Ideen entstehen im Kopf

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16 | BOLD THE MAGAZINE BOLD THE MAGAZINE | 17 IDEEN ENTSTEHEN IM KOPF NICHT IM COMPUTER AUTORIN: N. SAADI „Bislang ist die Kampagne nur imaginär, aber wenn sie gut ankommt, werde ich sie wirklich umsetzen.“ Tatsächlich steht der Student bereits in Kontakt mit dem Kinderschutzbund und der Direktion seiner alten Schule. Gerade gestaltet er Schulungsmaterialien zum Thema, die parallel zur Aktion in den Klassen verteilt werden sollen. Auf dem Cover: ein junges Mädchen, das mit dem Kopf über der Toilettenschüssel hängt. „In den Konzeptionskursen geht mindes- tens die Hälfte des Semesters für die Ideenentwicklung drauf“, erklärt Detlef Wildermuth, der die European School of Design gemeinsam mit Ralph Thamm leitet. Beide sind seit über zwanzig Jahren in der Werbung tätig und gewannen höchste Auszeichnungen ihrer Branche. Wildermuth trägt eine schwarze Jeans und ein leicht zerknittertes Streifenhemd. Die blonden kurzen Haare stehen spike- artig ab. Seine blauen Augen lachen und strahlen vor Begeisterung. Offen- sichtlich macht er ihm Spaß, der Job als lässiger Schulleiter mit strengen Anfor- derungen. „Bei uns steht die gute Idee an erster Stelle – die Umsetzung ist ihr deutlich untergeordnet“, sagt Wilder- Die European School of Design in Frankfurt räumt Nachwuchspreise ab und verblüfft die Kreativszene mit originellen Arbeiten. Auf dem Lehr- plan der Akademie steht die syste- matische Entwicklung guter Ideen an oberster Stelle. Eine Schultoilette. Kotzgeräusche dringen aus der Kabine. An einer verschlos- senen Klotür haftet ein Aufkleber mit der Aufschrift: „Nur noch einmal Kotzen bis zum Tod!“ Die hereinkommenden Schüler bleiben stehen, gucken irritiert und unterhalten sich lebhaft über Slogan und Brechgeräusche. So zumindest stellt sich David Apel seine Kampagne vor. Apel studiert im sechsten Semester an der European School of Design, einer privaten Akademie, die ihre Studierenden zu Kommunikationsdesignern ausbildet. Dieses Halbjahr soll er das Thema Essstö- rungen im Fach „Konzeption/Ideenent- wicklung“ umsetzen. „Laut einer Studie leidet jedes dritte Mädchen im Alter zwischen 10 und 17 Jahren an einer Form von Essstörung. Diese Menschen erreichst du am besten an den Schulen“, erklärt der 24-Jährige seinen Ansatz. muth und wird ernst. „Das unterscheidet uns von anderen Schulen, die oft viel zu schnell mit Ausarbeitungen loslegen wollen.“ Die Studierenden der European School of Design müssen ihre Einfälle zunächst grob skizzieren. Pro Semester macht jeder bis zu fünfzig Ideenskizzen, die dann im Unterricht besprochen und fast immer verworfen werden. Wilder- muths trockenes „gabs schon“ ist der Todesstoß für eine Idee. Dann heißt es weiterscribblen, so lange, bis sie endlich kommt – die gute und vor allem auch neue Idee. „Die erste Idee ist eben fast nie die beste. Meist haben sie schon viele andere vor dir gehabt“ sagt Wildermuth mit Nachdruck. „Eine Idee ist letztend- lich nichts anderes als die Lösung eines Problems. Dadurch, dass wir uns intensiv mit dem Problem beschäftigen und tief in die Materie eintauchen, sucht das Gehirn – auch in vermeintlichen Ruhe- phasen – weiter nach Lösungen. Und wenn man schon glaubt, einem fällt nichts mehr ein, dann kommen sie doch noch, die neuen Ideen.“ Um den Studenten auf die Sprünge zu helfen, unterrichtet die Schule Techniken, die die Kreativität systematisch hervorkitzeln sollen. Durch Brainstormen, Assoziieren .. SCHWERPUNKT | KREATIVITÄT | EUROPEAN SCHOOL OF DESIGN

