I Ging - Das Buch der Wandlungen · Für die Schwabenverlag AG ist Nachhaltigkeit ein wichtiger...

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I Ging Das Buch der Wandlungen neu übersetzt und kommentiert von Georg Zimmermann Patmos Verlag

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I GingDas Buch der Wandlungen

neu übersetzt und kommentiert vonGeorg Zimmermann

Patmos Verlag

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Für die Schwabenverlag AG ist Nachhaltigkeit ein wichtiger Maßstab ihres Handelns. Wir achten daher auf den Einsatz umweltschonender Ressourcen und Materialien.

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2. Auflage 2012Alle Rechte vorbehalten

© 2007 Patmos Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildernwww.patmos.de

Umschlaggestaltung: init . Büro für Gestaltung, BielefeldUmschlagabbildung: Landschaftsgemälde von Shokei, spätes 15. Jahrhundert,

Foto: © Burstein Collection/CorbisDruck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Hergestellt in DeutschlandISBN 978-3-8436-0261-7

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6Hinweise zur Benutzung dieser Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Das I Ging als Weisheits- und Lebensbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Textgeschichte und Rezeption des I Ging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Zur Rezeption im Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16Das Textmaterial des I Ging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Zum Aufbau des I Ging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Die Trigramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Die Hexagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Zentrale Begriffe des I Ging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30Zur »I-Ging-Ethik« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35Praxis der I-Ging-»Befragung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Art der Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36Die Stäbchenmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36Die Münzmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Wie findet man das Hexagramm und seine Wandlungen? . . . . . . . . 38Zur Symbolik des Auslegens mit den Stäbchen . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

Zu dieser Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41Zur Anordnung der vorliegenden Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Übersetzung mit Kommentaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Anmerkungen zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383Anmerkungen zur Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391Kreis der zwölf »Monatshexagramme« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391Die zehn »Himmels-Stämme«und ihre Zuordnung zu den Trigrammen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392Die vom Frieden (11) abgeleiteten Hexagramme . . . . . . . . . . . . . . . 394Die von der Stockung (12) abgeleiteten Hexagramme . . . . . . . . . . . 395Gefäße, die im I Ging genannt werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396Glossar zentraler I-Ging-Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398Tabelle zum Aufsuchen der Hexagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399

Titelei I Ging.qxp 09.03.2007 10:06 Seite 5

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Vorwort

Als mir vor über vierzig Jahren das I Ging in Richard Wilhelms Übersetzung erstmals in die Hand fiel, übte es sofort eine magische Wirkung auf mich aus. Es schien mir, dass darin aller Weisheit Schluss zu finden sei, wenn auch vor al-lem die Hexagrammtexte mich höchst seltsam anmuteten. Umso mehr Faszina-tion ging von den acht Bildern, den acht Trigrammen, und ihren Kombinationen aus, in denen ein System für die ganze Welt aufzuleuchten schien. Über Jahr-zehnte blieb mir das I Ging mehr oder weniger ein Buch mit sieben Siegeln, je-doch wusste ich instinktiv, dass seine Siegel nicht unbrechbar bleiben würden. In meinen intensiven Studien des meditativ ausgerichteten Taoismus leuchtete mir das I Ging oft von einer unerwarteten Seite entgegen, denn ich wurde wie-der und wieder mit I-Ging-Prinzipien konfrontiert, mit denen die Meditations-prozesse erkärt werden. Dies war ein erster und wesentlicher Schritt zur Entsie-gelung des I Ging, konnte ich mir doch damit einen unmittelbaren lebendigen Zugang zu ihm verschaffen. Zugleich mussten diese Erfahrungen auch im buch-stäblichen Sinn »übersetzt« werden: Aus einem mir allmählich vertrauten chi-nesischen Denken in ein westliches, soweit dies möglich war. Vor gut zwanzig Jahren gewann das I Ging einen allgemeineren Bekanntheits-grad, und ich wurde mehrmals gebeten, Einführungskurse in das Buch zu geben. Von diesem Zeitpunkt an ließ mich das I Ging nicht mehr los. Ich war fest ent-schlossen, es soweit wie möglich zu durchdringen. Dies gestaltete sich nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte, denn der beste Wille, dieses Buch ver-stehen zu wollen, reichte nicht aus. Ich musste es dem I Ging selbst überlassen, wie viel es mir von seinen Geheimnissen preisgeben wollte. Bild um Bild be-gann sich mir allmählich zu einem Gesamteindruck auszuformen. Mo-saiksteinchen um Mosaiksteinchen kamen vor allem durch das Studium des Ur-textes und bedeutender chinesischer Kommentare zum Ganzen zusammen. In diesem Prozess wurden mir die »Befragungen« des Buches immer wichtiger, denn ich sah mir damit ein Mittel in die Hand gegeben, um in mir selbst und bei anderen Personen die eigenen Intuitionen zu wichtigen Lebensfragen wachzuru-fen. Es faszinierte mich immer wieder von Neuem, welch präzise »Antworten« durch das I Ging erfolgten. Damit zeigte sich das I Ging keineswegs als »Ora-kelbuch« im üblichen Sinne, sondern als ein wunderbares Werkzeug, um zu sich selbst zu finden. Dies konnte kein Zufall sein, wenn es auch rational nicht erklärbar war. Meine Erkenntnisse und auch Auszüge aus meiner Übersetzung legte ich in den folgenden drei Büchern nieder. Darin ging es mir vor allem darum, dem westli-chen Leser einen Zugang in die wunderbare Welt des I Ging zu verschaffen, das nach meiner festen Überzeugung Weisheiten beinhaltet, die an keine einzelne Kultur gebunden sind. Das erste ist eine Einführung, das zweite ein Vertie-fungsbuch und das dritte ein knappe Zusammenfassung von beiden:

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I Ging leicht gemacht – Das Einführungsbuch, München 1999 I Ging für Meister, München 2000 I Ging, München 2003

Das Manuskript dieser Übersetzung liegt schon einige Jahre in einer vorläufigen Form vor, doch fanden sich immer noch viele Stellen, die neu gefasst werden mussten. So hat die Übersetzung des Buches der Wandlungen bis zu dieser End-fassung noch einige Wandlungen durchgemacht. Ein ganz besonderer Dank gebührt Irmgard Walter, die in unermüdlicher Weise die Texte Wort um Wort durchging und ungezählte Stellen glättete und präzi-sierte. Diese Übersetzung sollte, wie sie meinte, das ihr gebührende Gewand er-halten. Sie gestaltete ebenfalls die Hexagrammgrafiken, um das Buch auch äu-βerlich passend einzukleiden. Gedankt sei ebenso all jenen, die mir hier und dort Hinweise zu Verbesserungen gaben, auch wenn ich sie hier nicht alle einzeln aufzählen kann.

Georg Zimmermann Eulerstraße 77 CH-4051 Basel E-Mail: [email protected] www.iging-tao.ch

Hinweise zur Benutzung dieser Übersetzung

Ein Groβteil der Sätze im I Ging weist im Originaltext kein Subjekt auf. Um in der Übersetzung zu ganzen deutschen Sätzen zu gelangen, wurden daher oft Pronomen hinzugefügt – meist »er« als ein neutral gedachtes Subjekt. Wo es sinnvoll erschien, wurden auch Sätze mit Konjunktionen verbunden, die sich im Original ebenfalls nicht finden. In eckige Klammern [] sind Hinzufügungen ge-setzt, die im Originaltext nicht vorhanden, aber für das Verständnis notwendig sind, somit handelt es sich um Textinterpretationen. Um etwas in positivem Sinn zu steigern, bedient sich die chinesische Sprache gern der doppelten Verneinung. Da dies im Deutschen eher ungewöhnlich ist, wurden diese doppelten Verneinungen positiv ausgedrückt. Beispiel: Das wört-liche »Es gibt nichts, das nicht fördernd ist« wurde ersetzt durch: »Alles ist för-dernd.« Die Namen der Hexagramme werden durch Kursivschrift kenntlich gemacht und anschließend die Nummer in Klammern angegeben. Beispiel: Anfangs-schwierigkeit (3). Da sich die Namen der Hexagramme, wie sie Wilhelm gege-ben hat, weitgehend eingebürgert haben und auch sinnvoll erscheinen, werden diese, soweit sich davon abweichende Übersetzungen als sinnvoller erweisen, in Klammern angegeben. Beispiel: Die Zersetzung (Die Zersplitterung) (23). Au-

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βer diesem Beispiel handelt es sich um folgende Hexagramm-Namen: Das Zu-rücktreten (Der Rückzug) (33), Das eigene Haus (Die Sippe) (37) und Die hei-ratende Schwester (Das heiratende Mädchen) (54) Da die moderne chinesische Sprache nur über etwas mehr als vierhundert Silben verfügt, die vielen tausend Schriftzeichen entsprechen, sind Homonyme häufig. Daher erscheinen auch einige Hexagrammnamen oder im Text angegebene Wörter in der Umschrift gleichlautend. Beispiel: Qian, das Schöpferische (1) und Qian, die Bescheidenheit (15). An wenigen Stellen in den Texten drängte es sich auf, die Hexagramm-Namen etwas anders zu übersetzen. Dann wurden diese Wörter ebenfalls in Kursiv-schrift gesetzt. Beispiel: »Indem der Kiefer unter Kontrolle gehalten wird, ha-ben die Worte eine Ordnung.« (Sechs auf fünftem Platz im Hexagramm 52. Das Stillehalten) Zentrale I-Ging-Begriffe wie »Kernzeichen« oder »Entsprechung« werden im Übersetzungsteil nicht erklärt. Sie werden in der Einführung ausführlich und im »Glossar zentraler I-Ging-Begriffe« am Ende des Buches in knapper Form er-klärt. Zur Umschreibung der chinesischen Wörter wird das heute allgemein übliche Pinyin verwendet. Hier das Wichtigste zur Aussprache:

c wie »tzh« in herzhaft zh tsch ch tschh in Patschhand r zwischen engl. r und franz. j j etwa tj in »tja« q etwa tjh (entspricht ungefähr dem Nieslaut hatschi) x ch in ich h ch in ach u nach j, q, x und y = ü i nach s, z, c, sh, zh, ch und r = sehr dumpfer Vokal, der durch bloße

Stimmgebung des Anlauts gebildet wird (Zungen- und Lippenstellung bleiben dieselben).

