Humanitarismus und Versicherheitlichung Schleusen, (Anti-)Trafficking, humanitäre Diskurse und...

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Humanitarismus und Versicherheitlichung Schleusen, (Anti-)Trafficking, humanitäre Diskurse und Lager

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Humanitarismus und Versicherheitlichung

Schleusen, (Anti-)Trafficking, humanitäre Diskurse und Lager

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Aufbau der Sitzung

1. Maßnahmen und Diskurse gegen Schlepperkriminalität als junges Phänomen

2. „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“ 3. Trafficking und Anti-Trafficking als

Phänomen 4. Das Lager aus Perspektive verschiedener

Studien

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Schleppen und Schleusen• Frontex ruft Anfang 2015 „neuen Grad der Grausamkeit“ aus

(>> Geisterschiff-Debatte) + EU-Kommission gibt Fact Sheet zu „Smuggling of Migrants in Europe and the EU response“ heraus + Europol und EASO-Projekte die Schleuser in den Fokus nehmen + Eunavfor-Med (Phase 1: Sammeln von Informationen; Phase 2: Suche und Beschlagnahmung von Schiffen und Booten)

• Schleuser werden einerseits als Samariter, Freunde und Helfer charakterisiert (z.B. Fluchthilfe aus der DDR) oder als organisiert, kriminell und skrupellos

• Versuche der Kriminalisierung von Schlepperei seit Anfang der 1990er >> 2004 tritt das "Zusatzprotokoll gegen die Schlepperei von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg“ in Kraft >> kriminalisiert wird Vorsatz und Profitorientierung; klare Grenze zwischen Opfern und Tätern wird gezogen

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Andrea Di Nicola und Giampaolo Musumeci (2015):

Вekenntnisse eines Menschenhändlers. Das

Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen.

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(Anti-)Trafficking: Analysen von Rutvica Andrijasevic

• Mit Trafficking ist meist die „transportation of persons by means of coercion or deception into exploitative and slavery-like conditions“ gemeint (2003: 251/2).

• Meist wird mit dem Wort „Trafficking“ sowohl die Rekrutierung, der Transport als auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen nach der Ankunft bezeichnet. Andrijasevic verweist in einem Aufsatz aus dem Jahr 2010 jedoch darauf, dass diese Stationen oder Punkte durchaus voneinander entkoppelt sein können

• Andrijasevic fokussiert sich in ihrer Analyse auf die Rekrutierung und den Transport, weil diese im Wechselspiel zum Grenzregime stehen.

• Sie fokussiert zudem auf das Trafficking von Frauen, deren Vulnerabilität durch die Mechanismen des Grenzregimes besonders erhöht wird und

deren Erfahrungen deshalb eine eigene Spezifik aufweisen.

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• Kontrastiert die mediale Repräsentation der Frauen mit ihrer Selbstdarstellung: sie interpretieren Sexarbeit als Migrationsstrategie

• Kritik an Gleich/Ineinssetzung von illegalem Grenzübertritt und Prostitution

• Illegalisierung hält Frauen in der Prostitution

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Anti-Sex-Trafficking Kampagnen: Analysen von Rutvica Andrijasevic

• Einsatz des weiblichen Körpers in den Kampagnen >> Objektivierung, Erotisierung„the representation of violence is thus violent itself since it confirms the stereotypes about Eastern European women, equates the feminine with the passive object, severs the body from its materiality and from the historical context in which trafficking occurs, and finally confines women within the highly disabling symbolic register of 'Woman' as to maintain an imaginary social order in Europe.“

• Botschaft: alle Migrationsstrategien von Frauen führen in die Prostitution >> Frauen sollen besser zu Hause bleiben

>> der Sex-Trafficking-Begriff negiert die strukturellen Faktoren und die Rolle des Staates. Als Ursache für das Trafficking werden allein kriminelle Netzwerke angesehen: „Immigration controls produce groups of people that are ‘deportable’ and hence particularly vulnerable to abuse. The state is responsible for the maintenance of a legal framework within which certain occupations and sectors are deregulated, and exist outside labour protection rules; and it is complicit in permitting third parties to profit from migrants’ labour, whether it is in the commercial sex or other sectors. It is therefore important to put the state back into the analysis, and to address the role played by the state’s immigration and labour regulations in creating the conditions in which trafficking and the exploitation of migrant labour are able to flourish.“

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Humanitarismus• „What is humanitarianism? It is both a moral discourse

(based on responsibility toward victims) and a political resource (serving specific interests) to justify action considered to be in favor of others exposed to vital danger, action taken in the name of a shared humanity. Its ambition is thus indivisible (it includes all human beings without distinction of race, class, religion, ideology), but its implementation is always siuated (where others are thought to be in need of assistance).“ (Fassin 2010: 239)

