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Hypertone Kochsalzlösung bei erhöhtem intrakraniell en Druck
aufgrund einer schweren akuten zerebrovaskulären Er krankung
- Untersuchung zu Sicherheit und Effekt -
aus der Medizinischen Fakultät / dem Fachbereich Neurologie
der
Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
zur Erlangung des Doktorgrades Dr. med.
vorgelegt von
David Rianto Stark
aus
Hannover
Als Dissertation genehmigt
von der Medizinischen Fakultät
der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Tag der mündlichen Prüfung: 29.11.2013
Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Dr. h.c. J. Schüttler
Gutachter: PD Dr. Dr. L. Marquardt
Gutachter: Prof. Dr. Dr. h.c. S. Schwab
Inhaltsverzeichnis 1 Zusammenfassung ................................................................................... 1
2 Einleitung ................................................................................................. 3
2.1 Zerebrovaskuläre Erkrankungen .............................................................. 3
2.1.1 Definition und Epidemiologie ................................................................. 3
2.1.2 Ischämischer Schlaganfall, intrazerebrale und subarachnoidale Blutungen ............................................................................................... 4
2.2 Intrakranieller Druck ................................................................................. 7
2.2.1 Pathophysiologie ................................................................................... 7
2.2.2 Hirnödem ............................................................................................... 9
2.2.3 Therapie des erhöhten intrakraniellen Drucks ..................................... 10
2.3 Hypertone Kochsalzlösung ..................................................................... 12
2.3.1 Wirkungsweise ..................................................................................... 12
2.3.3 Potentielle Nebenwirkungen ................................................................ 14
2.3.4 Einsatzbereiche ................................................................................... 16
2.4 Fragestellungen der vorliegenden Arbeit................................................ 18
3 Patienten und Methoden ........................................................................ 20
3.1 Analysierte Patienten ............................................................................. 20
3.1.1 Behandlungsgruppe – Ein- und Ausschlusskriterien ........................... 20
3.1.2 Kontrollgruppe ..................................................................................... 21
3.2 Behandlung und ICP-Monitoring ............................................................ 22
3.2.1 Allgemeine Behandlungsziele .............................................................. 22
3.2.2 ICP-Monitoring, -Krisen und -Therapie ................................................ 22
3.2.3 Infusionsprotokoll der hypertonen Kochsalzlösung .............................. 23
3.3 Erfasste klinische Parameter und Bildgebung ........................................ 24
3.4 Erfasste Parameter zu Sicherheit und Effekt .......................................... 25
3.5 Statistische Analyse ............................................................................... 26
4 Ergebnisse ............................................................................................. 28
4.1 Klinische und demographische Daten ................................................... 28
4.1.1 Demographische Daten ....................................................................... 28
4.1.2 Ätiologie ............................................................................................... 30
4.1.3 Vorerkrankungen ................................................................................. 31
4.2 Verlauf relevanter Parameter ................................................................. 32
4.1.2 Natrium und Osmolalität ...................................................................... 32
4.1.2 Kreatinin und Temperatur .................................................................... 34
4.3 Sicherheitsparameter ............................................................................. 35
4.3.1 Elektrolytentgleisungen ........................................................................ 35
4.3.2 Nebenwirkungen und Organversagen ................................................. 36
4.4 Effekt der hypertonen Kochsalzlösung ................................................... 37
4.4.1 Hämodynamische Parameter .............................................................. 37
4.4.2 Intrakranieller Druck ............................................................................. 39
4.4.2.1 ICP-Verlauf und -Krisen .................................................................. 39
4.4.2.2 Interventionen bei ICP-Krisen ......................................................... 41
4.4.3 Krankenhausmortalität ......................................................................... 43
5 Diskussion .............................................................................................. 45
5.1 Vergleich der demographischen und klinischen Daten .......................... 46
5.2 Machbarkeit der HS-Therapie ................................................................ 47
5.3 Sicherheit der HS-Therapie .................................................................... 48
5.4 Effekte der HS-Therapie......................................................................... 49
5.5 Limitierungen der Untersuchung ............................................................ 51
5.6 Schlussfolgerung und Ausblick .............................................................. 51
6 Literaturverzeichnis ................................................................................ 53
7 Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... 70
8 Vorveröffentlichung ................................................................................ 71
9 Anhang ................................................................................................... 72
10 Danksagung ........................................................................................... 76
11 Lebenslauf .............................................................................................. 77
1
1 Zusammenfassung
Hintergrund und Ziele
Bei erhöhtem intrakraniellen Druck (ICP) durch akutes Leberversagen oder
Schädelhirntrauma (SHT) wurde die kontinuierliche Gabe hypertoner
Kochsalzlösungen (HS) bereits sicher und effektiv zur Osmotherapie eingesetzt.
Jedoch besteht für andere Krankheitsbilder bislang keine ausreichende
Datenlage. Wir untersuchten dies nun an neurologischen Intensivpatienten mit
schweren, nicht-traumatischen zerebrovaskulären Erkrankungen und
konsekutiver erheblicher fokaler oder globaler Ödemwirkung.
Methoden
100 Patienten mit zerebraler Ischämie (in ≥ 2/3 des Versorgungsgebietes der
A. cerebri media), intrazerebraler Blutung (> 30 ml) oder Subarachnoidalblutung
(WFNS-Score ≥ 4) und ICP-Erhöhung wurden in ≤ 72 h nach Krankheitsbeginn
über durchschnittlich 13 Tage (4 - 28 Tage) mit kontinuierlicher Infusion
hypertoner 3%iger NaCl-Lösung (Ziel-Natriumwerte 145-155 mmol/l) behandelt
(Behandlungsgruppe) und mit einer Kontrollgruppe (n = 115) mit gleichem
Krankheitsspektrum und gleicher intensivmedizinischer Standardtherapie
verglichen. Bei allen Patienten war eine invasive Beatmung, Analgosedierung
und ICP-Messung nötig. Retrospektiv wurden die Mortalität, Anzahl auftretender
ICP-Krisen (progrediente Vigilanzminderung oder neu auftretende Anisokorie,
erhöhter ICP > 20 mmHg für ≥ 20 min), sowie das Auftreten relevanter
Nebenwirkungen analysiert.
Ergebnisse und Beobachtungen
Insgesamt wurden 92 interventionsbedürftige ICP-Krisen bei 50/100 (50%)
Patienten in der Behandlungsgruppe gezählt, 17 Patienten (17,0%) verstarben.
In der Kontrollgruppe traten 167 ICP-Krisen bei 69/115 (60%) Patienten auf, 34
Patienten (29,6%) verstarben. Hypothetische Nebenwirkungen, die in kausalem
2
Zusammenhang mit hypertoner Kochsalzlösung stehen könnten, wie Nieren-,
Leber-, Herzversagen, schwere Elektrolytentgleisung, kardiale Arrhythmien,
Lungenödem oder Koagulopathie wurden unter kontinuierlicher hypertoner
NaCl-Infusion im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht vermehrt beobachtet.
Praktische Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse deuten auf einen möglichen positiven Effekt hypertoner
Kochsalzlösung mit Trend zur Reduktion auftretender ICP-Krisen sowie der
Mortalität hin, ohne Auftreten relevanter Nebenwirkungen. So ist denkbar, dass
durch die antiödematöse Wirkung die Progredienz einer zerebralen Schwellung
gemindert werden und sekundäre Schädigungen verhindert werden könnten.
Die Aussagekraft der Ergebnisse sowie der Einfluss hypertoner Kochsalzlösung
auf das funktionelle Outcome bleiben nun in einer prospektiven, randomisiert-
kontrollierten Studie zu klären, welche durch die vorliegende Arbeit
gerechtfertigt scheint.
3
2 Einleitung
2.1 Zerebrovaskuläre Erkrankungen
2.1.1 Definition und Epidemiologie
Nach der Definition der WHO (1978) handelt es sich bei einem Schlaganfall
oder zerebrovaskulärem Ereignis um ein sich rasch entwickelndes Ereignis mit
einem akuten fokal-neurologischem Defizit in wechselnder Ausprägung,
welches über mindestens 24 anhält oder zum Tode führt und dabei
offensichtlich nicht auf eine andere als vaskuläre Ursache zurückzuführen ist
(95). Dabei wird unterschieden zwischen einer zerebralen Ischämie
(ischämischer Hirninfarkt, „ischemic stroke") in Folge einer akuten
Durchblutungsstörung des Gehirns, Blutungen in das Hirnparenchym
(Hämorrhagie, hämorrhagischer Schlaganfall, „brain haemorrhage",
„intracerebral haemorrhage") oder auch Blutungen in andere intrakranielle
Kompartimente, wie Subarachnoidalblutungen (SAB), Subdural- oder
Epiduralhämatomen (SDH, EDH).
Abb. 1: Anteil der einzelnen Schlaganfalltypen aus dem European Registries of Stroke
(EROS) am Beispiel von Deutschland (151)
Ischämischer Schlaganfall
77%
Intrazerebrale Blutung
15%
Subarachnoidalblutung
4%
Nicht näher klassifiziert
4%
4
Dabei machen die ischämischen Schlaganfälle in den westlichen
Industrieländern mit 80-85% (Abb. 1) den größten Anteil aus, gefolgt von den
intrazerebralen Blutungen mit einem Anteil von 10-15 % und den
Subarachnoidalblutungen mit ca. 5% (36; 75). Der Schlaganfall ist weltweit für
ca. 9% aller Todesfälle verantwortlich und die zweithäufigste Todesursache
nach den ischämischen Herzerkrankungen. Zudem zählt er zu den
wesentlichen Ursachen dauerhafter Pflegebedürftigkeit (76). Berechnungen des
Statistischen Bundesamts zufolge ist der Schlaganfall mit 62.727 (7,3%)
Todesfällen pro Jahr die dritthäufigste Todesursache in Deutschland
[Bundesamt, S. (2011). "Todesursachenstatistik. Ursachen der Sterblichkeit."].
Ein Drittel aller überlebenden Patienten können aufgrund von Einschränkungen
durch den Schlaganfall ihrer Berufstätigkeit nicht mehr nachgehen, ein weiteres
Drittel bleibt dauerhaft pflegebedürftig. Letztlich nur ein Drittel der Patienten, die
einen Schlaganfall überleben, bleibt ohne wesentliche Einschränkungen im
alltäglichen Leben und im Beruf. Weltweit sind ca. 2-4% der gesamten
Gesundheitskosten auf den Schlaganfall zurückzuführen. Allein im ersten Jahr
betragen die Kosten in Deutschland für einen Patienten mit Schlaganfall ca.
18.517 Euro (70).
2.1.2 Ischämischer Schlaganfall, intrazerebrale und subarachnoidale Blutung
Die folgende Abbildung (Abb. 2) zeigt die bildmorphologische Darstellung eines
ischämischen Schlaganfalls, einer intrazerebralen Blutung und einer
Subarachnoidalblutung mittels Computertomographie (CT). Ursachen des
akuten ischämischen Schlaganfalls (AIS) können eine embolische,
mikroangiopathische, hämodynamische sowie eine unklare oder auch andere
Genese (z.B. Vaskulitis, Dissektion) sein. Embolien gehen hierbei häufig
entweder von arteriosklerotischen Veränderungen, bzw. Stenosen
hirnversorgender Gefäße aus (arterio-arteriell), oder können kardialer Genese
sein. Gerade die kardialembolisch bedingten Schlaganfälle gehen mit größeren
Ischämien und schwereren klinischen Verläufen einher. Zur Klassifikation des
AIS haben sich die TOAST-Kriterien (1) bewährt. Die Prognose des
ischämischen Schlaganfalls hängt von der Lokalisation und der Größe ab.
Komplette Mediainfarkte gehen dabei mit einer höheren Mortalität (60-80%)
5
einher, als partielle (15-20%) oder lakunäre Syndrome (91; 116). In den letzten
Jahren hat sich unter anderem aufgrund der Thrombolysetherapie, mit
intravenöser Gabe von rtPA (recombinant tissue plasminogen activator), in der
Akutsituation (43), dem frühzeitigen Beginn einer Sekundärprophylaxe (58) und
der Dekompressions-OP bei malignem Mediainfarkt (139), die Prognose des
ischämischen Schlaganfalls verbessert.
6
Die intrazerebralen Blutungen (ICB) machen ca. 2 Millionen der 15 Millionen
Schlaganfälle weltweit aus, wobei die Zahl der Krankenhauseinweisungen
aufgrund einer ICB in den letzten 10 Jahren um 18% gestiegen ist (103). Man
unterscheidet prinzipiell zwischen primären, vorwiegend durch einen arteriellen
Hypertonus verursachten und sekundären, durch orale Antikoagulantien
bedingten Blutungen. Ursächlich ist in beiden Fällen eine Ruptur eines
Gefäßes, das meist degenerative Veränderungen aufgrund eines langjährigen
arteriellen Hypertonus oder einer zerebralen Amyloidangiopathie aufweist (104).
Als gefürchtetste Komplikation gilt die Nachblutung, die bei fast 40% der
Patienten innerhalb von 24 Stunden auftritt (25). Die Prognose hängt von der
Größe, der Lokalisation der ICB und dem Alter der Patienten ab. Tiefergelegene
Blutungen, Kleinhirnblutungen, sowie ICBs mit einem Volumen > 30 ml haben
dabei eine schlechtere Prognose. Dabei liegt die Mortalität bei intrazerebralen
Blutungen zwischen 31% innerhalb der ersten Woche und bis zu 59% im ersten
Jahr (38).
Die Subarachnoidalblutungen (SAB) betreffen generell jede Altersgruppe,
bevorzugt aber Patienten zwischen 40-60 Jahren mit einem höheren Anteil von
Frauen (OR 1,6) (89). Auch zeitliche Faktoren spielen eine Rolle, da SABs
gehäuft im Winter, Frühling und in den frühen Morgenstunden auftreten (56).