Einige Wörter, die sich in anderer Umschreibung eingebürgert haben, wurden belassen: Tao (Pinyin Dao), I Ging (Yi Jing), Te (De). Es seien hier noch mit möglichst naher deutscher Umschrift die Aussprachen der acht Trigramm-Namen gegeben: Qian = Thjän, Kun = Khun, Zhen = Tschön, Sun = Sun, Kan = Khan, Li = Li, Gen = Gön und Dui = Duej (das »ö« ist offen). Chinesische Personennamen werden gemäβ chinesischer Gepflogenheit ange-geben, d.h. der Familienname (meist einsilbig) wird zuerst genannt und danach der Eigenname (meist zweisilbig), so wie es auch in der Politik üblich ist – nie-mand redet von Zedong Mao oder Xiaoping Deng, nur von Mao Zedong und Deng Xiaoping.

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Einführung

Das I Ging als Weisheits- und Lebensbuch Das I Ging entzieht sich jeder gängigen Zuordnung. Es ist weder Philosophie, Ethik, Kosmologie, Mythologie noch ein religiöser Offenbarungstext. Mit sei-nen Strichkombinationen und seiner urtümlichen Bildsprache erhebt es den An-spruch, sowohl den Kosmos wie auch jeden einzelnen Menschen in seinem schicksalhaften Wandel zu erfassen. Somit kann man es allgemein als »Weis-heitsbuch» und »Lebensbuch« bezeichnen, und als solches integriert es Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Handeln. Es setzt weder einen Glauben noch ein Be-kenntnis voraus, höchstens das Verständnis, dass der Kosmos und das mensch-liche Leben sinnvoll sind. Niemand weiß genau, wann es geschaffen wurde und wer es geschaffen hat. Indessen war man sich in China über die Jahrtausende einig, dass die Schöpfer des I Ging zu den größten Weisen des Altertums ge-zählt werden müssen. Gleichsam als ein einzigartiger »Wegweiser» für das menschliche Leben hat es die gesamte Geschichte Chinas begleitet und dabei dessen größte Geister zu tiefen Gedanken, ja, zur Entwicklung ganzer philoso-phischer Systeme angeregt. Man kann es die »Bibel« der Chinesen nennen, ist es in China doch seit über zweitausend Jahren »das Buch der Bücher«. Dass das I Ging nicht nur die Bibel der Chinesen, sondern ein »Weltbuch« ist, hat sich vor allem seit der epochalen deutschen Übersetzung durch Richard Wilhelm erwiesen. Diese erschien erstmals 1924 und ist inzwischen in sämtli-che westliche Kultursprachen weiter übersetzt worden. Der Titel setzt sich zusammen aus I (in heute üblicher Umschrift Yi) = »Wan-del« und Ging (Jing) = kanonisches Buch. Die ursprüngliche Bedeutung des Schriftzeichens für I ist »Chamäleon« und in der älteren Schriftform ist das Tier noch gut zu erkennen. Darin spiegelt sich eine Grundhaltung der chinesischen Kultur wider, nämlich dass in dieser Welt alles im Wandel begriffen ist. Nur der Prozess des stetigen Wandelns selbst ist unwandelbar. Das Buch ist sozusagen in 64 Kapitel gegliedert, unter Titeln, mit denen jeweils eine Art »Lebensstation« oder »Lebenssituation« angedeutet wird. Keine dieser Situationen ist nur positiv oder nur negativ und jede wird als entwicklungsfähig aufgefasst. Diesen Titeln entspricht jeweils ein so genanntes »Hexagramm«, ein Gebilde, das sich aus sechs waagrechten, übereinander gestellten Strichen zu-sammensetzt. Diese Striche sind entweder geteilt oder ungeteilt . Die geteilten gelten als Yin- und die ungeteilten als Yang-Striche. Dadurch stellt je-des Hexagramm ein charakteristisches Zusammenspiel der beiden kosmischen Grundkräfte dar, des ruhend-bewahrenden Yin und des schöpferisch-bewegen-

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den Yang. Diesen Hexagrammen sind knappe und ebenso urtümliche Sätze zu-geordnet, denen Kommentare beigegeben sind. Lassen wir das Buch für sich selbst sprechen. In einem seiner erklärenden Texte heißt es: »Das Buch der Wandlungen denkt nicht nach und tut nichts, sondern ist in Stille regungslos. Regt man es aber an, dann erfolgt eine Durchdringung aller Gegebenheiten auf Erden. Wäre es nicht das geisterfüllteste auf Erden, wie könnte es dann ein solches hergeben?«1 Das I Ging zwingt einen also zu nichts. Lässt man es in Ruhe, dann bleibt es auch »in Stille regungslos«. »Wird es aber angeregt«, sei es, dass man in ihm liest, oder indem man das Buch konkret »befragt«, dann verspricht es »eine Durchdringung aller Gegebenheiten auf Erden«. Das I Ging wird immer wieder als ein Orakel-Buch bezeichnet. Gehört ein Ora-kel eigentlich noch in unsere Zeit, wenn doch dadurch der freie Willen einge-schränkt werden kann? Bei den »Antworten« des I Ging handelt es sich nicht um Orakel-Sprüche, welche die Zukunft voraussagen. Das Buch will lediglich denjenigen, der es um Rat fragt, mit seinen Bildern auf die gegenwärtigen »Keime« aufmerksam machen. So heiβt es im I Ging selbst: »Das Buch der Wandlungen ist es, wodurch der Berufene bis in die größten Tiefen dringt und dadurch alles im keimhaften Zu-stand erfasst. Nur aufgrund der Tiefen kann er die Bestrebungen auf Erden durchdringen. Nur durch [das Erfassen] des keimhaften Zustandes kann er die sich ergebenden Aufgaben auf Erden bewerkstelligen.«2 Die »Antwort« auf eine »Befragung« an das Buch soll einem also ermöglichen, »die keimhaften Zustände zu erfassen«, die in der Gegenwart vorhanden sind. Es verweist nur insofern auf die Zukunft, dass es einem aufgrund dieser »Kei-me« Tendenzen aufzeigt. Was man mit diesen Tendenzen anfängt, in welche Richtung man sich entscheidet, bleibt einem selbst überlassen. Man kann dies auch so ausdrücken: Mit seinen urtümlichen bildhaften Sätzen, regt das Buch zum Nachdenken an, wodurch eigene Intuitionen zu der in Frage stehenden Si-tuation mobilisiert werden können. Dadurch engt es nicht die Sichtweise ein, sondern erweitert sie. So gesehen ist das I Ging ein Werkzeug, das einem helfen kann, Antworten auf die Lebensfragen zu finden. Nach meiner langjährigen Er-fahrung gibt das I Ging auf entscheidende Fragen aller Lebensbereiche prak-tisch immer sinnvolle »Antworten«, man muss sich nur offen auf sie einlassen, um sie zu verstehen. In nicht wenigen Fällen habe ich auch erlebt, dass die »I-Ging-Antworten« erst im Nachhinein vollständig verstanden wurden.3

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Textgeschichte und Rezeption des I Ging4

Wann das I Ging entstanden ist, lässt sich anhand der ältesten Textschicht − der so genannten »Urteile« und der Worte zu den einzelnen Strichen nur vermuten. Die »Urteile« sind kurze Sprüche, welche die Gesamtsituation eines Hexa-gramms umschreiben, die Worte zu den einzelnen Strichen beziehen sich auf je einen Strich in den Hexagrammen. Diese beiden Textgruppen bilden den Grundtext des Buches. Sein Ursprung dürfte etwa in das erste Viertel des ersten vorchristlichen Jahrtausends fallen, d.h. in die ersten Jahrhunderte der Zhou-Dynastie (ca. 1100–256 v. Chr.). Indessen ist es wahrscheinlich, dass die Strichkombinationen, die »Trigramme« und die »Hexagramme«, wesentlich äl-ter sind. Die Ursprünge des Buches verlieren sich also buchstäblich im Dunkel der Vorgeschichte. Die früheste bekannte Erwähnung des Buches fällt ins vierte vorchristliche Jahrhundert.5

