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I. Beiträge zur Rezeption Christian Niemeyer Nietzsche und die deutsche (Reform-)Pädagogik Vorüberlegungen zur Behebung eines Forschungsdesiderats Die Geschichte der deutschen pädagogischen Nietzsche-Rezeption ist bis heute noch nicht erzählt. Dieses Forschungsdesiderat kontrastiert deutlich der Bedeutung, die Nietzsche fur die wechselvolle Geschichte der Erziehung dieses Jahrhunderts hat oder die ihm jedenfalls doch immer wieder mgeschrieben wurde. Auffallig ist auch der Kontrast dieser Ausgangslage im Blick auf die Aufmerksamkeit, derer sich Nietzsche gegenwärtig außerhalb der Pädagogik erfreut. Innerhalb der Pädagogik dominiert hingegen eher der rückwärtsgewandte Blick auf einen Autor, der als elitärer Bildungsphilosoph seine Zeit gehabt habe und allenfalls noch als Kultur- und Bildungskritiker in Erinnerung zu halten sei. Ganz abgesehen davon meinte und meint man sich in Sache Nietzsche offenbar, auf das Einbringen der pädagogischen Fingerzeige eines eigenwilligen Philosophen beschränken m dürfen, dessen Ge- samtwerk m kennen nicht erforderlich sei. Nicht ohne Recht konnte jedenfalls Rein- hard Löw vor einer Reihe von Jahren im Blick auf einen älteren Versuch in der auch von ihm erörterten Sache- Löw dachte an Martin Havensteins Nietzsche als Erzie- her von 1922 - selbstzufrieden feststellen: "Daß unsere Einbeziehung des ganzen Opus von Nietzsche fur seine Interpretation als Erzieher hiergegen im Vorteil ist, braucht wohl nicht weiter ausgefuhrt m werden" (Löw 1984, S. 150). Löw hätte wohl allen Anlaß, diesen Satz erneut vormtragen angesichts einer neueren päd- agogischen Deutung, derzufolge Nietzsche "den entscheidenden Anstoß mr Aufleh- nung gegen die Autorität" (Rosenow 1992, S. 15) gegeben habe. Im übrigen unter- läuft diese Urteil bei weitem doch das, was man der Pädagogik angesichts der langen und differenzierten Deutungs- und Rezeptionsgeschichte heutmtage an Ein- sichten über Nietzsche abverlangen müßte. Dies scheint Anlaß genug, dem Nietzschebild der deutschen Pädagogik etwas ge- nauer nachmgehen. Die erkenntnisleitende These könnte dabei lauten, daß Nietz- sche nur höchst selten gebraucht, rumeist aber, vor dem Hintergrund je differenter zeit- wie geistes- und sozialgeschichtlicher Vorgaben und wissenschaftspolitischer Absichten, mißbraucht wurde. Der allerletzte Mißbrauch, der in nationalsozialisti- scher Zeit - so die weitergehendere These-, ließ ein Nietzschebild mrück, in dessen Folge die Pädagogik das Interesse an Nietzsche weitgehend verlor. Auf diese Weise

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I. Beiträge zur Rezeption

Christian Niemeyer

Nietzsche und die deutsche (Reform-)Pädagogik

Vorüberlegungen zur Behebung eines Forschungsdesiderats

Die Geschichte der deutschen pädagogischen Nietzsche-Rezeption ist bis heute noch nicht erzählt. Dieses Forschungsdesiderat kontrastiert deutlich der Bedeutung, die Nietzsche fur die wechselvolle Geschichte der Erziehung dieses Jahrhunderts hat oder die ihm jedenfalls doch immer wieder mgeschrieben wurde. Auffallig ist auch der Kontrast dieser Ausgangslage im Blick auf die Aufmerksamkeit, derer sich Nietzsche gegenwärtig außerhalb der Pädagogik erfreut. Innerhalb der Pädagogik dominiert hingegen eher der rückwärtsgewandte Blick auf einen Autor, der als elitärer Bildungsphilosoph seine Zeit gehabt habe und allenfalls noch als Kultur- und Bildungskritiker in Erinnerung zu halten sei. Ganz abgesehen davon meinte und meint man sich in Sache Nietzsche offenbar, auf das Einbringen der pädagogischen Fingerzeige eines eigenwilligen Philosophen beschränken m dürfen, dessen Ge-samtwerk m kennen nicht erforderlich sei. Nicht ohne Recht konnte jedenfalls Rein-hard Löw vor einer Reihe von Jahren im Blick auf einen älteren Versuch in der auch von ihm erörterten Sache- Löw dachte an Martin Havensteins Nietzsche als Erzie-her von 1922 - selbstzufrieden feststellen: "Daß unsere Einbeziehung des ganzen Opus von Nietzsche fur seine Interpretation als Erzieher hiergegen im Vorteil ist, braucht wohl nicht weiter ausgefuhrt m werden" (Löw 1984, S. 150). Löw hätte wohl allen Anlaß, diesen Satz erneut vormtragen angesichts einer neueren päd-agogischen Deutung, derzufolge Nietzsche "den entscheidenden Anstoß mr Aufleh-nung gegen die Autorität" (Rosenow 1992, S. 15) gegeben habe. Im übrigen unter-läuft diese Urteil bei weitem doch das, was man der Pädagogik angesichts der langen und differenzierten Deutungs- und Rezeptionsgeschichte heutmtage an Ein-sichten über Nietzsche abverlangen müßte.

Dies scheint Anlaß genug, dem Nietzschebild der deutschen Pädagogik etwas ge-nauer nachmgehen. Die erkenntnisleitende These könnte dabei lauten, daß Nietz-sche nur höchst selten gebraucht, rumeist aber, vor dem Hintergrund je differenter zeit- wie geistes- und sozialgeschichtlicher Vorgaben und wissenschaftspolitischer Absichten, mißbraucht wurde. Der allerletzte Mißbrauch, der in nationalsozialisti-scher Zeit - so die weitergehendere These-, ließ ein Nietzschebild mrück, in dessen Folge die Pädagogik das Interesse an Nietzsche weitgehend verlor. Auf diese Weise

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konstituierte sich ein Nietzschebild, das es der Pädagogik der Gegenwart, von Ausnahmen abgesehen, nicht erlaubt, das zu tun, was sie in neuerer Zeit bevorzugt tut: sich in ernstzunehmender Weise an interdisziplinär gefiihrten Debatten - in diesem Fall natürlich über Nietzsche - zu beteiligen.- Im folgenden sollen einige Vorüberlegungen angeboten werden zur Behebung des damit umrissenen umfangli-ehen Forschungsdesiderats. Die beigezogenen pädagogischen Quellen entstammen dabei mehrheitlich - den gegenwärtigen Vorarbeiten entsprechend - der re-formpädagogischen Ära.

1. Forschungsstand

Nietzsche wird zunehmend zum Gegenstand von Rezeptionsforschung. Besondere Aufmerksamkeit erfreut sich dabei der besonders intensive frühe Nietzschediskurs (bis 1914), wie auch (neuere) Arbeiten zum Nietzschebild in der deutschen Zeit-schriftenpresse der Jahrhundertwende (Philippi 1970), zur frühen sozialistischen Rezeption Nietzsches in Deutschland (Behler 1984), zum Nietzschebild in der Presse der deutschen Sozialdemokratie der Jahrhundertwende (Vivarelli 1984) oder das Schrifttumsverzeichnis von Richard F. Krumme! (1974; 1983) belegen. Deutlich in Abhängigkeit von Krummeis Vorarbeit steht auch Steven Aschheims jüngst er-schienene Untersuchung Nietzsche und die Deutschen ( Aschheim 1996). Zu erwäh-nen sind des weiteren - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - neuere Arbeiten zur amerikanischen Nietzsche-Rezeption von 1896 bis 1950 ( Steilberg 1996), zur Nietz-sche-Rezeption im NS-Staat (Zapata Galindo 1995), zum Nietzschebild in der philo-sophischen Kultur und politischen Konstellation Deutschlands 1945-1960 (Kapferer 1995), zur Nietzsche-Rezeption in der DDR der achtziger Jahre (Fett 1993; Reschke 1995) unter ausfiihrlichem Einbezug von deren Vorgeschichte (Riede! 1997), zur Nietzsche-Lyrik im Weimarer Rundfunk (Pestlin 1995) sowie zum 'Jüdischen Nietzscheanismus' (vgl. Stegmaier/Krochmalnik 1997).

Eher stiefmütterlich behandelt wird im Vergleich zu diesen Untersuchungen über die Nietzsche-Rezeption aus dem Blickfeld der Geistes- und Diskurslage einer bestimm-ten Epoche das - hier im Vordergrund stehende - Thema der disziplinorientierten Rezeptionsforschung. Gemeint ist damit eine Forschung, die danach fragt, was im Umfeld einer (im Entstehen begriffenen) einzelwissenschaftlichen Disziplin resp. eines Forschungsprogramms und/oder seitens der, der Disziplin/dem Forschungs-programm zugehörenden, sich ihr/ihm zurechnenden oder die Belange der Diszi-plin/des Forschungsprogramms thematisierenden Diskursteilnehmer aus und mit Nietzsche gemacht wird resp. wurde. Von Interesse ist hier- mit Schwerpunkt For-schungsprogramm - eigentlich nur ein auf das Freud/Nietzsche-Verhältnis konzen-trierter Beitrag zur ersten Nietzsche-Rezeption in Wien (Venturelli 1984) sowie, mit deutlich disziplinzentriertem Schwerpunkt, ein Beitrag zur Nietzsche-Kritik und Nietzsche-Rezeption in der Theologie des 20. Jahrhunderts (Köster 1981/82) und die (allerdings die Pädagogik ausklammernde) Materialzusammenstellung von Margot Fleischer über Das Spektrum der Nietzsche-Rezeption im geistigen Leben seit der Jahrhundertwende (Fleischer 1991). Alle drei Untersuchungen tragen zur Einsichtnahme in die hier thematische geistige Landschaft bei.