Ursache einer SAB ist in 85% der Fälle die Ruptur eines sakkulären
Aneurysmas. 10% sind auf nicht-aneurysmatische perimesencephale Blutungen
und 5% auf seltene Ursachen zurückzuführen (140; 141). Die meisten
Aneurysmen entwickeln sich an Gefäßabzweigungen im Bereich des Circulus
arteriosus Willisi an der Schädelbasis (21). SABs sind aufgrund ihrer hohen
Mortalität besonders gefürchtet. Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 15%
der Patienten mit SAB vor Eintreffen in das Krankenhaus und fast 50% der
Patienten innerhalb der nächsten 30 Tage versterben. 50% der Überlebenden
bleiben mit schweren Einschränkungen, sodass nur 1/3 aller SAB-Patienten
ihre ursprünglichen Aktivitäten wieder aufnehmen können (12; 77).
7
2.2 Intrakranieller Druck
Der intrakranielle Druck (ICP) ist definiert als der Druck innerhalb des
knöchernen Schädels, der aufgewendet werden muss, um in horizontaler
Körperlage das Heraustreten von Liquor über eine Punktionskanüle aus dem
Liquorraum zu verhindern. Der ICP liegt bei gesunden Erwachsenen um die 3-
15 mmHg und Kindern um 3-7 mmHg. Als pathologisch gilt ein ICP > 20 mmHg.
Umgangssprachlich wird der ICP auch als Hirndruck bezeichnet, obwohl es sich
dabei nicht um eine Drucksteigerung des Hirnparenchyms selbst handelt.
2.2.1 Pathophysiologie
Der Raum im knöchernen Schädel (intrakranieller Raum) ist aufgeteilt in 3
Kompartimente, die aus dem Hirngewebe, Blut und Liquor bestehen. Das
Gesamtvolumen beträgt bei einem Erwachsenen ca. 1500-1700 ml, aufgeteilt in
ca. 80% Hirnparenchym und je 10% Blut und Liquor. Die Monro-Kellie-Doktrin
(64; 85) besagt, dass die Summe aller 3 Kompartimente konstant ist (ICP= pHirn
+ pBlut + pLiquor). Kommt es zu einer Volumenzunahme in einem der
Kompartimente, z.B. im Rahmen eines pathologischen Prozesses, so steigt der
ICP an sobald die anderen Kompartimente diese Zunahme nicht mehr durch
eine Abnahme kompensieren können. Das wichtigste Reservekompartiment
stellt der Liquorraum dar. In der Regel halten homöostatische Mechanismen, im
Sinne einer Autoregulation, den ICP konstant. Hierbei spielen der CO2-
Partialdruck und dessen Einfluss auf das arterielle System des Gehirns eine
wichtige Rolle. Der Zusammenhang zwischen ICP und intrakraniellem Volumen
ist in Abbildung 3 dargestellt. Die Druck-Volumen-Beziehung wird annähernd
durch einen exponentiellen Kurvenverlauf beschrieben, mit einem Wendepunkt
beim Erwachsenen bei ca. 20-25 mmHg.
8
Abb. 3: Verhältnis intrakranieller Druck zu intrakraniellem Volumen (Kurve) und
Darstellung der intrakraniellen Kompartimente (Kreisdiagramm)
Die Bestimmung des ICP wird genutzt um den zerebralen Perfusionsdruck
(CPP) und damit auch den zerebralen Blutfluss (CBF) abschätzen zu können
(83; 84). Der CBF korreliert wiederum mit der zerebralen Sauerstoffaufnahme
(CMRO2). Dabei wird der CPP mit Hilfe des mittleren arteriellen Drucks (MAP)
und des ICP berechnet. Zur Bestimmung des CBF wird der zerebale venöse
Gefäßwiderstand (CVR) mit einbezogen. Berechnet werden die Werte dabei
anhand der folgenden Formeln:
CPP = MAP – ICP
CBF = CPP / CVR
CBF ≈ CMRO2
Als Grenze zur Gewährleistung einer ausreichenden Hirndurchblutung werden
dabei Werte von > 60-70 mmHg angesehen (20).
Bei Zunahme des Volumens aufgrund eines perifokalen Ödems beim
ischämischen Schlaganfall und intrazerebraler Blutung oder eines
generalisierten Hirnödems bei Subarachnoidalblutung, wird der Liquor zuerst in
den kraniellen Subarachnoidalraum, die Seitenventrikel und zuletzt in den
spinalen Subarachnoidalraum verdrängt. Ist dieser Mechanismus letztlich
erschöpft, kommt es zur Kompression der ersten kleineren Gefäße und der
Parenchym
Blut
Liquor
Volumen
ICP
9
zerebrale Blutfluss (CBF) sinkt ab. Ab einem ICP von 50-60 mmHg wird der
arterielle Druck im Circulus arteriosus Willisi erreicht und es kommt zu einer
globalen Hirnischämie und in Folge zum Hirntod, sollte dieser Druck über mehr
als 30 Minuten persistieren. Tabelle 1 zeigt die als typisch beschriebenen
Symptome bei progredientem ICP-Anstieg auf.
Tab. 1: Symptomatik bei steigendem ICP
ICP [mmHg] Symptomatik bei akuter Drucksteigerung
20 - 30 Kopfschmerz und Somnolenz, Übelkeit und Erbrechen im
Schwall, Psychosyndrom
30 - 40 Sopor bis Koma
40 - 50 Koma mit Cheyne-Stokes-Atmung, Pupillomotorikstörung (weit
und lichtstarr), Strecksynergismen, Atemlähmung
> 50 Hirntod nach 30 Minuten
2.2.2 Hirnödem
Im Rahmen zerebraler Läsionen, wie dem AIS, der ICB und der SAB kann es
zu einem Anstieg des ICP kommen. Ursache können zum einen primäre
Masseneffekte sein, wie bei der ICB oder SAB durch zusätzliches Blut in einem
der Kompartimente (2.2.1). Darüber hinaus spielt aber auch ein sich potentiell
entwickelndes perifokales oder globales Hirnödem eine große Rolle. Am
Beispiel einer ICB mit perifokalem Ödem und der Berechnung des Volumens
einer Kugel über die Formel: V = 4/3 * π * r³ zeigt sich, dass eine Zunahme des
Radius um 50% zu einer Zunahme des Volumens von ca. 400% führt (Abb. 4).
Ursachen des Ödems können vasogen durch die gestörte Blut-Hirnschranke
(4), zytotoxisch durch Abbauvorgänge der Zellen mit Nekrose und Apoptose (6),
interstitiell durch Übertritt von Liquor und Flüssigkeit über die BHS in das
Hirnparenchym (7), häufig aber auch ein Mischbild sein. Verstärkt werden
können diese Prozesse durch eine weitere Akkumulation osmotisch wirksamer
Partikel im Interstitium, aufgrund Entzündungs- und Stoffwechselprozesse im
Rahmen der zugrundeliegenden Erkrankung (90). Zusätzlich negativ auf das
Ödem wirken sich eine Hypovolämie und Hypoosmolalität aus, wie sie zum
Beispiel beim zerebralen Salzverlustsyndrom bei SAB auftreten können.
10
Abb. 4: Berechnung der Zunahme des Volumens bei perifokalem Ödem
2.2.3 Therapie des erhöhten intrakraniellen Drucks
Es gilt als Ziel der Therapie den CPP > 60-70 mmHg zu halten und einen ICP >
20 mmHg zu verhindern (117). Alle Patienten mit Zeichen des erhöhten ICP
sollten auf einer speziellen neurologischen oder neurochirurgischen
Intensivstation behandelt werden (29). Zur Therapieüberwachung ist generell
ein erweitertes und funktionelles Neuromonitoring von Beginn an erforderlich,
da eine rein klinisch-neurologische Beurteilung bei einem Großteil der Patienten
aufgrund einer Analgosedierung und künstlichen Beatmung nicht möglich ist.
Der Goldstandard des invasiven Neuromonitorings ist nach wie vor ein
kontinuierliches ICP-Monitoring mittels externer Ventrikeldrainage (EVD) oder
intrazerebraler Parenchymsonde (115), sowie regelmäßige CCT-
Kontrolluntersuchungen. Daneben sollten auch kontinuierliche Berechnungen
des CPP durchgeführt werden (8).
Zu den von den Fachgesellschaften (12; 27; 53) empfohlenen konservativen
Maßnahmen bei erhöhtem ICP zählen eine tiefe Analgosedierung, die
Osmotherapie (u.a. Mannitol, hypertone Kochsalzlösung, Glycerosteril), die
kurzfristige Hyperventilation, die Hypothermie, eine Therapie mit
Glukokortikoiden, sowie als ultima ratio die Barbiturat-Narkose. Ansatzpunkt,
bzw. gewünschter Effekt sind insbesondere eine antiödematöse Wirkung auf
das perifokale oder globale Hirnödem und damit Reduktion des erhöhten ICP.
11
Als invasive Maßnahmen werden je nach Krankheitsbild eine Liquordrainage,
eine Dekompressionskraniektomie bei jungen Patienten mit malignem
Mediainfarkt (139) und ggf. eine Evakuation und Extirpation einer akuten
raumfordernden Läsion empfohlen. Dabei sollte bei letzterem eine gut
erreichbare Läsion, wie z.B. ein Subdural-, Epiduralhämatom oder eine
Kleinhirnblutung vorliegen und Anzeichen für ein Bulbärhirnsyndrom fehlen
(82).
Zudem gibt es Empfehlungen für verschiedene intensivmedizinische
Basismaßnahmen für Schlaganfallpatienten mit Zeichen eines erhöhten ICP,
die sich von Berichten und Beobachtungen von Patienten mit Schädel-Hirn-
Traumata ableiten, aber an Patienten mit Schlaganfall bisher nicht ausreichend
untersucht wurden. Hierzu zählen die 30°-Oberkörperhochlagerung (109; 117),
die Vermeidung von hohen endexspiratorischen Beatmungsdrücken (PEEP) >
8-10 cmH20 und Bauchlagerung (41; 42), eine kurzzeitige hyperoxische
Beatmung, ein Anämieausgleich nach konservativem Transfusionsregime bei
Hb-Abfall, sowie wie bereits erwähnt die Aufrechterhaltung eines zerebralen
Perfusionsdruckes (CPP) von > 60-70mmHg (117). Darüber hinaus werden, wie
bei anderen intensivmedizinisch zu behandelnden Erkrankungen, eine
Normothermie < 35 °C (30), eine Normoglykämie, ein stabiler ausgeglichener
Elektrolyt- und Wasserhaushalt sowie normale Kreatinin- und Harnstoffwerte
empfohlen.
Aufgrund der verschiedenen Therapieoptionen ist die Nutzung eines
Stufenschemas sinnvoll (59). Bei fehlender OP-Indikation und Zeichens eines
erhöhten ICP sollten erst allgemeine konservative Maßnahmen erfolgen. Zeigt
sich darunter weiterhin einer erhöhter ICP ist das Anlegen einer
Ventrikeldrainage sinnvoll. Reicht diese nicht aus, erfolgt eine moderate
Hyperventilation und Osmotherapie. Die nächste Eskalationsstufe stellt eine
forcierte Hyperventilation mit zerebraler Oximetrie dar und als ultimata ratio eine
Barbituratnarkose. Ggf. muss dann auch eine Dekompressionsoperation
überdacht werden.
12
2.3 Hypertone Kochsalzlösung
Als „hypertone Kochsalzlösung“ (HS) wird eine Lösung mit einem Natriumgehalt
bezeichnet, der höher ist als der einer „physiologischen Kochsalzlösung“ und
damit > 0,9%. Natrium macht mit ca. 90% den größten Anteil der extrazellulären
Elektrolyte im menschlichen Körper aus und ist für die Aufrechterhaltung eines
osmotischen Gleichgewichts und zahlreiche physiologische Prozesse im
menschlichen Körper unentbehrlich. Im klinischen Einsatz findet man hypertone
Kochsalzlösung in Konzentrationen von 1,7% bis 30% und in verschiedenen
Zusammensetzungen, meist mit Kolloidosmotika (Dextrane,
Hydroxyethylstärke), um einen möglichen additiven Effekt und eine längere
Wirkdauer zu erzielen (Tab. 2).
Tab. 2: Vergleich hyperosmolarer Lösungen n. Natriumgehalt und Osmolalität,
angelehnt an (52; 128)
Natrium (mmol/l) Osmolalität (mOsm/kg)
Ringer Laktat 130 275
Mannitol 10% - 550
Mannitol 20% - 1100
Mannitol 25% - 1375
NaCl 0,9% 154 308
NaCl 1,7% 582 291
NaCl 3% 513 1026
NaCl 7,5% 1283 2566
NaCl 10% 1712 3424
NaCl 23% 4004 8008
NaCl 30% 5000 10000
NaCl 7,5% / 6% Dextran 70 1283 2568
NaCl 7,2% / 6% HES( 200/0,6) 1232 2464
2.3.1 Wirkungsweise
Der im Vordergrund stehende Effekt hypertoner Kochsalzlösungen (HS) ist
bedingt durch osmotische Veränderungen, die zu einer
Flüssigkeitsverschiebung aus dem intrazellulären Raum in das Interstitium und
den intravasalen Raum führen (94; 107).Dieser Effekt ist abhängig von einer
13
intakten Blut-Hirn-Schranke, dem Reflexionskoeffizienten (RK) und dem
bestehenden osmotischen Gradienten. Der Reflexionskoeffizient mit einem
Wert von 0 – 1 (0 = diffundiert frei, 1 = wird am effektivsten zurückgehalten) gibt
an, wie gut die Permeabilität einer Substanz durch die Gefäßwand ist (40).
