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1 I. Historischer Rückblick Erste/Zweite Demokratie Strukturmerkmale der 2. Republik gehen auf folgende historischen Ereignisse zurück: - Das Parteiensystem, der starke Einfluss der Parteien („Lagermentalität) gehen auf die letzen drei Jahrzehnte der Demokratie zurück. - Verfassung der 2. Republik ist die der 1. Parteien, die 1945 die 2. Republik grün- deten (wegen Niederlage des Großdeutschen Reiches), griffen auf das Bundesver- fassungsgesetz (B-VG) 1920 einschließlich der Novelle 1929 zurück. 1.1. Monarchie ab 1804 Länder unter Habsburgern „Kaisertum Österreich“ – bis 1848 nach Muster des Absolutismus ohne Verfassung regiert. Macht des Monarchen nicht begrenzt. 1848 bürgerliche Revolution verfassungsgebende Versammlung gewählt 1849 Verfassung („Kremsierer Entwurf“). Unruhen durch Truppen unterdrückt Kaiser ver- weigert Anerkennung d. Verfassung regiert weiterhin absolut („Spätabsolutismus“). Militärische Erfolge d. Habsburger verzögerten Verfassung + Verfassungsstaat Zwei wesentliche Niederlagen zwangen den Kaiser erst eine konstitutionelle Monarchie einzuführen. Auch spätere militärische Niederlagen (1918, 1945…) förderten Entwicklung und Stärkung der Verfassung und des Parlamentarismus in Ö. Die Demokratie kam von außen – und nicht von innen, nicht als Ergebnis einer erfolgreichen Revolution! Ö verlor weitere Schlachten „Ausgleich“ von 1867 – Ungarn wird hohes Maß an Auto- nomie gegeben. 1867 bekam österr. Reichshälfte eine Verfassung, die bis 1918 in Geltung blieb. „Halb-„ oder „Pseudo-Parlamentarismus“: Möglichkeiten des Parlaments sehr be- schränkt: Regierung des Kaisers Parlament (Reichsrat) – 2 Kammern: Herrenhaus (Adel) + Ab- geordnetenhaus (gewählt) = demokratisches Element d. Verfassung. Bis 1907 Kurien- wahlrecht bei Abgeordneten (Stimmgewicht nach Steuerleistung). Erst 1907 allgemeines und gleiches Männerwahlrecht in Form einer absoluten Mehrheitswahl. Regierung war Parlament nicht verantwortlich. Keine Möglichkeit Regierung zu stürzen, Regierung konnte gegen Parlamentsmehrheit regieren! Regierung konnte (und tat es oft) die Gesetzgebungsfunktion des Reichsrates durch „Notverordnungen“ unterlaufen. Bis 1918 hatte der österreichische Parlamentarismus kaum Auswirkungen auf das politi- sche Geschehen in Westeuropa war das Politische System Ö’s spät- und unterentwi- ckelt: 1867-1879: erste Phase der konstitutionellen Monarchie – liberale Ära Politiker be- stimmten Geschehen und waren der Entwicklung des Verfassungsstaates verpflichtet. Sie waren in lockerer Form gebunden, die verschiedenen „liberalen“ Klubs waren noch keine Parteien. Parteien bildeten sich durch Ende des 19. Jhd. entstanden politisch- weltanschaulichen „Lager“: Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP): gegründet 1889, politischer Arm des sozialistischen Lagers. Konfliktlinie: Bürgertum (Bourgeoisie) Arbeiterklasse. SDAP sah sich als Teil der Arbeiterbewegung, zu der auch Gewerkschaften, proletarische Frauen- bewegungen etc. zählten. Programmatik entwickelte sich zum „Austromarxismus“: Auf Grundlage eines marxistischen Politik- und Gesellschaftsbildes sollte durch Parlamenta- rismus eine sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung etabliert werden. Christlichsoziale Partei: entstand durch Vereinigung verschiedener Vereine, die Sozial- reform auf Grundlage der Soziallehre der katholischen Kirche propagieren. Konfliktlinie: Katholizismus Säkularismus. Politische und kirchliche Organisationsformen verflochten. Kleinere Parteien des deutschnationalen Lagers: betonten den Gegensatz der Inte- ressen zwischen den Deutschen und den anderen Nationalitäten der Monarchie. Konflikt- linie zwischen Nationalitäten. Rasche Entwicklung der Lager in Parteien große Zahl von Menschen gebunden Poli- tische Loyalität vor allem zu Lagern und weniger zu Staat Lagerpatriotismus durch zwei Rahmenbedingungen: - Vielvölkerstaat Österreich konnte keine nationalen Emotionen binden.

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II.. HHiissttoorriisscchheerr RRüücckkbblliicckk EErrssttee//ZZwweeiittee DDeemmookkrraattiiee Strukturmerkmale der 2. Republik gehen auf folgende historischen Ereignisse zurück:

- Das Parteiensystem, der starke Einfluss der Parteien („Lagermentalität) gehen auf die letzen drei Jahrzehnte der Demokratie zurück.

- Verfassung der 2. Republik ist die der 1. Parteien, die 1945 die 2. Republik grün-deten (wegen Niederlage des Großdeutschen Reiches), griffen auf das Bundesver-fassungsgesetz (B-VG) 1920 einschließlich der Novelle 1929 zurück.

11..11.. MMoonnaarrcchhiiee

ab 1804 Länder unter Habsburgern „Kaisertum Österreich“ – bis 1848 nach Muster des Absolutismus ohne Verfassung regiert. Macht des Monarchen nicht begrenzt. 1848 bürgerliche Revolution � verfassungsgebende Versammlung gewählt � 1849 Verfassung („Kremsierer Entwurf“). Unruhen durch Truppen unterdrückt � Kaiser ver-weigert Anerkennung d. Verfassung � regiert weiterhin absolut („Spätabsolutismus“). Militärische Erfolge d. Habsburger verzögerten Verfassung + Verfassungsstaat Zwei wesentliche Niederlagen zwangen den Kaiser erst eine konstitutionelle Monarchie einzuführen. Auch spätere militärische Niederlagen (1918, 1945…) förderten Entwicklung und Stärkung der Verfassung und des Parlamentarismus in Ö. Die Demokratie kam von außen – und nicht von innen, nicht als Ergebnis einer erfolgreichen Revolution! Ö verlor weitere Schlachten � „Ausgleich“ von 1867 – Ungarn wird hohes Maß an Auto-nomie gegeben. 1867 bekam österr. Reichshälfte eine Verfassung, die bis 1918 in Geltung blieb. � „Halb-„ oder „Pseudo-Parlamentarismus“: Möglichkeiten des Parlaments sehr be-schränkt: Regierung des Kaisers � Parlament (Reichsrat) – 2 Kammern: Herrenhaus (Adel) + Ab-geordnetenhaus (gewählt) = demokratisches Element d. Verfassung. Bis 1907 Kurien-wahlrecht bei Abgeordneten (Stimmgewicht nach Steuerleistung). Erst 1907 allgemeines und gleiches Männerwahlrecht in Form einer absoluten Mehrheitswahl. Regierung war Parlament nicht verantwortlich. Keine Möglichkeit Regierung zu stürzen, Regierung konnte gegen Parlamentsmehrheit regieren! Regierung konnte (und tat es oft) die Gesetzgebungsfunktion des Reichsrates durch „Notverordnungen“ unterlaufen. Bis 1918 hatte der österreichische Parlamentarismus kaum Auswirkungen auf das politi-sche Geschehen � in Westeuropa war das Politische System Ö’s spät- und unterentwi-ckelt: 1867-1879: erste Phase der konstitutionellen Monarchie – liberale Ära � Politiker be-stimmten Geschehen und waren der Entwicklung des Verfassungsstaates verpflichtet. Sie waren in lockerer Form gebunden, die verschiedenen „liberalen“ Klubs waren noch keine Parteien. Parteien bildeten sich durch Ende des 19. Jhd. entstanden politisch-weltanschaulichen „Lager“: Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP): gegründet 1889, politischer Arm des sozialistischen Lagers. Konfliktlinie: Bürgertum (Bourgeoisie) � Arbeiterklasse. SDAP sah sich als Teil der Arbeiterbewegung, zu der auch Gewerkschaften, proletarische Frauen-bewegungen etc. zählten. Programmatik entwickelte sich zum „Austromarxismus“: Auf Grundlage eines marxistischen Politik- und Gesellschaftsbildes sollte durch Parlamenta-rismus eine sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung etabliert werden. Christlichsoziale Partei: entstand durch Vereinigung verschiedener Vereine, die Sozial-reform auf Grundlage der Soziallehre der katholischen Kirche propagieren. Konfliktlinie: Katholizismus � Säkularismus. Politische und kirchliche Organisationsformen verflochten. Kleinere Parteien des deutschnationalen Lagers: betonten den Gegensatz der Inte-ressen zwischen den Deutschen und den anderen Nationalitäten der Monarchie. Konflikt-linie zwischen Nationalitäten. Rasche Entwicklung der Lager � in Parteien große Zahl von Menschen gebunden � Poli-tische Loyalität vor allem zu Lagern und weniger zu Staat � Lagerpatriotismus durch zwei Rahmenbedingungen:

- Vielvölkerstaat Österreich konnte keine nationalen Emotionen binden.

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- Emotionale Bindungsfähigkeit der Lager war ein Ersatz für die fehlende Bindungs-fähigkeit Österreichs.

„Volksgruppen“ in Österreich: Im Staatsvertrag von St. Germain 1955 und dem Staats-vertrag von Wien 1955 wird diesen Volksgruppen Mitspracherecht eingeräumt. Der Pseudoparlamentarismus zwischen 1867 und 1918 gab politischen Energien wenig Gestaltungsmöglichkeiten � machtloses Parlament. Die Parteien entwickelten sich des-halb weniger als Instrumente des Systems sondern eher als autonome Subsysteme, die sich vom Gesamtsystem zunehmend abkoppelten. Als dieses Gesamtsystem – die Monarchie – implodierte, waren die Parteien daher eine davon wenig betroffene Reservemacht. Sie waren frei, auf der Grundlage ihrer Organisa-tionsmacht die Republik zu gestalten. 11..22.. RReeppuubblliikk Republik war eine Gründung der Parteien, Die deutschsprachigen Abgeordneten riefen im November 1918 die Republik „Deutschösterreich“ aus und erklärten den „An-schluss“ an das neue, republikanische und demokratische Deutschland. Sie bildeten eine „Provisorische Staatsregierung“ mit Karl Renner (SDAP) als Staatskanzler. Durch Anschluss grundlegende Änderung: Das übernationale Ö war mit Habsburgerherrschaft untergegangen. Ö war der deutschsprachige Rest und verstand sich als deutsch. Nach Anschlussverbot im Vertrag von St. Germain 1919 musste Ö den Zwang zur Selbststän-digkeit akzeptieren. 1919 allgemeines und gleiches Wahlrecht auch für Frauen und Mehrheitswahl wurde durch Verhältniswahl ersetzt. In provisorischer Staatsregierung zuerst Allparteienregierung von Sozialdemokraten, Christlichsozialen und Deutschnationalen. Nach Anschlussverbot verlassen Deutsch-nationale die Regierung, SDAP + Christlichsoziale regieren bis 1920 gemeinsam. Hohes Maß an Konsens: Neuerungen in Richtung Sozialpartnerschaft, Arbeiterkammer einge-richtet � Interessensvertretung der Arbeitgeber wurde eine der Arbeitnehmer gegen-übergestellt. Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit angestrebt. In dieser Phase der ersten „Großen Koalition“ einigten sich Regierungsparteien 1920 auf eine Verfassung � Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) bringt in mehrfacher Weise einen Kompromiss zum Ausdruck: - Sozialdemokraten für Einheitsstaat ohne Eigenständigkeit d. Länder und ohne Länder-kammer, Christlichsoziale für Bundesstaat mit Autonomie d. Länder und echtem Zwei-kammernsystem (Bundesrat und NR gleichgestellt). Einigung in Verfassung: Bundesstat mit relativ schwach entwickelten Länderrechten und Bundesrat mit geringen Befugnissen. - Sozialdem. wollten kein Staatsoberhaupt, Christlichsoziale wollten starkes Staatsober-haupt mit vielen Kompetenzen. Einigung: Bundespräsident mit geringer Kompeten-zen. Nach Verfassungsbeschluss endete Große Koalition. 1920-1933 regierten Christlichsoziale in verschiednen Koalitionsvarianten mit den beiden kleinen Parteien. SDAP in Opposition. Christlichsoziale wollten Verfassung abändern, brauchten wegen 2/3 Mehrheit aber wie-der Sozialdemokraten und es wurde ein Kompromiss in der Novelle zum B-VG 1929 ge-funden: - Christlichsoziale erreichten Stärkung d. Bundespräsidenten: wurde nun direkt vom Volk und nicht mehr von Parlament gewählt. Nun auch Aufgabe Bundesregierung zu ernennen und zu entlassen. - Sozialdemokraten verhinderten, dass NR geschwächt wurde. Bundesregierung blieb NR weiterhin politisch verantwortlich � Misstrauensvotum. Dadurch sichergestellt, dass keine Regierung gegen den Willen des NR bestehen konnte. Folgende Ergänzungen wurden auch in der 2. Republik übernommen: - Parlamentarische Demokratie: politische Verantwortlichkeit der Bundesregierung gegenüber dem NR zwingt Regierung und Parlament in eine politische Einheit. - Präsidentielle Elemente: Der direkt gewählte Bundespräsident ergänzt den parla-mentarischen Charakter der Verfassung, ohne ihn aufzuheben.

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Ergänzt wird die obige Struktur der seit 1920 geltenden Verfassung durch 2 Merkmale: - Zentralistischer Bundesstaat: Der österr. Föderalismus ist, im internationalen Ver-gleich, durch einen Kompetenzüberhang des Bundes gegenüber den Ländern gekenn-zeichnet. - Unechtes Zweikammernsystem: Die direkt gewählte Kammer des Parlaments – der Nationalrat- hat gegenüber der zweiten Kammer, dem Bundesrat, ein sehr deutliches Kompetenzübergewicht. Trotz Verfassungskompromiss immer mehr Konflikte zwischen Parteien � 1930 Korneu-burger-Eid der Christlichsozialen: Idee des Ständestaates � Wehrverbände: „Republika-nischer Schutzbund“ (SDAP), „Heimwehren“ (Christlichsoziale) – NSDAP wird immer stär-ker, ihr Schutzverbände: SS und SA. Christlichsoziale drängen auf Abkehr von Parlamentarismus, SDAP verteidigt Verfassung, NSDAP arbeitet auf nationalsozialistisches Deutschland hin � zentrifugale Entwicklung führt zum Ende der Demokratie und des Verfassungsstaates: - März 1933: der christlichsoziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und seine Regierung lösten Nationalrat wegen Geschäftsordnungskonflikt auf. Dollfuß nutzt ein Ermächti-gungsgesetz aus dem 1. Weltkrieg, um seine Politik ohne Parlament durchzusetzen � Spielraum der Opposition schrittweise eingeengt! - Februar 1934 Bürgerkrieg zwischen Regierung (Bundesheer, Polizei, Wehrverbände d. Christlichsozialen) und dem Republikanischen Schutzbund � Sozialdemokratie wurde niedergerungen � SDAP und freie Gewerkschaften wurden verboten. - 1. Mai 1934: Regierung Dollfuß = Vaterländische Front (VF) � neue Verfassung für „Bundesstaat Österreich“ � „autoritärer Ständestaat“ (Mischung aus Faschismus und „berufsständischer Ordnung“ der katholischen Soziallehre“). VF politisches Monopol!!! - Juli 1934 NSDAP versucht Regierung mit Waffengewalt zu stürzen � † Dollfuß – Nach-folger Schuschnigg. Putsch niedergeschlagen. 11..33.. DDiikkttaattuurr 2 Phasen der Diktatur in Ö – autoritäre und totalitäre: - Feb. 1934 – März 1938: Vaterländische Front � autoritärer Ständestaat unterdrückte jede Opposition und die politischen Grundfreiheiten. ABER: nicht totalitär und Menschen wurden NICHT aus Gründen ihrer Herkunft verfolgt. - März 1938: deutsche Truppen marschieren ein – „Anschluss“ an das „Großdeutsche Reich“. Viele für Anschluss, auch aus anderen Parteien. Gründe: Arbeit, Überzeugung. März 1938 bis April 1945 NS in Ö: Totalitäres Parteiensystem. „Rassengesetze“ � Juden als Opfer des Holocaust (Mauthausen, Hartheim). Unterdrückung gegen diese Gruppen: - Funktionäre des autoritären Ständestaates die als Gegner des NS galten � wurden in KZ Dachau gebracht. - Aktivisten des sozialistischen Lagers: Polizeiakten des Ständestaates, um gegen Sozia-listen vorzugehen � Dachau - Kommunisten: Kommunisten bekämpften NS-Regime + gewannen deshalb an Stärke, Härte des totalitären Polizeistaates richtete sich besonders gegen sie. - Monarchisten: Teile des Adels wurden in Widerstandsgruppen aktiv. - Pazifistische Christen (verweigerten Wehrdienst), Homosexuelle, „Asoziale“ („unange-passte Sozialverhältnisse“). NS-Regime war eine Diktatur von Österreichern für Österreichern mit zusätzli-chen Elementen einer Fremdherrschaft! Okt 1943: Moskauer Deklaration (von GB, USA und UdSSR unterschrieben): - Ö als 1. Opfer der Nazis und - Ö ist auch selbst verantwortlich � Opfer + Täter 8.5. 1945 Befreiung (begann aber schon früher � z.B.: Mauthausen 5.5.) 1945: Besatzungszeit „besser“ � Zeit alliierter Kontrolle � „Stunde Null“ Entnazifizierung � Ehemalige NSDAP Mitglieder ~ 500.000 (gehen zu allen Parteien au-ßer KPÖ); VDU ~ Vorläufer der FPÖ. Umgang Österreichs mit NS 1945: 1938-45 kein eigener Staat � quasi deshalb keine Schuld (Haltung!), ABER: Ö genauso verwickelt – Lange Liste österreichischer Täter.