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Gleiches läßt sich sagen fiir Klaus Lichtblaus Studie Kulturkrise und Soziologie um die Jahrhundertwende (Lichtblau 1996). Sie zeigt im übrigen zumal in ihren Nietz-sche bezüglichen Teilen, daß fiir die Pädagogik noch nachzuholen ist, was in der Soziologie inzwischen, vermittelt auch über Arbeiten zum Thema Nietzsche im Lichte der Kritischen Theorie (Pütz 1974), Nietzsche und Tönnies (Zander 1981; Alwast 1981) oder Nietzsche und Simmel bzw. Max Weber (Schluchter 1996), bereits erreicht wurde. Dies gilt ungeachtet der Arbeiten über Die Nietzsche-Rezep-tion der nationalsozialistischen Pädagogik (Reifenrath 1980), über Formen und Phasen der Nietzsche-Rezeption in der deutschen Jugendbf!Wegung (Herfurth 1986/87) oder über Ludwig Gurlitt resp. das Thema Der Einfluß Friedrich Nietz-sches auf Berliner Schulkritiker der Wilhelminischen Aera (Cancik 1987). Denn die Wirkung Nietzsches ging - was nicht zuletzt der hier vorliegende Band zu zeigen hoff\ - weit über die hiermit angedeuteten Themenbereiche hinaus und ergriff beispielsweise auch die pädagogische Avantgarde der Jahrhundertwende (vgl. Oelkers 1992, S. I 0 5 ff.).

2. Nietzsche in der Pädagogik- einige Schlaglichter zur Bedeutung des Themas

Jürgen Habermas mochte zwar ganz gut den Zeitgeist der späten 1960er Jahre ge-troffen haben, als er seinerzeit schrieb: "Nietzsche hat nichts Ansteckendes mehr" (Habermas 1968, S. 237). Frei von Ansteckung hielten sich auch noch die maßge-benden Universitätspädagogen des Kaiserreichs, die des Problems Nietzsche und der Probleme, die er aufgeworfen hatte, noch durch Polemik meinten Herr werden zu können. Dies belegen - exemplarisch - die Fälle Natorp (1899, S. 86), Willmann (1901, S. 171), Foerster (1906, S. 557) oder Rein (1913, S. VII). Für einen Sonder-fall steht Friedrich Paulsen, der, neben RudelfLehmann (1882, S. 253), zu den frü-hesten (pädagogischen) Verehrern Nietzsches gehörte, um später zu einem seiner entschlossensten Gegner zu werden (vgl. Uhle, in diesem Bd.). Zugleich aber doku-mentiert sich gerade in Paulsens in den 1890er Jahren anhebenden Nietzschegegner-schaft, wie ansteckend Nietzsche inzwischen fiir die Jugend geworden war, und die nachwachsende Pädagogengeneration blieb davon nicht unbetroffen.

Martin Buher etwa, fast eine Generation jünger als Pau1sen und Lehmann, trat in Nietzsches Todesjahr mit einem schwärmerischen Artikel über ihn hervor (Buher 1900) und meinte später, daß es lange gedauert habe, bis er sich vom Zarathustra loszumachen vermochte, zumal diese Schrift anfangs auf ihn "nicht in der Weise einer Gabe, sondern in der Weise des Überfalls und der Freiheitsberaubung" (zit. n. Krumme! 1974, S. 143) gewirkt habe. Ähnlich äußerte sich auch August Messer, der 1904/05 zu Nietzsche fand und dem der Zarathustra alsbald "eine Bibel" (Messer 1922, S. 149) wurde. Auch Carl Mennicke, der während seiner Bonner Studienjahre 1909110 durch Emil Harnmacher und Johannes Verweyen aufNietz-sche aufinerksam gemacht wurde, reagierte in damals durchaus typischer Weise:

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"Als ich ein paar Seiten der 'Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik' ver-schlungen hatte, wußte ich, daß ich nicht ruhen würde, bis ich nicht alles, was aus dieser Feder geflossen, kennen gelernt hätte" (Mennicke 1995, S. 47).

Und selbst noch fur die Phase einer allerdings höchst fragwürdigen Nietzsche-Re-naissance, fur die Zeit also um 1935/37, bekannte der damals in seiner Spätpubertät begriffene Hans Scheuer!:

"Ich glaube, ich habe in einem einzigen Jahr, statt mich auf mein Abitur vorzuberei-ten, nahezu alle Werke Nietzsches, die ich erreichen konnte, wie ein Rauschmittel konsumiert" (Scheuerl1984, S. 544).

Ähnliches ließe sich fur die (universitäre) Prominenz der Weimarer Epoche zeigen, also etwa fur Herman Nohl, Aloys Fischer, Eduard Spranger und Wilhelm Flitner. So schrieb- um nur einige Beispiele zu geben- Nohl, der sich später auch auf Felde der Nietzscheforschung betätigen sollte (vgl. Nohl 1913), im Oktober 1900, daß er einiges von Nietzsche gelesen und gefunden habe,

"daß er trotz aller Pfaffen mehr Religion hat als irgend einer, (ich) fand in ihm Ge-danken, die mich schon lange erregt, über Musik und die andern Künste, die er mit kühnem Griff von der Musik abreißt und ihr entgegenstellt, fand vor allem einen Wahrheitsdurst und geistige Reinheitsliebe, die mich begeisterte" (zit. n. Blochmann 1969, S. 26).

Fischer gehörte gegen Ende seines Studiums (1902/03) einem aus dem Görresverein hervorgegangenen Freundschaftsverband an, in dessen Diskussionen auch Nietz-sche, wie ein Jugendfreund Fischers sich erinnerte, "seine Verfechter (fand)" (zit. n. Kreitmair o. J., S. 59). Fischers Tagebuch aus seiner Zeit als Hauslehrer - in der Familie des Bildhauers Adolf v. Hildebrand- verzeichnet fur das Jahr 1903 Verse Nietzsches; auch hat sich Fischer in dieser Zeit als Aphoristiker, erkennbar im Geist Nietzsches, versucht (vgl. Kreitmair o. J., S. 92 ff.). Spranger publizierte eine Re-zension des 1904 erschienenen maßgeblichen Nietzsche-Schrifttums (vgl. Spranger 1907) sowie einen Aufsatz über Nietzsches Sokratesbild (vgl. Spranger 1939a) und bekannte fur die Jahrhundertwende: "Nietzsche stand im Zenith" (Spranger 1950, S. 320). Flitner, der sich in seinen Erinnerungen zumindest fur seine späte Schulzeit als "Nietzscheanhänger" (Flitner 1986, S. 95) bezeichnete, traf insoweit durchaus den Kern, wenn er meinte, "unter dem Einfluß Nietzsches und der Neuromantik" sei seine Generation, die das Bewußtsein der Jugendbewegung getragen habe, "geistig erwacht" (Flitner 1928, S. 245).

Die die Weimarer Pädagogik und mehrheitlich auch noch die Zeit nach 1945 prä-gende Generation - so darf man entsprechend vielleicht zusammenfassen - erweist sich also deutlich als von Nietzsche angesteckt. Sie ist es, die, im Gleichklang mit zahlreichen Vertretern aus Jugendbewegung und Reformpädagogik, in der Phase ihres geistigen Erwachens die Zweifel und Beunruhigungen austrägt, die Nietzsche eingab und derer sich die maßgebende Pädagogengeneration des Kaiserreichs durch zumeist affektgeladene Nietzscheabwehr noch meinte entziehen zu können. Daß dies Folgen hatte- etwa im Sinne der offenbar über Paulsen vermittelten Entradika-lisierung des Nietzschebildes Nohls oder in Gestalt des als Anti-Nietzschesetzung zu begreifenden 'Willen zum Wert' bei Fischer (vgl. Niemeyer 1998b) -,wird insoweit

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kaum überraschen und scheint Anlaß genug, das Nietzschebild der deutschen (Reform-)Pädagogik im Zusammenl1ang zu rekonstruieren.

3. Methodologische Probleme der Interpretation Nietzsches

Schon immer war Nietzsche ein wohlfeiles Objekt schlagkräftiger Attribute, die sich untereinander nicht gut vertrugen. Darüber klagte schon Nietzsche selbst: "Bald", so berichtete er seiner Mutter im Oktober 1887,

"werde ich als 'Philosoph der junkerliehen Aristokratie' verherrlicht, bald als zweiter Edmund von Hagen verhöhnt, bald als Faust des neunzehnten Jahrhnnderts bemitlei-det, bald als 'Dynamit' und Unmensch vorsichtig bei Seite gethan" (KSB 8, S. 165).

Insbesondere im längsschnittliehen Verlauf nimmt sich die Attributionswut der Nietzsche-Interpreten wunderlich aus. So ist es vom "Philosophen des Kapitalis-mus" (Tönnies 1893, S. 103) bis hin zur "Vaterfigur der Postmoderne" (Welsch 1994, S. 8) furwahr ein weiter und dorniger Weg. Die sich in derlei Fragwürdigkei-len aussprechenden Schwierigkeiten sind auch solche der Nietzsche-Interpretation, die seit einem Jahrhundert immer wieder herausgestellt werden (vgl. exemplarisch Bölsche 1894, S. 1024; Jaspers 1936, S. V; Kaufmann 1988, S. 84).

Ebenso lange währt der Streit darum, ob man es im Fall Nietzsche überhaupt mit einem ernstzunehmenden Philosophen oder jedenfalls doch systematischen Denker zu tun habe. Otto Hartleben, der entschieden der Meinung war, daß sich der Ver-such, eines systematischen Nietzsche habhaft zu werden,. als ein dem Geist des zu Interpretierenden widersprechendes Unterfangen ausweisen lasse, hatte gleichwohl eine Zeit kommen sehen,

"in der man diesen graziösen 'Tänzer' mit plumpen Händen greifen und auf das Pro-krustesbett der ernsthaftesten 'Philosophie', der grausamsten Systematisiererei zu fes-seln versuchen wird" (Hartleben 1906, S. 118).

