Identität statt Rasse - Folien

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»Identität« statt »Rasse«? Vortrag und Diskussion am 09. April 2013 Simone Borgstede und Sabine Ritter

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Hier sind die Folien vom Vortrag über den Zusammenhang von Identität, Ausgrenzung und Herrschaft. Eshandelt sich um eine historische Analyse von Identitätskonstrukten und dem, was damit einhergeht. Die Präsentation ist von Sabine Ritter (Uni Bremen) und Simone Borgstede (Uni Lüneburg). Organisiert wurde die Veranstaltung am 9.4.2013 im Lagerhaus in Bremen von der Linksjugend ['solid].

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»Identität« statt »Rasse«?

Vortrag und Diskussion am 09. April 2013

Simone Borgstede und Sabine Ritter

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»Identität« statt »Rasse«?

1. Einleitung: Zum Identitätsbegriff

2. Die Wiege der Demokratie und die Barbaren

3. Das Licht der Aufklärung und der Farbrassismus

4. Schluss, Diskussion

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»Identität« statt »Rasse«?

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»Identität« statt »Rasse«?

1. Einleitung: Zum Identitätsbegriff● Dimensionen von »Identität«:● Philosophisch● Psychologisch● Emotional● Geographisch● Kulturell● Historisch-Politisch

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»Identität« statt »Rasse«?

Begriffsbestimmung:● Verbundenheit des Individuums mit

einem Kollektiv/ mit einer größeren Bezugseinheit

● Abgrenzung von anderen Bezugseinheiten

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»Identität« statt »Rasse«?

→ Identitätsstiftung zwischen

Individuum und größerer

Bezugseinheit funktioniert nur über

gemeinsames Außen, das immer erst

hergestellt werden muss.

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»Identität« statt »Rasse«?

Entstehung von politischer Identität nach Richard Münch (1993):

● Homogenisierung nach innen● Abgrenzung nach außen● Inklusion der Peripherie ins Zentrum● Ausgleich innerer Spannungen

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»Identität« statt »Rasse«?

Ikonographische Anleihe mit völkischen Konnotationen und zugleich Anspielungen an die Jugendkultur

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»Identität« statt »Rasse«?

Jason mit dem goldenen Vlies - Anspielung auf die griechische Mythologie als Wiege Europas und der Demokratie

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»Identität« statt »Rasse«?

»ex oriente lux« - aus dem Osten kommt das Licht der Aufklärung!

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»Identität« statt »Rasse«?

2. Die Wiege der Demokratie und die Barbaren

● Zeitreise: Rassismus ohne ‚Rasse’ als

Herrschaftsideologie bei Platon: Griechen contra

Barbaren; Aristoteles: Sklaven = Barbaren

● Zugehörigkeit zur hierarchisch organisierten

Volksgemeinschaft über Konstruktion derjenigen, die nicht

dazugehören, als Untermenschen oder Unmenschen

● These: dieses ist Hintergrund der Parole 0 % Rassismus –

100 % Identität

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»Identität« statt »Rasse«?

● Athens Demokratie: Ausschluss des größeren Teils der Bevölkerung

und große soziale Ungleichheit. Zugelassen: freie griechische

Männer, die ständig in Athen lebten, über 30 Jahre alt waren, und

Grundbesitz hatten. Keine Frauen. Keine ‚Unfreien’. Keine Nicht-

Griechen. Keine Sklaven.

● 5. Jahrhundert v. C. in Athen: Freie Bürger 6-10 % der Bevölkerung,

ca. 30 % Sklaven, 8 % Metöken (freie Fremde)

● Platon (428/7-348/7): Aufgabe der Philosophie Legitimation von

Ständegesellschaft/sozialer Ungleichheit

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»Identität« statt »Rasse«?

„Wie aber ... können wir ... Rat schaffen für die untadeligen

und heilsamen Täuschungen, von denen wir vorher sagten,

es sei löblich, durch sie zu überreden die Befehlshaber

selbst, wo aber nicht, doch die übrige Stadt? ... Ihr seid nun

also freilich, werden wir ... zu ihnen sagen, alle, die ihr in der

Stadt seid, Brüder; der bildende Gott aber hat denen von

euch, welche geschickt sind zu herrschen, Gold bei ihrer

Geburt beigemischt, weshalb sie denn auch die Köstlichsten

sind, den Gehilfen aber Silber, Eisen hingegen und Erz den

Ackerbauern und übrigen Arbeitern.“ [Platon, Politeia 414b-

415a]

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»Identität« statt »Rasse«?

In Kriegen gegen die Perser kämpfen überwiegend

Athener aus den Unterklassen; Gefahr: Verbündung mit

den Sklaven, Rebellion; deshalb: Einbeziehung in

Demokratie; Platon verstärkt Abgrenzung zu ‚den

anderen’/Barbaren über ‚wir Hellenen/Griechen’.

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»Identität« statt »Rasse«?

