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2008 Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München Zur Diskussion gestellt Annette Schavan, Bernhard Kempen, Jürgen Wuttke, August-Wilhelm Scheer »Blue Card« oder nationale Qualifikationsoffensive – was wird aus dem Wissenschaftsstandort Deutschland? Stefan Sell Nachtrag: Reform der Agenda 2010: Notwendige Korrekturen oder Rückschritt? Kommentar Jürgen Kromphardt Eine Gegen-Anmerkung zur Reallohnentwicklung in Deutschland Hans-Werner Sinn Replik zu Kromphardt Forschungsergebnisse Monika Ruschinski Die deutsche Dienstleistungs- und Warenausfuhr im Rückblick: Gibt es markante Unterschiede im Wachstum? Christian Baretti, Maria Doina Radulescu und Michael Stimmelmayr Die Unternehmensteuerreform 2008: ein Stückwerk? Im Blickpunkt Hans G. Russ ifo Konjunkturtest Januar 2008 ifo Schnelldienst 61. Jg., 4.–5. KW, 31. Januar 2008 2

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2008

Institut fürWirtschaftsforschungan der Universität München

Zur Diskussion gestelltAnnette Schavan, Bernhard Kempen, Jürgen Wuttke, August-Wilhelm ScheerQ »Blue Card« oder nationale Qualifikationsoffensive – was

wird aus dem Wissenschaftsstandort Deutschland?

Stefan SellQ Nachtrag: Reform der Agenda 2010: Notwendige

Korrekturen oder Rückschritt?

KommentarJürgen KromphardtQ Eine Gegen-Anmerkung zur Reallohnentwicklung

in Deutschland

Hans-Werner SinnQ Replik zu Kromphardt

ForschungsergebnisseMonika RuschinskiQ Die deutsche Dienstleistungs- und Warenausfuhr im

Rückblick: Gibt es markante Unterschiede im Wachstum?

Christian Baretti, Maria Doina Radulescu und Michael StimmelmayrQ Die Unternehmensteuerreform 2008: ein Stückwerk?

Im BlickpunktHans G. RussQ ifo Konjunkturtest Januar 2008

ifo Schnelldienst61. Jg., 4.–5. KW, 31. Januar 2008

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ISSN 0018-974 X

Herausgeber: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München,Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: [email protected]: Dr. Marga Jennewein.Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Dr. Chang Woon Nam,Dr. Gernot Nerb, Dr. Wolfgang Ochel, Dr. Martin Werding.Vertrieb: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V.Erscheinungsweise: zweimal monatlich.Bezugspreis jährlich:Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,–Studenten EUR 48,–Preis des Einzelheftes: EUR 10,–jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Pro Design.Satz: ifo Institut für Wirtschaftsforschung.Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.

ifo Schnelldienst

»Blue Card« oder nationale Qualifikationsoffensive – was wird aus dem Wissenschaftsstandort Deutschland?

Die Europäische Kommission plant, mit einer »Blue Card« verstärkt Experten ausDrittstaaten zu locken. Wäre es nicht sinnvoller, in eine bessere Ausbildung im Inlandzu investieren? Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung,stellt die vom Bundeskabinett am 9. Januar 2008 verabschiedete Qualifizierungsini-tiative »Aufstieg durch Bildung« vor. Sie enthält Maßnahmen, die Bildungschancenzu stärken, die Durchlässigkeit im Bildungssystem zu erhöhen und innovative Im-pulse zusetzen. Es zeichne sich allerdings ab, dass »wir ohne gezielte Zuwanderungvon Fachkräften nicht auskommen«. Angesichts der sehr heterogenen Arbeits-marktverhältnisse in Europa könne aber eine einheitliche Regelung niemals den Be-dürfnissen aller Länder gleichermaßen gerecht werden. Deshalb sei einer nationalenZuwanderungslösung den Vorrang gegenüber einer europaweiten »Blue Card« zugeben. Aus Sicht des Wissenschaftlers und Universitätslehrers hat Bernhard Kem-pen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, mit dem EU-Vorstoß durch-aus Sympathie; denn gerade die Wissenschaft lebe von Mobilität, und für die Insti-tution Universität sei der grenzüberschreitende Austausch unerlässlich. Leider sei zubezweifeln, dass Europa im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe at-traktiv genug sei. Umso wichtiger seien zusätzliche Mittel zur Sicherung der Ausbil-dungsqualität. Für Jürgen Wuttke, BDA, wäre es nötig, vor allem für die Zielgruppeder hoch qualifizierten Zuwanderer ein klares positives Signal zu setzen und die Nie-derlassungserlaubnis für sie zu erleichtern. Darüber dürfe aber auch die Aktivierungund Qualifizierung des inländischen Erwerbspersonenpotentials nicht vernachläs-sigt werden. Nach Meinung von August-Wilhelm Scheer, Präsident des BITKOM,müssten sowohl der nationale Fachkräftemarkt entwickelt als auch die Zuwande-rungsgesetzgebung modernisiert und das internationale Marketing des Arbeits-standortes Deutschland verbessert werden. In diesem Kontext sei die »Blue-Card«-Initiative der Europäischen Kommission zu begrüßen. Leider habe die deutsche Po-litik das »Blue-Card«-Konzept abgelehnt, das sei umso schädlicher, da das nationa-le deutsche Zuwanderungssystem weiterhin nicht optimal sei.