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Article about the special method of the European school of Design developing a process of creativity

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Ideen entstehen Im Kopf

nIcht Im computer AutorIn: n. sAAdI

„Bislang ist die Kampagne nur imaginär,

aber wenn sie gut ankommt, werde ich

sie wirklich umsetzen.“ Tatsächlich steht

der Student bereits in Kontakt mit dem

Kinderschutzbund und der Direktion

seiner alten Schule. Gerade gestaltet er

Schulungsmaterialien zum Thema, die

parallel zur Aktion in den Klassen verteilt

werden sollen. Auf dem Cover: ein junges

Mädchen, das mit dem Kopf über der

Toilettenschüssel hängt.

„In den Konzeptionskursen geht mindes-

tens die Hälfte des Semesters für die

Ideenentwicklung drauf“, erklärt Detlef

Wildermuth, der die European School of

Design gemeinsam mit Ralph Thamm

leitet. Beide sind seit über zwanzig Jahren

in der Werbung tätig und gewannen

höchste Auszeichnungen ihrer Branche.

Wildermuth trägt eine schwarze Jeans

und ein leicht zerknittertes Streifenhemd.

Die blonden kurzen Haare stehen spike-

artig ab. Seine blauen Augen lachen

und strahlen vor Begeisterung. Offen-

sichtlich macht er ihm Spaß, der Job als

lässiger Schulleiter mit strengen Anfor-

derungen. „Bei uns steht die gute Idee

an erster Stelle – die Umsetzung ist ihr

deutlich untergeordnet“, sagt Wilder-

Die European School of Design in

Frankfurt räumt Nachwuchspreise ab

und verblüfft die Kreativszene mit

originellen Arbeiten. Auf dem Lehr-

plan der Akademie steht die syste-

matische Entwicklung guter Ideen an

oberster Stelle.

Eine Schultoilette. Kotzgeräusche dringen

aus der Kabine. An einer verschlos-

senen Klotür haftet ein Aufkleber mit

der Aufschrift: „Nur noch einmal Kotzen

bis zum Tod!“ Die hereinkommenden

Schüler bleiben stehen, gucken irritiert

und unterhalten sich lebhaft über Slogan

und Brechgeräusche. So zumindest stellt

sich David Apel seine Kampagne vor.

Apel studiert im sechsten Semester an

der European School of Design, einer

privaten Akademie, die ihre Studierenden

zu Kommunikationsdesignern ausbildet.

Dieses Halbjahr soll er das Thema Essstö-

rungen im Fach „Konzeption/Ideenent-

wicklung“ umsetzen. „Laut einer Studie

leidet jedes dritte Mädchen im Alter

zwischen 10 und 17 Jahren an einer

Form von Essstörung. Diese Menschen

erreichst du am besten an den Schulen“,

erklärt der 24-Jährige seinen Ansatz.

muth und wird ernst. „Das unterscheidet

uns von anderen Schulen, die oft viel

zu schnell mit Ausarbeitungen loslegen

wollen.“ Die Studierenden der European

School of Design müssen ihre Einfälle

zunächst grob skizzieren. Pro Semester

macht jeder bis zu fünfzig Ideenskizzen,

die dann im Unterricht besprochen und

fast immer verworfen werden. Wilder-

muths trockenes „gabs schon“ ist der

Todesstoß für eine Idee. Dann heißt es

weiterscribblen, so lange, bis sie endlich

kommt – die gute und vor allem auch

neue Idee. „Die erste Idee ist eben fast

nie die beste. Meist haben sie schon viele

andere vor dir gehabt“ sagt Wildermuth

mit Nachdruck. „Eine Idee ist letztend-

lich nichts anderes als die Lösung eines

Problems. Dadurch, dass wir uns intensiv

mit dem Problem beschäftigen und tief

in die Materie eintauchen, sucht das

Gehirn – auch in vermeintlichen Ruhe-

phasen – weiter nach Lösungen. Und

wenn man schon glaubt, einem fällt

nichts mehr ein, dann kommen sie

doch noch, die neuen Ideen.“ Um den

Studenten auf die Sprünge zu helfen,

unterrichtet die Schule Techniken, die

die Kreativität systematisch hervorkitzeln

sollen. Durch Brainstormen, Assoziieren ..