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Verbotsgesetz: 1945 und 1947+1992 (Änderungen): bestimmte Aktivitäten zu Wieder-belebung von NS verboten. Problem: bis 1992 waren Mindeststrafen sehr hoch, dann wurden sie stark gesenkt � dadurch waren mehr Verurteilungen möglich. IIII.. GGeesseellllsscchhaafftt uunndd WWiirrttsscchhaafftt seit 70ern sozialer Wandel � politische Erosion und tief greifende Veränderungen im Verhältnis von Politik und Wirtschaft. 22..11.. BBeevvööllkkeerruunnggssppyyrraammiiddee - ca. 8 Mio. Menschen, 1/5 in Wien, 5% in Gemeinden bis 1000 Einwohner. Wohnbevöl-kerung wächst, wird auch deutlich älter � alternde Gesellschaft; Geburtenrate sinkt, Verschiebung der Alterskohorten lässt Menschen im Erwerbsalter (20 bis 64) schrumpfen ���� muss in Gesundheitspolitik und bei Pensionen berücksichtigt werden!!! - ca. 750.000 (ca. 9 %) Menschen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft in Österreich � Regeln bezüglich Staatsbürgerschaft: KEINE Staatsbürgerschaft durch Geburt, Jugendliche zweiter Generation müssen um Staatsbürgerschaft ansuchen! - ca. 16% der Österreichischen Wohnbevölkerung außerhalb der österreichischen Grenzen geboren! � entscheidend für Anstieg war 1. nach Arbeitern fragende Wirt-schaft und 2. Einwanderung auf Basis der Genfer Menschenrechtskonvention (Asylanten, Flüchlinge). Regierung und Parlament strebten zu keiner Zeit integrative Politik an!!! Exklusi-on spielt besonders seit 90ern große innenpolitische Rolle (z.B. Volksbegehren „Öster-reich zuerst). 22..22.. SSoozziiaalleerr WWaannddeell uunndd ppoolliittiisscchhee MMoobbiilliittäätt Wachsende politische Mobilität geht Hand in Hand mit dem sozialen Wandel: - Wandel der Sozial- Wirtschafsstruktur - Rückbau von sozialer Sicherheit - wachsende Arbeitslosigkeit - steigende soziale Ungleichheit - Auflösung traditioneller Bindungen und sozialer Netze

- Forderung v. Ökonomisierung v. Staat + Ge-sellschaft

- Entwicklung einer Gesellschaft der (individuellen) Optionen politische Mobilität: - Aufbrüche in der Parteienlandschaft - Erosion der Subkulturen der politischen Parteien - Wechsel im Wahlverhalten - neue Konfliktlinien Auswirkungen auf die politische Konstellation: - Deutlicher Verringerung der Produktion und der Beschäftigung im primären (Landwirt-schaft) und im sekundären (Industrie) Sektor. Tertiärer Sektor (Dienstleistung) wächst! � „Neue Mittelschicht“ und milieuferne Politikpräferenzen entstehen!! - Veränderung der Verteilung der Erwerbstätigen zwischen Frauen und Män-nern: Heute lassen sich Dienstleistungsberufe oft mit Familie verbinden � drastischer Rückgang der „Nur-Hausfrauen“! - Postindustrielle Gesellschafts- und Marktbeziehungen verlangen nach gut ausgebilde-ten Menschen: Chancengleichheitspolitik der 70er begünstigt höher Schulbildung und Öffnung der Universitäten. Menschen haben immer höheren Bildungsgrad. Heterogenisierung der Interessen im Sog der Individualisierung und Pluralisierung und damit gravierende Veränderungen bei den politischen Akteuren und in den politi-schen Prozessen: - Erosion der Traditionsparteien SPÖ und ÖVP: Gesellschaftlicher Wandel als Erklä-rung für abnehmende Parteibindung und Loyalität. Das Protest- und Wechselwählen

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tritt and die Stelle des früheren „class-voting“. Berufliche Mobilität wird von politischer Mobilität begleitet. - Von Menschen wird heute in beruflicher und sozialer Hinsicht Mobilität und Flexibilität verlangt � beeinflusst Möglichkeiten gewerkschaftlicher Organisationen (Berufstätige weniger gewerkschaftlich organisiert) und die sozialpartnerschaftlichen Lösungskompe-tenzen. - Erosion traditioneller Beziehungsmuster ist and rückläufigen Heirats- und steigen-den Scheidungszahlen zu beobachten. Scheidungsrate 46% (im europäischen Durch-schnitt). � parallel gender-bewusstes Wahlverhalten – Frauen werden beruflich, pri-vat und politisch mobiler. - ökonomische Dimension der Modernisierung und negative Auswirkung auf ökologisches Gleichgewicht führt zu Gründung Grüner Parteien! ���� postmaterialistische Werte-struktur! Kehrseite: soziale Ausgrenzung und steigende Angst; Globalisierungsgegner und Auf-kommen rechtspopulistischer Parteien. Entgegenwirkung: Idealisierung der Kleinfamilie. 22..33.. VVeerrssttaaaattlliicchhttee WWiirrttsscchhaafftt uunndd AAuussttrrookkeeyynneessiiaanniissmmuuss Ö: ausgeprägte rolle des Staates als Unternehmer. Repräsentanten der Republik hatten im wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Beriech wichtige Aufgaben und Kompetenzen inne! Nach 2. WK: ÖVP, SPÖ und KPÖ bauen im Konsens einen staatswirtschaftlichen Sek-tor bestehend aus Grundstoffindustrie, Großbanken und Elektrizitätswirtschaft auf. Grund: Beschlagnahme des „Deutschen Eigentums“ durch die vier Besatzungsmächte verhindern. Für SPÖ + KPÖ war es erster Schritt zu sozialistischer Gesellschaft, für ÖVP nur pragma-tisch, da privates Kapital fehlte. 1. Verstaatlichungsgesetz 1946 führte Banken, Raffinerien, Grundstoffindustrie etc. in das Eigentum der Republik über. 2. Verstaatlichungsgesetz 1947 behandelte die Elektrizitätswerke. Republik wurde Eigentümerin von Unternehmen, ÖVP und SPÖ verwalteten Unternehmen je nach Maßgabe der parlamentarischen Stärkeverhältnisse. � Leistungsfunktionen pro-porzmäßig besetzt. Die Verstaatlichte geriet in den 80ern in wirtschaftliche Schwierigkeiten (VOEST-Krise). ���� Privatisierung d.h. eine Übertragung von Eigentumsrechten des Staates an private Eigentümer! Gleichzeitig begann die Erosion der beiden Großparteien SPÖ + ÖVP. anderes wirtschaftspolitisches Konzept: „Austrokeynesianismus“ der 70er. Rezession 1975 � SPÖ-Alleinregierung führte Austrokeynesianismus ein (=Instrumentenmix der Wirtschafts- und Sozialpolitik): � Stabilisierung (1) antizyklische Investitionsstrategie zur positiven Beeinflussung des wirt-schaftlichen Klimas (2) Stabilisierung der Löhne und Preise (3) einkommenspolitische Zurückhaltung der Gewerkschaften (4) Hartwährungspolitik. Austrokeynesianismus seit Krise und Privatisierung Vergangenheit!! Seit EU-Beitritt (1. Jänner 1995) hat Ö regulatorische, interventionistische Eingriffe abgebaut, steuert aber bereits marktradikalen Kurs! Die schrittweise Privatisierung des gemeinwirtschaftlichen Sektors und sozialstaatliche Umbauten (mehr Eigenversorgung!) verweisen auf eine gewandelte Rolle der Politik und deren Anpassung an die Globalisierung. 22..44.. RReeiicchhttuumm uunndd UUnngglleeiicchhhheeiitt,, BBeesscchhääffttiigguunngg uunndd AArrbbeeiittsslloossiiggkkeeiitt Ö ist dritt-reichstes EU-Land und siebt-reichstes Land der Welt. Reichtum, aber auch Kehrseite der Armut. Soziale Ungleichheit – gemessen an der Entwicklung der Lohn- und Einkommensunterschiede – ist in den letzten Jahrzehnten eher gewachsen.

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3 Instrumente, um in Einkommensverteilung einzugreifen: (1) Steuern: wenig effizient wegen fehlender Vermögenssteuern und weil ca. die Hälfte der Steuern durch einkommensunabhängige Mehrwertsteuer aufgebracht wird. (2) Transferleistungen (Direktzahlungen) (3) Angebot öffentlicher Leistungen/Infrastruktur: wirksamer als Steuern. - Steuerbelastung der Haushalte und Unternehmen relativ hoch - wirtschaftliche Entwicklung: bis 70er gut – Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Erdölschock 1973 und Rezession 1974/75. 80er ging Wirtschaftswachstum deutlich zu-rück, 1993 Minuswachstum. - Arbeitslosigkeit: Anfang 80er gering, seither Anstieg! 70er: Beschäftigungspolitik zur Verhinderung/Reduktion der Arbeitslosigkeit spielte wich-tige Rolle in Politik. Austrokeynesianismus wichtiges Instrument! 80er: Maßnahmen der aktiven und experimentellen Arbeitsmarktpolitik (z.B. z.B. Schaf-fung von Arbeitsplätzen im sozialen und kulturellen Bereich). Ende 90er: in Kooperation mit EU mittels Nationaler Aktionspläne (NAP) eher neoliberale Arbeitsmarktpolitik forciert: Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit und Vermittelbarkeit der Menschen (Aus- und Weiterbildung etc.) sowie Rücknahme von Rechten der Arbeitslosen und Kürzung der Arbeitslosengelder. 22..55.. BBuuddggeettppoolliittiikk uunndd WWoohhllffaahhrrttssssttaaaatt Höhe und Struktur des Budgets geben Auskunft über Bedeutung der Politik und Artikula-tionsfähigkeit gesellschaftlicher Gruppen und wirtschaftlicher Interessensorganisationen Funktionswechsel vom „Nachtwächter und Hoheitsstaat“ zum modernen „Wohl-fahrts und Leistungsstaat“ und vom Austrokeynesianismus zu einer Politik des „schlanken Staates“. ���� Privatisierung, Deregulierung der Arbeitswelt, Rückbau des Wohlfahrtsstaates, Ausbau individueller Vorsorge. europäische Wirtschaftsintegration � neoliberales Politikverständnis. Maastricht-Kriterien: Limitierung d. Inflationsrate, Deckelung d. Zinssatzes, Wechselkursstabilität, Haushaltskriterien für Budgetpolitik (Staatsschulden!). + Stabilitätspakt der Währungs-union zum Schutz und Stärkung des Euro( Defizit nicht mehr als 3% d. BIP!). Staatsausgabenquote in Österreich und fast allen OECD-Ländern steigend, aber mehr die Verwendung des Geldes entscheidend! Im Wohlfahrtsstaat wird es va. für Soziale Wohlfahrt, Gesundheit und Bildung verwendet. Recht und Sicherheit (im Gegensatz zur Zeit der Monarchie) eher bescheiden. Antizyklische Budgetpolitik in 70ern/80ern, schlechte Wirtschaftsentwicklung, Frühpensi-onierungen � wachsende Staatsverschuldung!! (Hauptursache: schwache Wirtschaft und überhöhte Zinsen). Budgetpolitik ist ein wichtiger Punkt im Wahlkampf geworden!!! Mitte der 90er schnürte und verabschiedete die Regierung im Zuge der Maastricht-Kriterien Strukuturanpassungs- und Stabilitätsprogramme 2000 formulierte ÖVP/FPÖ-Regierung als Ziel Nullneuverschuldung („Nulldefizit“)!! IIIIII.. CChhaarraakktteerriissttiikkaa ddeerr ZZwweeiitteenn RReeppuubblliikk In 2. Republik sind Charakteristika eines repräsentativ-liberalen Systems immer deutlicher und letztlich selbstverständlich geworden: (1) Mehrparteiensystem: Wettbewerb um Stimmen, Wahlergebnis entscheidend für Machverteilung (2) Parlamentarismus: Zentrum der Politischen Parlamente ist Parlament (Nationalrat) - in enger Verflechtung mit Bundesregierung. (3) Kapitalismus: Grundsatz des Privateigentums und der Marktwirtschaft.

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33..11.. VVeerrssppäättuunngg uunndd BBrrüücchhee Verspätung von Demokratie und Rechtsstaat durch ein generelles West-Ost-Gefälle der europäischen Entwicklung ���� Entwicklung des Verfassungs- und Rechts-staats zuerst im britisch-niederländischen Raum und breitete sich allmählich auf Rest-Europa aus. Demokratie der 2. Republik ist Resultat des zweimaligen Eingreifens von Siegermächten zugunsten der österreichischen Demokratie: (1) Sieg der Entente 1918 (F, GB, I, USA): Zerfall von Österreich-Ungarn, Gründung der Republik Österreich, Entente zwang Ö zur Unabhängigkeit gegenüber Deutschland. (+ Demokratiestandards z.B. Minderheitenrechte). (2) Sieg der Alliierten (USA, UdSSR, GB, F) 1945: Erneuerung der Demokratie und Republik nach 2. WK. Staatsvertrag 1955 in Wien � verpflichtende Demokratiestandards festgelegt u.a. „Anschlussverbot“ an Deutschland. Ö als Täter und Opfer behandelt. von 1945 – 1955 besetzt, es existierten 2 politische Systeme: (a) Provisorische Staatsregierung: machte 1945 Wahl des NR und übergab Autori-tät den neu legitimierten Verfassungsorganen: Nationalrat, Bundesregierung, Bun-despräsident. Bis dahin hatte die provisorische Staatsregierung auch die Aufgaben des Parlaments übernommen. (b) Alliierter Rat: Entscheidungsebene unabhängig vom österreichischen politischen Systems � Ö’s Souveränität eingeschränkt. Alle Gesetze mussten vom Alliierten Rat ge-nehmigt werden, ab 1946 nur Verfassungsgesetzte. Wegen Ost-West-Konflikt und weil im Alliierten Rat Entschlüsse einstimmig erfolgen mussten gewann Ö an Autonomie. Regierung (ab 1947 ohne KPÖ) agierten pro-westlich ���� 1947 Marshall-Plan. Jedoch konnte Beendigung der Doppelherrschaft nur mit Zustimmung der UdSSR erfolgen. 1955 beendeten die Alliierten mit dem Abschluss des Staatsvertrags das Besatzungs-statut!!! ���� Akzeptanz der Unabhängigkeit. ���� wachsende Selbst-Akzeptanz u.a. durch „immerwährende Neutralität“, die anfänglich nur eine Gegenleistung zum Staatsvertrag war. � Neutralität dann als offizielle Positio-nierung im Ost-West-Konflikt und signalisierte österr. Selbstbewusstsein! In der 2. Republik wurde Österreich (mit deutlicher Verspätung) zu einem Natio-nalstaat! Paradoxerweise werden die sieben Jahre des Anschlusses kaum thematisiert: - Österreich stellt sich selbst als Opfer Hitlers dar, obwohl es auch Mittäter war (Mos-kauer Deklaration)! - Österreich wollte ausschließlich als befreites und nicht als besiegtes Land behandelt werden. � Staat wird für diese Zeit als „nicht existent“ erklärt. - Im Entnazifizierungsgesetz (1947) unterschied man zwischen „belasteten“ Natio-nalsozialisten und „Mitläufern“. Die meisten wurden zu „Mitläufern“ erklärt, da die Partei-en um deren Stimmen kämpften. � VdU � Erst Verdrängung, erst später Auseinandersetzung (Waldheim etc.). 33..22.. KKoonnttiinnuuiittäätt uunndd NNeeuuaannffaanngg 2. Republik anders als 1. Republik: (1) Selbst-Akzeptanz signalisiert Stabilität, die Österreich vor 1938 fehlte (2) Konsens zw. den beiden großen Lagern: zw. katholisch-konservativen und sozia-listischem! Im Gegensatz zu vor 1918 von Dauer!! Auch auf Grundlage von Kontinuität: (1) Kontinuität der Verfassung: 2. Republik übernahm Verfassung der 1. Republik (2) Kontinuität der Parteien: Parteien und Parteiensystem setzt die früheren Traditio-nen fort.

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2. Republik war Gründung der Parteien: Unabhängigkeitsvertretung von Vertretern von SPÖ, ÖVP und KPÖ unterzeichnet! (Bedeutung der KPÖ ging ab 1945 langsam verloren + Neuetablierung des deutschnationalen Lagers durch VdU und FPÖ) neben diesen Aus-nahmen Kontinuität des Parteiensystems. (Änderung erst in 80ern). Parteienstaat in Ö stärkeres Ausmaß als in anderen politischen Systemen: (1) Rekrutierung des politischen Führungspersonals der Länder und Gemeinden (2) Rekrutierung auch für Führungspersonal jenseits des politischen Systems im engeren Sinne: Banken, Schulen, Verfassungsgerichtshof etc. Diese weite Parteistaatlichkeit hat 2 Ursachen: (1) Tradition: Durch politische Sozialisation mehrer Generationen wurde man in ein La-ger hin eingeboren und empfand starke Bindung und Loyalität. � hohe Organisations-dichte der Parteien und stabiles Wahlverhalten (2) Protektion: Vielen nutze die Bindung an eine Partei für ihre individuellen Berufs-chancen. Abnahme der Organisationsdichte in 80ern und Abnahme der Berechenbarkeit des Wahl-verhaltens deuten auf eine Abnahme der Überfunktion des Parteienstaates hin. Für die Erosion der Dominanz der beiden Großparteien gibt es 2 Ursachen: (1) Abbau der Lagermentalität: Zugehörigkeit weniger „vererbt“, politische Präferenz flexibler. Funktion der Parteien als Subsysteme mit Abgrenzung nach außen und Stabili-tät nach innen ging verloren!!! (2) Verlust von objektiven Rahmenbedingungen: Privatisierung entzieht Parteien Möglichkeit, die berufliche Karriere einzelner Personen zu sichern. Auch mit Instrumenten des Sozial- und Wohlfahrtsstaates können Parteien wegen Sparpaketen Menschen nicht mehr binden. Rückgang des staatlichen Einflusses bedeutet gleichzeitig einen Rückgang des Parteienstaates. Kontrast: Verbändestaat; ÖGB als Zusammenschluss der Gewerkschaften (1945) und Wirtschaftskammer (1946). � Sozialpartnerschaft, wo langfristige Entscheidungen ab-seits des politischen Marktes getroffen werden können. 33..33.. ÖÖsstteerrrreeiicchhiisscchhee BBeessoonnddeerrhheeiitteenn (1) Verfassungsstruktur: B-VG 1929 (a) Präsident direkt von Volk gewählt. Theoretisch auf gleicher Ebene wie NR. (b) Präsident ernennt Bundeskanzler und Regierungsmitglieder. Konkurriert mit NR, der Regierung indirekt legitimiert, indem er ihr kein Misstrauen ausspricht.

österreichische Verfassung = „parlamentarische Präsidentschaftsrepublik“ österreichisches politisches System = „gemischtes System“: parlamentarische und präsidentielle Elemente gemischt. (2) „Rollenverzicht“ des Präsidenten: Präsident versucht nicht, Gegenspieler des NR zu werden. So wird der Bundeskanzler als Repräsentant der parlamentarischen Mehrheit die Zentralfigur des politischen Systems und nicht der Bundespräsident. (3) Fehlende Tendenz zu „minimum winning coalitions“: In parlamentarischen Sys-temen gibt es die Tendenz zur Bildung von Koalitionen, deren Mehrheit nur knapp über der absoluten Mehrheit liegt. In Österreich ist dies nicht der Fall, es kam meistens zu einer Koalition zwischen ÖVP und SPÖ, obwohl auch andere Varianten rechnerisch mög-lich gewesen wären! � Minderung der zeitlichen Gewaltenteilung (keine Schattenregie-rung). (4) Proporz- bzw. Konkordanzdemokratie: (a) Neigung zur Großen Koalition bei Fehlen einer absoluten Mehrheit im Nationalrat (b) Sozialpartnerschaft als Fortsetzung der Großen Koalition mit anderen Mitteln (c) Vereinbarungen über die Aufteilung der Zugangskontrolle im Verfassungsgerichts-hof, in der Schulverwaltung (zumindest bis in 80er) und in weiten Bereichen der Wirt-schaft. � Gegensatz zur 1. Republik (Konflikt)

Vorraussetzung für Konkordanzdemokratie: Existenz autonomer Subsystemen („Lager“) � beruht auf intakten Feindbildern � diese sind aber durch die stabilisierende Wirkung der Konkordanzdemokratie schwer aufrechtzuerhalten. � Zurückdrängung des Konsen-

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ses und zunehmende Betonung des Konflikts. Die Regierungsbildung im Jahr 2000 hat diese langfristig begründete Entwicklung beschleunigt! Der paradoxe Erfolg der Konkordanzdemokratie ist, dass sie begonnen hat, ihre eigenen Vorraussetzungen zu zerstören: Sie hat ihr Ziel der Stabilisierung erreicht, deshalb macht sie sich zunehmend selbst überflüssig. � „minimum winning“ Koalition seit 2000. IIVV.. DDiirreekkttee uunndd iinnddiirreekkttee DDeemmookkrraattiiee 44..11.. DDiiee QQuuaalliittäätt ddeerr DDeemmookkrraattiiee Balance zwischen Elementen der direkten und indirekten Demokratie wichtig: - nur direkt: unmöglich, Entscheidungen zu treffen, weil nicht alle immer einbezogen werden können � Lähmung des Systems. - nur indirekt: Oligarchie (Einzelherrschaft von wenigen) � keine Rückkoppelung zu Volk Staaten müssen Mindestanforderungen erfüllen, um als „demokratisch“ zu gelten: - universelle Gleichheit der politischen Rechte (aktiven und passives Wahlrecht aller erwachsenen Staatsbürger, gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern)

- Schutz der elementaren Grund- und Menschenrechte durch den Staat - Legitimation der politischen Macht im Wettbewerb durch Wahlen - Machtkontrolle und –beschränkung der politischen Entscheidungsträger (Checks&Balances)

Über diese verbindlichen Standards gibt es weitere Vorraussetzungen von + für Demo-kratie: - Demokratisierung gesellschaftlicher Subsysteme (Schule, Arbeit…) als stabile Basis - Anstreben einer sozial gerechten Güterverteilung - Strukturelle Ungleichheiten und Barrieren, die Menschen an politischer Partizipation und Repräsentation hindern, und strukturelle Regelungen zu Kompensation dieser Ungleich-verteilung gelten als Seismographen der tatsächlichen Qualität eines dem. Systems.