Um den Sinn von Hartlebens Warnung zu verstehen, sei hier nur an Wilhelm Diltheys Votum von 1906 erinnert, wonach Nietzsche einer Reihe moderner Denker zuzurechnen sei, fur die sich noch nicht einmal "irgendeine Beziehung zur systemati-schen Philosophie" aufWeisen lasse und fur die "folgerichtig()" gelte, daß hier ,jede Verbindung mit Philosophie als Wissenschaft aufgehoben" (Dilthey 1921, S. 27) sei. In der Quintessenz bestärkte Dilthey hiermit das im Fall Nietzsche längst schon bereitliegende Urteil vom 'Modephilosophen' (Ernst 1890, S. 617), das einem 1899 auch bei Paul Natorp, in der Variante des "Modeschriftstellers" (Natorp 1920, S. 86), begegnet. Wenn Philosophen sich in <\er Folge auf Nietzsches Hauptwerk, den Zarathustra, konzentrierten, blieben sie erkennbar gebremst durch die Beruhigung, daß man es bei diesem Werk 'nur' mit Dichtung und bei Nietzsche, diesem "enfant terrible der deutschen Philosophiegeschichte" (Hesse 1993, S. 903), 'nur' mit einem philosophischen Autodidakten zu tun habe.

Gestärkt wurden derlei Negativattribute auch durch jene, die weniger das Außenkri-terium der systematischen Philosophie in Anschlag brachten denn auf Probleme in der Geschlossenheit der fur Nietzsche typischen Argumentationsfuhrung verwiesen.

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Sein "Ideenkreis", so lesen wir etwa bei Traugott Oesterreich, "war () von umfas-sender Art, aber doch zu wenig fundiert und auch m sprunghaft abgerissen, als daß er ein wirkliches System hätte schaffen können\' (Oesterreich 1921, S. 355). Dieses Urteil nahm seine eigentliche Karriere infolge des nicht zuletzt durch das Nietzsche-Archiv in nationalsozialistischer Zeit beförderten Versuchs, das Systematische des Denkens Nietzsches um jene fragwürdige Weltanschauung m gruppieren, die sich schon in dem Schlagwort seines angeblichen, unmlässigerweise aus dem Nachlaß kompilierten Hauptwerks Der Wille zur Macht ankündige.

Auch wenn heutmtage über den Systemgedanken in Nietzsches ffiuvre wieder unbefangener gestritten werden darf (Kaufmann 1988, S. 92 ff.), sieht man sich immer wieder konfrontiert mit Vorschlägen, im Fall Nietzsche "so wenig wie mög-lich (m) deduzieren oder (zu) rekonstruieren", denn: "Es gibt bei ihm keinen domi-nierenden Gedanken, kein System oder Prinzip, m dessen Mitteilung der Text dient"; vielmehr sei

"'Text' () das Gewebe, mit dem sich Nietzsche nicht nur zeigt und schmückt, sondern auch verhüllt, und das er auch deshalb so ausdrücklich produziert, weil er meint, daß es den Gedanken 'hinter' dem Text gar nicht gibt" (Gerhardt 1992, S. 62).

Das Ergebnis aus diesem gerafften Überblick könnte man darin sehen, daß Nietz-sche, in erster Linie wegen der Eigentümlichkeit der von ihm hinterlassenen rhetori-schen resp. metaphorischen Textstruktur (Kositzke 1994, S. 192 ff.), die von der Abhandlung über den Aphorismus bis hin zur Lyrik fast alle Gattungsformen kennt, immer schon bevorzugtes Objekt eines methodologischen Grundlagenstreits war. Was die Gegenwart angeht, stehen sich in diesem Vertreter der dekonstruktiv ange-legten strukturalen Analyse und solche der eher rekonstruktiv orientierten klassi-schen Hermeneutik gegenüber (vgl. Behler 1988, S. 147 ff.).

Eine Abkürzung dieses Streits wäre vorstellbar, wenn man, als gleichsam dritten Weg, die 'methodologischen' Überlegungen Nietzsches in Betracht zieht. Dies ist in der Nietzscheforschung nicht ungewöhnlich. Ulrich Willcrs etwa suchte auf diesem Weg zu dem Leser zu werden, den der Autor "sich erwünscht und erwirken will" (Willers 1988, S. 34). Dabei scheinen Nietzsches Wünsche in Sachen dieser Art der "Leserästhetik" (Jauss 1992, Sp. I 000) allerdings, jedenfalls auf den ersten Blick betrachtet, äußerst bescheiden gewesen zu sein. So wünschte er sich beispielsweise einen Leser, der in der Lage ist, "ordentlich m lesen" (KSA 8, S. 411). Er empfahl also etwas an, "zu dem man beinahe Kuh und jedenfalls nicht 'moderner Mensch' sein muss: das Wiederkäuen ... " (KSA 5, S. 256). Folgerichtig sang Nietzsche denn auch sein Loblied auf den '!,>uten Leser', einen Leser, "wie ich ihn verdiene, der mich liest, wie gute alte Philologen ihren Horaz lasen" (KSA 6, S. 305). Und er legte Verwahrung ein gegen die 'schlechtesten Leser', die "wie plündernde Soldaten verfahren" (KSA 2, S. 436). Entsprechend definierte Nietzsche noch im Antichrist ausgesprochen schulmäßig:

"Unter Philologie soll hier, in einem sehr allgemeinen Sinne, die Kunst, gut zu lesen, verstanden werden, - Thatsachen ablesen können, ohne sie durch Interpretation zu HUschen, ohne im Verlangen nach Verstandniss die Vorsicht, die Geduld, die F einbeit zu verlieren" (KSA 6, S. 233).

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Bis mletzt also blieben dies fur Nietzsche achtbare Tugenden.

Ü1Jer das Bekenntnis zu philolo'gischer Solidität fuhrt Nietzsche dort hinaus, wo er den Typus des 'vollkommenen Lesers' in den Blick nahm und definierte als "ein Unthier von Mut und Neugierde (. .. ), ein geborner Abenteurer und Entdecker" (KSA 6, S. 303). Denn damit ist ein sehr viel stärker die Aktivität des Interpreten fordernder Deutungstypus angesprochen, der sich im Fall Nietzsche vor allem auch deswegen nahelegt, weil er sich selbst mit Vorliebe als einen "geborenen Räthsel-rather" (KSA 3, S. 574), "Seelen-Errather" (KSA 5, S. 222) oder gar "Nussknacker der Seele" (KSA 5, S. 358) sah. Zu suchen wäre dann nach dem besten Weg, das sinnvolle Ganze aus den mnächst unverständlichen einzelnen Bruchstücken zu bilden. Dieser Grundsatz dürfte sich bei einem über weite Strecken so aphoristischen und metaphorischen Werk wie jenem Nietzsches anempfehlen. Dies gilt um so mehr, als sich Nietzsche selbst jenen "gewitzte(n) Interpreten und Zeichendeuter(n)" zurechnete,

"denen das Schicksal aufgespart blieb, ( ... ) vor einen geheimnißvollen und ungelese-nen Text hingestellt zu sein: der sich uns mehr und mehr verräth" (KSA 12, S. 175).

Denn nichts spricht dagegen, die hier umschriebene Attitüde auch als Nietzsche-In-terpret einzunehmen.

Ein durch einen derart klassischen texthermeneutischen Grundsatz vorangetriebenes Anliegen muß die Auseinandersetwog mit denen suchen, die, im Sinne Otto Hart-lebens, Nietzsche eher als graziösen Tänzer aufruhereiten suchen. Diese deutliche und in Mode kommende (vgl. Meuthen 1994, S. 128) Opposition gegen den gegen-läufigen Versuch etwa eines Kar! Löwith, "Nietzsches Aphorismen im verborgenen Ganzen ihrer eigentümlichen Problematik nach ihrem philosophischen Grundriß zu begreifen" (Löwith 1935/1955, S. 104), bleibt unbekümmert um Nietzsches Protest gegen den auch ihm schon wohlbekannten Vorwurf, wonach er als "neuer umnögli-cher unvollständiger aphoristischer Philosophus" (KSB 6, S. 124) gelten müsse, dessen Werken "ein Durcheinander von hundert beliebigen Paradoxien und Hetero-doxien" (KSB 8, S. 228) unterläge. Angesichts dieser bitteren Erfahrung hatte Nietzsche seinen Interpreten mit dem Hinweis unter die Arme gegriffen:

"Wenn der Mensch sich noch so stark fortentwickelt und aus einem Gegensatz in den andern überzuspringen scheint: bei gerraueren Beobachtungen wird man doch die Ver-zahnungen auffinden, wo das neue Gebäude aus dem älteren herauswächst. Diess ist die Aufgabe des Biographen: er muss nach dem Grundsatze über das Leben denken, dass keine Natur Sprünge macht" (KSA 2, S. 641).

Entsprechend lobte er seinen Intimus Heinrich Köselitz (d. i. Peter Gast) im April 1887 mit den Worten: "Sie empfinden, wovon meine sonstigen Leser keine Ahnung haben, "'das Ganze'" (KSB 8, S 54). Vier Jahre mvor (Ende Juni 1883) hatte er seinem Jugendfreund Carl v. Gersdorff seinen soeben fertiggestellten (ersten Teil des) Zarathustra angekündigt und dabei hinmgefugt:

"Laß Dich durch die legendenhafte Art dieses Büchleins nicht täuschen: hinter all den schlichten und seltsamen Worten steht mein tiefster Ernst und meine ganze Philoso-phie" (KSB 6, S. 386).

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Für das Problem der Nietzsche-Interpretation folgt daraus, daß diese die von Nietz-sche in vielen seiner Werke bevorzugte aphoristische Form bitter ernst zu nehmen hat und auf die hermeneutische Qualität hin befragen muß, die ihr im Blick auf das -vor allem im Zarathustra exponierte- 'Ganze' zukommt. Nicht umsonst also ist die dritte Abhandlung der Genealogie der Moral zu lesen als eine, die ausschließlich der Auslegung eines einzigen Satzes aus dem Zarathustra dient. ·Und nicht umsonst erwartete Nietzsche von seiner Schrift Jenseits von Gut und Böse, daß sie "ein paar erhellende Lichter auf meinen Zarathustra zu werfen" (KSB 7, S. 223) vermag. Gleiches gilt fur den Antichrist, den Nietzsche im Vorwort als ein Buch auswies, das sich an Leser wende, "welche meinen Zarathustra verstehn" (KSA 6, S. 167). Ent-sprechend war es nur folgerichtig, daß Nietzsche auch die Morgenröthe sowie Die fröhliche Wissenschaft als (vorweggenommenen) "Commentar" (KSB 6, S. 496) des Zarathustra verstanden wissen wollte. Mit dem Zarathustra, so darf man ent-sprechend vielleicht auch sagen, huldigte Nietzsche einem Motto, dem er schon 1876 Referenz erwiesen hatte, als er schrieb:

"Fast jeder gute Schriftsteller schreibt nur Ein Buch. Alles Andere sind nur Vorreden, Vorversuche, Erklärungen, Nachträge dazu" (KSA 8, S. 321).

