Hydroxyäthylstärke. Stellungnahme der Präsidenten der DGAI und des BDA und sowie der Präsidentin...

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Notfall Rettungsmed 2013 · 16:429–430 DOI 10.1007/s10049-013-1763-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 C. Werner 1, 4  · G. Geldner 2  · T. Koch 3 1 Klinik für Anästhesiologie, Mainzer Universitätsmedizin, Mainz 2 Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Klinikum Ludwigsburg, Ludwigsburg 3 Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden 4 Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Nürnberg Hydroxyäthylstärke Stellungnahme der Präsidenten der DGAI und  des BDA und sowie der Präsidentin der DAAF Seit Jahren existiert eine kontroverse Dis- kussion zum Stellenwert von Hydroxy- äthylstärke(HES)-Lösungen in der Inten- sivmedizin [1, 2]. Publikationen multizen- trischer Studien der jüngeren Vergangen- heit [Volumen- und Insulintherapie bei schwerer Sepsis und septischem Schock (VISEP), Crystalloids Morbidity Asso- ciated with severe Sepsis (CRYSTMAS), 6S, Crystalloid vs. Hydroxyethyl Starch Trial (CHEST)] haben zu einer Konkre- tisierung der Bewertung dieser Medika- mentengruppe geführt [3, 4, 5, 6]. So hat im März 2013 die Europäische Arzneimit- telagentur (EMA) auf Antrag des Bun- desinstitutes für Arzneimittel und Medi- zinprodukte (BfArM) ein Risikobewer- tungsverfahren zur grundlegenden Über- prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses von HES-haltigen Infusionslösungen ein- geleitet [7]. Im Rahmen des Risikobewer- tungsverfahrens kam der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Phar- makovigilanz (PRAC) in seiner Juni-Sit- zung zu dem Schluss, dass der Nutzen von HES-haltigen Infusionslösungen die Risi- ken nicht länger überwiegt, und empfahl daher ein Ruhen der entsprechenden Zu- lassungen [8]. Das europäische Risikobe- wertungsverfahren ist diesbezüglich aller- dings noch nicht abgeschlossen, und wei- terführende Betrachtungen können noch einige Monate in Anspruch nehmen [9]. Zwischenzeitig erfolgte eine Stellung- nahme der „Faculty of Intensive Care Me- dicine“, des „Royal College of Anaesthe- tists“, der „Intensive Care Society“ und des „College of Emergency Medicine“, die die Bewertung des PRAC unterstützt und den primären Einsatz von Kristalloiden emp- fiehlt und bei Verwendung von Kolloiden den Einsatz von Gelatine oder Humanal- bumin nahelegt [10]. Mitglieder des Präsidiums der Deut- schen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) diskutier- ten in einem Treffen mit den Verantwort- lichen des BfArM am 27.06.2013 die aktu- elle Evidenzlage und differenzierten dabei sowohl zwischen den verschiedenen Prä- paraten als auch den unterschiedlichen Einsatzgebieten. Die Vertreter des BfArM stellten den Analyseprozess dar und lei- teten die oben genannten Schlussfolge- rungen her. Die Vertreter der DGAI se- hen ebenfalls die Voraussetzungen erfüllt, nach denen die Verwendung von HES- Lösungen mit einem mittleren Molekular- gewicht (MG) von 200.000 (HES 200/0,5 und HES 200/0,62) aufgrund des poten- ziellen Risikos von Nierenfunktionsstö- rungen für alle Indikationen auszusetzen sei [3, 11]. Bis zum Vorliegen der abschlie- ßenden Risikobewertung sollten HES- Lösungen mit einem mittleren MG von 130.000 (HES 130/0,4 und HES 130/0,42) in der intensivmedizinischen Therapie vorsorglich ebenfalls nicht zur Anwen- dung kommen. Die vorliegende Stellungnahme erscheint zeit- gleich auch in Anaesthesist, Anästhesiologie & Intensivmedizin sowie AINS. 429 Notfall +  Rettungsmedizin 6 · 2013| Editorial

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Notfall Rettungsmed 2013 · 16:429–430DOI 10.1007/s10049-013-1763-1© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

C. Werner1, 4 · G. Geldner2 · T. Koch3

1 Klinik für Anästhesiologie, Mainzer Universitätsmedizin, Mainz2 Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie,

Klinikum Ludwigsburg, Ludwigsburg3 Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie,

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden4 Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Nürnberg

HydroxyäthylstärkeStellungnahme der Präsidenten der DGAI und des BDA und sowie der Präsidentin der DAAF