„So edel und frei ist der Sinn dieser Stadt und so kräftig

und gesund und von Natur aus die Barbaren hassend,

weil wir ganz rein hellenisch sind und unvermischt mit

Barbaren. ... (A)ls reine Hellenen und nicht als

Mischlinge wohnen wir hier. Daher ist der Stadt ein ganz

reiner Haß eingegossen gegen fremde Natur.“ [Platon,

Menexenos 245 c, d]

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»Identität« statt »Rasse«?

Aristoteles (384-22) legitimiert Ständegesellschaft und Sklaverei; arbeitet

weiter an Abgrenzung des Handwerkers vom Sklaven:

„… wenn so die Weberschiffe selber webten und die Zitherschlägel von selber die Zither schlügen, dann freilich bedürfte es für die Meister nicht der Gehilfen und für die Herren nicht der Sklaven.“ [Aristoteles, Politik 1245 a]

„Die Stellung eines Handwerkers nämlich ist die einer begrenzten Sklaverei ..., aber Sklave ist einer von Natur, Schuster oder irgendein sonstiger Handwerker aber nicht.“ [Aristoteles, Politik 1260 b]

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»Identität« statt »Rasse«? Aristoteles fasst die für ihn wesentlichen Formen sozialer Ungleichheit in einer einzigen Argumentationslinie anhand angeblicher Komplementarität zusammen zur Definition des Sklaven von Natur als Barbaren:

„Vor allem ist es eine Notwendigkeit, daß, was nicht ohne einander bestehen kann, sich paarweise miteinander vereint, einerseits das Weibliche und Männliche um der Fortpflanzung willen ... andererseits das von Natur Regierte ... um der Lebenserhaltung willen; denn wer vermöge seines Verstandes ... vorauszuschauen vermag, ist von Natur aus das Regierende und Herrschende ..., wer aber nur vermöge seiner körperlichen Kräfte das Vorgesehene auszurichten imstande ist, ist von Natur das Regierte und Dienende ..., daher denn auch Herr ... und Sklave ... das nämliche Interesse haben. Von Natur nun ferner sind Weib und Sklave geschieden ... [Die Natur schüfe für jeden Zweck auch immer das geeignete Werkzeug.] Wenn aber bei den Barbaren Weib und Sklave dieselbe Stellung haben, so liegt der Grund hiervon darin, daß ihnen überhaupt dasjenige fehlt, was von Natur zum Regieren bestimmt ist ... Daher sagen denn auch unsere Dichter: „Ja, mit Fug den Griechen sind die anderenuntertan“, um damit auszudrücken, daß der Barbar und der Sklave von Natur dasselbe sind.“ [Aristoteles, Politik 1252 b]

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»Identität« statt »Rasse«?● Griechen=Gemeinschaft der Ungleichen, aber etwas ganz anderes als

Barbaren; deren Versklavung: natürlich, vernünftig, rechtens

● Barbaren auch wegen ihrer Strukturierung der Geschlechterverhältnisse

minderwertig – barbarisch = kulturlos – eine Operation, die heute gegenüber

Muslim_innen weit verbreitet ist, s. Kopftuchdebatte

● Philosophisches Erbe der Antike, auf das sich die Aufklärung bezieht, ohne

‚die anderen’ – die Muslime z.B. – nicht denkbar: in arabischen Zentren

wurden antike Schriften bewahrt und studiert, die in Europa als ketzerisch

galten

● Aktuelles Türkenbild/ Orientalismus – abgesehen von christlichen

Denunziationen im Rahmen der Kreuzzüge – aus dem 19. Jahrhundert, der

Zeit des Zerfalls des Osmanischen Reiches

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»Identität« statt »Rasse«?

3. Das Licht der Aufklärung und der Farbrassismus

● Aufklärung: Aufbruch aus der Unmündigkeit durch Adel und Kirche

● Französische Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit:

● Bürger forderten Beteiligung an der Macht, untere Klassen das Lebensnotwendige –

auch Frauen und Haitis Sklaven forderten Rechte: dagegen: neue Ein- und

Ausschließungskriterien

● Kant (1724-1804), maßgeblicher deutscher Vertreter der Aufklärung:

Entwickelt eine Geschichte des Fortschritts basierend auf Arbeit und Triebverzicht;

hetzt gegen diejenigen, die sich daran nicht beteiligen: ‚die Wilden’ der Südseeinseln,

oder die ‚Arbeitsscheuen’ –vgl. heute in Europa Rassismus gegen Roma und Sinti

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»Identität« statt »Rasse«?

