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DFrr Deutsche Forschungsgemeinschaft

Humanismus und Historiographie Herausgegeben von August Buck

Rundgespräche und Kolloquien

VCH Acta humaniora

j((oGz

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Humanismus und Historiographie : Rundgespräche und Kolloquien / DFG, Deutsche Forschungsgemeinschaft. [Hrsg. August Buck]. - Wcinheim : VCH, Acta Humaniora, 1991

ISBN 3-527-17029-4 NE: Buck, August [Hrsg. ]; Deutsche Forschungsgemeinschaft

© VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheim (Federal Republic of German)-), 1991 Gedruckt auf säurefreiem und chlorarm gebleichtem Papier.

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eint von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translating into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Satz: Mittcrwcger Werksatz GmbH, D-6831 Plankstadt. Druck: betz-druck gmbh, 6100 Darmstadt 12. Printed in the Federal Republic of Germany.

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Pierre Pithou als Historiker Klaus , lfalettke

. In the antiquarian renaissance of the later sixteenth century - repercussion of the , historical revolution` achieved several generations before - the leading figures were Pierre and Francois Pithou, Loisel, Pasquier, Claude Fauchet, Louis le Caron, and one or two others"'. Obwohl Pierre Pithou von Donald R. Kelley zu Recht zu den führenden Repräsentanten der antiquarian renaissance" des späten 16. Jahrhunderts gezählt wird, existiert bis heute - abgesehen von den Ausführungen des amerikanischen Historikers in seinem 1970 erschienenen Buch �Foundations of Modern Historical Scholarship" - keine moderne und umfassende Studie über den Humanisten und Historiker aus Troyes2. Im Rahmen dieses Beitrags kann dieses Desiderat natürlich nicht erfüllt werden. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich daher auf eine Skizze der Biographie Pithous, auf seine Bedeutung als Historiker und auf seine Beziehungen zu den humanistischen Gelehrten seiner Zeit.

I. Pierre Pitbons biographisches Profil Pierre Pithou stammte aus einer nicht-adligen Familie, die zur städtischen Elite von Troyes gehörte. Charakteristisch für die Angehörigen dieser Elite ist, daß sie eine bedeutende Rolle in der städtischen Selbstverwaltung spielten. Kennzeichnend ist weiterhin, daß sie königliche Ämter kauften und ausübten, Ämter, die im Frankreich des Ancien Regime wirkungsvollstes Mittel sozialen Aufstiegs waren.

Die Besitz- und Vermögensverhältnisse dieser Elitefamilien lassen sich nur in einigen Ausnahmefällen exakt erfasscn. Verschiedene Quellen lassen aber ihren Wohlstand, ihren

Donald R. Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship. Language, Lain and History in the French Renaissance, New York, London 1970, S. 245.

2 Darauf hat kürzlich auch Roger Zuber hingewiesen. Roger Zuber, Tomheaux pour des Pitliou: fron: ieres confessionnelles er unite religieuse (1590-1600), in: hllanges sur la litteraturc dc la Renaissance z la mcmoire de\ -L. Saulnier, Genf 19S4, S. 332, Anm. 2.

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Reichtum erkennen. Großenteils setzte sich ihr Vermögen aus städtischen Immobilien und vor allem aus Besitz auf dem Lande (Grundherrschaften) zusammen'.

Der Vater Pierre Pithous, ebenfalls mit Vornamen Pierre, war ein reicher und angesehener Advokat inTroyes (avocat au bailliage et siege presidial deTroyes). Während seines Studiums der Rechte in Orleans knüpfte er u. a. enge Beziehungen zu Christophe de Thou, dem Vater des späteren Präsidenten des Pariser Parlaments und berühmten humanistischen Historikers Jacques-Auguste deThou (latinisiert Thuanus)'. Die damals entstandene Verbindung zwischen den Familien Pithou und de Thou hatte auch noch unter den nachfolgenden Generationen Bestand. Verheiratet war der Vater Pierre Pithous in erster Ehe mit einer Tochter eines Amtsträgers am königlichen Hochgericht in Troyes, eines �lieutenant particulier au bailliage". Durch seine Eheschließung hatte sich der Vater mit einer Familie verbunden, die ebenfalls zurstädtischen Elite vonTroyes gehörtes. Seine hohe soziale Stellung in Troyes wird auch durch seine zweite Eheschließung dokumen- tiert. Im Jahre 1536 heiratete er eine reiche Erbin und enge Verwandte eines-Präsidenten am Pariser Parlamentb. Vom Vater Pierre Pithous ist weiterhin bekannt, daß er sich dem Calvinismus angeschlossen hatte. Und schon frühzeitig hatte er sich dem Humanismus zugewandt und den Grundstock für den Aufbau einer Humanistenbibliothek gelegt'.

Der Humanist und Historiker Pierre Pithou wurde am 1. November 1539 in Troycs geboren. Er war das älteste unter den Kindern, die aus der zweiten Ehe seines Vaters hervorgegangen sind. Unterrichtet wurde er zunächst von einem Geistlichen, dann besuchte er wohl die Franziskanerschule (ccole des Cordeliers) inTroyes'. Sicher ist, daß

s Klaus Malettke, Elite urbaine et humanisme ä Troyes au XVI, siecle, in: Klaus Malettke, Jürgen Voss (Hrsg. ), Humanismus und höfisch-städtische Eliten im 16. Jahrhundert. Humanisme et elites des cours et des villes au XVI° siecle. 23. Deutsch-französisches Historikerkolloquium des Deutschen Historischen Instituts Paris in Verbindung mit dem Fachbereich Geschichtswissen- schaften der Philipps-Universität in Marburg vom 6. -9. April 1987 (= Pariser Historische Studien, Bd. 27), Bonn 1989, S. 133-139. Jacques-Auguste de Thou war der Verfasser des in den Jahren von 1604 bis 1617 erschienenen Werkes Jacobi Augusti Thsrani historiae sui temporis, das in Frankreich und Deutschland weit verbreitet war. Zu deThou vgl. Samuel Kinser, The Works ofJacques-Auguste de Thou (- Archives internationales d'Histoire des Wes, Bd. 18), Den Haag 1966; Claude-Gilbert Dubois, La conception de l'histoire en France au XVI, siede (1560-1610), Paris 1977, S. 172-185.

s Die erste Ehefrau Pierre I Pithous (1494 oder 1497-17. April 1554), Marguerite Bazin, war eine Tochter von jean I Bazin, �lieutenant particulicrau bailliage deTroycs". - Zu Jean Bazin vgl. Kuno Böse, Amt und soziale Stellung. Die Institution der, elus` in Frankreich ins 16. und 17. Jahrhundert am Beispiel der Elektion Troyes (= Schriften zur europäischen Sozial- und Verfassungsgeschichte, Bd. 4), Frankfurt am Main, Bern, New York 1986, Bd. 2, S. 25, Anm. 33.

b Pierre I Pithou heiratete in zweiter Ehe Bonavcnturc dc Chantaloe, Tochter von Roben dc Chantalo6, sieur dc Baire, und von Catherine Dorigny. Catherine Dorigny war eine Nichte von Pierre Dorigny, pr6sident aux enquetes du Parlement de Paris", und von Nicolas Dorigny;

"cure de saint Jean de Troyes, chanoine de la cath6drale, eonseiller au Parlement et professeur en droit, canon a 1'Universit6 dc Paris". Zu Pierre I Pithou, sieur dc Chamgobert, de Luycres et Savoye (1496 oder 1497-17. April 1554), vgl. [Pierre jean Grosley], Vie de Pierre Pit hon arecquelgsies rnensoires sur son pore, et ses Freres. A Paris, chez Guillaume Cavelier, Libraire, rue S. Jacques, au Lys d'Or, 1756, Bd. 1, S. 1-1S, 34-44. Die Angabe von Grosley, Pierre Pithou habe das college deTroyes" besucht, dürfte unzutreffend sein, denn das college" wurde erst in den sechzigerJahren des 16. Jahrhunderts inTroyes errichtet.