Eine zweite Textschicht, die so genannten »Zehn Flügel«, besteht aus erläutern-den und kommentierenden Texten, die teilweise auch weit über den Grundtext hinausführen. Diese Texte könnten etwa in der Zeit von 400 bis 200 v. Chr. ver-fasst worden sein. Von keinem dieser Texte ist ein Autor bekannt, und sie las-sen sich auch nicht eindeutig einer bestimmten Schulrichtung zuordnen. Oft wird ein »Meister« zitiert, doch wissen wir nicht, wer damit gemeint ist – oder sind es verschiedene? Der Grundtext wurde ursprünglich wohl als reines »Orakel-Buch« geschaffen und als solches am Hofe verwendet. Dass es eng mit dem Hofe der Zhou-Könige verbunden war, wird durch einige Sätze belegt. In den Worten zum fünften Strich sowohl des Hexagramms Der Friede (11) wie auch des Hexa-gramms Die heiratende Schwester (Das heiratende Mädchen) (54) heißt es: »Diyi verheiratet seine jüngere Schwester.« Diyi war der zweitletzte König der Shang-Dynastie (ca. 17.–11. Jh.) und hat gemäß einer Ode im Shijing, dem »Buch der Lieder« seine Schwester oder Kusine an den Fürsten des Lehensstaa-tes Zhou, aus dem bald darauf die Zhou-Dynastie hervorgehen sollte, verheiratet. Im Hexagramm Verfinsterung des Lichts (36) wird zum fünften Strich der Prinz Ji genannt, ein Verwandter des letzten Shang-Königs Zhouxin. Diese drei Stel-len stehen im Zusammenhang mit der Begründung der Zhou-Dynastie. Aufgrund der im Zusammenhang mit der Heirat der jüngeren Schwester stehen-den und anderen Stellen wurde die Hypothese aufgestellt, dass viele Sätze nach konkreten Befragungen an das I Ging gemäß deren Umständen in das Buch auf-genommen wurden.6 Das würde bedeuteten, dass der Text allmählich gewach-sen ist oder auch, dass er einem weitgehenden Wandel unterworfen war. Man kann die Tatsache, dass historische Ereignisse im I Ging angedeutet werden, al-lerdings auch so sehen, dass sie exemplarisch aufgefasst wurden. Etliche Sätze im I Ging stehen Oden des Shijing, »des Buches der Lieder«, sehr nahe, die ebenfalls in der frühen Zhou-Zeit entstanden sind. Doch sind sie nie

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damit identisch. Somit ergibt sich die Vorstellung, dass man von einem bekann-ten Fundus »geflügelter Worte« ausgegangen ist und diese zu Orakelsprüchen umgeformt hat. Seine endgültige traditionelle Form erhielt das I Ging wahrscheinlich zwischen 200 und 300 n. Chr. Bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein stammte das älteste bekannte vollständige Manuskript aus der Tang-Dynastie (718–907) und zudem gab es Fragmente des auf kaiserlichen Befehl auf Steinstelen gehauenen Textes7 aus dem Jahre 175 n. Chr. Im Jahre 1973 wurden in Mawangdui, einem Ort in der Nähe von Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, eine Reihe von Texten als Grabbeigaben ent-deckt, die auf Seide geschrieben sind. Darunter befindet sich auch ein I-Ging-Manuskript. Es beinhaltet den Grundtext und einen Teil der »zehn Flügel« so-wie weitere, bisher unbekannte Kommentare. Aufgrund historischer und textkri-tischer Untersuchungen muss dieses Manuskript ca. um 180 v. Chr. geschrieben worden sein, somit ist es also um Jahrhunderte älter als alles bis dahin bekannte. Im Vergleich zum traditionellen Text fällt zunächst auf, dass dieser relativ gut überliefert worden ist. Wenn man von etlichen Schreibvarianten, und zwar gleich ausgesprochenen, aber völlig anders geschriebenen Schriftzeichen ab-sieht, unterscheiden sich die beiden Texte erstaunlich geringfügig. Viele der Schreibvarianten lassen sich auch damit erklären, dass der Prozess der Verein-heitlichung der Schrift, die am Ende des dritten vorchristlichen Jahrhunderts vorgenommen wurde, in dieser Zeit noch nicht abgeschlossen war. Die Gegend von Changsha war damals eine südliche Randregion mit noch bedeutender ei-genständiger Lokalkultur. Ein beträchtlicher Unterschied zeigt sich allerdings in der Reihenfolge, in der die Hexagramme angeordnet sind. Im Mawangdui-Manuskript ist sie streng systematisch. Diese systematische Anordnung passt sich ausgezeichnet dem Zeitgeist der ersten vorchristlichen Jahrhunderte an. Ab etwa 300 v. Chr. wurde zunehmend alles in das System der so genannten »Fünf Wandlungsphasen« hineingepresst und die Geschichte wurde als ein Ablauf von Dynastien erklärt, denen einer zyklischen Folge gemäß jeweils immer wiederkehrende Merkmale zugesprochen wurden. Mit anderen Worten, es herrschte ein Geist, der alles systematisieren will. Von daher gesehen kann diese Reihenfolge nicht als die ursprüngliche gesehen werden; sie zeichnet sich im Gegensatz zur überaus orga-nisch sinnvollen traditionellen Reihenfolge als künstlich aus. Ab dem vierten vorchristlichen Jahrhundert war das I Ging zwar allgemein be-kannt, doch wurde es als ein Buch unter anderen aufgefasst. Dies änderte sich während des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts schlagartig. In dieser Zeit wurde der Konfuzianismus zur Staatsideologie erhoben, ein Konfuzianismus, der sich weit von Konfuzius' (551–479) Ideen entfernt hatte, vor allem insofern, dass er patriarchalisch und hierarchisch ausgeprägt wurde. In dieser Zeit erklär-te man das I Ging zum wichtigsten konfuzianischen Klassiker. Mit größter

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Wahrscheinlichkeit beschäftigte sich Konfuzius selbst nie mit dem I Ging, ja, ziemlich sicher hat er es gar nicht gekannt.8 Doch nun wurde gesagt, er hätte es redigiert und sämtliche »zehn Flügel« verfasst. Diese Auffassung wurde über Jahrtausende aufrecht erhalten – auch Richard Wilhelm stellte sie nicht in Frage. Einen wesentlichen Grund, dass man das I Ging zum wichtigsten konfuziani-schen Klassiker erhob, mag darin bestehen, dass sich sowohl seine archaischen knappen Sätze wie auch das System der Hexagramme leicht als eine hierarchi-sche Ordnung interpretieren lieβ. Diese zentrale Stellung bewirkte zugleich eine sehr reiche Literatur zum I Ging durch die gesamte nachfolgende Geschichte Chinas hindurch. Aus den nun fol-genden Jahrhunderten stammen die wichtigsten Prinzipien, wie man sich dem I Ging sinnvoll annähern und es interpretieren kann, aber auch Theorien, ja, gan-ze Kosmologien, die das I Ging zur Legitimation der damaligen Gesellschafts-ideologie heranzogen. Wahrscheinlich während der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) ging man sogar soweit, dass man einige Textstellen im I Ging willkürlich durch ideolo-gisch passende ersetzte. Dies kann jedenfalls angenommen werden, denn solche Texte heben sich grundsätzlich vom Gesamtduktus ab. Es handelt sich vor allem um zwei Stellen, die in dieser Übersetzung nur in Anmerkungen gebracht wer-den (vgl. Anm. z. Übers., 36 und 47). In dieser Zeit entstanden auch Kommentare, in denen sozusagen alles mit allem erklärbar wird, und dies auf Kosten eines tieferen Verständnisses. Mit einer Vielzahl von Zuordnungen wurde geradezu jongliert. Eine solche Verflachung in der Auslegung der einzelnen Bilder des I Ging rief eine Gegenreaktion hervor. Man wollte wieder zurück zu dem »wahren Sinn« des I Ging. Diese Bewegung fand ihren bedeutendsten Vertreter in Wang Bi (223–246), der leider schon mit 23 Jahren an der Pest starb. Er sieht zwar nicht von sämtlichen systematischen Erklärungsprinzipien ab, die sich im Verlaufe der Han-Zeit gebildet hatten, in-dessen rücken für ihn die Ideen, die durch die Bilder ausgedrückt werden, in den Vordergrund. Nach ihm geht es darum, aufgrund der Worte die damit aus-gedrückten Bilder zu sehen, und schließlich die in diesen Bildern verborgenen Ideen zu erfassen. Gemäß seiner Auffassung ist auch nicht »Pferd« einfach »Pferd«, dessen Bedeutung in den Sätzen gemäβ eines fixen Zuordnungssys-tems abberufen werden könnte. Das Bild des Pferdes, kann in einem Zusam-menhang zu einer ganz anderen Idee führen als in einem anderen. Mit Wang Bi beginnt also eine neue Richtung der Auffassung des I Ging. Es geht weder darum, aus ihm kosmologische Prinzipien herauszulesen, noch auf-grund solcher Prinzipien die Sätze des I Ging zu erklären, sondern die Ideen, die durch die bildhaften Sätze ausgedrückt werden, zu erkunden und zu erfassen. Diese Auffassung kann auch im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung gesehen werden. 220 n. Chr. war das einst starke, zen-tral geführte Han-Reich endgültig zusammengebrochen. Damit begann eine Zeit