Dieser Wert beträgt für HS 1, daher kommt es zu einer
Flüssigkeitsverschiebung vom Interstitium und Intrazellularraum in den
Intravasalraum, welche theoretisch noch effektiver als bei der am häufigsten
eingesetzten osmotischen Substanz Mannitol (RK 0,9) ist (108; 155). Verstärkt
wird dieser Effekt durch die Natrium-Kalium-ATPase (87), die aktiv Natrium-
Ionen im Austausch gegen Kalium-Ionen aus der Zelle transportiert. Im
klinischen Alltag ist die osmotische Wirkung vor allem bei Hypovolämie oder
dem Hirnödem von entscheidender Bedeutung.
Hämodynamisch führt HS zu einer Erhöhung des MAP, einerseits durch
Volumenexpansion (86), andererseits durch einen Anstieg der kardialen
Auswurfleistung über einen Anstieg der Vor- und eine Abnahme der Nachlast.
Eine Erhöhung des MAP wirkt sich positiv auf den CPP, die Organdurchblutung
und Sauerstoffversorgung aus. Vor allem bei zerebralen Läsionen mit gestörter
Autoregulation kann dies relevant sein. Darüber hinaus wird die kardiale
Funktion positiv beeinflusst, u.a. durch einen osmotisch bedingten Rückgang
der Kardiomyozyten und Rekonstitution des Membranpotentials (28; 94; 135).
Rheologisch kommt es zu einer deutlichen Verbesserung der Mikrozirkulation
(44; 154) und damit einer Steigerung des CBF mit verbesserter
Sauerstoffversorgung (121). Hierbei spielen insbesondere eine Senkung der
Viskosität und des Gefäßwiderstands über die osmotische Wirkung eine Rolle
(81; 114; 153). Diese Vorgänge sind relevant bei drohender sekundärer
zerebraler Ischämie durch Hirnödem mit ICP-Erhöhung oder Vasospasmen bei
SAB (80; 120).
Außerhalb der osmotischen Wirkung der HS werden unter anderem
Auswirkungen auf das Immunsystem beschrieben, welche über verschiedene
Mechanismen zu einer Begrenzung der Entzündungsreaktion (150).
Wahrscheinlich begrenzt HS auch die neuronale Hyperexzitation, die im
14
Rahmen einer zerebralen Läsion entstehen kann, durch Verhinderung einer
pathologischen Glutamatfreisetzung (138). Diese Vorgänge könnten neben dem
osmotischen zu weiteren positiven Effekten bei einer Hirnläsion und zur
Neuroprotektion beitragen.
Tab. 3: Effekte der HS (128)
Haupteffekte hypertoner Kochsalzlösung
1. Anstieg von MAP, CPP, CBF und Oxygenierung mit konsekutiv ICP-Abfall
2. Verbesserung der rheologischen Eigenschaften
3. Verbesserte Herzleistung
4. Begrenzung der Entzündung durch Immunmodulation
5. Begrenzung der neuronalen Exzitation
2.3.2 Potentielle Nebenwirkungen
In der Literatur werden verschiedene potentielle Nebenwirkungen unter einer
Therapie mit HS diskutiert, die in Tab. 4 dargestellt sind. Generell bestehen
keine genau definierten Höchstwerte für die Natriumwerte und Osmolalität unter
HS-Therapie. Nebenwirkungen nach Überschreiten des von den Leitlinien
empfohlenen Grenzwertes der Osmolalität von 320 mOsmol/kg konnten
hauptsächlich bei Mannitol (32), jedoch nicht bei HS beobachtet werden (14;
16; 31; 34). Es existieren nur sehr wenige Studien, die als primäre Endpunkte
explizit unerwünschte Nebenwirkungen untersucht haben (128). In den bisher
dazu erschienenen Pilot- und randomisiert-kontrollierten Studien zeigte die
Therapie mit HS keine signifikanten Nebenwirkungen (79; 143). Einige
theoretische Überlegungen gehen von einer Wirktoleranz nach längerer
Therapie (18; 45) und von einem Reboundphänomen durch Umkehr des
osmotischen Gradienten und Schädigung der Zona occludens (129) mit
konsekutivem intrazellulärem Ödem, ICP-Anstieg (31) und folgender klinischer
Verschlechterung aus. Eine klinische Relevanz dieser Hypothese ist bislang
noch nicht bestätigt (13; 88). Dennoch wird nach kontinuierlicher HS-Therapie
allgemein ein langsames Ausschleichen über 1-2 Tagen empfohlen (92). Bei
Patienten mit SHT und Therapie mit 20%iger HS hatte sich in quantitativen
CCT-Analysen eine zur Läsion ipsilaterale Volumenzunahme und
kontralaterale Volumenabnahme gezeigt (74), wobei eine klinische Relevanz
15
nicht geklärt wurde. Generell könnte bei Störung der Blut-Hirn-Schranke das
Risiko einer intraparenchymatösen Volumenzunahme durch den Einstrom der
osmotisch wirksamen Substanz bestehen (150).
Tab. 4: Hypothetische Nebenwirkungen hypertoner Kochsalzlösung angelehnt an (150)
Hypothetische Nebenwirkungen hypertoner Kochsalzlös ung
1. Herzversagen und Herzrhythmusstörungen
2. transienter Blutdruckabfall
3. Hypervolämie
4. Reboundphänomene mit Zunahme des Hirnödems
5. Epileptische Anfälle
6. Zentrale pontine Mylinolyse
7. akutes Nierenversagen und hyperonkotische Hämolyse
8. Hyperchlorämische Azidose
9. Koagulopathie
10. Erhöhte Infektneigung
11. Venenreizung und -sklerose
Eine der gefürchtetsten Komplikationen stellt die zentrale pontine Myelinolyse
(ZPM) dar (52). Diese kann zum Beispiel bei zu raschem Ausgleich einer
Hyponatriämie oder bei Mangelernährten auftreten (150). Im Rahmen einer HS-
Therapie wurde bisher kein einziger Fall beschrieben. Selbst in MRT-
Aufnahmen bei Patienten unter Therapie mit 23,4%iger HS (69), bei
Natriumwerten bis 171 mmol/l (65) oder in Autopsieberichten (142) fanden sich
keine Hinweise auf eine ZPM.
Ein kausaler Zusammenhang zwischen hypertoner Kochsalzlösung und akutem
Nierenversagen konnte bislang nicht belegt werden. Viel diskutiert als
Nebenwirkungen einer HS-Therapie ist das hyperosmolare Nierenversagen
(71), welches bisher aber nur im Rahmen der Therapie mit Mannitol beobachtet
wurde (93; 146). Unter kontinuierlicher Infusion 3%iger Kochsalzlösung zeigten
sich erst ab Natriumwerten > 155 mmol/l eine Erhöhung der
Retentionsparameter, ohne Hinweise auf ein manifestes Nierenversagen (39).
16
Unter Applikation von Bolusgaben der HS kann es zu einem kurzzeigen
Blutdruckabfall kommen (19; 66). Weitere möglich Folgen sind ein akutes
Herzversagen (129) und Lungenödem (47) durch eine zu rasche
Volumenexpansion, vor allem im Rahmen einer Schocktherapie. Bei
kontinuierlicher HS-Infusion bei SAB wurde dies nicht berichtet (131). Da
Natrium-Ionen auch eine wichtige Rolle spielen bei der Entstehung und
Weiterleitung von Erregungen in Nervenzellen über Aktionspotentiale, können
sowohl bei einer Hypo- als auch Hypernatriämie relevante
Herzrhythmusstörungen auftreten (46), sodass regelmäßige EKG-Kontrollen
nötig sind.
Weiterhin kann es durch Verdünnungseffekte zu Koagulopathien (50; 105) und
damit erhöhten Blutungsneigung kommen. Wiederum scheint die klinische
Relevanz vernachlässigbar (150).
Bezüglich des pH-Status und der Elektrolyte gilt es diese engmaschig zu
kontrollieren, da es zum Auftreten einer hyperchlorämischen Azidose (71; 143)
und einer Hypokaliämie und Hypomagnesiämie (68; 130) kommen kann.
2.3.3 Einsatzbereiche
Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurde hypertone Kochsalzlösung
therapeutisch eingesetzt (132). 1919 wurde dabei erstmals die Abnahme des
Hirnvolumens unter HS beobachtet (149). Aber erst seit den 1980er Jahren
stieg dann das weitere wissenschaftliche Interesse. Zu den aktuellen
Haupteinsatzgebieten der HS-Therapie gehören die Hyponatriämie, der
hypovolämische Schock und die Therapie des erhöhten ICP. Tabelle 5 gibt
einen Überblick über die klinischen Einsatzgebiete der HS, angelehnt an
Johnson et al. (60). Die meisten wissenschaftlichen Arbeiten gibt es zu Einsatz
der HS bei Volumenmangelschock oder Schädelhirntrauma. Bezüglich des
Einsatzes bei zerebraler Ischämie oder intrazerebraler Blutung ist die
Studienlage noch unzureichend.
17
Tab. 5: Klinische Einsatzgebiet der hypertonen Kochsalzlösung
Oral
Verbrennungen Orthostatische Hypotonie Zystische Fibrose
Verschiedenartig parenteral
Varizenverödung Applikation ins Fruchtwasser bei Spätabort Leishmaniose
Intravenös
Hyponatriämie Flüssigkeitssubstitution im Notfall Zereberale Läsionen und Hirnödem
Es ist bekannt, dass der schnelle Volumenersatz beim hypovolämischen
Schock das Überleben der Patienten verbessert (106). Beim hämorrhagischen
und evtl. auch beim kardiogenen Schock besteht eine günstige Beeinflussung
der hypotonen Kreislaufsituation durch HS (97; 128). Dabei kam in den meisten
Fällen 7,5%ige HS kombiniert mit Dextran zum Einsatz, da hier gezeigt werden
konnte, dass es innerhalb weniger Minuten nach Infusionsbeginn zu einer
Vergrößerung des Intravasalvolumens kam (111). Zu anderen Schockformen,
wie dem septischen Schock, gibt es keine eindeutigen Aussagen.
Bei zerebralen Läsionen spielt, wie bereits unter 2.1.2 und 2.2.2 erläutert, die
Entwicklung eines Hirnödems mit konsekutivem ICP-Anstieg eine wesentliche
Rolle für das Outcome der Patienten. Neben den erwähnten konservativen und
invasiven Maßnahmen stellt die Behandlung mit hyperosmolaren Lösungen
eine der wichtigsten Maßnahmen dar (15). Dabei gilt seit langem Mannitol als
Goldstandard der antiödematösen Therapie (96). Aufgrund berichteter und zum
Teil schwerer Nebenwirkungen (s. 2.3.2) unter Mannitol, sowie einem
günstigeren Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil für HS, wird diese zunehmend
als Alternative in den Leitlinien (23; 27; 35) empfohlen. Dabei gibt es bisher
lediglich für Patienten mit SHT und Leberversagen ausreichende Evidenz,
sodass hier der Einsatz kontinuierlicher 3%ger HS empfohlen wird (128). Bei
Patienten mit AIS und ICB und ICP-Erhöhung wurde HS eingesetzt und zeigte
Vorteile gegenüber Mannitol (61; 92). Auch konnte gezeigt werden, dass es zu
18
einer signifikanten Reduktion des Ödems bei spontaner ICB unter
kontinuierlicher 3%iger HS kam (145) und es günstige Effekte auf drohende
ICP-Krisen gab (92). Welche Dosierung, Zusammensetzung, Applikationsart
und -dauer zu einer optimalen ICP-Senkung führen ist jedoch unklar. Bei der
SAB konnte in kleineren Studien (54; 112), wie auch randomisiert-kontrollierten
Studien im Vergleich zu Mannitol (11; 48) eine signifikante ICP-Reduktion durch
HS gezeigt werden. Zudem ergaben sich Hinweise auf positive Effekte auf den
CBF, CPP und die zerebrale Sauerstoffaufnahme durch HS (5; 136). Aber auch
hier liegen keine ausreichenden Daten vor, um definitive Aussagen zu Outcome
oder Überleben der Patienten zu treffen.
2.4 Fragestellungen der vorliegenden Arbeit
Einer der wichtigen Gründe für die hohe Morbidität und Mortalität bei Patienten
mit schwerer zerebrovaskulärer Erkrankung ist die Progression eines
perifokalen oder globalen Hirnödems mit konsekutiver ICP-Erhöhung,
Einschränkung der zerebralen Blut-, Sauerstoff- und Nährstoffversorgung und
daraus resultierender sekundärer Hirnschädigung. Die adäquate Behandlung
des Hirnödems bleibt weiterhin eine entscheidende Herausforderung. In den
meisten Fällen wird als Therapie der ersten Wahl die Entscheidung zugunsten
einer Osmotherapie getroffen (27). Dabei stellt Mannitol die bevorzugt
eingesetzte osmotisch wirksame Substanz dar, um eine Abnahme des
Hirnödems herbeizuführen und damit den erhöhten ICP zu senken (31; 148).
Jedoch werden unter Mannitol zum Teil schwere Nebenwirkungen beschrieben
(63; 67). Dagegen liegen vermehrt positive Daten zu HS als eine Alternative zu
Mannitol bei der Behandlung des Hirnödems vor (72). Im Vordergrund steht
dabei der osmotische Effekt der HS mit konsekutiver parenchymatöser
Volumenabnahme und dadurch Senkung des ICP, Verbesserung des CPP und
der zerebralen Sauerstoffaufnahme (s. 2.3.1). Dies ist vor allem bei Patienten
mit SAB, aber weniger bei Patienten mit AIS und ICB untersucht worden. Bisher
gibt es zudem nur wenige Daten bezüglich der Durchführbarkeit, Sicherheit und
Effekte einer frühen, kontinuierlichen Therapie mit hypertoner Kochsalzlösung
bei Patienten mit AIS, ICB und SAB.