Seit Jahren existiert eine kontroverse Dis­kussion zum Stellenwert von Hydroxy­äthylstärke(HES)­Lösungen in der Inten­sivmedizin [1, 2]. Publikationen multizen­trischer Studien der jüngeren Vergangen­heit [Volumen­ und Insulintherapie bei schwerer Sepsis und septischem Schock (VISEP), Crystalloids Morbidity Asso­ciated with severe Sepsis (CRYSTMAS), 6S, Crystalloid vs. Hydroxyethyl Starch Trial (CHEST)] haben zu einer Konkre­tisierung der Bewertung dieser Medika­mentengruppe geführt [3, 4, 5, 6]. So hat im März 2013 die Europäische Arzneimit­telagentur (EMA) auf Antrag des Bun­desinstitutes für Arzneimittel und Medi­zinprodukte (BfArM) ein Risikobewer­tungsverfahren zur grundlegenden Über­prüfung des Nutzen­Risiko­Verhältnisses von HES­haltigen Infusionslösungen ein­geleitet [7]. Im Rahmen des Risikobewer­tungsverfahrens kam der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Phar­makovigilanz (PRAC) in seiner Juni­Sit­zung zu dem Schluss, dass der Nutzen von HES­haltigen Infusionslösungen die Risi­ken nicht länger überwiegt, und empfahl daher ein Ruhen der entsprechenden Zu­lassungen [8]. Das europäische Risikobe­wertungsverfahren ist diesbezüglich aller­dings noch nicht abgeschlossen, und wei­terführende Betrachtungen können noch einige Monate in Anspruch nehmen [9].

Zwischenzeitig erfolgte eine Stellung­nahme der „Faculty of Intensive Care Me­dicine“, des „Royal College of Anaesthe­tists“, der „Intensive Care Society“ und des

„College of Emergency Medicine“, die die Bewertung des PRAC unterstützt und den primären Einsatz von Kristalloiden emp­fiehlt und bei Verwendung von Kolloiden den Einsatz von Gelatine oder Humanal­bumin nahelegt [10].

Mitglieder des Präsidiums der Deut­schen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) diskutier­ten in einem Treffen mit den Verantwort­lichen des BfArM am 27.06.2013 die aktu­elle Evidenzlage und differenzierten dabei sowohl zwischen den verschiedenen Prä­paraten als auch den unterschiedlichen Einsatzgebieten. Die Vertreter des BfArM stellten den Analyseprozess dar und lei­teten die oben genannten Schlussfolge­rungen her. Die Vertreter der DGAI se­hen ebenfalls die Voraussetzungen erfüllt, nach denen die Verwendung von HES­Lösungen mit einem mittleren Molekular­gewicht (MG) von 200.000 (HES 200/0,5 und HES 200/0,62) aufgrund des poten­ziellen Risikos von Nierenfunktionsstö­rungen für alle Indikationen auszusetzen sei [3, 11]. Bis zum Vorliegen der abschlie­ßenden Risikobewertung sollten HES­Lösungen mit einem mittleren MG von 130.000 (HES 130/0,4 und HES 130/0,42) in der intensivmedizinischen Therapie vorsorglich ebenfalls nicht zur Anwen­dung kommen.

Die vorliegende Stellungnahme erscheint zeit-gleich auch in Anaesthesist, Anästhesiologie & Intensivmedizin sowie AINS.

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Editorial

Page 2: Hydroxyäthylstärke. Stellungnahme der Präsidenten der DGAI und des BDA und sowie der Präsidentin der DAAF

Für den perioperativen Bereich wur­de durch die DGAI auf das Fehlen effek­tiver Alternativsubstanzen mit Wirkung auf das intravasale Volumen hingewiesen. Die Verwendung von Gelatine geht mit einem geringeren Volumeneffekt bei er­höhtem Anaphylaxierisiko (im Vergleich zu HES) einher. Ebenso ist das Nutzen­Ri­siko­Verhältnis von Humanalbumin für die perioperative Volumensubstitution nicht eindeutig belegt. Das BfArM argu­mentierte hierzu, dass die Evidenzlage für günstige Effekte von HES im perioperati­ven Behandlungsfeld fehle und, basierend auf der Betrachtungsweise eines „class ef­fect“, insofern eine generelle Suspendie­rung über das gesamte bisherige Indika­tionsspektrum wahrzunehmen sei.

Bereits 2012 hat die DGAI unter Mo­deration der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fach­gesellschaften (AWMF) eine aus Mitglie­derbeiträgen eigenfinanzierte S3­Leitli­nie zur Volumenersatztherapie in der pe­rioperativen Medizin und Intensivmedi­zin initiiert, deren Ergebnisse Ende 2013 erwartet werden. Bis zum Vorliegen die­ser Ergebnisse empfehlen die Unterzeich­ner vorsorglich, den Einsatz von HES in jedem Einzelfall kritisch abzuwägen und auf Patienten mit akut vitalbedrohlichen, anderweitig nichtbeherrschbaren Blut­ und Volumenverlusten zu beschränken.

