I. Allgemeine Wirstchaftslehre

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74 ~ Schrlfttum Einzelbesprechungen und Anzeigen I. Allgemeine Wirtschaftslehre Hicks, John, A Theory of Economic History. Oxford I969. Clarendon Press. VII, i8z S. Sir John Hicks hat mit der vorliegenden Arbeit die Literatur auBerordent- lich bereichert durch eine Analyse, die nur ,con jemandem geschrieben werden kann, der einen sehr breiten historischen und theoretischen Horizont hat, und die yon jedem, der iiberhaupt ein gewisses Verh~iltnis zur Wirklichkeit hat, mit GenuB gelesen werden diirfte. Wie auch Max Weber in seiner Wirt- schaftsgeschichte 1 setzt Hicks das historische Detail als bekannt voraus und zeigt die groBen Linien, d.h. die Trends der Entwicklung auf. Allerdings geschieht das nicht im Sinne yon Toynbee und Spengler, sondern wesentlich fundierter in der Sache. Dafiir biirgt schon die theoretische Qualifikation des Verfassers. Es werden also nicht einfach billige Durchschnitte oder Ten- denzen hervorgehoben, sondern es geht um echte Probleme. Im einleitenden Teil werden die Zusammenh~nge zwischen Theorie und Geschichte aufgezeigt und an einem Beispiel erlt~utert. Dabei wird man sehr deutlich an Max Webers Formulierungen erinnert. Es ware lohnend, diesem Vergleich im einzelnen nachzugehen, ohne dab hier der Ort dafiir ist. Dem- entsprechend ist Hicks auch -- ebenso wie Weber -- weit davon entfernt, vorhandene Kr~ifte ohne weiteres in die Zukunft zu extrapolieren. Im einzelnen behandelt Hicks das Aufkommen des Marktes, indem er verschiedene Krt~fte des Handels in einzelnen Etappen der Weltgeschichte aufzeigt. Er kommt dabei zu der wichtigen Feststellung, dab der Merkantilis- mus keineswegs eine geplante Befehlswirtschaft ist, sondern auf weitgehend individualistischen Kr~ften beruht. In einem besonderen Abschnitt werden die Stadtstaaten und Kolonien untersucht. Es sei dabei betont, dab Hicks auch weitgehend die asiatische Geschichte beriicksiehtigt. Die Stadtstaaten Europas werden in ihrer historischen Funktion zutreffend gewiirdigt. Es handelt sich dabei nicht etwa um eine Sch6pfung der Griechen, vor ihnen miissen bereits die Ph6nizier erwtihnt werden. Hicks zieht auch Parallelen yon Stadtstaaten des mittelalterlichen Italiens zu denen der italienischen Renaissance. Wenn er nun auch feststellt, ,it is the same story,, so weiB er doch die Unterschiede zu wiirdigen, wenn man etwa an die Hanse denkt. Er schlieBt mit dem Hinweis, dab diese Stadtstaaten auf dem Handel be- ruhten. Als ihre Handelskraft zuriickging, waren sie in Gefahr. 1 M. Weber, Wirtschaftsgeschichte. AbriB der universalen Sozial- und Wirtschafts- Geschichte. Miinehen, Leipzig I923.

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74 ~ Schrlfttum

Einzelbesprechungen und Anzeigen

I. Allgemeine Wirtschaftslehre

Hicks, John, A T h e o r y o f E c o n o m i c H i s t o r y . Oxford I969. Clarendon Press. VII , i8z S.

Sir John Hicks hat mit der vorliegenden Arbei t die Li tera tur auBerordent- lich bereichert durch eine Analyse, die nur ,con jemandem geschrieben werden kann, der einen sehr breiten historischen und theoretischen Horizont hat, und die yon jedem, der i iberhaupt ein gewisses Verh~iltnis zur Wirklichkeit hat, mit GenuB gelesen werden diirfte. Wie auch Max Weber in seiner Wirt- schaftsgeschichte 1 setzt Hicks das historische Detail als bekannt voraus und zeigt die groBen Linien, d . h . die Trends der Entwicklung auf. Allerdings geschieht das nicht im Sinne yon Toynbee und Spengler, sondern wesentlich fundierter in der Sache. Dafiir biirgt schon die theoretische Qualifikation des Verfassers. Es werden also nicht einfach billige Durchschnit te oder Ten- denzen hervorgehoben, sondern es geht um echte Probleme.

Im einleitenden Teil werden die Zusammenh~nge zwischen Theorie und Geschichte aufgezeigt und an einem Beispiel erlt~utert. Dabei wird man sehr deutlich an Max Webers Formulierungen erinnert. Es ware lohnend, diesem Vergleich im einzelnen nachzugehen, ohne dab hier der Ort dafiir ist. Dem- entsprechend ist Hicks auch -- ebenso wie Weber -- weit davon entfernt , vorhandene Kr~ifte ohne weiteres in die Zukunft zu extrapolieren.

Im einzelnen behandelt Hicks das Aufkommen des Marktes, indem er verschiedene Krt~fte des Handels in einzelnen Etappen der Weltgeschichte aufzeigt. Er kommt dabei zu der wichtigen Feststellung, dab der Merkantilis- mus keineswegs eine geplante Befehlswirtschaft ist, sondern auf weitgehend individualistischen Kr~ften beruht. In einem besonderen Abschnit t werden die Stadts taaten und Kolonien untersucht. Es sei dabei betont, dab Hicks auch weitgehend die asiatische Geschichte beriicksiehtigt. Die Stadts taa ten Europas werden in ihrer historischen Funkt ion zutreffend gewiirdigt. Es handelt sich dabei nicht etwa um eine Sch6pfung der Griechen, vor ihnen miissen bereits die Ph6nizier erwtihnt werden. Hicks zieht auch Parallelen yon Stadts taaten des mit telal terl ichen Italiens zu denen der italienischen Renaissance. Wenn er nun auch feststellt, , i t is the same story,, so weiB er doch die Unterschiede zu wiirdigen, wenn man etwa an die Hanse denkt. Er schlieBt mit dem Hinweis, dab diese Stadts taa ten auf dem Handel be- ruhten. Als ihre Handelskraft zuriickging, waren sie in Gefahr.