- Demokratie muss inhaltliche Begrenzungen akzeptieren � Grund- und Menschenrechte unantastbar. (Heute besteht über politische und bürgerliche Freiheitsrechte Konsens, nicht jedoch über soziale und ökonomische!). Grundrechte haben Verfassungsrang, das Volk hat Anspruch auf sie. Als untastbare, unverletzliche und unveräußerliche Rechte bieten sie Schutz vor dem Staat.

Beitritt zur UNO 1955 (Menschenrechte) und zur Europäischen Menschenrechtskonventi-on (1958). Die Demokratiequalität eines politischen Systems bemisst sich am Konsens über Grund- und Freiheitsrechte und an der Existenz machtausgleichender und –beschränkender Institutionen. Machtkonzentration ist durch institutionalisierte Balan-ce zwischen Entscheidungsträgern und Kontrollorganen zu begrenzen, und politische Strukturen, die Pluralismus und Regierungswechsel forcieren, sind wichtige Aspekte der Demokratiequalität! Ausschlaggebend für die Qualifizierung als demokratisch ist keineswegs die Form der Partizipation (direkt oder indirekt), denn Demokratie entspricht nicht dem, was ein Volk zu irgendeinem Zeitpunkt für richtig hält. Demokratie meint ein System von Regeln und Vorgangsweisen, das dem Volk die kontinuierliche Kontrolle von Entscheidungen und Entscheidungsträgern ermöglicht! 44..22.. DDiirreekkttee uunndd iinnddiirreekkttee DDeemmookkrraattiiee Die Frage „direkte oder indirekte Demokratie“ zielt auf die Art der Partizipation ab. In demokratischen Systemen können Staatsbürger auf 2 Weisen politisch partizipieren: - direkte, plebiszitäre Teilnahme an der Formulierung/Thematisierung von und an Entscheidungen zu Sachthemen.

- indirekte, repräsentative Teilnahme an der Bestellung (Wahl) von Politikern, die in der Folge stellvertretend, also repräsentativ, Sachentscheidungen treffen.

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Indirekte Demokratie: - ist eine arbeitsteilige Politikform, sie basiert auf Delegation und Parlamentarismus (Regierung ist dem Parlament verantwortlich). Grundlage: Wähler wählen und legitimie-ren Politiker. Diese agieren auf Zeit (Wiederwahl/Abwahl möglich) und werden kontrol-liert. Parlament und Regierungen sind das institutionelle Gehäuse repräsentativ-demokratischer Entscheidungsprozesse. - ist auch teilnehmende Demokratie. Wähler bestellen in direkter Weise die politischen Entscheidungsträger. Die Wahl ist die direkt-demokratische Komponente der repräsenta-tiven Demokratie. Wahlen, der Beruf des Politikers, politische Parteien sowie Interes-sensorganisationen sind die konstitutiven Elemente der indirekten Demokratie. - Für Mandatare gilt das freie Mandat: keine Bindung an direkten, unmittelbaren inhalt-lichen Wählerauftrag (nur eigenes Gewissen und gesamtgesellschaftliches Interesse). ABER: „Klubzwang“ relativiert das freie Mandat stark. Wahlen sind so bedeutend, weil sie bis in die 80er so gut wie die einzige Teilnahmeform darstellten, doch dann gewannen die direkten Formen politischer Teilnahme an Bedeu-tung. Seit Mitte der 80er geraten parteien- und verbändestaatl. Eliten und Entschei-dungsprozesse unter Druck und verlieren an Akzeptanz. Der Bedeutungsgewinn direkt-demokratischer Instrumente (Volksbegehren…) spielt bei dieser Verschiebung eine Rolle. Elemente der direkten Demokratie: - Wahlen - Volksabstimmung (Plebiszit, Referendum): Wähler entscheiden über ein Gesetz, über das der Nationalrat bereits abgestimmt hat. Die Entscheidung des Volkes ist bin-dend. 2 Varianten der Volksabstimmung: (a) fakultativ: nicht zwingend vorgeschrieben. NR möchte nicht allein entscheiden, weil

Thema zu brisant. (bis jetzt einziges: 1978 AKW Zwentendorf) (b) obligatorisch: bei Gesamtänderung der Verfassung (EU-Beitritt!!) oder für Abset-

zung des Bundespräsidenten. - Volksbegehren (Volksinitiative): Gegenstand eines Volksbegehrens muss eine durch Gesetz zu regelnde Angelegenheit sein; 1 Promille der Bevölkerung (ca. 8000 Wähler) muss Einleitungsverfahren unterstützen � Bundesminister für Inneres setzt Termin für Eintragswoche fest. Volksbegehren ist ab 100.000 Stimmen erfolgreich, dann muss sich NR mit diesem Gesetz beschäftigen, aber keine Verbindlichkeit zur Umsetzung für NR!!! Deshalb münden kaum Volksbegehren in Gesetz. Von Bedeutung ist die Bewusstseins-bildung und politische Sensibilisierung der Bevölkerung! Eine Möglichkeit, ein Volksbegehren ab einer bestimmten Zahl von Unterschriften in ei-ne Volksabstimmung münden zu lassen besteht noch nicht, wird aber diskutiert!

- Volksbefragung: Seit 1989 verfassungsrechtlich vorgesehen. Noch nie auf Bundes-ebene, dafür auf kommunaler und regionaler Ebene verwendet. Man möchte Meinung des Volkes erfragen (auf Bundesebene Antrag von NR-Mitgliedern oder der Bundesre-gierung nötig). Realpolitisch stärker als Volksbegehren! Bisher setzte sich kein gesetz-gebendes Organ über das Mehrheitsergebnis einer Volksbefragung hinweg!

- Demoskopie: „Meinungsforschung“ � repräsentative Gruppen werden befragt. Anders als bei Volksbefragung nicht immer Öffentlichkeit und Transparenz. Wie seriös (Schwankungsbreite)?

- Mitwirkung in Verwaltungsverfahren: Gesetzlich besteht bei der Genehmigung von Großprojekten die Möglichkeit der Einbindung von Bürgerinitiativen und Bürgern und Verwaltungsverfahren. � Umweltverträglichkeitsprüfung

In Österreich ist ein steigendes Interesse an direkter Demokratie, jedoch auch die wei-terhin bestehende Dominanz der indirekten Demokratie festzustellen! (z.B. werden fast alle Volksbegehren von Repräsentanten eingebracht). 44..33.. GGrraasswwuurrzzeellnn –– BBüürrggeerriinniittiiaattiivveenn Territorial oder nicht territorial definierte Betroffenheit macht sich zunächst im Mikrobe-reich bemerkbar (z.B. fühlen sich durch Öffnungszeiten des örtlichen Kindergartens be-einträchtigt).

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Wenn man Verhältnisse verändern will, muss man Politik machen. Bestimmte Vereine (katholische Pfadfinder, sozialistische Lehrer…) sorgten lang dafür, dass Politikbedürfnis-se an den Ränder des politischen Systems befriedigt wurden – eingebunden in ein Lager, domestiziert von der Strategie des Lagers und seiner Partei. In Ö ist die politische Parti-zipation im formellen und organisierten Bereich (Wahlen, Mitgliedschaft…) relativ hoch, im informellen, nicht organisierten Bereich (spontane Proteste, Leserbriefe…) relativ ge-ring. Traditionelle Lager können das Bedürfnis nach Graswurzel-Politik nicht mehr rich-tig befriedigen. Deshalb bilden sich neue Artikulationsformen außerhalb des Parteien- und Verbändestaates, die neuen Konfliktlinien folgen: � andere „cleavages“ - Bildung: je höher, desto eher Interesse an nicht-traditioneller, informeller Form, politisch zu agieren. - Alter: Ältere eher in traditioneller Form (Wahlen…), Junge eher in nicht-traditioneller Form aktiv. - Geschlecht: Männer und Frauen beteiligen sich nun in annähernd gleicher Intensität an der traditionellen, formellen Form der politischen Beteiligung. � Merkmale schon „Neuen Sozialen Bewegung“ in 70ern/80ern deutlich. � Ablösung von „materialistischen“ durch „postmaterialistische“ Motive und Inhalte; Bewegungen: „Gen-der“ (ungleiche Verteilung zwischen Mann und Frau), „Environment“ (ökonomisches Wachstum � Umweltschutz). In den 80ern setzte eine Dekonzentration des Parteien-systems ein. � politische Allianzen entstanden � nicht-traditionelle Formen politischer Aktivität � Konfliktlinie „Modernisierung“: - Modernisierungsgewinner (hoher Bildungsgrad) engagieren sich in hoher Solidari-tätsbereitschaft und oft unter Vernachlässigung eigener materieller Perspektiven. Sind offen für eine postmaterialistische Perspektive (weil materiell privilegiert). - Modernisierungsverlierer (materiell/beruflich ungünstige Position): nicht bereit zu grenzüberschreitender Solidarität und zu postmaterialistischem Engagement. Politische Perspektive durch Zukunftsunsicherheit und durch defensive, abwehrende, angstvolle Grundeinstellung geprägt. Diese Allianzen sprengen die Annahme eines Links-Rechts-Kontinuums politischer Aktivi-tät. Sie haben nichts oder nur eingeschränkt mit traditionellen Zuordnungsmustern (links=proletarisch,international,solidarisch/rechts=bürgerlich,konservativ) zu tun. Aber eben weil diese an den „Graswurzeln“ der Gesellschaft entstehenden Allianzen nicht mehr traditionell integrierbar und kanalisierbar sind, entwickeln sie neue Muster politischer Artikulation. Bsp: Kirchen-Volksbegehren. 44..44.. ZZiivviillggeesseellllsscchhaafftt –– BBüürrggeerrggeesseellllsscchhaafftt In politischem System sind auch Veränderungen von Gesellschaftsformationen, die in engem Zusammenhang mit politischen/staatlichern Entwicklungen zu sehen sind, wichtig. Zivilgesellschaft = Assoziationen von Individuum, die sich unabhängig vom Staat bildet und agiert; Sammelbegriff für alle Formen sozialen Agierens von Individuen oder Grup-pen, deren Handeln sich nicht vom Staat ableiten lässt und in denen Gemeinschaften nicht mit den Mitteln staatlicher Autorität auftritt. - Protestbewegungen, die sich als emanzipatorisches Gegenstück zu gesellschaftl. wie pol. Dominanz des Parteienstaates verstehen, bezeichnen sich als Zivilgesellschaft. - Zivilgesellschaft/Bürgergesellschaft als Gesellschaftsform entworfen, bei der das indivi-duelle Engagement für die Gemeinschaft an die Stelle staatl. Unterstützung und sozialer Sicherheit auf Grundlage organisierter Solidarität tritt. Zivilgesellschaft wird als „Bürger-gesellschaft“ im Gegensatz zum interventionistischen Staat angerufen. VV.. ÖÖsstteerrrreeiicchh iinn ddeerr EEuurrooppääiisscchheenn UUnniioonn Volksabstimmung 12. Juni 1994: 66% dafür. Beitritt am 1. Jänner 1995 und zur Wirtschafts- und Währungsunion 1999. � Anpassung des Rechtsstandes und Eingliederung nationalstaatlicher Entscheidungs-strukturen als Folge!!! Österreich gibt Teil der Souveränität ab, die sich folglich auf die EU verlagert.

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55..11.. IInntteeggrraattiioonnss-- uunndd BBeeiittrriittttsspprroobblleemmee EU weder Staatenbund noch Bundesstaat, sondern basiert auf völkerrechtlichen Ver-trägen zwischen den Mitgliedsstaaten. - F, D, I und Benelux gründen 1953 EGKS (Europäische Gemeinschaft f. Kohle und Stahl), 1957 EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) und Europäische Atomgemein-schaft (EAG) ���� diese 3 vereinigten sich zu Europäischer Gemeinschaft (1967) - 1972 Norderweiterung: GB, D, I; 1981/1986 Süderweiterung: G, Spanien, P - 1986 Einheitliche Europäische Akte (EEA) � Gemeinsamer Binnenmarkt - Vertrag von Maastricht 1992 ���� EG zu EU umbenannt � auch 3 Säulen: 1. Säule Wirtschaft und Binnenmarkt, 2. und 3. Säule GASP und Zusammenarbeit bei Justiz und Inneres! - „Amsterdamer Vertrag“ 1997 (weitere institutionelle und inhaltl. Bausteine) und Vertrag von Nizza 2000 (Beschluss der Ausarbeitung einer Verfassung!) Österreich: - 1987 Arbeitgruppe auf Ministerbeschluss, 1989 ÖVP + SPÖ vereinbaren gemeinsa-men Kurs - 1989 NR beschließt Beitrittsgesuch (nur Grüne dagegen); Regierung beschließt Ein-stimmig Beitrittsverhandlungen mit EU anzustreben � offizieller Beitrittsgesuch - 1993/94 Österreich Beitritt zu EWR (Grüne und FPÖ dagegen); Beitrittsverhandlungen mit Ö, N, F +S - 1994 Abstimmung in Europäischem Parlament über Österreich-Beitritt; NR beschließt Bundesverfassungsgesetz für Beitritt zu ändern � Volksabstimmung 5. Mai 1994 über Bundesverfassungsgesetz; Unterzeichnung des Beitrittsvertrages - 1. Jänner 1995 Mitgliedschaft in EU - 1. Jänner 1999: Start der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) von 11 Mitgliedern - 2000 Sanktionen der EU-14 gegen Ö wegen ÖVP-FPÖ-Regierung – Beziehungen und Kontakte zu Ö stark eingeschränkt. Kritik der Regierung � das sei Einmischung. Bei Re-gierungserklärung Präambel mit Bekenntnis zu Europa und europäischen Werten. Nach „Weisenbericht“ wurden Sanktionen im September 2000 beendet. Parteipositionen: SPÖ: lehnte in 60ern Verhandlungen in Bezug auf Neutralität ab. Bei SPÖ-Alleinregierung Außenpolitik nicht auf EG-Raum gerichtet. In 80ern Beitritt zu Binnenmarkt befürwortet, aber Mitgliedschaft weiter abgelehnt. Vranitzky sprach sich dann für Beitrittsverhandlun-gen aus, allerdings mit Auflage der Wahrung der Neutralität. ÖVP: Seit 60ern auf Pro-EWG Kurs. Hauptargument = Beseitigung von Handelsdiskrimi-nierungen. Handlungen der ÖVP-Alleinregierung scheiterten 1967. Erst nach 1986 als ÖVP Außenpolitik Ressort hatte, wurden Beitritt wieder forciert. Fast ganze ÖVP hat sich zäsurlos (vor allem Wirtschaftsflügel) immer für den Beitritt ausgesprochen. FPÖ: 1958-1992 zustimmende Haltung (Argument: Aussöhnung zw. Siegern und Verlie-rern des Kriegs). Keine Bedenken wegen Neutralität. Stimmt 1989 bei Beitrittsgesuch zu, lehnt aber 1991/92 EWR und EWG-Beitritt ab. Bei EU-Volksabstimmung ablehnend. 1999 Schiling-Volksbegehren und Anti-Temellin-Volksbegehren! Grüne: stimmten in Parlament wegen Neutralität, Umwelt und defizitärer Demokratie dagegen. 1991 Volksbegehren für Volksabstimmung gegen EWR-Beitritt. Bei EU-Volksabstimmung änderten sie Kurs, seitdem pro-europäisch mit kritischer Haltung. LIF: konsequenter Pro-EU-Kurs 55..22.. MMiittwwiirrkkuunngg uunndd VVeerrttrreettuunngg EU = supranationale Organisation. Aus österreichischer Sicht, wirken in supranationa-len Entscheidungsprozessen folgende Akteure: - Vertreter der Regierung (Rat) - von Regierung Nominierte (Kommission) - Beamte (Experten-Ausschüsse) - direkt gewählte Mandatare (Europäisches Parla-ment) � ähnlich große Staaten haben ähnlich große Mitwirkungsmöglichkeiten.

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Rechtsakte von Rat gesetzt; Kommission = Exekutive; Parlament = primär Einrichtung zur Meinungsbildung Dreigliedrigkeit NICHT institutionelle oder funktionelle Gewaltenteilung wie in National-staaten. Vertretung Österreichs (vor Erweiterung): - 1 Stimme in Europäischem Rat (von 15) - 4 Stimmen in Allgemeinen Rat (von 87) - 1 Kommissionsmitglied (von 20) - 12 Sitze in Wirtschafts- und Sozialsausschuss und im Ausschuss der Regionen (von 112) - 1 Mitglied im Europäischen Gerichtshof - 1 Mitglied im Rechnungshof - 1 Gouverneursrat in der Europäischen Investitionsbank - 21 Mitglieder im Europäischen Parlament (von 626) � in vielen Institutionen muss auf Proportionalität geachtet werden z.B. haben in Kom-mission große Staaten 2, kleine Staaten 1 Kommissar Europarecht gibt Kriterien für Teilnahme an Einrichtungen der EU vor, regelt aber nicht welche Funktionsträger konkret teilnehmen � in Ö seit großer Koalition ÖVP-SPÖ koordi-nieren Bundeskanzleramt und Außenministerium die Europapolitik. � Einbindung des NR verfassungsrechtlich geregelt! Mitglieder der Bundesregierung müssen Parlament über Vorhaben der EU informieren!! Der Rat: (1) „Europäischer Rat“ (32 Mitglieder) � Gremium der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer + dem Kommissionspräsident + AußenministerInnen + 1 Kommissions-mitglied (2) „Rat der Allgemeinen Angelegenheiten“ � Außenminister (3) „Fachministerräte“ (Landwirtschaft, Kultur, Bildung, Energie, Umwelt etc.) in europäischen Rat von Österreich Bundeskanzler und Außenminister vertreten. Verein-barung, dass sich Bundespräsident zurückhält. Ratspräsidentschaft wechselt alle 6 Monate. Der Rat ist die zentrale Arena, Entscheidungsgremium und Rechtssetzungsor-gan der Gemeinschaft Im Rat sind die nationalen Regierungen vertreten, er hat Rechtssetzungskompetenz auf EU-Ebene, d.h. die nationale Exekutive bildet die gemeinschaftliche Legislative! Rat hat dominante Rolle bei Gesetzgebung, Nationalstaaten sind eigentliche Akteure. Par-lament nur bescheidene Rolle. Mitwirkung Österreichs bei der Rechtssetzung: Teilnahme der Fachministerien, Teil-nahme im Ausschuss der ständigen Vertretung der Mitgliedsstaaten, Teilnahme nationa-ler Beamter in Ratsarbeitsgruppen. Die Kommission: Supranationale Einrichtung der europäischen Politik und der europäischen Interessen. Politisches Initiativmonopol: Kommission kommt Recht zu, Rechtsakte (=Richtlinien und Verordnungen) zu initiieren. Sie besitzt die Durchführungsbefugnis. Kommissionsmitglieder sind von den nationalen Regierungen nominierte Perso-nen, also nicht von Bevölkerung direkt oder indirekt gewählt. Auf EU-Ebene braucht die Person Zustimmung des Kommissionspräsidenten und muss sich einem Hearing stellen. Das Europäische Parlament kann der gesamten Kommission (nicht einzelnen Kommissa-ren) das Misstrauensvotum aussprechen. Das Europäische Parlament (EP): Abgeordnete seit 1979 auf Grundlage der (unterschiedlichen) Wahlordnungen der Mit-gliedländer direkt gewählt (in Ö erstmals 1996). Kein „richtiges“ Parlament, nur eingeschränkte Legimitationsfunktion.