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er später von Troyes nach Paris wechselte und seine Ausbildung am �College de

Boncourt" fortsetzte. Zu seinen Pariser Lehrern zählten Petrus Ramus und der Gräzist Adrien Turnebe, mit dem er in der Folgezeit freundschaftlich verbunden blieb. Nach Abschluß seinerStudien in Paris und kurzer Rückkehr nachTroyes entschied sich Pithou

auf Anraten seines Vaters für ein Jurastudium, das er im Alter von noch nicht fünfzehn Jahren in Bourges aufnahm. Dort erhielt er entscheidende Impulse durch den berühmten humanistischen Rechtshistoriker Jacques Cujas. In Bourges machte er im Jahre 1555 ebenfalls die Bekanntschaft von Antoine Loisel. Die damals entstandenen engen Beziehungen zwischen Pierre Pithou und Cujas sowie Loisel brachen auch in den folgenden Jahrzehnten nicht ab. Als Cujas im Jahre 1557 von Bourges an die Universität Valence wechselte, folgten ihm Pithou und Loisel dorthin. Nachdem Pithou fast fünf Jahre bei Cujas studiert hatte, schloß er 1559 sein Studium der Rechte mit der Promotion

ab. Aber wie viele andere humanistisch geprägte Juristen seiner Zeit hatte sich auch Pierre Pithou bereits in Paris, Bourges und Valence intensiv den

�studia humanitatis"

gewidmet'. Im Jahre 1560, im Alter von einundzwanzig Jahren, kehrte Pithou nach Paris zurück

und ließ sich am dortigen Parlament als Advokat (avocat au Parlement de Paris) nieder. Hatte er die Hauptstadt während des ersten Religions- und Bürgerkrieges (1562-1563) nicht verlassen, so begab er sich beim Herannahen des zweiten Hugenottenkrieges (1567-1568) nachTroyes. Als man ihm in seinem Geburtsort wegen seiner Zugehörigkeit zum Calvinismus die Tätigkeit als Advokat verwehrte, verließ Pithou für vier Jahre Frankreich. Nach einem etwa einjährigen Aufenthalt in Sedan, wo er auf Veranlassung des Herzogs von Bouillon'adie Redaktion der»Coutumes dc Sedan" vornahm, reiste er in die Schweiz. Dort hielt er sich in den Jahren 1568 bis 1570 in Zürich, die meiste Zeit jedoch in Basel auf, wo er in Kontakt trat zu Bonifacius Amerbach. Nach dem Erlaß des für die Hugenotten vergleichsweise glimpflichen Pazifikationsediktes von Saint-Germain" aus

Vgl. dazu Malettke, Elite urlaine et burnanisrze. 1 Troyes au XVIe siecle (wie Anm. 3. ), S. 141 ff.; Gustave Carrc, L' ersseigncrnent second rire. i Troyes. Du , tloyen Age a la Revolution, Paris 1888, S. 37-41; Thcophile Boutiot, Histoirr de l'insrruction publique et populaire ä Troyes pendant les quatre derniers siedes, Troyes, Paris 1865, S. 30-34.

9 Zur Biographic von Pierre 11 Pithou, sieur de Savoye, vgl. [Groslcy], Vie dc Pierre Pithou (wie Anm. 7), S. 87-3SD; Eug. u. Em. Haag, La France protestante ou vies des protestants francais qui se sont fait un non: dass l'l, stoirc depuis lesprcrrziers tc»zps de Lt reformation jusqu'd la reconnaissance duprincipe de la liberte des cultes par l AsscrnblCe nationale, Paris 1858, Bd. 8, S. 255 ff.; Louis de Rosanbo, Pierre Pit hon. Biographie, in: Revue du XVI'siecle 15 (1925), 279-305; Dictionnaire de tbeologie catholique, Paris 1935, Bd. 12, Sp. 2235-2235; Dictionnaire de droit canonique, Paris 1957, Bd. 6, Sp. 1505ff.; Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 247-270.

" Henri-Robert, due de Bouillon (1540-1574). 11 Zum Pazifikationsedikt von Saint-Germain (S. August 1570) vgl. Jean-H. Mari6jol, Catherine de

Alcditis 1519-1589, Paris 1979, S. 271f.; Ilja Mieck (Hrsg. ), Toleranzedikt und Bartbolomäus- nadit. Franzasisdie Politik und eumpäisdie Diplomatic 1570-1572 (= HistorisclicTexte. Neuzeit, Bd. 8), Göttingen 1969, S. 9-13.

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dem Jahre 1570 kehrte Pithou nach Frankreich zurück und nahm seine Tätigkeit als Advokat am Pariser Parlament wieder auf'r.

Während der folgenden beiden Jahre entfaltete Pithou eine rege Reisetätigkeit innerhalb Frankreichs, die im wesentlichen wohl auf seine weitgespannten historisch- literarischen Interessen zurückzuführen ist". Besonders hervorzuheben ist ein mehrwö- chiger Aufenthalt im Mai 1572 in England, wohin er den von Karl IX. als Botschafter entsandten Herzog von Montmorency begleitete". Zur Zeit der Ereignisse der Bartho- lomäusnacht (23. /24. August 1572)15 befand sich Pithou wieder in Paris und entkam nur mit Mühe und Glück selbst dem Massaker. Möglicherweise unter dem Eindruck dieses Massakers und auf Drängen seines Freundes, des Pariser Parlamentsrates dc la Mothe, schwor er dem Calvinismus ab und kehrte zum katholischen Glauben zurück16.

Wie die meisten führenden französischen Humanisten jener Zeit setzte sich auch Pierre Pithou für die Beendigung des Bürgerkriegs ein. Deshalb unterstützte er die von den

gemäßigten Vertretern beider Konfessionen getragene Gruppe der �politiques",

die den Staat von kirchlichen Einflüssen und Interessen zu emanzipieren und über den

streitenden Parteien eine dritte Position zu begründen suchte. Ihre Repräsentanten, zu deren bekanntesten der Kanzler Michel de l'Höpital und Jean Bodin zählten, strebten die Wiedererrichtung eines starken Königtums an, das in der Lage sein sollte, den Bürgerkrieg zu beenden und den Frieden in Frankreich auch für die Zukunft gegenüber den konfessionellen Konfliktparteien zu gewährleisten. Der Linie des von den

»Politi- kern" betriebenen Pazifikations- und Reformprogramms entsprach es, daß sich Pithou zu Beginn der achtziger Jahre auch aktiv in dieser Richtung engagierte. Nachdem er im Sommer 1573 das Amt eines bailli du comte deTonnerre" übernommen hatte", wurde Pierre Pithou am 26. November 1581 von Heinrich III. die Charge eines Generalpro-

Vgl. [Grosley], Vie de Pierre Pithou (wie Anm. 7), S. 99-123; Rosanbo, Pierre Pithou. Biographic (wie Anm. 9), S. 282ff.; Kelle}, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 249f.

"Ende des Jahres befindet er sich in Besancon; im Februar 1571 hält er sich in Paris auf; im August 1571 war er wahrscheinlich in Frankfurt. \Veitere Stationen waren Troyes und die Picardie. Sehr häufig pendelte er zwischen Troyes und Paris. Francois, duc de Montmorency (1530-1579), mardchal de France und Sohn von Anne, duc de Montmorency (1493-1567).