1 M. Weber, Wirtschaftsgeschichte. AbriB der universalen Sozial- und Wirtschafts- Geschichte. Miinehen, Leipzig I923.

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Im folgenden Kapitel fiber das Aufkommen des Geldes und des Kredites, hebt er die Erfindung der Limited Liabil i ty Company in ihrer Bedeutung fiir die Kapitalbeschaffung und Gewinnerzielung der Investoren hervor. In einem weiteren Abschnit t wird die Bedeutung der Staatsfinanzen analysiert. Hicks schreibt ihnen fiir das Aufkommen des Kapitalismus eine wesentlich gr6Bere Bedeutung zu als Max Weber.

In dem Abschnitt ~The Mercantilisation of Agriculture, zeigt Hicks yon der Vorgeschichte bis zur Gegenwart die groBen Ver/inderungen in der Sozial- verfassung der ganzen Welt. Dementsprechend muB man z. B. die russische Entwicklung nur als Teil eines allgemeinen Prozesses verstehen. Im zw61ften und dreizehnten Jahrhunder t ist Deutschland 6stlich der Elbe ein Kolonial- gebiet. Mit dem Riickgang der Bev61kerung in Europa werden die neuen Gebiete extra-marginal. Die Unterschiede zwischen Ost- und Westeuropa werden ansehaulich herausgearbeitet.

Die Wandlungen speziell der Sozialstruktur werden deutlich in dem Kapitel tiber den Arbeitsmarkt. Hicks f/ingt bei der Sldaverei an. Die veto schiedenen Situationen eines reichlichen und geringen Angebots auf dem Sklavenmarkt werden eingehend untersucht. Der Sklavenhandel wurde i8o6 in England und x865 in den Vereinigten Staaten abgeschafft. In dem Zu- sammenhang wird auch die Bedeutung des Negerproblems besprochen.

Die gesamte Analyse kulminiert schlieBlich in dem Kapitel fiber die industrielle Revolution. Hicks verlangt mit Recht eine wirtschaftswissen- schaffliche Antwort. Die Industrialisierung des neunzehnten Jahrhunder ts wird als eine Fortsetzung des Prozesses merkanti ler Entwicklung angesehen. Sehr souver~n werden die Phasen der technischen Ver~nderungen im 6kono- mischen Sinne herausgearbeitet. Der Lohn-lag im IndustrialisierungsprozeB muB erkl/~rt werden. Ebenso ist kein Zweifel, dab die Maschine Arbeiter freisetzt. Hicks versucht hier in theoretischer Komprimierung Wandlungen herauszuarbeiten, die wir zwar kennen, die aber in dieser theoretisch sauberen Form selten geboten werden. Auch die Frage der Kapi talbi ldung im neun- zehnten Jahrhunder t wird eingehend behandelt. Hicks schlieBt mit einer Analyse der Industriebev61kerung, ohne dab ausfiihrlich auf das Problem der Entwicklungsl~nder eingegangen wird.

AbschlieBend soil noch einmal hervorgehoben werden, dab auch fiir die Kenner der Wirtschaffsgeschichte teilweise neue Perspektiven aufgezeigt werden. Insofern verdient die Arbeit h6chste Anerkennung. Fiir den Anf~nger jedoch besteht die Gefahr einer zu frfihen Verallgemeinerung. Gerade hier k6nnte man sagen, der Teufel steckt im Detail. W . G . H o f f m a n n

Frisch, Helmut, G e b u n d e n e r t e c h n i s c h e r F o r t s c h r i t t u n d w i r t s c h a f t - t i c h e s W a c h s t u m . (Wiener wirtschafts- und finanzwissenschaffliche Untersuchungen, hrsg. ,con W i l h e l m W e b e r , Bd. I.) Berlin I968. Duncker & Humblot. I48 S.

I. Der Autor besch~ftigt sicb in dieser Monographie mit der Einbeziehung des technischen Fortschrit ts in die neoklassische Wachstumstheorie, und

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zwar mit dem vor allem auf Johansen und Solow zurfickgehenden Konzept des ~embodied technical progress,, also jenes technischen ~Fortschritts, dessen Durchsetzung an neue Kapital investi t ionen bzw. an den Einsatz entsprechend ausgebildeter Arbeitskr~fte gebunden ist. Im AnschluB an Solow und Olgaard definiert er die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapi ta l in Effizienzeinheiten, die neben einem ,ungebundenen~ technischen Fortschri t t (~Zeiteffekt,) und einem die Abschreibungen erfassenden ~Alterseffekt, auch den gebundenen technischen Fortschrit t (~Vintageeffekt,) beriicksichtigen. Er gelangt damit, wie vor ibm z.B. Olgaard, zu einem neoklassischen Wachstumsmodell mi t einer verallgemeinerten Definition der Produktionsfaktoren. Ftir dieses Modell best immt er die Wachstumspfade der zentralen 6konomischen Variablen, wie Sozialprodukt, H6he und Altersaufbau des Kapitalstocks, Kapitalkoeffi- zient, Lohnsatz, Zinssatz usw., und vergleicht diese Pfade und die Geschwin- digkeit ihrer Konvergenz zum Wachstumsgleichgewicht mi t jenen, die sich bei einem entsprechenden ausschlieBlich ungebundenen technischen Fort- schritt ergeben wfirden.

2. Die expliziten Berechnungen der Wachstumspfade usw. sind relativ leicht m6glich, weil die Untersuchung v611ig auf der Cobb-Douglas-Produk- t ionsfunktion (mit konstanten Skalenertriigen) basiert. Zu seiner ~Entschul- digung* fiihrt der Autor im AnschluB an Nelson den Beweis, dab z. B. die Verwendung der CES-Funktion nur zu geringffigigen Ver~nderungen der Wachstumsrate fiihrt oder dab man zumindest die Richtung der Abweichungen angeben kann. Allerdings wfirden sich bei der Verwendung einer CES-Funkt ion mit einer Substitutionselastizit~t ungleich eins doch einige zus~tzliche Schwie- rigkeiten ergeben, weil hier der technische Fortschri t t nicht von vornherein Harrod-neutral ist, so dab nicht ohne weiteres ein Wachstumsgleichgewicht existiert, auf das es dem Verfasser doch u. a. ankommt.

Die Tatsache, dab Frisch (nach einer Methode yon Solow) trotz des mi t dem gebundenen Fortschrit t verbundenen ~vintage approach, eine verniinftige aggregierte Produktionsfunktion erhlilt, liegt an der Annahme, dab Arbeit und Kapital auch ex post substi tuierbar sind. Es ist nicht nur so, dab das Modell unter dieser Annahme Meichter zu manipulieren, ist (S. 35) als un te r der Annahme der ex-post-Limitationalitiit , sondern dadurch wird t iberhaupt erst eine verniinftige Bildung der Aggregate Kapital und Arbeit m6glich.