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oder vergleichen kommen die grauen

Zellen auf Trab. „Ideen entstehen im Kopf,

nicht im Computer“. sagt Wildermuth. „In

der Konzeptionsphase sind Computer

bei uns in den Seminaren gar nicht zuge-

lassen.“

Die Methode zeigt Wirkung: Die Euro-

pean School of Design gehört zu den

kreativsten Designschulen der Repu-

blik. Gradmesser sind dabei die regi-

onalen und nationalen Nachwuchs-

preise, die die Hochschule im großen

Stil absahnt. Bis zur Präsentation nach

Paris schaffte es ein Kampagnenent-

wurf, für das neue BlackBerry Touch-

phone. „Berührung, die bewegt“ erzählte

anhand von Motiven aus Fingerabdrü-

cken eine animierte Liebesgeschichte.

Begleitet wurde sie von Apps, Printan-

zeigen und Augmented Reality-Anwen-

dungen. Das Werk gewann den silbernen

GWA Junior Award und Bronze beim ADC.

Lisa Wiedemann holte dieses Jahr sogar

Gold beim ADC-Nachwuchswettbewerb.

Die 23-Jährige entwickelte eine Bedie-

nungsanleitung zur Autowartung für

technisch Unbedarfte – vom Erklär-Falt-

plakat bis zur Ölwechsel-App. Schon

beim letzten Festival des Art Director

Club verursachte die European School of

Design preisgekrönten Wirbel: Die Frank-

furter beherbergten Studierende von

Kommunikationsschulen aus anderen

Städten und verwandelten ihre Schule

kurzerhand in ein „KreativLazarett“, das

mit dem ADC-Bronze-Nagel ausge-

zeichnet wurde. Über den Feldbetten

des studentischen Notlagers hingen

Bilder mit Ikonen der Kreativbranche.

Ein „Alptraumfernseher“ zeigte aktuelle

nervtötende Werbung in Endlosschleife,

die „Notdusche“ enthielt giftgrüne Seife

in einer Spritze. Bierernst geht es an

dieser Schule nicht zu, man ahnt es

schon. Trotzdem ist Kreativität harte

Arbeit. Fünfzig Stunden die Woche und

mehr sitzen die Studierenden an ihren

Werken, animieren Filme, verfremden

Fotos, gestalten Schriften oder orga-

nisieren Shootings. Zur Belohnung

gibt es Preise – oder die Aufmerksam-

keit der Medien. Letztere erreichte

eine Kampagne, die die Studierenden

2009 für die Hilfsorganisation Pro Asyl

entwickelt hatten: „Pro Asyl wollte eigent-

lich nur ein Plakat zum ‚Internationalen

Tag des Flüchtlings‘ von uns. Wir aber

sagten, ihr braucht eine Kampagne, die

die öffentliche Aufmerksamkeit erregt“,

erinnert sich Wildermuth. Stellvertretend

für die vielen Flüchtlinge, die auf ihrem

Weg nach Europa im Mittelmeer oder

auf dem Atlantischen Ozean ertrinken,

fotografierten sich die Studierenden als

Wasserleichen. Dabei trugen sie Schilder

wie „Ertrunken vor Malta“ oder „Ertrunken

vor Gibraltar“ auf dem Rücken. Die

lebensgroßen Motive druckten sie auf

Styropor, schnitten sie aus und warfen

die symbolischen Leichen in den Main.

„viele Zeitungen und selbst das Fern-

sehen haben über die Aktion berichtet“,

erzählt Wildermuth. „Hier hat eine gute

Idee die Organisation groß in die Öffent-

lichkeit gebracht.“

Nicht weniger Beachtung fand das

Siegermotiv eines Plakatwettbewerbs,

das eine Gruppe der European School .