19
Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, eine solche Therapie mit
kontinuierlicher und früher Infusion (< 72 Stunden) 3%iger hypertoner
Kochsalzlösung bei Patienten mit schwerer zerebrovaskulärer Erkrankung im
Vergleich mit einer „historischen“ Kontrollgruppe zu untersuchen. Einblicke
sollten dabei auch bezüglich der Sicherheit und möglicher Effekte auf den ICP,
MAP, CPP und die Krankenhausmortalität gewonnen werden. Abhängig von
den Ergebnissen, kann diese Arbeit möglicherweise als Grundlage einer
randomisiert-kontrollierten Studie dienen.
20
3 Patienten und Methoden
3.1 Analysierte Patienten
3.1.1 Behandlungsgruppe – Ein- und Ausschlusskriterien
Die Behandlungsgruppe war definiert als diejenige Gruppe von Patienten, die
als Therapie eine frühe kontinuierliche Infusionstherapie mit hypertoner
Kochsalzlösung nach einem festen Infusionsprotokoll (s. 3.2.3) erhielten. Der
Patienteneinschluss der Behandlungsgruppe erfolgte über einen Zeitraum von
20 Monaten, beginnend im Mai 2008 bis einschließlich Dezember 2009. Hierbei
wurden Patienten eingeschlossen, die auf der neurologischen Intensivstation
(NLI) des Universitätsklinikums Erlangen mit dem Bild einer schweren
zerebrovaskulären Erkrankung, im Sinne eines großen ischämischen
Schlaganfalls, einer intrazerebralen Blutung oder einer Subarachnoidalblutung,
sowie Zeichen eines erhöhten intrakraniellen Drucks (ICP) behandelt wurden.
Dabei lagen folgende Einschlusskriterien (Tab. 6) vor: (i) intrazerebrale Blutung
mit einem Volumen > 30 ml oder akuter ischämischer Schlaganfall mit einer
Größe von > 2/3 des Territoriums der Arteria cerebri media (MCA) oder eine
schwere Subarachnoidalblutung mit einem WFNS-Score von ≥ 4. Weitere
zusätzliche Einschlusskriterien waren ein GCS von < 9 bereits bei Aufnahme
oder ein GCS < 9 durch eine rasche Verschlechterung des klinisch-
neurologischen Status des Patienten, mit daraus resultierender Notwendigkeit
der Intubation und maschinellen Beatmung (ii) sowie eines invasiven ICP-
Monitorings. Ausschlusskriterien waren ein Alter < 18 Jahre, eine bestehende
Schwangerschaft, klinische und radiologische Zeichen der Herniation bereits
bei Aufnahme, sowie Patienten, bei denen keine erweiterten Maßnahmen
getroffen werden sollten. Letztendlich mussten alle genannten
Einschlusskriterien erfüllt sein und es durfte kein Ausschlusskriterium vorliegen.
21
Tab. 6: Liste der Ein- und Ausschlusskriterien
Einschlusskriterien
(i) schwere zerebrovaskuläre Erkrankung
a. ICB mit Volumen > 30 ml
b. ischämischer Infarkt in ≥ 2/3 des Versorgungsgebietes der MCA
c. SAB mit WFNS-Score ≥ 4
(ii) invasive Beatmung und Analgosedierung aufgrund
a. GCS < 9 bei Aufnahme
b. rascher klinisch-neurologischer Verschlechterung mit GCS < 9
(iii) Notwendigkeit eines ICP-Monitoring
Ausschlusskriterien
(i) Alter < 18 Jahre
(ii) Schwangerschaft
(iii) Keine erweiterten Maßnahmen erwünscht
3.1.2 Kontrollgruppe
Die untersuchte Kontrollgruppe (kein HS) setzte sich aus Patienten zusammen,
die über einen Zeitraum beginnend im Januar 2007 bis einschließlich April 2008
auf unserer neurologischen Intensivstation mit denselben zugrundeliegenden,
schweren zerebrovaskulären Erkrankungen und Zeichen eines erhöhten
intrakraniellen Druckes behandelt wurden. Diese Patienten wurden nach dem
gleichen intensivmedizinischen Behandlungsstandard behandelt, mit Ausnahme
der fehlenden Behandlung mit hypertoner Kochsalzlösung (HS). Um einen
möglichen Selektionsbias zu minimieren, wurden diesen Patienten die gleichen
Ein- und Ausschlusskriterien wie der Behandlungsgruppe zugrunde gelegt
22
3.2 Behandlung und ICP-Monitoring
Alle Patienten wurden grundsätzlich nach den gleichen internen
intensivmedizinischen Standards der neurologischen Intensivstation (NLI) des
Universitätsklinikums Erlangen (UKE) behandelt. Diese Leitlinien orientieren
sich dabei an den Empfehlungen der Fachgesellschaften zur Behandlung von
Patienten mit AIS, ICB, SAB und Zeichen des erhöhten intrakraniellen Drucks
(s. 2.2.2).
3.2.1 Allgemeine Behandlungsziele
Die Ziele der allgemeinen intensivmedizinischen Behandlung lagen in der
Aufrechterhaltung physiologischer Parameter, wie eine Normoglykämie, eine
Normothermie (<37,5°C), eine Normovolämie, einem arteriellen
Sauerstoffpartialdruck (paO2) von >75 mmHg und endexpiratorischem CO2-
Wert zwischen 35 - 45 mmHg. Die zur Narkose erforderliche Analgosedierung
wurde üblicherweise mit Midazolam und Sufentanil durchgeführt (57). Zum
Einsatz kamen gelegentlich auch Propofol und Ketamin. Die Beatmung wurde
gemäß Leitlinien durchgeführt (127). Falls notwendig wurden zum Anheben
erniedrigter Blutdruckwerte kristalloide Lösungen oder Norepinephrin
eingesetzt, um einen arteriellen Mitteldruck (MAP) von 85 mmHg und einen
zerebralen Perfusionsdruck (CPP) von 60 - 70 mmHg aufrechtzuerhalten. Des
Weiteren galten alle weiteren bereits genannten Basismaßnahmen (s. 2.2.2)
der Therapie bei Patienten mit erhöhtem ICP, wie 30°-Oberkörperhochlagerung,
Vermeidung eines hohen PEEP > 8-10 cmH20, kurzzeitige hyperoxische
Beatmung und Anämieausgleich bei Hb-Abfall nach konservativem
Transfusionsregime.
3.2.2 ICP-Monitoring, -Krisen und Therapie
Bei allen Patienten erfolgte zudem eine kontinuierliche Überwachung des ICP
entweder mit Hilfe einer externen Ventrikeldrainage (VigoMed Medizintechnik
GmbH, Würzburg) in die Seitenventrikel oder einer Parenchymsonde
(Raumedic AG, Münchberg) in den Frontallappen der geschädigten
23
Hemisphäre. Die operative Anlage dieser Sonden erfolgte durch die Kollegen
der Neurochirurgie des UKE.
Als ICP-Krisen definiert wurden zum einen eine zunehmende Verschlechterung
der Vigilanz, zum anderen eine zwischenzeitlich neu aufgetretene Anisokorie
oder ein erhöhter intrakranieller Druck (ICP) von > 20 mmHg über ≥ 20 Minuten,
mit fehlenden Hinweisen auf drucksteigernde Provokationsfaktoren (Valsalva,
hoher PEEP, Kompression der Jugularvenen, Pressen gegen Beatmung,
Husten). Behandelt wurden diese ICP-Krisen nach den bestehenden Leitlinien
der Fachgesellschaften (12; 24; 27), mit tiefer Analgosedierung, einer
Muskelrelaxation mit Cisatracurium und zum Teil wiederholten Bolusgaben von
anderen osmotisch wirksamen Substanzen als 3%iger Kochsalzlösung, wie
Mannitol (20%, 100-200 ml), HyperHES (100 ml, 6% Hydroxyethylstärke mit
zusätzlich 7,2% NaCl) oder Glycerosteril (10%, 200 ml). Die Wahl des
eingesetzten Therapeutikums lag dabei beim behandelnden Arzt. Darüber
hinausgehende Interventionen und Eskalationsmaßnahmen, wie eine
neurochirurgische Behandlung (EVD, Dekompressions-OP mit Kraniektomie,
Hämatomevakuation), eine Hypothermiebehandlung oder auch ein tiefe
Sedierung mit Barbituraten (Trapanal), bis hin zu einem 1:1 Burst-Suppression-
Muster im Elektroenzephalogramm (EEG), wurden individuell entschieden.
3.2.3 Infusionsprotokoll der hypertonen Kochsalzlösung
Im Folgenden wird das Infusionsprotokoll der Behandlungsgruppe dargestellt.
Die kontinuierliche Infusion der hypertonen 3%igen Kochsalzlösung (hergestellt
durch die Apotheke des UKE) wurde innerhalb von 72 Stunden nach
Symptombeginn mittels eines standardmäßig in der Routineversorgung
eingesetzten Perfusorsystems (u.a. Alaris® GH Plus Spritzenpumpe) und einer
initialen Laufrate von 12 ml/h gestartet. Aufgrund der berichteten potentiellen
Reizung peripherer Venen bei Natriumkonzentrationen > 2% (110), wurde diese
in allen Fällen über einen zentralen Venenkatheter (ZVK) durchgeführt.
Angestrebt wurde ein Zielbereich der Natrium-Werte von 144-155 mmol/l und
der Osmolalität von 310-320 mOsm/kg. Es wurden alle 4 Stunden Kontrollen
der Natrium-Werte und der Osmolalität durchgeführt und je nach gemessenen
24
Werten die Infusionslaufraten am Perfusorsystem so lange angepasst, bis die
entsprechenden Zielwerte erreicht wurden. Die Osmolalität wurde mit Hilfe
kryoskopischer osmometrischer Methoden (Zentrallabor des UKE) bestimmt.
Innerhalb der ersten 24 Stunden nach Beginn der Infusion wurden die Natrium-
Werte um maximal 10 mmol/l angehoben, angelehnt an frühere
Veröffentlichungen, um ein theoretisches Auftreten einer ZPM zu verhindern (9;
33; 126). Die kontinuierliche Infusion wurde solange fortgeführt, bis sich
bildmorphologisch (wiederholte CT- oder MRT-Aufnahmen des Neurokraniums)
oder klinisch keine Zeichen eines erhöhten intrakraniellen Drucks oder eines
progredienten Ödems mehr fanden. Die anschließende Normalisierung der
angehobenen Natriumwerte erfolgte dann in langsamen Schritten, mit täglicher
Senkung um ≤ 5 mmol/l und über mindestens 48 Stunden, bis
normonatriämische Werte von 135-145 mmol/l erreicht wurden.
3.3 Erfasste klinische Parameter und Bildgebung
Der initiale klinische Status wurde entweder durch den erstversorgenden Arzt
(Notarzt) vor Ort oder den neurologischen Arzt bei Aufnahme im Krankenhaus
mit Hilfe der Glasgow-Coma-Scale (GCS) (133) erfasst, bevor eine Intubation
und Sedierung erfolgte. Die maximale Punktzahl der GCS beträgt 15 (volles
Bewusstsein), die minimale 3 Punkte (tiefes Koma). Bei ≤ 8 Punkten ist von
einer sehr schweren Funktionsstörung des Gehirns auszugehen mit Gefahr
lebensbedrohlicher Atmungsstörungen, so dass eine endotracheale Intubation
erwogen werden sollte (27). Zusätzlich wurde bei Patienten mit AIS und ICB der
Schweregrad des neurologischen Defizits bei Aufnahme mit Hilfe der National
Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS) festgehalten, welche anhand von 11
Unterpunkten die neurologischen Ausfälle quantifiziert. Die Maximale
erreichbare Punktzahl liegt bei 42, wobei mit steigender Punktzahl die Schwere
des neurologischen Defizits zunimmt. Intubierte und analgosedierte Patienten
werden mit 38 Punkten bewertet (78). Bei Patienten mit SAB wurde zusätzlich
der Schweregrad der Erkrankung mittels der Einteilung der World Federation of
Neurologic Surgeons (WFNS) bestimmt. Diese bedient sich der GCS zur
Evaluierung der Bewusstseinslage und zusätzlicher fokal neurologischer
Defizite. Diese Skala umfasst 5 Grade (Grad I-V), wobei I den leichtesten und V
25
den schwersten Grad mit einem tiefem Koma darstellt. Die einzelnen Items der
unterschiedlichen Scores sind ausführlich im Anhang dargestellt.
Die Einteilung nach der zugrunde liegenden schweren zerebrovaskulären
Erkrankung (AIS, ICB, SAB) erfolgte bei jedem Patienten bei Aufnahme in der
neurologischen Notfallambulanz durch bildgebende Verfahren, wie eine
Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) des
Neurokraniums. Bei Patienten mit SAB wurde die bildmorphologische
Ausprägung und Verteilung anhand der Klassifikation nach Fisher (37)
bestimmt. Die Beurteilung und Befundung der gewonnen Bilder wurde durch die
Abteilung für Neuroradiologie des UKE gewährleistet. Im Verlauf des
Aufenthaltes wurden abhängig des klinischen Verlaufs weitere
bildmorphologische Kontrollen (CT und MRT) durchgeführt, insbesondere zur
Beurteilung des Ödemverlaufs.
3.4 Erfasste Parameter zu Sicherheit und Effekt
Die Aufzeichnung der zu bestimmenden klinischen, laborchemischen und
biologischen Parameter erfolgte zum Teil mehrfach täglich im Rahmen der
ärztlichen und pflegerischen Visiten, beginnend am Tag der Aufnahme bis zur
Entlassung von der Intensivstation oder bis zum Zeitpunkt des Versterbens der
Patienten.