Vielleicht w~re es gut gewesen, wenn der Autor von Anfang an den Begriff des Wachstumsgleichgewichts, den er mi t ~golden age, umschreibt, klar definiert h~tte. Er spricht in der Regel yon gleichgewichtigem Wachstum, wenn Investi t ion und Ersparnis ex ante gleich sind. Abet auf S. 52 sagt er z. B., dab das Sozialprodukt im Gleichgewicht mit der Rate n + X wachse -- hierbei ist das golden-age-Gleichgewicht gemeint.

3. Die folgenden kritischen Anmerkungen beziehen sich lediglich auf Detailfragen. Auf S. 54 wird m. E. die falsche Gr6Be als ,own rate of interest , bezeichnet. Es sind p der Giiterpreis der Wirtschaft, r die Profitrate und i der Geldzins. Dann muB die yon Frisch angegebene Beziehung

r / p = i - p / p

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gelten. Frisch bezeichnet hierbei r /p als )~wn rate of interest, . Nun erhiilt man die angegebene Beziehung dadurch, dab man die Gleichung

t r [ ] ] p ( t ) - - - - f r ( ~ ' e x p -- i(v) d~ d t

nach t differenziert. Hierbei zeigt sich, dab nicht r/p, sondern i der Eigen- zins der IZapitalgiiter ist (an den sich unter Wettbewerbsbedingungen der Geldzins anpassen mul3).

Auf S. 56 finde ich die Beziehung K N = S (Lt, r) unklar. VVieso folgt sie a u s (2.1) ?

Die Gleichung (4.3) auf S. 59 ist keine Invest i t ionsfunktion im eigent- lichen Sinne, es handelt sich nur um eine Definition der Anderung des Kapital- stocks, die man durch Differentiation aus (1.8) erhiilt.

Auf S. 65 muI3 es heil3en, dab sich die Profitrate im Wachstumsgleich- gewicht nicht iindert, die Profite wachsen natiirlich.

Auf S. 74 scheint mir der Satz etwas tibertrieben, dab man die AbhAngig- keit des E i n k o m m e n n i v e a u s yon der Sparquote im Wachstumsgleich- gewicht meist nicht beachte -- die umfangreiche Li tera tur zur ,golden rule of accumulation, usw. beweist doch im Grunde das Gegenteil.

Auf S. 86 steht das Symbol w, das Frisch sonst fiir den Lohnsatz ver- wendet, offensichtlich als Abktirzung fiir die Wachstumsrate.

Bei den Ausfiihrungen auf S. 92 miii3te man vielleicht hinzufiigen, dab sie fiir das Wachstumsgleichgewicht gelten.

4. Der Leser dieser Rezension wird bemerken, daft die krit ischen An- merkungen nicht ohne Miihe zusammengesucht sind. In der Ta t handel t es sich um eine AuSerst klare, saubere und interessante Untersuchung, die deut- lich zeigt, dab der Verfasser an der vordersten Linie der Wachstumstheorie arbeitet. Sein Buch ist ein gelungener Auf takt fiir die neue Reihe der ,Wiener wirtschafts- und finanzwissenschaftlichen Untersuehungen*.

W i n f r i e d V o g t

Diirr, Ernst, P r o b l e m e d e r K o n j u n k t u r p o l i t i k . Mit einem Vorw. yon A l f r e d M i i l l e r - A r m a c k . (BeitrAge zur Wirtschaftspolitik, Bd. 7.) Frei- burg im Breisgau 1968. Rombach. 309 S.

Unter dem obigen Titel ist eine Reihe yon Aufsiitzen und Vortr~gen yon Diirr in den Jahren 1961--1967 zusammengefai3t worden -- versehen mit eincm Vorwort ,con Miiller-Armack und einer knappen wissenschafts- theoretischen Einleitung yon Diirr. Sie soll die Beziehungen zwischen Wirt- schaftstheorie und Konjunkturpoli t ik beleuchten. Dies ist das eigentliche Problem der Konjunkturpolit ik, wie Dtirr sie sieht.

Das erkl~rt zu einem Teil, warum sich die einzelnen Beitriige fast nahtlos zu einem Gesamtwerk vereinigen lassen. Das geschieht im ersten Haupt te i l (S. 39ff.) unter dem Thema ,Probleme der quant i ta t iven Wirtschaftspoli t ik,

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und in einem zweiten Haupt te i l (S. I37ff.) unter dem Thema ,Ordnungs- probleme der Konjunkturpoli t ik, . Den AbschluB bildet ein Beitrag fiber ~Die Bedeutung der Konjunkturpol i t ik ffir die Aufrechterhal tung der Sozialen Marktwirtschaft , (S. 29off.).

AuBerdem umreiBt Mtiller-Armack den wertenden, ordnungspolitischen Ausgangspunkt der konjunkturpolit ischen Erdrterungen von Dfirr:

i. Er ffihrt ,~die groBen gedanldichen Modelle [weiter], mit deren Hilfe unsere Wissenschaft ihre wesentlichen Fortschr i t te nach dem Kriege erzielen konnte, (S. i2), z. B. das Modell der Sozialen Marktwirtschaft .

2. , In der Erkenntnis der Begrenzung quant i ta t iver Vorausberechnungen und in der Anerkennung qual i ta t iver Ziele der Wirtschafts- und Kon- junkturpoli t ik bleibt das Gleichgewicht zwischen Tradit ion und mutigem Fortschri t t gewahrt , (S. 12).

Dieser Ausgangspunkt macht einen, gerade fiir die Bundesrepublik Deutschland charakteristischen, wirtschaftspolitischen Konflikt deutlich, den Dfirr durch gelegentliche Hinweise auf die ,Rahmenplanung Schillerscher Pr~tgung, (S. 139, Anm. I ; 4 o) und auf SchiUers Warnung vor einem neuen ,Schmoller-Effekt, (S. I8f., 22) anspricht 1. Gegenfiber dem zu einer ~quantita- riven Wirtschaftspolit ik, ffihrenden Vertrauen in die moderne 5konomische Theorie betont Mfiller-Armack im Vorwort ~die groBen gedanklichen Modelle,, die sich darauf beschriinken, die Qualitiit der Wirtschaftspoli t ik zu bestimmen.

