Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss...

28
Erschienen: www.managementkybernetik.com © Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved Seite 1 von 28 Maria Pruckner Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Ein Essay über die Management-Kybernetik Juli 2002 www.managementkybernetik.com C warel I saf I nstitute

Transcript of Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss...

Page 1: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 1 von 28

Maria Pruckner

Ich wusste gar nicht,dass ich Prosa sprechen kann!

Ein Essay über die Management-Kybernetik

Juli 2002

www.managementkybernetik.com

Cwarel Isaf Institute

Page 2: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Inhalt

Erstes und letztes Kapitel .................................................................................................................. 4

Die Zeiten sind schwierig geworden .................................................................................................. 4Nachhaltigkeit...................................................................................................................................... 4Orientierung......................................................................................................................................... 4Das Entscheidende fehlt...................................................................................................................... 4

Reden Sie bloß nicht von Kybernetik, das versteht niemand ........................................................ 5

Unabänderbare Naturgesetze ............................................................................................................ 5Zehn Gründe für ein Tabu................................................................................................................... 6Eine harmlose Verwechslung? ............................................................................................................ 6Je nachdem, wie man hinsieht ........................................................................................................... 7Auch einfache Probleme können komplex sein ................................................................................ 7Wie funktioniert Funktionieren?........................................................................................................ 7Immer das gleiche Muster................................................................................................................... 7Kybernetik muss man lernen ............................................................................................................. 8Funktioniert es? .................................................................................................................................. 8Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann!......................................................................... 8Es ist logisch, sich der Kybernetik zu bedienen................................................................................. 9Was tut ein System?............................................................................................................................. 9

Woher kommt die Kybernetik? ........................................................................................................ 10

Woher kommt der Name „Kybernetik“? ......................................................................................... 10Kybernetik – Regulierung/Steuerung und Kommunikation im Lebewesen und der Maschine...... 11Zirkularität, eine uralte Neuheit....................................................................................................... 11Die „Väter“ ........................................................................................................................................ 11Ein Pionier erzählt ............................................................................................................................. 12Die Entschlüsselung des Funktionierens .......................................................................................... 12Das Gemeinsame lebender und mechanischer Systeme ................................................................. 130 oder 1 .............................................................................................................................................. 13Von der Turing-Maschine über neuronale Netze zum Computer .................................................. 14Der Irrtum über die künstliche Intelligenz ...................................................................................... 14Was zu Irrtümern verführt .................................................................................................................15Die Einbeziehung des Beobachters .................................................................................................. 15Zirkuläre Kausalität, Dynamik und Sprache..................................................................................... 16

Die Macy-Konferenzen...................................................................................................................... 16

Funktionieren hat Gesetze.................................................................................................................16Vernetztes Denken .............................................................................................................................16

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 2 von 28

Page 3: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Wie die Väter der Kybernetik gemanagt haben..............................................................................17

Einer, der kaum Englisch sprechen konnte .......................................................................................17Die Kybernetik erhält ihren Namen ..................................................................................................17Eine neue Kultur des Denkens und Handelns ..................................................................................17

Die Wissenschaft von der effektiven Organisation .........................................................................18

Unterscheidung.................................................................................................................................. 18Die zweite Ordnung ist nicht besser und wahrer als die erste ...................................................... 19Wer vergäbe blind einen Kredit? ..................................................................................................... 19Ordnung verlangt die Rückkoppelung zwischen Theorie und Praxis ............................................ 20Die Rolle von Stafford Beer .............................................................................................................. 20Hierarchie und Heterarchie in Organismen und Organisationen .................................................. 21Die Brücke .......................................................................................................................................... 21Das Viable System Model .................................................................................................................. 22

Theorie und Praxis – kein ewiger Konflikt!..................................................................................... 23

Der Unterschied zwischen herkömmlichem und kybernetischem Denken ................................... 23Control .............................................................................................................................................. 23Macht oder Regulierung? ................................................................................................................. 23

Viele Definitionen – eine gemeinsame Frage...................................................................................24

Gregory Bateson ................................................................................................................................ 24Stafford Beer ...................................................................................................................................... 24Gordon Pask ....................................................................................................................................... 24Warren McCulloch ............................................................................................................................. 25Heinz von Foerster............................................................................................................................. 25Norbert Wiener.................................................................................................................................. 25Fredmund Malik................................................................................................................................. 25W. Ross Ashby .................................................................................................................................... 25

Wissen, das sich verbinden lässt .......................................................................................................25

Die Kybernetik macht andere Disziplinen nicht überflüssig .......................................................... 25Eine Quelle des Fortschritts............................................................................................................... 26Die Logik der Kommunikation, die Logik der Natur ...................................................................... 27Vom Spielzeug zur großen Gefahr? ................................................................................................. 27

Traditionen und Richtungen ..............................................................................................................28

Anwendbar auf alle Probleme von Control und Kommunikation ................................................ 28

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 3 von 28

Page 4: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 4 von 28

Cwarel Isaf Institute

Erstes undletztes Kapitel

Wozu denn Kybernetik? Wer sich fragt, warum er sichüberhaupt mit dieser Wissenschaft auseinandersetzensollte, dem ist dieses Kapitel gewidmet. Aus kyberneti-schen Gründen soll es gleichzeitig das einleitende unddas abschließende Kapitel sein.

Die Zeiten sind schwierig geworden

Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immerrascher und besser gelingen, schwierige Probleme zu lösen.Diesen Satz hat es wohl zu jeder Zeit gegeben. Doch erhat zu jeder Zeit etwas anderes bedeutet. Bevor das Raderfunden wurde, musste sich niemand mit dem Prob-lem beschäftigen, einen schwer beladenen Karren auf-zuhalten, der bergab ins Rollen geraten war.Bevor es Fabriken gab, musste sich niemand überlegen,wie er Hunderten von Arbeitern und Maschinen diemaximale Leistung entlocken konnte. Bevor es Atom-kraftwerke gab, musste sich niemand damit beschäfti-gen, wie sich ganze Bevölkerungen am besten vorradioaktivem Staub schützen.

Nachhaltigkeit

Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immerrascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen. Dieser Satz ist relativ neu, obwohl ernur um ein Wort erweitert wird: nachhaltig. Zu keineranderen Zeit, als in den letzten 50 Jahren, sind sichmehr Menschen dessen bewusst geworden, dass dieLösung eines Problems viele neue Probleme entstehenlassen kann.

Zu keiner Zeit haben mehr Menschen deutlicher er-lebt, wie verbunden die einzelnen Elemente unsererWelt sind, wie stark sie zusammenwirken und wie wenigwir sicher darüber wissen, wie sie zusammenwirkenwerden. Zu keiner Zeit musste man mehr daran inter-essiert sein, nachhaltige Lösungen zu finden, Systemelebensfähig zu halten, die Lebensfähigkeit von Sys-temen steigern.

Es ist schwierig geworden, das eine Loch zu stopfen,indem man ein anderes aufreißt. Die Informationen

über einen Mangel hier und einen Überfluss an andererStelle verbreiten sich heute so schnell, dass sich dasWirken nach Ausgleich selbst zu überholen beginnt.

Orientierung

Nie haben sich die Entwicklungen in unseren Gesell-schaften und zwischen ihnen rascher selbst organisiert.Nie hat sich mehr die Frage gestellt, wodurch sichheute Macht bildet, wo heute noch Macht nützt, wieman heute noch Macht erlangen kann und ob manMacht überhaupt anstreben soll. Die schwierigste Frageaber von allen scheint zu sein, wie wir heute Sicherheit

und Stabilität mit Fortschritt vereinbaren können, wieFortschritt heute aussehen muss, um konstruktiv zuwirken. Nie hat die Frage, wie man langfristig zuAnerkennung kommen kann, nach so vielfachen Über-legungen und sorgfältigen Entscheidungen verlangt,wie heute. Nie konnte man so rasch nach ganz oben andie Spitze gelangen, aber man konnte auch nie so raschwieder ganz unten landen. Nie haben sich Informatio-nen schneller verbreitet, als heute. Nie gab es mehrNachrichten als heute. Nie war es schwieriger, alsheute, sicher orientiert zu sein.

Das Entscheidende fehlt

Wenn man sich ansieht, mit welchen Begriffen manheute von Lösungen zu überzeugen versucht, dannstechen zwei Worte hervor: NACHHALTIGKEIT undWIRKSAMKEIT. Wenn man sich ansieht, wie an dieLösung – vor allem von Problemen, die viele betreffen –herangegangen werden will, dann trifft man auf zweiBegriffe, die meistens mit subtil appellierendem Klangverbunden sind: SCHWIERIG und NOTWENDIG.

Page 5: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Wenn man sich ansieht, was Führungskräfte heute aus-strahlen, dann entdeckt man im Wesentlichen zweiStimmungsbilder: MACHT MICH NICHT ALLEINDAFÜR VERANTWORTLICH, WENN ES NICHTKLAPPT, oder ICH KANN ES IN EUREM SINNENICHT VERANTWORTEN, EUCH DIESEHARTEN MAßNAHMEN ZU ERSPAREN. Wennman sich ansieht, wie heute Misserfolg gerechtfertigtwird, dann stößt man immer häufiger auf einen Be-griff: KOMPLEXITÄT. Wenn man sich ansieht, wieman mit der Komplexität fertig werden möchte, dannsucht man leider meistens vergeblich nach dem ent-scheidenden Begriff: KYBERNETIK.

Reden Sie bloß nichtvon Kybernetik,das versteht niemand

Diese Aussage ist mit erstaunlicher Regelmäßigkeitimmer noch eine Reaktion darauf, wenn man im Zu-sammenhang mit der Lösung komplexer Probleme dieWissenschaft der Kybernetik anspricht. Mag sein, dassder Name dieser Lehre an etwas Mystisches oder Eso-terisches denken lässt. Dass sie etwa der Nautik wesent-lich näher liegt, als spirituellem oder geheimwissen-schaftlichem Gedankengut, behandelt erst das dritteKapitel. Hinter der Nautik und Kybernetik stecktnichts, was man den Menschen nicht zumuten könnte.Über Gentechnik zum Beispiel diskutiert man breit,und mit ihr handelt man nicht selten hemmungslos.Was steckt also hinter der Hemmung, über Kybernetikzu sprechen?

Unabänderbare Naturgesetze

Fasst man die Beobachtungen zusammen, die im erstenKapitel dargestellt wurden, ergibt sich, dass eine derhäufigsten öffentlichen Botschaften in unserer Gesell-schaft ist: ES IST SCHWIERIG UND NOTWENDIG,NACHHALTIG WIRKSAME MASSNAHMEN ZUSETZEN, VON DENEN WIR NICHT SICHERVORHERSAGEN KÖNNEN, OB SIE KLAPPENWERDEN, VON DENEN WIR ABER AM EHES-TEN DIE CHANCE ERWARTEN, DASS SIE FUNK-TIONIEREN WERDEN, WENN SIE MIT UNS KO-OPERIEREN. WIR SEHEN, DASS WIR ES MITKOMPLEXEN PROBLEMEN ZU TUN HABEN,DIE EINE GEFAHR FÜR UNS ALLE WERDENKÖNNTEN, WENN WIR SIE NICHT NACHHAL-TIG BEWÄLTIGEN. WIE WIR SIE BEWÄLTIGENKÖNNEN, MÜSSEN WIR ERST HERAUSFINDEN.

Es ist unerheblich, ob eine Führungskraft nun an dieKooperation und Mitverantwortung anderer appelliertoder ob sie entschieden hat, Autorität zu ergreifen undin Verantwortung für die anderen Entscheidungendurchzusetzen. Beide sprechen unabänderbare Tatsachenaus: dass gute Entwicklungen nur durch Kooperationmöglich sind und dass nicht alles, was für eine Ge-meinschaft gut ist, auch angenehm sein muss.

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 5 von 28

Page 6: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Zehn Gründe für ein Tabu

Die Frage ist, warum nicht davon gesprochen wird, dassjemand in einer Sache kooperieren sollte, die nicht an-genehm für ihn ist. Dass die Menschen gegenübergroßen Versprechen misstrauisch geworden sind, magdazu die vordergründige Erkenntnis sein. Dieses Miss-trauen entsteht dadurch, dass sich immer häufiger her-ausstellt, dass nur die wenigsten Versprechen erfülltwerden, weil sich viele Probleme hinterher als kom-plexer herausgestellt haben, als man ursprünglichangenommen hatte.