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endloser Kämpfe, das Reich zerfiel in mehrere Staaten. Die meisten Beamten und Gelehrten waren in irgendwelche Intrigen verstrickt. In einer solchen Zeit war kaum jemand daran interessiert, staatserhaltende und -legitimierende Ideologien aufzustellen, da es keinen zu idealisierenden Staat mehr gab. Um so näher lag es, sich in eine Welt »wahrer Ideen« zurückzuziehen, die nicht wie die reale Welt von vornherein schlecht war. Grundlegend Neues hat sich nach den Han-Gelehrten und der vor allem durch Wang Bi vertretenen Auffassung des I Ging nicht mehr entwickelt. Es blieb bei den zwei grundsätzlichen Auffassungen über das I Ging: die eine, die darin kosmologische und gesellschaftliche Prinzipien erkundet, die andere, welche in den gegebenen Bildern der einzelnen Sätze die darin verborgenen Ideen ergrün-den will. Erstere haben die Chinesen xiangshuxue genannt, wörtliche die »Bil-der-und-Zahlen-Lehre«, und letztere yilixue, was mit »Bedeutungs-« oder »Ge-halts-Lehre« übersetzt werden kann. Aus dieser politisch unruhigen Zeit ist kaum ein I-Ging-Kommentar erwäh-nenswert. Anderes stand im Vordergrund. In erster Linie ist hier die Aufnahme der buddhistischen Lehren zu nennen, die in dieser Zeit in das chinesische Geis-tesleben integriert wurden. Auch nach der Wiedervereinigung des Reiches in der kurzen Sui-Dynastie (581–618) und der darauf folgenden Tang-Dynastie (618–907) wurde nichts wesentlich Neues geschaffen. Erwähnenswert ist der Kommentar von Kong Yingda (574–648) mit dem Titel »Richtigstellung der Bedeutung« (zheng yi). Darin wird auf der Grundlage von Wang Bis Kommen-tar dessen Sichtweise vertieft und erweitert. Auf die weltoffene und kosmopolitische Tang-Dynastie folgte die Song-Dynas-tie (960–1279), mit einer kurzen Unterbrechung einer Reichsaufspaltung. Zu dieser Zeit begann sich in Gelehrtenkreisen eine Art Renaissance zu zeigen. Die Rückbesinnung auf die alte Kultur zeichnet sich aber im Gegensatz zur abend-ländischen Renaissance nicht aus, indem man die Pluralität der verschiedenar-tigsten Gedankengebäuden aus dem Altertum wieder aufgenommen hätte, es ging vielmehr darum, den Konfuzianismus in seiner Reinheit wieder herzustel-len. Mit anderen Worten zeichnete sich in dieser Zeit eine Art »Kultur-Chauvi-nismus« ab. Das buddhistische Weltbild wurde als fremdländisch und daher »barbarisch« weitgehend abgelehnt, ebenso das taoistische Gedankengut. Indes-sen wurde vieles davon absorbiert und als echt konfuzianisch ausgegeben. Voll-umfänglich wirksam wurde diese Geisteshaltung allerdings erst in den nachfol-genden Dynastien. Im Westen wird sie allgemein als »Neokonfuzianismus« be-zeichnet. In dieser Zeit wurde das I Ging wiederum Grundlage für kosmologische Speku-lationen, welche diejenigen der Han-Zeit bei weitem übersteigen. In allen nur denkbaren Reihenfolgen, Kreisen und Diagrammen werden die Hexagramme angeordnet und mit den »Fünf Wandlungsphasen« und magischen Quadraten verknüpft.9 In den Kommentaren zum Text aus der Song-Zeit findet man ein Mittelmaß

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zwischen den stark spekulativen Kommentaren der Han-Zeit und demjenigen von Wang Bi. Indessen werden die »Ideen«, die aus den Bildern herausgelesen werden enger gefasst und der konfuzianischen Orthodoxie angepasst.

Schließlich sind die Kommentare aus der letzten Dynastie, der Qing (1644–1912) zu erwähnen. Es war die Zeit, in der die konfuzianische Orthodoxie ihren Höhepunkt erreichte. Aus dieser Zeit stammt auch das Chinabild eines in seiner Tradition erstarrten Kolosses. Ein freies Denken wurde unmöglich, weshalb sich die Gelehrten vor allem philologisch beschäftigten. Es gab zwar eine ganz Reihe hervorragender Denker, doch blieben diese gesellschaftlich ohne Wir-kung; die meisten ihrer Schriften wurden verboten und verbrannt. Gleichzeitig wurden auf kaiserlichen Auftrag Enzyklopädien geschaffen, die das gesamte Wissen greifbar machen sollten. So entstanden auch mehrere sehr sorgfältig ausgearbeitete I-Ging-Ausgaben, in die sämtliche konfuzianisch genehmen Kommentare aufgenommen wurden. Die Kommentare aus der Qing-Zeit haben sich wieder vermehrt an die Prinzipien und Theorien aus der Han-Zeit gehalten, wodurch sie oft wie die Han-Kommentare nicht sehr geistvoll, sondern eher ge-künstelt erscheinen. Außerdem erweisen sie sich oft als eng moralisch.

Zum Schluss sollen zwei Kommentare aus der Ming-Dynastie (1368–1644) ge-nauer betrachtet werden, vor allem deshalb, weil ich diese beiden bei Tex-tunklarheiten stets an erster Stelle konsultierte und meistens auch bedeutsame Hinweise darin fand.

Einen außergewöhnlichen Kommentar verfasste Lai Zhide (1525–1604) mit dem Titel Yijing Lai zhu tujie (»Kommentar und Diagramm-Erklärungen zum I Ging von Lai«). Über vierzig Jahre soll er daran gearbeitet haben, bis er ihn 1598 herausgab. Das Erstaunliche an diesem Kommentar besteht darin, dass er nichts gelten lässt, was sich bereits als traditionelle Auslegung etabliert hatte. Alles wird hinterfragt und Fehlerhaftes kritisiert und berichtigt. Stets wird auf gleiche Bilder in unterschiedlichen Sätzen hingewiesen, und so die Bedeutung der Bilder aufgrund einer Gesamtschau herausgearbeitet. In modern anmutender Weise macht er immer wieder Querverweise. Durch seine gründliche Untersu-chung der Sätze kann er auch an manchen Stellen plausibel machen, dass der I-Ging-Text unvollständig überliefert worden ist.

Ein weiterer ungewöhnlicher Kommentar stammt von dem Buddhisten Ouyi Zhixu (1599–1655), einem der bedeutendsten Mönche seiner Zeit. Nach seiner Ansicht gibt es keine Schulrichtung, die als die einzig richtige anzusehen wäre. So zeigt er sich offen gegenüber allen buddhistischen Richtungen und führt die verschiedenen Lehrmeinungen zu einer Synthese zusammen. Jedoch geht er noch wesentlich weiter, indem er die Meinung vertritt, dass kein Widerspruch zwischen den buddhistischen und den konfuzianischen Lehren bestünden. Ge-nau diese Haltung, dass im Grunde alle großen Lehren dasselbe ausdrückten, gab ihm Anlass, einen buddhistischen Kommentar zum I Ging zu verfassen un-ter dem Titel: »Zen-buddhistischer Kommentar zum I Ging« (Zhouyi chanjie).

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Im Anschluss auf eine sehr sorgfältige Kommentierung der Sätze bringt er oft einen Hinweis, was diese nun für die buddhistische Lehre bedeuteten.

Zur Rezeption im Westen

Durch Missionare in China hatte man in Europa schon um 1700 zumindest vom System der 64 Hexagramme Kunde. In dieser Zeit wurde China auch höchst bewundert. Vor allem der deutsche Philosoph und bedeutende Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) ist zu nennen. Er schrieb ein ganzes Buch über China, »Novissima Sinica«. Darin rühmt er die praktische Philoso-phie der Chinesen, in der wir ihnen weit unterlegen seien. Ihm kam eine Rei-henfolge der 64 Hexagramme zu, die in Übereinstimmung des binäre Zahlen-systems10 angeordnet war, welches er soeben entdeckt hatte. Er war sehr begeis-tert darüber, dass die Chinesen, wie er meinte, mit diesem Zahlensystem schon über Jahrtausende vertraut waren. Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts schlug die Chinaeuphorie in eine Verachtung um. Hegel etwa bezeichnete China als eine Mumie und meinte, schon ihrer unlogischen Sprache wegen seien die Chinesen zu philosophischem Denken unfähig. Die erste I-Ging-Übersetzung im Westen erschien 1834–1839. Der Jesuitenpa-ter Jean-Baptiste Régis übertrug mit seinen Mitarbeitern das I Ging ins Lateini-sche. Schon wegen der Sprache kann man sich vorstellen, dass diese Überset-zung kaum größere Beachtung fand. Weiter ist die englische Übersetzung von James Legge zu nennen. Sie kam 1882 und in einer überarbeiteten zweiten Auflage 1899 heraus. Sie ist wissen-schaftlich und philologisch sehr gründlich erarbeitet. Indessen sprach auch diese Übersetzung nur ein kleines Fachpublikum an. C. G. Jung hatte bis zum Er-scheinen der Wilhelmschen mit dieser gearbeitet. Mit Richard Wilhelms Übersetzung wurde ein neues Zeitalter der I-Ging-Re-zeption eingeläutet. Indessen entwickelte sich dieses sehr zögerlich. Die Erst-auflage erschien 1924 mit 3000 Exemplaren. Erst 1937 erschien die zweite Auf-lage mit 2000 Exemplaren. Noch bis in die 60er-Jahre war das I Ging kaum be-kannt. Durch die Übertragung ins Englische durch die Jungianerin Cary F. Bay-nes, mit einem Vorwort von Jung versehen, verbreitete sich Wilhelms Überset-zung im englischsprachigen Raum schneller. Allmählich erschienen Übertra-gungen in fast alle westlichen Sprachen. Die deutsche Gesamtauflage dürfe in-zwischen bei mehreren 100'000 und die Weltgesamtauflage bei weit über einer Million liegen. Ab den 70er-Jahren erschienen zunächst etliche Handbücher zum I Ging, die sich praktisch alle an Wilhelms Übersetzung orientierten. Im Zentrum stand die I-Ging-Befragung. In den 80er- und 90er-Jahren kam es dann geradezu zu einer Flut von I-Ging-Ausgaben, was gewiss auch mit der New-Age-Bewegung zu-sammenhing. Bald jeder, der etwas von sich hielt, meinte, er müsse sein eigenes