Die Werte des MAP, ICP und CPP (computergestützte kontinuierliche
Aufzeichnung über die EVD oder Parenchymsonde) wurden stündlich
festgehalten und für den jeweils untersuchten Tag gemittelt. Zur Bestimmung
des ICP-Wertes über die EVD wurde diese vor Messung über 5 Minuten
geschlossen, um valide Werte zu erhalten. Um Aussagen über mögliche Effekte
der frühen kontinuierlichen HS-Infusion treffen zu können, wurde das Auftreten
und die Häufigkeit von ICP-Krisen analysiert und mit der Kontrollgruppe
verglichen. Weiterhin wurde die Mortalität in beiden Gruppen erfasst und
miteinander verglichen.
26
Zur Beurteilung der Sicherheit der Therapie mit hypertoner Kochsalzlösung
wurde das Auftreten schwerer Elektrolytentgleisungen erfasst und verglichen.
Eine schwere Elektrolytentgleisung lag vor, wenn eines der folgenden Kriterien
erfüllt wurde: (i) ein Kalium-Wert von < 3 oder > 6 mmol/l, (ii) ein Natriumwert
von < 125 mmol/l oder > 165 mmol/l, (iii) eine metabolische Azidose mit pH <
7,2, eine metabolische Alkalose mit pH > 7,55. Weiterhin wurden alle
Nebenwirkungen, die theoretisch im Rahmen einer Behandlung mit hypertoner
Kochsalzlösung beschrieben wurden, wie Herzrhythmusstörungen, akutes
Herz-, Leber- oder Nierenversagen, Lungenödeme, Koagulopathien und eine
zentrale pontine Myelinolyse (ZPM) dokumentiert und die Inzidenzen zwischen
den beiden Gruppen verglichen.
Folgende Parameter wurden dabei erfasst: die Thromboplastinzeit als INR
(International Normalized Ratio), die partielle Thromboplastinzeit, das Troponin
I, das Kreatinin, der Harnstoff; Transaminasen wurden in aller Regel täglich
bestimmt. Ein 12-Kanal-Elektrokardiogramm (EKG) wurde jeden zweiten Tag
angefertigt. Weitere aufgezeichnete Parameter waren die Körpertemperatur
(Ohrthermometer), die Menge der Harnausscheidung, eine
Flüssigkeitsbilanzierung, sowie der zentrale Venendruck (ZVD), gemessen über
einen zentralen Venenkatheter. Zudem wurden im Rahmen der
Routineversorgung auf der Intensivstation 4-stündliche arterielle
Blutgasanalysen mit Bestimmung der arteriellen Sauerstoffsättigung (PaO2),
der Natrium- und Kaliumwerte, der Osmolatität, Glukose und des pH-Wertes
durchgeführt.
3.5 Statistische Analyse
Alle statistischen Analysen wurden mit SPSS für Windows, Version 16.0 der
Firma SPSS Inc., IL Chicago, durchgeführt. Wenn nicht anders angegeben
werden die Daten als Mittelwert mit Standardabweichung bzw. Häufigkeits- und
Prozentwerte dargestellt. Ab einer Wahrscheinlichkeit von p ≤ 0,05 wurde von
statistischer Signifikanz ausgegangen. Der Effekt der Behandlung wurde durch
den Vergleich der Häufigkeit von ICP-Krisen während des Klinikaufenthalts
sowie die Krankenhausmortalität überprüft. Um Unterschiede im zeitlichen
27
Verlauf von Natrium, Osmolalität, CPP, ICP, MAP, Temperatur und CVP sowie
Interaktionen zwischen den Gruppen zu prüfen, wurden multifaktorielle
Varianzanalysen gerechnet (allgemeines lineares Modell). Kontinuierlich
verteilte Merkmale (Alter, Dauer des Klinikaufenthalts, Sedierung, Anzahl der
ICP-Krisen) wurden einem t-Test unterzogen (HS versus kein HS). Kategoriale
Merkmale (Patientenmerkmale, unerwartete Ereignisse) wurden im Chi-
Quadrat-Test oder Fisher-Test auf Unterschiede zwischen den beiden Gruppen
geprüft. Zur Überprüfung der Normalverteilung der Daten wurde der
Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstest gerechnet. Wenn Variablen nicht
normalverteilt waren, wurden nonparametrische Verfahren (Mann-Whitney-U
Test) eingesetzt.
28
4 Ergebnisse
Anhand der angegebenen Ein- und Ausschlusskriterien konnten über einen 20-
monatigen Zeitraum von Mai 2008 bis einschließlich Dezember 2009 insgesamt
100 Patienten in die Behandlungsgruppe mit kontinuierlicher Gabe hypertoner
Kochsalzlösung eingeschlossen werden. In die Kontrollgruppe konnten
retrospektiv von Januar 2007 bis einschließlich April 2008 insgesamt 115
Patienten eingeschlossen werden. Somit ergab sich eine Gesamtzahl von 215
Patienten.
4.1 Klinische und demographische Daten
4.1.1 Demographische Daten
Bezüglich der Geschlechtsverteilung zeigte sich kein signifikanter Unterschied
im Vergleich der Behandlungs- und Kontrollgruppe (p = 0,679). Wie Tabelle 7
zu entnehmen ist, war in beiden Gruppen der Anteil männlicher Patienten
größer im Vergleich zu den weiblichen (56%, bzw. 59,1% versus 44%, bzw.
40,9%).
Tab. 7: Geschlechtsverteilung in beiden Gruppen
Geschlecht HS Gruppe (n=100)
kein HS Gruppe (n=115) p
männlich weiblich
56 (56.0%) 44 (44,0%)
68 (59.1%) 47 (40.9%)
0,679
Das Alter in der untersuchten Gesamtkohorte (n = 215) lag in > 98% der Fälle
zwischen 32–85 Jahren (62 ± 13,25 Jahre). Als Altersextremwerte fanden sich
in der Behandlungsgruppe 2 sehr junge Patienten mit Alter von 19 und 24
Jahren. In der Kontrollgruppe gab es dagegen einen Patienten mit einem Alter
von 94 Jahren (Abb. 5). Es zeigte sich ein statistisch signifikanter Unterschied
(p = 0,022) im Vergleich der Altersstruktur der beiden Gruppen. Das
durchschnittliche Alter betrug in der Behandlungsgruppe 58,71 ± 13,31 Jahre
und in der Kontrollgruppe 62,8 ± 12,95 Jahre. Dieser Unterschied blieb auch
29
nach Ausschluss oben genannter Extremwerte (p = 0,023) signifikant. Nach
Unterteilung des Alters in Kategorien (≤ 54, 55-64, 65-74, ≥ 75) zeigte sich
insbesondere in der Altersgruppe ≥ 75 Jahren ein signifikanter Unterschied mit
mehr älteren Patienten in der Kontrollgruppe (HS: 10,0% versus kein HS:
21,74%, p = 0,021). Weiterhin fand sich ein statistischer Trend (Abb. 6) zu mehr
jüngeren Patienten (≤ 54 Jahre) in der Behandlungsgruppe (HS: 33,0 versus
kein HS: 24,35%, p = 0,060).
Abb. 5: Aufbau der Altersstruktur des gesamten Kollektivs (n = 215)
Abb. 6: Vergleich des Aufbaus der Altersstruktur nach Kategorien (HS, kein HS)
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
19 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90
Häu
figke
it [%
]
Alter [Jahre]
3331
26
10
2426
28
22
0
5
10
15
20
25
30
35
0-54 55-64 65-74 75-100
Häu
figke
it [%
]
Alter [Jahre]
HS
kein HS
p = 0,021
p = 0,06
Median 62 Jahre
30
4.1.2 Ätiologie
Bezüglich der zugrunde liegenden Ätiologie (Ischämie, ICB, SAB) konnte im
Vergleich beider Gruppen kein statistisch signifikanter Unterschied festgellt
werden (Abb. 7). Der größte Teil der Patienten wurde aufgrund einer ICB (HS:
52% versus kein HS 59%, p = 0,34) behandelt, gefolgt von den Ischämien (HS:
29% versus kein HS 24%, p = 0,44) und zuletzt der SAB (HS: 19% versus kein
HS 17%, p = 0,72).
Abb. 7: Verteilung der einzelnen Ätiologien in den beiden Gruppen (HS, kein HS)
Vergleicht man den initialen Schweregrad der Erkrankung mit Hilfe der NIHSS
und des GCS, wie auch die bildmorphologische Verteilung und Ausprägung
(Infarktausdehnung bei AIS, Blutungsvolumen bei ICB, WFNS- und Fisher-Grad
bei SAB) zwischen beiden Gruppen, so ergab sich ebenfalls kein statistisch
signifikanter Unterschied. Im Durchschnitt lag der GCS in beiden Gruppen bei
den AIS-Patienten bei 8 (Range 3-9, p = 0,703) und bei den ICB- und SAB-
Patienten bei 7 (Range 3-9, p = 0,827 und 0,507). Das durchschnittliche
Blutungsvolumen der ICBs lag deutlich über dem Einschlusskriterium von 30 ml
(HS: 51,7 ± 27 ml versus kein HS: 50,4 ± 25 ml, p = 0,978). Die detaillierten
Ergebnisse sind in Tabelle 8 dargestellt.
19
52
29
17
59
24
0
10
20
30
40
50
60
70
80
SAB ICB Ischämie
Häu
figke
it [%
]
HS
kein HS
p = 0,34
p = 0,44
p = 0,72
31
Tab. 8: Schweregrad und Ausprägung der einzelnen Ätiologien
Parameter HS Gruppe (n=100)
kein HS Gruppe (n=115) p
Ischämie 29 (29.0%) 28 (24.3%) 0,444
NIHSS bei Aufnahme 23 (Range 11-38) 23 (Range 10-38) 0,426
Prähospitaler GCS 8 (Range 3-9) 8 (Range (3-9) 0,703
>2/3 MCA-Territorium 23 (23,0%) 23 (20,0%) 0,620
MCA + ACA/PCA-Territorium 6 (6%) 5 (4,3%) 0,758
Intrazerebrale Blutung 52 (52.0%) 68 (59.1%) 0,336
NIHSS bei Aufnahme 24 (Range 13-38) 24 (Range 11-38) 0,900
Prähospitaler GCS 7 (Range 3-9) 7 (Range 3-9) 0,827
Blutungsvolumen 51,7 ± 27 ml 50,4 ± 25 ml 0,978
Subarachnoidalblutung 19 (19.0%) 19 (16.5%) 0,721
Prähospitaler GCS 7 (Range 3-9) 7 (Range 3-9) 0,453
WFNS-Grad 4 (Range 4-5) 4 (Range 4-5) 0,507
Fisher-Grad 3 (Range 3-4) 3 (Range 3-4) 0,553
Alle Patienten (n = 215) waren während der Behandlungszeit auf der
neurologischen Intensivstation intubiert, beatmet und analgosediert. Die
invasive Kontrolle des ICP entweder mittels einer externen Ventrikeldrainage
oder einer Parenchymsonde war in beiden Gruppen statistisch gleich.
Allgemein wurden die Patienten in beiden Gruppen zu > 90% mit einer EVD
(HS: 91% versus kein HS: 93%, p = 0,620) versorgt (Tab. 9).
Tab. 9: Zeit bis Aufnahme NLI; Versorgung mit EVD oder Parenchymsonde
Parameter HS Gruppe (n=100)
kein HS Gruppe (n=115) p
Zeit bis Aufnahme NLI (min) 147 (Range 26-494) 163 (Range 38-522) 0,226
Externe Ventrikeldrainage 91 (91%) 107 (93) 0,620
Parenchymsonde 9 (9%) 8 (7%) 0,620
4.1.3 Vorerkrankungen
Die Prävalenz kardiovaskulärer Risikofaktoren war sehr hoch in beiden
Gruppen, wie unter anderem ein vorliegender arterieller Hypertonus bei ca. 2/3
der Patienten (HS: 64% versus kein HS: 63%, p = 0,888). Im Vergleich beider
Gruppen fanden sich jedoch keine statistisch signifikanten Unterschiede in der
32
Verteilung oder Auftreten relevanter Vorerkrankungen und Komorbiditäten
(Diabetes mellitus, Nikotinabusus, Herzrhythmusstörungen,
Lebererkrankungen, Nierenerkrankungen), welche in Abbildung 8 dargestellt
sind.
Abb. 8: Vorerkrankungen (HS, kein HS)
4.2 Verlauf relevanter Parameter
4.2.1 Natrium und Osmolalität
Der Zeitpunkt des Infusionsbeginns der hypertonen Kochsalzlösung bei der
Behandlungsgruppe lag durchschnittlich bei 12 ± 9 Stunden (3-69 Stunden), mit
einer Gesamtinfusionsdauer von 13 ± 8 Tagen (4-28 Tage). Die
durchschnittliche Infusionsrate lag bei 0,36 ± 0,17 ml/kg/h (0,16 - 1,57ml/kg/h),
mit einem absoluten Maximum von 980 ml infundierter hypertoner
Kochsalzlösung am Tag. Abbildung 9 stellt den Verlauf der Natriumspiegel und
der Osmolatität in beiden Gruppen graphisch dar.
18
64
25
10 11 8
22
63
28
16
8 70
10
20
30
40
50
60
70
Häu
figke
it [%
]
HS
kein HS
p = 0,68
p = 0,89
p = 0,76
p = 0,23
p = 0,49p = 0,80
33
Zum Ausgangszeitpunkt fanden sich ähnliche Werte im Vergleich beider
Gruppen. Zwischen Tag 3 und Tag 14 zeigte sich ein signifikanter Unterschied
(p < 0,001) im Vergleich beider Gruppen bezüglich beider Parameter mit jeweils
höheren Werten in der Behandlungsgruppe [z.B. Tag 11: Na+(HS) 146,68 ±
5,61 mmol/l versus Na+(kein HS) 138,89 ± 5,75 mmol/l, Osmo(HS) 311,00 ±
12,46 mmOsm/kg versus Osmo(kein HS) 292,92 ± 7,93 mOsm/kg].