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Wirkungsmöglichkeit: Debatte, Resolution und Kontrolle (Misstrauensvotum gegen Kommission als Kollegialorgan). Beschließt auch Haushaltsplan und muss Zustimmung geben bei Beitrittsverträgen, Ernennung des Kommissionspräsidenten und der grundlegenden Ausrichtung der Strukturpolitik. Durch die Hearings und den Einfluss auf die Kommissionszusammenstellung hat das Par-lament an Bedeutung gewonnen! Der Europäische Gerichtshof (EUGH): zuständig für Kontrolle der Einhaltung des pri-mären Rechts (Gründungsverträge, Vertrag von Maastricht, Vertrag von Amsterdam) und des sekundären Rechts (Beschlüsse der EU-Organe). Nominierungsverfahren wie bei Kommissaren. 55..33.. RRüücckkwwiirrkkuunngg//AAuusswwiirrkkuunnggeenn Der Beitritt zur EU und zur Wirtschafts- und Währungsunion hat - direkte Auswirkungen durch die gemeinsame Rechtssetzung und den gemeinsamen Rechtsbestand.

- Indirekte Auswirkungen in Politikfeldern: Durch EU-Beitritt Machtverschiebungen. Stärkung der Exekutive (Regierung) ge-genüber der Legislative (Parlament). Gründe: - Nationalrat verliert an Handlungsspielraum, weil gemeinschaftliches Recht über-nommen werden muss und in Angelegenheiten der „drei Säulen“ gemeinschaftliche Rechtssetzung erfolgt. - Nationalrat verliert auch an Handlungsspielraum, weil auf EU-Ebene nicht die Legis-lative Funktionen übernimmt, sondern die Exekutive, die Regierung. Materiell sind direkte Auswirkungen im Bereich der 3 Säulen: - 1. Säule: EG, EGKS, EURATOM; umfasst Terrain der Wirtschafts- und Währungsunion und bedeutet bisher die weitgehenste Vergemeinschaftung. Entscheidungen durch Mehrstimmigkeit.

- 2. Säule: GASP; intergouvernementale Ausrichtung dominiert; - 3. Säule: Zusammenarbeit in Bereichen Justiz und Inneres, intergouvern. Ausrichtung - Vorrang des Gemeinschaftsrecht vor nationalem Recht - Unbedingter Vorrang des Gemeinschaftsrechts bei 4 Bewegungsfreiheiten

- Budgetpolitischer Spielraum für Sozialpolitik leidet unter Beitrittskosten und Nettozah-ler-position.

- Amsterdamer Vereinbarung macht Beschäftigungspolitik zu gemeinsamer Angelegen-heit.

- Gleichstellung der Geschlechter und Maßnahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung in anderen Bereichen!

55..44.. ZZuussaammmmeennffaassssuunngg - Unionsbürgerschaft besteht im Moment in Bezug auf Wahl des Europäischen Parla-ments und den 4 Bewegungsfreiheiten.

- Nur das Europäische Parlament direkt legitimiert. Rat und Kommission indirekt durch repräsentative Organe der Mitgliedsländer

- Für Rekrutierung von Kommission und Kommissionspräsident gibt es Vorschläge der Wahlen auf EU-Ebene.

- Demokratiedefizit: Dominanz von Rat und Kommission gegenüber Parlament - Fehlen einer Verfassung, die Grundrechte Bürger und Machtbeschränkung und –verteilung regelt!

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VVII.. PPaarrllaammeenntt uunndd PPaarrllaammeennttaarriissmmuuss In Ö ist das Parlament auf allen Ebenen im Zentrum des politischen Entscheidungspro-zesses. Dem Parlament kommen 2 Funktionen zu: Gesetzgebung: Alle zentralen Entscheidungen in Form von Gesetzen im Parlament de-battiert und von einer Mehrheit beschlossen. Vorparlamentarische Bereich hat zentrale Bedeutung: meisten Entscheidungen von Regierung bereits geformt, bevor in Parlament, dann erst von Parlamentsmehrheit in Parlament verabschiedet. Kontrolle: Regierung � Opposition (=Parlamentsminderheit). Opposition soll im Sinne der „zeitlichen Gewaltenteilung“ verschiedene Kontrollinstrumente gegen Regierung ein-setzen. Je mehr Rechte von der Minderheit genützt werden können, desto intensiver ist die parlamentarische Kontrolle. Sekundäre Funktionen: Regierungsbildung (Kreation): Weil der Mehrheit des Nationalrats die Möglichkeit of-fen steht, Regierung mit einfacher Mehrheit zu stürzen, ist es – indirekt – die Aufgabe dieser Mehrheit, die Bundesregierung zu bilden und vor allem zu stützen. Mitregierung: In vielen Bereichen braucht Regierung Zustimmung des NR (bzw. Haupt-ausschusses) z.B. für ihre Politik im Rat der EU / für Staatsverträge Tribüne: Dem Parlament kommt Öffentlichkeit zu. Es wird zur zentralen Bühne der poli-tischen Kontroversen. Parlamente der Länder und Gemeinde bestehen aus 1 Kammer (Landtage, Gemeinderä-te), das Parlament des Bundes besteht aus zwei Kammern – dem direkt gewählten NR und dem von den Landtagen beschickten Bundesrat. Es ist aber ein „unech-tes“ Zweikammernsystem, weil NR Vorrang gegenüber dem Bundesrat hat: - Bundesregierung nur NR verantwortlich, nicht dem Bundesrat. Nur NR kann Misstrauen aussprechen. Regierung kann gegen Willen des Bundesrates regieren. Bundesrat fehlt die Kreationsfunktion, dadurch ist er in seiner Kontrollfunktion wesentlich entwertet. - Bundesrat hat gegen Gesetzesbeschlüsse ein aufschiebendes („suspensives“) Ve-torecht. Der NR kann das Veto des Bundesrates aber durch einfache Mehrheit außer Kraft setzen. Gesetzgebungsfunktion des BR entwertet. - Bundesrat grundsätzlich nach NR tätig. Da BR auch nach Parteien gegliedert ist, sind die Debatten im BR im Grunde die selben wie im NR (gleiche Argumente!). Dadurch Tri-bünenfunktion entwertet. 66..11.. SSttrruukkttuurr ddeess NNaattiioonnaallrraatteess Fraktionen: Abgeordnete derselben Partei (mindestens 5) schließen sich zu „Klubs“ zu-sammen. Diese entscheiden (formell) über die Beschickung von Ausschüssen. Auch Par-teilinie wird festgelegt, die Abgeordnete halten („Klubzwang). „Wilde“ Abgeordnete (von Klub ausgeschlossen oder haben sich getrennt) (gehören zu keinem Klub) werden von Ausschüssen ausgeschlossen. Fraktionen erhalten öffentliche Mittel (Klubfinanzierung) � indirekte Parteifinanzierung. Plenum: Alle 183 Abgeordnete, fällen Entscheidungen. Unmittelbare Öffentlichkeit: Be-sucher können beiwohnen. Mittelbare Öffentlichkeit: Medien! Plenum ist auf Tribünen-funktion konzentriert. Ausschüsse: werden von Fraktionen nach relativer Mandatsstärke beschickt. Entweder in Gesetzgebung (Fachbereiche) – beraten Gesetzesvorlagen; oder Kontrolle (Untersu-chungssauschuss) – kann nur durch Mehrheitsbeschluss eingesetzt werden. Hauptaus-schuss kann bei bestimmten Fragen Entscheidungen (z.B. über Vorgehen von Vertretern der Bundesregierung im Rat der EU). Präsidialkonferenz: die 3 Nationalratspräsidenten + Klubobleute aller Fraktionen. Le-gen parlamentarischen Alltag (Sitzungstermine etc.) möglichst einvernehmlich fest. Auch „Feuerwehrfunktion“ – bei öffentlichen Auseinandersetzungen oder Geschäftsordnungs-konflikten wird nach Lösung gesucht. Auch Beratungsorgan des Präsidenten. Die meisten Abgeordneten sind „Full-Time-Politiker“, sie leben von und für Politik. Sie können in bestimmtem zeitlichen Ausmaß Mitarbeiter aus öffentlichen Mitteln beschäfti-gen. Alle abgeordneten haben gleiches Stimmgewicht, dennoch gibt es eine gewisse Hie-rarchie:

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Spitzenpolitiker: Spitzen einer Partei streben entweder Regierungsamt oder eine füh-rende Parlamentsfunktion (z.B. Klubobmann) an. Dazu zählt auch Präsident des National-rats. Berufsparlamentarier: Klubobleute und andere Abgeordnete, die ihre politische Tätig-keit auf das Parlament beschränken. Full-Time-Politiker im Parlament besonders aktiv. Verbändevertreter: Abgeordnete die neben Partei auch eine Position in einem (Wirtsch-fats-)Verband haben. Wegen großer Arbeitsbelastung im Parlament weniger aktiv. „Hinterbänkler“: Meisten Abgeordneten. Nicht abwertend, haben in Parlament selbst nur weniger Entfaltungsmöglichkeit (z.B. Redezeit). Große Fraktionen haben absolut und relativ mehr Hinterbänkler, Verbändevertreter v.a. bei ÖVP und SPÖ. Abgeordnete vertreten die Bevölkerung nicht wirklich repräsentativ. Die wichtigsten Merkmale dieser Abweichung von einer idealtypischen Repräsentativität sind: Geschlecht: Männeranteil höher als in Gesellschaft (Ausnahme: Grüne) Alter: Anteil der 45-65-Jährigen signifikant höher (Grund: Professionalisierung, Karrierelei-ter) Bildung: signifikanter Anteil der Abgeordneten mit höherer Bildung als Wähler (Professio-nalisierung!). Beruf: Viele Abgeordnete, die auch im öffentlichen Dienst sind/waren. Verflechtung mit Verbänden: auffallend hoher Anteil von Abgeordneten, die auch Funk-tion in Wirtschaftsverbänden haben. Seit 80ern aber rückläufig (wegen Wachstum von FPÖ und Grüne; wegen Auseinanderentwicklung von SPÖ und ÖVP und den Wirtschaftsverbän-den). Religion: stärkste Gruppe – „nicht aktive“ Katholiken“ – unterrepräsentiert. „Aktive Katho-liken“ (ÖVP – „Politischer Katholizismus) und Nicht-Katholiken überrepräsentiert. 66..22.. DDeerr vvoorrppaarrllaammeennttaarriisscchhee BBeerreeiicchh Die meisten Gesetzte werden im vorparlamentarischen Raum entworfen, verschiedene Interessen spielen hinein, Hauptakteur bleibt aber Regierung. Aufgabe des vorparlamen-tarischen Bereichs ist es, die wichtigsten Entscheidungen in der Gesetzgebung vorwegzu-nehmen, bevor noch das Parlament selbst agieren kann. Dabei gibt es folgende Stufen: (1) Politischer Druck durch gesellschaftliches Interesse (2) Parteien, Verbände und informelle Druckgruppen artikulieren Interessen, welche

zusätzlich von den Medien verstärkt werden. (3) Ist der politische Druck groß genug, handelt die Regierung bzw. ein Bundesminister

und gibt den Auftrag an Bürokratie, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten. (4) Beamte arbeiten einen Gesetzesentwurf aus. Minister gibt die politische Richtung vor. (5) Gesetzlich vorgeschriebenes Begutachtungsverfahren: Minister lädt Adressaten ein,

um zu nehmen Gesetzesentwurf Stellung zu nehmen (z.B. Ministerien, Landesregie-rung, Wirtschaftsverbände…). Interessen nehmen noch einmal unmittelbaren Einfluss. Minister macht sich Bild von Akzeptanz des Gesetzes.

(6) Ministerrat beschließt im Konsens den Entwurf als „Regierungsvorlage“ Die Mehrzahl von Gesetzen entsteht auf diesem Weg. Die wichtigste Funktion des vorpar-lamentarischen Raums ist die der Integration, der Bündelung von Interessen: - Integration innerhalb der Regierung: in Koalitionsregierung werden Parteien zu ge-meinsamer Politik gezwungen � Konsens des Ministerrats! � muss durch Kompromiss-findung zwischen Regierungsparteien gefunden werden z.B. durch Junktims (eine Partei gibt in der Angelegenheit X nach, andere Partei bei Y).

- Integration zwischen Regierung und Sozialpartnerschaft: Wirtschaftverbände kön-nen schon sehr früh auf Gesetzgebung Einfluss nehmen. Regierung kann entweder Über-einstimmung mit Sozialpartnern finden oder früh Information über Konfliktthemen erhal-ten.

Der vorparlamentarische Raum fungiert als Frühwarnsystem: Widerstände früh erken-nen, einschätzen/berücksichtigen, bevor noch die im parlamentarischen Raum angelegte Öffentlichkeit die Kompromissfähigkeit aller beteiligten reduziert. � Neigung Ö’s zur „Kon-kordanzdemokratie“ – Berücksichtigung mehrerer - auch gegenläufiger – Interessen Kritische Aspekte:

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Bürokratie als Gesetzgeber: Regierung bei Formulierung von Gesetzen auf Bürokratie angewiesen. (Beamte in den Ministerien). Damit droht die Gesetzgebung ein geschlossener Kreis zu werden: Beamte „machen“ Gesetze, berufen sich dabei auf „fiktiven“ Gesetzgeber, mit dem sie faktisch deckungsgleich sind. Ausschaltung der Öffentlichkeit: Öffentlichkeit wird durch die Dominanz des vorparla-mentarischen Raumes unterlaufen und so relativiert. Gesetzesentwürfe kommen so, als „Regierungsvorlage“, bereits weitgehend ausdiskutiert ins Parlament. Der parlamentarische Prozess hat bloß deklamatorischen bzw. notariellen Charakter: In Öffentlichkeit wird bestä-tigt, was davor – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – schon festgelegt worden ist. � Zurückdrängung seit 2000: Initiativen von Abgeordneten (ÖVP/FPÖ), damit Zurückdrän-gung des vorparlamentarischen Raums. 66..33.. DDeerr ppaarrllaammeennttaarriisscchhee BBeerreeiicchh Der Nationalrat wird als Gesetzgeber aufgrund von Gesetzesinitiativen tätig. Möglichkeiten: - Bundesregierung in Form von Regierungsvorlagen. Dies ist die häufigste Form, Re-gierungsvorlagen kommen aus dem vorparlamentarischen Raum.

- Mindestens 5 Abgeordnete in Form von Initiativanträgen. Zweithäufigste Form. Häufig von Regierung benutzt, um vorparlamentarischen Raum zu umgehen. Initiativan-träge der Opposition scheitern meistens.

- Ausschüsse des NR in Form von Ausschussanträgen. Dies sind meist Regierungsvor-lagen, die im zuständigen Ausschuss wesentlich verändert wurden.

- Bundesrat als solcher bzw. ein Drittel seiner Mitglieder. Keine signifikante Bedeu-tung für Gesetzgebung.

- Qualifizierte Mehrheit (100.000) der Wahlberechtigten in Form eines Volksbe-gehrens. NR kann so dazu gebracht werden, über eine plebiszitär legitimierte Initiative zu beraten, ohne an deren Inhalt gebunden zu sein.

Jede Gesetzesinitiative wird zunächst in dem dafür inhaltlich zuständigen Ausschuss bera-ten, um die öffentliche Plenarsitzung vorzubereiten. Regierungsmehrheit ist auch in Aus-schüssen vertreten, Regierungsinitiativen werden hier also eine Mehrheit finden. In der Plenarsitzung werden nur selten Änderungen vorgenommen, vielmehr versuchen die Par-teien durch die Öffentlichkeit des Plenums ihre Standpunkte zu artikulieren. Die Abgeordneten fahren fast immer eine einheitliche Linie und stimmen einheitlich ab („Klubzwang“). Das hat mehrere Ursachen: - Hierarchie: Abgeordnete sind Vertreter einer Partei im NR. In Zusammenhang mit Inte-resse an Wiederwahl machen sie oft Position der Parteispitze zu ihrer eigenen.

- Arbeitsteilung: Abgeordnete sind meist auf wenige Politikfelder spezialisiert. Sie neigen dazu, Kollegen zu vertrauen und deren Linie zur eigenen zu machen.

- Politische Verantwortlichkeit: Mehrheitsverhältnisse im NR haben unmittelbare Aus-wirkungen auf die Existenz der Regierung. Jeder Freirum (vor allem von Abgeordneten der Reigierungspartei), der die Mehrheitsverhältnisse gefährdet gilt als Bedrohung der E-xistenz der Regierung.

NR zeigt Tendenz, die Fraktionsdisziplin zu durchbrechen � allgemeiner Rückgang von Par-teienstaatlichkeit. Beschlussfassung erfolgt mit Mehrheit: Einfache Bundesgesetze – einfache Mehrheit; Verfassungsgesetze – qualifizierte = 2/3 Mehrheit; Gesetze, für die Gesamtänderung der Verfassung nötig ist – Volksabstimmung (EU-Beitritt!). Nach dem Gesetzesbeschluss, befasst sich der Bundesrat damit (Ausschuss, Plenum). Nach Gesetzesbeschluss des Bundesrates, wird das Gesetz vom Bundespräsidenten, Bundeskanzler und dem entsprechenden Bundesminister unterzeichnet. Präsident hat kein Veto, muss aber Unterzeichnung verweigern, wenn Bundesgesetz nicht verfassungs-konform entsteht (prüft Verfassungsgerichtshof!). Sein Veto gilt dann nicht dem Inhalt, sondern dem Verfahren! Minderheitsrechte bieten der Opposition Kontrollmöglichkeit: - Dringliche Anfrage: min. 5 Abgeordnete können sofortige Sitzung des NR erzwingen. Dringliche Anfragen sind von der Zahl her begrenzt!

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- Schriftliche Anfrage: min. 5 Abgeordnete stellen schriftliche Anfrage an Bundesregie-rung, die die Frage mündlich oder schriftlich beantworten muss.

- Mündliche Anfrage: in „Fragestunde“ kann jeder Abgeordnete an ein Mitglied der Bun-desregierung eine mündliche Interpellation richten.

Dadurch versuchen oppositionelle Abgeordnete Schwächen der Regierung aufzuzeigen. Abgeordnete der Regierungspartei versuchen durch Fragen, die Regierung Vorteilhaft dar-zustellen. � Untersuchungsausschuss durch Mehrheit im NR möglich, seit 1990 aber „totes Recht“. Kontrollinstrumente: Rechnungshof: finanzielle Gebarung des Bundes, der Länder und größeren Gemeinden nach den Gesichtspunkten der Rechtmäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit zu prüfen. Rech-nungshofpräsident vom NR auf 12 Jahre ernannt –Wiederwahl nicht zulässig. Er gibt re-gelmäßig Berichte an NR ab. Volksanwaltschaft: 3 Volksanwälte (von NR bestimmt, meist von den 3 stärksten Partei-en), Wiederwahl 1 mal möglich. Kontrollieren im Interesse von Einzelnen die Verwaltung in allen Fällen, in denen Rechtsmittel nicht möglich sind. VVIIII.. BBuunnddeesspprräässiiddeenntt –– BBuunnddeessrreeggiieerruunngg –– JJuussttiizz Österreichische Verfassung hat trotz parlamentarischem Grundzug präsidentielle Elemen-te: Bestellung und Kompetenzen des Präsidenten stärker als in rein parlamentarischem System � Ö ist Kombination von parlamentarischen und präsidentiellen Elemen-ten. In Verfassungswirklichkeit dominiert aber die parlamentarische Komponente! � Wahl des NR kommt mehr Aufmerksamkeit zu als Wahl des Präsidenten; meisten in Partei streben Posten des Bundeskanzlers und nicht des Präsidenten an! Grund für den Vorrang des Par-laments ist, dass gegen die Mehrheit des Nationalrats wegen des Misstrauensvotums nicht regiert werden kann! 77..11.. DDeerr BBuunnddeesspprräässiiddeenntt - direkt vom Volk auf Dauer von 6 Jahren (Wiederwahl 1 mal möglich) gewählt - Aufgabe: Bestellung des Bundskanzlers und der Mitglieder der Bundesregierung (auch Entlassung möglich!). Spricht Mehrheit des NR Regierung das Misstrauen aus, muss der Präsident diese entlassen.