Prof. Dr. Christian Werner (Präsident DGAI)

Prof. Dr. Götz Geldner (Präsident BDA)

Prof. Dr. Thea Koch (Präsidentin DAAF)

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. C. WernerDeutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)Roritzerstr. 27, 90419 Nürnberg

Literatur

1. Schüttler J (2010) Pros und Cons zur Infusionsthe-rapie bei kritisch kranken Patienten in der Intensiv-medizin. Anaesth Intensivmed 51:200-201

2. Reinhart K, Brunkhorst FM, Engel C et al (2008) Study protocol of the VISEP study. Response of the SepNet study group. Anaesthesist 57:723–728

3. Brunkhorst FM, Engel C, Bloos F et al (2008) Inten-sive insulin therapy and pentastarch resuscitation in severe sepsis. N Engl J Med 358:125–139

4. Guidet B, Martinet O, Boulain T et al (2012) Assess-ment of hemodynamic efficacy and safety of 6% hydroxyethylstarch 130/0.4 versus 0.9% NaCl fluid replacement in patients with severe sepsis: The CRYSTMAS study. Crit Care 16:R94

5. Perner A, Haase N, Guttormsen AB et al (2012) Hy-droxyethyl starch 130/0.42 versus Ringer’s acetate in severe sepsis. N Engl J Med 367:124–134

6. Myburgh JA, Finfer S, Bellomo R et al (2012) Hydro-xyethyl starch or saline for fluid resuscitation in in-tensive care. N Engl J Med 367:1901–1911

7. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-dukte (2013) Hydroxyethylstärke (HES): Start eines europäischen Risikobewertungsverfahrens. http://www.bfarm.de

8. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-dukte (2013) Hydroxyethylstärke (HES): Empfeh-lung des PRAC. http://www.bfarm.de

9. European Medicines Agency (2013) PRAC recom-mends suspending marketing authorisations for infusion solutions containing hydroxyethyl starch. http://www.ema.europa.eu

10. Royal College of Anaesthetists (2013) Risk bene-fit of HES solutions questioned by EMA – position statement by the Faculty of Intensive Care Medi-cine, the Royal College of Anaesthetists, the Inten-sive Care Society and the College of Emergency Medicine. http://www.rcoa.ac.uk

11. Schortgen F, Lacherade JC, Bruneel F et al (2001) Effects of hydroxyethylstarch and gelatin on renal function in severe sepsis: a multicentre randomi-sed study. Lancet 357:911–916

David-Williams-Award 2013 der DGINA

Seit 2011 vergibt die Deutsche Gesellschaft

interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin

(DGINA) jährlich den David-Williams-Award

für besondere Leistungen und Verdienste

um die Notfallmedizin in Deutschland.

Bereits zum dritten Mal ehrt die DGINA

dieses Jahr mit dem David-Williams-Award

eine Persönlichkeit, die sich durch ihre

Tätigkeit und ihr Engagement auf dem Ge-

biet der Notfallmedizin in Deutschland in

besonderer Weise ausgezeichnet hat.

Der Preisträger erhält eine Goldmedaille,

deren reiner Materialwert 1200 Euro be-

trägt. Die Verleihung erfolgt im Rahmen

der 8. Jahrestagung der DGINA, die vom 7.

bis 9. November in Hamburg stattfindet.

Über die Vergabe des Preises entscheidet

der DGINA-Vorstand.

Begründete Vorschläge können noch bis

15. Oktober von DGINA-Mitgliedern an den

Vorstand gerichtet werden – bevorzugt in

elektronischer Form:

Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre

Notfall- und Akutmedizin (DGINA) e.V.

Sekretariat

c/o Universitätsklinikum Jena

Zentrale Notfallaufnahme

Ilona Timmler

Erlanger Allee 101

07747 Jena

E-Mail: [email protected]

Der David-Williams-Award wird zu Ehren

des britischen Notfallmediziners Dr. David

Williams verliehen. Williams gilt als Pionier

der britischen Notfallmedizin und war

maßgeblich an der Einführung des Fach-

arztes für Notfallmedizin in Großbritannien

und damit an der Professionalisierung der

notfallmedizinischen Versorgung beteiligt.

Bisherige Preisträger des Awards waren die

Past-Präsidentin der DGINA und President-

Elect der European Society for Emergency

Medicine (EuSEM),Dr. Barbara Hogan, sowie

Dr. Werner Wyrwich, Vorstandsmitglied der

Berliner Ärztekammer und kaufmännischer

Leiter des CharitéCentrums 13 für Innere

Medizin mit Kardiologie, Gastroenterologie,

Nephrologie.

Quelle: www.dgina.de

Fachnachrichten

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