Abb. 9: Verlauf von Natrium und Osmolalität
Abb. 10: Verlauf von Natrium im definierten Zielbereich
280
290
300
310
320
330
135
140
145
150
155
160
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Osm
olal
ität [
mos
m/k
g]
Nat
rium
[mm
ol/l]
[Tage]
Natrium (HS)
Natrium (keinHS)Osmolalität(HS)Osmolalität(kein HS)
120
130
140
150
160
170
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
Nat
rium
[mm
ol/l]
[Tage]
HS
kein HS
Zielbereich: 145-155 mmol/l
34
Die angestrebten Zielbereiche der Natriumwerte von 144 - 155mmol/l wurden
im Schnitt nach 2 Tagen und der Osmolalität von 310 - 320mOsm/kg nach 4
Tagen erreicht. Über den gesamten Behandlungszeitraum betrachtet, konnten
die Zielwerte in > 75% der Zeit (Tage) erreicht werden (Abb. 10).
4.2.2 Kreatinin und Temperatur
Der Verlauf, der im Blut gemessenen Kreatinin-Werte und der Temperatur ist in
Abbildung 11 und 12 dargestellt. Bei den Patienten in beiden Gruppen
veränderten sich diese Parameter weder im zeitlichen Verlauf bedeutsam (p =
0,41), noch gab es einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen der
Behandlungs- und der Kontrollgruppe (Kreatinin, p = 0,36; Temperatur, p =
0,23).
Abb. 11: Verlauf Kreatinin mit und ohne HS
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
0 1 2 4 6 8 10 12 14
Kre
atin
in [
mg/
dl]
[Tage]
HS
kein HS
35
Abb. 12: Verlauf Temperatur mit und ohne HS
4.3 Sicherheitsparameter
4.3.1 Elektrolytentgleisungen
Abbildung 13 zeigt das Auftreten und die Verteilung von Elektrolytentgleisungen
im Vergleich der beiden Gruppen. Schwere Elektrolytentgleisungen fanden sich
anhand der oben genannten Kriterien (Definition, s. 3.3) bei 5 Patienten (5%) in
der Behandlungs- und 5 Patienten (4,34%) in der Kontrollgruppe. Dieser
Unterschied war nicht signifikant. (p = 1,00). Jedoch zeigte sich ein signifikanter
Unterscheid von Episoden mit einem gemessenen Natriumwert von > 159
mmol/l bei 21 Patienten (21%) der Behandlungsgruppe versus 7 Patienten
(6,1%) in der Kontrollgruppe (p = 0,002), sowie einem Natriumwert von < 135
mmol/l bei 13 Patienten (13%) der Behandlungsgruppe versus 51 Patienten
(44,4%) in der Kontrollgruppe (p ≤ 0,001). Dabei konnten bei keiner dieser
Episoden medizinisch relevante Folgen oder Komplikationen beobachtet
werden.
34,0
35,0
36,0
37,0
38,0
39,0
40,0
0 2 4 6 8 10 12 14
Tem
pera
tur
[°C
]
[Tage]
HS
kein HS
36
Abb. 13: Elektrolytentgleisungen im Vergleich beider Gruppen (HS, kein HS)
4.3.2 Nebenwirkungen und Organversagen
In Tabelle 10 sind die Inzidenzen, der während des stationären Aufenthaltes auf
Intensivstation aufgetretenen unterschiedlichen Nebenwirkungen und
Organversagen aufgeführt. Dabei fanden sich keine statistisch signifikanten
Unterschiede hinsichtlich des Auftretens kardialer Störungen, wie neue
Herzrhythmusstörungen (HS: 13% versus kein HS: 17,4%, p = 0,45), einem
akuten Koronarsyndrom (ACS) mit Troponin-I Anstieg ± ST-Hebung/-Senkung,
im Sinne eines NSTEMI und STEMI (HS: 5% versus kein HS 7,8%, p = 0,58),
oder einer akuten dekompensierten Herzinsuffizienz mit typischen klinischen
Zeichen und hämodynamisch relevantem Abfall der Ejektionsfraktion (HS: 9%
versus 11,3%, p = 0,66). Ebenso ergaben sich keine signifikanten
Unterschiede bezüglich des Auftretens von Leberversagen, einem
Lungenödem, einem akutem Lungenversagen (ARDS) oder einer neu
aufgetretenen Koagulopathie. Insbesondere fanden sich in keiner der beiden
Gruppen Hinweise auf eine zentrale pontine Myelinolyse (ZPM) oder ein
statistisch signifikanter Unterschied im Auftreten eines akuten Nierenversagens
mit einem Kreatinin > 2mg/dl oder Urinausscheidung < 500ml/24h (HS: 9%
versus kein HS: 11,3%; p = 1,0).
5
21
13
4 6
44
0
10
20
30
40
50
schwereElektrolytentgleisung
Natrium > 159 mmol/l Natrium < 135 mmol/l
Häu
figke
it [%
]
HS
kein HS
p = 0.92
p = 0.92
p < 0,001
p = 1,0
p = 0,02
37
Tab. 10: Auftreten von Nebenwirkungen und Organversagen
Parameter HS Gruppe (n=100)
kein HS Gruppe (n=115) p
Herzrhythmusstörungen 13 (13,0%) 20 (17,4%) 0,449
Troponin-I Anstieg 5 (5,0%) 9 (7,8%) 0,581
Akutes Herzversagen 9 (9,0%) 13 (11,3%) 0,656
Akutes Leberversagen 3 (3%) 3 (2,6%) 1,000
Akutes Nierenversagen 9 (9%) 10 (8,7%) 1,000
Leberwerterhöhung 26 (26,0%) 33 (28,7%) 0,760
Lungenödem 7 (7,0%) 10 (8,7%) 0,801
ARDS 9 (9%) 11 (9,6%) 1,000
Koagulopathie 15 (15,0%) 18 (15,7%) 1,000
Zentrale pontine Myelinolyse 0 0
CSWS 11 (11,0%) 10 (8,7%) 0,648
Sepsis 27 (27%) 29 (25,2%) 0,876
4.4 Effekt der hypertonen Kochsalzlösung
4.4.1 Hämodynamische Parameter
Die folgenden Abbildungen 14-16 stellen den zeitlichen Verlauf des mittleren
arteriellen Drucks (MAP), des zerebralen Perfusionsdrucks (CPP) und des
zentralen Venendrucks (CVP) im Vergleich beider Gruppen dar. Alle 3
Parameter zeigten sowohl in der Behandlungs-, als auch Kontrollgruppe
steigende Werte im Zeitverlauf. Im Vergleich des MAP und CCP ergaben sich
dabei in der Behandlungsgruppe zwar nur gering, jedoch signifikant höhere
Werte im Vergleich zur Kontrollgruppe (p ≤ 0,001) [z.B. Tag 8: MAP(HS) 95,09
± 9,70 mmHg versus MAP(kein HS) 91,36 ± 9,24 mmHg, CPP(HS) 84,36 ±
10,58 mmHg versus CPP(kein HS) 78,85 ± 9,64 mmHg]. Dagegen blieb der
Verlauf des CVP ohne signifikante Differenz (p = 0,273) mit annähernd gleichen
Werten in beiden Gruppen.
38
Abb. 14: Verlauf von MAP mit und ohne HS-Zufuhr
Abb. 15: Verlauf von CPP mit und ohne HS-Zufuhr
70
80
90
100
110
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
MA
P [m
mH
g]
[Tage]
HS
kein HS
50
60
70
80
90
100
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
CP
P [m
mH
g]
[Tage]
HS
kein HS
39
Abb. 16: Verlauf von CVP mit und ohne HS-Zufuhr
4.4.2 Intrakranieller Druck
4.4.2.1 ICP-Verlauf und -Krisen
Tab. 11: ICP-Krisen
Parameter, n (%) HS Gruppe (n=100)
kein HS Gruppe (n=115) p
Anzahl ICP-Krisen Ischämie ICB SAB
92 51 24 17
167 79 60 28
0,027 0,105 0,114 0,299
Patienten mit ICP-Krisen Ischämie ICB SAB
50 (50%) 23/29 (79%)
19/52 (36,5%) 8/19 (42,1%)
69 (60%) 25/28 (89,3%) 33/68 (48,5%) 11/19 (57,9%)
0,091 0,470 0,200 0,517
ICP-Krisen / Patient Ischämie ICB SAB
0,9 (Range 0-10) 1,8 0,5 0,9
1,5 (Range 0-11) 2,8 0,88 1,4
0,020 0,017 0,376 0,025
Betrachtet man die definierten ICP-Krisen (Tab. 11, Abb. 17), so zeigt sich ein
statistischer Trend in der Behandlungsgruppe, hin zu weniger Patienten mit
ICP-Krisen (HS: 50% versus kein HS: 60%, p = 0,091). In der absoluten Zahl
der ICP-Krisen ergab sich ein statistisch signifikanter Unterschied mit weniger
5
7
9
11
13
15
17
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
CV
P [m
mH
g]
[Tage]
HS
kein HS
40
ICP-Krisen in der Behandlungs- als in der Kontrollgruppe (HS: 92 versus kein
HS: 167, p = 0,027), ohne signifikanten Unterschied im Vergleich der einzelnen
Ätiologien. Im Vergleich der durchschnittlichen ICP-Krisen pro Patient (Abb. 18)
ergibt sich erneut ein signifikanter Unterschied zugunsten der
Behandlungsgruppe (HS: 0,9 versus kein HS: 1,5, p = 0,027), insbesondere bei
den AIS und der SAB.
Abb. 17: Anzahl der gesamten ICP-Krisen und der Patienten mit ICP-Krisen
Abb. 18: Durchschnittliche Anzahl der ICP-Krisen bei allen Patienten und aufgeteilt
nach der Ätiologie
92
50/100
167
69/115
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
Anzahl der ICP-Krisen Patienten mit ICP-Krisen
Anz
ahl [
n]
HS
kein HS
p = 0,02
p = 0,09
0,9
1,8
0,5
0,9
1,5
2,8
0,9
1,4
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
alle Patienten Ischämie ICB SAB
Anz
ahl [
n]
HS
kein HS
p = 0,02
p = 0,02
p = 0,38
p = 0,03
41
Über den zeitlichen Verlauf betrachtet zeigten sich ebenfalls statistisch
signifikant niedrigere ICP-Werte in der Behandlungsgruppe (p ≤ 0,001). Ab Tag
7 konnten durchschnittlich um 1,5 - 2 mmHg niedrigere ICP-Werte gemessen
werden (Abb. 19).
Abb. 19: Verlauf von ICP mit und ohne HS-Zufuhr
4.4.2.2 Interventionen bei ICP-Krisen
Im Falle von ICP-Krisen wurden weitere, bzw. zusätzliche Maßnahmen nach
Ermessen des behandelnden Arztes getroffen, die in Tabelle 12 aufgeführt sind.
Tab. 12: Anzahl der Patienten mit zusätzlichen Interventionen bei ICP-Krisen
Interventionen, n (%) HS Gruppe (n=100)
kein HS Gruppe (n=115) p
Osmotherapie Glycerosteril HyperHAES Mannitol
56 (56,0%) 5 (5,0%)
15 (15,0%) 50 (50,0%)
78 (67,8%) 18 (15,7%) 29 (25,2%) 61 (53%)
0,050 0,009 0,045 0,683
Barbiturate 3 (3,0%) 6 (5,2%) 0,344
Hypothermie 11 (11,0%) 10 (8,7%) 0,648
Hemikraniektomie 15 (15,0%) 16 (13,9%) 0,848
Hämatomevakuation 10 (10,0%) 12 (10,4%) 1,000
5
8
10
13
15
18
20
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
ICP
[mm
Hg]
[Tage]
HS
kein HS
42
Es zeigte sich hierbei ein statistischer Trend zu einem geringeren Einsatz von
Osmotherapeutika in der Behandlungsgruppe (HS: 56% versus kein HS: 67,8%,
p = 0,050). Betrachtet man dabei die einzelnen eingesetzten
Osmotherapeutika, so konnte ein statistisch signifikanter Unterschied beim
Einsatz von Glycerosteril und HyperHAES, jedoch nicht von Mannitol
nachgewiesen werden (Abb. 20). Es fand sich sowohl bei der Anzahl der
behandelten Patienten (%), als auch in der absoluten Menge (Anzahl = n) des
eingesetzten Therapeutikums, in der Behandlungsgruppe statistisch signifikant
geringere Werte für Glycerosteril (HS: 5% bzw. 8 versus kein HS: 15,7%, bzw.
30; p = 0,009, bzw. 0,012) und HyperHAES (HS: 15 % bzw. 20 versus kein HS:
25,2%, bzw. 42; p = 0,045, bzw. 0,06). Für Mannitol ergab sich kein
signifikanter Unterschied (HS: 50% bzw. 121 versus kein HS: 53%, bzw. 188; p
= 0,683, bzw. 0,356).
Abb. 20: Anteil der Osmotherapie gesamt und aufgeteilt nach den einzelnen
Osmotherapeutika
Alle weiteren zusätzlichen Interventionen und Eskalationsmaßnahmen, wie eine
tiefe Narkose mit Barbituraten (HS: 3% versus kein HS: 5,1%, p = 0,344), eine
Hypothermiebehandlung (HS: 11% versus kein HS: 8,7%, p = 0,648), eine
Hemikraniektomie oder eine Hämatomevakuation bei ICB unterschieden sich
statistisch nicht signifikant in den beiden Gruppen (Abb. 21).
56
5
15
50
68
16
25
53
0
10
20
30
40
50
60
70
Osmotherapie Glycerosteril HyperHAES Mannitol
Häu
figke
it [%
]
HS
kein HS
p = 0,05
p = 0,009
p = 0,045
p = 0,68
43
Abb. 21: zusätzliche Interventionen bei ICP-Krisen
4.4.3 Krankenhausmortalität
Im Vergleich der Sterblichkeit während des stationären Aufenthaltes, der sog.