Die direkte Bestellung hebt ihn hervor; Rolle aber beschränkt, weil er nicht ohne Vor-schläge der Regierung/einzelner Minister tätig werden kann. Aber bei der Bestellung des Kanzlers und der Regierung ist er an niemand gebunden! Er muss aber die Mehrheitsver-hältnisse im NR berücksichtigen!! Bis jetzt übten alle Präsidenten „Rollenverzicht“: Präsident betraut nach jeder NR-Wahl den Kanzlerkandidaten der mandatsstärksten Partei mit der Bildung der Bundesregie-rung. Bringt dieser eine Regierung mit Mehrheit im NR zusammen (was bis 1999 immer der Fall war), erfolgt Ernennung durch Präsident. Deshalb entscheidet die NR-Wahl wer in Ö Regiert und nicht die Wahl des Präsidenten. Rollenverzicht: Bundespräsident nützt nicht alle seine Möglichkeiten voll aus, v.a. ver-sucht er nicht seinen politischen Willen gegen die Mehrheit im NR durchzusetzen. Bsp: Jonas (SPÖ) bestellt Klaus (ÖVP) zum Kanzler (1966). Würde er Rollenverzicht nicht üben, käme es zu Lähmung des politischen Systems: Präsident und NR könnten einander blockieren. NR könnte mit einfacher Mehrheit vom Präsidenten ernannte Regierung stürzen � politisches Vakuum. Präsident könnte zwar auf Antrag der Regierung den NR auflösen und Neuwahlen ausrufen, würden diese aber keine Änderung bringen, würde die Blockade noch verfestigt. Rollenverzicht Bsp. Regierungsbildung 1999. Klestil wollte SPÖ-ÖVP aber nicht ÖVP-FPÖ, deshalb gab er keinem der beiden Regierungsbildungsauftrag. Letztendlich „musste“ er aber diese Regierung angeloben.

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Trend zu „Entpolitisierung“: Kirchschläger, Waldheim und Klestil setzten sich gegen Kandidaten durch deren politische Herkunft sehr deutlich war. Wähler honorieren Distanz der Kandidaten zu der Partei, von der sie aufgestellt wurden. Dies steht aber im Wider-spruch zum politischen Potential des Präsidenten. Dieses Potential ist latent, wenn ein-deutige Mehrheitsverhältnisse herrschen, herrschen diese nicht gibt es mehr Spielraum. Durch den Verlust eindeutiger Mehrheitsverhältnisse könnte zu einer „Repolitisie-rung“ des Präsidenten führen; der Präsident könnte an die Stelle des durch unklare Mehrheitsverhältnisse Handlungsunfähig gewordenen NR treten. Dann könnte der Bun-despräsident zu dem Verfassungsorgan werden, das der Wortlaut der Verfassung nahe legt: Der Präsident – und nicht das Parlament – entscheidet, wer Österreich regiert. Rückgang der Lager � Stärkung des Präsidenten. 77..22.. DDiiee BBuunnddeessrreeggiieerruunngg Bundesregierung = Bundeskanzler, Vizekanzler, Bundesminister, Staatssekretä-re. (1) Bundesregierung als Kollektivorgan = Ministerrat: Kanzler, Vizekanzler und Minister haben Stimmrecht. Sekretäre, die Minister unterstellt sind, nicht. Beschlüsse einstimmig � jeder Minister hat ein Veto. Bundeskanzler hat Vorsitz, er ist „primus inter pares“ – erster Minister kann aber den anderen Ministern keine Weisung unterteilen. Real sind sie trotzdem irgendwie an ihn gebunden, da der Kanzler meist auch Vorsitzender der Partei ist und so darüber befindet, wer Regierungsämter bekommt. Sie haben ihm das Amt zu verdanken und sind deshalb auch loyal. Bei Koalition wird das Mehr an Macht auf Kanzler und Vizekanzler aufgeteilt: Vizekanzler hat selbe Rekrutierungsmacht bei seiner Partei. (2) Ministerrat als Kollegialorgan: 1 mal pro Woche. Aufgabe: Verabschiedung von Regierungsvorlagen im Zuge der Gesetzgebung und anderen Entscheidungen. Da bei Entscheidungen Einstimmigkeit zwischen den Mitgliedern (Kanzler, Vizekanzler, Minister) herrschen muss, muss schon im Vorfeld einer Sitzung ein Konsens gefunden werden. Bei Koalitionsregierung muss vor allem zwischen den Koalitionsparteien ein Konsens ge-funden werden: (a) fraktionelle Ministervorbesprechung: meist 1 Tag vor Ministerrat. Regierungsmit-glieder jeweils einer Partei treffen und legen Parteilinie des Ministerrats fest. Oft in Form eines Junktims: Partei X gibt in einer Angelegenheit nach, Y in der anderen. (b) gemeinsame Ministervorbesprechung (nach fraktioneller, vor Ministerrat): Regierungsparteien treffen zu Vorbesprechung zusammen – meist am Sitzungstag. Man versucht Übereinstimmung festzustellen. Themen, bei denen kein Konsens herrscht, wer-den von der Tagesordnung gestrichen. (c) Ministerratssitzung: Punkte, bei denen schon im Vorhinein Konsens erzielt wurde, werden nur mehr formell besprochen. Da keine Öffentlichkeit herrscht, gibt es auch keine Reden und Gegenreden, um seine Stellung zu vertreten. Nach Ministerrat wird Öffentlich-keit informiert � Pressefoyer (d) Kompromissausschuss: bei Koalition. Vertreter beider Parteien (meistens 6) sollen strittige Fragen innerhalb der Koalition klären. Kanzler und Vizekanzler meist nicht dabei. (e) Zweierausschuss: Letzte Instanz zur Kompromisssuche – Kanzler und Vizekanzler suchen Kompromiss. Bundesminister sind „monokratische“ Organe d.h. nicht die Bundesregierung sondern die Minister selbst handeln in individueller Verantwortung. � „Resortprinzip“: Jeder Minister hat für sein Ministerium alleinige Verantwortung � politische und rechtliche Verantwortung, Misstrauensvotum möglich!! Personalhoheit: Personalpolitik liegt ausschließlich in Verantwortung des jeweiligen Mi-nisters. Ministerien, die lange von selber Partei geleitet werden, bieten Karrieremöglich-keiten für Mitglieder der Partei. In Ö „Berufsbeamtentum“, ABER auch Elemente eines politischen Beamtentums!:

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- Parteien haben in „ihren“ Ministerien bei Personalvertretungswahlen meist sichere Mehrheit z.B. ÖVP in Landwirtschaftsministerium - Mitglieder der Bundesregierung umgeben sich mit persönlichem Mitarbeiterstab („Kabi-nette“, „Ministerbüros“). � von Regeln des Berufsbeamtentums ausgenommen! Hier werden meist Personen der eigenen Partei rekrutiert (da hier die Beamten auswechselbar sind), um persönliches und parteipolitisches zu sichern. 77..33.. DDiiee JJuussttiizz Die Judikative ist in Ö von den anderen beiden Gewalten (Exekutive und Legislative), die miteinander verflochten sind, getrennt und unabhängig. Sie ist zwar nicht „politik-frei“ (ist z.B. and die politische Interessen artikulierenden Gesetze gebunden), doch ihre Unabhängigkeit gibt Richtern ein großes Maß an Autonomie gegenüber Parlament und Regierung. � Weisungsungebundenheit und Unversetzbarkeit von Richtern! Rich-ter sind auch nicht an eine höhere Instanz gebundne und können nicht gegen ihren Wil-len vor einer Altersgrenze abgesetzt werden. (1) ordentliche Gerichtsbarkeit (Privat- und Strafrecht): 4 Ebenen: - Bezirksgerichte: meist erste Instanz - Landesgerichte: als Gerichtshöfe organisiert. In kleineren Bundesländern 1, in grö-ßeren mehrere. - Oberlandesgerichte: in Wien, Graz, Linz, Innsbruck - Oberster Gerichtshof: Höchstgericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

� Selbstrekrutierung der Richter: Vorschlag des Justizminisers, Ernennung durch Präsi-dent – ABER Justizminister an Auswahlverfahren gebunden, dem Personalsenat dem nur Richter angehören! � Selbstrekrutierung heißt, dass Richter entscheiden, wer Richter wird. Vorteil: Stärkung der Unabhängigkeit; Nachteil: innere Abhängigkeit (2) außerordentliche Gerichtsbarkeit (Verfassungs- und Verwaltungsrecht): - Verwaltungsgerichtshof (VwGH): Höchstgericht, letzte Instanz im Verwaltungsver-fahren. Untere Ebenen sind Behörden und Verwaltungssenate (also keine Gerichte!). VwGH ist in Senate gegliedert, d.h. in voneinander autonom agierende Gruppen von Richtern. Selbstrekrutierung bei Mitgliedern, ABER Präsident und Vizepräsident werden vom Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt! Meisten Miglieder sind Berufsrichter, eine Minderheit ist nebenberuflich tätig (z.B. Professor oder Anwalt). - Verfassungsgerichtshof: Höchstgericht, entscheidet über Streitfälle, die Verfassung betreffe v.a. über Verfassungskonformität von Gesetzen. Da VfGH unabhängig ist, be-müht sich die Politik, zu entscheiden, wer Mitglied des VfGH wird! � informelle Vereinba-rung zw. ÖVP und SPÖ, dass Mitglieder auf Grund eines Vorschlags von einer der beiden Parteien bestellt wird. (dies sind keine Parteimitglieder, aber durch Vertrauen von SPÖ oder ÖVP zu Amt gekommen!). Das ist möglich weil Bundespräsident Richter auf Vor-schlag der Regierung, des NR oder des Bundesrates ernennt. Formel: (a) Präsident, Vizepräsident, 6 Mitglieder + 3 Ersatzmitglieder von Bundesregierung bestellt. (b) 3 Mitglieder, 2 Ersatzmitglieder von NR vorgeschlagen (c) 3 Mitglieder + 1 Ersatzmitglied von Bundesrat vorgeschlagen Diese informelle Vereinbarung von SPÖ und ÖVP hielt bis 1999, bis zum Ende der „Gro-ßen Koalition“. VfGH hat zurückhaltende Rolle bei Verfassungsauslegung (im Gegensatz z.B. zum Supreme Court in den USA). Die Zurückhaltung des VfGH und die Zugangskontrolle durch SPÖ und ÖVP müssen aber nicht von Dauer sein � wahrscheinlich, dass Zugangskontrolle aufbricht und wenn 3. Partei in Regierung wäre, müsste diese auch berücksichtigt werden! � der VfGH könnte zu einem sehr aktiven Gerichtshof werden!

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VVIIIIII.. PPaarrtteeiieenn uunndd PPaarrtteeiieennssyysstteemm Parteien haben in Ö immer schon eine wichtige Rolle gespielt: sie haben 1918 und 1945 als Staatsgründer fungiert. Parteien wurden schon im 19. Jhd. gegründet. Sie spielen eine maßgebliche Rolle bei der Regierungsbildung, wir wählen Parteien, welche dann Pos-ten besetzen. Parteien haben auch gesellschaftspolitischen Einfluss etwa in Bereichen wie Wirtschaft, Bildung…, wo Partei Mitglieder führende Positionen inne haben („gate keeper“ Funktion). Den österreichischen Parteienstaat kennzeichnet also, dass politische Parteien nicht nur die typischen Aufgaben politischer Parteien wie Interessartikulation und –vertretung im staatli-chen Bereich wahrnehmen, sondern dass sie auch eine proportionale Aufteilung und Struk-turierung der Gesellschaft übernommen haben. Merkmale: - hoher Organisationsgrad: Viele Wähler sind auch Parteimitglieder (ÖVP, SPÖ). - ausgeprägtes Konsens- und Kooperationsverhalten der Parteien in Regierung und Parlament Mitte der 80er zwei deutliche Änderungen:

- neue Partei: Grüne (wieder 4 Parteien) - Dekonzentration – Aufstieg der FPÖ, Rückgang bei ÖVP + SPÖ

Seitdem sind die Merkmale am Schwinden bzw. am Zerfallen. Hauptfunktionen der Parteien: - Integration: Interessen bündeln - Rekrutierung: Parteien zuständig für Auswahl des Personals (Teilweise Vorwahlen in Partei zur Listenerstellung) - Legitimation: legitimiert Macht, Regierungsbildung… Je stärker der Elitenkonsens, desto schwächer sind diese Funktionen; je stärker die Oppo-sition, desto schwächer der Elitenkonsens. Bei Catch-all-parties sind Parteiprogramme oft nicht sehr konkret; man darf nicht zu ideologisch sein, um mehr Leute zu erreichen. 88..11.. KKoonnfflliikkttlliinniieenn –– cclleeaavvaaggeess Themenbereiche, die in Gesellschaft brisant sind und sich in Parteien wieder finden: - Klasse: SPÖ – Arbeiter, ÖVP – Bauer, Gewerbetreibende - Religion: ÖVP – Katholizismus - Nation: FPÖ – nationalistisch - Stadt � Land: „rotes Wien“ - Ökonomie � Ökologie: Grüne! - Inklusion � Exklusion: offen/nicht offen gegenüber neuen Gruppen (Ausländer…) Die SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs): Historisch gesehen gelten für SPÖ Klasse und Klassenzugehörigkeit und die zu erkämp-fenden politischen und sozialen Rechte als konstitutive Größen. Bis zum Erosionsprozess in 90ern galt die SPÖ als Arbeiterpartei (im Gegensatz die ÖVP für Bauern und Gewerbe-treibende). 1874 Konstituierung der Sozialdemokratischen Partei; Einigung verschiedener Gruppen auf Hainfelder Parteitag 1888/89. 1933 Partei von Dollfußregime verboten. 14. April 1945 Wiedergründung der Sozialistischen Partei Österreichs; 1991 geringfügige Umbenennung in Sozialdemokratische Partei Österreichs. Die ÖVP (Österreichische Volkspartei): Faktor Religion, Bindung an katholische Kirche und Interesse des ländlichen Raumes wa-ren Partei stiftend. Rückgang der ÖVP-Wählerschaft ist strukturell bedingt, hängt mit ge-sellschaftlichem und sozioökonomischen Veränderungen zusammen (Säkularisierung, Urbanisierung…). 17. April 1945 ÖVP von Vertretern der Bünde (Bauern-, Wirtschafts- und Arbeitnehmerbund) als Nachfolgerin der Christlichsozialen Partei gegründet. Na-

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mensänderung, um eine Zäsur mit dem Politischen Katholizismus der 1. Republik zu sig-nalisieren. Die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs): Die Deutschnationale Partei war die „3. Partei“ im 19. Jhd. � antiklerikale, antisozialisti-sche und deutschnationale Orientierung. 1949 wurde VdU Sammelbecken für ehemalige Nationalsozialisten und Anhänger der deutschen Frage. 1955 FPÖ als Nachfolger der VdU gegründet. In der Führungsmannschaft der FPÖ ist deutschnationales Element immer noch präsent (männliche Regierungsmitglieder, die in Burschenschaften waren). Seit den 90er-Jahren setzt die FPÖ auch vermehrt auf Inklusion versus Exklusion, konkret auf die Öster-reicher gegen die „Ausländer“ (Volksbegehren „Österreich zuerst“, 1993). Die KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs): 1918 von linksoppositionalen Gruppen gegründet, die sich von SPÖ abspalteten.1933 Ver-boten und zwischen 1938 und 1945 Hauptträger des politischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Erfolgreichste Zeit zwischen 1945 und 1959 � immer ca. 5% Grünalternative Parteien Die verschiedenen grünen und grünalternativen Initiativen einigten sich 1986 auf eine ge-meinsame Kandidatur und erreichten mit 4,8% erstmals den Einzug in den NR. Die Grün-dung ökologisch ausgerichteter Parteien wird u.a. mit einem sozialen und ökonomisch in-spirierten Wandel erklärt. LIF (Liberales Forum): 1993 Austritt von 5 FPÖ Mitgliedern � zuerst liberaler Klub, dann gründete Heide Schmidt das „Liberale Forum“ als Partei. 1993 bis 1999 in NR vertreten. Orientiert sich programma-tisch an liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftshaltungen, an der Freiheit des Individuums und an politischen Bürgerrechten. Modernisierungsthese: SPÖ begann in 70ern mit Modernisierungsprojekten. Ökologische Kritik � Grüne. Modernisierungsverlierer � FPÖ. 88..22.. DDaass PPaarrtteeiieennssyysstteemm iinn BBeewweegguunngg Typologische Unterscheidung: - Strukturell: Mitgliederpartei �Wählerpartei - Funktional: Massenpartei � kleine Gruppe - Programmatisch/ideologisch: Catch-all-parties � Weltanschauungsparteien Von der Weltanschauungs- zur Volkspartei: ÖVP und SPÖ gelang es lange die Wähler durch ideologische Überhöhung und die Gestal-tung subkultureller Milieus und durch Protektionsleistungen politisch zu binden � verläss-liches Wahlverhalten. Änderungen der Sozial- und Klassenstruktur erforderten aber eine Neupositionierung der Parteien: Sie wurden zu Volksparteien / Catch-all-parties. Sie wol-len vielfältige Gruppen ansprechen und so tritt der ideologisch-programmatische An-spruch zugunsten der Mitte zurück (Stimmenmaximierung). Von der Milieu- zur Wettbewerbspartei Die ehemaligen Weltanschauungsparteien waren gleichzeitig auch Milieu- bzw. Subkul-turparteien. Die Bedeutung dieser Subkulturen geht ständig zurück, da die Sozialisation immer weniger über Familien, sondern immer mehr über Massenmedien läuft. Die Partei-en sind nicht mehr fähig, die Patronageerwartungen der Menschen zu erfüllen. Mitgliederpartei- und Wählerpartei: ÖVP und SPÖ sind typische Mitgliederparteien – ein hoher Prozentsatz ihrer Wähler sind auch Parteimitglieder. Trotz des starken Rückganges in den 90ern weisen diese Parteien immer noch hohe Konzentrationsgrade auf (>30% der Wähler). Dies wirkt sich auch un-mittelbar auf die Intensivität des Wahlkampfes und auf die Parteienfinanzierung aus.