Worüber also gesprochen werden muss, ist die Tatsache,Bedeutung und Wirkung von Komplexität. Worübergesprochen werden muss, ist, wie man Komplexitätverstehen und wie man mit ihr richtig umgehen kann.Worüber gesprochen werden muss, ist die Kybernetik.Warum wird das nicht getan? Vermutlich sind es fol-gende Gründe:

1. Man weiß nicht, wie Komplexität wirkt und wieman richtig mit ihr umgeht.

2. Man weiß nicht, dass es das Wissen gibt, wieKomplexität wirkt und wie man richtig mit ihrumgeht.

3. Man weiß, dass es das Wissen gibt, wie Komplexitätwirkt und wie man richtig mit ihr umgeht, aberman kann es nicht verstehen, weil die Sprache unddas Denken dieser Theorie auf einer hohen Ab-straktionsebene stehen muss, um ihren Erkennt-nissen gerecht zu werden.

4. Man versteht diese Theorie, sieht aber, dass sie nurvon den wenigsten verstanden wird. Man sprichtdaher nicht über sie, sondern nur über die prakti-schen Anwendungen und Ergebnisse, die aus dieserWissenschaft hervorgegangen sind und die prak-tisch von jedem wahrgenommen werden können,um sich sympathisch zu machen.

5. Man traut den Menschen nicht zu, sich dafür zuinteressieren, wie sie in der heutigen Welt ambesten zurechtkommen könnten, man traut ihnennicht zu, zu lernen.

6. Man übersieht, dass, was in der Kybernetik ausGründen wissenschaftlicher Sorgfalt präzise unddaher abstrakt formuliert sein muss, in den Be-langen des täglichen Lebens in einfache, klare und

konkrete Begriffe übertragen werden kann, wennman die Grundlagen richtig verstanden hat.

7. Es gelingt nur noch den wenigsten Menschenanspruchsvolle Inhalte auf einfache Art und Weisezu erklären, was verlangen würde, auf die Vorstel-lungen und Denkweise seines Publikums einzuge-hen, während man die eigene Sicht erläutert.

8. Die wenigen Menschen, denen das noch gelingt,sind zu wenige, um viele anzusprechen und zubegleiten.

9. Die wenigen Menschen, denen das noch gelingt,können nicht mehr werden, weil zu wenigen dieseLehre fundiert und verständlich vermittelt wird.

10. Weil eine der wichtigsten Lehren der Zukunft vonzu wenigen genutzt werden kann, wird nicht übersie gesprochen.

Eine harmlose Verwechslung?

Das mögen nun zehn sich logisch ineinander schließen-de Gründe sein. Aber der wichtigste Grund ist, dassKomplexität mit Schwierigkeit gleichgesetzt wird.Das ist aber keineswegs der Fall! Einen Sportwagen imöffentlichen Verkehr zu lenken ist zum Beispiel einekomplexe Angelegenheit. Aber sie ist nicht schwierig,wenn man gelernt hat, das Fahrzeug richtig zu bedie-nen, die Verkehrsregeln einzuhalten und sich an dieUmgebung so anzupassen, dass Kollisionen vermieden

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 6 von 28

Page 7: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

werden. Einen Faden durch ein kleines Nadelöhr zuführen, ist schwierig, aber keinesfalls eine komplexeAngelegenheit – zumindest nicht, was die Vielfalt derZustände betrifft, die Nadel und Faden aufweisen kön-nen. Man hat es mit einem Metallstift zu tun, der aufder einen Seite mit einer Spitze endet und auf deranderen Seite mit einem kleinen Loch. Man hat es miteinem Faden zu tun, der aus gesponnenen Fasernbesteht. In einem Sportwagen, der im öffentlichenVerkehr gelenkt wird, können wesentlich mehr ver-schiedene Zustände auftreten.

Je nachdem, wie man hinsieht

Wem morgens beim Anziehen im Hotel vor einer wich-tigen Besprechung schon einmal ein Hemd- oder Blusen-knopf gerissen ist, dem ist der Stress nicht fremd, einenFaden durch ein Nadelöhr zu bekommen. Die Nervenhämmern. Man könnte zu spät kommen! Die Händezittern. Man könnte wegen des fehlenden Knopfes einenschlechten Eindruck machen! Die Nadel zittert. Der Fa-den zittert. Man ruft das Zimmerservice zu Hilfe. DasStubenmädchen braucht keine zwei Sekunden und schonist der Faden in der Nadel. Ja, das wäre einem auch ge-lungen, wäre nicht dieser Druck gewesen! Wie oft hatman doch schon eine Nadel in einem Zug eingefädelt!Bloß an dem Morgen, an dem es schnell gehen musste,da klappte es nicht. Das Stubemädchen konnte da ge-lassen sein!

Das Einfädeln einer Nadel ist nicht ganz so schwierig,wenn es unseren Händen gelingt, den Faden ruhig undsicher durch das Öhr zu führen. Es ist sehr schwierig,wenn die Hände nicht ruhig gehalten werden können.Einfach ist es nie. Man kann einen Faden nicht neben-her durch ein Öhr ziehen, wie man etwa nebenhereinen anderen Gang eingelegt oder den Blinker ein-schaltet, während man sich mit dem Beifahrer unter-hält, den Verkehr beobachtet und den Wagen lenkt.

Auch einfach zu lösende Probleme könnenkomplex sein

Die Angelegenheit des Einfädelns verlangt volle Kon-zentration, das perfekte Zusammenspiel zwischenNadel, Faden, Händen und dem gesamten Körper.Zwischen Augen und Händen, zwischen peripheren Ner-ven und Gehirn, zwischen Faden und Nadel muss dieperfekte Lenkung, Regulierung und Kommunikationablaufen.

Das Einfädeln wird in dem Augenblick komplex, indem wir den hantierenden Menschen, seine Umstände,seine Verfassung, seine Konzentration und seine Psycho-motorik als entscheidendende Teile der Angelegenheitmiteinbeziehen.

Ob etwas einfach oder schwierig ist, hängt also nichtdavon ab, wie komplex eine Situation ist, sondern davon,wie viel Aufmerksamkeit und Geschick eine Tätigkeiterfordert. Ob etwas komplex ist oder nicht, hängt vonder Vielfalt der Zustände ab, die ein System hervor-bringen kann. Wie gut wir die Komplexität einer Situ-ation beherrschen, hängt davon ab, wie gut es uns ge-lingt, die Vorgänge zu lenken, zu regulieren und wiegut unsere Nerven und wir mit anderen kommunizie-ren, wie gut wir Information erreichen und vermitteln.

Wie funktioniert Funktionieren?

Es bleibt die Frage: Was ist nötig, um komplexe Situ-ationen gut und sicher zu bewältigen? Die Antwortlautet: Das Nutzen des Wissens darüber, wie die Re-gulierung, Lenkung und Kommunikation in jeder Artvon System funktioniert. Dieses Wissen wurde in derKybernetik erforscht, der Lehre der Regulierung/Lenkungund Kommunikation im Lebewesen und der Maschine,wie Norbert Wiener, einer ihrer wichtigsten „Väter“,diese Wissenschaft definiert hat. Diese Phänomene sinddafür verantwortlich, wie das Funktionieren funktion-iert. Was hilft, ist, die Naturgesetze dieser Phänomenein ihren verschiedenen Erscheinungsarten in den unter-schiedlichen Systemen analysieren zu können und siebei seinen Entscheidungen zu berücksichtigen.

Immer das gleiche Muster

Wer morgens vor einer wichtigen Besprechung ineinem Hotelzimmer mit einem abgerissenen Hemd-

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 7 von 28

Page 8: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

oder Blusenknopf dasteht und erkennt, dass ihn seinZeit- und Erfolgsdruck daran hindert, Nadel undFaden so zueinander zu führen, dass der Faden durchdas Öhr geht und deshalb diese Aufgabe dem Zimmer-mädchen übergibt, das damit vor einem kaum erwäh-nenswerten Routinefall steht, der hat eine zutiefstkybernetische Entscheidung getroffen, ohne dass erjemals von dieser Wissenschaft etwas gehört habenmuss. Selbes gilt für jemanden, der seinen Sportwagensicher durch den öffentlichen Verkehr lenkt. Natürlichgilt es auch für alle anderen Vorgänge, in denen räum-liche, motorische oder geistige Bewegung stattfindet.Es gibt in jedem Fall ein gemeinsames Muster desFunktionierens oder Nichtfunktionierens, und es findetsich immer in den Phänomenen der Lenkung/Regu-lierung und Kommunikation.

Kybernetik kann man lernen

Es erfordert zwar lange Lehrjahre und gute Lehrer, umdie Wissenschaft der Kybernetik vollkommen zu be-herrschen. Das Entscheidende aber ist, dass man sieerlernen kann. Sie erfordert keinerlei magische oderandere unerklärliche Fähigkeiten.

Die Erkenntnisse der Kybernetik nur im Rahmen dereigenen Praxis zu nutzen, erfordert eine weniger lang-wierige Entwicklung. Dann reicht es, die kybernetischenPrinzipien auf den eigenen Anwendungsbereich über-tragen zu können. Dazu muss man die Vorgänge indiesem Bereich beobachten, sich fragen, was zur undbei der Regulierung/Lenkung und Kommunikation inihm geschieht. Die Naturgesetze der Kybernetik wer-den dabei helfen, dass man versteht, was vor sich gehtund wie man sich verhalten sollte.

Funktioniert es?

Man kann lange und breit darüberdiskutieren, was richtig ist, zu verste-hen und gut ist, zu tun. Auf dieseWeise kann man eine ganze Mengeüber die Menschen erfahren, die sichmit diesen Fragen auseinandersetzen.Aber leider dauern die Diskussionenoft zu lange und oft führen sie nichtzum Ziel.

Wer keine Zeit für lange Diskussionenhat oder aufbringen will, der stellt drei

andere Fragen: 1. Funktioniert es? 2. Was ist das Ergeb-nis? 3. Was sind die Aus-, Folge- und Rückwirkungen?Die Antworten auf diese Fragen erhält man allerdingsnicht durch Diskussionen, sondern durch Handeln.

Wie aber geht man mit potenziellen und tatsächlichenRisiken um, wenn die Erkenntnisse zu diesen Fragenvor allem aus dem Handeln kommen? Spätestens hierwird es interessant, sich der Kybernetik zu bedienen.Solange die Dinge funktionieren, wäre es nur ein netterund interessanter Zeitvertreib, kybernetische Studienund Beobachtungen zu machen. Wenn aber etwasnicht funktioniert, dann kann kybernetisches Wissensehr hilfreich sein: Es lenkt die Aufmerksamkeit auf diePhänomene, die das Funktionieren maßgeblich beein-flussen. Wenn man anhand der kybernetischen Natur-gesetze nachsieht, welche Probleme es mit der Regu-lierung/Lenkung und Kommunikation in Systemengibt, erkennt man rascher und richtiger, worum esgeht. Wenn man die Frage der Schuld zuerst in Rich-tung dieser Phänomene lenkt, dann findet sich nichtselten rasch der Weg für eine nachhaltige Lösung. DieSuche und Verurteilung von Sündenböcken jeder Artverwandelt sich in einen intelligenten und kreativenProzess. Und im Ernst: Was macht mehr Spaß, alsgutes Funktionieren zu erleben? Es gibt keine tiefereSinnerfahrung, und die Sinnfrage ist diejenige, dieheute die meisten Menschen am meisten quält.

Ich wusste gar nicht,dass ich Prosa sprechen kann!

Lust auf Effektivität? Spaß am Funktionieren? Oder garSehnsucht danach? All das ist gut. Schlimm wird es,wenn man sich damit abfindet oder abfinden will, dass

die Dinge nicht so klappen, wie sie soll-ten. Um solch drückender Stimmungzu entkommen, könnte es interessantwerden, bei den Kybernetikernnachzulesen oder nachzufragen, ob esdenn tatsächlich so sein muss.

Dann aber könnte es sein, dass keinKybernetiker zu finden ist. Dann aberkönnte es sein, dass sich nicht gleichdas richtige Buch findet, weil niemandda ist, der kompetent beraten könnte.Und all das nur, weil Kybernetikerimmer noch zu oft gebeten werden,nicht über die Kybernetik zu sprechen.Als sei sie etwas Unanständiges!

