Space Centre, hat gerade zusammen mit Nigel Calder das Buch „The Chilling Stars - A New Theory of Climate Change“ veröffentlicht. Seine These: nicht die Treibhausgase seien der Hauptfaktor für die Erderwär-mung, sondern vor allem das Zusammenspiel von Wolken, Sonnenaktivität und subatomaren Partikeln im Weltraum. Creationism: Intelligent Response - Keine WissenschaftRichter John E. Jones III fällte 2005 das wegweisende Urteil, dass in Pennsylvania intelligent design nicht ins wissen-schaftliche Schulcurriculum gehöre, weil sich dahinter der Kreationismus verstecke und laut Verfassung Kirche und Staat getrennt seien. Jones und der renommierte Physiker Lawrence Krauss erklärten, die Tragweite des Zusammen-pralls von Religion und Evolution müsse klar zu erkennen sein. Evolution sei die Basis der modernen Biologie, in der Wissenschaft gebe es „richtig oder falsch“, nicht pseu-

do-faires, journalistisch balanciertes „sowohl als auch“. Kreationismus sei nicht schlechte Wissenschaft, sondern keine Wissenschaft. Krauss entlarvte die Marketingstra-

tegie der Kreationisten, die mit ihrer Lehre abblitz-ten und seither mit dem Schlagwort intelligent de-sign verlangten, dass nicht der Kreationismus, sondern die Kontroverse darüber gelehrt werde. Es gebe aber keine Kontroverse, sondern ein soziales Phä-nomen, das man durchaus diskutieren könne, nicht im Biologieunterricht, sondern im Fach Sozial-geschichte. In der wissen-schaftlichen Lehre gehe es nicht um Wertung, sondern darum, das Unwissen zu

überwinden. Wissenschaft mache es nicht unmöglich, an Gott zu glauben, aber sie mache es möglich, nicht an Gott zu glauben.

FazitEine spannende Veranstaltung, wo auch Selbstkritik und Reflexion ihren Platz hatten, wo sich der öffentlich-rechtliche nano-Journalist locker und freundschaftlich mit der privaten Galileo-Redaktionsleitung austauschen konnte, und wo bei aller wissenschaftlichen Seriosität der Humor nicht zu kurz kommt. So hat die BBC-Drama-tisierung des Untergangs von Pompeji mit digitalem La-vafluss aus dem Vesuv entscheidend zur Wissensbildung des angelsächsischen Publikums beigetragen: „Pompeii was destroyed by an overflow of saliva from the Vatican.“

See you next year in Italy! (http://www.wcsfp.com)

Kreationismus führte zu heissen Diskussionen

Seite 18 SKWJ-bulletin 1/08

U N D I N F O SK L A T S C H

Seit Januar 2008 ist “Einstein” in weiblicher Hand. Silvia Zwygart hat die Leitung des SF-Wissenmagazins über-nommen, als ihre Vertreterin amtet Andrea Fischli-Roth. Gerne hätten wir in dieser Nummer ein Interview mit Silvia Zwygart veröffentlicht. Doch sie beruft sich auf die 100-Tage-Regel der Politiker. Vielleicht nicht zu unrecht, denn das Magazin beschäftigt Beobachter und Zuschauer. Inzwischen hat der Publikumsrat das Wissensmagazin bereits zum zweiten Mal “beobachtet” und “Fortschritte festgestellt”, u.a. bei der Moderation. Trotz einigen Lobs wünscht sich eine Ratsmehrheit mehr wissenschaftlichen Tiefgang und stärkere Bezüge zu Wissenschaft und For- schung. Damit ist wohl vielen Zuschauern aus der Seele gesprochen... Nun ist es also doch soweit: Nach einem fulminanten Abschiedsfest widmet sich Peter Lippun-er künftig intensiv seinen Slawistik-Studien. Doch wer

“Lippi” kennt, weiss, dass ihm nichts unbehaglicher sein kann als ein Ofenbänkli, und stehe es auch am Grabser Berg. So ganz kann er von den Naturwissenschaften nicht lasssen: Er übernahm kürzlich das Amt des Präsidenten der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft in Winterthur.

“Man sieht sich... “Das hoffen wir auch nach dem Ab-schiedstrunk mit Hildegard Bösch-Billing. Sie reist mit dem Klub nach China, und wir zählen auf einen Bericht über ihre Eindrücke und Erfahrungen! Die ETH Zürich scheint eine alma mater im besten Wortsinn zu sein. Wie lässt es sich sonst erklären, dass nach Beat Gerber auch der Ing. ETH Thomas Schaller gleichsam wieder in den Schoss der ehrwürdigen Institution zurückkehrt? Schaller, langjähriges Klubmitglied, wurde zum Kommunika- tionsleiter der ETHZ berufen. Thomas Schaller bringt nicht nur Erfahrungen als Ingenieur, TV-Journalist (MTW, Puls, SF-Spezial) mit, sondern auch im Manangement-Bereich der Fachhhochschulen Solothurn Nordwest-schweiz. Er übernimmt das Amt nach Verena Schmid Bagdasarjanz, die seit April 2006 Leiterin des Bereichs Corporate Communications der ETH war und den Pos-ten bald wieder aufgegeben hat. Dass die SKWJ-Gründ-ungspräsidentin es nicht lassen kann, ist bekannt. Rös Waldner ist eine vielbeschäftigte freie Journalistin und beteiligt sich aktiv am Dialog zwischen Gesellschaft und Wisssenschaft sowie der Technologiefolgenabschätzung. In der neuen Nummer von “Horizonte” stellt sie angesichts neuer Therapieversprechungen die Fage, ob wir Menschen überhaupt 120 Jahre alt werden wollen. Und beantwortet sie gleich selber: “Warum nicht endlich aus der Wissen-schaftsgeschichte lernen und auf voreilige Versprechen verzichten?” - Dazu hätte wohl auch Urs P. Gasche et-was zu sagen. Er wurde kürzlich in die Eidg. Arzneimit-telkommission gewählt. Ob ihm ein stark von der Politik geprägtes Amt nicht zuviele Fesseln auferlegt? Männiglich erhofft sich von seiner Seite künftig Berichte, die weniger

den Zahlen, sondern mehr den Menschen gerecht werden.