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Auftreten von Populistische Parteien: „kleine Leute“ vertreten: imaginäres Bündnis zwischen Parteispitze und dem „Volk“. Hochemotionalisierte Mobilisierungsstrategien, Führerschaft und protestgeladene Rheto-rik kennzeichnen dieses Parteitypus. In Ö v.a. die FPÖ. Der Elitekonsens zwischen Parteien bricht wegen der gestärkten Oppositionsparteien auf. Die Bedeutung von Wahlen wir erhöht, weil die Regierung nicht von vornherein feststeht, sondern von der Wahl abhängig ist. In Österreich gab es lange ein 2 ½ Parteiensystem: 2 große (ÖVP+SPÖ) und eine kleine Partei (FPÖ). Obwohl immer eine der beiden Parteien mit FPÖ regieren hätte können, entschied man sich meist für eine große Koalition. Seit den 80ern gibt es in Ö ein Mehr-parteiensystem durch den Einzug der Grünen in den NR und die Stimmgewinne der FPÖ. Auch die Pateikonzentration von SPÖ und ÖVP nimmt ab. Sie hatten lange zusammen 80% - 90% und mehr, 1999 waren es nur mehr 60,1 %. Diese Dekonzentration lässt zumindest theoretisch eine Belebung der parlamentarischen Praxis erwarten. 88..33.. PPaarrtteeiieenn iimm RReecchhtt Politische Parteien kamen in der Verfassung als Träger und Einrichtungen von Demokratie und Republik lange Zeit nicht vor. Erst das Parteiengesetz 1975 liefert die verfassungs-rechtliche Untermauerung der parteienstaatlichen Demokratie und regelt Aufgaben, Finan-zierung und Wahlwerbung. Die Gründung politischer Parteien ist frei, sie haben Satzungen zu beschließen, zu veröffentlichen und im Innenministerium zu hinterlegen. Für eine Kan-didatur zum NR sind Unterstützungserklärungen nötig. Die Freiheit der Gründung von Par-teien kennt bei der offenen nationalsozialistischen Wiederbetätigung ihre Grenzen. Wahl-parteien können sich im Parlament zu Klubs zusammenschließen. Die innerparteiliche Demokratie liegt im Gestaltungsspielraum der Parteien, in den Partei-statuten werden innerparteiliche Strukturen geregelt. Ein Persönlichkeitswahlrecht drängt Parteiapparate und deren Einfluss auf die Kandidaten-nominierung zurück. Ein Listenwahlrecht schreibt der jeweiligen Partei die Rekrutierungs-aufgabe zu. Die Kandidatennominierung erfolgt über Parteigremien (SPÖ), nach Gesichts-punkten der Bundesländer und Bünde (ÖVP) oder über den Parteiobmann (FPÖ). Auch eine bestimmte Frauenquote ist oft in den Parteistatuten geregelt. 88..44.. PPoolliittiikkeerrggeehhäälltteerr uunndd PPaarrtteeiieennffiinnaannzziieerruunngg Weber unterscheidet zwischen Politik als Beruf und Politik als Berufung. Bei der österrei-chischen Politik trifft eindeutig ersteres zu. Politikergehälter sind im Bundesbezügegesetz geregelt (1997): Ausgangsbasis NR-Abgeordneter 100% (~ 7000 €); Bsp. Bundespräsi-dent 280%. Das PartG 1975 regelt die Förderung des Bundes für Parteiorganisationen, politische Bil-dungsarbeit und parlamentarische Klubs. (1) Eigenfinanzierung:

- Mitgliedsbeiträge bei Mitgliedsparteien SPÖ und ÖVP - 10% der Gehälter von Politikern � Parteisteuer - Parteibetriebe (Druckereien…) � nicht mehr so wichtig

(2) Fremdfinanzierung: öffentliche Zuwendungen, Spenden und sonstige Einnahmen - Spenden (ab 7500 € auszuweisen!) - Zuwendungen für Öffentlichkeitsarbeit (PartG): Voraussetzung ist die Vertre-tung im NR in Klubstärke (mind. 5 Abgeordnete). - Wahlwerbekostenbeitrag für Nationalratswahlen und Wahlen zum EU-Parlament: 1990 eingeführt (in jedem Jahr ein bestimmter Betrag pro wahlberechtigter Person). - Klubfinanzierung = Zuwendung für parlamentarische Klubs. Je 10 Abgeordnete gibt es Zuwendung.

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- Bildungsfinanzierung: Zuwendung für Parteiakademien. Renner Institut (SPÖ), Politische Akademie (ÖVP), Freiheitliches Bildungswerk (FPÖ), Grüne Bildungswerk-statt (Grüne) � intern für Ausbildung von Funktionären, aber auch für Öffentlichkeit. - Politikergehälter - Kostenlose Sendungen im ORF (Belangsendungen)

88..55.. PPaarrtteeiieennssttaaaatt uunndd PPrrootteesstt Der Begriff Parteienstaat benennt die Verflechtung von Parteien mit Gesellschaft, Wirt-schaft und Staat. Die beiden Großparteien beschränkten sich nicht auf die übliche Rolle politischer Parteien in liberal-repräsentativen Systemen (Interessensvertretung, Rekrutie-rung politischer Eliten), sie regulierten auch den Zugang zu gesellschaftlichen und wirt-schaftlichen Positionen. Auch die Besetzung in der Bürokratie wird junktimiert: Zwar kennt man in Österreich nicht den politischen Beamten (wie in den USA), trotzdem spie-len parteipolitische Interessen bei der Pragmatisierung von Beamten eine Rolle. Dieser Proporz kommt auch in der verstaatlichten Wirtschaft, beim Schulwesen und im Verfas-sungsgerichtshof vor. Dieser Konsens wurde nicht einmal in der 13-jährigen Alleinregie-rung der SPÖ gebrochen. Die rechtspopulistische FPÖ attackierte dieses institutionelle Gefüge, insbesondere die politischen Parteien. Ein Signal des Rückzugs der Parteien ist die Häufung von Querein-steigern. Trotzdem nützte die FPÖ die Regierungsbeteiligung 2000 zur Einfärbung vieler Ämter und Positionen. IIXX.. WWaahhlleenn uunndd WWäähhlleerrvveerrhhaalltteenn Wahlen sind für liberal-demokratische Verfassungsstaaten konstitutiv. Durch sie werden Politiker legitimiert, auf Zeit stellvertretend Entscheidungen zu treffen. Wahlen gelten als demokratisch, wenn sie folgende Standards erfüllen: (a) allgemein: von bestimmter Gruppe ist niemand ausgeschlossen (verschiedene Krite-rien z.B. Wahlalter).

(b) gleich: Stimmen aller Wähler zählen gleich viel (ABER: in Ö ist es zwar gleich, was aber für Mandat zählt ist die Bürgerzahl, die von der Anzahl der jeweiligen Bevölkerung einer Region abhängig ist).

(c) frei: jeder darf sich entscheiden wen er wählt, ohne Beeinflussung (d) geheim: Vorraussetzung, um freie Entscheidung zu gewährleisten (e) unmittelbar und persönlich: man muss die Stimme selbst abgeben (f) Abstimmung nur über demokratische Inhalte! (g) Freie Auswahlmöglichkeit über mehrere Parteien/Kandidaten nicht wahlberechtigt: - Personen mit Haftstrafe über 1 Jahr - Nicht-Staatsbürger (Ausnahme: EU-Wahl für EU-Bürger) – Wahlrecht an Staatsbürger-schaft gekoppelt. Neue Überlegung: citizen (Staatsbürger) � denizen (Wohnbürger) � Wohnbürger wählen lassen. Versuche: Wahlrecht für Ausländer auf Kommunalebene.

99..11.. VVeerrhhäällttnniisswwaahhll –– MMeehhrrhheeiittsswwaahhll Wahlsysteme haben Auswirkungen auf das individuelle Wahlverhalten und auf die Macht-verteilung. Von Wahlrechtsreformen profitieren deshalb in der Regel jene Parteien, die an der Ausgestaltung der Reformen beteiligt waren. (a) Verhältniswahl: In Österreich für Zusammensetzung parlamentarischer Einrichtun-gen (Nationalrat, Landtag, Gemeindevertretung). Verfassungsrechtlich geregelt, für Än-derung 2/3 Mehrheit erforderlich. Mandate werden prozentuell auf Stimmen umgerechnet (z.B. Partei X bekommt 30% der Stimmen, also auch 30% der Mandate). Damit wird dem Pluralismus und unterschiedli-chen Strömungen Rechnung getragen.y Kleine Parteien haben hier Chance auf Mandate. Allein die Grundmandatshürden bzw. Mindestprozenthürden verzerren die exakte Wider-

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spiegelung der Stimmenverhältnisse. Diese Regelungen sollen eine Zersplitterung der Parteienlandschaft verhindern. Je stärker das Verhältniswahlrecht dem Prinzip der Reprä-sentativität folgt, d.h. je weniger mehrheitsfördernde Effekte für Regierungsmehrheiten eingebaut sind (in Ö seit 1971), desto weniger sind absolute Mehrheiten zu erwarten! (b) Mehrheitswahl: in angloamerikanischen Demokratien, in Ö für Wahl des Bundesprä-sidenten und Bürgermeisterwahl. Einteilung des Staates in verschieden Wahlkreise: relative Mehrheitswahl: wer relative Mehrheit hat, gewinnt den gesamten Wahlkreis absolute Mehrheitswahl: wer >50% hat, gewinnt den gesamten Wahlkreis. Ist dies nicht der Fall gibt es einen 2. Wahlgang = Stichwahl � relativ stabile Mehrheit; Priorität: Regierungsbildung wird leichter: Partei mit weniger als 50% der Stimmen kann trotzdem mehr als 50% der Mandate erreichen. Damit ergibt sich eine größere Chance für einen Regierungswechsel sowie größere demokratische Kon-trolle und Transparenz. In engem Zusammenhang mit dem Verhältniswahlrecht steht ein weiteres Wahlprinzip � Listenwahlrecht (versus Persönlichkeitswahlrecht). Politische Parteien erstellen die Kandi-datenlisten und bestreiten die Wahlkämpfe. Die Wahlrechtsreform 1992 schwächte die Dominanz der politischen Parteien ab und baute Persönlichkeitselemente ein � Einzug ins Parlament durch Vorzugsstimmen! 99..22.. WWaahhllrreecchhttsseennttwwiicckklluunngg Lange gab es politische Exklusion, Nichtteilhabe und Nichtvertretung: 1873-1896:Minderheit der männlichen Bevölkerung ist wahlberechtigt (Einkommen, Besitz, etc.). 1896-1907: Kurienwahlrecht; alle Männer können wählen, aber Stimmgewichtung. Da-nach wurde das allgemein und gleiche Wahlrecht für alle Männer eingeführt, das aller-dings durch ungleiche Wahlkreise (Nationalitäten) verzerrt wurde. 1918: allgemeines Wahlrecht für Männer und Frauen 2. Republik: 25 Wahlkreise – 165 Mandate (Hürde: Grundmandat in 1 der Wahlkreise) ab 1971: Wahlrechtsreform (Reform der Nationalratswahl): Vorteile für kleinere Parteien � 9 Wahlkreise – 183 Mandate (diese Reform war eine Gegenleistung für die FPÖ, als die SPÖ diese nach der NR-Wahl 1970 zur Minderheitsregierung brauchte). Stärkung des Verhältniswahlprinzips. ab 1992: Nationalratswahlordnung 1992: alle Frauen und Männer, die die österreichi-sche Staatsbürgerschaft besitzen und vor dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das 18. Lebensjahr vollendet haben und vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen sind, sind wahlbe-rechtigt (ausgeschlossen ab Freiheitsstrafe von 1 Jahr). Die Exklusion über das Wahlrecht nimmt zu (Staatsbürgerschaft als Voraussetzung). Kontakt zw. Wähler und Gewähltem � Persönlichkeitswahlrecht. Bürgernähe, Schwächung des Listenwahlrechts. Änderungen: (a) Mandatszuteilung auf 3 Ebenen: 1. Ebene � 43 Regionalwahlkreise 2. Ebene � 9 Landeswahlkreise 3. Ebene � Bundesebene Mandatszuteilung durch Bürgerzahl (z.B. Osttirol 1 Mandat, Innsbruck Land 5 Mandate). Die Wahlzahl (=Anzahl der für ein Mandat erforderlichen Stimmen) wird ermittelt, indem die Anzahl der gültigen Stimmen durch die einem Wahlkreis zugeteilten Mandate geteilt wird. (b) 1. Ermittlungsverfahren: Mandate werden in den Regionalkreisen vergeben. So oft die Wahlzahl in der Stimmenzahl enthalten ist, so viele Mandate bekommt eine Partei in diesem Ermittlungsverfahren 2. Ermittlungsverfahren: Mandate werden in den Landeswahlkreisen vergeben. Voraus-setzung an dieser Teilnahme ist entweder Regionalkreismandat oder bundesweit 4%-Hürde. Mandate wieder aus Wahlzahl und der Stimmenzahl im Regionalwahlkreis. 3. Ermittlungsverfahren: Mandate werden auf Bundesebene vergeben.

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(c) Verhältnis Wähler � Gewählte wird durch Vorzugsstimmen direkter gestaltet. Wäh-ler haben Möglichkeit, die Reihenfolge der Zuweisung der Mandate zu verändern. Fak-tisch bekommen meistens die Listenersten Vorzugsstimmen. Seit Wahlrechtsreform 1992 kann man nur mehr in EINEM Wahlkreis als Vorzugskandidat kandidieren. Ein Vorzugsmandat bekommt man, wenn man in einem Regionalkreis entweder die Hälfte der Wahlzahl oder 1/6 der Stimmen der Partei bekommt. 99..33.. DDiirreekkttwwaahhlleenn,, VVoorrwwaahhlleenn,, EEUU--WWaahhlleenn Der Nationalrat (Landtag, Gemeinderat), der Bundespräsident und die Bürgermeister (teilweise) werden direkt gewählt. Bundes- und Landesregierungen werden hingegen indirekt gewählt. Das Prinzip der Direktwahl von Exekutivorganen (z.B. Bürgermeister) bedeutet eine Annäherung an ein präsidentielles System, da der Bürgermeister damit nicht mehr dem Gemeinderat, sondern den Bürgern verantwortlich ist. Das Europäische Parlament ist die einzige Gemeinschaftsinstitution, die direkt gewählt wird (im Gegensatz zu Rat und Kommission). Die Wahlen finden nach nationalstaatlichen Wahlordnungen statt, die Unterschiede sind beträchtlich (Mehrheits-, Verhältniswahlrecht etc.). Außerdem kandidieren auch hier die nationalen Parteien, daher rücken innenpoliti-sche Themen auch bei Europawahlen in den Vordergrund. Die niedrige Wahlbeteiligung ist eine Folge davon. Den Parteien kommt mit dem Listenwahlrecht die Erstellung von Kandidatenlisten für allgemeine Wahlen von Vertretungskörpern zu. Um diese Listenerstellung zu demokrati-sieren, führen die Parteien Vorwahlen durch (freiwillig). Anstelle der Parteiorganisation sind es entweder die Mitglieder/Funktionäre (geschlossene Vorwahl) oder die interessier-ten Wähler (offene Vorwahl), die Einfluss nehmen. Diese Vorwahlen sind nicht nur ein Signal für mehr innerparteiliche Demokratie, sondern sie sollen auch mehr Motivation für die Kandidaten mit sich bringen. Ein gegenläufiger Trend dazu sind die „Quereinsteiger“ auf den vorderen Listenplätzen, die der Partei das Image von Bürgernähe geben sollen. 99..44.. WWaahhllppfflliicchhtt uunndd WWaahhllbbeetteeiilliigguunngg Wählen galt in der 2. Republik als staatsbürgerliche Pflicht (hohe Wahlbeteiligung), dem wurde auch gesetzlich nachgeholfen. Bis vor kurzem bestand Wahlpflicht für Landtags- und Gemeinderatswahlen in Tirol und Vorarlberg. Die Einführung der Wahlpflicht steht im Zusammenhang mit dem Frauenwahlrecht (1918), weil die Christlichsozialen befürchte-ten, dass nur die sozialistischen Frauen zur Wahl gehen würden. Die Wahlbeteiligung in Österreich war bis 1986 ausgesprochen hoch, geht seither aber kontinuierlich zurück (� Delegitimation politischer Einrichtungen). Die Wahlforschung gibt konträre Erklärungen für die sinkende Wahlbeteiligung: Einerseits sei eine niedrige Wahlbeteiligung im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Individualisierung zu sehen, Parteibindungen lösen sich auf. Andererseits sei es ein Ausdruck von Politikverd-rossenheit und von Protesthaltung. Der Grad der Wahlbeteiligung sage aber nicht unbe-dingt etwas über die Qualität der Demokratie bzw. Legitimation aus. Die Beteiligungsintensität bei direkt-demokratischen Partizipationsformen (Volksbegehren etc.) ist bedeutend niedriger als z.B. bei Wahlen. Obwohl viele von Politikverdrossenheit sprechen, nimmt das Interesse an Politik seit den 70er-Jahren zu, unkonventionelle Be-teiligungsformen werden wichtiger (Bürgerinitiativen, neue soziale Bewegungen). Wählen ist nicht mehr die einzige Partizipationsform. Allerdings ist das steigende Politikengage-ment außerhalb der Parteien von Bildung, Beruf und Einkommen abhängig, ist also stär-ker schicht- und klassenspezifisch strukturiert. 99..55.. MMoobbiilliittäätt ddeerr WWäähhlleerr Bis in die 80er-Jahre fühlte sich ein Großteil der Bevölkerung einer Lagerpartei zugehörig, die politischen Parteien hatten daher einen hohen Anteil von Stammwählern. Seither nimmt die Parteibindung zugunsten der Wechselwähler ab. Der Dealignment-Ansatz beschreibt und analysiert die Erosionsprozesse der Parteibindungen und die Auflösung der Subkulturen. Das Zweieinhalb-Parteiensystem wird zu einem Mehrparteiensystem.

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Der Realignment-Ansatz skizziert eine längerfristige Neuorientierung der Wählerschaft. Von dieser wachsenden Mobilität profitieren vor allem FPÖ und Grüne. Traditionelle De-terminanten wie die Kirchgangshäufigkeit (Säkularisierung) oder gewerkschaftliche Bin-dung (Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft) verlieren ihre stabilisierende Wirkung. Mo-dernisierung, sozio-ökonomischer und sozio-kultureller Wandel, neue Themen und Kon-flikte (Ökologie/Ökonomie etc.), Europäisierung und Globalisierung sowie rechtspopulisti-scher Protest gegen die Akteure des politischen Establishments verändern das Wahlver-halten. Parteien werben vermehrt um Wechselwähler. Auffallend sind ein altersspezifi-sches Wahlverhalten („gender gap“) und die geschlechtsspezifischen Unterschiede. Ab 1986 wurde die FPÖ zu einer „Männerpartei“, während Grüne und LIF als „Frauenpartei-en“ galten. 99..66.. NNaattiioonnaallrraattsswwaahhll 11999999 Mit der NR-Wahl 1999 setzten sich die Trends im Parteiensystem und bei der Wahlbeteili-gung fort. Das Ergebnis brachte die niedrigste Wahlbeteiligung und führte zu einem Re-gierungswechsel. Das Parteiensystem setzte sich nun aus drei Mittelparteien und einer kleineren Partei zusammen (SPÖ und ÖVP verloren dramatisch). Die soziokulturelle Basis der ehemaligen Milieuparteien brach weiter auf, die Arbeiter votierten stärker für die FPÖ als für die SPÖ. Die FPÖ führte den Wahlkampf mit Protestthemen (Koalition, Privilegien, Misstände) und mit Ausländerfeindlichkeit. Haider stand dabei im Mittelpunkt und war ein weiteres Motiv für die Wählerschaft der FPÖ. Dem FPÖ-Wahlerfolg kommt im europäischen Vergleich eine Sonderrolle zu. Keine der anderen „extreme-right-wing-parties“ hat bisher eine ähnlich hohe Zustimmung bei Wah-len erhalten. Erklärungen für die Erfolge liegen in der These der Modernisierungsverlierer, der ideologischen Bekenntniswahl sowie in der These der Protestwahl. Die Modernisie-rungsthese dürfte in diesem Fall wenig Erklärungskraft haben (höhere Gebildete und An-gestellte als Wähler), einiges spricht für eine „Denkzettelwahl“ für die Regierung. Galt die FPÖ zuvor als „nicht regierungsfähig“, wurde sie jetzt von der ÖVP in die Regie-rung geholt, was innen- und außenpolitisch große Wellen schlug. Trotz Oppositionsfestle-gung der ÖVP (bei Platz 3) begann die ÖVP von sich aus mit „Zukunftsgesprächen“ mit der FPÖ, obwohl die SPÖ den Auftrag zu „Sondierungsgesprächen“ bekommen hatte. Die Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ scheiterten, die ÖVP legte dem Präsident eine Ministerliste vor, von der zwei abgelehnt wurden (Kabas, Prinzhorn). Eine Präambel zum Regierungsprogramm und Bekenntnis zu Europa wurde unterschrieben. Die Angelobung wird von Demonstrationen begleitet, die EU-14 setzen bilaterale Maßnahmen, die nach einem Weisenbericht wieder zurückgenommen werden. Der Regierungswechsel bricht mit der politischen Kultur der Konkordanzdemokratie, die auf dem Elitenkonsens der beiden Lager basierte. Die Sozialpartnerschaft, insbesondere der Arbeitnehmerflügel, verliert an politischem Einfluss.