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 8 von 28

Page 9: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Es ist mit dem Reden über Kybernetik wie mit intimenAngelegenheiten, über die man nicht spricht, von denenaber jeder weiß, dass sie jeder tut. Unter Kybernetikernist es deshalb beliebt geworden, Monsieur Jourdain inMoliéres Stück Der Bürger als Edelmann als Metapherheranzuziehen, um dieses Problem anzusprechen: Alseinfacher Bürger versuchte er, nicht nur in die höherenRänge der Gesellschaft zu gelangen, sondern auch, demHerzen einer hoch gestellten Dame habhaft zu werden.Um dieses Ziel zu erreichen, bediente er sich einesHausgelehrten, der für ihn einen Liebesbrief an dieseDame verfassen sollte. Der Hausgelehrte fragte, bevorer die Feder zur Hand nahm, ob er denn seine Gefühlefür die Verehrte in Prosa oder Lyrik verfasst wissen wolle.Was denn der Unterschied sei, erkundigte sich Jourdain.Lyrik sei, seine Worte in Reime zu fassen, währendProsa die Sprachform sei, die Monsieur Jourdain imAlltag ständig sprechen würde, antwortete der Haus-gelehrte. „Ich spreche Prosa?“, fragte Jourdain verwun-dert, und als er daraufhin Zustimmung fand, rief er be-geistert aus: „Mein Gott, ich spreche Prosa! Ich sprecheProsa! Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechenkann!“ Nicht anders ergeht es insbesondere effektivenMenschen, wenn sie sich mit der Kybernetik auseinan-dersetzen. Man wusste gar nicht, dass man kybernetischhandelt, obwohl man es ständig getan hat ...

Es ist logisch, sich der Kybernetikzu bedienen

Jeder von uns reguliert, jeder von uns lenkt, jeder vonuns kommuniziert. Auch in Maschinen, in allen Lebe-wesen und durch kognitive Dinge passiert genau das.Manchmal so, dass es funktioniert, manchmal so, dasses nicht funktioniert. Aber jeder will, dass es funktion-iert. Was ist logischer, als sich dafür zu interessieren,wie es funktioniert? Was ist dann logischer, als auf dieNaturgesetze der Kybernetik zurückzugreifen? WelcheFrage ist dann naheliegender, als die, warum man nichtüber sie spricht?

Was tut ein System?

Man kann nicht sagen, dass das, was im Rahmen derKybernetik gelehrt wird, die Wahrheit ist. Aber mankann sagen, dass komplexe Systeme nach bestimmtenGesetzmäßigkeiten funktionieren und dass man Kom-plexität am besten bewältigen kann, wenn man siebeachtet.

In dieser Lehre beschäftigt man sich nicht damit, wasdie Dinge sind, sondern damit, was sie wie tun.

Sie ist ein Wissensgebiet, das dort weiterhilft, wo wirkein konkretes Wissen über eine Angelegenheit habenkönnen, bevor eine weitere Entwicklung passiert ist.

Es ist die Lehre über den richtigen Umgang mit Kom-plexität.

Es ist die Lehre über die eigene Verantwortung, mit derman anderen ihre Verantwortung bewusst machen kann.

Es ist eine Lehre, bei der man sich nicht rechtfertigenmuss, dass es an der Komplexität liegt, sondern mit derman am ehesten den Weg findet, wie man sie bewälti-gen kann.

Es ist die Lehre, mit der man heute am ehesten dieChance hat, auf langfristige Sicht Anerkennung zuerhalten.

Es ist die Lehre, die jeder versteht, wenn man sie aufdie eigene Situation überträgt.

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 9 von 28

Page 10: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Es ist die Lehre, die jeder immer schon praktiziert hat,egal, ob er von ihr wusste oder nicht.

Diese Lehre praktiziert man, wenn man ihre Natur-gesetze anwendet.

Diese Lehre lernt man am besten verstehen, wenn mansich mit der Geschichte der Kybernetik und ihrer Väterauseinander setzt.

Woher kommt dieKybernetik?Es hat wohl kaum jemals eine Wissenschaft gegeben,die das Problem, das sie behandelt und die Frage, wieman es richtig behandelt, in so rascher Zeit dermaßenauf den Punkt gebracht hat, wie die Kybernetik. Es haben sich auch kaum jemals dermaßen unter-schiedlich ausgebildete Experten, stark ausgeprägteIndividualisten und faszinierende Persönlichkeiten zueiner derartig erfolgreichen und nachhaltig wirksamenForschungsgruppe zusammengeschlossen, wie die erstenPioniere der Kybernetik. Die Geschichte der Wissen-schaft der Kybernetik und die ihrer Pioniere ist gleich-zeitig die Geschichte vieler wesentlicher Errungenschaftendes zwanzigsten Jahrhunderts. Die Erklärung für ihre

Wirksamkeit ist in ihrer Geschichte wiein der Wissenschaft der Kybernetik selbstenthalten.

Woher kommt der Name„Kybernetik“?

Worte, die mit „Cyber-“ beginnen, sug-gerieren Modernität und technische Inno-vation. Aber der Begriff „Cyber-“ ist ur-alter Abstammung. Er hat ursprünglichmit Elektronik und elektronischen Datengar nichts zu tun. Dennoch soll diewichtigste Maschine von heute aus der

Kybernetik hervorgehen – der Computer. Das Wort„Kybernetik“ stammt vom altgriechischen Wortkybernétes ab. Es bedeutet soviel wie Steuermann. Manmeinte in der Antike damit den Steuermann einesSchiffes.

In Verbindung damit steht die Fertigkeit und Tätigkeitdes Steuerns und der Koordination, aber auch dasFühren der Besatzung eines Schiffes unter den verschie-densten Umständen: auf hoher See bis zum Hafen –bei ruhigem Wind bis zum tosenden Ozean, von einerkooperativen Mannschaft bis zur Meuterei, vonKriegen, Piraterie bis zur Entdeckung neuer Gebieteund Irrfahrten, man denke nur an Odysseus oderChristoph Columbus. Die Kybernetik hat allerdingsnichts mit der Nautik selbst zu tun. Kybernetik stehtvielmehr für die Befähigung, sich autonom durch einesich ständig ändernde Umgebung zu bewegen, unddamit für einen Regelungsvorgang.

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 10 von 28

Page 11: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

In der Wissenschaft tauchtdas Wort Kybernetik erstmals1834 beim französischenPhysiker André-MarieAmpère (1775 - 1836) auf.Er bezeichnete damit eineWissenschaft vom Beherrschenvon Vorgängen, an anderer Stelle nennt er es eineWissenschaft der Regierung. Aber Ampères Überlegun-gen haben noch nichts mit der heutigen Wissenschaftder Kybernetik zu tun.

Ein Jahrhundert später wähltder außergewöhnlich begabteamerikanische MathematikerNorbert Wiener den BegriffKybernetik für sein 1948 ver-öffentlichtes Grundlagen-werk Cybernetics: or Controland Communication in theAnimal and the Machine.Wiener war sich der antikenBedeutungen dieses Begriffesbewusst. Dass Ampère mehrals hundert Jahre zuvor mit diesem Wort schon miteinem ähnlichen Ansinnen operiert hat, wusste er zudiesem Zeitpunkt aber noch nicht.

Kybernetik – Regulierung/Steuerung undKommunikation im Lebewesen und derMaschine

Die mathematisch und philosophisch ausgerichtetePublikation von Norbert Wiener - Kybernetik – Regu-lierung/Steuerung und Kommunikation in Lebewesen undMaschine handelt von Regelkreisen und Rückkoppe-lungsmechanismen.

Eine der ursprünglichsten Anlässe war die Entwicklungvon Systemen für ein sicheres Flugwesen in militäri-schen Situationen. Das Wort Feedback im Sinne vonRückkoppelung ist heute allgemein bekannt. Wienerbeschreibt in diesem Buch die Regulierung der Vor-gänge aller lebenden, mechanischen und sozialen Sys-teme und ihre Wechselbeziehungen mit ihrer Umwelt.

Er und seine Forscherkollegen untersuchten die inne-ren und äußeren Verbindungen in unterschiedlichstenDingen und deren Zusammenwirken. In diesem Zu-sammenhang damit zeigte er die damit unvermeidlichverbundene Komplexität auf, die fast allen Wesenhei-ten, Fragen und Problemen in der Welt anhaftet.Norbert Wiener hat aufgezeigt, dass sie alle sich letzt-lich auf zwei Grundprobleme zurückführen lassen: aufProbleme von Control, das am besten mit Regulierungbzw. Lenkung übersetzt werden kann, und auf Prob-leme der Kommunikation.

Zirkularität, eine uralte Neuheit

Die Kernfrage der Kybernetik war, wie Komplexitätbegriffen und bewältigt werden kann. Wiener weistdarauf hin, dass die Funktionsweisen der Regulie-rung/Lenkung und Kommunikation in jeder Art vonSystem die selben Muster aufweisen. Das wesentlichsteMuster, von dem man ausgehen kann, wird dabei alsKreisläufigkeit bzw. „Zirkularität“ beschrieben.

Was war neu daran? Im Grunde gar nichts, außer dassdie uralte Sicht von Kreisläufen und Verbundenheit,wie sie seit Jahrhunderten in den Geheimwissen-schaften als Selbstverständlichkeit behandelt wurde,nun schärfsten wissenschaftlichen Untersuchungen undBerechnungen standhielt. Neu war die mathematischeSprache für die Phänomene der Natur aller Vorgänge.

Die „Väter“

Der Neurophysiologe Warren McCulloch, die Mathe-matiker Norbert Wiener, Walter Pitts und John vonNeumann, der Psychiater Ross Ashby, der Physiker

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 11 von 28

Page 12: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Heinz von Foerster und der Anthropologe GregoryBateson haben neben nicht minder wichtigen weiterenPionieren die ersten Bausteine für diese neue wissen-schaftliche Disziplin gelegt, wie das Gemeinsame allerGanzheiten auf abstrakter Ebene mit mathematischbegründeten Prinzipien beschrieben werden kann.

Heinz von Foerster ist einer der noch lebenden Mit-begründer der Kybernetik. Seine Erzählungen über dieAnfänge der Kybernetik machen diesen Gedankenbesonders anschaulich. Durch die Argumente vonHeinz von Foerster kann man den praktischen undrealistischen Hintergrund der Kybernetik leicht verste-hen. Sie lassen Vertrauen in ihre abstrakten, mathema-tischen Prinzipien setzen und lernen, wie sie vor allemauch auf die Dinge und Wesen in unserem Alltag über-tragen werden können.

Ein Pionier erzählt

Heinz von Foerster zeigt anschaulich, wie jede Art vonlebenden, sozialen und mechanischen System und dasErkennen selbst mit denselben Prinzipien analysiertund behandelt werden kann1: „Das griechische Wort fürSteuermann (kybernetes) bedeutet im Lateinischen „guber-nator“ und im Englischen „governor“. Ein amerikanischerGouverneur müsste eigentlich, folgt man der Wort-

geschichte, ein Kybernetiker sein. Aber was macht einSteuermann, der sein Schiff sicher in den Hafen hinein-manövrieren möchte? Er absolviert kein ein für allemalfestgelegtes Programm, sondern er variiert dies permanent.Wenn das Boot vom Kurs und seinem Ziel nach links ab-weicht, weil der Wind so stark bläst, schätzt er diese Kurs-abweichung ein, so dass er weiterhin auf den Hafen zu-fährt. Er versucht, den Fehler zu korrigieren. Und viel-leicht steuert er etwas zu stark gegen. Das Ergebnis ist wo-möglich eine Kursabweichung nach rechts - und die Not-wendigkeit, erneut gegenzusteuern. In jedem Moment wirddie Abweichung in Relation zu dem ins Auge gefassten Ziel,dem Telos, das zum Beispiel ein Hafen sein kann, korrigiert.

Das Betätigen des Steuers, eine Ursache, erzeugt also eineWirkung; das ist die Kurskorrektur. Und diese Wirkungwird wieder zu einer Ursache, denn man stellt eine neueKursabweichung fest. Und diese erzeugt ihrerseits eineWirkung, nämlich wiederum eine Kurskorrektur. SolcheSteuerungsvorgänge sind ein wunderbares Beispielzirkulärer Kausalität.