Immanuel Kant: Mutmasslicher Anfang der Menschengeschichte

„Die leere Sehnsucht des von den Dichtern gepriesenen goldenen

Zeitalters ... eine Sehnsucht, die die Robinsone und die Reisen nach

den Südseeinseln so reizend macht.“ [S. 100-01]

„Zufriedenheit mit der Vorsehung und dem Gange menschlicher Dinge

im ganzen, der nicht vom Guten anhebend zum Bösen fortgeht, sondern

sich vom Schlechtern zum Besseren allmählich entwickelt; zu welchem

Fortschritte denn ein jeder an seinem Teile, so viel in seinen Kräften

steht, beizutragen durch die Natur selbst berufen ist.“ [S. 102]

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»Identität« statt »Rasse«? Kant verbindet zugeschriebene ‚Zivilisationsfähigkeit’ mit angeblichen Hautfarben; systematischer Entwickler eines Modells des Farbrassismus: europäische Identitätskonstruktion als Konstruktion der Weißen als ‚Rasse’, 3 weitere ‚Menschenrassen’ als ihr – abgestuft – unterlegen:

● „Americaner unempfindlich. Ohne affect und Leidenschaft als blos vor Rache. Freyheitsliebe ist hier bloße faule Unabhängigkeit. Sprechen nicht, lieben nichts, sorgen vor nichts ... nehmen gar keine Cultur an.

● Neger. Gerade das Gegentheil: sind lebhaft, voller affect und Leidenschaft. Schwatzhaft, eitel, den Vergnügen ergeben. Nehmen die Cultur der Knechte an ... und sind unfähig sich selbst zu führen. Kinder.

● Indianer. Sind gelassen, gleichsam selbstbeherrschend, nehmen die Cultur der Kunst an, aber nicht der Wissenschaft und Aufklärung. Sind immer Schüler, gut zu Bürgern und geduldig (emsig), aber nicht zu magistraten; denn sie kennen nur den Zwang...

● (Weisse:) Enthalten alle Triebfedern der Natur in affecten und Leidenschaften, alle Talente, alle Anlagen zur Cultur und Civilisierung und können sowohl gehorchen als herrschen. Sie sind die einzige, welche immer in Vollkommenheit fortschreiten... .“ (Kant, Anthropologische Notizen)

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»Identität« statt »Rasse«? Kant verbindet negative Charaktereigenschaften wie ‚unzivilisiert’ und ‚dumm’ insbesondere mit der Hautfarbe ‚schwarz’ und grenzt weiße Unterklassen von Afrikaner_innen ab:

„Die Negers von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege. Herr Hume fordert jedermann auf, ein einziges Beispiel anzuführen, da ein Neger Talente gewiesen habe, und behauptet: daß unter den hunderttausenden von Schwarzen, die aus ihren Ländern anderwärts verführt werden, obgleich deren sehr viele auch in Freiheit gesetzt werden, dennoch nicht ein einziger jemals gefunden worden, der entweder in Kunst oder Wissenschaft, oder irgend einer andern rühmlichen Eigenschaft etwas Großes vorgestellt habe, obgleich unter den Weißen sich beständig welche aus dem niedrigsten Pöbel empor schwingen und durch vorzügliche Gaben in der Welt ein Ansehen erwerben. So wesentlich ist der Unterschied zwischen diesen zwei Menschengeschlechtern, und er scheint eben so groß in Ansehung der Gemütsfähigkeiten, als der Farbe nach zu sein.“ [Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, S. 253]

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»Identität« statt »Rasse«? ● Für Kant muss es „von Europa kommen“ – nur Europäer = Weiße Träger des

Fortschritts

● Identitätsbildung durch Ein- wie Ausgrenzung: einzelne Menschen aus Unterklassen tun sich hervor, Afrikaner_innen nicht (aber: der schwarze Philosoph und Rechtsgelehrte Anton Wilhelm Amo aus Ghana lehrte 1736-8 an den Universitäten Halle und Wittenberg, 1739 in Jena)

● Othering nötig um Unterklassen hierarchisch in Gemeinschaft einzugliedern – ‚die anderen’ werden zu Untermenschen

● Weiß = ideale Norm. Schwarze/ People of Colour gelten als nicht vollwertig, nicht zu allem fähig

● Diese Identitätsentwicklung lief nicht ohne Brüche und Widerspruch – aber sie ist die der hegemonialen Identität, der Identität, die sich durchgesetzt hat und beginnt in der Antike ohne Hautfarben

● ‚Mensch’ der Aufklärung = weißer europäischer Mann, Mittelklasse

● Identität nicht positiv, sondern über Ausschluss und Denunziation des ‚Rests der Welt’ als faul, von Trieben gesteuert und deshalb geschichts- und kulturlos; kindisch, unmündig, knechtisch und nicht zu Selbstregierung geeignet

→ Diese europäische Identität/ weiße Vorherrschaft: zu 100 % rassistisch

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»Identität« statt »Rasse«?

4. Schluss:»Europäische Identität« doppelt problematisch:

● Konzept: funktioniert nur über Ausschluss und »Othering«

● Europäische Identität: historisch problematisch

● Und außerdem nicht denkbar ohne islamische Philosophie, arabische Kultur, afrikanische Bibliotheken ...

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»Identität« statt »Rasse«?

Diskussion:● Warum ist »Identität« für die europäische neue

Rechte so interessant? Und was macht »Identität« zu einem geeigneten rechten Konzept?

● Wieso bleibt es unhinterfragt?● Wie können wir uns zu »Identität« und der

identitären Bewegung verhalten?