XX.. VVeerrbbäännddee uunndd SSoozziiaallppaarrttnneerrsscchhaafftt Die Zweite Republik ist ein Verbändestaat: - Integration der Wirtschaftsverbände in den politischen Prozess (Parteien, Regierung). - Sozialpartnerschaft: Wirtschaftsverbände haben dadurch zus. Entscheidungszentrum. - Mehrheit der Österreicher in Wirtschaftsverbänden organisiert. Verbände sind nicht an Wahlen beteiligt und haben deshalb auch keine direkte Rekrutie-rungsfunktion, indirekt aber schon durch die Verflechtung mit den Parteien. 1100..11.. DDiiee KKaammmmeerrnn Kammern sind öffentlich rechtliche Körperschaften, denen Personen aufgrund der Grundlage ihrer Berufstätigkeit angehören. Arbeiter sind automatisch Mitglied der Arbeiterkammer. Mitgliedschaft ist Konsequenz einer beruflichen Tätigkeit, Austritt ist nicht möglich, nur Wechsel bei Berufswechsel. Als Selbstständiger ist man Mitglied der

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Wirtschaftskammer. Öffentlich Bedienstete sind erst seit 1.1.2004 Mitglieder der Arbei-terkammer. Kammern sind ausdrücklich von der Verfassung eingerichtet. Sie sind „halbstaatlich“: Sie übernehmen teilweise staatliche Funktionen, haben aber ein hohes Maß an Autono-mie und haben innere Demokratie. Die Frage der Berechtigung von Ausländern an diesen Wahlen ist sehr aktuell (hoher Anteil bei Unselbstständigen). Derzeit sind Ausländer bei Kammerwahlen aktiv, aber nicht passiv wahlberechtigt. Es gibt in Österreich 3 große Kammerorganisationen: (1) Kammer für Arbeiter und Angestellte: alle unselbstständigen Erwerbstätigen. (2) Wirtschaftskammern: alle selbstständig Erwerbstätigen (Handel, Industrie etc.). (3) Landwirtschaftskammern: Landwirtschaftlich selbstständig Tätige. Die Kammern sind föderalistisch organisiert und agieren auf Bundesebene in Form von Dachverbänden: Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, Wirtschafts-kammer Österreich und die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer. Den Kammern ist die Zahl ihrer Mitglieder durch die gesellschaftliche Entwicklung vorge-geben. Deshalb nimmt z.B. die Mitgliederzahl der Landwirtschaftskammern stetig ab. Aufgaben: - Begutachtung von Gesetzesvorschlägen - Gesetzesvorschläge formulieren - in Kommissionen mitwirken - Konsumentenschutz - Laienrichter; Kartellgericht

- stellen Experten zur Verfügung - Mitglieder in internationalen Dachver-bänden - entsenden Mitglieder an Verbände der EU

(1) Arbeiterkammer / Kammer für Arbeiter und Angestellte: gegründet 1921 im Zuge der großen Koalition als Gegengewicht zu den Handelkammern (seit 1848). Politi-sche Vertretung zu verschiedenen Terminen alle 5 Jahre in Bundesländern gewählt. Auf-sicht hat dabei das Wirtschaftsministerium (� öffentliche Kontrolle). Fraktionen: - FSG (Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter): stärkste Fraktion, auch in Bundesländern außer in Tirol und Vorarlberg � Teilorganisation der SPÖ. - ÖAAB (Österreichischer Arbeiter- und Angestelltenbund): stärkste Fraktion in T und V, Teilorganisation der ÖVP. - FA (freiheitliche Arbeitnehmer): FPÖ - Fraktion Gewerkschaftliche Einheit: Grüne - Gewerkschaftlicher Linksblock: KPÖ Gewerkschaften und Kammern haben ähnliche Aufgaben, deshalb enge Verflechtung und Arbeitsteilung (in beiden ist die FSG dominierend): - ÖGB eher politisch fordernd � Lohnpolitik, Kollektivverträge etc. � Sozialpartnerschaft! - Arbeiterkammer eher absichernde Aufgabe � Konsumentenschutz etc. (2) Wirtschaftskammern (Handelskammern): Vertretung der Arbeitgeber; geht auf bürgerliche Revolution 1848 zurück. In verschiedene Sektionen gegliedert (Handel, Ge-werbe, Industrie, Geld- und Kreditwesen, Verkehr, Tourismus). Bundesweit dominiert meistens die Sektion Gewerbe (höchste Mitgliederzahl). Wahlen finden alle 5 Jahre statt, die Aufsicht über die Wahl hat wiederum das Wirtschaftsministerium. Fraktionen: - ÖWP (Österreichischer Wirtschaftsbund): in allen Bundesländern dominierend; Teilorganisation der ÖVP. - RfW (Ring freiheitlicher Wirtschaftstreibender): Vorfeldorganisation der FPÖ - FW (Freier Wirtschaftsverband): SPÖ Arbeitsteilung zwischen Wirtschaftskammer und VÖI (Vereinigung Österreichischer In-dustrieller): VÖI vertritt nur die Arbeitgeber der Industrie (größere Unternehmen), Wirt-schaftskammer eher kleinere Unternehmen. Die VÖI ist auch sozialpartnerschaftlich nicht so stark vernetzt und gehört der Paritätischen Kommission nicht an.

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(3) Landwirtschaftskammern: stark dezentralisiert, loser Dachverband. Fehlen einer Bundeskammer. Bei Wahlen auf Länderebene dominiert der ÖBB (österreichische Bau-ernbund) � ÖVP. In 90ern wurde die Pflichtmitgliedschaft bei Kammern kritisiert � es kam zu einer Urab-stimmung in allen Kammern und überall war man FÜR die Pflichtmitgliedschaft. 1100..22.. DDiiee ffrreeiieenn VVeerrbbäännddee Die freien Verbände sind – anders als die Kammern – keine österreichische Besonderheit. Sie haben keinen öffentlich-rechtlichen Status und sind nicht in der Verfassung verankert (freie Mitgliedschaft). Die beiden grundlegenden Verbände sind ÖGB und VÖI, die sich jeweils in einer Parallelsituation mit den Kammern befinden. (1) ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund): 13 Teilgewerkschaften � man tritt ÖGB bei und wird dann zu Teilgewerkschaft zugeord-net � Gewerkschaften schrumpfen tendenziell. Auf eine möglichst große Anzahl von Mit-gliedern ausgerichtet (mehr politisches Gewicht). Besaß bis 1998 ein vollständiges Mono-pol auf gewerkschaftliche Organisation. Dieses ging durch die Gründung der „Freien Ge-werkschaft“ (FPÖ) verloren, allerdings ist diese nur sektoral erfolgreich (öffentlicher Dienst). Diese besitzt außerdem keine Kollektivvertragsfähigkeit. - Überparteilichkeit: ÖGB verbindet alle Lager und kann so auch mit verschiedenen Parlamentsmehrheiten und Regierungen kooperieren. - Verflechtung mit den Parteien: Verflechtungen werden durch die Fraktionen herge-stellt. Als Folge kann ÖGB indirekt Rekrutierungsfunktion für Parlament und Regierung ausüben. - Zentralisierung: ÖGB ist Dachverband, in dem mehrere Einzelgewerkschaften zu-sammengeschlossen sind. ÖGB ist dominierend. - Monopol: bis 1998 ein vollständiges, jetzt ein faktisches Monopol. Da es keinen Wett-bewerb gibt, sind Kompromisse möglich (Voraussetzung für Sozialpartnerschaft). - Industriegruppenprinzip: Die 13 Einzelgewerkschaften sind nicht nach rechtlichem Status von Arbeitern, Angestellten und Beamten gegliedert, sondern nach Branchen. - Der ÖGB unterliegt – anders als die Kammern – keiner öffentlich-rechtlichen Kontrolle. - keine Wahlen: Ergebnisse der AK-Wahlen werden übernommen � in meisten Gewerk-schaften hat FSG die Mehrheit (Ausnahme: GÖD, Mehrheit für FCG/ÖVP). (2) VÖI (Verband Österreichischer Industrieller): Nicht in Fraktionen gegliedert, da nur wenige Mitglieder. Wahlen erfolgen durch Wahlvor-schläge. Nicht Anzahl der Mitglieder wichtig, sondern ihre Finanzkraft. Unterscheidung zwischen Personenmitgliedschaft und Firmenmitgliedschaft. Der VÖI ist politisch verfloch-ten, führend Funktionäre sind oft auch Mitglieder der ÖVP. VÖI ist der einzige der großen Verbände der Parteien finanzieren darf. Gefördert wird mach marktwirtschaftlicher Aus-richtung, also meist die ÖVP, seltener die FPÖ. Auch hier existieren noch andere sektoral tätige Arbeitgeberverbände (Gewerbe-, Ban-kenverein etc.), die aber nicht in Konkurrenz stehen. Alle – auch der VÖI – besitzen kei-ne Kollektivvertragsfähigkeit (Wirtschaftskammer). (3) Kleinere freie Verbände 1100..33.. DDiiee SSoozziiaallppaarrttnneerrsscchhaafftt Österreichische Variante des Neo-Korporatismus, also Beziehungsgeflecht zwischen Staat, Arbeitgebern und Arbeitnehmern. � in Österreich sehr intensiv. � der Staat nimmt sich zurück und überlässt Arbeitgebern und Arbeitnehmern Diskussionen und Ent-scheidungen. In Ö sehr hohe Autonomie der Verbände. Wurzeln der Sozialpartnerschaft sind die Theorie der katholischen Soziallehre (Zusammenarbeit der Klassen), die Praxis der Sozialdemokratie (stellt das „Machbare“ über das „Wünschenswerte“), die relative

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Schwäche des Kapitals nach 1945 (Kompromissbereitschaft der Arbeitgeberverbände) sowie die Dominanz der politischen Kultur der Konkordanzdemokratie. Die Anfänge waren die fünf Lohn-Preis-Abkommen (1947-51), mit der die Regierung die Stagflation (Inflation und Rezession) bekämpfen wollte und die Lohn-Preis-Spirale in den Griff bekommen wollte. Nach dem konjunkturellen Aufschwung wurde die Paritätische Kommission für Lohn- und Preisfragen gegründet (1957). Die Grundlage war eine formlose Vereinbarung zwischen Julius Raab (Bundeskanzler ÖVP und voriger Wirt-schaftskammer-Präsident) und Johann Böhm (ÖGB-Präsident, 2. NR-Präsident SPÖ). In zwei Personen waren alle maßgeblichen Interessen konzentriert. Die Paritätische Kom-mission wird von vier Verbänden getragen: Wirtschaftskammer, Landwirtschafts-kammer, Bundesarbeiterkammer und vom ÖGB. Nacheinander kamen der Preisun-terausschuss (seit 1992 Unterausschuss für fragen des Wettbewerbs), der Lohnunter-ausschuss und der Beirat für Wirtschafs- und Sozialfragen dazu. Dazu kam 1992 noch ein Ausschuss für internationale Fragen. Die Kommission kann nur einstimmig entscheiden. Kommt eine Entscheidung nicht zustande, so wird (informelle) Präsidenten-vorbesprechung befasst, die vier Präsidenten haben dadurch die Kontrolle über die ge-samte Tätigkeit der Kommission. Charakteristika: Sozialpartnerschaft dient zur Erhaltung des sozialen Friedens - Parität: Arbeitgeber und –nehmer gleich stark vertreten - Informalität: vieles hinter verschlossenen Türen: negativ- wenig Transparenz, positiv – schnellere Entscheidungen - Autonomie wegen Überparteilichkeit - über Fraktionen auch mit Parteien verflochten Die Paritätische Kommission ist zwar das Kernstück der Sozialpartnerschaft, diese um-fasst aber eine Reihe weiterer Funktionen: - Sozialversicherungsinstitute: gesetzliche Pflichtversicherung, Versicherungsinstitute werden von den Sozialpartnern verwaltet. - Beiräte und Kommissionen: empfehlende Gremien in Wirtschafts- und Sozialfragen. - Mitwirkung in der Justiz: stellen rechtskundige Laienrichter in arbeitsgerichtlichen Verfahren, die mit gemeinsam mit Berufsrichtern entscheiden. - Außeruniversitäre Forschung: WIFO Die Sozialpartnerschaft drückte sich vor allem in der geringen Streikhäufigkeit aus. Sie hat in den letzten Jahren an politischem Gewicht verloren. 1100..44.. KKiirrcchheenn uunndd RReelliiggiioonn Religion als Institution Habsburg-Österreich war eine Macht der katholischen Gegenreformation, der Staat nahm offen Partei gegen alle Nicht-Katholiken. Erst 1782 erließ Josef II. das „Toleranzpatent“, das die Situation verbesserte und schließlich zum Staatsgrundgesetz 1867 führte, das die religiöse Freiheit offiziell verankerte. Trotzdem waren Staat und katholische Kirche wei-terhin gleichgesetzt. Diese Verbindung wurde nie vollständig aufgelöst, der Säkularisie-rungsprozess kam zu keinem formellen Abschluss. Ausdruck dieser Verbindung ist das Konkordat, ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen dem „Heiligen Stuhl“ und Österreich (1933). Ob dieser Vertrag für die Zweite Republik Gültigkeit hat, gingen die Meinungen auseinander: Die Okkupationstheorie ging davon aus, dass Österreich 1938 völker-rechtswidrig besetzt wurde und dadurch handlungsunfähig gewesen sei. Da Österreich als Völkerrechtssubjekt weiter bestanden hätte, bleiben alle internationalen Verträge gültig. Diese Position vertraten die Kirche und die ÖVP. Die Annexionstheorie ging davon aus, dass Österreich durch den Anschluss als Völkerrechtssubjekt untergegangen und neu erreichtet worden sei. Daher wären nach Meinung der SPÖ alle davor geschlossenen Ver-träge nicht mehr gültig. Dahinter steckten unterschiedliche Standpunkte in der Ehefrage (katholisches Eherecht, damit keine Scheidung möglich) und in der Schulfrage (Gleich-stellung von staatlichen und katholischen Schulen).

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Ein Kompromiss wurde durch einen Generationswechsel auf beiden Seiten möglich. Die SPÖ öffnete sich gegenüber der Kirche (Pittermann, Kreisky) und Johannes der XXIII. wurde Papst. 1960 wurde ein Zusatzkonkordat vom Nationalrat beschlossen. Im Eherecht gab die Kirche nach, im Schulrecht weitgehend die SPÖ (Privatschulen werden die Perso-nalkosten aus öffentlichen Mitteln ersetzt). Das Konkordat verpflichtet den Staat, der Kirche bestimmte Rechte einzuräumen: - Religionsunterricht an öffentl. Schulen: öffentlich finanziert, Inhalt bestimmt Kirche. - Militärseelsorge: Status von Offizieren (öffentlich bezahlt), Inhalt und Personen be-stimmt die Kirche. - Katholisch-theologische Fakultäten werden öffentlich finanziert. Grundsätzlich stehen die im Konkordat festgeschriebenen Rechte auch allen anderen an-erkannten Konfessionen zu (z.B. theologische Fakultät in Wien für Protestanten). Aner-kannte Religionen sind die katholische, evangelische, griechisch-orthodoxe und altkatho-lische Kirche, die israelitische Kultusgemeinde, der Islam, Methodisten, Mormonen und Buddhisten. Diese können von ihren Mitgliedern Beiträge einheben, die zwar nicht staat-lich, aber mit staatlicher Hilfe eingehoben werden. Religion als politischer Faktor Der politische Katholizismus hat in der Zweiten Republik zu bestehen aufgehört. Bischöfe vermeiden es, sich für eine politische Partei auszusprechen. Trotzdem ist die Kirche als „Milieu“ weiterhin relevant. Aktive Katholiken weisen besondere Merkmale auf: - Aktive Katholiken sind überdurchschnittlich im bürgerlichen und bäuerlichen Sek-tor, unterdurchschnittlich im proletarischen vertreten. Sie weisen daher auch oft eine (formal) höhere Bildung auf. - Die sozialen Merkmale des Segments bedeuten eine gesellschaftliche Nähe mit der So-zialstruktur der ÖVP-Wähler. Es besteht also eine überdurchschnittliche Neigung von aktiven Katholiken, die ÖVP zu wählen. Trotz der wechselseitigen Distanzierung zwischen Kirche und Politik ist der Faktor „Kirch-lichkeit“ nicht politisch neutral geworden. Die positive Korrelation des Ausmaßes an kirchlicher Bindung mit den Sympathien für die ÖVP ist ebenso eindeutig wie die negative Korrelation mit den Sympathien für SPÖ, FPÖ und LIF. Dieses Verhältnis äußert sich auch in der Rekrutierung der Funktionäre in der ÖVP über katholische Verbände. - Katholische Verbände, unmittelbar dem Klerus unterstellt (zusammengefasst in der „Katholischen Aktion“). Viele Politiker der ÖVP kommen aus solchen Gruppierungen. - Katholische Verbände, nicht unmittelbar den Bischöfen unterstellt (zusammengefasst in der „Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände“). Dazu zählen z.B. farbentragende Studentenverbindungen (CV, MKV). Da diese nicht an die Kleruskirche direkt gebunden sind, ist hier der Politische Katholizismus (offenes Nahverhältnis zur ÖVP) teilweise noch lebendig. Von den Bundesparteiobmännern der ÖVP sind fast alle aus dem CV oder der Katholi-schen Hochschuljugend hervorgegangen. Die langfristigen Entwicklungen im Gefüge Poli-tik-Religion werden von folgenden Tendenzen bestimmt: - Pluralisierung: Die quantitative Dominanz der katholischen Kirche geht zurück. Am meisten zugenommen haben die Konfessionslosen sowie innerhalb der Kirche die „Tauf-schein-Katholiken“, die eine geringe kirchliche Bindung aufweisen. - Säkularisierung: Trotz der Verflechtung Staat/Kirche ist die politische Prägekraft des Faktors Religion rückläufig. XXII.. GGeennddeerr uunndd ddaass ppoolliittiisscchhee SSyysstteemm BBuucchh SS.. 220077--222222

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XXIIII.. LLäännddeerr –– GGeemmeeiinnddeenn –– VVeerrwwaallttuunngg Föderalismus in Ö relativ schwach (Zentralismus stärker ausgeprägt), den Ländern kom-men nur geringe Kompetenzen zu, ihre Rolle lässt durch die verfassungsrechtlichen Kompetenzen aber nicht erklären � Spannungsverhältnis zw. Verfassung und politischer Wirklichkeit bestimmen vertikale Gewaltenteilung in Österreich: - Länder sind rechtlich gesehen unterentwickeltes, aber politisch doch relevantes Ge-gengewicht zum Bund. - Bezirke sind ein politisch unentwickeltes Gegengewicht zu den Ländern. - Gemeinden: „autonomer Wirkungsbereich“, wichtige Politikebene (besonders „Statu-tarstädte“) „Generalklausel“: alle Bereiche, die nicht vom Bund geregelt werden, fallen den Län-dern zu. Die meisten Bereiche unterstehen aber dem Bund, trotzdem haben Länder Be-deutung. Länder waren lange von Subkulturen geprägt (Bsp. das „rote Wien“), auch traditionell „rote“ und „schwarze“ Gemeinden. � seit 70ern etwas aufgebrochen, aber wieder leichte Rückkehr (z.B. ÖVP in Tirol wieder Absolute). � Wähler wählen bei verschiedenen Wah-len (NR, Landtag, EU,…) oft ANDERS! Gegen diese vor allem auch vertikale Beweglichkeit steht die Verwaltung. Sie wird in Ös-terreich grundsätzlich von einem Berufsbeamtentum geprägt (durch Pragmatisierung ziemlich unabhängig von den Wahlen). 1122..11.. DDiiee LLäännddeerr Politisches System der Bundesländer ähnlich dem Bundessystem, Unterschiede: - Parlament: nur 1 Kammer - Landtag - Landtag legitimiert Landeshauptmann - „Regierungsproporz“ (in 5 Ländern: NÖ, OÖ, ST, K, B): alle Parteien des Landtags sind nach Stärke in Landesregierung vertreten � Konsequenzen:

- Keine strikte Trennung zwischen Regierung und Opposition - Beschlüsse nicht mit Einstimmigkeit wie in Bundesregierung, sondern mit Mehrheit. (oft kann stärkste Regierungspartei die anderen überstimmen).