's Zur Bartholomäusnachtvgl. LaSaint-Barthellemydanslalittcraturcfransaise, in: Revued'histoire littdraire de la France 73 (1973), 769-960; Alfred Soman (Hrsg. ), The Massacre of St. Bartholomcl: Reappraisals and Documents (= Archives Internationales d'Histoire des Idles, Bd. 75), Den Haag 1974; Ilja Mieck, Die Bartholomäusnacht als sozialer Konflikt, in: Klaus Malettke (Hrsg. ), Soziale und politische Konflikte im Frankreich des Ancien Regime. Studien aus dem Forschungspro_ jektschwerpunkt �Soziale

Mobilität im frühmodernen Staat: Bürgertum und Ämterwesen" am

Fachbereich 13 (Geschichtswissenschaften) der Freien Universität Berlin (= Einzelveröffentli-

chungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 32), Berlin 1982, S. 1-23. 16 Vgl. [Grosley], Vie de Pierre Pithou (wie Anm. 7), S. 137-157; Haag, La France protestante (wie

Anm. 9), S. 256; Rosanbo, Pierre Pithou. Biographie (wie Anm. 9), S. 285-288; Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 252.

17 Vgl. [Groslcy], Vie de Pierre Pithou (wie Anm. 7), S. 161; Rosanbo, Pierre Pithou. Biographie (wie Anm. 9), S. 289.

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kurators an der souveränen Kammer in der Guyenne übertragen1e. In dieser hohen Funktion hatte er die Interessen und Belange der Krone vor jener aus Mitgliedern des Pariser Parlaments gebildeten Sonderkammer zu vertreten, deren Errichtung der König mit dem Edikt vom 26. November 1581 verfügt hatte19.

Bis zu ihrer Auflösung im Juni 1584 war Pithou an dieser Justizkammer, an der auch Antoine Loisel, Jacques-Auguste de Thou und Pierre Seguier amtierten, tätig20. Im Sommer 1586 griff Heinrich III. erneut auf die Dienste Pithous zurück, als er ihn in

seinem Konflikt mit dem Pariser Parlament über die Bewilligung von Steueredikten zum Substitut des Generalprokurators an dieser Kammer ernannte. Auch in dieser Funktion

setzte sich Pithou mit Nachdruck für die Belange der Krone und des Landes ein21. Die sich in der Übertragung wichtiger königlicher Ämter manifestierende hohe soziale

Stellung Pithous spiegelt sich auch in seiner Eheschließung. Im Jahre 1579 heiratete er Catherine Palluau, die Tochter eines �secr&aire du roi" und eines �conseiller" am Hotel-de-Ville von Paris=2. Bei den Ämtern eines königlichen Sekretärs" handelte es sich um hohe und vielbegehrte Chargen, die ihren Inhabern den erblichen Adel bereits in der ersten Generation nach dem Erwerb dieses Amtes verschafften".

Als die Spannungen zwischen Heinrich III. und der katholischen Liga 1586/1587 zunahmen und Pithou selbst wegen seiner Charge als Repräsentant des Königs am Pariser Parlament zum Objekt ligistischer Angriffe wurde, entschloß er sich, die unsicher gewordene Hauptstadt zu verlassen und sich nachTroyes zurückzuziehen". Mit diesem Schritt entzog ersich einer wahrscheinlichen Verhaftung durch die revolutionäre Liga. Ob seine Ablehnung, das ihm von Heinrich III. im Jahre 1589 angetragene Amt eines

,' Pithou wurde . procureurgcncral" an der. Chantbresouveraine" in der Guyenne, die von Heinrich III. in Ausführung des Friedensvertrages von Flcix vom 26. November 1580 errichtet worden ist. - Vgl. [Groslcy], Vic de Pierre Pithou (wie Anm. 7), S. 203-212; Rosanbo, Piere Pithou. Biographie (wie Anm. 9), S. 292f.; Kelley; Foundations of . lfodent Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 254.

19 Vgl. Roman Schnur, Die französischen Juristen irrt konfessionellem Bürgerkrieg des 16. Jahrhun- derts, Berlin 1962, S. 36f.

b Vgl. [Grosley], Vie dc Pierre Pitbou (wie Anm. 7), S. 204 f.; Rosanbo, Pierre Pithou. Biographie (wie Anm. 9), S. 292-294.

2 Vgl. Kelley; Foundations of . lfodent Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 255. 22 Vgl. [Grosley], Vie dc Pierre Pitbou (wie Anm. 7), S. 179f.; Rosanbo, Pierre Pithou. Biographie

(wie Anm. 9), S. 293f. 23 Zu den Amtern der. secHtaires du roi` siehe Francois Bluche, Pierre Durye, L' anoblissernent par

charges avant 1789 (= Les Cahiers nobles, Bd. 24), Paris 1962, Bd. 2, S. 3-14; David D. Bien, The 'Secrdtaires du Roi': Absolutism, Corps, and Privilege under the Ancien Regime, in: Ernst Hinrichs, Eberhard Schmitt, Rudolf Vierhaus (Hrsg. ), Vom Ancien Regime zur Französischen Revolution. Forschungen und Perspektiven (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 55), Göttingen 1978, S. 153-165; Francois Bluche, Von Monsieur Jottrdan zu Monsieur Necker. Ein Portrait eines secrit. zire du Roi` (1672-1789), in: Klaus Malettke (Hrsg. ), Ämterkäuflichkeit: Aspekte sozialer Mobilität im europäischen Vergleich (17. und 18. Jahrhun- dert). Internationales Colloquium in Berlin (1. -3. November 1978) veranstaltet im Rahmen des Forschungsprojektschwerpunktes Soziale Mobilität im frühmodernen Staat: Bürgertum und Amterw esen' am Fachbereich Geschichtswissenschaften (FB 13) der Freien Universität Berlin (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 26), Berlin 1980, S. 77-86.

2' Vgl. Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 255.

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Generalprokurators an dem in Chälons versammelten Pariser Teil-Parlament anzuneh- men25, im selben Zusammenhang zu sehen ist, läßt sich anhand der vorliegenden Quellen nicht klären. Sicher ist, daß sich Pithou nach der Ermordung Heinrichs III. am 1. August 1589 mit Nachdruck für dieThronfolge Heinrichs von Navarra einsetzte. So verteidigte er das Recht des französischen Klerus, Heinrich IV. die Absolution zu erteilen und so den Weg für dessen Konversion zum katholischen Glauben zu ebnen26.

Als Angehöriger der Klientel Heinrichs von Navarra wurde Pithou am 27. März 1594, wenige Tage nach der Besetzung der Hauptstadt durch den König, zum Generalproku- rator des am 28. März wiedererrichteten Pariser Parlaments ernannt. Pithou sollte diese hohe Funktion interimistisch bis zur Rückkehr des Parlaments von Tours nach Paris ausüben. Zu seinen Aufgaben gehörten nicht nur die \X'ahrnehmung der Interessen der Krone und ihre Verteidigung gegen feudale oder kirchliche Usurpationsbestrebungen, sondern auch die Aufsicht über die königlichen Archive'. Daß Pithou über enge Kontakte zur Umgebung des Königs verfügte, geht auch daraus hervor, daß er sich bei den Ministern und Heinrich IV. selbst erfolgreich für die Rückführung von Troyes unter die Gewalt des Königs einzusetzen vermochte. Dank der Intervention Pithous konnte seine Vaterstadt bei diesem Akt günstige Konditionen erwirken='. W1'enige Jahre später, am 1. November 1596, starb Pierre Pithou in Nogent-sur-Seine. In seinemTestament hatte er verfügt, daß seine große Bibliothek in der Familie verbleiben oder ungeteilt verkauft werden solltez9.