• Der Humanitarismus appeliert an die Menschheit und eine geteilte Menschlichkeit

• Bevölkerungen, nicht Einzelne sollen gerettet werden (quantitative Logik)

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Miriam Ticktin (2011): Casualties of Care. Immigration and the Politics of

Humanitarianism in France• „Вy invoking a politics of care, I mean to address the central

place of benevolence and compassion in contemporary political life, especially when enacted under the threat of emergency or crisis, as solutions to global problems of inequality, exploitation, and discrimination. Here, what I think of as ‘regimes of care’ - which include humanitarianism, certain movements for human rights, and the network against violence agianst women – are a set of regulated discourses and practices grounded on this moral imperative to relieve suffering. They come together through a diverse set of actors such as NGOs, international institutions, legal regimes, corporation, the military, and states. And yet, as I will argue, these regimes of care ultimately work to displace possibilities for larger forms of collective change, particularly for those most disenfranchised.“ (3)

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• Wie kommt es Ende der 1990er gleichzeitig zu rigiden Migrationspolitiken in Frankreich und zu Ausnahmen für Kranke und Frauen, die Opfer von Gewalt geworden waren? Was bedeutet es, dass kranke und verletzte Körper die Grenze übertreten dürfen, aber verarmte nicht?

• Humanitarismus führt zu einer Entpolitiserung und geht mit einer zunehmenden Überwachung einher:

„humanitarianism is about feelings rather than rights; it is about compassion, not entitlement. Humanitarian exceptions are precisely that — exceptions to regular laws. And they are usually made on the basis of emotion. When migrants are spoken of as humanitarian victims, we take them out of the range of the law, where they have the right to be free from violence.“

• Außerdem tritt mit dem Humanitarismus der Körper in den Vordergrund: dieser muss leiden

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Michel Agier (2011): Managing the the Undesirables

• Lager als bevorzugte „Lösung“ des „Flüchtlingsproblems“• Lager segregieren die Ungewollten und halten sie in der Peripherie.

Humanitäre Organisationen regieren sie.• In Lagern wird die Ausnahme oder Notsituation zum Dauerzustand, zum

„ordinary exceptionalism“• Das humanitäre Regieren speist eine Vielzahl von Organisationen

Giorgio Agamben (2002): Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben

• Lager als Nomos (Gesetz, Prinzip) der Moderne.• Lager ist der Raum, der sich öffnet, wenn der Ausnahmezustand zur

Regel wird• Der Souverän hat im Lager nur noch das nackte Leben, den Homo sacer,

vor sich. Er ist rechtlich ungeschützt und darf straflos getötet werden• In Lagern gilt nicht mehr das Recht, sondern die Entscheidung der

Funktionäre • Kritik an Agamben: Gleichsetzung verschiedener Lager; zu starke

Fokussierung auf Souveränität; folgt der Logik des Humanitarismus

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Katharina Inhetveen (2010): Die politische Ordnung des Flüchtlingslagers. Akteure, Macht, Organisation. Eine Ethnographie im Südlichen

Afrika. • „Wie funktionieren Flüchtlingslager konkret, als komplexe soziale

Einheiten mit heterogenen Akteuren, die jeweils ihre eigenen Perspektiven, Interessen und -ressourcen einbringen? Wie ist die politische Ordnung von Flüchtlingslagern gestaltet? Welche Charakteristika hat also die Institution, in der Flüchtlinge nach ihrer Flucht untergebracht und verwaltet werden und wo sie weiterleben?“ (15) >> Organisationsethnographie

• Verwendet Ervin Goffmans Konzept der totalen Institution als Kontrastfolie, um die Spezifika von Flüchtlingslagern (große Distanz; frei flottierendes Mißtrauen) im Gegensatz zu anderen Formen der Kasernierung herauszuarbeiten

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Alexandra Hall (2012): Border Watch. Cultures of Immigration, Detention and

Control• Feldforschung in einem ‘immigration removal/detention centre‘• Fokus alltägliches Leben: welche Regierungs- und Kontrollstrategien

und welche Formen des Streiks und des Widerstandes werden in dieser Haftanstalt angewendet?

• Fokus der Studie auf Beamten. Ihr Hauptproblem: Informationsmangel• >> bodywatching als Hauptstrategie• >> Reduktion der Inhaftierten auf body-objects = nur

Bedürfnisbefriedigung (Essen, Bewegung, Gesellschaft, Schlaf) zählt• >> observation books >> security intelligence reports = Versuch

frühzeitig Muster zu erkennen • Widerstände: Verstecken, Verzögerungen provozieren,

Essensverweigerung