Die Hervorhebung dieser ~Modelle, ruft anderseits in Erinnerung, dab ein Modell yon der Wirklichkeit nicht an die mathematische Formulierung gebunden ist -- eine Tatsache, die sicher zuweilen in Vergessenheit gerAt. Die Mathematik ist nur eine Art Kurzschrift ffir solche groBen gedanklichen Modelle. Sie fiihrt aber auf der anderen Seite -- was auch nicht fibersehen werden sollte -- zur besseren Einsicht in die logische Struktur solcher Modelle und ihrer Implikationen. AuBerdem haben mathemat isch formulierte Modelle den Vorteil, dab sie dem Bedfirfnis des Okonomen entgegenkommen, das wirtschaftliche Geschehen auf Heller und Pfennig exakt zu berechnen. Kein Unternehmer wird sich davon abhalten lassen, auch wenn die verffigbaren betriebswirtschaftlichen Theorien ungenau sind. Es kennzeichnet jedoch den erw~ihnten wirtschaftspolitischen Konffikt, dab bezweifelt wird, ob aus volks- wirtschaftlichem Blickwinkel yon einer ~Rechenhaftigkeit, des wirtschaft- lichen Geschehens ausgegangen werden kann. Dieser Zweifel prXgt die kon- junkturpolit ischen Oberlegungen yon Diirr.

Diese 13berlegungen befassen sich hauptsAchlich mit der Frage, wie StabllitAt des Wirtschaftsablaufs (stabile Preise, VollbeschAftigung, ausge- glichene Zahlungsbilanz) mit geldpolitischen Mitteln erreicht werden kann. Diirr bietet dazu eine Ffille yon Li tera tur sowie von empirischen Ergebnissen wirtschafts- bzw. konjunkturpolit ischer MaBnahmen in einzelnen LAndern.

Vgl. dazu auch: E. D firr, Zur Theorie der Wir tschaftspolitik, *Finanzarchiv*, Ttibingen, N. F., Bd. 26 (i967), S. 15off., wo sich der Verfasser mit K. Schiller (Der ~konom und die Gesellschaft, Das freiheitliche und das soziale Element in der modernen Wirtschafts- politik, VortrAge und AufsAtze, Stuttgart 1954) auseinandersetzt.

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Grundlage daffir dfirfte seine Habili tationsschrift ,Wirkungsanalyse der monet~tren Konjunkturpol i t ik , 1 sein.

In der wissenschaftstheoretischen Einlei tung fiber die Beziehungen zwi- schen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik fragt Dfirr insbesondere danach, welche theoretischen Grundlagen es ffir die Konjunkturpol i t ik gibt. Er sucht nach +richtigen Theorien,, die ,>unter best immten, empiriseh fest- stellbaren Bedingungen allgemein, das heiBt zu alien Zeiten<<, gfiltig sind und genaue Prognosen erlauben (S. 4 I, I6f.). Die empirische Oberpriifung soil dabei gem~tB der Forderung der modernen Wissenschaftstheorie das Ziel haben, eine Hypothese zu widerlegen (falsifizieren), nicht zu best~ttigen (verifizieren).

Da es an Theorien, die diesen Anforderungen entsprechen, mangelt -- im sozialwissenschaftlichen Bereich wohl immer mangeln wird --, kann man, wie Dtirr folgert, bei dem gegenw~trtigen Stand der 6konomischen Theorie yon ihr nur qualitative Hinweise ffir den Einsatz der Konjunkturpol i t ik erwarten (S. 36). Bei dem strengen MaBstab, mit dem die Brauchbarkeit der Theorien ffir wirtschaftspolitische Entscheidungen gemessen wird, w~tre jedoch zu Iragen, ob selbst die +qualitativen Hinweise+ genfigend empirisch gesichert sind.

Nach der Abgrenzung der Beziehungen zwischen Vv'irtschaftstheorie und Konjunkturpol i t ik fragt Dfirr, *ob andere Methoden eine quant i ta t ive Wirt- schaftspolitik in dem Sinne erm6glichen, dab der ~Virtschaftspolitiker auf quantifizierte Ziele und Mittel im Rahmen eines Programmbudgets fest- gelegt wird, (S. 36). Die Antwort erfolgt im ersten Haupttei l des Buches.

Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit die Volkswirtschaftliche Gesamt- rechnung eine wirtschaftspolitische Auswertung zul~tBt, und zwar im nat ionalen Rahmen (T. i, S. 37ff.) und im internat ionalen Rahmen (T. z, S. xo5ff. ). Abweichend yon der Gepflogenheit in der 6konomischen Theorie versteht Dfirr unter Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung sowohl die ex-post- als auch die ex-ante-Rechnung (S. 40). Er m6chte das Wort Nationalbudget vermeiden und bevorzugt daffir die \Vortbildung ,prospektive Gesamtrech- nung, (S. 4I). Die Eignung tier Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zur Veranschaulichung einer vergangenen Entwicklung sowie zur Kontrolle cter Wirkung wirtschaftspolitischer MaBnahmen der Vergangenheit erkennt Dfirr an. Der Wert der ex-ante-Rechnung, des Nationalbudgets, ftir die Wirtschafts- politik, wird jedoch yon der Genauigkeit der zugrunde liegenden Prognosen abh~ngig gemacht. Als Grundlage einer zuverl~tssigen Prognose wird eine ~>richtige Theorie, gefordert. Da solche Theorien, wie einleitend begrfindet worden ist, gegenwiirtig vermiBt werden, entbehr t das Nationalbudget einer zuverlAssigen Grundlage (vgl. S. 4of., 5off.).

Das liil3t es Dfirr unvernfinftig -- und keinesfalls als +rationalere, Wir t - schaftspolitik -- erscheinen, die staatliche Wirtschaftspolitik auf ein National-

113. D iir r, Wirkungsanalyse der monetiiren Konjunktttrpolitik. (lnstitnt fiir VCirtschafts- politik an der Universitlit zu KSln, Schriften znr Wirtschaftspolitik, Bd. 4.) Frankfurt am Main x966.

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budget festzulegen (S. 69, 44, Anm.). Der Ausweg fiber Projektionen der zukiinftigen Entwicldung aufgrund 6konometrischer Modelle scheint Diirr gerade in der Bundesrepublik weniger empfehlenswert als vielleicht in anderen Lgndern; denn in der Bundesrepublik sei wegen der als Kriegsfolge vor- handenen Wirtschafts- und Sozialstruktur und der Dynamik der Nachkriegs- entwicklung kaum mit konstanten Strukturparametern zu rechnen (S. 46).