Wie die meisten Familien hochgestellter bürgerlicher Amtsträger jener Zeit vollzog auch die Familie Pithou den sozialen Aufstieg in den französischen

�Amtsadel", in die

�noblesse de robe". In einer von Antoine Loisel, dem Freund Pierre Pithous,

überlieferten und auch in den �Dossiers

bleus" der Pariser Nationalbibliothek enthalte- nen Genealogie wird sogar behauptet, die Familie sei altadligen Ursprungs. Die Abstammung der Pithous wird darin auf normannische Ritter zurückgeführt, die am dritten Kreuzzug am Ende des 12. Jahrhunderts teilgenommen hätten". Eine kritische Überprüfung läßt jedoch erkennen, daß es sich bei dieser Überlieferung um eine nicht haltbare, spätere Konstruktion handelt. Der Vater Pithous hat sich jedenfalls in

11 Vgl. [Grosley], Vie de Pierre Pitbou (wie Anm. 7), S. 252f.; Rosanbo, Pierre Pit/iou. Biographie (wie Anm. 9), S. 299.

26 Vgl. Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 256. 27 Vgl. Kelley, Foundations of Modern Historical Sdiolarsliip (wie Anm. 1), S. 256; Rosanbo, Pierre

Pitbou. Biographic (wie Anm. 9), S. 3001., Zuber, Tombeaux pour des Pitbou (wie Anm. 2), S. 331.

21 Vgl. [Grosley], Vie de Pierre Pitbou (wie Anm. 7), S. 325. 29 Vgl. [Grosley], Vie de Pierre Pitbou (wie Anm. 7), S. 377f., Rosanbo, Pierre Pitbou. Biographic

(wie Anm. 9), S. 302ff., Zuber, Tombeaux pour des Pitbou (wie Anm. 2), S. 331. 30 Vgl. Divers opuscules tircz des mcmoires de M. Antoine Loiscl, advocat en Parlemcnt. Ausquels

sont joints quclques ouvrages dc MM. Baptiste du Mesnil, advocat general du Roy; dc M. Pierre Pithou, sieur de Savoye, advocat en la tour; ... Le tout recueilly et mis nouvellement en lumiere par M. Claudejoly, cy-devant advocat en Parlemcnt, ct present chanoinc cn l'cglisc de Paris, petit fils dc M. Antoine Loiscl. A Paris 1612, S. 283f.; Bibliothcquc Nationale, Paris, Dossiers bleus 526, fol. 5r-7r.

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authentischen Dokumenten nur als �noblehomme" bezeichnet", was für die Champagne

seinen bürgerlichen Status bestätigt". Auch Pierre Pithou selbst hat zeitlebens von sich nie behauptet, daß er adliger Abstammung sei. Nicht zu bestreiten ist jedoch, daß Pierre Pithou - wenn auch nur zeitlich begrenzt-als Generalprokurator des Pariser Parlaments ein hohes königliches Amt bekleidete, das seine Inhaber im 16. Jh. nobilitierte, wenn es über mehrere Generationen hinweg und in direkter Folge von Angehörigen einer Familie

ausgeübt wurde". Daß sich die Familie im sozialen Aufstieg in die �noblesse

de robe" befand, lassen die Eheschließungen der Töchter Pierre Pithous und die Karrieren naher Familienangehöriger erkennen. SeineTöchter heirateten Söhne angesehener Familien der

�robe". Der Sohn seines Bruders, Antoine Pithou, wurde 1629 Parlamentsrat in Paris und

im Jahre 1652 �vicomte deTourette"}'. Ein Enkel Pierre Pithous, der bekannte Claude Le

Peletier, stieg als Nachfolger des berühmten Jean-Baptiste Colbert zum Minister unter Ludwig XIV. auf" .

II. Pierre Pithou als Historiker

Wie insbesondere von den beiden amerikanischen Historikern Donald R. Kelley und George Huppert in ihren neueren Arbeiten überzeugend dargelegt worden ist, hat die Entwicklung der Historiographie und der Geschichte als eigenständiger gelehrter Disziplin im Frankreich des 16. Jahrhunderts unter dem vielfältigen Einfluß des Humanismus große Fortschritte gemacht. Durch Rezeption und Weiterführung der humanistischen Geschichtstheorie" hat vor allem die französische rechtshistorische Schule des 16. Jahrhunderts die Entwicklung der historischen Wissenschaften in ihrer Anfangsphase vorangetrieben. Die bisher allein auf dem Gebiet des römischen Rechts praktizierte und erprobte philologisch-historische Methode wurde unter dem Einfluß der Humanisten und Rechtshistoriker Jacques Cujas und Francois Baudouin auf die Felder des französischen Rechts und der französischen Geschichte übertragen. Dieser Vorgang wurde aber auch durch die Geschehnisse und Vorgänge der Religions- und Bürgerkriege

11 Im Akt der Güterteilung vom 1. Dezember 1557 wird Pierre I Pithou bezeichnet als: �Defunt Noble homme, et saige maitre Pierre Pithou, en son vivant Licencic cs Loix, Advocat cs Bailliage et Siege Presidial de Tropes'. [Groslep], Vie de Pierre Pithou (wie Anm. 7), S. 37. Vgl. Pierre Goubert, L' Ancien Regime, Bd. 1: La societc, Paris 1969, S. 146; Kuno Böse, Städtische Eliten in Troyes im 16. Jahrhundert, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 11,1983 (1984), 347, Anm. 37.

33 Vgl. Francois Bluche, Pierre Dune, L'anoblissenrezzt parclarges avant 1789 (= Les Cahiers nobles 23 u. 24), 1962, Bd. 1, S. 8f.; Bd. 2, S. 23.

N Bibliothcque Nationale, Paris, Dossiers blcus 526, fol. 6r, 6v. ss Vgl. [Groslcv], Vie de Pierre Pithou (wie Anm. 7), S. 62f.; Schnur, Die französischen Juristen (wie

Anm. 19), S. 31, Anm. 29. 36 Kelle}, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1); George Hupport, The Idea of

Perfect History Historical Erudition and Historical Philosoph' in Renaissance France, Urbana, Chicago, London 1970.

37 Vgl. dazu Rüdiger Landfester, Historia inagistra vitae. Untersuchungen zur humanistischen Gesthidustheorie des 14. bis 16. Jahrhunderts (= Travaux d'Humanisme et Renaissance, Bd. 123), Gencvc 1972.

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96 Klaus 4falettke

beeinflußt. Im Gefolge der inneren Wirren jener Jahrzehnte wurden viele historische Dokumente und Handschriften aus Klosterbesitz zugänglich. Sie fanden Eingang in die

später berühmten Gelehrtenbibliotheken. Mitbedingt durch die Begleiterscheinungen des Bürgerkriegs wurde also in größerem Umfang Quellenmaterial leichter verfügbar, das die nähere Untersuchung der Vergangenheit ermöglichte. Hinzu kamen aber noch weitere Faktoren. Die konfessionelle Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Calvinisten einerseits und die Diskussion zwischen den verschiedenen Schulen der Jurisprudenz andererseits förderten in Anlehnung an die humanistische Philologie die Entwicklung methodischer Ansatzpunkte in der Auswertung historischer Dokumente,

auf welche die streitenden Parteien seit der innenpolitischen Krise um 1560 zurückgrei- fen, um ihre politischen Argumente zu stützen". Insofern hat auch der konfessionelle Konflikt - die französischen Rechtshistoriker waren zum Teil entweder Calvinisten oder standen der Lehre Calvins nahe - das historische methodische Denken geschärft.