Vier Jahre später, noch vor Erscheinen des Zarathustra, ergänzte Nietzsche: .,Werden sich meine Leser einen einzigen Gedanken und diesen in hundert und aber-hundert Wendungen und Beleuchtungen gefallenlassen?" (KSA 9, S. 179)

Man muß diese Frage wohl, wenn man die Wirkungsgeschichte bedenkt, verneinen, wird aber gleichwohl festhalten dürfen, daß die der Eingangsthese unterliegende Frage, nämlich ob sich Nietzsche überhaupt 'richtig' interpretieren und mithin im Sinne eines Nicht-Mißbrauchs 'gebrauchen' läßt, positiv beantwortet läßt. Nietzsche jedenfalls zielte auf ein Ganzes jenseits der häufig als vieldeutig oder widersprüch-lich erlebten Textstruktur, und der Auftrag an den Interpretenlautet, dieses Ganzen habhaft zu werden.

Dabei ist - dies als besondere Schwierigkeit - mit dem nicht immer ganz authenti-schen Charakter der Rede des Autors zu rechnen. Denn schließlich war es Nietzsche selbst, der davon sprach, daß es

"auch bei den großen Philosophen diese Unschuld (giebt): sie sind sich nicht bewußt, daß sie von sich reden- sie meinen, es handle sich 'um die Wahrheit' -aber es han-delt sich im Grunde um sie" (KSA 10, S. 262).

Dem ließ er an anderer Stelle noch folgen, ein Mensch mit Hintergründen brauche V ordergründe, "um von sich selber sich zu erholen, und um es Anderen möglich zu machen, mit uns zu leben" (KSA 11, S. 498). Die (methodologische) Konsequenz aus diesen Hinweisen könnte lauten, daß man wachsam zu sein hat gegenüber der Gefahr des Wörtlichnehmens einer möglicherweise kontrollierten Rede wie jener Nietzsches, die ihr Geheimnis vielfach erst dann enthüllt, wenn man sie mit Hilfe biographischen Wissens kontextualisiert. Tut man dies, zeigt sich beispielsweise, daß Nietzsches frühe, unter dem Einfluß Wagners stehende Bildungs- und Kultur-kritik als nicht immer wörtlich zu nehmen ist und mithin als teilweise oder gar weit-gehend rhetorisch zu gelten hat (vgl. Niemeyer 1998a, Kap. 3.3). Daraus würde folgen, daß nicht lediglich eine Art Literaturbericht in Sachen der pädagogischen

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Nietzsche-Rezeption aussteht, sondern eine Untersuchung, die auf Decouvrierung von Strategie und Taktik der· 'plündernden Soldaten' unter den pädagogischen Nietzschelesem abstellt.

4. Methodologische Probleme der Rezeptionsforschung m Sachen Nietzsche

Die Probleme der Interpretation Nietzsches, deren Erfassung wichtig ist zur Be-stimmung der Autorintention, sind nicht minder gravierend als die der Rezeptions-forschung in Sachen Nietzsche, deren Klärung hilfreich ist zur Erfassung der Leserintention. Dies gilt ungeachtet des erhöhten Interesses und des entwickelten Standes, denen sich das Thema selbst, aber auch die Rezeptionsforschung als solche seit einer Reihe von Jahren erfreut. Ausgehend von dem darin sich aussprechenden Paradigmenwechsel weg von einer Werkästhetik hin zu einer Rezeptionsästhetik (vgl. Jauss 1992) seien im folgenden die im Fall der pädagogischen Nietzsche-Rezeption besonders eindrücklichen methodologischen Probleme ihrer Wichtigkeit nach kurz vorgestellt.

4.1 Das Periodisierungsproblem

Zu Zeiten seiner geistigen Gesundheit war Nietzsche fur die Rezeption so gut wie kein Thema - und dies gilt auch fur die Pädagogik. Ernst Weber, einer der ersten Pädagogen, die über Nietzsche promovierten, brachte dies auf die griffige Formel:

"Als Nietzsche im Jahre 1889 aufhörte, zu philosophieren, da fing die Welt eben an, ilm ernst zu nehmen" (Weber 1907, S. 1).

Wie rasch und lawinenartig sich dann aber der Durchbruch vollzog, bezeugt schon die 1892/93 gelegentlich geäußerte Meinung, daß man- von Fachzeitschriften ab-gesehen - kaum mehr einem Aufsatz begegne, der das philosophische Gebiet auch nur streife, ohne mit dem Namen Nietzsche konfrontiert zu werden (Krumme! 1974, S. I 08). Anfuhren läßt sich in diesem Zusammenhang auch der Umstand, daß Nietz-sche 1892 erstmals in eine Anthologie (ebd., S. 114) und 1894 zum ersten Mal in den Brackhaus aufgenommen wurde ( ebd., S. 138). Sechs Jahre später mußte selbst der Nietzscheskeptiker Friedrich Lange zugestehen, er fande

"einen großen Teil unserer Literaten in einer fast bacchantischen Verzückung und fast alle Publizisten unter dem Einflusse der aristokratischen Weltanschauung Nietzsches" (Lange 1900, S. 248).

1902 galt vielen als ausgemacht, daß "unser ganzes modernes Leben, unsre Kunst und Litteratur" (Beine 1902, S. 276) unter Nietzsches Einfluß stünden. Ein Jahr später notierte selbst ein Hofprediger, allerdings eher verbittert als erfreut: "Wohin man heute blickt, stößt man auf die Spuren Nietzsches" (Blau 1903, S. 49). 1905 schließlich resümierte Friedrich Jod!:

"in kurzer Zeit ist Nietzsche in den Vordergrund des geistigen Gesichtskreises der Deutschen getreten" (Jodll905, S. 87).

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Im Jahre 1913 war es dann soweit: Vom Zarathustra wurde das 100.000 Exemplar verkauft (vgl. Krumme! 1983, S. 532) - ein beispielloser Erfolg fur einen Philoso-phen und fur ein Werk, an das Nietzsche ursprünglich die Erwartung auf den nun endlich falligen Durchbruch seiner Philosophie gekoppelt hatte und das unmittelbar nach seinem Erscheinen zur so gut wie unverkäuflichen, von vielen belächelten Kuriosität verkam. Gängig wurden nun, und zwar selbst seitens notorischer Nietz-sehegegner in Pädagogenkreisen, anerkennende Urteile derart, daß Nietzsches Name "zu den berühmtesten in der europäischen Kulturgeschichte" gehöre (Kiefl 1912, S. 818) bzw. daß Nietzsche "eine literarische Größe von europäischem Ruhm und dauernder Bedeutung" sei (Lehmann 1917, S. 378). Nietzsche, so darf man vielleicht zusammenfassen, war auf dem Weg zum KJassiker. Und skeptische Urteile derart, man habe es in seinem Fall mit einem 'Modephilosophen' (Natorp 1899, S. 84) zu tun, traten zunehmend außer Kraft. Der Oberlehrer Martin Havenstein etwa, der Nietzsche 1906 als "König der Pädagogik" (Havenstein 1906, S. 59) aufzubereiten versucht hatte, deklarierte 1922 mit großer Selbstverständlichkeit: "Nietzsche gehört zu den anerkannten Größen der Weltliteratur" (Havenstein 1922,

' S. 30), Gegen Ende der Weimarer Epoche wurde Nietzsche gar zum Propheten der "geistige(n) Wende um 1900" deklariert und mit Kant, dem "geistige(n) Vater" (Dolch 1933, S. 48) der Zeit um 1800, parallel gesetzt.

Fördernd fur diesen Erfolg war zweifellos auch das Mysterium und die Tragik um Nietzsches Krankheit. In Weimar, so notierte Leo Berg noch zu Zeiten von Nietz-sches letzten Jahren in der Weimarer Pflege seiner Schwester,

"wo man das Menschliche in der Poesie betont, stellte sich das menschliche Schicksal Nietzsches von selbst als poetisches Sujet dar: der glänzendste Geist plötzlich vom tiefsten Dunkel umnachtet, übermenschlicher Stolz und Trotz heimtückisch eben durch die Mächte bestraft, gegen die er sich auflehnte. Da war so etwas, wie der typi-sche Fall einer tragischen Hybris" (Berg 1897, S. 150).

Nicht weniger folgenreich und beklemmend war, gleichsam in einer zweiten Welle der Nietzsche-Rezeption, Nietzsches Tod im August 1900, der selbst einem Nietz-sche gegenüber skeptisch eingestellten pädagogischen Praktiker wie dem Lehrer Heinrich Heine signalisierte, "daß die Zeit der Verkennung vorüber sei" (Heine 1902, S. 276). Es zeichnete den Nietzscheverehrer aus, die gleiche Botschaft mit etwas mehr Pathos vorzutragen. "Wie die Lehre Christi erst durch seinen Kreu-zestod Weltbedeutung gewann", so beispielsweise Hans Landsberg, einen denkbar provokanten Vergleich wählend, "so war der geistige Tod Nietzsches der Verbrei-tung seiner Philosophie günstig" (Landsberg 1902, S. 46). Etwas zurückhaltender, aber wohl auch zuverlässiger wirken autobiographische Notizen, etwa jene Hans Carossas, der zu Nietzsches Tod meinte: "während die bürgerliche Welt dieses Er-eignis kaum zur Kenntnis nahm, entstand in der geistigen Jugend eine so starke Bewegung, als wären 'Die fröhliche Wissenschaft' oder das Buch 'Zarathustra' eben

' erst erschienen" (zit.n. Krumme! 1974, S. 203). Zu dieser 'geistigen Jugend' gehör-ten auch viele derer, die später als Universitätspädagogen den Pädagogikdiskurs des 20. Jahrhunderts dominieren sollten.