Die frühen Kybernetiker – Norbert Wiener, Claude Shannon,Warren Weaver, Ross Ashby - haben genau diesen Aspektimmer wieder betont. Sie machten deutlich, dass beispiels-weise der Steuermann seinem motorischen System „mit-teilen“ muss, wie und in welchem Ausmaß es das Steuerbewegen soll. Und diese Mitteilung über die Art undWeise der Bewegung im Verhältnis zu einem bestimmtenZiel kann man als einen Vorgang der Informationsaus-wertung begreifen. [...]

Das fundamentale Prinzip kybernetischen Denkens ist, someine ich, die Idee der Zirkularität. Da beginnt alles, vondort aus muss man weiterdenken, das ist die Basis. DasPrinzip der Zirkularität zeitigt enorme Folgen, wenn manes zu Ende und in die Tiefe denkt und mit erkenntnis-theoretischen Fragen verknüpft“.

Die Entschlüsselung des Funktionierens

Weitere Schilderungen von Heinz von Foerster gebenEinblick in die ersten Überlegungen und Erkenntnisseder kybernetischen Disziplin: „Dazu muss man wissen,dass das Studium zirkulär kausaler Prozesse das Konzeptder Teleologie für die frühen Kybernetiker interessantgemacht hat. Man stellte sich die Frage: Was macht man,

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 12 von 28

1 Alle zitierten Aussagen von Heinz von Foerster stammen aus „Wahr-heit ist die Erfindung eines Lügners“, Heinz von Foerster undBernhard Pörksen, Carl-Auer-Systeme-Verlag, Heidelberg, 1998.

Page 13: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

um an ein Ziel zu kommen? Wie geschieht das? Wie lassensich Maschinen bauen, die auf ein Ziel zusteuern?Können wir mit Hilfe dieser Einsichten lebende Wesenbesser verstehen? Norbert Wiener, Arturo Rosenblueth und Julian Bigelowhaben im Jahre 1943 das Konzept der Teleologie, das ausdem Mittelalter stammt, wieder in die Wissenschaft einge-führt. Der von ihnen verfasste Artikel hieß ‚Behavior,Purpose, and Teleology’. In einer kritischen Analyse desdamaligen en-vogue-Begriffs von Verhalten, der sich aus-schließlich mit der Beziehung eines „Outputs“ zu einem„Input“ beschäftigte, bemerkten sie, dass diese enge Defi-nition den handelnden Organismus, seine spezifischeStruktur und seine innere Organisation, die eben dieseBeziehung erwirkt, völlig ignoriert.

Man analysierte damals auch in einem anderen Zusam-menhang einen Frosch – und wies auf die Beobachtunghin, dass dieser sich im Wesentlichen auf ein Ziel, einTelos, zu bewegt, um beispielsweise eine Fliege zu fangen.Es war die Fokussierung auf das Phänomen der Ziel-strebigkeit, die lebende und technische Systeme ähnlicherscheinen ließ.“

Das Gemeinsame lebender und mechanischerSysteme

Das Phänomen zirkulärer Kausalität wurde also durchdie Erforschung zielorientierter Prozesse offenbar. Damitein Ziel erreicht werden kann, müssen einzelne Verhal-tensweisen und Handlungen ständig angepasst undkorrigiert werden. Das eigene Handeln wird somit zurUrsache eigener Handlungen. Durch die Idee der Teleo-logie eröffnete sich die Suche nach einer eventuellenGemeinsamkeit zwischen lebenden und mechanischenSystemen.

Dazu Heinz von Foerster: „Was man zunächst entdeckte,war eine technische Sprache, die sich benutzen ließ, um

die Operationen lebender Wesen zu erklären. Bitte erin-nern Sie sich, dass ich eine Erklärung als eine semantischeBrücke beschrieben habe, die zwei Beobachtungen mit-einander verknüpft. Sie ist ein Phänomen der Sprache.Man stellte die Frage: Wieso hüpft der Frosch an einenbestimmten Ort? Und fand die Antwort: Weil er die Fliege,die sich an diesem Ort befindet, fressen will. Was geschah,war, dass man eine semantische Relation konstruierte, dieder causa finalis des Aristoteles ähnelt: Die Ursache liegtin der Zukunft, die Handlung in der Gegenwart. DasHüpfen des Frosches erschien als sein Versuch, ein bes-timmtes Ziel zu erreichen.“

0 oder 1

Heinz von Foerster schildert weitere Denkansätze, dielebende Wesen und Maschinen den frühen Kyber-netikern ähnlich erscheinen ließen: „Im Jahre 1943veröffentlichten der Neurophilosoph Warren McCullochund ein junger, brillanter Mathematiker, Walter Pitts,eine Arbeit, die von entscheidender Bedeutung war. Sietrug den Titel ‚A logical calculus of the ideas immanent innervous activity’ und handelte von der Funktionsweiseund Impulsaufnahme und -weitergabe von Neuronen.

McCulloch und Pitts zeigten, dass eine einzelneNervenzelle die merkwürdige Eigenschaft besitzt, dass sie,wenn ein Reiz sie erreicht, entweder reagiert oder nichtreagiert, aber nichts tut, was zwischen Reaktion undNichtreaktion liegt. Sie feuert oder sie feuert nicht, schicktüber das Axon einen elektrischen Impuls oder schickt ebenkeinen Impuls. Wenn dieser elektrische Impuls nun einezweite Zelle erreicht und wenn diese Zelle womöglichnoch von anderen Zellen Impulse bekommt, dann entste-hen merkwürdige Kombinationen. Und wieder gilt: Diesezweite Zelle, die von verschiedenen anderen ZellenImpulse bekommt, feuert oder feuert nicht.

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 13 von 28

Page 14: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

McCulloch und Pitts haben gesehen, dass sich dieseAktivität einer Zelle als die Errechnung einer logischenFunktion begreifen lässt, die da lautet: Ja oder nein!Feuern oder Nichtfeuern! Vor dem Hintergrund dieserÜberlegungen wurde es schließlich möglich, sichNervennetze vorzustellen, die alle logischen Funktionenerrechnen. Und dann begann man weiter über dieseNervennetze zu spekulieren, die doch eigentlich, so glaubteman, in der Lage seien, über die Gültigkeit oderNichtgültigkeit eines Satzes zu entscheiden. Man gibteinen Satz in ein Nervennetz hinein - das letzte Neuron,das von dem Impuls dieses Satzes erreicht wird, feuertnicht: Der Satz ist also falsch! Oder es feuert: Der Satz istalso wahr!

Das Nervensystem lässt sich, ausgehend von diesenAnnahmen, als eine Art Rechner interpretieren, der einlogisches Kalkül durchführt. Und ein Neuron erscheintaus dieser Perspektive als ein Operator, der solche logischenFunktionen berechnet. Diese faszinierenden Ideen undphantastischen mathematischen Gebilde gestatteten esschließlich, künstliche neuronale Netzwerke zu bauen.

Von der Turing-Maschine über neuronaleNetze zum Computer

Diese Arbeit sollte gigantische Bedeutung für unsereheutige Gesellschaft haben. Heinz von Foerster erzählt,wie es auf diese Weise möglich erschien, die Aktivitätendes Gehirns technisch zu rekonstruieren: „Das Gehirnbesteht ja aus Neuronen, die über die Synapsen und dieAxone miteinander gekoppelt sind. Ein solches Nervennetzlässt sich dann als ein Rechner verstehen, der Induktionenund Deduktionen gewisser Aussagen und Beobachtungendurchführt.

Es war der berühmte Mathematiker John von Neumann,der diese Arbeit von McCulloch und Pitts zum Bau vonComputern verwendete. Er zeigte, dass die Turing-Ma-schine und das neuronale Netz, dessen FunktionsweiseMcCulloch und Pitts skizziert hatten, äquivalenteOperatoren darstellen. Auf diese Weise kam schließlich dieComputermetapher ins Spiel, die noch heute in der kogni-tionswissenschaftlichen Forschung prägend ist: Manglaubte, die neuronalen Strukturen, aus denen das Gehirnbesteht, nachzubilden, indem man einen Elementar-computer schuf, der auf den Einsichten von McCullochund Pitts basierte. Der Bau von Computern, die ver-meintlich nach den Prinzipien der Neuronen funktion-ierten, gestattete schließlich den Rückschluss: Das Gehirnerschien als ein gewaltiger Parallelcomputer.“

Der Irrtum über die künstliche Intelligenz

John von Neumann dachte anden Bau künstlicher Gehirne

und wies wiederholt auf die Ähnlichkeit hin, die zwis-chen den Schaltelementen in Rechensystemen und denNeuronen bestünden. Heinz von Foerster relativiert:„Allerdings betrieben nicht allein und ausschließlich diefrühen Kybernetiker diese Parallelisierung von Menschund Maschine oder von Gehirn und Computer; auch dieJournalisten haben an der Verbreitung dieser Analogienihren ganz gewaltigen Anteil. Es klang einfach aufregend,wenn man schreiben konnte: Das Gehirn funktioniert wieeine Maschine, ja, schlimmer noch, es ist nichts anderesals eine Maschine. Und dann die etwas unheimlicheUmkehrung dieser Analogie:Diese Maschine arbeitet wie das menschliche Gehirn.

Natürlich ist es durchaus verständlich, dass man dieFähigkeiten des eigenen Körpers auf etwas Anderes pro-jiziert, das kommt häufig vor. In diesem Sinne sprichtman von Beinen und Gelenken bei Möbeln undMaschinen. Und so wollten in den vierziger Jahren einigeAutoren die schnellen Rechner durch eine sprachlicheVerkleidung und bestimmte Metaphern verständlichmachen. Sie schrieben über das „elektronische Gehirn“und das „Gedächtnis der Maschinen“. Obwohl niemandwusste und weiß, wie das Gehirn oder das Gedächtnisfunktionieren, erschien es irgendwie witzig und unterhal-tend, eine Undurchsichtigkeit durch eine andere zu erk-lären.“

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 14 von 28

Page 15: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Was zu Irrtümern verführt

Wo sind die Möglichkeiten und Grenzen künstlicherRechner zu suchen? Heinz von Foersters Überlegungendazu: „Es ist durchaus möglich, eine Operation, die dasGehirn durchführt, mit Hilfe eines maschinellen Mecha-nismus zu charakterisieren. Das ist in Ordnung.Natürlich kann ich metaphorisch sagen, dass das Gehirn,wenn mir kalt ist, den Wärmeknopf aufdreht. Und dassder Thermostat entsprechend eine bestimmte Außen-temperatur erfühlt – und ebenso eine Art Wärmeknopfbetätigt. Selbstverständlich ist es legitim, ein Phänomenoder eine Gruppe von Phänomenen mit Hilfe einerMetapher zu beschreiben, wobei man natürlich immer imBewusstsein behalten sollte, dass jede Beschreibung for-maler, mathematischer, quantitativer oder auch poetischerNatur immer nur einen Vergleich darstellt.

Wenn man aber die metaphorische Beziehung umkehrtund sagt: So wie diese Maschine, so funktioniert auch dasGehirn, dann wird es gefährlich; man glaubt, das Gehirnzu verstehen, weil man den maschinellen Mechanismusbegriffen hat, von dem man ausgeht. Man meint, dasGedächtnis zu begreifen, wenn man es als einenSpeichermechanismus metaphorisiert – und beginntvielleicht nach dem Ort zu suchen, an dem einebestimmte Information „gespeichert“ sein soll.Die Folge ist: Blindheit gegenüber demWunder des Gehirns.

Mir ist diese Gefahr schon ziemlich frühbewusst geworden, und ich habe daherimmer wieder derartige Metaphern undAnalogien kritisiert. Aber man hat mirnicht zugehört; ich sprach ins Leere. Wasmir zentral erscheint, ist, dass ein Computeroder eine beliebige Maschine synthetisch hergestelltsind: Sie sind von uns gebaut worden und wir wissendaher auch, wie sie funktionieren. Und wenn man vonder Funktionsweise einer solchen Maschine auf das Gehirnoder den Menschen zurückschließt, dann entstehtfälschlicherweise die Idee, man habe jetzt auch das Gehirnund den Menschen verstanden.