Es waren vor allem aktuelle Probleme des Rechts und der Verfassung Frankreichs, die den Rechtshistoriker Cujas und seine Schüler Antoine Loisel, Pierre Pithou und Jean du Tillet veranlaßten, sich intensiv mit alten Rechtstexten und neu zugänglich gewordenen historischen Dokumenten zu beschäftigen. Brennende Rechts- und Verfassungsfragen ihrer Zeit wollten sie aus ihrem historischen Kontext klären. Dabei überwanden sie die engeren Grenzen der humanistischen Geschichtsauffassung und übertrugen die von den Humanisten entwickelte Methode der philologischen Kritik auf juristische und histori- sche Textbestände, insbesondere auf solche der spätrömischen und der französischen Vergangenheit. Das Zusammenwirken all dieser Komponenten hat in Frankreich der historischen Forschung den Weg bereitet".

Mit Cujas war Pierre Pithou einer der führenden und vielseitigsten Repräsentanten der

rechtshistorischen Schule. Neben seinen rechtshistorischen Untersuchungen zählten das Sammeln, das kritische Herausgeben und Kommentieren von neuerschlossenen Texten

und Dokumenten zu seinen primären und herausragenden Leistungen. Pithou war, wie Kelley zu Recht feststellt, both a legal humanist and a vernacular humanist"40. Seit seiner frühen Jugend beherrschte Pithou die lateinische und die griechische Sprache. Und bereits im Alter von fünfundzwanzig Jahren debütierte er mit der Veröffentlichung der

�Catonis distica"41. Ihnen folgten ein Jahr später, 1565, seine �Adversariorum subseci-

corum libri II", eine korrigierende Interpretation von Texten von 120 griechischen oder lateinischen Autoren42. Im Jahre 1580 gab er in Paris die

�Quintiliani declamationes"

heraus. Fünf Jahre später folgte eine Edition von juvenaltexten43, die er auf der Basis eines Manuskripts aus dem neunten oder zehnten Jahrhundert vornahm''. Mit der Herausgabe

38 Jürgen Voss, Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs. Untersuchungen zur Geschichte des Mittelalterbegriffes und derAfittelalterbewertung von der zweiten Hälfte des 16. bis zurMitte des 19. Jahrhunderts (=Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim, Bd. 3), München 1972, S. 111 f.

39 Voss, Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs, S. 119. 40 Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 241. 41 Pierre Pithou (Hrsg. ), Catonis distica, Troyes 1564. 42 Petri Pithoci, ...

Adversariorum subsecicorum libri II ..., Paris 1565.

43 Pierre Pithou (Hrsg. ), In juvenalis et Persii satyras variae lcctiones et notae, Paris 1585. 44 Louis dc Rosanbo, Pierre Pithou erudit, in: Revue du XVI' siccle 16 (1929), 302.

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Pierre Pithou als Historiker 97

der �Epigrammata et Poematia vetera"'S im Jahre 1590 fand seine Editionstätigkeit ihre Fortsetzung. Sechs Jahre später gab er auf der Grundlage einer Handschrift aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts die Fabeln des ersten lateinischen Fabeldichters Phaedrus heraus46. Die von Pithou benutzte Handschrift stellt auch heute noch die älteste Überlieferung dar". Diese keineswegs vollständigen Beispiele belegen die umfangreiche Editionstätigkeit auf dem Felde antiker Autoren.

Unter den Repräsentanten der französischen rechtshistorischen Schule war Pierre Pithou derjenige, der die Methoden der humanistischen Philologie auf die Beschäftigung mit dem Mittelalter übertrug". Bei ihm findet sich auch der bisher früheste Beleg für

�moyen äge", also für die nationalsprachliche Bezeichnung für Mittelalter". Stand Pithou

in literarisch-ästhetischen Fragen deutlich unterdem Einfluß der Humanisten, so betonte

er auf dem Felde der Geschichte den dokumentarischen Wert und den informativen Nutzen der mittelalterlichen Autoren, obwohl er die bei diesen anzutreffenden �barbarischen" Stilelemente nicht verkannte. Im ersten von ihm herausgegebenen Quellenwerk zur französischen Geschichte, in seinen �Annalium et historiae Francorum

... scriptores coaetani" bemerkte er im Vorwort, daß er nicht nur die Werke alter Historiker edieren wolle, sondern auch solche Gesetze und Synodaldokumente, denen

man bisher keine Aufmerksamkeit gewidmet habe50. Er wolle, so führte er weiter aus, deshalb mit den zahlreichen und keinesfalls minderwertigen Historiographen des Mittelalters beginnen, da ihre Schriften bisher nur wenige bekannte Informationen über die Ahnen enthieltenS1. In dieser und in anderen Passagen der Werke Pithous klang der humanistische Topos von der �historia magistra vitae" durch. Pithou war im übrigen davon überzeugt, daß die Quellen der französischen Geschichte den römischen Geschichtsschreibern als ebenbürtig an die Seite gestellt werden könnten52. Es ist daher

aus den genannten Gründen nicht erstaunlich, daß Pithou die ersten beiden Quellen-

sammlungen zur französischen Geschichte, die bereits genannten �Annalium et historiae Francorum ... scriptores coaetani"11 und die �Historiae Francorum ... scriptores

's Pierre Pithou (Hrsg. ), Epigrammata et Poematia vetera, quorum pluragic nunc primum ex antiquis codicibus et Lrpidibus, ali. r sparsim antebac errantia, lam undecumque collecta emenda- tiora, eduntur, Paris 159D.

46 Pierre Pithou (Hrsg. ), Pb. edri Aug. liberti fabularrrm Aesopiartttn libri V, Troyes 1596. " Rosanbo, Pierre Pithou cnsdit (wie Anm. 44), S. 302, Anm. 7. " Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 241-270. 19 �Et pource soubs les Empereurs Romains du moyen aage, il a estc Presque commun ä toutes

dignitez et estats ...... Cc que iay apprins des plus ancienncs chartes de Charlemagne, et autres

Roys ct Empercurs du moyen aage... ' Pierre Pithou, Le premier livrc des memoires des comtes hereditaires de Charnp. rggne er Brie. Ouque! est trtiae de l'origine des ducs, comtes, palatins, pairs, senecbaux, aduorrez, vida, ncs er autres dioses que ce subject particrrlier a communes avec le general de la France, Paris 1572, S. 11 u. 21.

51 ... scd et Leges ct Synodos potissimum vero illa quac temporum sive ncgligentis sive iniuria

hactenus latuerunt, tandem aliquando in lucem editas aspiceret, visum est ... " Pierre Pithou (Hrsg. ), Annaliunr er historiac Franconmr ab anno Christi DCCVIII ad annum DCCCXC scriptores coetani X11, Paris 158S, Praefatio. Ebenda.

s: Pierre Pithou (Hrsg. ), Praefatio in Patrlunt Disconom, in: Petri Pithoei, Opera sacra, juridica, historica, miscellanea, Paris 1609, S. 69Sf.

ss Siehe Anm. 50.

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98 Klaus Malettke

veteres"s', edierte. Zweifellos stellen diese beiden Quellensammlungen die bedeutendsten

unter seinen Editionen historischer Dokumente dar. In diesem Zusammenhang sind aber auch zu nennen seine 1569 erschienene Paulus-Diaconus-Ausgabess, die im selben Jahre

publizierte Edition der Chronik Ottos von Freisings6 sowie die 1588 erschienenen Capitularien Karls des Großens'.