Es bleibt der Wirtschaftspolitik -- gemAB den einleitenden Schlul3folge- rungen fiber die Eignung der 6konomischen Theorie als Grundlage der Non- junkturpol i t ik -- nur die M6glichkeit, sich auf ,Aussagen tiber die Wirkungen best immter Inst i tut ionen auf den Wirtschaftsablauf und fiber die Richtung, in der staatliche Eingriffe in den Wirtschaftsprozel3 wirken~, zu beschritnken (S. 7o). Diese Beschr~nkung, so folgert Dfirr, sei jedoch ~in einer ~Wirtschaftsordnung, in der die Koordinierung der WirtschaftsplAne primiir am freien Markt erfolgt,, yon untergeordneter Bedeutung. ,Die Kenntnis der Richtung wirtschafts- politischer Eingriffe, die Bereitstellung eines flexiblen Ins t rumentar iums der Wirtschaftspolitik und die Schaffung bzw. Erhal tung einer flexibilitAts- und wettbewerbsf6rdernden Vv'irtschaftsordnung sind ausreichend, um VollbeschAf- tigung, PreisstabilitAt, Zahlungsbilanzausgleich und Wirtschaftswachstum zu erreichen, (S. 70).

Demgegenfiber birgt ein Nationalbudget, wie Diirr beffirchtet, sogar die Gefahr, dab aus einer unverbindlichen Prognose leicht ein wirtschaftspoliti- sches Programm werden kann. Deshalb seien Warnungen vor einer ,Trans- formation der Wirtschaftsordnung, nicht unberechtigt. Das werde auch von dem gegenw~irtigen Wirtschaftsminister Schiller anerkannt (S. 49).

Die Gefahr einer Transformation der Wirtschaftsordnung in der Bundes- republik habe nach Dfirr insbesondere die Bemiihungen um eine q u a n t i t a t i v e W i r t s c h a f t s p o l i t i k im i n t e r n a t i o n a l e n R a h m e n heraufbeschworen, d .h . alas Aktionsprogramm der EWG-Kommission von I962 (S. 7 o, IoSff.). Dank der Bemfihungen und des Widerstandes yon deutscher Seite habe jedoch im Konzept der ,mittelfristigen Wirtschaftspolitik, eine Riickkehr zur ,quali tat iven Wirtschaftspolitik, erreicht werden k6nnen (S. I25ff.).

Die Oberlegungen zur quant i ta t iven Wirtschaftspolitik sind somit yon ordnungspolitischen Problemen kaum zu trennen. Der z w e i t e H a u p t t e i l des Buches (Ordnungsprobleme der Konjunkturpoli t ik, S. I37ff.) behandelt speziell Probleme der nat ionalen und internationalen Geld- und W~hrungs- ordnung. Das Hauptanliegen Diirrs ist es hier, institutionelle Voraussetzungen aufzuzeigen, die die Wirksamkeit der Geldpolitik als bevorzugtes Ins t rumen t der Konjunkturpol i t ik auch bei freier Konvertibil i t~t tier W/ihrung sichern. Dieses Ziel sieht Dfirr nur bei flexiblen Wechselkursen als gew/ihrleistet an (S. 257ff. ). Fiir die EWG h~ilt er eine L6sung fiir vertretbar, die gegeniiber DrittlRndern itexible Wechselkurse, innerhalb der EWG jedoch feste Wechsel- kurse vorsieht (S. 284ff. ). Die allgemein bef/irchteten Nebenwirkungen flexibler Wechselkurse auf den internat ionalen Handels- und Kapitalverkehr sieht Dfirr als relativ gering an (S. 279ff. ). Soweit Nachteile im Vergleich zu einem System fester Wechselkurse auftreten wiirden, lieBe sich das Wechsel-

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kursrisiko fiber den Devisen-Terminmarkt in kalkulierbare Kosten ver- wandeln. Fiir Auflenhandelsgesch~ifte mit mehrj~hrigen Zahlungsfristen, fiir die bisher Devisentermingesch~ifte nicht fiblich sind, k6nnte der Staat durch Schaffung neuer Inst i tut ionen helfen. Diirr denkt an die Einr ichtung eines Devisen-Terminmarktes ffir mehrj~ihrige Termingesch~ifte sowie an staat- liche Anreize fiir pr ivate Versicherungsgesellschaften, eine ~Devisenkurs- schwankungs-Versicherung(( zu entwickeln.

Auch in diesem Teil seiner l~berlegungen vermit te l t Diirr dem Leser eine Fiille von Li teratur und empirischen Ergebnissen wirtschaftspolitischer Mal3nahmen einzelner L~nder. Die empirische 1]berpriifung aufgestellter Hypothesen entspricht jedoch nicht immer den strengen Anforderungen, die in der wissenschaftstheoretischen Einlei tung aufgestellt worden sind, um ~)richtige Theorien, zu erhalten. Auf diese Weise ents teht der Eindruck, als werde die Eignung der 6konomischen Theorie als Grundlage tier Konjunktur- politik mit einem anderen Mal3stab gemessen als die der spi~ter benutzten ad-hoc-Hypothesen.

Der letzte Abschnitt des Buches ~)Die Bedeutung der Konjunkturpol i t ik fiir die Aufrecbterhaltung der Sozialen Marktwirtschaft(~ fiihrt direkt zuriick zu den yon Miiller-Armack in seinem Vorwort angesprochenen groi3en gedank- lichen Modellen. Gerade was sie angeht, insbesondere das Modell einer freien marktwirtschaftl ichen Ordnung, wirft die Argumentat ion yon Diirr die Frage auf, ob eine zu grol3e Zuriickhaltung gegeniiber der 5konomischen Theorie in ihrer gegenwi~rtigen unvollkommenen Form sowie die damit begrtindete Abneigung gegen eine ~)quantitative Wirtschaftspoli t ik, nicht die Verteidigung einer freien marktwirtschaftl ichen Ordnung gefiihrden kSnnte.

Wir erleben es heute, dal3 gerade yon seiten der Unternehmer Forderungen nach ,mehr wirtschaftspolitischen Intervent ionen und mehr Planung, (Forde- rung des Vorstandsvorsitzenden der Rheinischen Stahlwerke, S6hngen ]) an die Bundesregierung herangetragen werden. Man k(innte hierin eine zeit- gemABe Form tier Forderung Euckens nach ~Konstanz tier Wirtschaftspoli t ik, als konsti tutives Prinzip erblicken. Wenn der Staat diese Sicherheit ffir die langfristigen Investi t ionen der pr ivaten Wirtschaft nicht in eigener Verant- wortung seiner demokratischen Entscheidungsgremien schafft, kSnnte ein Interventionismus yon Fall zu Fall aufgrund des politischen Druckes yon Interessengruppen die Folge sein.