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I Ging schaffen. In diesen I-Ging-Büchern ist nichts mehr vom ursprünglichen Text zu finden. Oft handelt es sich um rezeptbuchartige Lebensberater. Andere etwas sachlichere wiederum mögen für einem ersten Einstieg ins I Ging dien-lich sein. Ein Großteil dieser Verfasser hatte nicht viel Ahnung von China, ge-schweige denn von der chinesischen Sprache. Gleichzeitig kam ein großes Interesse am System der Hexagramme auf. Man meinte darin eine »Weltformel« entdeckt zu haben und versuchte einen Zu-sammenhang zwischen den 64 Hexagrammen und dem DNS-Code herzuleiten, bei dem es ebenfalls 64 Möglichkeiten der so genannten Tripletten gibt. Er-wähnt sei hier das Buch Chaosforschung, I Ging und genetischer Code von Ka-tya Walter. Es liest sich nicht gerade einfach, da es ein hohes Abstraktionsver-mögen voraussetzt, doch fördert es sehr viel Interessantes ans Licht. Bis jetzt erschien keine deutsche Neuübersetzung im Geiste der Wilhelmschen, das will besagen eine solche, die dem I Ging als Lebens- und Weisheitsbuch ge-recht wird – seltsamerweise. Schließlich blieb man bei der Luther-Bibel-Überset-zung oder derjenigen des Schweizers Zwingli auch nicht stehen, sondern revidier-te beide gemäß dem Zeitgeist und den neuesten Erkenntnissen immer wieder.

Das Textmaterial des I Ging Das I Ging besteht aus einem Grundtext mit einfachen urtümlich Sätzen. Dazu entstanden im Verlaufe der Zeit von etwa 450 bis 200 v. Chr. eine kommentie-rende und erweiternde Textsammlung, die man ins I Ging aufnahm. Man nannte sie die »Zehn Flügel«

Der Grundtext Ältester Teil des Buches, der bis in die Anfänge des ersten Jahrtausends v. Chr. und vielleicht noch weiter zurückreicht, bestehend aus sehr knappen, bildhaften Sätzen, die meist mit einer Bewertung wie »Heil«, »beschämend« etc. schließen: »Urteil«, chin. Guaci = wörtl. »Hexagramm-Worte«: traditionell Wenwang (König Wen, 12. Jh. v. Chr.) zugeschrieben. »Die sich wandelnden Striche«, chin. Yaoci = wörtl. »Strichworte«: traditio-nell König Wens Sohn Zhougong (Herzog von Zhou) zugeschrieben.

Die »Zehn Flügel« Es handelt sich um eine uneinheitliche Textsammlung, die von der Tradition insgesamt Konfuzius zugeschrieben wird. (Konfuzius hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts damit zu tun.11) Die »Flügel« 1 + 2 und 3 + 4 sind traditionell unter die Texte der Hexagramme aufgenommen, ebenso »Flügel« 7. (unter den Hexagrammen 1 und 2). Die restlichen Texte werden all-gemein separat aufgeführt:

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1. + 2. Flügel: »Kommentar zum Urteil«, chin. Tuan: Kommentar und erwei-ternde Texte zum Urteil des Ersten Teils (Hexagramme 1-30) bzw. des Zweiten Teils (Hexagramme 31-64) des Haupttextes. Ich ordne sie jeweils den »Urtei-len« mit der Bezeichnung »Kommentar« unter. 3. + 4. Flügel: 1. »Bildworte«, chin. Xiang: Es wird darin Bezug auf die beiden Teiltrigramme genommen und dann gesagt, was in der entsprechenden Situation am besten zu tun ist. 2. Kommentare zu den einzelnen Strichworten: Diese haben inhaltlich mit den echten Bildtexten nichts gemeinsam (»kleine Bilder« genannt). Zwei Flügel er-geben sich durch die Zuteilung auf den Ersten bzw. Zweite Teil des Haupttextes. 5. + 6. Flügel: »Beigefügte Worte«, chin. Xici oder Dazhuan (»Die Große Ab-handlung«), Erster Teil (in Wilhelm S. 260-300) bzw. Zweiter Teil (in Wilhelm S. 301-327): Lose zusammenhängende Sammlung von Texten kosmologischen, philosophischen und kommentierenden Inhalts. Teilweise enthält sie interessan-te Texte, die einen wertvollen Beitrag zum Verständnis des I Ging bieten kön-nen. Darunter sind achtzehn weiterführende Kommentare zu einzelnen Strich-worten. Sie werden in dieser Übersetzung als »Zusätzliche Kommentare« unter die entsprechenden Strichworte gestellt. Andere Teile sind langatmig und tragen kaum etwas zum Verständnis des I Ging bei. Manche schweifen auch weit vom I Ging ab. Daher wird hier auf eine vollständige Übersetzung dieser Texte ver-zichtet. 7. Flügel: »Kommentar zu den Textworten«, chin. Wenyan: Zusätzliche Kommentare zum Urteil und zu den Strichworten in den ersten beiden Hexa-grammen dem Schöpferischen (1) und dem Empfangenden (2). Diejenigen zu den Strichworten unterscheiden sich in ihrer Art kaum von denen, die im Xici zu finden sind (s. oben 5.+ 6. »Flügel«). Somit kann angenommen werden, dass diese Kommentare zu den Strichworten einmal einen einheitlicher Text bildeten und es solche Kommentare vielleicht zu sämtlichen Strichworten gegeben hat, die nun aber verloren sind. Zum Schöpferischen erscheinen unter diesem Titel noch weitere Kommentare sowohl zum Urteil wie auch zu den einzelnen Strichworten, die teils einer Verherrlichung des reinen Yang-Hexagramms gleichkommen und ansonsten kaum etwas zum besseren Verständnis beitragen. Deshalb wurden sie in dieser Übersetzung weggelassen. 8. Flügel: Shuogua, »Besprechung der Zeichen«: Bis auf den Anfang (in Wilhelm Kapitel I) einheitlicher Text über die acht Trigramme (in Wilhelm S. 244-259). Das Wichtigste aus diesem Text wird unter dem Titel »Die Trigram-me« gebracht. Es werden weitere Zuordnungen zu den acht Trigrammen gege-ben, von denen sich die meisten im Haupttext nicht belegen lassen und außer-dem teilweise kaum sinnvoll erscheinen. Gelegentlich wird in dieser Überset-zung darauf hingewiesen. 9. Flügel: Xugua, »Die Reihenfolge«: Kurzer Text, der zum Thema hat, wie die Hexagramme aufeinander folgen. In dieser Übersetzung wird er unter die

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Hexagramme aufgeteilt. Es zeigt sich darin, dass die Aufeinanderfolge der He-xagramme überaus sinnvoll ist. Es ist gleichsam ein natürlicher Fluss von Stati-on zu Station. Am Anfang stehen das reine Yang-Hexagramm und das reine Yin-Hexagramm, »Himmel und Erde«, am Schluss die beiden vollständig durchmischten Hexagramme. An zweitletzter Stelle steht Nach der Vollendung (63) und an letzter Vor der Vollendung (64), somit gibt es gemäß dem I Ging kein vollständiges Ende, sondern ein vorläufiges Ende führt wiederum in weite-re Dimensionen. Der traditionelle Text wird in zwei Teile gegliedert: der erste beinhaltet die Hexagramme Nr. 1–30 und der zweite Nr. 31–64. Der Grund da-zu mag an diesem Text »Die Reihenfolge« liegen, da er zwischen den Hexa-grammen Nr. 30 und 31 keinen Zusammenhang aufzeigt, obwohl ein solcher durchaus sinnvoll erscheint. Indessen scheint der Reihenfolge-Text zu Hexa-gramm 31 schon von seiner ausufernden Länge her gesehen eine spätere Hinzu-fügung zu sein. Man vergleiche dazu den Reihenfolge-Text in den beiden He-xagrammen Das Haftende (30) und Die Einwirkung (31) und die entsprechende Anmerkung dazu. Aus diesem Grund wird in dieser Übersetzung auf die Zweiteilung verzichtet.