Pithou plädierte für ein enges Zusammengehen von Jurisprudenz und Geschichte. In

seinen eigenen Werken und Editionen versuchte er, dieses Anliegen in die Realität

umzusetzen. Dies trifft vor allem zu für seine Arbeiten über seine engere Heimat, die Champagne. Er sammelte und edierte die

�Gewohnheitsrechte", die �coustumes", der

�baillage" von Troyes58, erarbeitete eine Genealogie der Grafen der Champagner' und publizierte 1572 Le premier livre des memoires des comtes hereditaires de Champagne et Brie"60. Daß auf dem Felde der Kooperation zwischen Historikern und Juristen sowie auf dem Gebiet der Historiographie in Frankreich seit Beginn des 16. Jahrhunderts enorme Fortschritte gemacht wurden, betont er selbstbewußt und nicht ohne Stolz auf das bisher Erreichte in der Einleitung zu seinem Werk über die Grafen der Champagne. Die Geschichte der französischen Könige, so führt er aus, habe in der Vergangenheit keine Darsteller gefunden, die den großen Taten dieser Herrscher gerecht geworden wären. Dies habe daran gelegen, daß die Wissenschaften in Europa durch die Verwüstungen barbarischer Völker fast ganz erstickt und danach gleichsam in Klöster eingesperrt gewesen seien6'. Den Mönchen seien aber wegen ihres geistlichen Standes die Dinge dieser Welt völlig fremd gewesen. Sie hätten deshalb von den Staatsangelegenheiten, die den Hauptgegenstand der Geschichte ausmachten, wie von Geburt an Farbenblinde gesprochen: �Lesquels pour les plus part estans de profession du tout esloignee du maniement des choses de ce monde, ont parle des affaires d'Estat, qui sont le principal suiect de l'histoire, non pas seulement comme simples clercs d'armes, mais qui pis est, comme aueuglez-naiz des couleurs"62.

s~ Pierre Pithou (Hrsg. ), Historiae Franco rum ab anno Christi DCCCC ad annum , 1fCCLXXXV scriptores veteres XI, Frankfurt 1596.

55 Pierre Pithou (Hrsg. ), Historiae miscellae a Paulo Aquilegiensi prinum collectae, Basel 1569. sb Pierre Pithou (Hrsg. ), Othonis Episcopi Frisingensis Chronicon a orbe condito ad annum Christi

1146 et De gestis Frederici Barbarosse, Basel 1569. 17 Pierre Pithou (Hrsg. ), Caroli magni et Ludovici Pii capitula, Paris 1588. 11 Pierre Pithou (Hrsg. ), Les Coustumes du baillage de Troyes en Champaigne, Paris 1609. 59 Pierre Pithou, Genealogie des Comptes heriditaires de Troyes er 11eaux, ou de Champagne ct Brie,

Paris 1572. 60 Pithou, Le premier livre des memoires des comtes hereditaires de Champagne et Brie (wie Anm.

49). 61 �Cc n'est pas sans Brande occasion que bcaucoup de gens de bon iugement estans tombez en propos

de 1'histoire de nostre France, se sontplaincts 1 bon escient d'un malheur, qui na pas estc petit entre tant de felicitez de nos Roys: c'est, qu'onqucs ils n'ont peu rencontrer escriuain rant soit digne de ]cur hauts faicts. Cc qui est aduenu de ce que par un long temps toute la science de 1'Europe, apri s auoir cste fort abastardic et presque estcincte par un grand raualte dc nations Barbares, a cstc cncor comme cncloistrec entre ceux du nom desquels on l'appella Clcrgic:... ". Pithou, Lc premier livrc des memoires des comtes hereditaires de Champagne et Brie, in: Petri Pithoci, Opera, sacra (wie Anm. 52), S. 457.

62 Ebenda.

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Pierre Pithou als Historiker 99

Seit der Regierung Franz I. hätten die Humaniora jedoch einen großen Aufschwung erfahren. Eine große Zahl gelehrter Männer habe sich seither auch darum bemüht, der Geschichtsschreibung neue Impulse zu geben''.

Gegenstand der Geschichte sind für Pithou - wie bereits erwähnt - die �affaires d'Estat". Der Historiker habe im Unterschied zu den Repräsentanten anderer Künste und

Wissenschaften nicht die Aufgabe, etwas zu erfinden, sondern über vergangenes Geschehen zu berichten,

�de laquelle (l'histoire) est comme simple temoin" 4. Trage er

dieser Aufgabe nicht Rechnung, verfehle er seinen Auftrag. In seinem Werk über die Grafen der Champagne befaßte sich Pithou auch mit

begriffsgeschichtlichen Problemen. So interessierte ihn die Frage der Herkunft der Begriffe �Vassal" und �advocat". Er widersprach denjenigen, die das Wort , Vassal" aus dem Germanischen oder Altfranzösischen ableiteten und verwies darauf, daß es keltischen Ursprungs sei. Und den Begriff �advocat" brachte er nicht in Zusammenhang mit den

�advocati" desTheodosius noch mit dem germanischen , Vogt", sondern mit dem mittelalterlichen Begriff �clamatoresm"l. Wie bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt, trat Pierre Pithou als Angehöriger der Gruppe der politiqur-s" für die Wiedererrichtung eines starken Königtums in Frankreich ein. Es ist daher für ihn wie für die anderen �Politiker" nur konsequent, daß

sie sich mit Entschiedenheit für die Nachfolge Heinrichs von Navarra nach der Ermordung König Heinrichs III. im August 1589 einsetzten. In den Auseinanderset-

zungen Heinrichs IV. mit seinen ligistischen Gegnern bezogen sie eindeutig Partei für den König und propagierten in ihren Schriften die von ihm bezogenen Rechtspositionen.

In diesem Zusammenhang ist auch die von Pierre Pithou im Jahre 1594 veröffentlichte Schrift �De Justa et canonica absolutione Henrici IIII" zu sehen, die ein Jahr später auch in französischer Sprache erschien". In ihr befaßte sich Pithou mit der Frage, ob die Heinrich IV nach seiner Konversion zum katholischen Glauben von französischen Bischöfen erteilte Absolution auch nach kanonischem Recht rechtsgültig sei. In detaillierter Erörterung der mit dieser Frage verknüpften rechtlichen Probleme versuchte Pithou nachzuweisen, daß die von den ligistischen Gegnern des Königs bezogene Position nicht haltbar sei. Pithou stellte fest: �Et quand ä l'absolution, qu'elle a estc donnee sur causes tres-vrayes, et tres-iustes, et qu'elle ne peut estre aucunement reuocquee en doute, de tant moins que mesme une absolution iniuste, et donnee sur cause

w Depuis lcs Iettres ayans este remises au dcssus par l'immortel benefice du grand Roy Francois, ore qu'il se soit trouue en cc Royaumc ct allicurs une infinite dc bons esprits, qui ont tasche par tous moiens de reparer cc defaut au moins mal qui leur a este possible, si cst cc qu'ils n'ont peu remettre lcs chosen cn Icur enticr pour is regard dc l'histoire:... " Ebenda.

64 ...

d'autant quelle [= l'histoire] ne gist cn inuention, comme plusieurs autres parties des arts et sciences, mais a son subiect necessaire en in memoire des choses passees, de laquelle est comme simple tesmoin ... " Pithou, Le premier livre des memoires des comtes hereditaires de Champagne et Brie, in: Pictri Pithoei, Opera, sacra (wie Anm. 52), S. 457f.

cs Vgl. Pithou, Le premierlivre des memoires des comtes hereditaires de Champagne et Brie, in: Petri Pithoei, Opera, sacra (wie Anm. 52), S. 476-481.

" Pierre Pithou, De justa et crnonict absolrrtione Henrici IIII ..., Paris 1594; Pierre Pithou, Traicte de la irrste et canonique absolution de Henry IIII. Tres-chrestien Roy de France et de Nauarre, Paris 1595.