Damit erhielte der yon Eucken 2 gebrandmarkte ~Wirtschaftsstaat(c neue Aktualit/it. Die ~>moderne Industriegesellschaft<~, wie sie Galbraith a aus der amerikanischen Wirklichkeit ableitet, zeigt durchaus Ziige des Euckenschen Wirtschaftsstaats.

1 Vgl. *Die Zeit*, Hamburg, vom 23. Juni x967, S. 37.

2 Vgl. W. Eucken, Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus. ,Weltwirtschaftliches Archiv*, Bd. 36 (1932 II), S. 297ff.

a Vgl. J. K. Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft. Aus dem Amerikan. fibers. yon N. WSlfl. Miinchen u. ZiJrich I968.

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Insgesamt liiBt sich feststeUen, dab das vorliegende Buch yon Dtirr mi t seiner Ftille yon verarbeiteter :Literatur und Fakten tiber Ergebnisse kon- junkturpolit ischer MaBnahmen in einzelnen L~ndern ein gutes Lehrbuch ftir wirtschaftspolitische, speziell konjunkturpoli t ische Argumenta t ion an Hand von ad-hoc-Hypothesen darstellt.

R e i n h a r d B l u m

Leon, Paolo, S t r u c t u r a l C h a n g e a n d G r o w t h in C a p i t a l i s m . A Set of Hypotheses. Transl. and Rev. by the Author. Baltimore 1967. The Johns Hopkins Press. XIV, 162 S.

Der Verfasser, Mitarbeiter der volkswirtschaftlichen Abteilung der , In ter- nat ional Bank for Reconstruction and Development, in Washington legt mi t dem vorliegenden Werk eine yon ihm selbst revidierte und ins Englische fibersetzte Ausgabe seines 1965 zuerst in italienischer Sprache ver6ffentlichten Buches ,Ipotesi sullo sviluppo dell 'economia capitalistica, vor.

Er versucht in seiner Studie, eine Grundlage ftir eine neue allgemeine Interpretat ion der Struktur und des Entwicklungsprozesses des kapitalistischen Systems zu geben und den Nachweis zu ffihren, dab das marktwirtschaftl iche System auch auf lange Sicht mit seinen charakteristischen Merkmalen un- ver~indert weiterbestehen kSnne.

Dabei macht er folgende vier wichtige Annahmen:

i. Er unterscheidet zwischen einer kurz- und langfristigen Betrachtung und geht yon der Hypothese aus, dab das Exis tenzminimum variabel sei.

2. Er unterstel l t best immte realistische Erwartungen bzw. ein best immtes Verhalten der Unternehmer.

3. Er geht v o n d e r Hypothese aus, dab die Profitrate in einer Volkswirt- schaft keineswegs einheitlich sei, sondern dab sie sich dauernd yon Industr ie zu Inctustrie verAndere, wodurch die vorhandenen monopolistischen Tendenzen noch verstArkt werden, u n d e r erwartet

4. eine langandauernde Vorherrschaft der Proctuktion fiber den Verbrauch, d. h. er rechnet mit der M6glichkeit, dab die Erzeuger die Preise der meisten Waren bestimmen k6nnen.

Im ersten Kapitel (,Questions of In terpre ta t ion of the Capitalist Economy,) behandelt der Verfasser einige wesentliche Punkte , die nach seiner Ansicht fiir eine zutreffende Interpreta t ion des kapitalistischen Systems relevant sind, n/imlich: i. Die Schwierigkeit cter Messung des Werts im Zeitablauf, 2. die Hypothese der gleichen Profitrate in der Volkswirtschaft, 3. die Unterstel lung einer konstanten Zusammensetzung des Konsums, 4. die Annahme des Vor- herrschens yon Wettbewerbsbedingungen uncl 5- die Hypothese yon alter- nat iven technischen Procluktionsverfahren, die je nach den zur Zeit vor- herrschenden Profitraten bzw. LShnen ausgew~hlt wercten kSnnen.

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Im zweiten Kapitel (,A Simplified Model: Definitions and Restrictive Assumptions*) versucht der Verfasser, ein einfaches Modell zu entwickeln, das er seiner Untersuchung zugrunde legt. Von seinen Annahmen sei als besonders wichtig die Interpretat ion des Exis tenzminimums hervorgehoben, das er als variabel ansieht, d .h . als psychologisches Exis tenzminimum definiert. Zur wesentlichen Charakteristik des Kapital ismus halt er es fiir hinreichend, die Gesellschaft in zwei Klassen einzuteilen, nAmlich in die Unternehmer-Kapitalisten, die ihr Einkommen, das zur GAnze aus Profiten herriihrt, sparen und investieren, und in Arbeiter, die ihr gesamtes Ein- kommen, das sie ausschlieBlich in Form yon Ldhnen beziehen, verbrauchen.

Als notwendige Bedingung des kapitalistischen Systems unterstell t der Autor ferner, dab die Unternehmer beabsichtigen, ihre Gewinne zu maximieren. Hinsichtlich der Marktstruktur wird zwar keine besondere Marktform hervor- gehoben, jedoch halt tier Verfasser nicht die vollstAndige Konkurrenz, sondern vielmehr alle FAlle der monopolistischen Konkurrenz fiir realistisch.

Im dri t ten Kapitel (,A Structural Aspect of Economic Growth: The Differentiation of Profit Rates,) kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, dab die Profite in einer Volkswirtschaft auBerordentlich unterschiedlich seien, ebenso wie einzelne Wirtschaftssubjekte nicht die gleiche Belohnung fiir die gleichen Bemiihungen erhielten. Der Verfasser halt mit Rficksicht auf diese Verschiedenheit der Gewinne auch eine unterschiedliche Hdhe der Zinsraten in einer Volkswirtschaft f/Jr notwendig.

Im vierten Kapitel (,The Technical Conditions of Production*) studiert der Autor die Bedingungen und das Wesen des tatsAchlichen kapitalistischen Entwicklungsprozesses. Es wird gezeigt, dab der technische Fortschri t t eine notwendige Vorbedingung fiir das gleichmABige Wachstum des kapitalistischen Systems ist.