Krankenhausmortalität, zeigten sich statistisch signifikant (p = 0,037) weniger
Todesfälle mit 17 Patienten (17%) in der Behandlungsgruppe, als in der
Kontrollgruppe mit 34 Patienten (29,6%). Aufgeteilt nach den
zugrundeliegenden Ätiologien blieb dieser Unterschied lediglich für die
intrazerebralen Blutungen signifikant bestehen (p = 0,04). Hier zeigten sich mit
6 von 52 Patienten (11,5%) mit ICB in der Behandlungsgruppe, versus 16 von
68 Patienten (27,9%) mit ICB in der Kontrollgruppe, signifikant weniger
Todesfälle (Abb. 22). Bei den Ischämien (HS: 34,5% versus kein HS: 39,3%, p
= 0,92) und den SABs (HS: 23,0% versus kein HS: 21,1%, p = 0,34) war die
Krankenhausmortalität statistisch annähernd gleich.
56
311
15
10
68
5 9
1410
0
10
20
30
40
50
60
70H
äufig
keit
[%]
HS
kein HS
p = 0,05
p = 0,34p = 0,65
p = 0,85p = 1,00
44
Abb. 22: Krankenhausmortalität gesamt und aufgeteilt nach Ätiologien
17,0
34,5
11,5
23,0
29,6
39,3
27,9
21,1
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
Häu
figke
it [%
]
HS
kein HS
p = 0,92
p = 0,04
p = 0,34
p = 0,04
45
5 Diskussion
Noch immer ist die Letalität von Patienten mit raumforderndem Mediainfarkt
(116) großer intrazerebraler Blutung (38) und Subarachnoidalblutung sehr hoch.
Dies liegt unter anderem an der Entwicklung eines Hirnödems im
Krankheitsverlauf mit konsekutiver ICP-Erhöhung, Einschränkung der
zerebralen Blut-, Sauerstoff- und Nährstoffversorgung und somit sekundären
zerebralen Läsionen. Bei schweren Verläufen kann es bei hohem ICP zu einer
zerebralen Herniation und letztlich zum Hirntod der Patienten kommen.
Sämtliche Therapieentwicklungen der letzten Jahre konnten die Prognose nicht
wesentlich verbessern. Bis auf invasive Verfahren, wie die Hemikraniektomie
bei jungen Patienten mit malignem Mediainfarkt (139), gibt es bis dato keine
konservative Behandlungsoption, die in prospektiven randomisiert-kontrollierten
Studien an diesem Patientenkollektiv untersucht wurde (10).
In den vergangen Jahren wurde hypertone Kochsalzlösung zunehmend als
sichere und effektive Alternative zum Mannitol eingesetzt. Dies nicht zuletzt
aufgrund der besseren osmotischen Eigenschaften und der geringeren
Nebenwirkungen im Vergleich zu Mannitol, wie in einigen Studien vermutet (11;
92; 118; 119; 122; 125; 130; 144; 147). Neben dem osmotisch bedingten Shift
von Flüssigkeit aus dem extra- in den intravasalen Raum durch Anheben des
Natriumspiegels und der Osmolalität (26) werden weitere günstige
Mechanismen und Effekte beschrieben, darunter eine Zunahme der
Liquorabsorption und des MAP (96), eine verbesserte Rheologie und zerebrale
Perfusion, wie auch eine bessere zerebrale Oxygenierung (137; 155).
In der Regel wird nach aktuellen Leitlinien erst mit der antiödematösen Therapie
begonnen, wenn sich ein substantielles Hirnödem durch einen erhöhten ICP
oder eine sekundäre klinische Verschlechterung manifestiert. Dabei kommen
vor allem wiederholte Bolusgaben hyperosmolarer Substanzen zum Einsatz.
Dies basiert auf der Annahme, dass ein prolongierter Einsatz der Osmotherapie
zu einer kritischen Akkumulation der osmotisch wirksamen Substanz im
Parenchym mit konsekutiver Aufhebung des aufgebauten osmotischen
46
Gradienten führt und es dadurch zu einer Abnahme des antiödematösen Effekts
kommt. Bis heute gibt es jedoch wenige valide Daten um diese Hypothese zu
unterstützen (10; 35). Theoretischen Überlegungen nach, sollte ein früher
Einsatz der Osmotherapie, d.h. vor Auftreten eines erhöhten ICP, deutliche
Vorteile gegenüber einem späten Beginn bieten. Dies gilt ebenso für eine
kontinuierliche Applikation zum Erreichen eines persistierenden und stabilen
osmotischen Gradienten. Dies könnte letztendlich zu einer Abschwächung der
Ödemprogression führen und damit möglicherweise die Häufigkeit des
Auftretens und die Schwere von ICP-Krisen reduzieren. Bis dato gibt es nur
wenige Untersuchungen, die sich mit diesem Konzept befassen (52; 128).
Bei Patienten mit einer traumatischen Hirnschädigung oder einem akuten
Leberversagen und daraus resultierendem erhöhten ICP konnten positive
Effekte auf eine Reduktion des erhöhten ICP durch eine frühzeitige
kontinuierliche Gabe hypertoner Kochsalzlösung nachgewiesen werden (65; 87;
98; 123). Hinsichtlich Patienten mit erhöhtem ICP aufgrund einer ICB oder SAB
gibt es jedoch nur geringe Daten auf Basis retrospektiver Untersuchungen oder
kleiner Fallserien, die sich mit der frühen kontinuierlichen Gabe von hypertoner
Kochsalzlösung befassen (72; 131). Dabei wurden positive Effekte auf den
Verlauf des ICP, CPP und CBV beschrieben. Aussagen bezüglich des
Einflusses auf das klinische Outcome liegen jedoch nicht vor und wurden bisher
nicht systematisch untersucht. Zudem fehlt bislang ausreichende Evidenz zur
optimalen Applikationsform, -dauer und Dosis der hypertonen Kochsalzlösung.
5.1 Vergleich der demographischen und klinischen Da ten
Im Vergleich der demographischen und klinischen Daten zeigte sich im Aufbau
der Altersstruktur ein signifikanter Unterschied zwischen der Behandlungs- und
Kontrollgruppe. Bedeutend ist hier, dass in der Kontrollgruppe mehr Patienten
in der Altersgruppe ≥ 75 Jahren vorlagen. Gerade in dieser Altersgruppe ist das
Alter ein starker unabhängiger Prädiktor für ein schlechtes klinisches Outcome,
sowohl kurz-, als auch langfristig (51; 62). Beim ischämischen Schlaganfalls ist
die Krankenhausmortalität dabei fast um das 3,5fache im Vergleich zur
47
Altersgruppe der < 65 jährigen erhöht (51). Dies trifft ebenso auf die
intrazerebralen Blutungen und die Subarachnoidalblutungen zu (49).
Weiterhin stellt sowohl die Schwere, als auch die Art der zugrundeliegenden
zerebrovaskulären Erkrankung einen wichtigen Prädiktor für das Outcome dar.
Hier fanden sich im Vergleich der beiden Gruppen keine Unterschiede, weder
bezüglich der zugrundeliegenden Ätiologie, noch in der Schwere der
Erkrankung oder der Ausprägung (Größe der ICB, Verteilung der Ischämie und
SAB). Den größten Teil nahmen in beiden Gruppen die Patienten mit
intrazerebralen Blutungen (ca. 50%) mit einer durchschnittlichen Größe von ca.
50 ml ein. Alle übrigen Parameter, wie Geschlecht, wesentliche
Vorerkrankungen und Komorbiditäten blieben ebenso ohne signifikante
Unterschiede in den beiden Gruppen. Somit konnte durch die Anwendung der
definierten Ein- und Ausschlusskriterien eine gute Übereinstimmung bezüglich
der Patientencharakteristika in den beiden Gruppen erreicht werden.
5.2 Machbarkeit der HS-Therapie
In der vorliegenden Untersuchung wurden Zielwerte für Natrium von 144-155
mmol/l und für die Osmolalität von 310-320 mOsm/kg definiert. Diese
Grenzwerte wurden gewählt, da ein guter antiödematöser Effekt, die
Machbarkeit (Feasibility) und auch die Sicherheit unter Therapie mit HS in
diesen Zielbereichen bereits in einigen Studien gezeigt werden konnten (3; 14;
16; 55; 65; 69; 87; 98; 101; 123). Die exakte Dauer und der genaue Verlauf der
Ödemprogression ist noch nicht bekannt bzw. nur unzureichend untersucht. Wir
führten die kontinuierliche Gabe von HS solange fort, bis sowohl die
Verlaufsbildgebung (CT oder MRT des Neurokraniums) als auch der klinische
Verlauf keine Hinweise mehr auf einen erhöhten ICP oder eine
Verschlechterung des Ödems mehr zeigten. Die durchschnittliche
Infusionsdauer betrug dabei 13 Tage. Der Verlauf der Serum-Natriumspiegel
und der Osmolatität stellt mit die wichtigsten zu beobachtenden Parameter
unter der kontinuierlichen Infusion mit HS dar. Hier zeigte sich, dass die
angestrebten Zielbereiche der Natrium-Werte nach durchschnittlich 2 Tagen
und die der Osmolatität nach 4 Tagen erreicht wurden. Wie zu erwarten zeigte
48
sich dabei in der Behandlungsphase zwischen Tag 3 -14 ein signifikanter
Unterschied mit höheren Werten in der Behandlungsgruppe. Weiterhin gelang
es die Natrium-Werte und die Osmolalität im Behandlungszeitraum in 75% der
Zeit in den definierten Zielbereichen zu halten, womit deutlich wird, dass eine
solche Therapie im praktischen Sinne gut durchführbar ist.
5.3 Sicherheit der HS-Therapie
Hinsichtlich der Frage der Sicherheit einer frühen und kontinuierlichen Gabe
hypertoner Kochsalzlösung wurden alle Nebenwirkungen die in der
Behandlungsgruppe auftraten mit der Kontrollgruppe verglichen (2.3.2). Dabei
stellt die renale Dysfunktion mit einem hyperosmolaren akuten Nierenversagen,
die am meisten gefürchtete mögliche Nebenwirkungen hypertoner
Kochsalzlösung dar (71), obwohl dies vor allem im Rahmen der Therapie mit
Mannitol beschrieben wurde (93; 146). Es zeigte sich in der vorliegenden
Untersuchung kein erhöhtes Vorkommen eines akuten Nierenversagens im
Vergleich zur Kontrollgruppe. Trotz der signifikant häufigeren Episoden mit
einem Natriumwert von > 159 mmol/l und signifikant weniger Episoden mit einer
Hyponatriämie von < 135 mmol/l in der HS-Gruppe, blieb der Verlauf der
Retentionsparameter (Kreatinin) ohne signifikanten Unterschied im Vergleich
zur Kontrollgruppe. Dies entspricht im Wesentlichen Ergebnissen anderer
Untersuchungen, bei denen ebenfalls unter HS-Therapie mit erhöhten
Natriumwerten > 155 mmol/l keine erhöhten Inzidenzen eines akuten
Nierenversagens auftraten (39; 98). Generell konnten sowohl bei erhöhten, als
auch erniedrigten Natriumwerten in unserer Behandlungsgruppe keine erhöhten
Inzidenzen medizinisch relevanter Komplikationen im Vergleich zur
Kontrollgruppe beobachtet werden.
Darüber hinaus konnten anhand der analysierten klinischen und
laborchemischen Parameter keine evidenten Hinweise auf das Vorliegen
anderer möglicher HS-assoziierter Komplikationen im Vergleich zur
Kontrollgruppe gefunden werden, wie z.B. Herzinsuffizienz, Lungenödem und
Koagulopathien. Diese Ergebnisse sind gut mit denen aus einer Untersuchung
vereinbar, in der potentielle Nebenwirkungen unter einer Therapie mit
49
kontinuierlicher Kochsalzlösung untersucht wurden (39). Auch die meisten
weiteren Studien zu diesem Thema berichten keine Sicherheitsbedenken bei
Natriumwerten bis zu 160 mmol/l und einer Osmolalität von bis zu 320
mOsm/kg (14; 16; 22; 34; 47; 152).
Neben den bereits diskutierten, wurden auch verschiedenste neurologische
Komplikationen in Zusammenhang mit einer Therapie mit HS-Infusionen
berichtet, darunter unter anderem epileptische Anfälle, quantitative
Bewusstseinsstörungen oder eine zentrale pontine Myelinolyse (73). Weiterhin
wurden auch Reboundphänome aufgrund einer Akkumulation der osmotisch
wirksamen Substanz im Parenchym mit daraus resultierender Umkehr des
osmotischen Gradienten beschrieben (100). In der vorliegenden Untersuchung
fanden sich keine Hinweise auf neurologische Verschlechterungen in der
Behandlungsgruppe, die klar im Zusammenhang mit der HS-Therapie gewertet
werden können. insbesondere gab es keinen Fall einer zentralen pontinen
Myelinolyse in den Verlaufsbildgebungen mit CT und MRT. Auch fand sich
während der Ausschleichphase der HS-Therapie kein erneuter Anstieg der ICP-
Werte, im Sinne eines Reboundphänomens (100).
5.4 Effekte der HS-Therapie
Ein Ziel dieser Untersuchung war es, mögliche Effekte einer Therapie mit
kontinuierlicher hypertoner Kochsalzlösung am Verlauf hämodynamisch
relevanter Parameter, wie dem MAP und CPP, welcher mit dem zerebralen
Blutfluss korreliert und dem ICP festzuhalten. Hierbei konnten sowohl beim
MAP, als auch beim CPP moderate, aber signifikant um ca. 4-6 mmHg erhöhte
Verlaufswerte im Vergleich zur Kontrollgruppe festgestellt werden, wohingegen
der CVP einen ähnlichen Verlauf in beiden Gruppen zeigte. Ähnliche
Ergebnisse in Bezug auf den MAP und CPP mit daraus resultierendem Anstieg
des CBF wurden bereits in einigen vorausgehenden Studien berichtet (5; 14;
54; 99; 102; 113; 121; 136; 137). Hierbei ist zu erwähnen, dass der steigernde
Effekt der hypertonen Kochsalzlösung auf den MAP und CPP nicht zu einer
erhöhten Inzidenz kardialer oder pulmonaler Dysfunktionen (u.a.