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fause [! ], ne laisse de tenir... "67Mit den von Pithou angezogenen rechtlichen Argumenten

sollte die von den Feinden Heinrichs IV. vertretene Auffassung, seineThronfolge sei nach kanonischem Recht rechtswidrig, widerlegt werden. Heinrich sei in einem völlig rechtmäßigen Verfahren wieder in den Schoß der katholischen Kirche aufgenommen worden. �Et ne se peut remarquer y auoir eu aucun manquement dc la part du penitent, soit en l'instruction ... soit en quelque autre circonstance de ceste conuersion tant desiree de tous les gens de bien, et taut necessaire au bien de la Religion Catholique, et conseruation du Royaume Tres-Chrestien"68.

Im Kontext der Bemühungen Pithous, die Krone Frankreich gegenüber konkurrie-

renden Kräften zu stärken, ist auch die im Jahre 1594 erfolgte Veröffentlichung seiner Schrift über die gallikanischen Freiheiten zu sehen6°. Bis weit in das 18- Jahrhundert hinein hat diese Schrift Pithous in den gelehrten Diskussionen über das Verhältnis

zwischen der französischen Krone und dem Papst eine zentrale Rolle gespielt10. Mit Charles Dumoulin, Etienne Pasquier, Pierre Dupuy gehörte Pierre Pithou zu den führenden Repräsentanten des französischen Gallikanismus71. Die gallikanischen Legisten traten nicht nur für die Zurückdrängung der Religion aus der Politik überhaupt

ein, sondern sie waren auch bestrebt, das mühsam zu befriedigende und später auch befriedete Terrain Frankreichs vor dem nach wie vor unerbittlichen Rom in gewisser Weise abzuschirmen"72. Ihrer gallikanischen Position entsprechend, verurteilten sie auch jegliche politische Unterstützung von außenpolitischen Gegnern Frankreichs durch Rom. Im allgemeinen, so stellt Kelley fest, war für den Gallikanismus charakteristisch,

,, that it depended more upon positive than upon divine law and that it preferred historical

argument to political theory"73. Unter den Freiheiten der gallikanischen Kirche nannte Pithou als erste Maxime: �Nos Rois sont independants du Pape pour le temporel"74. Die Päpste hätten in weltlichen

Angelegenheiten keinerlei Befehlsgewalt in den Ländern und Territorien, die zur Souveränität des allerchristlichsten Königs gehörten. Aber auch in geistlichen Dingen sei die Gewalt des Papstes in Frankreich durch die heiligen Canones" beschränk t75 - Die französischen Könige hätten hingegen das Recht, �d'assembler Conciles en lours Etats et

67 Pithou, Traicte de la irrste et canonique absolution de Henry 1111 (wie Anm. 66), S. 14. 68 Pithou, Traicte de la irrste et canonique absolution de Henry IIII (wie Anm. 66), S. 15. 69 Pierre Pithou, Les Libertez de 1'Eglise gallicane, Paris 1594. 70 So z. B. bei Durand de Maillano. Vgl. Durand dc Maillanc, Les Libcrtez dc l'Eglisc gallicane,

prouvees et co, nmentees suivant fordre et la Disposition des Articles dresses par, 11. Pierre Pithou. Et sur les Recueils de Al. Pierre Dupu3; Conseiller d'Etat, Lyon 1771,2 Bdc.

71 Zu Charles Dumoulin vgl. Kelley Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 151-182.

72 Roman Schnur, Die französischen Juristen im Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts, Berlin 1962, S. 34.

73 Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 160. 74 Pithou, Les Libertez de l'Eglisegallicane, in: Durand de Maillanc, Les libcrtez de l'Eglise gallicane

(wie Anm. 70), S. 31. 71 Pithou, Les Libertez de l'Eglisegallicane, in: Durand dc Maillanc, Les libertez dc l'Eglise gallicane

(wie Anm. 70), S. 59.

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Pierre Pithou als Historiker 101

de faire des Loix sur ]es matieres Ecclcsiastiques"76. Allgemein wurde in den insgesamt dreiundachtzig Artikeln der Freiheiten dergallikanischen Kirche die Unabhängigkeit und Souveränität des französischen Königs gegenüber dem Papst umfassend herausgearbeitet und begründet. Die Rechte des Papstes über die katholische Kirche in Frankreich wurden sehr stark reduziert. Auch in diesen Ausführungen manifestierte sich die dem �Politiker" Pithou eigene promonarchische Grundhaltung.

III. Pithous Beziehungen zu den humanistischen Gelehrten seiner Zeit

Wie alle Humanisten unterhielt auch Pithou vielfältige und enge Beziehungen zu den Gelehrten seiner Zeit. Auch diese Beziehungen zu den geistigen Größen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts innerhalb und außerhalb Frankreichs spiegeln den Rang wider, den Pichou in der gelehrten Welt jener Jahrzehnte einnahm.

Sehr enge, ja geradezu freundschaftliche Kontakte unterhielt Pierre Pithou zeitlebens zu seinem Lehrer in Bourges und Valence, dem bekannten Humanisten und Rechtshi- storiker Jacques Cujas. In seiner historischen Methode und in seiner Arbeit als Gelehrter hatte Pithou von ihm wesentliche Impulse empfangen. Cujas verfolgte die wissenschaft- liche Arbeit Pithous stets mit größter Aufmerksamkeit und begleitete sie mit seinem Rat. Wahrscheinlich im Jahre 1574 bot Cujas seinem Schüler eine Stellung an der Universität Valence an und lud ihn mehrfach zu Besuchen in sein Haus ein. So schrieb er am 19. Februar 1570 an Pithou: je vouldroye bien que nous feussions ensemble quelquc temps, et si Dieu nous donne la paix, je vous prie vous en courir vers moy incontinent"77. Pithou erwies sich seinem Lehrer gegenüber stets dankbar und öffnete diesem nicht nur seine große Bibliothek, sondern beschaffte ihm auch wertvolle Handschriften78.

Enge familiäre Beziehungen bestanden auch zwischen den Familien Pithou und de Thou. Schon der Vater Pierre Pithous hatte gute Kontakte zu Christophe de Thou

unterhalten, dem Ersten Präsidenten des Pariser Parlaments und Vater des berühmten Juristen und Historikers Jacques-Auguste deThou79. Um Jacques-Auguste dcThou, den Parlamentsrat Claude Dupuy, dessen Söhne Pierre und Jacques - ebenfalls Juristen - und um die Humanisten Nicolas Le Fevre und Rivault de Fleurance hatte sich ein Freundeskreis gebildet, dem auch der Jurist und Rechtshistoriker Antoine LoiselB° und Pierre Pithou angehörten. Es war Pichou, der Jacques-Auguste de Thou zur Abfassung

seiner berühmten europäischen Geschichte Jacobi Augusti Thuani historiae sui temporis" angeregt hatte. Dieser Kreis traf sich zumeist im Hause de Thous zu seinen

" Pithou, Les Libertez de l'Eglisegallicane, in: Durand de hlaillane, Les libertez de 1'Eglise gallicane (wie Anm. 70), S. 102. Cujas an Pithou, 19. Februar [1570], zitiert über Rosanbo, Pierre Pithou erudit (wie Anm. 44), S. 322.

n Vgl. Kelle), Foundations of Moden: Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 322f. A Zu Jacques-Auguste dc Thou vgl. Anm. 4. " Zu Antoine Loisel vgl. Michel Reulos, Etude sur l'dsprit, les sources et la mdthode des Institutes

couturnicres di1 ntoine Loisel, Paris 1935.

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102 Klaus 4falettke

Zusammenkünften81. Fast alle Mitglieder dieses Freundeskreises pflegten enge Verbin- dungen zu anderen geistigen Größen ihrer Zeit.