Spätestens nach der Lektüre zum Thema «Klima» weiss man es jetzt genau: Marcel Hänggi arbeitet an einem Buch zum Thema, das im Laufe des Sommers erscheinen soll. Seine Nachfolge bei der WOZ hat inzwischen Franziska Meister angetreten. Mit dem Bericht von der EUSJA-DV verabschiedet sich die «Aussenministerin» des Klubs, Irène Dietschi, von der internationalen Plattform. Job und Fa-milie fordern eine Konzentration auf das Wesentliche. Wer Irène kennt, kann sich vorstellen, dass es sich dabei um einen vorübergehenden Abschied handelt. Die Bulle-tinredaktion verdankt ihr pointierte und aktuelle Beiträge.

Wer sich für Dokumentarfilme auf SF interessiert, hat schon länger auf den Entscheid gewartet, wie die Nachfol-ge des bisherigen Chefs Otto C. Honnegger geregelt wird. Ab Mai ist Christoph Müller für den gesamten Bereich zu-ständig, dem dann auch «Netz Natur « angegliedert wird.

Die wissenschaftlich Interessierten wird es freuen: Statt Schokolade geht es in der neuen Soap von SF endlich mal um was Ernstes, um Medizinisches nämlich. Nach den vielen ausländischen Sendungen zum Thema endlich mal Schwei-zer Blut! «Tag und Nacht» lautet der Titel der neuen Serie. Schoggi statt Schmerzen, statt Pralinen Penicilin witzelt die einschlägige Presse und freut sich auf den Wiederauftritt von Sabina Schneebeli. Die Drehbücher zur Dauer-Sprech-stunden entstehen unter der Oberaufsicht von Katja Früh, der die Nation auch die unendliche Schoggi-Story verdankte.

Das oberste Organ des SNF, der Stiftungsrat, hat für die Jahre 2008 bis 2011 als neuen Präsidenten Hans Ulrich Stöckling gewählt. Der St. Galler Stöckling gilt als bestens vertraut mit der Forschungspolitik und war bereits vor der Wahl Mitglied des Stiftungsrats SNF.

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AufnahmenOrdentliche Mitglieder

Alice Funk absolvierte 1985 ein Redaktionsvolontariat beim Schweizer Fernsehen und verfügt über einen MAZ-Abschluss. Ab 1987 ist sie als Redaktorin bei verschiede-nen Magazinen tätig. Seit 2001 gehört sie zur Redaktion des Gesundheitsmagazins «Puls».

Urs Haldimann ist kein Unbekannter im Klub. Nach ei-gener Aussage war er schon «im letzten Jahrhundert» Mit-glied. Er hat einen längeren (beruflichen) Ausflug in die Psychiatrie unternommen und arbeitet jetzt wieder als Journalist und Sachbuchautor mit dem Themenschwer-punkt «Alter»

Ginette Wiget arbeitet seit September 2006 für das Ge-sundheitsressort der «Schweizer Familie». Sie hat an der Universität Zürich Politikwissenschaft, Staats- und Völ-kerrecht studiert und den Nachdiplomlehrgang am MAZ absolviert.

Ausserordentliche Mitglieder

Klaus Franken hat an der Universität Köln das Studium der Chemie abgeschlossen sowie an der Forschungsanla-ge Jülich. Danach war er 20 Jahre in Führungspositionen in Marketing, Forschung und Entwicklung von Unter-nehmen der chemischen und der Papierindustrie tätig. Gleichzeitig verlagerte sich sein persönliches Interesse auf den Wissenschaftsjournalismus.

Markus Hächler lic. phil. arbeitete nach dem Studium der Alten Geschichte, Geographie und Journalistik an der Universität Bern sieben Jahre im politischen Journalismus. So war er etwa Bundeshauskorrespondent der Nachrich-tenagentur SPK. Seit 1993 ist er in der PR tätig, seit 2005 als Mediensprecher des Inselspitals Bern. Bei dieser Tätig-keit spielen Forschung und wissenschaftlich begründete Therapie eine wesentliche Rolle.

M U T A T I O N E N

22. Mai 2008 Olten Hotel Arte SNF-Seminar “Wie versteht man was wie richtig?”

6. Juni 2008 Generalversammlung 2008 Meteo Schweiz, ZürichVorträge und Führung: Wetter und Klimarisiken managen

21. Juni 2008 Exkursion zur Glarner Hauptüberschneidung

23./24. Oktober 2008 Seedamm-Center PfäffikonGesundheitsseminar

InternationalJuli im Rahmen der ESOF (siehe S.9) eine Reise in Spanien, organisiert durch die katalanische Vereini-gung.

28. September bis 2. Oktober ein «Astro-Trip» in den Niederlanden, wo vor 400 Jahren das Teleskop erfunden wurde.

10. bis 15. Dezember eine Reise nach Lappland (ink-lusive Besuch eines Sami-Dorfs), zu der die finnische Vereinigung einlädt.

Illustrationen dieser Ausgabe:S. 1, 2, 7, 11 Mürra ZabelS. 4, 12 AnnaS. 9 Eusja, zVgS. 13 Michael Breu, zVg S. 14/15 Wissenswerte, zVgS. 16/17 Reto Vetterli, zVg

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