Humanismus versus Fundamentalismus und Dämonenglaube

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Humanismus versus Fundamentalismus und Dämonenglaube Modul 2: Das Christentum in seiner Geschichte Universität Duisburg-Essen, Winter-Semester 2006/07 Toleranz und Intoleranz Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit

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Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit. Humanismus versus Fundamentalismus und Dämonenglaube. Toleranz und Intoleranz. Modul 2: Das Christentum in seiner Geschichte. Universität Duisburg-Essen, Winter-Semester 2006/07. Übersicht. Hexenwahn und Inquisition Vom Einheitswahn zum Pluralismus - PowerPoint PPT Presentation

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Humanismus versus Fundamentalismus und Dämonenglaube

Modul 2: Das Christentum in seiner Geschichte

Universität Duisburg-Essen, Winter-Semester 2006/07

Toleranz und Intoleranz

Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit

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Übersicht

1. Hexenwahn und Inquisition

2. Vom Einheitswahn zum Pluralismus

3. Anwälte der Toleranz: Castellio, Spinoza, Bayle, Lessing

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1.1 der Hexenwahn - Voraussetzungen

• biblischer Befund– Exodus 22,18

• römisches Recht– Codex Iustinianus (IX, 16)

• die Akzeptanz der Folter– Carolina 1532

Hexenwahn und Inquisition

• Zuspitzung auf die malifica, die Frau

• Teufelsbund und Teufelsbuhlschaft (Apostasie)

• Hexensabbat

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1.2 Hexenwahn bei Luther

• Wiewol alle Sünde sind ein Abfall von Gottes Werken, damit Gott greulich erzörnet und beleidiget wird; doch mag Zäuberei von wegen ihres Gräuels recht genannt werden crimen laesae Maiestatis divinae, eine Rebellion und ein solch Laster, damit man sich furnemlich an der göttlichen Majestät zum höchsten vergreift. ... [Wie bei Fahnenflucht], da sich einer von Gott, dem er gelobt und geschworen ist, zum Teufel, der Gottes Feind ist, begibt, so wird sie [die Zauberei] billig an Leib und Leben gestraft

Martin Luther, Tischreden, hg. v. Aurifaber (1536ca) , WATR 6,222 (nr.6836)

Lucas Cranach d. Ä, 1529, Galleria degli Uffici, Florenz

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1.3 der Schadenszauber im Bild

Baldung Grien, Wetterhexen, 1523, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a.M.

Hans Baldung Grien, Der verhexte Stallknecht, Kupferstich, 1544

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1.4 der Hexenhammer

Jakob Sprenger O.P.

Malleus maleficarum maleficas earum heresim ut phramea potentissima conterensHammer gegen die Hexen, der ihre Zauberwerke und ihre Häresie wie mit einem Super-Spieß zertrümmert

Venundatur vico divi Jacobi sub lilio aureo et leone argento ab Joanne parvo

Er wird verkauft in der St. Jakobi Gasse unter dem Zeichen der goldenen Lilie und des silbernen Löwen von Jean Petit

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1.5 Hexensabbat & Teufelsbuhlschaft

(Auszug aus dem Fragenkatalog des badischen Landrechts 1588)

"Wann ihr der Teufel erschienen?" "Ob er auch Heirat oder allein Buhlschaft von ihr begehrt?" "Wie er sich genannt, was er für Kleider getragen habe?" "Ob sie nichts Teuflisches an ihm gesehen und wisse?" "Ob der Teufel nach dem Pakt mit der Angeklagten geschlafen habe?" "Auf welche Weise ihr der Teufel die Jungfräulichkeit geraubt habe?" "Wie der Penis des Teufels sei und wie sein Samen?" "Ob der Koitus mit dem Teufel ihr bessere und größere Lust bereitet habe als der mit einem natürlichen Mann?" "Ob der Teufel mit der Angeklagten es mehrfach in der Nacht getrieben habe?" "Ob er den Koitus immer in natürlicher Weise ausgeführt habe oder auch mit anderen Teilen des Körpers?" "Ob sie von anderen Männern auf natürliche Weise geschwängert worden sei?" "Was sie mit dem Säugling getan habe, ob das Kind gelebt habe?" "Auf welche Weise sie es getötet habe?" "Ob sie sich auch gegen die Natur versündigt habe?"