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Nimmt man dies nun im Zusammenhang, wäre der Untersuchungszeitraum an sich auf die 1890er Jahre auszudehnen. Dies gilt ungeachtet von Wilhelm Flitners Be-merkung, wonach in dem wohlgeordneten Staatswesen von 1900

"seit Nietzsches Wirken ein geistiges Ungenügen, Unsicherheit und Wertbrüche (entstanden), die nicht nur von Schriftstellern und Dichtern erfahren werden, sondern von den Volkserziehern und der Jugend selber" (Flitner 1927, S. 58).

Denn zumindest die Jugend reagierte schon in dieser Zeit auf Nietzsche, und infol-gedessen waren auch die Erwachsenen zur Stellungnahme gezwungen. Im übrigen waren Hugo Göring und Paul Güßfeldt, also zwei der reformfreudigen Protagoni-sten der durch die Kaiserrede vom Dezember 1890 ausgelösten Schulreformdebatte (vgl. Gurlitt 1905, S. 84 ff.), die denn auch von Wilhelm Münch {1913) der frühen, nach K F. Sturms (1930) Periodisierungsvorschlag 1890 anhebenden Phase der Reformpädagogik zugerechnet wurden, Teilnehmer jener Nietzsches Texte ins Zen-trum rückenden Diskussionsrunde, die sich zwischen 1882 und 1886/87 in Berlin um Lau Salome und Paul Ree gebildet hatte und der auch Rudolf Lebmann ange-hörte. Zumindest Paul Güßfeldts initialgebende Schrift Die Erziehung der deutschen Jugend von 1890 kennt denn auch an Nietzsches Polemik gegenüber den "Scheinmenschen" (KSA I, S. 338) erinnernde und von der bald einsetzenden Kritik verständnislos zurückgewiesene (vgl. Conradt 1890, S. 4) zeitkritische Formulie-rungen wie beispielsweise: "Jedes Kind ist ein Original; erst allmählich entwickelt sich daraus der Schablonenmensch" (Güßfeldt 1890, S. 7). Und damit war nicht nur aufNietzsche zurück-, sondern auch auf die spätere reformpädagogische Argumen-tation vorweggewiesen, . wie allein schon Hugo Gaudigs Kritik an der "Schablonenkultur" (Gaudig 1917, S. 24) belegt.

Tatsächlich aber, und dies macht Flitners Argument nicht unberechtigt, blieb der Vorgriff Güßfeldts eher Episode und die Schulreformdebatte Makulatur. Ver-gleichsweise isoliert stand denn auch zunächst die als Nachklang dieser Debatte zu lesende Auffassung eines Oberlehrers aus dem Jahre 1892 da, wonach Nietzsches-von ihm im weiteren Fortgang ausfuhrlieh gewürdigte - Zweite Unzeitgemäße Be-trachtung Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben aus den diesem Themengebiet zugewandten Stellungnahmen herausrage (Stoeckert 1892, S. 3). Denn erst um die Jahrhundertwende ist eine verstärkte Bezugnahme auf Nietzsche, vermutlich bedingt durch die zweite Welle der Rezeption infolge seines Todes, und, in zweiter Ordnung, infolge der Publikation Das Jahrhundert des Kindes von Ellen Key auch in Pädagogenkreisen beobachtbar, und zwar zunächst eher in Kreisen der Praktiker und an Pädagogik interessierten Laien.

4.2 Das Problem der Quellenlage

Quellenkritik ist unverzichtbar im Rahmen von Rezeptionsforschung, aber gerade im Fall Nietzsche allererstes Gebot, weil die im hier interessierenden Untersuchungs-zeitraum edierten Werk- und Briefausgaben Nietzsches von dem unter Leitung von Nietzsches Schwester stehenden Nietzsche-Archiv betreut wurden und teilweise auf systematischen Fälschungen beruhen. Eines der Motive, dem sie dabei Folge leistete, hatte sie im April 1883 ihrer Mutter offenbart: "Siehst Du, ich wünschte bloß, Fritz

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hätte Försters (ihres antisemitischen späteren Mannes; C.N.) Ansichten" (zit. n. Pe-ters 1983, S. 110). Mit dieser so motivierten Strategie war sie ihrem Bruder in eine weit größere Feme entrückt, als dieser selbst es wohl fiir möglich gehalten hatte, als er ihr Ende 1887 in einem Briefentwurf die rhetorische Frage stellte: ,,Hast Du gar nichts begriffen, wozu ich in derWeit bin?" (KSB 8, S. 218)

Drei Jahre zuvor hatte sie ihm mitgeteilt, sie würde am liebsten "die Zarathustras aus dem öffentlichen Verkehr herausziehen", weil man denselben "allzugroße Sub-jectivität vorwerfe" (KGB III 2, S. 487) - ein offenbar schlagendes Argument fiir sie, dem sie auch nachgab, als sie Nietzsches Eccehomo um die sie und ihre Familie belastenden Passagen 'kürzte' (vgl. Montinari 1972). Nietzsche hatte auch um derlei schon geahnt:

"Lord Byron hat einiges Persönlichste über sich aufgezeichnet, aber Themas Moore war 'zu gut' dafür: er verbrannte die Papiere seines Freundes",

notierte er sich in der Genealogie der Moral als Exempel fiir seinen Satz über die "guten Menschen", die

"in Hinsicht auf Ehrlichkeit zu Schanden gemacht und verhunzt (sind) fur alle Ewig-keit: wer von ihnen hielte noch eine Wahrheit 'über den Menschen' aus!" (KSA 5, S. 386)

Nietzsche hatte mithin schon von der Theorie her gute Gründe fiir seinen nicht mehr zur Durchfuhrung gebrachten Vorsatz, den Verkehr mit allen Menschen abzubre-chen, "welche zu meiner Schwester halten" (KSB 6, S. 498).

Die Nietzscheforschung und zumal die Nietzsche-Rezeption brauchte einige Zeit, um Einsicht in derlei Zusammenhänge zu gewinnen und Quellenkritik gerade im Fall Nietzsche zu einem Muß zu erheben. So blieb beispielsweise der Nimbus von Nietzsches Schwester als kompetente Sachwahrerin des Nietzsche-Archivs und au-thentische Auskunftsstelle in Sachen Nietzsche über Jahre hinweg weitgehend in-takt. Daran konnten selbst größere Skandale, wie etwa der gerichtlich ausgefoch-tene Streit um die Quellenfrage in der Nietzsche-/Overbeck-Biographie des Overbeck-Schülers Bernoulli (1908), wenig ändern. Entsprechend wurde zunächst allenfalls zu bedenken gegeben, daß ihre Nietzsche-Biographie 'schwärmerisch' sei (Kalthoff 1900, S 80) und in erster Linie dem Ziel diene, einen "Nietzsche-Kultus" (Wellenberg 1905, S. 8) zu begründen. Dies allerdings konnte auch contra Nietz-sche gemeint sein, nämlich dahingehend, daß die Schwester sich (letztlich erfolglos) bemühe, "große Quantitäten Zuckerwasser in das von Nietzsche gebraute Gift zu mischen" (Düringer 1906, S. 57). Daß es sich tatsächlich eher umgekehrt verhielt, blieb allerdings zunächst weitgehend unerkannt. Immerhin wurden zunehmend Stimmen lauter, die gegen die von der Schwester bezogene "Stellung einer unfehlba-ren Nietzsche-Päpstin" (Gramzow 1906, S. 506) Einspruch einlegten und darauf hinwiesen, daß "sie viel zu wenig Verständnis fiir wissenschaftliche Dinge und auch fiir die Psychologie ihres Bruders" besäße, "um eine fuhrende Rolle in der Nietz-seheliteratur zu spielen" (Gramzow 1907, S. 12). Begleitet wurden derlei Einsprü-che von dem Argument, daß aus ihrer Hand ein "Zerrbild" ( ebd.) von Nietzsches Person und Lehre hervorgegangen sei, so daß ein Übergang des Nietzsche-Archivs in "Staats- oder Kommunalbesitz" erforderlich sei, weil die Nachwelt sich ansonsten

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"nur sehr schwer zu einem richtigen Bilde von Friedrich Nietzsche hindurcharbei-ten" (ebd., S. 13) könne. Von hier aus bis zu einem systematisch begründeten- und verbreitet geteilten- Fälschungsverdacht war es allerdings noch ein weiter Weg.

So kam es, wie es kommen mußte: Kolportiert wurden immer wieder von Elisabeth Förster-Nietzsche verbreitete Legenden, und sei es nur die, daß Nietzsches "größtes Glück () die beiden Frauen (waren), die ihn mit nie ermüdender Liebe durch sein Leben begleitet haben" (Frost 1906, S. 23) oder daß Nietzsche seiner Schwester "nie im Leben ein unfreundliches Wort gesagt" habe (Jesinghaus 1907, S. 29). Glei-chen Zuspruchs erfreuten sich offenkundige Lügen Förster-Nietzsches, wie bei-spielsweise die, daß ihr Vater, wie Wollenberg (1905, S. 9), Düringer (1906, S. 4) und Frost (1906, S. 6) weiter erzählten, irrfolge des Sturzes von einer Treppe starb. Die Urheberirr all dieser Geschichten, die langjährige Herrseherin über das Weimarer Nietzsche-Archiv, wurde erstmals 1907 von bekannten Professoren wie Hans Vaihinger oder Alois Riehl fiir den Nobelpreis vorgeschlagen und bekam 1921 von der Universität Jena die Ehrendoktorwürde verliehen.