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David präsentiert Ideen für seine „Kotz“-Aktion

an Schulen zum Thema Essstörungen.

ADC-Bronze:

„KreativLazarett“

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Mit Zivilcourage haben die Studenten der European School of Design

den MKN-Nachwuchspreis gewonnen.

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of Design entwickelt hatte: Typisch deut-

sche Gartenzwerge trafen auf ihre eigens

modellierten Pendants aus anderen

Kulturen. Gemeinsam formierten sie sich

zu einer fröhlich tanzenden Multi-Kulti-

Runde. Das Plakat, das für die „Interkultu-

relle Woche“ warb, hing in ganz Deutsch-

land aus. „Das Motiv war sogar Thema

beim Wort zum Sonntag“, erinnert sich

Thamm, der zweite Schulleiter, lachend.

„Hey – was sind schon Auszeichnungen

in Cannes oder auf dem ADC. Wir waren

beim Wort zum Sonntag!“

Geld verlangt die Schule nicht für die

echten Kampagnen, die sie hauptsäch-

lich für Non-Profit-Organisationen entwi-

ckelt. Dafür üben die Studierenden den

gängigen Prozess, den sie später für ihren

kreativen Berufsalltag brauchen: Brain-

stormen, vor dem Kunden präsentieren,

Ideen verkaufen und unter Zeitdruck

umsetzen – oder auch Enttäuschungen

verkraften, wenn die Dinge nicht so

klappen. Grau ist alle Theorie, und so

achten Wildermuth und Thamm auf eine

enge verzahnung von Schule und Praxis.

Das gilt auch für die Lehrenden selbst:

„Alle unsere Dozenten stehen im Berufs-

leben, das ist voraussetzung“, erklären die

Beiden. „Um den Studierenden wirklich

etwas beibringen zu können, müssen wir

im Job stehen. Sonst bekommen wir die

rasanten Entwicklungen in der Kommu-

nikationsbranche nicht mehr mit.“ Regel-

mäßig laden die beiden Schulleiter

Kreative ein. Marketingchefs, Art Direk-

toren oder Regisseure plaudern aus dem

Nähkästchen, um dem Nachwuchs ihr

Berufsleben näher zu bringen. „Irgendwas

mit Medien“ machen, wollen viele. Aktuell

arbeiten mehr Menschen im Kultur- und

Kreativsektor als in der Autoindustrie. Die

Branche gehört zu den umsatzstärksten

der deutschen Wirtschaft. Die Absol-

venten der European School of Design

haben trotz hoher Konkurrenz gute

Aussichten: „Top-Agenturen rufen bei uns

an und sagen: So gute Mappen haben

wir seit Jahren nicht mehr gesehen.

Könnt ihr uns noch mehr von euren

Studis schicken“, erzählt Wildermuth

nicht ohne Stolz. Einige seiner Schütz-

linge haben beim Pflichtpraktikum vor

der Abschlussprüfung schon den festen

Arbeitsvertrag in der Tasche.

Die Idee zur eigenen Designschule entwi-

ckelten Wildermuth und Thamm vor allem

durch unbefriedigende Erfahrungen im

Lehrbetrieb. Bis vor sechs Jahren unter-

richteten sie noch an anderen Akade-

mien und merkten schnell, was dort zu

kurz kam: Die Entwicklung von kraft-

vollen Ideen und der lebendige Bezug

zur Praxis. Studenten bedrängten die

zwei Kreativrebellen, doch bitte ihre

eigene Akademie zu gründen. „Was für

eine Schnapsidee“, dachten die beiden.

„Die Pleite ist vorprogrammiert“ unkten

andere. Im Sommer 2007 riefen sie dann

beim staatlichen Schulamt an: „Guten Tag.

Wir möchten eine Schule eröffnen.“

Link zum Thema:

www.europeanschoolofdesign.eu

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Der eigene Illustrations-Stil aus Fingerabdrücken,

für die BlackBerry-Kampagne: „Berührung, die bewegt“,

wurde mit Silber beim GWA Junior Award und Bronze

beim ADC Junior belohnt.