Das ist das Problem: Man schließt von etwas, was bekanntund verstanden ist, auf etwas Unbekanntes und Unver-standenes – und meint daher leichtsinnigerweise, manhabe auch dies begriffen. Übersehen wird, dass es Systemegibt, die prinzipiell nicht analysierbar sind. Wer das ein-mal verstanden hat, dem werden diese ganzen Metaphernsuspekt.“

Die Einbeziehung des Beobachters

Die damals und heute noch verwendeten Metaphernzeigen die mechanistische und eigentlich naive Denk-weise des damals noch bestens etablierten mechanisti-schen Weltbilds. Man ging und geht häufig immernoch von der vollständigen Durchschaubarkeit derPhänomene aus. Zum menschlichen Gehirn wurde ineinem herkömmlichen Verständnis die Analogie zurMaschine – zum Computer – hergestellt, und vomComputer zum Gehirn. Beides wurde als ein Infor-mationsspeicher betrachtet, der auf Abfrage die er-warteten Ergebnisse hervorbringt. Dass dies weder vonGehirnen noch von Computern in allen Fällenerwartet werden kann, diese Erfahrung ist alltäglich.

Heinz von Foerster erklärt, wie es dazu kommt, dassdie tatsächlichen Wirkungsweisen der Dinge so miss-verstanden werden können: „Der Irrtum dieser glänzen-den und hochbegabten Männer war es zu glauben, manbekomme immer bessere Modelle, um das Gehirn zu ver-stehen. Aber was hier übersehen wurde, war, dass man einGehirn braucht, um ein Gehirn zu verstehen und Modellevon ihm zu entwickeln. Eigentlich muss man sich selbst

erklären und verstehen, um das Gehirn zu begreifen.

Die Struktur der Theorie, die ich meine, mussden Anspruch erfüllen, sich selbst zu

beschreiben: Das ist, symbolischgesprochen, der Ouroboros, die Schlange,die sich in den Schwanz beißt. Auch hierkommt wieder das Phänomen derZirkularität ins Spiel. Und ich habe ver-

sucht, als ich mit meinem Koffer europäi-scher Überlieferung in Amerika ankam und

mit den frühen Kybernetikern zusammenar-beitete, darauf aufmerksam zu machen, dass das

Konzept der Zirkularität auch in erkenntnistheoretischerHinsicht fundamental ist und sehr weitgehendeKonsequenzen hat.

Was entsteht, ist eine vollkommene andere Haltung ge-genüber dem, was man erklären will. Man gerät in eineSchleife hinein, die einen mit dem jeweiligen Gegenstandund Objekt der Betrachtung verbindet. Man muss nichtnur das Gehirn eines anderen erklären, sondern auch nochdas eigene, mit dem man diese Erklärung ausarbeitet.

Auf einmal sprechen die Kybernetiker über sich selbst, aufeinmal entsteht eine Kybernetik der Kybernetik oder eineKybernetik zweiter Ordnung: Die Kybernetik erster

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 15 von 28

Page 16: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Ordnung trennt das Subjekt vom Objekt, sie verweist aufeine vermeintlich unabhängige Welt ‘da draußen’. DieKybernetik zweiter Ordnung oder die Kybernetik derKybernetik ist selbst zirkulär: Man lernt sich als einen Teilder Welt zu verstehen, die man beobachten will. Diegesamte Situation der Beschreibung rutscht in einenanderen Bereich, in dem man plötzlich für seine eigenenBeobachtungen die Verantwortung übernehmen muss.“

Zirkuläre Kausalität, Dynamik und Sprache

Zirkuläre Kausalität, das wichtigste kybernetische Grund-prinzip, enthält die Kreisläufigkeit allen Erkennens. ImRahmen der Kybernetik kamen neue Logiken auf, dieden beobachtenden Menschen in dieser Sicht von Kreis-läufen, die immer wieder auf ihn zurückkommen,miteinbezogen. Diese Denkweise ist für den Managerund das Management von fundamentaler Bedeutung.Sie beschreibt seine tatsächliche Lage in einer sichständig verändernden, dynamischen Welt, mit der er inWechselwirkungen verbunden ist.

Heinz von Foerster schließt seine Erzählung ab: „Mankann nicht zweimal in dasselbe Gesicht schauen. Das ein-mal gesehene Gesicht sieht man nie wieder, es ist - so wiealles andere – für immer vergangen. Aber ich kann zwei-mal in das Gesicht von Onkel Theobald schauen, denn esist die Sprache, die den Strom der Zeit anhält. Es existiertkeine Statik, es gibt keine Endgültigkeit des Anfangs unddes Endes. Diese Purzelbäume, die hier vollführt werden,lassen sich lernen, ja, ich würde sogar sagen: Man kannsie im Moment des Purzelns genießen.“

Die Macy-Konferenzen

In der Kybernetik hat man die Naturgesetze der Regulie-rung, Lenkung, der Rekursivität oder Rückbezüglichkeitund der Informationsübertragung gesucht und entdeckt.

Funktionieren hat Gesetze

Die fundamentalste Erkenntnis war dabei, dass die Wirk-oder Funktionsweisen in all diesen Systemen Kreisläufesind. Diese Überlegung stand konträr zum damalsquasi noch „absolut“ herrschenden, mechanistischenWeltbild, demgemäß angenommen wurde, dass jeweilsein bestimmter Input in einer linearen Abfolge zueinem bestimmten Output führt. Diese linearenVorstellungen sollten durch die stark von der moder-nen Physik beeinflussten Beobachtungen der kreisläufi-gen Funktionsweisen durch die Kybernetiker in dennächsten Jahrzehnten abgelöst werden.

Vernetztes Denken

Norbert Wiener und seine Forscherkollegen bildeten inAmerika eine Wissenschafts-Elite, die durch zahlreicheeuropäische, vor allem deutschsprachige, in die USAemigrierte Forscher bereichert worden war. Ihre Arbeitwurde von der Josiah Macy Foundation unterstützt. ImRahmen der berühmtem Macy-Konferenzen sollten sieihre neue, wissenschaftliche Disziplin und damit die Ab-grenzung zu den bereits etablierten, akademischen Fä-chern definieren und be-gründen. Diese neue Disziplinführt den vielzitierten Paradigmenwechsel von einemlinear-technomorphen zu einem ganzheitlichen, vernet-zten und organismisch-evolutionären Denken herbei.

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 16 von 28

Page 17: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Wie die Väter derKybernetikgemanagt haben

Die Arbeit und das Management der Pioniere der Ky-bernetik zeichnen sich durch eine außergewöhnlichgute Zusammenarbeit und ein völlig anderes Verständ-nis des Umgangs miteinander aus. Praktisch keine dersonst auf Universitäten regelrecht üblichen Art undWeise einer konkurrenzierenden Koexistenz kamendabei zum Tragen, hingegen aber das Optimieren dereigenen und gemeinsamen Wirksamkeit. Sie schufeneine hochwirksame, soziale und organisatorische Ord-nung, indem sie ihre eigenen Erkenntnisse auf sichselbst anwandten. Die Geschichte, wie die kybernetischeDisziplin zu ihrem Namen kam, macht das besondersanschaulich.

Einer, der kaum Englisch sprechen konnte

Dass sich der Begriff Kybernetik letztlich als Name fürdiese Wissenschaft etabliert hat, ist auf Heinz vonFoerster zurückzuführen. 1948 erschien sein BuchDas Gedächtnis – eine quantenmechanische Untersuchung.Diese Publikation brachte dem Wiener Physiker 1949eine Einladung von Warren McCulloch in die USA zur6. Macy-Konferenz am 24. und 25. März.

Es kam zu einem ersten persönlichen Gespräch mitWarren McCulloch – mehr oder weniger einer derUrväter der Kybernetik. Heinz von Foerster wagtekaum zu hoffen, dass er sich durch McCullochs Hilfein den USA etablieren könnte. Während er mit ihmüber seine Arbeit spricht, meint er, mehrmals undeutlich

seinen Namen aus den Lautsprechern am Gang gehörtzu haben. Als er sicher war, dass er sich nicht täuschte,fragt er McCulloch, was es bedeute, dass sein Nameständig ausgerufen werde? McCulloch antwortet völliggelassen: „Sie werden uns jetzt dann gleich einen Vor-trag über Ihr Buch halten.“

Heinz von Foerster sprach damals nur wenige Worte Eng-lisch. Er fiel aus allen Wolken. Für Warren McCullochwar das kein Grund, seine Pläne zu ändern. Heinz vonFoerster musste seine Erkenntnisse in der Konferenzpräsentieren. Er kämpfte sich während seines nun fol-genden Vortrags mit seinen komplizierten, mathemati-schen Formeln durch. Die deutschsprechenden Teil-nehmer der Konferenz halfen ihm, seine Gedankenrichtig zu übersetzen.

Die Kybernetik erhält ihren Namen

Anschließend fand die Geschäftssitzung der Konferenzstatt. Man bat Heinz von Foerster, inzwischen draußenzu warten. Nach der Sitzung holte man ihn wieder dazu.Man habe den Inhalt seines Vortrages für hochinteres-sant befunden, verkündet Warren McCulloch als Vor-sitzender der Konferenz nun dem angespannt warten-den Heinz von Foerster. Aber man habe ebenso fest-gestellt, dass sein Englisch eine einzige Katastrophe sei.Deshalb habe man überlegt, wie er möglichst schnellund gründlich Englisch lernen könne. Heinz vonFoerster, so habe man eben beschlossen, werde zumHerausgeber der Berichte der Macy-Konferenzenernannt.

Der Forscher aus Wien, der eben erst in den USA ange-kommen und zum erstenmal mit höchst mangelhaftenEnglischkenntnissen als Vortragender aufgetreten war,sollte also die Beiträge dieser amerikanischen Wissen-schafts-Elite dokumentieren. Derartiges Vertrauen, einederartige Herausforderung und eine derartige Konzen-tration auf den Inhalt, in der die Form keine Bedeu-tung hatte, waren für den Heinz von Foerster eine tiefprägende Erfahrung.

Aber schon den Titel der damaligen Konferenz, er lautetezu deutsch Zirkulär-kausale Rückkoppelungsmechanismenin biologischen und sozialen Systemen, konnte Heinz vonFoerster auf englisch kaum aussprechen, und an dieserStelle zeigt sich der für diese Forscher oft typische Witz.Heinz von Foerster nahm seine Ernennung zum Heraus-geber beeindruckt an und umschiffte seine erste Klippegekonnt: Er würde diese große Aufgabe sehr gerne

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 17 von 28

Page 18: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

übernehmen. Doch der Titel dieser Konferenz sei nichtnur für ihn selber, sondern allgemein viel zu schwerfäl-lig, um eine Neuheit wirksam zu vermitteln. Er schlagedaher vor, diese Konferenzen nach Norbert WienersBuch einfach Kybernetik zu nennen, und die gegenwär-tige Bezeichnung nur als Untertitel zu benutzen. Esfolgte Gelächter und herzlicher Applaus aller Teilneh-mer. Seinem Vorschlag wurde einstimmig zugestimmt.Norbert Wiener verließ daraufhin mit Tränen in denAugen den Raum, um seine Ergriffenheit zu verbergen.

Eine neue Kultur des Denkens und Handelns

„Die Atmosphäre war freundlich und von einer intensivenund furchtlosen Kreativität. Niemand achtete auf Äußer-lichkeiten und die Etikette.“ schildert Heinz von Foersterdie ungewöhnliche, aber nicht von ungefähr konstruk-tive Stimmung, die unter den Kybernetik-Pionieren ge-herrscht hat und unter wahren Kybernetikern heute nochherrscht. „Was mich ergriffen hat, war die Begeisterung,mit der man hier diskutierte und das noch Unfertigegemeinsam zu Ende dachte. Es gab eine kreative, dasVerbindende betonende Dynamik und ein beständigesFragen nach Zusammenhängen und den Möglichkeiten,ein Konzept oder eine Idee weiterzuentwickeln. Niemandhat sich mit diesem öden, akademischen Ritual des Dis-kreditierens abgegeben. Was mich so begeisterte, war, dassdiese Menschen nicht nur über die Kybernetik, sondernauch miteinander sprachen, es war ein Fest der Verstän-digung und ein Geben und Nehmen, das immer dieIntegrität des anderen würdigte ...“ 2

Das Wissenschaftvon der effektivenOrganisationAus den Schilderungen von Heinz von Foerster gehthervor, dass hier Ansätze zu einer neuen Kultur desHandelns und Denkens geschaffen wurden. Vielleichtunter diesem tiefen Eindruck, wie die Kybernetiker dieKybernetik auf sich selbst und auf die Organisation derMacy-Konferenzen anwandten, sollte er selbst seineKybernetik der Kybernetik oder die Kybernetik zweiterOrdnung formulieren, auf die man sich zwar in Publi-kationen häufig bezieht, die aber zu seinem eigenenBedauern regelmäßig missverstanden wird.