Es sollte noch bis in die 50er Jahre dauern, ehe "'die stadtbekannte Schwester des weltberühmten Philosophen"' (Friedlaender zit. n. Benjamin 1932, S. 323) von Kar! Schlechta als Fälscherirr entlarvt wurde. "Wer sich fiir die Schwester entscheidet, entscheidet sich gegen Nietzsche", meinte Schlechta (1959, S. 93) entsprechend selbstbewußt verlauten lassen zu können. Bei all dem war es allerdings peinlich, daß sich Schlechta selbst mit seiner 1956 erschienenen Edition der von Förster-Nietzsche verantworteten Kompilation Der Wille zur Macht - unter der Überschrift Aus dem Nachlaß der Achtzigerjahre - teilweise fiir die Schwester 'entschieden' hatte, also eine Reihe von Fälschungen und Auslassungen (unerkannt?) beibehielt, die, wegen der weiten Verbreitung der Schlechta-Ausgabe, dem Nietzschebild bis in die jüngste Vergangenheit hinein nicht eben förderlich waren. Es ist dieser Hin-tergrund, der die durch Giorgio Colli und Mazzino Montinari angeregte neue und seit 1967 erscheinende, erstmals auch unter textkritischen Aspekten zuverlässige Werkausgabe zwingend machte und der beständig nach Beachtung und quellenkriti-scher Sondierung verlangt. Letzteres gilt vor allem deshalb, weil - um nur ein Bei-spiel' zu geben, das auch einen Schatten wirft auf manches Zeugnis modemder

1 Sprangerschrieb 1939: "Aus tiefster Verzweiflung uns wieder zu erheben, aus dem Leiden heraus stärker und reiner zu werden, wurde uns (den Deutschen, C.N.) manchmal vergönnt. Nietzsche hat die Deutschen deshalb die ewig Werdenden genannt" (Spranger 1939b, S. 325). Spranger bezog sich hier, in dieser erkennbar auf die 'Schmach' von Versailles anspielenden Passage, auf eine auch schon von Baeumler (1931, S. 159 f.) ini Rahmen seiner nationalsozialistischen Nietzschedeutung ins Zentrum gerückte, während der Zeit des Nationalsozialismus ohnehin sehr gerne zitierte (vgl. Aschheini 1996, S. 270) Formulierung Nietzsches aus dem Nachlaß von 1885, die mit dem Satz beginnt: "Die Deutschen sind noch nichts, aber sie werden etwas" (KSA II, S. 572). Bemhard Taureck, so will es auf den ersten Blick also scheinen, hatte einige gute Gründe, als er vor einigen Jahren mit dieser Formulierung belegen wollte, daß Nietzsche auf "nationale() Potenzen" Deutschlands abge-stellt und insoweit zur Einigung des "Spektrum(s) der Rechten (Wilhelm 11, Moeller van den Bruck, Spengler, Ernst Jünger und die Nationalsozialisten) im hmeren" (Taureck 1989, S. 157) beigetragen habe. Indes: Was man Spranger wie Baeumler nachsehen darf, Taureck

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'Nietzscheforschung' - sich zeigen läßt, daß die Nazifizierung Nietzsches durch Pädagogen (in diesem Fall Baeumler und Spranger) offenbar auch dadurch erleich-tert wurde, daß die damalige Quellenlage keine Differenzierung zwischen den Fäl-schungen der Schwester und dem Originalton Nietzsches zuließ.

4.3 Das Problem der expliziten oder impliziten Rezeption

Es kommt noch ein weiteres Problem hinzu, nämlich das der differenten Rezepti-onsweisen. An (heterogenen) Rezeptionstypologien herrscht in der (literaturwissenschaftlichen) Debatte um Rezeptionsanalyse bzw. Rezeptionsfor-schung kein Mangel (vgl. Wunberg 1975, S. 119 ff.). Am ehesten entspricht einem Teil der hier thematischen Quellen die von Vivetta Vivarelli (1984, S. 524) stam-mende Kategorie einer "unterschwelligen", im folgenden: impliziten (Nietzsche-)Rezeption, die es dann nahelegt, auch von expliziter Rezeption zu sprechen. Von letzterer kann dann gesprochen werden, wenn Nietzsche expressis verbis diskutiert und eventuell sogar, mit nachprüfbaren Belegstellen, zitiert wird. yon impliziter Rezeption ist zu sprechen, wenn der Autor des je untersuchten Tex-tes, fur den Experten erkennbar, auf Nietzsche Bezug nimmt, ohne daß er dies in irgendeiner Weise kenntlich gemacht hat.

Ein besonderes Problem entsteht dadurch, daß gerade im Fall Nietzsche mit einer Häufung impliziter Rezeptionsweisen zu rechnen ist. Nicht gemeint ist damit das häufig nur ungenaue Zitieren Nietzsches. Denn dies läßt sich auch in anderen Zu-sammenhängen feststellen und gehört zu den damals noch nicht sonderlich profes-sionalisierten Usancen wissenschaftlichen Arbeitens, spricht aber noch nicht fur eine bloß implizite Rezeption, auch wenn es die Rezeptionsforschung selbst vor einige Probleme - etwa hinsichtlich der Identifikation der jeweiligen Quelle - stellt. Auch kann ungenaues Zitieren zu Lasten des je untersuchten Autors (resp. der Autorin) Fehldeutungen des von Nietzsche Gemeinten im Gefolge haben. Implizite Rezeption meint aber etwas anderes, und ein prominentes Beispiel hierfur ist Sigmund Freud. Denn sein Einwand, er habe sich die Nietzschelektüre mit der bewußten Molivie-rung versagt, "in der Verarbeitung der psychoanalytischen Eindrücke durch keinerlei Erwartungsvorstellung behindert sein" zu wollen (Freud 1914, S. 53), ist oft mit der kritischen Anfrage konfrontiert worden, ob er Nietzsche nicht doch intensiv gelesen habe oder durch Dritte über ihn informiert war (vgl. Venturelli 1984, S 472 ff.). Und hier scheint der Gegeneinwand nicht unberechtigt, wonach es "zur Zeit der

allerdings - der sich als seriöser Nietzscheforscher verstehen dürfte-, nicht, ist der auch von Steven Aschheim offenbar nicht erkannte Umstand, daß es sich hier um eine Fälschung der Schwester handelt, daß also allein die Ausgabe Colli/Montinari zuverlässig ist. Sie auch erst enthält die von Nietzsches Schwester unterdruckte und von allen (ihr) folgenden Her-ausgebern fortgelassene Fortfuhrung dieses Nietzsche-Zitats: "also haben sie noch keine Kultur, - also können sie noch keine Cultur haben! Dies ist mein Satz: mag sich daran stoßen, wer es muß: nämlich wer Deutschthümelei im Schädel (oder im Schilde) fuhrt!" (KSA 11, S. 572) Daß diese Fortfiihrnng die Deutung Taurecks ebensowenig zuläßt wie jene Sprangcrs oder Baeumlers, steht wohl außer Frage.

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frühen Reife Freuds nicht nötig war, Nietzsche studiert zu haben, um von seinem Denken durchdmngen zu sein" (Ellenberger 1973, S. 382).

Noch um die Jahrhundertwende notierte denn auch ein besorgter Pädagoge, daß die "ungewöhnlich große Nachfrage nach den Schriften Friedrich Nietzsches" seit zehn Jahren bekannt sei, um fortzufahren:

"Wer aber, wie ich, die zehn oder zwölf Bäode durchgelesen hat, der bemerkt auch, wie stark die Journalistik unserer Tage davon infiziert ist und wie arg der große und umfassende Geist von stillen Anhängern und auch von andern immerfort ausgebeutet wird" (Baumeister 1902, S. I).

Die Folge dessen war, wie Bemhard Gaster monierte, daß von Nietzsches Philoso-phie "meist nur Schlagworte in den geistigen Besitz der sogenarmten Gebildeten übergegangen sind" (Gaster 1905, S. 241). Wenig später sprach Martin Havenstein in Sachen Nietzsche-Rezeption gar von einer "elenden Schlagwörterkunde", die einen "schändlichen Mißbrauch" Nietzsches im Gefolge habe (Havenstein 1906, S. 13). Während des Ersten Weltkrieges wurde verschiedentlich gegen die verwirren-den "Schlagworturteile" (Tögel 1917, S. 598) in Sachen Nietzsche protestiert, nicht zuletzt von Rudolf Lehmann, der die Indienstnahme Nietzsches fur die Kriegspolitik des Deutschen Reiches scharf kritisierte und dafur scheinbar sich von selbst verste-hende "Schlagworte" - wie "Willen zur Macht", "Übermensch", "Jenseits von Gut und Böse" - verantwortlich machte (Lehmann 1917, S. 378). So gesehen aber stünde der Fall Freud lediglich fur ein zwar besonders prominentes, aber zugleich -wegen der Gleichgerichtetheit seiner psychologischen Ambitionen mit denen Nietz-sches - gänzlich harmloses Beispiel fur eine implizite Rezeption in der Variante 'stiller' Anhängerschaft.

Dabei ist, was die einzelnen Typen impliziter (pädagogischer) Nietzscherezeption angeht, die Verwendung von Schlagworten, die Nietzsche eingefuhrt oder populari-siert hatte, noch vergleichsweise harmlos, ebenso übrigens wie deren Einfugung in den eigenen Argumentationszusammenhang. Zur ersten Gruppe gehört Heinrich Scharrelmanns Wort von der "Kinderwelt" als eines "unerforschten Landes" (Scharrelmann 1904, S. 163) oder auch das allmähliche Beliebtwerden von Aus-drücken oder Redewendungen wie "Philisterthum" (Güßfeldt 1890, S. 15), "unzeitgemäß" (Otto 1897, S 25), "fröhliche Wissenschaft" (Gansberg 1909, S. 131), "Herdenmenschen" (Wolgast 1910, S. 87) oder "Jenseits von Gut und Böse" (Wichmann 1921, S. 87). Gleiches gilt fiir Aloys Fischers Lästern über "die müde, vom Gesetz der ewigen Wiederkehr der gleichen beherrschten Denkweise Diltheys" (Fischer 1923, S. 370). Auch das schlagwortartige Wiederholen von Auffassungen Nietzsches karm hierzu gerechnet werden, etwa der von Paul Bergemann (1900) als Motto eines seiner Bücher genutzte und auch von Heinrich Scharrelmann (1904, S. 161) oder Richard Goldberg (1911, S. 968) paraphrasierte AusrufNietzsches: "Es wird irgendwann eimual keinen anderen Gedanken geben als Erziehung" (KSA 8, S. 45). Dies sowie ein von Ellen Key (1905) ihrem Buch Das Jahrhundert des Kindes vorangestelltes Zarathustra-Motto2 verweist im übrigen darauf, daß Nietzsche in

2 "Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel, - das unentdeckte, im fernsten Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel suchen nnd suchen! An euren Kindem sollt

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der Pädagogik zunehmend als gleichsam klassischer Aphorismenfundus gehandelt wird.