Hexensabbat Gemälde von Frans Francken d.J., (1607), Kunsthistorisches Museum, Wien

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1.6 Johann Weyer, um 1515 - 1588

• „... dieweil lauter und klar bewiesen wirdt, daß die Kranckheiten sampt iren ursprungen ... symptomaten und zufällen, so bishero fälschlich den Unholden zugeschrieben worden, auß natürlichen ursachen, nach außweisung der Artzney, herkommen und entstanden seyen.“ (Vorwort)

Johann Weyer,

Von Teuffelsgespenst, Zauberern und Giftbereytern, Schwartzkünstlern, Hexen und Unholden (1586)

Porträt von 1576

De praestigiis daemonum, et incantationibus ac ueneficiis, libri V. Basilea - per Ioannem Oporinum - 1563Über die Gaukeleien der Teufel und Zauberformeln und Giftmischereien

De Praestigiis Daemonum, & incantationibus ac veneficiis: Libri sex, postrema editione sexta aucti & recogniti. Basel - Orporinus - 1583

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1.7 Friedrich von Spee S.J.

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Übersicht

1. Hexenwahn und Inquisition

2. Vom Einheitswahn zum Pluralismus

3. Anwälte der Toleranz: Castellio, Spinoza, Bayle, Lessing

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2.1 religiöser Dissens ist Aufruhr

• Würde er aber davon nicht lassen [Abweichung des Predigers in Lehre und Leben] noch abstehen wollen und sonderlich zu erweckung falscher lere und des auffrhurs [in seiner Meinung beharren], so soll der Superattendens solch unverzuglich dem Amptman anzeigen, Welcher denn solchs furt unserm Gnedigsten Herrn dem churfürsten vermelden sol, Damit seine Churfürstliche Gnaden hirynn ynn der zeit billichen versehung [ein gerechtes Urteil] fürwenden mügen.

Melanchthon, Unterricht der Visitatoren (1528) WA 26.235

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2.2 Jacques-Bénigne Bossuet: Religionsfreiheit ist Irrtum

• Der Fürst ist der Diener Gottes. Nicht umsonst führt er das Schwert (Röm 13,4): Wer Böses tut, soll ihn fürchten als den, der sein Verbrechen bestrafen wird. Er ist der Schützer der öffentlichen Sicherheit, und diese beruht auf der Religion. Er soll seinen Thron stützen, dessen Fundament die Religion ist. Diejenigen, die nicht leiden wollen, dass der Fürst in Dingen der Religion mit Strenge vorgeht, weil die Religion frei sein müsse, befinden sich in einem gottlosen Irrtum

Politique tirée des propres paroles de l'Ecriture sainte, à Monsieur le Dauphin (1682)

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2.3 Typen von Toleranz

• pragmatische Toleranz– Sie verzichtet darauf, den eigenen Werte- und Wahrheitsanspruch

durchzusetzen, um eines zumindest momentan höher eingestuften Gutes willen (z.B. Frieden, gesellschaftliche Wohlfahrt).¹

• Konsensus-Toleranz– Sie sucht bei aller Divergenz in der äußeren Ausprägung nach

Übereinstimmung im Kernbereich, um die nicht vergleichbaren Punkte als sekundär, äußerlich, adiaphorisch zu entschärfen.2

• dialogische Toleranz– Die Auseinandersetzung mit dem Häretiker oder mit dem

Andersgläubigen ist nicht mehr apologetisch, missionarisch oder polemisch motiviert, sondern sucht in der ideellen Konkurrenz mit dem Andersgläubigen Austausch, Erweiterung und Bereicherung des eigenen Denkens und Fühlens.3

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2.4 Konsensus-Toleranz: tolerieren, was nicht entscheidungsrelevant ist

• Dann dies ist gnug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden. Und ist nicht not zur wahren Einigkeit der christlichen Kirche, daß allenthalben gleichförmige Ceremonien, von den Menschen eingesetzt, gehalten werden, ...