Stafford Beer definiert die Kybernetik als Wissenschaftvon der effektiven Organisation, während FredmundMalik es vorzieht, von der Wissenschaft des Entstehensund Schaffens von Ordnung zu sprechen. Die Unter-scheidung einer Kybernetik erster und zweiter Ord-nung bei Heinz von Foerster hat nichts mit Ordnungim Sinne von Geordnetheit und Unordnung zu tun.Sein Ordnungsbegriff ist in diesem Zusammenhang aufein mathematisches Verständnis zurückzuführen.Weil im Zusammenhang mit Management mit derKybernetik zweiter Ordnung häufig Verwirrung gestiftetwird, soll an dieser Stelle näher darauf eingegangenwerden, bevor die Entstehung der Management-Kyber-netik behandelt wird.

Unterscheidung

Die Kybernetik zweiter Ordnung bei Heinz von Foersterenthält die ursprünglichen Prinzipien der Kybernetik.Es ist also keine neue oder bessere Kybernetik als dieerster Ordnung – das ist eines der häufigsten Missver-ständnisse. Die Differenzierung einer ersten und zwei-ten Ordnung dient dem Unterscheiden von zwei grund-verschiedenen Arten der Beobachtung.

Heinz von Foerster nennt es Kybernetik erster Ordnung,wenn es sich um Systeme handelt, die man als etwas

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 18 von 28

2 Die zitierten Aussagen von Heinz von Foerster stammen aus „Wahr-heit ist die Erfindung eines Lügners“, Heinz von Foerster undBernhard Pörksen, Carl-Auer-Systeme-Verlag, Heidelberg, 1998.Die Schilderung der Vorgänge während der 6. Macy-Konferenzstammt aus direkten Erzählungen Heinz von Foersters.

Page 19: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

von sich Unabhängiges beobachtet und bestimmt. Esgeht dabei mit anderen Worten um beobachtete Sys-teme. Zu ihnen gehören Regeln, Gesetze und festgeleg-te Theorien, also in einem bestimmten Rahmen als richtiggeltende Aussagen, etwa die Aussage in der Mathematik:1 + 1 = 2. Damit sind also Fragen gemeint, die bereitsentschieden worden sind, die prinzipiell entschiedenwerden können.

Es gibt aber auch Fragen, die prinzipiell unentscheid-bar sind. Ein Beispiel dafür ist: Ist der Nachbar derAutorin dieses Essays sympathisch? Dazu kann es einer-seits unterschiedliche Meinungen geben, ob sie richtigoder falsch sind, lässt sich andererseits nicht beurteilen.Ebenso können nur wenige beurteilen, ob sie überhaupteinen Nachbarn hat. Sympathie findet zwischen Men-schen statt, sie wird innerhalb der Grenzen seiner Hautempfunden.

Mit der Kybernetik zweiter Ordnung spricht Heinz vonFoerster Fragen an, bei denen es um Systeme geht, dieselbst beobachten. Im Zusammenhang mit beobachten-den Systemen entstehen Fragen, die prinzipiell nichtentscheidbar sind, zum Beispiel, wie die Welt wirklichentstanden ist, ob Jesus tatsächlich Gottes Sohn sei oderwie Aspirin auf einen bestimmten Patienten wirken wird.All dies sind Fragen, die jeder selbst entscheiden undfür seine Entscheidung auch selber die Verantwortungübernehmen muss.

Die zweite Ordnung ist nicht besser undwahrer als die erste

Beide Ebenen des Beobachtens und Entscheidens, dieHeinz von Foerster Kybernetik erster und zweiter Ord-nung nennt, sind relevant beim Entstehen effektiver

Organisation oder beim Schaffen von Ordnung imSinne von Aufgeräumtheit, ordentlichem Zustand.Erkenntnisse erster und zweiter Ordnung müssen je-weils zueinander rückgeschlossen werden. Hier liegtdas zweite für das Management sehr bedeutendeMissverständnis.

Gerade um Wirksamkeit und sinnvolle Ordnung zuschaffen, ist es nötig, auf Basis von Regelungen undfestgelegten Ordnungen zu operieren. Gleichzeitig gehtes aber darum, das eigene Wahrnehmen, Denken undHandeln in Bezug auf sich und seine Umgebung zureflektieren. Geschieht das eine ohne das andere, kannsich kaum sinnstiftende Ordnung entwickeln.

Das sture Handeln nach Regelungen und Vorschriftenallein wird den jeweils gegenwärtigen Anforderungenkaum gerecht werden. Sich ausschließlich damit zubeschäftigen, was man wahrnimmt und nur aus demheraus zu handeln, wird ebenfalls kritische Folgenhaben, wenn keine Regelungen des Zusammenwirkensverfolgt werden. Verbindet man aber beides miteinan-der, entsteht die Möglichkeit, die aktuellen Erfahrun-gen anhand der gültigen Regelungen zu bewältigenund die gültigen Regelungen anhand der laufendenErfahrungen zu optimieren. Mit anderen Worten gehtes um Lernen und Anpassung.

Ob es sich bei den Regelungen etwa um vorausgesetzteFormen der Höflichkeit und/oder konkret festgelegtebzw. vertraglich bindende Vorgehensweisen handelt, istunerheblich. Entscheidend ist, dass sie zur Wirkungkommen und dass sie den tatsächlichen Anforderungenangepasst werden. Die tatsächlichen Anforderungenkönnen aber nicht allein durch die Regelungen beant-wortet werden. Dazu braucht es den reflektierenden,beobachtenden Menschen, der sich laufend Urteiledazu bildet.

Wer vergäbe blind einen Kredit?

Die Feststellung von Heinz von Foerster zu einerKybernetik erster und zweiter Ordnung war, dass dieErkenntnisse über beobachtete Systeme anhand beob-achtender Systeme verbessert werden können und dasssich beobachtende Systeme auch an den Erkenntnissenüber beobachtete Systeme orientieren.

Ein praktisches Beispiel dazu, von dem so gut wie jederirgendwann betroffen ist: Eine Bank etwa vergibt aneinen Kunden auf Basis eines Kreditvertrags eine Summe

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 19 von 28

Page 20: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Geld, in der Erwartung, dass sie der Kunde mit denvereinbarten Zinsen pünktlich zurückbezahlen wird.Diese Erwartung basiert auf dem Erfahrungswissen,dass der Geldverleih auf diese Weise funktioniert undauf den daraus gefolgten, gesetzlichen und unterneh-merischen Regelungen. Dieses Wissen kann man derKybernetik erster Ordnung zuordnen.

Aber die Bank wird es nicht allein dabei belassen. Siewird kontrollieren, ob der Kreditkunde die Verein-barung einhält und ob es Veränderungen in seinenUmständen gibt, die ihn daran hindern könnten. Siewird sich also auch auf sich als beobachtendes Systemstützen. Gerät der Kreditkunde nun scheinbar oder tat-sächlich in Zahlungsschwierigkeiten, wird die Bank aufdie Regelungen im Kreditvertrag zurückgreifen, die fürdiesen Fall getroffen wurden. Sie wird etwa die vorzeit-ige Tilgung der Schulden einfordern. Die Information,dass ein bestimmter Kreditkunde möglicherweise nichtmehr zahlungsfähig ist, kann der Kybernetik zweiterOrdnung zugeordnet werden.

Nun könnte es sein, dass zu viele Bankkunden nichtmehr bereit sind, auf die Regelungen des vorgelegtenKreditvertrags einzugehen. Dann wird sich die Bankum kundenfreundlichere Regelungen bemühen müssen,also die Grundlagen erster Ordnung auf Basis der Be-obachtungen aus zweiter Ordnung verändern. Danngeschieht das, was Heinz von Foerster mit seiner Diffe-renzierung zwischen einer Kybernetik erster und zweit-er Ordnung meint: Jede davon ist sozusagen eine andereArt von Information oder Wissen, die eine theoretischer,die andere praktischer und aktueller Natur. Effektivitätentsteht aber erst dann, wenn man das Wissen beiderEbenen nutzt, miteinander verbindet und beide Artenvon Wissen durch die jeweils andere Art verbessert.

Ordnung verlangt die Rückkoppelungzwischen Theorie und Praxis

Die Phänomene, die der Kybernetik erster Ordnung(oder beobachteter Systeme) zuzuordnen sind, werdenan die Phänomene, die der Kybernetik zweiter Ord-nung (oder beobachtenden Systemen) zuzuordnen sind,angeschlossen und gleichzeitig wieder an jene ersterOrdnung zurückgekoppelt. Sie bilden dann zusammenein geschlossenes System. Obwohl auf natürliche Weisenur offene Systeme vorkommen, ist es in vielen Fällenmöglich, sie operativ oder kognitiv zueinander zuschließen. Die Folge davon ist höhere Stabilität,Effektivität und Evolutionsfähigkeit.

Kommen beobachtende Systeme zweiter Ordnung zurErkenntnis, dass eine Regelung, Erkenntnis oder Ent-scheidung auf Basis erster Ordnung nicht optimal ist,können diese Erkenntnisse erster Ordnung durch Er-kenntnisse und Entscheidungen aus zweiter Ordnungverändert werden.

Was Heinz von Foerster aufgezeigt hat, war also, dasssich nicht nur das Regulierungsverhalten der zweitenOrdnung auf den Regelungen der ersten aufbaut, son-dern dass sich die Regelungen erster Ordnung auch aufdie Regulierungen zweiter Ordnung aufbauen. Ersteund zweite Ordnung sind also als Kreislauf zu verste-hen, und nicht als lineare Abfolge, der eine dritte, vierteOrdnung usw. folgen könnte.

Die Rolle von Stafford Beer

Stafford Beer konnte be-reits auf den Erkennt-nissen der Kybernetik-Pioniere aufbauen. Alserfahrener Praktiker undwissenschaftlich fundierterForscher interessierte ihndie Anwendung derkybernetischen Natur-gesetze auf Organisatio-nen, Unternehmen,Institutionen. SeineModelle entstanden aus dem konsequenten Anwendender wesentlichen, kybernetischen Naturgesetze, sie wer-den in seinen Modellen alle gleichzeitig angewendet.Stafford Beer hat die weiter oben beschriebene „Mon-sieur Jourdain“-Erfahrung selbst gemacht. Er beschreibt,dass er sich von Beginn seiner Studien an mit vielenFachdisziplinen auseinandergesetzt hat. Dabei erkannteer mit jedem Einblick mehr die Gemeinsamkeiten derverschiedenen Fächer. Sein scharfer Blick für Trans-disziplinariät führte ihn zu den Vätern der Kybernetik.

In seinen eigenen Arbeiten hat er vor allem auf dieGrundlagen von Norbert Wiener, Warren McCullochund W. Ross Ashby zurückgegriffen und von Heinzvon Foerster vor allem dessen Prinzip der Selbstorgani-sation übernommen, in dem er beschreibt, dass sich inbestimmten Systemen unter bestimmten Voraussetzun-gen Ordnung und Unordnung von selbst regulieren.

Stafford Beer, der sich primär als Manager verstand, waraus pragmatischen Gründen daran interessiert, für die

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 20 von 28

Page 21: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Fragen des Managements fundierte Modelle und Metho-den zu finden, die auf jede Art von Organisation, Ein-richtung, Unternehmung oder Institution übertragenwerden konnten. Wie war das Gesetz von Erfolg undwas konnte man tatsächlich als Erfolg werten? Obwohler selbst immer schon eine außergewöhnliche Persön-lichkeit war, beeindruckten ihn Erklärungen wie etwadas Charisma von Führungskräften und die verschiede-nen Konzepte der Menschenführung wenig. Beer ver-stand, dass das Geschehen in Organisationen nur durchdie Ganzheit ihrer Strukturen und Prozesse zu erklärenist. Man konnte beides nicht trennen, aber wie mussteman es betrachten, damit Struktur und Prozess verbun-den werden konnten?

Hierarchie und Heterarchie in Organismenund Organisationen

In A Heterarchy ofValues Determined bythe Topology of NervousNet, zu deutsch etwaEine Heterarchie derWerte, gegeben durchdie Topologie von Ner-vennetzen widmet sichWarren McCulloch derFrage nach der Ord-nung in Nervensyste-men. Er kommt an-hand seiner Forschungs-ergebnisse zu demSchluss, dass in Ner-vensystemen über-haupt keine Ordnungim Sinne einer Hierarchie angelegt ist! McCullochwählte damals den Begriff der heute vielzitiertenHeterarchie – im Sinne einer Verständigungslinie aufhorizontaler bzw. gleicher Ebene – die zusätzlich zueiner vertikalen oder hierarchischen Informationslinievorhanden ist.