- Fehlen des Ressortprinzips � Landeshauptmann (nicht die Landesräte) hat Personal-hoheit und ist für Personalentscheidung der gesamten Landesregierung zuständig.

- Landeshauptmann durch „Regierungsproporz“ gestärkt: Kann sich, wenn Partei Mehr-heit im Landtag hat, gegen Regierungspartner durchsetzen.

Regierungsproporz geht auf 1. Republik zurück! Bis 1998 auch in T + S, dann Änderung. Seitdem „Majorzprinzip“ ���� Landesregierung wie Bundesregierung bestimmt (Koalitio-nen…). In Vorarlberg schon immer Majorzprinzip. In Wien Mischform: Proporzprinzip, aber faktisch aufgehoben, weil Mehrheit den Stadträten Kompetenzen zuordnet! Unterschied Land � Bund: - Parteienwettbewerb weniger intensiv � in vielen Bundesländern permanente Hegemo-nie (z.B. ÖVP in V und SPÖ in W). � stärkt Basis der Landeshauptleute, die mit Bestäti-gung ihrer Partei und ihres Amtes bei Wahlen rechnen können. � Stabilität der Mehrheits-verhältnisse unterstreicht die Kontinuität der regionalen Parteiensysteme. - „mittelbare Bundesverwaltung“: Tätigkeit der Landesregierung ist Vollzug von Bun-desgesetzen, sind (theoretisch) an Weisungen der Bundesregierung gebunden. - Kooperativer Föderalismus (Land will sich gegen Bund durchsetzen) � Mittel wäre Bundesrat, wichtiger ist aber Landeshauptleutekonferenz (informelles Treffen). - Landtag alle 5 Jahre gewählt (OÖ 6 Jahre) durch Landtagswahlen. Bei Proporz wird auch indirekt die Landesregierung gewählt, indirekt Landesräte gewählt, Präsident des Landtages legitimiert.

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1122..22.. DDiiee GGeemmeeiinnddeenn Nach Bundesverfassungsgesetz wären Bezirke zwischen Ländern und Gemeinden, aber mangels Konsens und Interesse nicht zu eigener Politikebene ausgebaut. Bezirkshaupt-mannschaft ist Landesbehörde unter Landeshauptmann. Bezirke sind „unpolitisch“, da sie kein direkt bestelltes Organ besitzen. Bezirkshauptleute sind Landesbeamte. Grundsätzlich mehrere Gemeinden zu Bezirken zusammengeschlossen. Ausnahmen: - Wien = Land + Gemeinde. Bezirke sind Stadtteile mit direkt demokratisch bestellter Bezirksvertretung (hat aber wenig Kompetenzen). - Gemeinden können durch Landesgesetz in „Statutarstädte“ umgewandelt werden � Städte mit eigenem Statut – meistens Hauptstädte (außer Wien, Bregenz � in V keine Statutarstädte) oder Städte mit eigener Tradition. Sie sind „landunmittelbar“, es ist kein Bezirk zwischen die Gemeinde und das Land geschaltet. � mehr Autonomie. Die unterste Politikebene sind die Gemeinden: - Autonomie: „autonomer Wirkungsbereich“ – können dort im Rahmen der Bundes- und Landesgesetze entscheiden. Verwalten diesen Wirkungsbereich auch als verlängerter Arm des Landes. - Parlament: Gemeinderat (1 Kammer), gewählt in Gemeinderatswahlen - Bürgermeister und Gemeindevorstand (Stadtrat, Stadtsenat) sind dem Gemeinderat politisch verantwortlich. Seit 1999 Direktwahl des Bürgermeisters in 6 Bundesländern durch absolute Mehrheitswahl ���� bipolare demokratische Legitimation: Gemeinderat gewählt und Bür-germeister gewählt. Folgen: - Mehrheit des Gemeinderats und Bürgermeister müssen politisch nicht mehr synchroni-siert sein (Partei X kann Mehrheit haben und Partei Y Bürgermeister stellen). - ABER: Gemeinderat kann Bürgermeister Misstrauen aussprechen und ihn stürzen � potentielle Lähmung des lokalen politischen Systems � mitten in der Entwicklung ste-cken geblieben. Die konsequente Trennung von Legislative und Exekutive bleibt aus. - Regierungsproporz: alle Parteien des Gemeinderats sind nach Stärke in Gemeindere-gierung vertreten. - Bürger der anderen EU-Staaten besitzen das aktive und passive kommunale Wahlrecht. � Entkoppelung des Wahlrechts von der Staatsbürgerschaft! - In Wien und Burgenland nun aktives Wahlalter auf 16 gesenkt. - Innovationen, die auf Bundesebene schwierig sind z.B. schon in 60ern/70ern Koalitio-nen, die auf Bundesebene damals undenkbar waren � Bsp. SPÖ-FPÖ in Bregenz. Kommunalpolitik ist Labor politischer Entwicklung, teilweise Durchsickern auf höhere Poli-tikebenen:

- Entstehen von Parteien jenseits der drei traditionellen Lager - allgemeine Dekonzentration des Parteiensystems - Bereitschaft zu neuen Formen der Koalitionsbildung - Berücksichtigung des Wunsches nach mehr Direktwahlen

1122..33.. DDiiee VVeerrwwaallttuunngg Verwaltung: dient der Vollziehung (Konkretisierung, Implementierung) der von den Par-lamenten des Bundes und der Länder beschlossenen Gesetze. 2 Instrumente: - Verordnung: einem Gesetz ähnlich (abstrakt). Darf aber nur auf Grundlage und im Rahmen von Gesetzen erlassen werden. Können von Verfassungsgerichtshof geprüft und aufgehoben werden. - Bescheid: Entscheidung im Einzelfall, einem Gerichtsurteil ähnlich. Rechtsmittel dage-gen möglich, letzte Instanz ist Verwaltungsgerichtshof. Rolle der Verwaltung im politischen System: Rechtssetzung: - Die Verwaltung (Bundesministerien, Landesregierung) bereitet nach Willen der regie-renden Mehrheit Gesetze (Entwürfe, Regierungsvorlagen) vor, über die im Parlament – nach Willen der regierenden Mehrheit – entschieden wird.

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- Die Verwaltung setzt eigenständig Recht – in Form von Verordnungen, die den politi-schen Willen der Regierung ausdrücken und auf der Grundlage von Gesetzen erlassen sein müssen. Rechtsvollziehung: - Die Verwaltung konkretisiert das von ihr mitgestaltete Recht – sie exekutiert die von ihr indirekt (Gesetze) oder direkt (Verordnung) mitformulierten allgemeinen Vorschriften im Einzelfall. - Die Verwaltung nützt den unvermeidlich vorhandenen Spielraum zur Interpretation der allgemeinen (generell-abstrakten) Normen. Regierung kann den Beamten Weisungen unterteilen, sind aber auch auf deren Koopera-tion angewiesen. Das Berufsbeamtentum führt zu einer Dauerhaftigkeit und Speziali-sierung der Bürokratie gegenüber den oft rasch wechselnden Regierungsmitgliedern. Regierung hat zwar Personalhoheit, die aber durch die unbefristete Bestellung der Beam-ten beschränkt ist. � stärkt Eigengewicht der Bürokratie. In Ministerbüro gibt es den Dienstvertrag auf Zeit (Kabinette), die Beamten sind faktisch politische Beamte, die Minister bestellen sie und können sich auf sie verlassen. � Aus-höhlung des Berufsbeamtentums zugunsten eines (politischen) Vertrauensverhältnisses. „Pragmatisierung“: österreichische Form des Schutzes von Beamten gegenüber Kündi-gung und Versetzung. � Tendenz zur Reduzierung der Pragmatisierung (Reduzierung auf „Hoheitsverwaltung“). Dies ist Teil der Verwaltungsreform, mit der die Verwaltung zu einem serviceorientierten Instrument umgestaltet werden soll. Allerdings gibt es dabei verschiedene Probleme: Unschärfe des Begriffes „Verwaltung“, Verteidigung der Privile-gien durch Gewerkschaften etc. Die öffentlichen Bediensteten sind nicht Mitglieder in der Kammer der Arbeiter und Angestellten und artikulieren ihre Interessen in Form von „Per-sonalvertretungswahlen“, wo wiederum Fraktionen kandidieren, die eng mit den politi-schen Parteien verflochten sind. Damit hat die Verwaltung ein politisches Eigengewicht – entgegen dem formalen Stufenbau der Verfassung der Rechtsordnung. XXIIIIII.. AAuußßeenn-- uunndd SSiicchheerrhheeiittssppoolliittiikk Österreichische Außen- und Sicherheitspolitik von folgenden Faktoren beeinflusst: (1) Geopolitik: Bis 1991 Lage zwischen Ost und West, zwischen Warschauer Pakt und NATO. Seit 1995 in EU und an deren Ostgrenze! (2) Kleinstaatencharakter: Durch Kleinheit Faktor „Inneres“ gegenüber „Äußeres“ rela-tiv schwach. A&S-Politik kann nur in geringem Ausmaß aus Ö selbst erklärt werden. (3) Ökonomische Interessen: Verflechtung mit Westeuropa, v.a. mit Deutschland und Italien. 2 Wesentliche Orientierungspunke: Integration und Neutralität. Durch Veränderungen in Europa (Ende Kalter Krieg etc.) wurde Integration wichtiger und Neutralität weniger wichtig. 1133..11.. IInntteeggrraattiioonn Die Besetzung und Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft durch die Alliierten hat Österreich in besonderer Form im Ost-West-Konflikt platziert. Österreich hatte nach 2. WK deutliche Westorientierung und antikommunistische Ten-denz, die UdSSR konnte aber rechtlich und real die Westintegration Österreichs blockie-ren. Darum entwickelte Österreich die Integrationspolitik: Integration, aber begrenzt. Die Grenzen der Westintegration wurden bis 1955 durch das Kräfteverhältnis Sowjetuni-on/Westmächte definiert, ab 1955 durch die „immerwährende Neutralität“. 1947 Beteiligung am Marshall-Plan 1951 kein Beitritt zu EGKS � Österreich brauchte die UdSSR für Staatsvertrag 1955 Staatsvertrag und „immerwährende Neutralität“

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� Ö beteiligte sich nicht an Gründung von Römischen Verträgen und damit an Gründung von EWG und EURATOM, wegen des supranationalen Charakters der EG (Entscheidungen gegen Willen Ö’s möglich!) und weil alle Mitglieder auch bei NATO waren! 1956 Beitritt zu Europarat (hatte die Merkmale oben nicht), um trotz Neutralität West-orientierung zu signalisieren. 1960 Ö Gründungsmitglied der EFTA � weniger verbindlich, weil nicht supranational. 1972 Freihandelsabkommen mit EG (mit EFTA) ���� freien Zugang von österr. Expor-ten auf EG-Markt und von EG-Exporten auf Ö. � Formel „Westintegration ohne Beitritt“. Diese Formel war in 80ern nicht mehr effektiv, WEIL: - EG vertiefte gemeinsamen Binnenmarkt und Ö fürchtete Nachteile für sich. - ÖVP konnte sich in Opposition als Europapartei profilieren und die Große Koalition führ-te dann zu einer Enttabuisierung des Themas EG-Mitgliedschaft. - ab 1985 wurde der Kalte Krieg abgebaut � Entspannungspolitik zu Ära Gorbatschow � kein Argument mehr, dass Ö Beitritt zu EG das europäische Gleichgewicht beeinflussen würde! 1989 Beitrittsantrag, 1994 Beitrittsvertrag unterzeichnet, Volksabstimmung mit 66% dafür. 1. Jänner 1995 Beitritt. Der breite Konsens in den 80ern zwischen ÖVP und SPÖ ermöglichte den EU-Beitritt. Regierungsbildung 2000 � bilaterale Maßnahmen! � Belastungsprobe für Ö. Österreich trat der EU als neutraler Staat bei. Dennoch verpflichtete es sich zu GASP. Österreich wurde auch zum Beobachter (wie SWE, DEN, FIN, IRL) der mit der EU verbunden Westeuropäischen Union (WEU), des potentiellen militärischen Arms der EU. 1133..22.. NNeeuuttrraalliittäätt uunndd AAuußßeennppoolliittiikk „Immerwährende Neutralität“ 1955 als Formel mit gemeinsamem Nenner: - Interesse Ö’s: Abzug der Besatzungstruppen - Interesse USA: wollten verhindern, dass Ö in Abhängigkeit der UdSSR kommt - Interesse UdSSR: wollte verhindern, dass eine vom antikommunistischen Grundkon-sens bestimmte Regierung Ö in die NATO führt. Schritte zu Neutralität: - 1953 Tod Stalins � Entspannungspolitik zwischen Ost und West - 1954 erstmals offiziell von Neutralität gesprochen. Scheiterte an UdSSR, die Abzug der Truppen aus Ö an Lösung der „deutschen Frage“ knüpften. - 1955 „Moskauer Memorandum“ von Ö und UdSSR unterzeichnet. Absicht festgehal-ten in Ö nach Abschluss des Staatsvertrags eine „Neutralität nach Vorbild der Schweiz“ zu erklären. - 1955, 15. Mai Staatsvertrag in Wien. Neutralität NICHT erwähnt. Truppen ziehen ab. - 1955, 26. Oktober Ö ohne fremde Truppen, NR beschließt „Bundesverfassungsge-setz über die Neutralität Österreichs“ Nach Schweizer Muster bedeutet: (1) Neutralität, die Orientierung der Innen- und Gesellschaftspolitik nach Vorstellungen westlicher Demokratie nicht behindert. (2) Landesverteidigung mit Aufstellen von Streitkräften (bewaffnete Neutralität). Nie wörtlich verstanden! z.B. trat Ö der UNO und Europarat bei, obwohl Schweiz diesen Or-ganisationen nicht bzw. später beitrat. Ö wollte Neutralität nicht in Staatsvertrag, da dann die Siegermächte mitbestimmt hät-ten. Durch das Verfassungsgesetz lag es ausschließlich in der Kompetenz Ö’s, seine Neutralität zu definieren! Neutralität entwickele sich aus Ost-West-Konflikt � Vermittlerfunktion z.B. Ö als Stand-ort für Gipfeltreffen etc.

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Aktive Rolle Österreichs: „Peace-Keeping“ Funktion der UNO � Mit Ende des Ost-West-Konflikts verlor Rolle Ö’s aber an Bedeutung. Einsätze wurden stark von der Präsenz der NATO-Staaten überdeckt! Die Neutralität Österreichs ist in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Nord-Süd-Konflikt. Österreichs Engagement für die „Dritte Welt“ liegt unter dem Durchschnitt der westeuropäischen Staaten. Das Ende des Ost-West-Konflikts wirkte sich vor allem in einer Reduktion der Neutrali-tät auf ihren „harten Kern“ aus. Bedeutungsverlust der Neutralität zeigt sich auch dar-in, dass das politische Verhalten Ö’s in der internationalen Politik kaum noch von Neutra-lität, dafür viel stärker von Ö’s EU-Mitgliedschaft bestimmt ist. Bestehendes Merkmal der Neutralität: Ö tritt den Militärbündnissen NATO und WEU nicht bei! Neutralität hat breite Zustimmung in Bevölkerung: (1) 1955 Neutralität als Teil einer Identitätsstiftung. (2) Neutralität als Anti-Militarismus interpretiert. Die EU-Mitgliedschaft hat die Neutralität als entscheidenden Bestimmungsfaktor österreichischer Außenpolitik abgelöst. Die Neutralität in der Außenpolitik ist deut-lich abgeschwächt und z.T. kaum mehr sichtbar: Jugoslawien-Konflikt, Golf-Krieg (Über-flugsrechte für US-Flugzeuge) etc. � nur noch Rest- bzw. Kernneutralität. 1133..33.. ÄÄuußßeerree SSiicchheerrhheeiitt österreichische Sicherheitspolitik von Bedrohungsbild geprägt: Krieg zwischen Ost und West hätte Österreich und damit seine Neutralität militärisch bedrohen können. Mit Ende des Ost-West-Konflikts muss sich Ö mit anderen Bedrohungsszenarien auseinanderset-zen: - Ö auf längere Zeit nicht durch seine Nachbarstaaten militärisch bedroht ist - Bedrohung indirekt: durch Kriege ausgelöste ökonomische und soziale Destabilisierung � Fluchtbewegungen! 2 Sicherheitspolitische Perspektiven: (1) Krisenprävention: Latent vorhandene Krisensituationen auflösen � deshalb mehr Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik als Sicherheitspolitik! (2) Kriseneindämmung: Kriegerische Krisen in nicht-kriegerisches Stadium bringen (negativer Friede) und dann Maßnahmen setzen, die Wiederholung der Gewalt verhin-dern. � „peace-making“ und „peace-keeping“ Politik, die militärische Instrumente ein-schließt. � Österreich kann hier nur zusammen mit anderen sinnvoll handeln! Für neues Bedrohungsbild gibt es ein Konzept: Umfassende Landesverteidigung (ULV), in der Schweiz entwickelt und von Ö übernommen. (1) Zivile Landesverteidigung (ZLV): Zum Objektschutz, schließt (Früh-)Warnsystem ein. Bundesministerium für Inneres zuständig! (2) Wirtschaftliche Landesverteidigung (WLV): Aufgabe Vorräte für Krisenperioden anzulegen. Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten zuständig. (3) Geistige Landesverteidigung: (GLV): soll für Verteidigungsbereitschaft der ge-samten Gesellschaft sorgen. Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegen-heiten zuständig. (4) Militärische Landesverteidigung: = Bundesheer. Bundesministerium für Landes-verteidigung zuständig. ZLV für Fall eines Angriffs auf Ö gedacht, verliert deshalb an Bedeutung. Durch neue Be-drohungsbilder werden WLV und MLV wichtiger! Die MLV ist das Bundesheer, das 1955 in Zusammenhang mit Neutralitätserklärung ins Leben gerufen wurde. Grundgedanke einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer. Diskus-sion über deren Länge. Instrument der MLV anfangs mit 2 Problemen konfrontiert:

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(1) Gebrochene Tradition: 1955 dienten viele Offiziere, die noch dem Kaiser oder Hitler gedient hatten! Diese sollten nun glaubhaft die Demokratie verteidigen. (2) Professionelle Widersprüchlichkeit: Dem Heer war eine möglichst große Zahl von Soldaten zugedacht. Budget für Landesverteidigung aber relativ klein. � keine gute Aus-stattung möglich. Professionelle Glaubwürdigkeit des Heeres hatte zu leiden. In der Ära Kreisky wurde die Wehrpflicht gekürzt und der Zivildienst als Alternative eingeführt. Die Doktrin der Grenzverteidigung wurde durch die Doktrin der Raumverteidigung ersetzt. � heute Überlegung der Abschaffung zu Gunsten eine Berufsheers, in dem signifikant weniger, aber dafür besser ausgerüstete Soldaten für Krisenpräventionen und vor allem Krisendämmung zur Verfügung stehen. Dies steht auch im Zusammenhang mit der Mit-gliedschaft in der NATO-PfP (Partnership for Peace). Die Neutralität sollte primär die österreichische Unabhängigkeit schützen. Zur Zeit als Neutralität klare Funktion erfüllte, war Österreichs Sicherheit weniger von Österreichs Anstrengungen, sondern mehr vom Vorhandensein eines Gleichgewichts zwischen NATO und Warschauer Pakt abhängig. Mit dem Ende dieser Rahmenbedingung ist die Österreichische Sicherheitspolitik viel mehr von den österreichischen Anstrengungen abhängig. Österreichs Sicherheitspolitik ist heute stärker herausgefordert als während des Kalten Krieges, weil die sicherheitspoli-tischen Spielregeln in Europa nicht mehr festgeschrieben sind, sondern immer wieder neu definiert werden müssen. XXIIVV.. RReessüümmeeee BBuucchh SS.. 225533--226600