Philipp Melanchthon, Confessio Augustana (1530) , VII.

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2.5 Der Augsburger Religionsfriede – die pragmatische Toleranz obsiegt

• Wo dann solche vergleichung [zwischen Lutheranern und Katholiken] durch die wege des generalconciliums, ... nit erfolgen würde, so [soll] alsdann nichts destoweniger diser friedstand in allen oberzelten puncten und articuln bei creften biß zu endlicher vergleichung der religion und glaubenssachen bestehn und pleiben; und sol also hiemit obberührter gestalt und sonst in alle wege ein beständiger beharlicher unbedingter, für und für, ewig werender fried aufgericht und beschlossen sein und pleiben

Augsburger Religionsfrieden (1555) , Art. 25

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2.6 Edikt von Nantes, 1598, Art. VI, XI

• Um keinen Anlass zu Unruhen und Streitigkeiten zwischen Unseren Untertanen bestehen zu lassen, haben Wir erlaubt und erlauben Wir den Anhängern der so genannten reformierten Religion, in allen Städten und Ortschaften Unseres Königreichs ... zu leben und zu wohnen, ohne dass ... sie bedrückt und belästigt und gezwungen werden, etwas gegen ihr Gewissen zu tun. ...

• Wir befehlen, dass in den Vorstädten einer Stadt ... die Ausübung der so genannten reformierten Religion öffentlich stattfinden kann ...

Art. 22: keine bürgerliche Benachteiligung wegen Konfession

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2.7 das Edikt von Nantes, eine Allegorie, 1598

• Heinrich IV. stützt sich auf die Religion um Frankreich den Frieden zu geben

Château de Pau

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2.8 der Westfälische Friede 1648: Auf dem Weg zur Gewissensfreiheit

Ferner ist beschlossen worden, dass jene ..., welche nach Verkündigung des Friedens inkünftig eine andere Religion bekennen und annehmen werden als ihr Landesherr, nachsichtig geduldet und nicht gehindert werden sollen, sich mit freiem Gewissen zu Hause ihrer Andacht privat zu widmen, in der Nachbarschaft aber, wo und sooft sie es wollen, am öffentlichen Gottesdienst teilzunehmen oder ihre Kinder auswärtigen Schulen ihrer Religion oder zu Hause Privatlehrern zur Erziehung anzuvertrauen; ...

Art. V, § 34

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Übersicht

1. Hexenwahn und Inquisition

2. Vom Einheitswahn zum Pluralismus

3. Anwälte der Toleranz: Castellio, Spinoza, Bayle, Lessing

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3.1 Sebastian Castellio, De haereticis, an sint persequendi, 1554

• Über Ketzer, ob man sie verfolgen und überhaupt, wie man mit ihnen umgehen soll. Aussagen dazu von Luther, Brenz und vielen anderen aus alter und neuerer Zeit.

• Ein Buch, das in dieser so turbulenten Zeit höchst notwendig und für alle, für mächtige Fürsten wie für ihre Beamten, sehr nützlich ist, um daraus zu lernen, was in einer solch kontroversen wie auch gefährlichen Angelegenheit ihre Pflicht sei. – Der, der aus dem Fleisch geboren war, verfolgte den,

der aus dem Geist geboren war (Gal. 4,29)

Reaktion Castellios auf die Hinrichtung des spanischen Humanisten Michel Servet in Genf auf Betreiben Calvins

Michael Servet

Johannes Calvin

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3.2 Baruch Spinoza, Tractatus theologico-politicus, 1670

Tractatus theologico-politicus

Continens Dissertationes aliquot,

Quibus ostenditur Libertatem Philosophandi non tantum

salva Pietate, & Republicae Pace posse concendi: sed

eandem nisi cum Pace Reipublicae, ipsaque Pietate tolli non posse

Hamburgi 1670Theologisch-politischer Traktat, der mehrere Abhandlungen enthält, in denen gezeigt wird, dass die Freiheit zu philosophieren nicht nur unbeschadet der Frömmigkeit und öffentlichen Friedens eingeräumt werden kann, sondern dass sie nur auf Kosten des öffentlichen Friedens und auf Kosten der Frömmigkeit unterbunden werden kann.