Die Nerven der Sinnesorgane an der Peripherie sendenihre Signale zum Gehirn und das Gehirn sendet gleich-zeitig seine Signale an die motorischen Nerven an derPeripherie. Schließlich nimmt ja nicht das Gehirn alserste Stelle den Impuls entgegen, dass etwa eineStoppuhr betätigt wird, sondern der Finger, der denKnopf berührt, so wie der Finger nicht selbst steuernkann, sich zurückzuziehen, sondern die Impulse aus

dem Gehirn dazu braucht. Genauso sieht Stafford Beerauch eine wirksame Ordnung durch eine intelligenteNachrichtenübertragung in Organisationen.

Es gibt keine kybernetische Überlegung, in der die Zeitnicht integriert wird. Was geschieht, passiert in einemzeitlichen Verlauf. So vorstellbar es ist, dass die Infor-mationen innerhalb eines Organismus regelrecht inEchtzeit übertragen werden, so rasch sollte es auch inOrganisationen geschehen können bzw. sollte eineeffektive Ordnung diese Wirkung erzielen.

Die Brücke

Wo war nun die Verbindung zwischen Struktur undProzess? Wie konnte aus beidem Eines werden?Nehmen wir das Beispiel, warum die Geschäftsführen-den der Macy-Konferenzen kein Problem damit hatten,Heinz von Foerster, der kaum englisch sprechen konnte,Karriere als Herausgeber einer wichtigen Schriftenreihein englischer Sprache machen zu lassen. Wichtig wardiesen Forschern, dass jeder, der wichtige Beiträge leistenkonnte, so gut wie möglich in das Verständigungsnetzdieser ersten Kybernetiker integriert wurde. Das Ergeb-nis der Hirnforschung von Heinz von Foerster war fürsie bedeutend, er sollte also mehr auf diesem Gebietbeitragen. Sein schlechtes Englisch hätte das aber schwie-rig gemacht. Das Feedback, das von Foerster erreichte,war also: mehr Hirnforschung – weniger schlechtesEnglisch. Warum sagte man ihm dann nicht, er sollezuerst besser Englisch lernen und dann erst wiederkommen? Weil er auf keine Weise effektiver undschneller lernen hätte können, gute Schriften der Macy-Konferenzen herauszugeben, denn als Herausgeber.Man hatte also das Ergebnis Heinz von Foersters direktan eine nächste Aufgabe angebunden.

Das weit verbreitete, soziale Rangdenken war für dieKybernetiker erster Stunde irrelevant. Sie verfolgteneine ganz andere Strategie – Struktur, Prozess undErgebnis war für sie eine Einheit. Interessiert hat sie,wie die Botschaft über ein Ergebnis weiter behandeltwurde – das Feedback. Sollte eine Aktion verstärktoder reduziert werden und wie weit? Mit anderenWorten ging es ihnen um die Frage: Was macht manmit dem Ergebnis? Sie fragten nicht: Ist das Ergebnisgut oder schlecht? Sie fragten nicht: Wie spricht manüber gute und schlechte Ergebnisse und mit wem? Siefragten sich: Wie nützen wir Ergebnisse am besten, egalwie sie ausgefallen sind?

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 21 von 28

Page 22: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Das Viable System Model

Es entstand nicht nur im Computerbau durch dieArchitektur von John von Neumann ein neues Ver-ständnis für die Entstehung bzw. Errechnung von Ord-nung, sondern auch eine neue Sicht von der Archi-tektur der Organisation im Sinne eines sozialen Sys-tems. Stafford hat sie mit seinem Viable System Modelabgebildet. Er verband das Wissen über Nervensys-teme, Regulierung, Lenkung, Kommunikation undComputer mit seinen umfassenden, direkten Beob-achtungen des Managements unzähliger verschiedenerOrganisationen.

Die Suche nach dem Gesetz des Funktionierens vonManagement zeigte sich in den unterschiedlichstenkonkreten Erscheinungsformen als gemeinsames Mus-ter von fünf präzise bestimmbaren Regulierungsfunk-tionen, die durch eine bestimmte Konfiguration einesInformationsnetzes miteinander verbunden sind. SeineModelle und Methoden sorgen daher in Anlehnung anden lebensfähigen Organismus für Echtzeitinformationin und zwischen Organisationen und zwischen ihrenEinheiten. Dadurch gewinnen Organisationen die not-wendige Information über sich selbst und damit wer-den die Voraussetzungen für das Bewältigen vonKomplexität und das Erreichen der Ziele geschaffen.

Mit dem Viable System Model hat Stafford Beer dasGesetz des Funktionierens in Organisationen heraus-kristallisiert. Seine Architektur unterscheidet sich nichtnur total von Organigrammen, sondern sie beantwortetalle Fragen des organisationsweiten und übergreifendenManagements und zwar durch die Fragen der notwen-digen Funktionen, unabhängig, vom wem und womitsie ausgeführt werden. Die Frage nach den Befehls-ketten zwischen Menschen kommt hingegen nicht vor.

Entscheidend ist nicht die Orientierung an dem, werwas zu sagen hat, sondern an dem, welche Funktionennötig sind, damit eine Organisation effektiv arbeitenkann. Es gibt nur eine Ordnung von notwendigenAufgaben und Informationen, die nicht an die Machtvon Menschen gebunden ist, sondern an die Macht derNatur des Regulierens/Lenkens und Kommunizierens.Erfolg wird mit Lebensfähigkeit definiert – erfolgreichist, wer und was unabhängig von fremder Unter-stützung koexistieren kann.

Wenn man die Abbildung des Modells betrachtet, wirddeutlich, dass es sich um ein geschlossenes System han-delt. Die Idee der Schließung zwischen Grundlagen-

und Faktenwissen, aktuellem Erfahrungswissen und derEntscheidung aktueller Fragen bei Heinz von FoerstersKybernetik erster und zweiter Ordnung taucht hier bereitsin einer konkreteren Form der praktischen Anwendungauf.

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 22 von 28

Page 23: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Theorie und Praxis –kein ewiger Konflikt!

Die kybernetische „Weltsicht“ sollte in der breitenGesellschaft und vor allem bei Praktikern wesentlichrascher und breiter Akzeptanz finden, als in denSphären der bereits bestens etablierten Wissenschaften.Einerseits gelten viele Ideen der Kybernetik-Pioniereheute als so selbstverständlich, dass ihre Autoren garnicht mehr erwähnt werden. So gut wie jedem Mana-ger sind heute Regelkreise bekannt, so mancher weißnoch, dass er aus der Kybernetik stammt. Was dieKybernetik ist und dass den Regelkreis Norbert Wienererfunden hat, wissen nur wenige. Jeder Informatikerwird spontan John von Neumann als den Vater desComputers nennen. Dass er von McCulloch, Pitts undWiener maßgeblich beeinflusst wurde, wissen nur diewenigsten. Das Gesamthafte, die gebietsübergreifendenAuswirkungen ihres Werks, das Ausmaß seiner Bedeu-tung und die Chancen durch kybernetisches Wissen istaber viel zu wenigen bewusst.

Während die Grundlagen der Kybernetik nahezu sozu-sagen eine „Geheimwissenschaft“ geblieben sind, sahensich die praktisch tätigen Menschen in den später popu-lär formulierten Erkenntnissen und Denkweisen derKybernetiker in ihren eigenen Erfahrungen bestätigt.Viele Vertreter der bereits seit langem bestehenden,wissenschaftlichen Disziplinen sahen ihre eigenen Kon-zepte von den Aussagen der Kybernetik hingegen ernst-haft bedroht.

Der Unterschied zwischen herkömmlichemund kybernetischem Denken

Das Muster der überwiegend herrschenden Auffassungvon den Dingen lässt sich sinngemäß nach folgendemModell beschreiben: Wenn A etwas mit B tut entstehtC, und durch C entsteht in der Folge D, etc. Der ty-pisch sachtheoretische Charakter dieses Denkens istkaum zu übersehen – er fragt und beantwortet, wieetwas ist. Diese Sicht von Abfolgen sagt, was eine Sacheist oder tut, ohne die Umstände durch individuelle Be-ziehungen zu berücksichtigen.

Das kybernetische Denken lässt sich hingegen durchfolgendes Muster beschreiben: Wenn A etwas mit B

macht, was macht dann B mit A? Hier geht es um Be-ziehungsfragen und zwar im individuellen Fall. Es ist da-her kein Wunder, dass Praktiker viel eher durch diesesDenken zu erreichen waren, als Theoretiker. Was machtetwas oder jemand mit mir, wenn ich etwas mit jeman-dem oder etwas mache? – das ist die häufigste Frage,die sich der Mensch, und besonders der Manager stellt!

Control

Worte haben immer nur die Bedeutung, die man ihnengibt. Ob man sich an die Definitionen in Lexika hältoder an die eher informellen Sprachgewohnheiten einerKultur oder Person – jedem steht es im Grunde frei,wie er Worte, die er aufnimmt oder verwendet, deutet.Jedes Wort steht für eine Theorie, dafür, welchen Be-griff man sich von etwas gemacht hat, dafür, wie manetwas begriffen hat.

Die Interpretation des Wortes Control, das NorbertWiener verwendete, scheint im deutschsprachigenRaum nicht gerade wenig dazu beigetragen zu haben,dass man der Kybernetik vielfach mit Argwohn begeg-nete. Control wird im englischen Sprachgebrauch imSinne von regulieren, lenken, steuern oder beherrschen –etwa von einer Sprache, aber nicht im Sinne vonÜberwachung oder Machtausübung verwendet.Ob wegen mangelnder Sprachkenntnisse oder wegengegnerischer Taktik – Control wurde in Zusammen-hang mit Management häufig mit Kontrolle, Macht-ausübung, und Überwachung übersetzt. Ein ähnlichesSchicksal erlitt auch der Ansatz des Controllings – ausden selben semantischen Gründen. Allerdings konntenhier die Vorurteile rascher abgebaut werden.

Macht oder Regulierung?

Die gemeinte Bedeutung von Control trifft ebenso aufdie Vorgänge in Maschinen zu, etwa in Thermostaten,Wasserklosetten oder Antiblockiersystemen von Brem-sen. Hier kann von Gewalt und Macht keine Rede sein,sondern vielmehr von Regulierung und Steuerung.In Organismen und Organisationen geht es ebenso vielmehr um Koordination, Orientierung, Entscheidungund Anpassung, als um Macht. Im Gegenteil, geradeder Einsatz von Macht kann aus kybernetischen Grün-den ungünstig wirken.

Eine Reihe von Fehlinterpretationen und falscher Auf-fassungen von der Kybernetik verlangte den Pionieren

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 23 von 28

Page 24: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

der Kybernetik zeit ihres Lebens Aufklärungsarbeit ab.Jedem, der die Kybernetik richtig verstehen will, sei da-her heute noch die sorgfältige Primärliteratur der Pio-niere zu empfehlen. Bei einem der hervorragendstenLehrer der Kybernetik findet jeder Neueinsteiger kor-rekte und anschauliche Darstellungen im konkretenKontext unserer heutigen Gesellschaft und Welt:Frederic Vester.

Viele Definitionen – eingemeinsames Problem

Es gibt eine Reihe sehr unterschiedlicher Definitionen,mit der die Wissenschaft der Kybernetik erklärt wird.In der Folge werden einige davon vorgestellt, die denPionieren zugeschrieben werden oder zuzuschreiben sind.Es handelt sich dabei nicht zwingend immer um die-jenigen, die der jeweilige Autor letztlich als seine bestebeurteilt hat. Die Auswahl soll vielmehr die Vielfalt derErklärungen, was die Kybernetik ist, zeigen, die zwi-schen den Kybernetik-Pionieren nie zu Akzeptanzpro-blemen geführt haben. Entscheidend war für sie alledas Problem, das sie behandelten – das Problem vonControl und Kommunikation in komplexen Systemen.

Gregory Bateson

Kybernetik ist ein Zweig derMathematik, der sich mit denProblemen der Regelung, derRekursivität und der Informationbeschäftigt, so definiert derAnthropologe Gregory Batesondiese Lehre.

