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1 I. Einleitung A. Das Ausgangsproblem Die gültige Schiedsvereinbarung ist Eckpfeiler jedes Schiedsverfahrens. Sie hat den Zweck, die Zuständigkeit staatlicher Gerichte auszuschließen, die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts herbeizuführen und die internationale Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs zu gewährleisten. 1 Bei grenzüber- schreitender Rechtsverfolgung erscheinen Schiedsvereinbarungen aufgrund ihrer vielfältigen Berührungspunkte zu diversen nationalen Rechten als „Prototyp eines internationalen Sachverhalts“ 2 , wodurch die Frage des auf sie anwendbaren Rechts aufgeworfen wird. Im österreichischen Schieds- verfahrensrecht wird es über die traditionelle kollisionsrechtliche Methode ermittelt, die den Interessen des internationalen und nationalen Entschei- dungseinklanges dient: Die Schiedsvereinbarung soll in möglichst vielen Staaten sowie in allen Verfahrensstadien demselben Recht unterworfen sein. Allerdings weist diese Methodik beachtliche Unzulänglichkeiten auf. Sie bringt nämlich Recht, das für interne Sachverhalte konzipiert ist, auf inter- nationale Sachverhalte zur Anwendung. Die Verweisung erfolgt aufgrund räumlicher Bezugspunkte und damit neutral und unabhängig von Inhalt und normativen Zielsetzungen des zur Anwendung berufenen Sachrechts. 3 Dadurch kann die neutrale kollisionsrechtliche Methode kaum verhindern, dass die Schiedsvereinbarung einem ungeeigneten und ungünstigen natio- nalen Recht unterworfen wird. 4 Sie vermag auch nicht zu gewährleisten, 1 Vgl zu den Zielsetzungen, die mit dem Abschluss von Schiedsvereinbarungen ver- folgt werden etwa von Saucken, Reform 39; Poudret/Besson, Arbitration 2 Rz 149; Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I Rz 3/1. 2 von Hülsen, Gültigkeit 4. 3 Vgl zur Neutralität von Kollisionsnormen etwa: Steindorff, Sachnormen 9 f, 278; Vignal, Droit 2 Rz 86 f; Audit, Droit 6 Rz 105. 4 Born/Koepp in FS Schlosser 59: Ungünstige rechtliche Bestimmungen, die durch eine kollisionsrechtliche Verweisung auf die Schiedsvereinbarung zur

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I. Einleitung

A. Das Ausgangsproblem

Die gültige Schiedsvereinbarung ist Eckpfeiler jedes Schiedsverfahrens. Sie hat den Zweck, die Zuständigkeit staatlicher Gerichte auszuschließen, die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts herbeizuführen und die internationale Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs zu gewährleisten.1 Bei grenzüber­schreitender Rechtsverfolgung erscheinen Schiedsvereinbarungen aufgrund ihrer vielfältigen Berührungspunkte zu diversen nationalen Rechten als „Prototyp eines internationalen Sachverhalts“2, wodurch die Frage des auf sie anwendbaren Rechts aufgeworfen wird. Im österreichischen Schieds­verfahrensrecht wird es über die traditionelle kollisionsrechtliche Methode ermittelt, die den Interessen des internationalen und nationalen Entschei­dungseinklanges dient: Die Schiedsvereinbarung soll in möglichst vielen Staaten sowie in allen Verfahrensstadien demselben Recht unterworfen sein. Allerdings weist diese Methodik beachtliche Unzulänglichkeiten auf. Sie bringt nämlich Recht, das für interne Sachverhalte konzipiert ist, auf inter­nationale Sachverhalte zur Anwendung. Die Verweisung erfolgt aufgrund räumlicher Bezugspunkte und damit neutral und unabhängig von Inhalt und normativen Zielsetzungen des zur Anwendung berufenen Sachrechts.3 Dadurch kann die neutrale kollisionsrechtliche Methode kaum verhindern, dass die Schiedsvereinbarung einem ungeeigneten und ungünstigen natio­nalen Recht unterworfen wird.4 Sie vermag auch nicht zu gewährleisten,

1 Vgl zu den Zielsetzungen, die mit dem Abschluss von Schiedsvereinbarungen ver­folgt werden etwa von Saucken, Reform 39; Poudret/Besson, Arbitration2 Rz 149; Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I Rz 3/1.