Zur zweiten Gruppe lassen sich Formulierungen zählen wie die von der "Sklavenmoral, die jetzt auf unseren Schulen herrscht" (Lehmann 1901, S. 198), aber auch Sätze wie der vom "Pathos der Distanz", das der Lehrer alten Typs zwi-schen sich und den Schüler lege, fur das "unsere Zeit" aber "nicht zu haben" (Gaudig 1908, S. 256) sei. Auch Argumente wie etwa das, wonach die "Arbeitsschule eine Umwertung aller pädagogischen Werte" (Gläser 1911, S. 50) bedeute, gehören hierher. Gemeinsam ist diesen Beispielen, daß der jeweilige Autor offenbar versucht, die wachsende Diskurspräsenz der Referenzquelle Nietzsche als Anker fur die Bindung von Aufinerksamkeit zugunsten des eigenen Arguments zu nutzen. Darin bezeugt sich das allmähliche Modischwerden Nietzsches in der Päd-agogik ebenso wie in gelegentlich zu beobachtenden Versuchen pädagogischer Autoren, sich im Stile Nietzsches als Aphoristiker zu versuchen (vgl. etwa Schar-reirrrann 1904, S. 208 f; Gaudig 1904; 1908, S. 184 f.), die Attitüde des "wandernden Philosophen" ( Gansberg 1909, S. 134) zu bemühen oder, in deutlicher Anlehnung an Nietzsches Titel Die fröhliche Wissenschaft, ein ganzes Buchkapitel mit Die Philosophie des lustigen Lebens zu überschreiben ( Gurlitt 1905, S. 217).

Derlei Nietzscheanismen lassen sich selbstredend auch noch nach 1918 identifizie-ren, etwa wenn Kar! Wilker am unvermuteten Ort, nämlich in einem Bericht über sein vom April 1917 bis zum Oktober 1920 währendes reformpädagogisches Für-sorgeerziehungsexperiment, den radikalen Ausweg aus dem "reaktionären Schlendrian" nicht in der Begründung neuer, autarker Siedlungen erblickt und diese seine Absage an derlei "Lebensflucht" mit den erkennbar im Stile des Zarathustra gehaltenen Worten bekräftigt: "Aber ich sage euch: Euer Siedeln ist nichts andres als eure Feigheit vor dem Selbstmord" (Wilker 1921, S. 80).

Denken ließe sich auch an Aloys Fischer, der gelegentlich dazu neigte, Nietzsche ohne Nennung und ernsthafte Diskussion einfach zu 'widerlegen' ("Geschichte ist eben nicht die ewige Wiederkehr des Gleichen"; Fischer 1929a, S. 236), obgleich er in der Sache in vielerlei Hinsicht durchaus mit ihm übereinstimmte. So erinnert bei-spielsweise sein Satz: "Erst muß ein geistig lebendiger, erzogener Mensch sein, dann entstehen die objektiven Gebilde der Kultur" (Fischer 1925, S. 79), zu eindeutig an Nietzsches: "Schenkt mir erst Leben, dann will ich euch auch eine neue Cultur dar-aus schaffen!" (KSA 1, S. 329), als daß man nicht an eine Paraphrase oder zumin-dest doch eine Reaktion auf das von diesem aufgeworfene Problem denken mag -ebenso übrigens, wie bei dem wenig später folgenden Satz:

Der Historismus der heutigen Menschheit hat die unheimliche Folge gehabt, daß wir ;;;cht mehr naiv leben, sondern in stetem Vergleich" (Fischer 1925, S. 94).

Denn ähnlich hatte auch Nietzsche die Sache gesehen, wenn er in Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben das Dilemma der von historisch verbildeten jungen Menschen mit den Worten charakterisierte:

ihr gut machen, d~ss ihr eurer Väter Kinder seid: alles V ergangene sollt ihr so erlösen! Diese neue Tafel stelle ich über euch!" (KSA 4, S. 255).

"Jetzt weiss er es: in allen Zeiten war es anders, es kommt nicht darauf an, wie du bist" (KSA I, S. 299 f).

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Im übrigen erinnert eine ganze Abhandlung Fischers - nämlich sein Aufsatz Die Aufgqbe der Hochschulen im Kampf gegen die Inflation der Bildung (Fischer 1929b) - von Geist und Problemstellung her an den fiühen Nietzsche, nämlich an dessen Vorträge Ober die Zukunft unserer Bildungsanstalten; den Namen Nietz-sches sucht man allerdings umsonst.

Weniger harmlos ist eine Art. der Nietzschenutwng, die dem Tatbestand geistigen Diebstahls zumindest sehr nahekommt Ein Beispiel hierfur hat wiederum Johannes Gläser, der Popularisierer des Schlagwortes 'Vom Kinde aus', hinterlassen, wenn er, ohne Nietzsche auch nur einmal zu erwähnen, davon spricht, der ideale Schulmeister habe als "Befreier" zu fungieren, also einer Art "evolutionistische(r) Pädagogik" Folge zu leisten, die "sich nur als freimachend, als verhütend, als Hindernisse hin-wegräumend auffassen" (Gläser 1911, S. 51) lasse. Denn es war allererst Nietzsche gewesen, der den Erzieher als "Befreier" konzipiert sowie Bildung folgerichtig als "Befreiung" definiert hatte, als "Wegräumung allen Unkrauts, Schuttwerks, Ge-würms, das die zarten Keime der Pflanzen antasten will" (KSA 1, S. 341). Auch den hiermit umrissenen Zusammenhängen wäre im Untersuchungsverlauf Beachtung zu geben, indem man beispielsweise zunächst nur Texte heranzieht, die das Kriterium der expliziten Nietzsche-Bezugnahme - etwa über Titel, Untertitel, Fußnoten oder Literaturhinweise- erfullen.

4.4 Das Lagarde-!Langbehn"/Nietzsche-Problem

Nietzsche war keineswegs der einzige, der der Artikulierung pädagogikgebundenen Unbehagens förderlich war. Zu nennen wären des weiteren der von Lietz gelegent-lich zitierte Paul de Lagarde mit seiner Textsammlung Deutsche Schriften, die die von Nohl (1935, S. 17, 119) in Analogie zu Nietzsche gerückte, 1885 vorgelegte Abhandlung Ober die Klage, daß der deutschen Jugend der Idealismus fehle ent-hielt. Zu nennen wäre aber auch Julius Langbehn mit seiner 1890 erschienenen Arbeit Rembrandt als Erzieher. Schon der Titel dieser Schrift spielte auf spektaku-läre Weise mit dem Nietzsche-Titel Schopenhauer als Erzieher. Und da Langbehn sein Buch anonym erscheinen ließ, erzeugte er mancherorts den verkaufsfördernden Anfangsverdacht, es handele sich bei diesem Buch um das Vermächtnis des kurz zuvor unter spektakulären Umständen in geistige Umnachtung gesunkenen Nietz-sche. Dabei ist zusätzlich noch zu berücksichtigen, daß sich Langbehn im Herbst 1889, also unmittelbar vor Veröffentlichung seines Rembrandtals Erzieher, Nietz-sches Mutter als Nietzscheverehrer vorgestellt und die alte Dame mit spektakulären Heilungsversprechen verwirrt hatte (Podach 1932, S. 177 ff.). Insoweit kann es nicht überraschen, daß Heimich Pudor noch 1902 Langbehns Schrift fur "eine Frucht vom Baume Nietzsches" hielt und meinte, sie enthalte "Nietzschesche Wahr-heit in 'populärer' Form" (Pudor 1902, S. 26).

Zwar sah Leo Berg sehr viel klarer, wenn er schon im Jahr des Erscheinens von Langbehns Rembrandtals Erzieher von einem "wuseligen, duseligen Buche" schrieb und sich nicht genug darüber empören konnte, daß man ,jenen abstrusen Deutschen

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(Langbehn; C.N.) mit Nietzsche verglichen" und ihn gar Nietzsches "Schüler" genannt habe (Berg 1890, S. 1422). Gleichwohl hat sich die Folgeforschung eher an Pudcrs Position orientiert, und sei es nur im Sinne von Meinungen derart, Langbehn habe

"Nietzsche bis zu einem gewissen Grad den Weg zum Publikumfreigemacht, das hier ähnliche Gedanken in einer Sprache hörte, die geschmacklos, aber leicht verständlich ist, weil sie dem Leitartikelstil kleinerer Blätter entspricht und auch wohl entst;mmt" (Riema1111 1922, S. 279).

Weder diese noch die einschränkende Bemerkung Samuel Lublinskis, Langbehn sei ein "sehr seltsame(r)" Nietzsche-Vorläufer gewesen, der "von der Bildfläche ver-schwinden" mußte, "als endlich der Einfluß Nietzsches mit siegreicher Gewalt zum Durchbruch kam" (Lublinski 1904), konnte das auch in der Gegenwart dominante Urteil beeinträchtigen, wonach Langbehn- neben Lagarde- "einer der Vermittler der Philosophie Nietzsches an das deutsche Publikum gewesen" sei (Herfurth 1986/87, S. 85). Dabei ist es ein durchaus weiter Weg von der These, Langbehn habe Nietzsche den Weg zum Publikum 'freigemacht' bis hin zu der anderen, wo-nach er dem Publikum Nietzsches Philosophie vermittelt habe.