Stafford Beer

Stafford Beer, alsUnternehmensforscher,Neuropsychologe undMathematiker, definiert hingegen:Die Kybernetik ist die Wissenschaftvon der effektiven Organisation.

Gordon Pask

Eine der wohl abstraktestenFeststellungen stammt vom briti-schen Psychologen und PädagogenGordon Pask: Kybernetik ist dieWissenschaft von den vertretbaren Metaphern. Dass esauch nicht vertretbare Metaphern gibt, darauf habenHeinz von Foersters Erklärungen weiter obenanschaulich hingewiesen.

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 24 von 28

Page 25: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Warren McCulloch

Warren McCulloch sprach voneiner Erkenntnistheorie, die sich mitder Erzeugung von Wissen durchKommunikation befasst.

Heinz von Foerster

Heinz von Foerster hingegen legtsich nicht auf eine Definition fest,sondern betont, dass das fundamen-tale Prinzip kybernetischen Den-kens die Idee der Zirkularität ist.

Norbert Wiener

Die Definition, die einem breitenPublikum am ehesten eine klareVorstellung von der Kybernetikerlaubt, stammt von NorbertWiener: Kybernetik ist die Wissen-schaft von der Regulierung/Lenkungund Kommunikation im Lebewesen und der Maschine.

Fredmund Malik

Der ManagementtheoretikerFredmund Malik erklärt dieKybernetik als die Wissenschaft vonder Entstehung und Schaffung vonOrdnung.

W. Ross Ashby

Der Psychiater W. Ross Ashbyüberlegte, dass man von derKybernetik als der Wissenschaft vonder Praxis sprechen könnte.

Wissen, das sichverbinden lässtIn den Pionierzeiten der Kybernetik ging es darum,Grundregeln zu definieren und anzuwenden, durch dieSysteme kontrolliert werden. Später hat man versucht,zu verstehen, wie Systeme sich beschreiben, sich steuernund sich organisieren. Trotz ihrer relativ kurzen Ge-schichte hat man in der und durch die Kybernetik einInteresse für eine breite Palette von Prozessen entwickelt,die den Menschen als aktiven Organisator, als autono-mes, verantwortliches Individuum miteinbeziehen.

Die Kybernetik macht andere Disziplinennicht überflüssig

Die Kybernetik ist keine „Allwissenschaft“, die andereFachdisziplinen ersetzen könnte. Im Gegenteil, siebeschränkt sich auf das Problem von Regulierung/Len-kung und Kommunikation im Lebewesen und der Ma-schine. Diese Phänomene spielen jedoch in vielenwissenschaftlichen Fächern eine Rolle. Ihre konkretenErscheinungsformen sind unterschiedlich, aber diefachlich richtige Behandlung kann sich an ihren Natur-gesetzen orientieren. Die Kybernetik ist dazu diefächerübergreifende theoretische Grundlage, die sichjede Disziplin, in der diese Phänomene auftreten,zueigen machen kann.

Die Naturgesetze, die in der Kybernetik beschriebenwerden, treffen auf alle Angelegenheiten zu, in denenRegulierung, Lenkung und Informationsübertragungpassiert. Dazu ein einfacher Vergleich, den Stafford Beer

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 25 von 28

Page 26: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

verwendet: Jeder Mensch hat ein Skelett, das nach einemgemeinsamen Muster aufgebaut ist. Es unterscheidetsich in der Größe, Knochendichte und dergleichen,aber es sieht vom Bauprinzip her gesehen immer gleichaus. Um dieses Skelett herum sind die Menschen aberäußerst unterschiedlich. Es gibt alte, junge, große,kleine, kluge, weniger kluge, geschickte, tollpatschige,hell- und dunkelhäutige, etc. Darüberhinaus verändertsich ihre äußerliche Gestalt. Was sich nie ändert, ist dasBau- und Funktionsprinzip des gesunden Skeletts.

Abgesehen davon, dass das Wissen über den Aufbaudes menschlichen Skeletts notwendige Allgemein-bildung ist, gibt es ganz unterschiedliche Fachdiszi-plinen, die möglichst alles über das menschliche Skelettwissen müssen, etwa medizinische Fachkräfte, Sport-experten, Ballettlehrer, Bildhauer, Maler, Möbeldesigner,Biologen, Kleidermacher oder Sicherheitsexperten. Der Ballettlehrer braucht das Wissen über das mensch-liche Skelett aber aus ganz anderen Gründen, als derOrthopäde oder der Bildhauer. Alle drei Expertenhaben in der Regel keine Ahnung vom Fachbereich deranderen. Alle drei verstehen aber, wie das Skelett aufge-baut ist, und wie es funktioniert.

Mit dem Wissen über die Lenkung/Regulierung undInformationsübertragung ist es genau so. Es wird inden verschiedenen Fächern zu unterschiedlichstenZwecken eingesetzt. Das unterschiedliche Fachwissendes jeweiligen Spezialgebietes ist aber auf jeden Fallnötig. Die Fragen der Kommunikation etwa sind fürMedienbetreiber andere, als für Lehrer, Politiker, Ehe-leute, Produktionsleiter, Informatiker oder Telefonge-sellschaften. Aber sie alle haben eine gemeinsameHerausforderung zu bewältigen: effektive Informations-übertragung.

Ein Soziologe könnte mit der Kybernetik allein weniganfangen, ebenso wie ein Mediziner allein mit demWissen über die Anatomie, Physiologie und Pathologiedes Skeletts seinen Patienten nicht helfen könnte. Aberdie Verbindung des Wissens über das Bauprinzip desSkeletts mit dem Wissen über die Behandlung einesUnterschenkelbruches hilft sehr wohl. So ist es auch,wenn man das Wissen der Kybernetik mit dem Wissenaus anderen Fachgebieten verbindet. Wer etwa alsMarketingexperte die Kybernetik mit seinem Marketing-wissen verbindet, der wird nachhaltigere Strategienentwickeln.

Das Wissen der Kybernetik macht es den Mitgliedernverschiedener Disziplinen möglich, miteinander an

Lösungen von Problemen der Regulierung/Lenkungund Kommunikation auf einer gemeinsamen und ver-lässlichen Wissensbasis zu arbeiten. Ebenso können siedieses Wissen allein in ihrem eigenen Gebiet anwenden.

Durch die Kybernetik wurde das fächerübergreifendeVerstehen der verschiedenen biologischen, technischenund menschlichen Probleme der Regulierung undKommunikation möglich. Sie erlaubt bessere Erkennt-nisse über die Gestaltung von und in komplexenSystemen.

Eine Quelle des Fortschritts

Aus der Kybernetik entstand durch John von Neumannunter anderem die heute in den PCs eingesetzte Com-puter-Architektur und die in den Wirtschaftswissen-schaften bedeutende Spieltheorie. Aus Heinz von FoerstersBCL (Biologisches Computer Labor) gingen unter ande-rem künstliche Neuronen, ein dynamischer Signal-Analysator, ein Bildverarbeitungsgerät, ein Sprach-De-coder und ein in Echtzeit arbeitender Sprach-Prozessorhervor. Eine der revolutionärsten Erfindungen Heinzvon Foersters ist der wesentlich schneller als IBM-Ma-schinen arbeitende Parallelrechner, ein neuronalerRechner, der nach dem Prinzip neuronaler Netzwerkearbeitet. Diese bio-logischen Computer beeinflusstenauch das Viable System Model und Team Syntegrity® vonStafford Beer.

Aus der Kybernetik gingen viele wesentliche Dingeunserer heutigen Gesellschaft hervor. KybernetischesGedankengut findet sich heute in revolutionären Ar-beiten unter anderem innerhalb der Biologie, Medizin,

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 26 von 28

Page 27: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

der Kognitionswissenschaften, der Familientherapie,der Psychologie, der Computerwissenschaften und derManagementlehren wieder, um nur einige zu nennen.

Die Logik der Kommunikation,die Logik der Natur

Auch Paul Watzlawick ist z.B. einpopulärer und wichtiger Nachfol-ger der ersten Kybernetiker. Er hatzusammen mit Gregory Batesonmit der double-bind-theory eineumwälzende Theorie der Entste-hung von Schizophrenie vorgelegtund maßgeblich die systemischeFamilientherapie geprägt. Zusam-men mit Janet H. Beavin und

Don D. Jackson hat er eine umfassende und durchdrin-gend logische Theorie zwischenmenschlicher Kommu-nikation verfasst, die heute zum Grundwissen von je-dem gehören sollte, dessen Ergebnisse von zwischen-menschlicher Kommunikation abhängig sind.Der Grundstein dazu wurde unter anderem amBiologischen Computer Labor von Heinz von Foersteran der Universität von Illinois gelegt.

Ebenso populär wie der hervorragende Autor PaulWatzalwick ist als Kybernetiker einer zweiten Gene-ration der Biochemiker Frederic Vester. Er hat Enormeszur leicht verständlichen Darstellung kybernetischenDenkens und für gesunde ökologische Systeme geleistetund hochwirksame Instrumente zur Untersuchungkybernetischer Wirkweisen entwickelt, zum Beispielsein Sensitivitätsmodell.

Vom Spielzeug zur großen Gefahr?

Dass Lebewesen und Maschinen gemeinsame Funktions-prinzipien haben müssen, diese Idee geht weit vor dieGeschichte der Kybernetik zurück. Im Zusammenhangmit dem Bau von Automaten wurde vor allem Jaquesde Vaucanson berühmt. Er baute 1738 eine perfekteNachbildung einer Ente, die u.a. Nahrung „verdaute“.Während dieses Spielzeug noch durchaus eindrucksvoll,aber harmlos erschien, betrachtete man Norbert WienersBuch Cybernetics: or control and communication in theanimal and machine durchaus auch als Gefahr. SeineDefinition von Kybernetik erzeugte auch außerhalb derMacy-Konferenzen bald beträchtliches Interesse, aberauch das Bedenken, eine Wissenschaft der

Kommunikation und der Steuerung könnte von skru-pellosen Regierungen für Manipulationszwecke ver-wendet werden. Er befasste sich damit in seinem BuchThe human use of human beings.

Stafford Beer sollte 30 Jahre später mit seinem ViableSystem Model und seinen computergestützten Realtime-Informationen in Chile erneut mit ähnlichen Beden-ken konfrontiert werden.

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 27 von 28

Page 28: Ich wusste gar nicht - kybernetik.ch · Nachhaltigkeit Die Zeiten sind schwierig geworden, es muss uns immer rascher und besser gelingen, schwierige Probleme NACH-HALTIG zu lösen.Dieser

Traditionen undRichtungen

Von Anfang an bestanden einige Traditionen in derKybernetik nebeneinander. Eine davon beschäftigt sichmit zirkulärer Kausalität in Zusammenhang mit tech-nologischen Entwicklungen, der Regelung und derSteuerung, vornehmlich im Design von Computern,Automaten und von Organisationen.

Eine andere Tradition entstand im human- und sozial-wissenschaftlichen Kontext. Sie hebt die Epistemologiebzw. Erkenntnistheorie hervor, also die Frage: Wiekommen wir zu Wissen? In diesem Rahmen wurdenTheorien der Selbstreferenz erforscht, um Phänomenewie Autonomie, Identität und Zweck zu verstehen.

Anwendbar auf alle Probleme vonControl und Kommunikation

Die einen der Forscher auf diesem Gebiet beschäftig(t)ensich mit einer menschlicheren Welt, andere interessiert(e)vielmehr, wie die Menschen ihre Kulturen geschaffenhaben. Einige sind an den Systemen interessiert, wäh-rend sie diese beobachten, andere wiederum an denSystemen, die beobachten, wieder andere zielen daraufab, den Dialog, der zwischen Modellen oder Theorienund sozialen Systemen auftritt, zu verstehen.

Stafford Beer griff mit strenger, wissenschaftlicher Logikund mit strikter Verfolgung wirksamer, praktische

Konsequenzen das Entscheidende für die generellenFragen des Managements von Organisationen herausund beschrieb es in seinen Büchern. Warum er sichdiese Mühe gemacht hat, davon handelt das erste undletzte Kapitel.

Maria Pruckner: Ich wusste gar nicht, dass ich Prosa sprechen kann! Cwarel Isaf Institute

Erschienen: www.managementkybernetik.com© Copyright 2002 Cwarel Isaf Institute – All rights reserved

Seite 28 von 28