Myokardinfarkt, oder Lungenödem) im Vergleich zur Kontrollgruppe geführt hat.
50
Andere Untersuchungen haben ergeben, dass dies eher im Rahmen einer
hyperosmolaren Therapie bei Patienten mit schwerem hämorrhagischen
Schock oder hochgradiger Herzinsuffizienz relevant sein könnte (17; 124). Im
Vergleich zur HS haben Untersuchungen ergeben, dass Mannitol als der
bisherige Goldstandard zu einer Volumendepletion mit konsekutivem Abfall des
MAP und des CPP führen kann.(32; 63; 146)
Interessanter noch als die Ergebnisse des MAP und CPP, ist der positive Effekt
den die HS-Therapie auf den Verlauf des ICP zu haben scheint. Bereits im
zeitlichen Verlauf zeigten sich niedrigere Werte in der Behandlungsgruppe. Als
eigentlicher Ausdruck eines positiven Effektes der Behandlung mit
kontinuierlicher hypertoner Kochsalzlösung zeigte sich beim Vergleich der ICP-
Krisen eine signifikant geringere Anzahl von ICP-Krisen in der
Behandlungsgruppe. Dies bedingte wiederum eine signifikante Reduktion
zusätzlicher Interventionen in Form reduzierter Gaben weiterer hyperosmolaren
Substanzen bei ICP-Krisen, hierunter vor allem weniger Bolusgaben von
Glycerosteril und HyperHES.
Zudem war in der Behandlungsgruppe (17%) eine signifikant niedrigere
Krankenhausmortalität als in der Kontrollgruppe (29,6%) zu beobachten.
Obwohl ein kausaler Zusammenhang aufgrund der Limitierungen dieser
Untersuchung (5.5.) nicht sicher nachweisbar ist, könnte dies möglicherweise
durch einen frühen und konstanten osmotischen Gradienten zu erklären sein,
welcher zu einer Abschwächung der Ödemprogression und konsekutiv zu
weniger Episoden mit kritisch erhöhtem ICP geführt haben könnte. Bei Analyse
stratifiziert nach der zugrundeliegenden Erkrankung zeigte sich lediglich für die
intrazerebralen Blutungen diesbezüglich ein statistisch signifikanter
Unterschied. Möglicherweise könnte bei größeren Fallzahlen ebenso ein
Unterschied für Patienten mit Subarachnoidalblutung oder ischämischem
Schlaganfall gefunden werden.
51
5.5 Limitierungen der Untersuchung
Einschränkungen der Aussagekraft der vorliegenden Untersuchung stellen zum
einen der Aufbau der Untersuchung im Charakter einer Pilotstudie, sowie der
Vergleich einer Behandlung mit einer „historischen“ Kontrollgruppe dar. Um
einen dadurch bedingten Bias so gering wie möglich zu halten, wurden den
Patienten der Kontrollgruppe daher die gleichen Ein- und Ausschlusskriterien
zugrunde gelegt. Trotzdem zeigte sich im Vergleich der
Patientencharakteristika, dass sich das Alter in beiden Gruppen signifikant
unterschied sich, mit mehr älteren (> 75 Jahre) Patienten in der Kontrollgruppe.
Dieser Unterschied könnte zu einem Teil mit verantwortlich sein für die höhere
Mortalität in dieser Gruppe (HS: 17% versus kein HS: 29,6%).
Eine weitere Einschränkung stellt auch das relativ heterogene Patientenkollektiv
mit den drei verschiedenen zugrundeliegenden Pathologien (AIS, ICB, SAB)
dar. Gerade in Bezug auf die Beurteilung und Vergleichbarkeit neurologischer
Komplikationen im Rahmen der Behandlung bietet das untersuchte
Patientenkollektiv sicherlich Einschränkungen. Aufgrund der schweren
zerebrovaskulären Erkrankungen waren alle Patienten während des
Aufenthaltes analgosediert, zum Teil relaxiert, sowie intubiert und mechanisch
beatmetet, was eine klinische Beurteilung zusätzlich nur sehr eingeschränkt
möglich macht.
Definitive Interpretationen der vorhandenen Ergebnisse oder generalisierte
Aussagen und Therapieempfehlungen können daher nicht getroffen werden.
5.6 Schlussfolgerung und Ausblick
Zusammenfassend kann anhand der erhobenen Daten der vorliegenden
Untersuchung vermutet werden, dass eine frühe, kontinuierliche Gabe
hypertoner 3%iger Kochsalzlösung mit einem definierten Zielbereich des
Natriumwertes von 144-155 mmol/l und der Osmolalität von 310-320 mOsm/kg,
bei Patienten mit schwerer zerebrovaskulärer Erkrankung machbar und sicher
zu sein scheint. Klinisch relevante Nebenwirkungen, die in klarem Bezug zur
52
Applikation der hypertonen Kochsalzlösung stehen, ließen sich nicht feststellen.
Dennoch sollten Vital- und Laborparameter, Elektrolytstatus, pH-Wert,
Organfunktionen und klinischer Status der Patienten engmaschig und
regelmäßig unter der Therapie mit hypertoner Kochsalzlösung kontrolliert
werden. Zu empfehlen sind sicherlich auch definierte Algorithmen, wie sie zum
Teil bereits in der Praxis empfohlen werden (2), um die Sicherheit der Therapie
zu erhöhen.
Darüber hinaus ergeben sich aus der Untersuchung Hinweise auf positive
Effekte einer frühen kontinuierlichen HS-Therapie auf den Verlauf des
intrakraniellen Drucks, das Auftreten von ICP-Krisen und die
Krankenhausmortalität. Zudem könnten die Ergebnisse der höheren
Verlaufswerte des CPP und MAP Ausdruck einer verbesserten zerebralen
Durchblutung sein und damit sekundäre zerebrale Läsionen mit potentiell
tödlichem Ausgang verhindert, bzw. verbessert werden. Dies könnte wiederum
einen positiven Effekt auf das funktionelle Outcome und die Mortalität haben.
Aufgrund der beschriebenen Limitationen der vorliegenden Untersuchung,
darunter insbesondere der Vergleich mit einer „historischen“ Kontrollgruppe,
können keine endgültigen Aussagen über positive Effekte, das funktionelle
Outcome oder auch die Langzeitprognose getroffen werden. Diese Fragen
können auch nicht in Zusammenschau mit bereits bekannten
wissenschaftlichen Erkenntnissen geklärt werden, da zum Teil nur sehr kleine
Fallzahlen, heterogene Studiendesigns und fehlende klinische Endpunkte
vorliegen. Hierfür bedarf es einer prospektiven randomisiert-kontrollierten
Studie, die durch die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit gerechtfertigt und
sinnvoll erscheint.
53
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7 Abkürzungsverzeichnis
AIS akuter ischämischer Schlaganfall
CBF zerebraler Blutfluss
CBV zerebrales Blutvolumen
CMRO2 zerebrale Sauerstoffaufnahme
CPP zerebraler Perfusionsdruck
CSWS zerebrales Salzverlustsyndrom
CT Computertomographie
CVR zerebaler venöser Gefäßwiderstand
GCS Glasgow Coma Scale
HS hypertone Kochsalzlösung
HES Hydroxyethylstärke
ICB intrazerebrale Blutung
ICP intrakranieller Druck
MAP mittlerer arterieller Druck
MCA Arteria cerebri media
MRT Magnetresonanztomographie
NaCl Natriumchlorid
Na+ Natrium
NIHSS National Institute of Health Stroke Scale
NSTEMI none ST-segment-elevation myocardial infarction
OR Odds ratio
Osmo Osmolalität
PEEP positiver endexpiratorischer Druck
RK Reflektionskoeffizient
SAB Subarachnoidalblutung
SHT Schädelhirntrauma
STEMI ST-segment-elevation myocardial infarction
TOAST Trial of Org 10172 in Acute Stroke Treatment
UKE Universitätsklinikum Erlangen
WFNS World Federation of Neurologic Societies
71
8 Vorveröffentlichung
Ergebnisse dieser Arbeit wurden in der international renommierten
Fachzeitschrift „Critical Care Medicine“ publiziert.
Early continuous hypertonic saline infusion in pati ents with severe
cerebrovascular disease
Hauer, E. M., D. Stark, D. Staykov, T. Steigleder, S. Schwab und J. Bardutzky;
Crit Care Med 39(7): 1766-72 DOI: 10.1097/CCM.0b013e318218a390
72
9 Anhang
Glasgow-Coma-Scale (133)
Punkte Augen öffnen Verbale Kommunikation Motorische Reaktion
6 Punkte — — befolgt Aufforderungen
5 Punkte — konversationsfähig, orientiert
gezielte Schmerzabwehr
4 Punkte spontan konversationsfähig, desorientiert
ungezielte Schmerzabwehr
3 Punkte auf Aufforderung unzusammenhängende Worte
auf Schmerzreiz Beugesynergismen (abnormale Beugung)
2 Punkte auf Schmerzreiz unverständliche Laute auf Schmerzreiz Strecksynergismen
1 Punkt keine Reaktion keine verbale Reaktion keine Reaktion auf Schmerzreiz
Klinische Schweregradeinteilung nach WFNS (134)
Grad Motorisches Defizit GCS
I negativ 15
II negativ 13-14
III positiv 13-14
IV positiv/negativ 7-12
V positiv/negativ 3-6
bildmorphologische Einteilung der SAB nach Fisher (37)
Grad Ausdehnung/Verteilung der Blutung
I Kein Hinweis auf Blutung
II SAB von weniger als 1 mm Breite
III SAB von mehr als 1 mm Breite, ohne Ventrikeleinbruch
IV jede SAB mit Ventrikeleinbruch (IVH) oder Ausdehnung ins Gehirnparenchym
76
10 Danksagung
Ich danke Herrn PD Dr. Dr. Lars Marquardt und Herrn PD Dr. Jürgen Bardutzky
für die Bereitstellung des Themas und die Ermöglichung der Dissertation. Herrn
Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Schwab danke ich für die Möglichkeit der Durchführung
dieser Arbeit an der neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen.
Ein besonderer Dank gilt meiner Kollegin Frau Dr. med. Eva Sauer (geborene
Hauer) für die tolle und sehr konstruktive Zusammenarbeit an diesem Thema.
Weiterhin möchte mich ich auch bei allen ärztlichen und pflegerischen Kollegen
der neurologischen Intensivstation bedanken, die mich während dieser Arbeit,
sowie meiner täglichen Arbeit auf Station unterstützt haben und wünsche Ihnen
weiterhin viel Kraft, Motivation und Freude bei ihrem unermüdlichen Einsatz bei
der Behandlung schwerstkranker neurologischer Patienten.
Darüber hinaus danke ich allen, die direkt und indirekt zum Gelingen dieser
Arbeit beigetragen haben, indem sie mir durch ihren Rat und ihre Unterstützung
behilflich waren.
Zuletzt möchte ich mich bei meiner lieben Familie bedanken, die mir vor allem
auch in den schweren Zeiten mit viel Geduld, seelischem Beistand und Freude
zur Seite gestanden ist.
77
11 Lebenslauf
Angaben zur Person
Name: David Rianto Stark
Wohnort: Universitätsstrasse 50
91054 Erlangen
Telefon: privat: 09131/930736
beruflich: 09131/85-44007
E-Mail: [email protected]
Geburtstag: 31.01.1979
Geburtsort: Hannover
Eltern: Dr. med. Hartmut Stark (Facharzt für Anästhesie,
Oberarzt im KKH Gunzenhausen), Sulimah Stark
(gelernte Krankenschwester)
Geschwister: Arsanti Stark (gelernte Einzelhandelskauffrau),
Benjamin Stark (gelernter Systemgastronom)
Familienstand: verheiratet mit Andrea Stark (Industriekauffrau), 1.
Kind Moritz Kasper Stark, 2. Kind Karl Anton Stark
Nationalität: deutsch
Schulische Ausbildung
1985 - 1989 Grundschule Hannover
1989 - 1991 Orientierungsstufe Hannover
1991 - 1998 Abitur am Gymnasium Windsbach (Note:1,8)
Wehrdienst
1998 - 1999 Zivildienst im mobilen sozialen Hilfsdienst, Diakonie
Reichelsdorf
Universitäre Ausbildung
3/2000 Beginn des Studiums der Humanmedizin an der
FAU-Erlangen-Nürnberg
03/2002 Ärztliche Vorprüfung (Note 2,0)
78
08/2003 1. Abschnitt der Ärztlichen Prüfung (Note 3,0)
03/2006 2. Abschnitt der Ärztlichen Prüfung (Note 2,0)
06/2007 3. Abschnitt der Ärztlichen Prüfung (Note 2,0)
Famulaturen
09/2002 Chirurgie und Orthopädie, KKH Gunzenhausen
03/2003 Orthopädische Praxis, Schönau am Königsee
08/2004 Innere Medizin, Medizinische Klinik III, FAU-Erlangen
02/2005 Anästhesie und Intensivmedizin, KKH
Gunzenhausen
Praktisches Jahr
04/2006 - 08/2006 Neurologie: Neurologische Klinik der FAU-Erlangen
08/2006 - 11/2006 Innere Medizin: Medizinische Klinik III, FAU-Erlangen
11/2006 - 03/2007 Chirurgie: University of Auckland, Neuseeland
Beruflicher Werdegang
Seit 08/2007 Arzt in Weiterbildung zum Facharzt für Neurologie an
der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum
Erlangen