Im ffinften Kapitel (,The Development of Capitalist Production,) wird der i achweis gefiihrt, dab der VCachstumsprozeB des kapitalistischen Systems auf lange Sicht auf einer Zunahme der QuantitAt und auf einem stAndigen Wechsel der Art der Waren beruht, welche die wesentlichen Bestandteile des individuellen Verbrauchs bilden.

Im abschlieBenden sechsten Kapitel (,The Role of Consumption in the Capitalist Economy,) gelangt der Autor zu dem Ergebnis, dab das Wachs- tum des kapitalistischen Systems, das durch die dauernde Einfi ihrung tech- nischer Neuerungen erm6glicht wird, yon der Zunahme des Verbrauchs ab- hAngt, der sich im Sinne des Engelschen Gesetzes Andert.

In einem Anhang werden schlieBlich die Probleme einer offenen Volks- wirtschaft nnd der Auswahl besonderer Produktionsverfahren 4iskutiert.

Obwohl sich das vorliegende Werk ausschlieBlich mit Problemen der reinen Theorie befaBt, ergeben sich aus ihrer Behandlung wichtige methodo- logische und auch wirtschaftspolitische Konsequenzen. Es ware zu wiinschen, dab diese gedankenreiche und anregende Schrift eine fruchtbare Diskussion der in ihr aufgeworfenen Fragen ausldsen wird.

A n t o n Z o t t m a n n

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8 4 . Schrifttum

Miiller, Klaus O. W., Die b i i r g e r l i c h e K r e i s l a u f t h e o r i e . Eine Aus- einandersetzung mit modernen biirgerlichen Auffassungen fiber den gesamt- wirtschaftlichen Kreislauf in Westdeutschland. Berlin 1968. Verlag Die Wirtschaft. I62 S.

Orthodoxe Marxisten vertreten bekanntl ich die Theorie yon der not- wendigen -- weil gesellschaftlich bedingten -- Trennung der urspriinglich einheitlichen Politischen Okonomie in eine marxistische und eine bfirgerliche 0konomie: Nachdem die Bourgeoisie ihre Position als herrschende Klasse gefestigt hatte, war sie nicht mehr an der ErklArung der tatsiichlichen gesell- schaftlichen ProduktionsverhAltnisse interessiert. Die Entwicklung der Politi- schen Okonomie entsprach nicht mehr ihren Interessen. Von einer kritischen Wissenschaft wurde die btirgerliche 0konomie zur Apologetik -- zu einer Rechtfertigung der 5konomischen Verhiiltnisse der kapitalistischen Produk- tionsweise. Die einzig rechtmAl3ige Nachfolgerin der klassischen Politischen 0konomie wurde -- nach orthodox-marxistischer Auffassung -- die marxisti- sche Polit0konomie, als Ins t rument zur Erkenntn is der 6konomischen Gesetze des Kapitalismus und als Grundlage des Klassenbewul3tseins des Proletariats.

Diese Divergenztheorie bereitet den 0stlichen Okonomen natfirlich grol3e Schwierigkeiten, wenn es um die Obemahme westlicher analytischer Ins t ru- mente in die inzwischen h0chst steril gewordene marxistische Polit0konomie geht. Als Ausdruck solcher Schwierigkeiten mul3 auch das vorliegende Buch angesehen werden. Miiller ist offensichtlich beeindruckt yon der westlichen kreislauftheoretischen Forschung. Da er weit3, wie wenig diese in der D D R bekannt ist, m6chte er sie den DDl~-0konomen in geeigneter Weise nahe- bringen. Dies ist aber wegen der erwAhnten Theorie nur in Form einer ideo- logischen Auseinandersetzung mit der westlichen Kreislauftheorie m0glich. So kommt es denn zu der ffir westliche Leser sehr seltsamen Mischung yon priiziser Darstellung der westlichen Kreislauftheorie und ideologischer Aus- einandersetzung mit ihrem ,apologetischen Charakter,.

In den deskriptiven Part ien seiner Arbeit stellt Miiller zuniichst die dogmenhistorischen Grundlagen der modernen Kreislauftheorie dar. Er geht aus yon Quesnay und Sismondi und behandelt vor allem BOhm-Bawerk, Lexis, Schumpeter, Wagemann, Grfinig, Leontief und Hans Peter. Kuriose Bewertungskriterien kommen zum Vorschein, wenn M/filler Hans Peters Interpretat ion der Marxschen Reproduktionsschemata darstellt : Natalie Moszkowska und Paul M. Sweezy sind nicht etwa Marxisten, sondern biirger- liche ~)konomen, und kritische Einw/inde gegeniiber dem Marxschen 13bergang von cler V~rert- zur Preisrechnung werden mit dem Hinweis erledigt: ~>Marx gab bekanntl ich jedoch eine hinreichende Antwort auf diese Fragen, (S. 57). In den dogmenhistorischen Teilen geht Miiller dann noch auf Keynes und F0hl ein sowie auf die Darstellung der Geschichte der Kreislauftheorie in der westdeutschen 5konomischen Literatur. Ausfiihrlich dargestellt wird im weiteren die formale Theorie des Wirtschaftskreislaufs. Mtiller lehnt sich dabei sehr stark an Peter und vor allem an KreUe an, aus dessen ~>Volks-

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Allgemeine Wirtschaftslehre 85*

wirtschaftlicher Gesamtrechnung, 1 er eifrig zitiert. Dieser Teil ist sehr ge- schickt dargestellt und wird bei den 0konomen in der DDR sicher Anldang finden. Nicht besonders gut gelungen dagegen ist der abschlieBende Teil, in dem sich Mfiller mit den M6glichkeiten der wirtschaftspolitischen Aus- wertung der Kreislauftheorie beschiiftigt. Miiller geht hier fiber die Dar- stellung der Einkommensgleichungen ffir eine offene Wirtschaft mi t staat- licher 6konomischer Aktivitii t und des Multiplikatortheorems kaum hinaus. Wirtschaftspolitische Entscheidungsmodelle und Nationalbudget werden nicht elavAhnt. Der Leser erfiihrt nichts fiber die Existenz einer umfang- reichen Literatur zur Theorie der VVirtschaftspolitik und Wirtschaftsplanung.