10. Flügel: Zagua, »Vermischte Zeichen« = »Gesamtcharakter«: »Zeichen« bedeutet hier Hexagramme. »Vermischt« heißt »anders gemischt« oder ange-ordnet, weil die Hexagramme in diesem kleinen Text in einer anderen Reihen-folge angeordnet sind. Es sind kurze Charakterisierungen zu den einzelnen He-xagrammen. Um die verwirrende Bezeichnung »Vermischte Zeichen« zu ver-meiden, verwende ich »Gesamtcharakter« und ordne sie direkt den Hexagram-men unter.

Es sei hier angemerkt, dass der Grundtext der wichtigste ist, doch können die Kommentartexte oft viel zum Verständnis beitragen. Etwas Vorsicht ist jedoch angebracht, da sie oft patriarchalische Züge aufweisen, die der Grundtext noch nicht zeigt. So z.B. wenn die Yang-Striche als die Großen oder die Edlen und die Yin-Striche als die Kleinen oder die Gemeinen bezeichnet werden. Man soll-te sich grundsätzlich auf diese Bewertung nicht einlassen, Yin und Yang sind gleichwertige Grundkräfte. Soweit sich in den Texten solche patriarchalischen-Züge besonders markant zeigen, wird in den Erläuterungen darauf hingewiesen.

Oft wird behauptet, diese Textsammlung sei durchwegs konfuzianisch geprägt. Dem kann nicht zugestimmt werden. Zur Zeit ihrer Abfassung war der Konfuzi-anismus eine Schulrichtung neben anderen, und nicht einmal die einflussreichs-te. So kann in diesen Texten gelegentlich taoistisches Gedankengut gefunden werden, aber auch solches, das an die Mohistische Schulrichtung erinnert, in der wesentlich eine allgemeine, objektive Gerechtigkeit gelehrt wurde.

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Zum Aufbau des I Ging

Das Buch ist auf den beiden kosmischen Grundkräften aufgebaut, dem schöpfe-risch-bewegenden Yang, und dem ruhend-bewahrenden Yin. Es will aufzeigen, wie diese beiden Grundkräfte verändernd und umgestaltend in allem wirken. Es ist eine alte chinesische Auffassung, dass sich aus einer ursprünglichen großen Einheit (taiji) die Zweiheit von Yin und Yang heraus entwickelt hat. Durch ihr Spannungsverhältnis entstand dann sozusagen in permanenter Neuschöpfung unsere reale Welt. Im I Ging selbst wird dies so ausgedrückt: »In den Wandlun-gen gibt es den großen Uranfang (taiji). Dieser erzeugt die zwei Grundkräfte. Die zwei Grundkräfte erzeugen die vier Bilder. Die vier Bilder erzeugen die acht Trigramme.«12 Im I Ging werden Yin und Yang bzw. die »zwei Grundkräfte« durch einen ge-teilten Strich und durch einen ungeteilten dargestellt. Die beiden Stricharten werden auch »weiche« und »feste« oder »schwache« und »starke« genannt. Dabei ist zu beachten, dass in diesen beiden Charakterisierungen kei-nerlei Bewertungen sind. Wie es sich mit dem »Weichen« verhält, wird in ei-nem der bedeutendsten klassischen Büchern, im Laozi so ausgedrückt: »Wenn der Mensch geboren wird, ist er zart und schwach, wenn er stirbt, ist er hart und stark. Wenn die Pflanzen ins Leben treten, sind sie zart und weich, wenn sie sterben, starr und dürr. Daher ist das Harte und Starke der Begleiter des Todes, das Zarte und Weiche der Begleiter des Lebens.« (Aus Spruch 76). Die »vier Bilder« werden dargestellt als die Kombinationen von je zwei Stri-chen. Wird jeweils ein weiterer Strich hinzugefügt, so ergeben sich die acht Tri-gramme. Durch das Übereinanderstellen von je zwei Trigrammen kommt man dann zu den 64 Hexagrammen. Die Hexagramme werden als Gebilde aufgefasst, die von unten nach oben gewachsen sind, vergleichbar mit einer Pflanze, die aus der Erde emporwächst. So wird das untere Trigramm auch das »innere« und das obere das »äußere« genannt. Was innen ist, kann man nicht sehen, aber als das von unten hinaufwachsende wird es die Zukunft bestimmen. Das äußere ist sichtbar; indem es sich als Äußeres zeigt, gehört es der Gegenwart bzw. schon der Vergangenheit an, vergleichbar mit der Blüte einer Pflanze.

Die Trigramme Die acht Trigramme tragen »Eigen«-Namen, die als solche eigentlich unüber-setzbar sind, und werden mit Bildern aus dem Naturgeschehen charakterisiert, mit denen sie gut fassbar werden. Nachstehend die Reihe der acht, wobei zuun-terst die deutschen Bezeichnungen gebracht werden, wie sie Wilhelm in sinn-voller Weise gegeben hat:

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Qian

Himmel

Das Schöp-ferische

Kun

Erde

Das Emp-fangende

Zhen

Donner

Das Erre-gende

Sun

Wind

Das Ein-dringende

Kan

Wasser

Das Ab-gründige

Li

Feuer

Das Haf-tende

Gen

Berg

Das Stille-halten

Dui

See

Das Heitere

Qian , der Himmel oder das Schöpferische, ist das reine Yang-Trigramm und deutet auf Stärke, Klarheit und Entschiedenheit. Als oberes Trigramm in den Hexagrammen kann es unter Umständen eine zu große Macht nach außen bedeuten, die im Inneren, von unten her, keinen Rückhalt findet. Erscheint es als unteres Trigramm, so bedeutet es eine solide, starke Grundlage im Inneren. Die Bewegungstendenz ist nach oben, außen gerichtet. Das reine Yin-Trigramm, Kun , die Erde oder das Empfangende, zeigt Of-fenheit für alles, aber auch Erdenschwere. Als die Erde ist es tragendes Element, das auch offen und formbar ist. Diese Hingabe kann mitunter eine Gefahr be-deutet, nämlich dann wenn sie mit ihrer ganzen Erdenschwere eigenmächtig oder wenn sie missbraucht wird. Deshalb tritt sie auch als ein Bild des ›Heeres‹ auf: Soldaten tun entweder, was ihnen befohlen wird, ohne es zu hinterfragen, oder herrenlos, meutern sie. Es bewegt sich nach unten. In Zhen , dem Donner oder dem Erregenden, Erschütternden, wühlt sozusa-gen der unterste Yang-Strich die träge Erde über sich auf. Es geht nicht um eine formende, entschiedene Kraft, sondern um ein Aufbrechen. Als unteres Trigramm in den Hexagrammen kann man den Yang-Strich auch mit einem kräftigen Samen, einem sich entwickelnden Keim vergleichen. Er bewegt sich nach oben, außen. Sun , der Wind oder das Eindringende, dem auch das Bild »Baum« zuge-geben wird, zeigt unten eine gute »Verwurzelung« in der Erde und dehnt sich zugleich nach oben aus; als »Wind« dringt es überall sanft, aber unerbittlich ein. Damit deutet es auf einen Ausgleich von innen und außen. Sowohl der Wind wie auch der Baum sind Bilder für etwas Verbindendes zwischen »Himmel und Erde«. Damit bedeutet Sun Ausdehnung und Verbindung. Kan , das Wasser oder das Abgründige, zeigt sich nach außen träge und formbar, hat aber in der Mitte seine Stärke; gemeint ist fließendes Wasser, das bis in den tiefsten Abgrund fließt, aber dann wieder hinaus findet. Oft steht es daher als ein Bild dafür, im Abgrund durch Gefahren und Hemmnisse hindurch einen sicheren Grund zu finden. Erscheint es unten, so weist es oft auf abgrün-dige Tiefen, aus deren Überwindung neue Kräfte geschöpft werden können. So kann man es als einen tief liegenden Willen, einen Lebenswillen auffassen, den es zu ergründen gilt. Oben verweist es eher auf eine von außen drohende Gefahr, mit der wohlüberlegt umgegangen werden muss. Es bewegt sich nach unten. In Li , dem Feuer, der Helligkeit oder dem Haftenden, ist die Mitte offen und ruhig, d.h. das Yang findet hier sein ruhendes und nährendes Zentrum. Da-her geht von ihm meist eher Klarheit aus als brennendes Feuer. Das Licht »haf-