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3.3 Pierre Bayle, 1647-1706

• Commentaire philosophique sur ces paroles de Jésus-Christ: contrain-les d'entrer, Teil I-II, 1686; Teil III, 1687.

Eine Kritik an den Theologen, die mit Berufung auf Augustin (compelle intrare Lk 14,23) die Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes durch Ludwig XIV. im Jahr 1685 begrüßten

Philosophischer Kommentar über die Worte Jesu Christi: „Zwinget sie hereinzutreten“

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3.4 Gotthold Ephraim Lessing

Personen:Sultan Saladin

Sittah, dessen SchwesterNathan, ein reicher Jude in

JerusalemRecha, dessen angenommene

TochterDaja, eine Christin, aber in dem

Hause des Juden,als Gesellschafterin der Recha

Ein junger TempelherrEin Derwisch

Der Patriarch von JerusalemEin Klosterbruder

Ein Emirnebst verschiednen Mamelucken des

Saladin

Die Szene ist in Jerusalem

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3.4.1 Nathan der Weise, III. Aufzug, 5. Auftritt

• Saladin.Ich heische deinen Unterricht in ganzWas anderm; ganz was anderm [scilicet: nicht in Geschäftlichem, nicht in Politik] . - Da du nunSo weise bist: so sage mir doch einmal -Was für ein Glaube, was für ein GesetzHat dir am meisten eingeleuchtet?

• Nathan.       Sultan,Ich bin ein Jud'.

• Saladin.       Und ich ein Muselmann.Der Christ ist zwischen uns. - Von diesen dreiReligionen kann doch eine nurDie wahre sein. - Ein Mann, wie du, bleibt daNicht stehen, wo der Zufall der GeburtIhn hingeworfen: oder wenn er bleibt,Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern.Wohlan! so teile deine Einsicht mirDann mit. Lass mich die Gründe hören, denenIch selber nachzugrübeln, nicht die ZeitGehabt. Lass mich die Wahl, die diese GründeBestimmt, - versteht sich, im Vertrauen - wissen,Damit ich sie zu meiner mache.

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Nathan der Weise in der Inszenierung von Karl-Heinz Stroux, 1956

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (1)

• Nathan.Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,Der einen Ring von unschätzbarem WertAus lieber Hand besaß. Der Stein war einOpal, der hundert schöne Farben spielte,Und hatte die geheime Kraft, vor GottUnd Menschen angenehm zu machen, werIn dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,Dass ihn der Mann in Osten darum nieVom Finger ließ; und die Verfügung traf,Auf ewig ihn bei seinem Hause zuErhalten? Nämlich so. Er ließ den RingVon seinen Söhnen dem geliebtesten;Und setzte fest, dass dieser wiederumDen Ring von seinen Söhnen dem vermache,Der ihm der liebste sei; und stets der liebste,Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft alleinDes Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. -Versteh mich, Sultan.

• Saladin.       Ich versteh dich. Weiter!

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (2)

• Nathan.So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,Auf einen Vater endlich von drei Söhnen;Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,Die alle drei er folglich gleich zu liebenSich nicht entbrechen konnte. Nur von ZeitZu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, baldDer dritte, - sowie jeder sich mit ihmAllein befand, ... - würdigerDes Ringes; den er denn auch einem jedenDie fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.... Es kam zum Sterben, und der gute VaterKömmt in Verlegenheit. ... - Was zu tun? -Er sendet in geheim zu einem Künstler,Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,Zwei andere bestellt, und weder KostenNoch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,Vollkommen gleich zu machen. Das gelingtDem Künstler.