Seit seiner Studienzeit in Bourges unterhielt Pithou sehr enge freundschaftliche

Beziehungen zu Antoine Loisel. Der Jurist und Rechtshistoriker gab posthum einige Schriften Pithous heraus. Aus seiner Feder stammt auch die erste Biographie Pithous, die im Jahre 1652 von Claudejoly, einem Enkel Loisels, herausgegeben wurdeE2. Daß Pithou die Mordaktion der Bartholomäusnacht vom 23. zum 24. August 1572 überlebte,

verdankt er nicht zuletzt der Hilfe seines Freundes Loisel. Als die Mordgesellen in der Nacht in das Haus eindrangen, in dem Pithou in Paris wohnte, gelang es diesem in letzter Minute, über das Dach zu fliehen und sich zu Loisel zu flüchten, der ihm bis zum Ende des Jahres Zuflucht und Schutz vor möglichen weiteren Verfolgungen gewährte. Pithou

vergaß es dem katholischen Freund nicht, daß er ihm, der damals noch Calvinist war, in höchster Lebensgefahr geholfen hatte"'.

Eine sehr intensive Korrespondenz unterhielt Pithou zu Joseph Justus Scaliger, der zu den besten Schülern von Cujas zählte. Pithou bezeichnete Scaliger als �le plus habille qui ait estc de son temps es langues" und als �le plus grande de ce siecle (apri s Cujas)"s'. Der berühmte klassische Philologe und Begründer der wissenschaftlichen Chronologie, Scaliger, hatte die Korrespondenz mit Pithou im Jahre 1568 begonnen. Der äußerst rege Gedankenaustausch, der auch bis in die private Sphäre hineinreichte, hielt bis in das Jahr 1595 an, aus dem die letzten Briefe Scaligers an Pithou stammen. Pithou und Scaliger tauschten nicht nur ihre Schriften aus, sondern übersandten sich häufig auch eigene Manuskripte zur Korrektur. Scaliger schätzte an Pithou besonders dessen Autorität auf dem Gebiet der Mittelalterstudient'.

Enge Beziehungen unterhielt Pierre Pithou auch zu seinem fast vier Jahre jüngeren Bruder, Francois. Francois war wie sein älterer Bruder Jurist. Auch er hatte als orthodoxer Humanist begonnen und sich dann in zunehmendem Maße der mittelalter- lichen Geschichte zugewandt. �Like Pierre he distributed his talents over the fields of classical literature, Roman, canon, and feudal law, and was engaged in both research and polemic on behalf of the monarchy"".

Zu den engsten Freunden Pithous zählte auch der bekannte Rechtshistoriker Etienne Pasquier, der Verfasser der 1560 erschienenen �Recherches

de la France", die bis in das 17. Jahrhundert hinein und darüber hinaus Gegenstand der politischen Auseinandersetzun-

61 Vgl. Schnur, Die französischen Juristen im Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 72), S. 29ff.; Kelley, Foundations ofModern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 266; Rosanbo, Pierre Pithou drudit (wie Anm. 44), S. 321 f.

81 Vie de M. Pierre Pithou, Sieur de Savoye, Advocat en Parlernent, in: Antoine Loisel, Divers opuscules (wie Anm. 30), S. 251-284.

87 Vgl. Schnur, Die französiscienJuristen irn Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 72), S. 31; Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 263f.; Rosanbo, Pierre Pithou drudit (wie Anm. 44), S. 325.

8' Manuskript Pierre Pithous in: Bibliotheque Nationale, Paris, fonds Dupuy, Bd. 702, fol. 125. 81 Vgl. Rosanbo, Pierre Pithou drudit (wie Anm. 44), S. 315-320; Kelley, Foundations of Modern

Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 265f. e6 Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 267. Zu Francois Pithou

vgl. [Groslcy], Vie de Pierre Pithou (wie Anm. 7), Bd. 2, S. 106-285.

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Pierre Pithou als Historiker 103

gen waren. Pasquier hatte sich als Hörer von Cujas, Baudouin, Francois Hotman und Alciatus mit der rechtshistorischen Fragestellung und ihrer Methode vertraut gemacht. In seinen �Recherches de la France" unternahm er in Abkehr von bisherigen Praktiken der historiographischen Darstellung in Frankreich eine Rekonstruktion der Vergangenheit, die erauf eine möglichst breite Basis ihm zur Verfügung stehender Quellen zu stützen sich bemühte. In seiner Abhandlung befaßte er sich auch ausführlich mit der Rolle der Parlamente in der französischen Monarchie.

�\Ver immer auch die Freiheit in einem

wohlgeordneten Staate begründen wollte, so führt Pasquier aus, glaubte es nur tun zu können, indem er den Willen des höchsten Magistrats lenkte durch die Remonstranzen hochgestellter, eigens zu diesem Zweck berufener Personen und so der Krone ein Gegengewicht gab«". Ein solches Gegengewicht stellte für Pasquier das Parlament dar, dessen Entstehung er in die Zeit der\ierowinger zurückverlegte. Das Parlament war nach seiner Überzeugung das Bindeglied zwischenVolk und König. Es war �die Bedingung der Größe und Einheit Frankreichs""". Wegen dieser Thesen wurde er später von publizistischen Vertretern des monarchischen Absolutismus heftig angegriffen89.

In Briefwechsel stand Pithou auch zu dem niederländischen Humanisten und Universalgelehrten Justus Lipsius. Von Lipsius ging der entscheidende Impuls zur Entfaltung und Ausbreitung der niederländisch-neustoischen Ethik in der politischen Theorie in Frankreich zur Zeit Sullvs und Richelieus aus90. Pithou korrespondierte weiterhin mit den calvinistischen \ionarchomachen Francois Hotman und Theodore de Beze, der nach dem Tod Calvins dessen Nachfolger in Genf war91. Diese keineswegs vollständigen Belege für die vielfältigen und weitgespannten Beziehungen Pithous zu bekannten Juristen und Humanisten seiner Zeit verdeutlichen, daß er einzuordnen ist in die Gelehrtenrepublik der Renaissance und größere Aufmerksamkeit verdient, als ihm bisher entgegengebracht wurde. Eine breitere monographische Untersuchung über Pierre Pithou bleibt aber auch weiterhin ein Desiderat der Forschung.

I' Martin Göhring, Weg und Sieg der modernen Staatsidee in Frankreich, Tübingen 1947, S. 69. " Ebenda.

Vgl. Hupport, The Idea of Perfect History (wie Anm. 36), S. 45,79,172. - Zu Estienne Pasquier siehe: Henri Baudrillart, Etienne Pasquier, eaiv. rin politiquc, Paris 1863; Voss, Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs (wie Anm. 3S), S. 105-110; Huppert, The Idea of Perfect History (wie Anm. 36), S. 2S-71; Kelley, Foundations of Modern Historical Scholarship (wie Anm. 1), S. 271-300. Vgl. dazu Karl Siedschlag, Der Einfluß der niederl. indisch-neustoischen Ethik in der politischen Theorie zur Zeit S: d/ys und Rid, elieus (= Historische Forschungen, Bd. 13), Berlin 1978.

91 Zu den calvinistischen Monarchomachen Günter Stricker, Das politische Denken der Monarcho- machen. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Ideen im 16. Jahrhundert, phil. Diss. Heidelberg 1967; Jürgen Dennert (Hrsg. ), Beza, Brutus, Hotman. Calvinistische Monarchoma- chen, übersetzt von Hans Klingelhöfer (= Klassiker der Politik, Bd. 8), Köln, Opladen 1968; Ralph E. Giesev, The . lfonardionaad, Triumvirs: Hotman, Beza et , tlorna); in: Bibliotheque d'Humanisme et Renaissance 32 (1970), S. 41-76.