Hinter dieser Nichtberficksichtigung eines immer bedeutsamer werdenden Zweigs der Wirtschaftsforschung stehen aber offensichtlich ideologische Momente, womit wir zu Mfillers ideologisch best immter Auseinandersetzung mit der westlichen Kreislauftheorie kommen, hat er sich doch die Aufgabe gestellt, ~>der bfirgerlichen kreislauftheoretischen Forschung (als ein Teil der heutigen bfirgerlichen 0konomie und damit des Gesamtsystems der bfirger- lichen Ideologie) konsequent entgegenzutreten, (S. io). Wegen ihrer ~>reak- tionAren Klassenposition, analysieren die bfirgerlichen Kreislauftheoretiker nu t die Aul3eren, oberfiAchlichen Erscheinungsformen des kapitalistischen Wirtschaftsl0rozesses und dringen damit nicht bis zu seinen eigentlichen Bestimmungsfaktoren durch. Daher erkennen sie ~nicht die tiefe antago- nistische Widerspriichlichkeit, die diesem ganzen Proze8 innewohnt , (S. 79). WAhrend die Marxisten erkannt haben, dab der Kapitalismus eines Tages zusammenbrechen und dem Sozialismus Platz machen mul3, geben sich die bfirgerlichen 0konomen fiber die LebensfAhigkeit und Planbarkei t der kapita- listischen Wirtschaft Illusionen bin. Indem sie sich so in den Dienst eines zum Absterben verurteil ten Systems begeben, erffillen sie eine apologetische Funktion.

Die vom 0konomen verwendeten analytischen Ins t rumente kann man vielleicht mit einem Messer in der Hand des Chirurgen vergleichen: In der Hand des guten Chirurgen kann es zur Rettung, in der Hand des unfiihigen zum Tode des Pat ienten ffihren. Wenn abet nun ein Chirurg einen Pat ien ten am Leben erhiilt, der nach gSttlichem Willen eigentlich schon liingst hAtte sterben mfissen, versfindigt er sich gegen den g6ttlichen Heilsplan. Genau dies ist der marxistische Vorwurf gegenfiber der westlichen Wirtschafts- wissenschaft.

P e t e r D o b i a s

Britsch, Klaus, Zur 6konomischen Theorie der Planung optimaler Entwicklung. Mit einem Vorw. yon H e l m u t Re icha rd t . (Bochumer Schriften zur Entwicldungs- forschung und Entwicklungspolitik, Bd. 9.) Dt~sseldorf 1971. Bertelsmann Uni- versitAtsverlag. IX, 88 S.

Corden, W. M., The Theory o/Protection. Oxford 1971. Clarendon Press. XlII , 263 S.

1 W. Krelle, Volkswirtsehaftliche Gesamtrechnung einschlieBlieh input-output-Analyse mit Zahlell fiir die Bundesrepublik Deutschland. 2., verb. Aufl. Berlin x967.

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86" Schrifttum

Granger, Clive W. J., 0skar Morgenstern, Predictability o/ Stock Market Prices. (Studies in Business, Industry and Technology.) Lexington, Mass., 197 o. D. C. Heath and Company. XXlII, 3o3 S.

Heertje, Arnold, Grundbegriffe der Volkswirtscha/tslehre. 13bers. yon P e t e r Huber . Mit 45 Abb. (Heidelberger Taschenbilcher, Bd. 78.) Berlin, Heidelberg, New York 197 o. Springer-Verlag. X, 2o 7 S.

Hennies, Manfred O. E., Das nicht so magische Polygon der Wirtscha/tspolitik. Zur Realisierbarkeit eines wirtschaftspolitischen Zielbilndels. (Dynamische {3konomie, Bd. 5.) Berlin 1971. Berlin Verlag. 25o S.

Labys, Walter C., C.W.J. Granger, speculation, Hedging and Commodity Price Forecasts. (Studies in Business, Industry and Technology.) Lexington, Mass., 197 o. D. C. Heath and Company. XXV, 32o S.

Preiser, Erich, Politische Okonomie im 2o. Jahrkundert. Probleme und Gestalten. (Beck'sche Schwarze Reihe, Bd. 69.) Miinchen 197 o. C. H. Beck. 26o S.

II. Allgemeine und angewandte Statistik

Malinvaud, E., S t a t i s t i c a l M e t h o d s o f E c o n o m e t r i c s . Transl. by A. S i l v e y . (Studies in Mathematical and Managerial Economics, Vol. 6.) Amsterdam 1966. North-Holland Publishing Company. XIV, 631 S.

Die Zahl der Lehrbticher der 0konometr ie ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Abet es sei vorweg gesagt: Trotz der ausgezeichneten und weit- verbreiteten Bticher yon Johnston, Goldberger und Christ muB Edmond Malinvauds Werk als das Standardbuch fiber seinen Gegenstand angesehen werden. Die vorliegende Obersetzung aus dem Franz6sischen macht Malinvauds Arbeit natiirlich mehr Lesern zuggnglich, wobei vor allem an zwei Gruppen gedacht werden mul3 : Leser mit einer guten mathematisch-stat is t ischen Vor- bildung, abet schwachen 6konomischen Ausbildung -- ffir sie ist der Tex t laut Autor urspriinglich gedacht -- werden sorgfiiltig in die Schwierigkeiten adgquater Formulierung des 6konomischen Modells und der In terpre ta t ion der statistischen Schgtzergebnisse eingefiihrt; 0konomen, die 6konometrisch arbeiten und an sich mit den Schgtzmethoden ver t rau t sind, finden hier ihre Schgtzmethoden zum ersten Male systematisch mi t voller Strenge dargestellt. Viele geometrische Erklgrungen, die sonst nirgends zu sehen waren, unter- streichen den in vollendeter Klarheit geschriebenen Text, der eigentlich keine Wfinsche offenlgl3t. Das Buch ist in fiinf Teile eingeteilt; einer Ein- fiihrung yon ffinf Kapiteln folgen vier Kapitel fiber lineare Schgtzmethoden, im drit ten Teil werden nichtlineare ModeUe mit addit iven Fehlern und lineare Modelle mit Fehlern in den Variablen behandelL Der vierte Teil behandel t Zeitreihenanalysen (Stochastische Prozesse, statistische Zeitreihenanalyse, Serial Correlation, autoregressive Modelle und Modelle mit distr ibuted lags). Das Werk wird abgeschlossen mit den Problemen, die bei der Schgtzung von Gleichungssystemen entstehen, wobei besonders auf das Kapi te l fiber Identifikation hingewiesen werden soll, das im Gegensatz zu der oft guBerst