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (3)

Da er ihm die Ringe bringt,Kann selbst der Vater seinen MusterringNicht unterscheiden. Froh und freudig ruftEr seine Söhne, jeden insbesondre;Gibt jedem insbesondre seinen Segen, -Und seinen Ring, - und stirbt. - Du hörst doch, Sultan?

• Saladin (der sich betroffen von ihm gewandt).Ich hör, ich höre! - Komm mit deinem MärchenNur bald zu Ende. ...

• Nathan.       Ich bin zu Ende.Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. -Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jederMit seinem Ring, und jeder will der FürstDes Hauses sein. Man untersucht, man zankt,Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nichtErweislich; -(nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet)      Fast so unerweislich, alsUns itzt - der rechte Glaube.

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (4)

• Saladin.       Wie? das sollDie Antwort sein auf meine Frage? ...

• Nathan.       SollMich bloß entschuldigen, wenn ich die RingeMir nicht getrau zu unterscheiden, dieDer Vater in der Absicht machen ließ,Damit sie nicht zu unterscheiden wären.

• Saladin.Die Ringe! - Spiele nicht mit mir! - Ich dächte,Daß die Religionen, die ich dirGenannt, doch wohl zu unterscheiden wären. ...

• Nathan.Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht.Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte?Geschrieben oder überliefert! - UndGeschichte muss doch wohl allein auf TreuUnd Glauben angenommen werden? - Nicht? -Nun, wessen Treu und Glauben zieht man dennAm wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen?

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (5)

Doch deren Blut wir sind? ...Wie kann ich meinen Vätern wenigerAls du den deinen glauben? Oder umgekehrt. -...Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? –...... Lass auf unsre Ring'Uns wieder kommen. Wie gesagt: die SöhneVerklagten sich; und jeder schwur dem Richter,Unmittelbar aus seines Vaters HandDen Ring zu haben. - Wie auch wahr! - ...

• Saladin.Und nun, der Richter? - Mich verlangt zu hören,Was du den Richter sagen lässest. ...

• Nathan.Der Richter sprach: ...... Ich höre ja, der rechte RingBesitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;Vor Gott und Menschen angenehm. Das mußEntscheiden! Denn die falschen Ringe werdenDoch das nicht können! - Nun; wen lieben zweiVon Euch am meisten? - ... Ihr schweigt?

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (6)... Jeder liebt sich selber nur

Am meisten? - Oh, so seid ihr alle dreiBetrogene Betrüger! Eure RingeSind alle drei nicht echt. Der echte RingVermutlich ging verloren. Den VerlustZu bergen, zu ersetzen, ließ der VaterDie drei für einen machen.

• Saladin.       Herrlich! herrlich! • Nathan.

Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihrNicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt:Geht nur! - Mein Rat ist aber der: ihr nehmtDie Sache völlig wie sie liegt. Hat vonEuch jeder seinen Ring von seinem Vater:So glaube jeder sicher seinen RingDen echten. - Möglich; dass der Vater nunDie Tyrannei des einen Rings nicht längerIn seinem Hause dulden wollen! - Und gewiss;

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (7)Daß er euch alle drei geliebt, und gleich

Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,Um einen zu begünstigen. - Wohlan! ...Es strebe von euch jeder um die Wette,Die Kraft des Steins in seinem Ring' an TagZu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,Mit innigster Ergebenheit in GottZu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine KräfteBei euern Kindes-Kindeskindern äußern:So lad ich über tausend tausend JahreSie wiederum vor diesen Stuhl. Dann wirdEin weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzenAls ich; und sprechen. Geht! - So sagte derBescheidne Richter.

• Saladin.       Gott! Gott!

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (8)

• Nathan.             Saladin,Wenn du dich fühlest, dieser weisereVersprochne Mann zu sein: ...

• Saladin (der auf ihn zustürzt und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren lässt).      Ich Staub? Ich Nichts?O Gott!

• Nathan.       Was ist dir, Sultan? • Saladin.       Nathan, lieber Nathan! -

Die tausend tausend Jahre deines RichtersSind noch nicht um. - Sein Richterstuhl ist nichtDer meine. - Geh! - Geh! - Aber sei mein Freund.