Auch die pädagogische Nietzschedeutung blieb um derlei Differenzierungen in der Regel unbesorgt. Die Vorgabe lieferte hier die geisteswissenschaftliche Pädagogik in Gestalt der Nohl-Schule, deren Zentralgesichtspunkt in dieser Sache sich exempla-risch bei Erich Weniger findet, wenn er Nietzsches pädagogischen Beitrag unter dem Titel einer "erzieherische(n) Gegenwirkung" (Weniger 1929, S. 45) gegen die auch von Langbehn (und Lagarde) diagnostizierte Kultur-, Bildungs- und Staatskri-sis des auslaufenden 19. Jahrhunderts verbucht. Für diese These mag sprechen, daß ein so schillernder Teilhaber der 'erzieherischen Gegenwirkung' wie Ludwig Gurlitt (vgl. Cancik 1987, S. 63 f.) mit großer Unbekümmertheit mal Lagarde (Gurlitt 1905, S. 64 f., 139, 195), mal Langbehn (ebd., S. 62, 134, 157) und mal Nietzsche (ebd., S. 41, 198, 212) fur die Stärkung seiner Argumente nutzte und selbst Paul Oestreich kaum Probleme hatte, die Bildungskritik Nietzsches jener Lagardes zu integrieren (Oestreich 1916/17, S. 14 f.). Und doch legen sich vorsichtigere Urteile als jenes Wenigcrs nahe. Zu berücksichtigen wäre beispielsweise, daß sich ein so erklärter Nietzschefeind wie Otto Ernst zugleich als Langbehnfreund verstand (vgl. Wilkending 1980, S 350). Ganz abgesehen davon mißachtete Weniger und mit ihm ein großer Teil der ihm nachfolgenden pädagogischen Geschichtsschreibung Un-gleichzeitigkeiten in der Wirkung und - von Nietzsche vehement betonte - Inkom-mensurabilitäten in der Bedeutung. So war, um mit ersterem zu beginnen, schon um die Jahrhundertwende, also auf dem Höhepunkt der Nietzschewirkung, in Pädagogenkreisen im Zusammenhang mit Lagardes BuchDeutsche Schriften von der "fiühzeitige(n) Vergessenheit" die Rede, "der es bereits zu verfallen scheint" (Lehmann 1901, S. 325). Auch Langbehn galt zu dieser Zeit als "ganz verschollen()" (Krumme! 1974, S. 261) bzw. "völlig in dte Vergessenheit gesunken" und ohne "irgendwelche lebendige Wirkung" (Wilkending 1980, S. 68). Ulrich Aufmuths These, nicht Nietzsche, sondern Langbehn sei "der profiliertesie Kulturkritiker der Jahrhundertwende" gewesen (Aufinuth 1979, S. 126), scheint insoweit durchaus problematisch. Langbehn und Lagarde konnten zu

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der Zeit, zu der die 'erzieherische Gegenwirkung' machtvoll einsetzte, ihres Ruhmes längst nicht mehr so gewiß sein. wie Nietzsche. Und sie wurden in ihren kultur-und bildungskritischen Impulsen offenbar von vielen auch als unvereinbar mit Nietzsche erlebt. Erinnert sei hier nicht zuletzt an Nietzsche selbst, der im März 1887 brieflich mit Blick auf Lagarde durchblicken ließ, daß er über die Bücher dieses "ebenso gespreizten als sentimentalen Querkopfs" (KSB 8, S. 46) nur lachen könne. Wenig später setzte er noch, wiederum unter Verweis auf Lagarde, hinzu, daß er gegen das "abscheuliche Mitredenwollen noioser Dilettanten über den Werth von Menschen und Rassen" und gegen die "Unterwerfung unter 'Autoritäten' sei, die "von jedem besonneneren Geiste mit kalter Verachtung abgelehnt werden" (KSB 8, S. 51) -Äußerungen, an die im Vorfeld des Ersten Weltkrieges erinnert wurde, um Lagarde sowie Nietzsche aus nationalem Interesse als Antipoden aufzubereiten und "den heimlichen Zernagern und Untergrabern des Deutschtums" - wie Nietzsche - "das Handwerk" zu legen (Fritsch 1911, S. 116).

Indem die deutsche Pädagogik, abgesehen von gelegentlichen Ausnahmen (vgl. etwa Flitner 1927, S. 112), Lagarde (sowie Langbehn) beharrlich mit Nietzsche kontex-tualisierte, ignorierte sie also das, was man hätte wissen können, und zwar fur den Preis der Beschädigung des Nietzschebildes der jeweiligen Nachfolgegenerationen. Insoweit kann auch nur Jürgen Oelkers zugestimmt werden in seiner Kritik an dem bis heute andauernden Konsens in vielen Lehrbüchern der Reformpädagogik, die Namen Nietzsche, Lagarde und Langbehn unter der Chiffre eines gleichsam einver-nehmlich argumentierenden Triumvirats abzuhandeln (ygl. Oelkers 1996, S. 61)' Nicht minder gravierend ist die pädagogische Editionspolitik in Sachen Nietzsche, insofern sie in der Regel durch ihre einseitige Konzentration auf den frühen Nietz-sche die Lagarde res. Langbehn-Assoziation noch verstärkt und den Ruf Nietzsches als eines elitären Bildungsphilosophen einseitig fördert. Besondere Verantwortung trägt hier die zweibändige Textsammlung Die deutsche Reformpädagogik von Wilhelm Flitner und Gerhard Kudritzki aus dem Jalrre 1961. Hier nämlich findet sich Nietzsche mit Auszügen aus seinen Vorträgen Über die Zukunft unserer Bildungs-anstalten sowie einem weiteren Auszug aus Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben unter dem Themenbereich Pädagogische Folgerungen aus der Kul-turkritik und im engen Zusammensein mit einem Textauszug Paul de Lagardes. Als sei dies noch nicht genug, blieb in dem Kommentarteil dieser Edition gänzlich un-erörtert, warum man noch 1961 die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf einen Text meinte richten zu dürfen, von dessen Publikation Nietzsche mit gutem Grund absah, und zwar dies offenbar auch, weil Nietzsche hier - wie die neuere Quellenforschung zeigt (vgl. Schneider 1992) -teilweise nur den zeitgenössischen Pädagogikdiskurs paraphrasierte. Auch die Wagner-Paraphrasen blieben unentdeckt.

Am folgenreichsten aber war noch die Fehldatierung des Ersterscheinungsdatums (1893/94) dieser Vorträge auf das Jahr 1921, mit der offenbar der Annahme Flitners, diese Vorträge seien "erst nach 1900 zu geringer Wirkung" gekommen (Flitner 1961, S. 14), ebenso Referenz erwiesen werden sollte wie einer gleichgerichteten Wirkungsannahme Sprangcrs (vgl. Kudritzki 1961, S. 309) und die in ihrer Konsequenz die Überschätzung des Lagarde- resp. Langbehn-Einflusses auf den Bildungsdiskurs der Jahrhundertwende forcierte bzw., in der Umkehrung gesprochen: die der in der Pädagogik auch heute noch weitverbreiteten Legende

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Vorschub leistete, Nietzsche sei erst in der Weimarer Epoche zur vollen Wirksam-keit gelangt. Das Überdauern dieser Legendenbildung ist um so bemerkenswerter, weil ein auch nur ins Grobe greifender Rückgriff auf einige zeitgenössische Quellen darüber aufklären könnte, daß die Vorträge Nietzsches lange vor 1921 breit disku-tiert wurden. Wer Kudritzki/Flitner resp. Spranger folgt, wird denn auch nur mit ei-niger Irritation zur Kenntnis nehmen können, daß schon die von Theobald Ziegler 1899 vorgelegte Bilanz Die geistigen und sozialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts ein seitenlanges Referat der Vorträge bringt (vgl. Ziegler 1911, S. 590 ff; vgl. Drewek 1998).

Im übrigen haben auch andere pädagogisch interessierte Rezipienten (etwa Lyon 1899, S. 461 f; Kalthoff 1900, S. 288 ff.; Reine 1902) Nietzsches Vorträge schon um die Jahrhundertwende beachtetet (vgl. auch Schlaf 1907, S. 69), die dann, teils im Nachgang zu Weber (1907), immer intensiver erörtert wurden (vgl. u.a. Lau-scher 1908; Sirnon 1909; Stein 1910; Gottlieb 1911; Wallaschek 1911; Wessely 1912; Hier! 1914; Mahrholz 1916) und die, zusammen mit den Unzeitgemäßen Betrachtungen von 1872-1876, einem (pädagogischen) Nietzschebild förderlich waren, das die Abspaltung vom moralkritischen späten Nietzsche erlaubte bzw. das - abgesehen von Vertretern der Kunsterziehungsbewegung wie Ernst Weber - die Ablehnung Nietzsches an dessen frühe Genieästhetik band. Die fast schon 'ewige Wiederkunft' des immer gleichen pädagogischen Nietzschebildes erklärt sich mögli-cherweise allein schon aus diesen Zusammenhängen. Jedenfalls ist es durchaus auf-fallig, daß sich nicht nur bei Stein (1910, S. 78), Wallaschek (1911, S. 309) oder Wessely (1912, S. 631), sondern auch später und eigentlich bis heute aufNietzsches (angebliche) bildungspolitische Absichten bezügliche Schlagworte finden wie "Herrschaft des Genialen" (Foerster 1923, S. 64), "Geniekult" und "Elitemoral" (Derbolav 1955, S. 43), Unterwerfung unter die "Zucht durch die Dichter und Den-ker" (Groothoff 1969, S. 222), "Verachtung der 'Massen'" (Nipkow 1977, S. 221), "Hohelied des Genius" (Löwisch 1989, S. 212) bzw. "Befurwortung einer Eliten-Bildung" (Hebel/Porath 1989, S. 229). - Damit mag die Notwendigkeit eines Pro-jekts zur Erforschung der pädagogischen Nietzscherezeption hinlänglich verdeutlicht sem.

Epilog

Das Vorstehende sollte keinen Bericht zur (reform-)pädagogischen Nietzsche-Rezeption geben, sondern einen zu dem, was man in ihrem Vorfeld zu bedenken hat. Vollständigkeit war mit der Auflistung nicht angestrebt, wohl aber (auf seiten des Lesers) eine gewisse Nachdenklichkeit hinsichtlich der Bedeutung des Themas und der Schwierigkeiten, die sich bei seiner Bearbeitung stellen. In beiden Richtungen scheint es sich zu lohnen, Zeit und Kraft zu investieren. Denn auch wenn am Ende gewiß kein neuer Nietzsche-Kult stehen wird und stehen sollte: das Wissen darüber zu mehren, was die Pädagogik mit Nietzsche machte und gegen ihn hatte, ist ein Auftrag, dem die Disziplin sich auf Dauer wohl besser nicht entziehen sollte.

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