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tet« an den Gegenständen, die es beleuchtet, und das Feuer »haftet« an seinem Brennstoff. Es birgt die Gefahr, dass es zwar alles in klarem Licht zeigt, aber es nur beleuchtet und nicht durchleuchtet, d.h. am äußeren Schein haften bleibt. Es ist auch ein Bild für das klare und offene »Herz«. Als unteres Trigramm deutet es auf ein »inneres Licht«, aus dem etwas gestaltet werden kann. Mit Li als obe-rem Trigramm geht es um eine äußere, gut überlegte Klarheit, und damit um of-fenes In-der-Welt-Sein. Es bewegt sich nach oben, außen. In Gen , dem Berg, oder dem Stillehalten, hält der oberste Yang-Strich die »Erde« unter sich zusammen, er birgt etwas in sich. Dieses Stillhalten kann un-ter Umständen auch lähmend wirken, dann nämlich wenn sich vor einem »Ber-ge türmen«. Erscheint es oben, so gibt es einen eindeutigen Rahmen. Es bewegt sich nach unten, innen. In Dui , dem See oder dem Heiteren, hat sich von außen her ein gegebenes, träges »Erdenelement« in den »Himmel« hineingeschoben, daher bedeutet es ein unmittelbares Sich-Öffnen, ein Hinwenden. Das Wort ze, das mit »See« wiedergegeben wird, bedeutet einen kleinen See oder einen Weiher. Wenn der Wind oder Baum sich nach allen Seiten ausdehnt, so zeigt sich beim See das Umgekehrte: Er zieht an und nimmt auf. Gen und Zhen sind spiegelbildlich. Steht daher ein Berg unten in ei-nem Hexagramm, so hat er die Tendenz, nach innen, unten abzuschließen. Steht ein Donner oben, so tendiert er zu einen Abschluss nach innen unten. Ein Don-ner unten zeigt einen starken Impuls, sich nach außen, oben zu entfalten, und ein Berg oben tendiert dazu, von oben nach unten einen eindeutigen Rahmen zu geben. Auch Dui und Sun sind spiegelbildlich. Ein See unten zeigt ein Hinein-ziehen nach unten, innen und ein Wind oder Baum oben mit Verbindung nach unten, innen eine Wendung nach außen. Umgekehrt bedeutet ein Wind oder Baum unten ein Wachstum von innen heraus und zugleich ein Hinabziehen in Tiefen und ein See oben ein Ziehen nach außen. Dui und Gen kann man auch mit der Nahrungsaufnahme − physische oder geistige − und dem Aneignungs- und Verdauungsprozess vergleichen. Dui und Sun lässt sich mit dem Ein- und Ausatmen vergleichen. Kan , das Wasser und Li , das Feuer werden auch als Ableitungen von Qian und Kun verstanden. Bei Kan hat sich der mittlere Strich von Qian in die Erde hineingesenkt und in Li hat sich der mittlere Strich von Kun in den Himmel hineingeschoben. Von außen gesehen hat Kan den Charakter der Erde, innen aber denjenigen des Himmel. Li entspricht von außen her dem Himmel, hat aber innen den Charakter der Erde.

Die »Trigramm-Familie« – die »geschlechtsgebenden« Striche

Im Shuogua, »Besprechung der Zeichen«, einem der kommentierenden Texte des I Gings, wird die so genannte »Trigramm-Familie« genannt und beschrie-ben (bei Wilhelm S. 254). Sie wird deshalb angegeben, weil die »Geschlechts-

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zuordnung« in den Texten zu den Hexagrammen immer wieder angedeutet wird und somit deren Kenntnis für die Interpretation hilfreich ist.

Qian Vater Kun Mutter

Zhen ältester Sohn Sun älteste Tochter

Kan mittlerer Sohn Li mittlere Tochter

Gen jüngster Sohn Dui jüngste Tochter

Diejenige Strichart, die nur einmal auftritt, beherrscht das gesamte Trigramm. Diejenigen Trigramme, in denen zwei Yin-Striche auftreten, sind durch den ei-nen Yang-Strich als die Söhne definiert und diejenigen mit zwei Yang-Strichen durch den einen Yin-Strich als die Töchter. Das lässt sich auch nachvollziehen, indem man den Strichen Zahlen zuordnet. Die geraden Zahlen gelten als Yin-, die ungeraden als Yang-Zahlen. Zählt man zwei Yin-Zahlen und eine Yang-Zahl zusammen, so ist das Ergebnis eine Yang-Zahl, d.h. eine ungerade. Zwei Yang-Zahlen und eine Yin-Zahl ergeben eine Yin-Zahl. Also, beispielsweise: 2+2+3 = 7 (ungerade = Yang), 2+3+3 = 8 (gerade = Yin). Diese Rechnung gilt auch für »Vater« und »Mutter«: 3+3+3 = 9 (ungerade = Yang), 2+2+2 = 6 (ge-rade = Yin). Zieht man die Eigenschaften der »drei Söhne« und »drei Töchter« mit in Be-tracht, wird die »Geschlechtszuordnung« verständlicher: So kann die impulsive Kraft des Donners von innen nach außen wohl als männlich aufgefasst werden, während das sanfte, kaum wahrnehmbare Eindringen des Windes oder Baumes nach allen Seiten eher als weiblich angesehen werden kann. Ebenso erscheint das starke Innehalten und Abgrenzen des Berges eher als männlich, dagegen die unmittelbare Zuwendung des Sees eher als weiblich. Weniger eindeutig er-scheint dies bei Kan und Li, denn beide zeigen nach außen hin (mit dem unters-ten und obersten Strich) das andere Geschlecht. Dagegen ist im Wasser eine groβe Kraft verborgen und im Feuer zeigt sich eine innere Ruhe, die nicht kraft-voll, aber klärend und zugleich nährend wirkt. Damit kommt der Strichart, die in den Söhnen und Töchtern nur einmal auf-tritt,eine besondere Bedeutung zu, da sie eben das »Geschlecht« bestimmen. Von ihnen geht die spezifische Yin- bzw. Yang-Energie aus. Achtet man darauf – vor allem bezogen auf die Teiltrigramme, kann dies oft in den Hexagrammen einigen Aufschluss für das Verständnis geben. Bei Qian und Kun (»Vater« und »Mutter«) geht diese spezifische Energie vom jeweils mittleren Strich aus. Im Übersetzungsteil werden sie als die entscheidenden Striche des betreffenden Trigramms bezeichnet. Zu beachten ist, dass »älter« oder »jünger« keinerlei Bewertung bedeutet, es handelt sich sozusagen um sechs gleichberechtigte Geschwister; ebenfalls glie-dern sich die »Eltern« gleichberechtigt in das Oktett ein.

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Die acht Trigramme in Bezug zum jahreszeitlichen Rhythmus

In Kap. 5 des Shuogua, »Erklärung der Zeichen« (in Wilhelm S. 249 ff.) er-scheinen zwei Texte, deren zweiter gewissermaßen eine Auslegung des ersten ist. Er stellt die gegebene Reihenfolge als einen Kreislauf dar, der sich im jah-reszeitlichen Rhythmus manifestiert. Zugleich werden die Trigramme den Himmelsrichtungen zugeordnet. Sowohl der Kreis, der sich daraus ableiten lässt, als auch die Sätze zu den einzelnen Trigrammen können helfen, sie besser zu verstehen. Außerdem wird im Haupttext des I Ging immer wieder darauf Bezug genommen. Hier zunächst der Kreis13 in »chinesischer« Anordnung mit dem Süden oben14:

»Gott (di)15 tritt hervor in Zhen, dem Erregenden, er gleicht aus in Sun, dem Sanften, er lässt die Geschöpfe einander erblicken in Li, dem Haf-tenden, er lässt sie einander dienen in Kun, dem Empfangenden, er er-freut sie in Dui, dem Heiteren, er kämpft in Qian, dem Schöpferischen, er müht sich in Kan, dem Abgründigen, er vollendet sie in Gen, dem Stil-lehalten (Gen).«

Bei diesem Kreis handelt es sich den Texten zufolge um einen Kreislauf, der von einem Anfang, einem Erwachen über eine Kulmination zu einem Ende hin-führt, das schon den Neubeginn in sich trägt. Dabei sind die Extreme Kan und Li, die für den Norden und Süden stehen. Im zweiten, dem erläuternden Text geht es nicht mehr um »Gott«, sondern um das reale Dasein, um »alle Wesen«:

S

N

O W

SW SO

NO NW

Li

Kan

Qian Gen

Sun Kun

Zhen Dui

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»Alle Wesen treten hervor im Erregenden (Zhen ). Das Erregende steht im Osten. Sie werden ausgewogen im Sanften (Sun ). Das Sanfte steht im Südosten. Ausgewogen bedeutet, dass alle Wesen geordnet und aus-geglichen werden. Das Haftende (Li ) ist die Helle, in der alle Wesen einander erbli-cken. Es ist das Trigramm des Südens.16 Das Empfangende (Kun ) bedeutet die Erde. Sie sorgt dafür, das-salle Wesen ernährt werden. Deshalb heißt es: ›Er (Gott) lässt sie ein-ander dienen im Trigramm des Empfangenden.‹ Das Heitere (Dui ) ist der Mittherbst, der alle Wesen erfreut. Daher heißt es: ›Er (Gott) erfreut sie im Trigramm des Heiteren.‹ ›Er (Gott) kämpft im Schöpferischen (Qian ).‹ Das Schöpferische ist das Trigramm des Nordwestens. Es bedeutet, dass hier Yin und Y-ang im Wettstreit miteinander sind. Das Abgründige (Kan ) bedeutet das Wasser. Es ist das Trigramm des genauen Nordens, das Trigramm der Mühe, dem alle Wesen zufal-len. Darum heißt es: ›Er (Gott) müht sich im Abgründigen.‹ Das Stillehalten (Gen ) ist das Trigramm des Nordostens, wo aller Wesen Ende und [Neu-]Anfang sich vollzieht. Darum heißt es: ›Er (Gott) vollendet sie im Stillehalten.‹«

Zhen, der Donner, ist dem Osten und damit auch dem Frühling zugeordnet. Beide bedeuten auch Neubeginn und Geburt. Sun, den Wind, kann man im jah-reszeitlichen Rhythmus im Zusammenhang mit der Bestäubung und mit allem Wachstum sehen. Zugleich ist es ein Bild für den Ausgleich von innen und au-ßen. Es liegt nahe, dass Li, das Feuer, dem Süden und dem Sommer zugeordnet wird: dann ist die Vegetation auf ihrem Höhepunkt im Sichtbaren. Kun, die Er-de, steht im Zusammenhang mit der Ernte. Im Mittherbst ist die Ernte einge-bracht, worüber man sich freut; man tauscht nun die Feldprodukte aus – das Wort Dui bedeutet auch Austausch, Handel. Qian, der Himmel, steht im Jahres-kreislauf im Spätherbst, der Zeit, in der sich sozusagen entscheidet, welcher Same im nächsten Jahr gedeihen und welcher vergehen soll. Im Winter zieht sich alles zurück, deshalb steht hier Kan, das Abgründige. In Gen, dem Berg, zeigt sich ein Ruhepunkt zwischen einem Ende und einem Neubeginn.