2 von Hülsen, Gültigkeit 4.3 Vgl zur Neutralität von Kollisionsnormen etwa: Steindorff, Sachnormen 9 f,

278; Vignal, Droit2 Rz 86 f; Audit, Droit6 Rz 105.4 Born/Koepp in FS Schlosser 59: Ungünstige rechtliche Bestimmungen, die

durch eine kollisionsrechtliche Verweisung auf die Schiedsvereinbarung zur

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I. Einleitung

dass sich die Fragen des Zustandekommens und der Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen nach Regelungen richten, die den Erwartungen und Bedürfnissen der Teilnehmer an internationalen Wirtschaftsschiedsverfah­ren inhaltlich Rechnung tragen.

Im Entwurf des neuen österreichischen Schiedsverfahrensrechts, das im Jahr 2006 in Kraft getreten ist, wurde eine am schweizerischen Recht orientierte, nicht neutrale Kollisionsnorm zur Bestimmung des Schieds­vereinbarungsstatuts vorgeschlagen: Die Gültigkeit von Schiedsvereinba­rungen sollte alternativ dem günstigsten von drei Rechten unterstellt wer­den.5 Diesem Wunsch ist der österreichische Gesetzgeber jedoch nicht nachgekommen.6

In der französischen Rsp hat sich ein origineller, mit der schweizeri­schen Lösung vergleichbarer Ansatz zur Vermeidung der Schwächen der neutralen kollisionsrechtlichen Methode entwickelt, der die Effektivität internationaler Schiedsvereinbarungen steigern soll: die rechtliche Auto­nomie der Schiedsvereinbarung. In der Leitentscheidung Municipalité de Khoms El Mergeb v Société Dalico7 etablierte die Cour de cassation 1993 eine bis heute geltende Formel: Existenz und Wirkung einer Schiedsver­einbarung bestimmen sich „vorbehaltlich der zwingenden Bestimmungen französischen Rechts und des internationalen ordre publics nach dem ge­meinsamen Willen der Parteien, ohne dass es dafür notwendig wäre, sich auf ein nationales Recht zu beziehen“. Konkret wird die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen bei dieser „radikal internationalistischen Lösung“8 nach den sog „Sachnormen des französischen internationalen Schiedsver­fahrensrechts“ („règles matérielles du droit français de l’arbitrage inter­national“ in der Folge kurz „règles matérielles“) beurteilt. Es handelt sich dabei um IPR­Sachnormen, die speziell für die Bedürfnisse der Akteure internationaler wirtschaftsrechtlicher Beziehungen von französischen Ge­richten geschaffen wurden und kraft ihrer Funktionalität9 auf internatio­nale Schiedsvereinbarungen angewandt werden. Schiedsvereinbarungen

Anwendung gebracht werden, gefährden die Berechenbarkeit und Effektivität des internationalen Streitlösungsmechanismus Schiedsgerichtsbarkeit.

5 Art 178 Abs 3 schwIPRG: „Die Schiedsvereinbarung ist im Übrigen gültig, wenn sie dem von den Parteien gewählten, dem auf die Streitsache, insbesondere dem auf den Hauptvertrag anwendbaren oder dem schweizerischen Recht ent­spricht.“

6 Vgl zur Nichtübernahme des Vorschlags etwa Rechberger in Kloiber/Rechberger/Oberhammer/Haller, Schiedsrecht 79.

7 Cass civ 20. 12. 1993, Municipalité de Khoms El Mergeb v Société Dalico, Rev arb 1994, 116 (Gaudemet­Tallon) = JDI 1994, 432 (Gaillard).

8 von Hülsen, Gültigkeit 4.9 Grigera Naón, Choice­of­law Problems 271.

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