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Die Hexagramme Innerer Aufbau

Wie schon erwähnt, sind die meisten Prinzipien, nach denen ein Hexagramm aufgebaut ist, in der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) dargelegt worden. Nicht alles, was dazu erdacht wurde, erscheint sinnvoll für ein tieferes Ver-ständnis des I Ging. So erweisen sich manche Theorien als hierarchisch gedacht, die sich auch nur schwerlich mit den I-Ging-Texten in Übereinstimmung brin-gen lassen. Ich habe mich stets daran gehalten, nur diejenigen gelten zu lassen, die sich auch in sinnvoller Weise anhand der Texte belegen lassen und damit diese weiter erklären können. Hier also die Prinzipien, mit denen in der Über-setzung gearbeitet wird. Die Hexagramme werden als Kombination von je zwei Trigrammen verstan-den.Dabei wird das untere Trigramm als unten, aber auch als inneres empfun-den; das obere entsprechend als das äußere. In chinesischen Kommentaren wird mehrheitlich von innen und außen gesprochen. Eine weitere Dynamik bringen die so genannten Kernzeichen hinein, d.h. die Trigramme, die durch den zweiten, dritten und vierten bzw. den dritten, vierten und fünften Strich gebildet werden. Sie zeigen an, in welcher Art die beiden Trigramme miteinander verbunden sind. Unter »Kern« ist zu verstehen, dass diese Trigramme sich mitten in den Hexagrammen befinden. Man könnte sie auch »Innentrigramme« nennen. Auch den Plätzen (von unten nach oben 1. bis 6.) kommt eine Yin-Yang-Charakteristik zu, wobei die ungeradzahligen Yang, die geradzahligen Yin ent-sprechen (»harte« oder »starke« bzw. »weiche« oder »schwache« Plätze). All-gemein kann gesagt werden, dass ein Yang-Strich auf starkem Platz ziemlich kraftvoll wirkt, wogegen ihm auf schwachem Platz die »Stellung« fehlt. Ein Yin-Strich auf starkem Strich »traut sich mehr zu« als es seine Kraft erlaubt. Ein Yang-Strich auf starkem oder ein Yin-Strich auf schwachem Platz befindet sich auf gebührendem Platz, umgekehrt auf nicht gebührendem. Dies fällt vor allem beim dritten und vierten Strich ins Gewicht. Den jeweils mittleren Strichen der beiden übereinander gestellten Trigramme kommt durch ihre zentrale Stellung besondere Bedeutung zu. Man könnte sie auch als »inneren« und »äußeren Herrscher« bezeichnen, der innere ruhig, offen (Yin-Platz), der äußere kraftvoll, bestimmt (Yang-Platz). Sind diese Plätze nicht gebührend, d.h. besetzt den zweiten Platz ein Yang-Strich oder den fünften ein Yin-Strich, so kann sich dies auch vorteilhaft auswirken: eine ruhende, starke innere Mitte oder eine offene, gelassene äußere Mitte. Auch die dritten und vierten Striche haben eine besondere Bedeutung, insofern sie an der Grenze des inneren, unteren und des äußeren, oberen Trigramms stehen. Der unterste und der oberste Strich befindet sich noch nicht völlig in der Gesamtsituation darin bzw. schon teilweise außerhalb. Durch die Parallelität der beiden Trigramme bestehen je zwischen dem 1. und 4.,

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2. und 5. bzw. 3. und 6. Strich enge Beziehungen. Diese Beziehungen wirken allgemein intensiver, wenn es sich um zwei verschiedene Striche, d.h. einen Yin- und einen Yang-Strich handelt, man sagt dann sie entsprechen sich. Diese »Paare« können »Liebespaare« sein, manchmal aber auch »Paare«, die in hefti-gen Auseinandersetzungen stehen. Als Beispiel der liebevollen Beziehung sehe man sich die Worte zum zweiten und vor allem zum fünften Strich im Hexa-gramm 37. Das eigene Haus (Die Sippe) an; als ein solches der Auseinanderset-zung zeigen sich die Worte zum dritten und obersten Strich in 15. Die Beschei-denheit. Alle diese Beziehungen seien anhand eines Beispiels, am Hexagramm Die Dau-er (32) kurz erläutert. Es zeigt, dass man damit schon sehr viel über die innere Dynamik eines Hexagramms erkunden kann: Unten, innen ist Sun der Wind oder der Baum, das Eindringende. Dies bedeutet eine Ausdehnung nach außen und zugleich in die Tiefen (»Wurzel des Baumes« = unterster Yin-Strich). Oben, außen ist der Donner, das Erregende, d.h. das äu-ßere zieht das innere durch seine Bewegung mit sich fort. Von innen nach außen wirkt sich die Bewegung zudem aufgrund des unteren Kernzeichens Qian, des Himmels sehr entschieden aus. Das innere lässt sich aber auch mit Freuden durch das obere Kernzeichen Dui, den See, das Heitere mitziehen, was eine be-ruhigende, entspannende Wirkung hat. Festigkeit und Dauer wird dem Hexa-gramm auch dadurch verliehen, dass der erste und vierte (Yin / Yang), der zwei-te und fünfte (Yang / Yin) bzw. der dritte und sechste Strich (Yang / Yin) je ei-ne Yin-Yang-Entsprechung aufweisen. Als nicht so günstig erweist sich der fünfte Strich, weil er in der Mitte des starken Yang-Trigramms Zhen und auf ei-nem Yang-Platz steht, jedoch ein Yin-Strich ist. Ungünstig ist auch der oberste Strich, weil er als Yin-Strich auf einem Yin-Platz steht, aber zugleich an der impulsiven Kraft des Trigramms Zhen teilhat. Ebenfalls ungünstig ist der un-terste Yin-Strich auf einem Yang-Platz. Er zieht den vierten Yang-Strich, dem er entspricht, nach unten und hemmt bzw. verwirrt ihn dadurch.

6. Platz (Yin) 5. Platz (Yin)

4. Platz (Yang)

3. Platz (Yang) 2. Platz (Yang)

1. Platz (Yin)

Oberes Trigramm Zhen, der Donner

unteres Trigramm Sun, der Wind

Oberes Kern- zeichen: Dui, der See

Unteres Kern- zeichen: Qian, der Himmel

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Zu den entscheidenden (geschlechtsgebenden) Strichen der Teiltrigramme und der Kernzeichen: Unten steht Sun, die »älteste Tochter«. Sein entscheidender Strich besetzt den untersten, also einen Yang-Platz. Oben steht Zhen, der »ältes-te Sohn«. Sein Yang-Strich besetzt den vierten, also einen Yin-Platz. Damit sind beide nicht auf einem ihnen angemessenen Platz, beide Plätze sind also nicht gebührend. Dadurch können beide Trigramme nicht voll ihre Eigenart zum Tra-gen bringen. Da der entscheidende Strich von Qian, dem Himmel den dritten, starken Platz besetzt, wirkt dieses untere Kernzeichen noch entschiedener nach außen. Der entscheidende Strich des oberen Kernzeichens Dui, des Sees, befin-det sich auf dem fünften, also einem starken Platz. Der fünfte Platz ist zugleich die obere Mitte, der Platz des »äußeren Herrschers«. Dadurch wird die Kompe-tenz der ausgleichenden Beruhigung durch Dui verstärkt.

Die Partner-Hexagramme

Durch das ganze I Ging folgen sich je zwei Hexagramme − stets zuerst mit un-gerad-, dann mit geradzahliger Nummer −, die eine innige Beziehung zueinan-der haben. Diese bezeichne ich Partner-Hexagramme. 1. Bei den meisten Partnern besteht ihre Beziehung darin, dass die beiden He-xagramme Umkehrungen voneinander sind, indem sie je auf den Kopf gestellt bzw. um 180° gedreht werden. Beispiel:

2. Nun gibt es einige Hexagramme − insgesamt acht −, welche dieselben bleiben, wenn man sie um 180° dreht, weil sie symmetrisch aufgebaut sind. In diesen Fällen ist das Partner-Hexagramm die vollständige Strichumwand-lung. Beispiel:

3. Eine Gruppe von acht Hexagrammen weist die Besonderheit auf, dass ihr je-weiliges Partner-Hexagramm sowohl durch Strichumwandlung als auch durch Drehung um 180° entsteht. Beispiel:

7. Das Heer

8. Das Zusammenhalten

29. Das Abgründige

30. Das Haftende

17. Die Nachfolge

18. Die Arbeit am Verdorbenen