Nachtrag: Reform der Agenda 2010: Notwendige Korrekturen oder Rückschritt?

Ergänzend zu den Beiträgen im ifo Schnelldienst 23/2007 sieht Stefan Sell unab-hängig von der Frage der Laufzeit der Versicherungsleistung bei den Arbeits-marktreformen im Kontext der Agenda 2010 das zentrale Dilemma in der Einsei-tigkeit dieser Reformen. Es wurde, seiner Meinung nach, versäumt, eine »Win-Win-Situation« zu schaffen, wie sie etwa das dänische Flexicurity-Modell biete.

Eine Gegen-Anmerkung zur Reallohnentwicklung in DeutschlandJürgen Kromphardt

Im ifo Schnelldienst Nr. 19/2007 sprach sich Hans-Werner Sinn in seiner »Anmer-kung zur Reallohnentwicklung in Deutschland« gegen die Einführung von Min-destlöhnen aus, da diese zu Arbeitsplatzverlusten führen würden. Jürgen Kromp-hardt, TU Berlin und ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrates zur Begut-achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, interpretiert die vorliegendenDaten in eine andere Richtung und zieht einen entgegengesetzten wirtschaftspo-litischen Schluss.

Replik zu KromphardtHans-Werner Sinn

In seiner Replik zu Jürgen Kromphardts »Gegen-Anmerkung« führt Hans-WernerSinn aus, dass Kromphardts Aussagen über die Lohnstückkosten und die Erhö-hung der Stückgewinne für sich genommne zwar korrekt, seine Schlussfolgerung,dass die höheren Stückgewinne auf einen unausgenutzten Spielraum für Lohn-

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Zur Diskussion gestellt

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Kommentar

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steigerungen hindeuten, aber falsch seien. Bei der Berechnung der Lohnstück-kosten und der Stückgewinne werde der Lohn nur mit der durchschnittlichen Ar-beitsproduktivität verglichen. Wolle man feststellen, was die Arbeit allein zur Pro-duktion beisteuert, müsse man die Grenzproduktivität der Arbeit betrachten. Nursie bestimme in der Marktwirtschaft, wie hoch der Lohn sein kann, denn nur bei ei-ner Entlohnung nach dem Grenzprodukt reiche der Gesamtwert der Produktionüberhaupt aus, alle Produktionsfaktoren zu entlohnen. Sinn weist auch das Argu-ment, höhere Mindestlöhne würden die Güternachfrage steigern, zurück. DiesesArgument übersehe, dass Einkommen nicht nur Lohneinkommen seien und eineLohnerhöhung das Einkommen einer Volkswirtschaft nicht vergrößern, sondernbestenfalls anders verteilen könne. Die Arbeiter hätten mehr, die Unternehmer we-niger. Das hieße, dass die Arbeiter mehr konsumieren, aber die Unternehmer ihreGüterkäufe stattdessen einschränken würden.

Die deutsche Dienstleistungs- und Warenausfuhr im Rückblick: Gibt es markante Unterschiede im Wachstum? Monika Ruschinski

In den letzten Jahren erwiesen sich die deutschen Exporte als der Konjunkturmo-tor der deutschen Wirtschaft, und Deutschland wurde als Exportweltmeister nochvor den USA gefeiert. Tatsächlich gilt der Titel jedoch nur für die Warenausfuhr. Be-rücksichtigt man auch Dienstleistungsexporte, so haben weiterhin die VereinigtenStaaten die Nase vorn. In diesem Beitrag werden daher Datenreihen für die deut-sche Warenausfuhr und für die deutsche Dienstleistungsausfuhr getrennt über ei-nen langen Zeitraum hin untersucht, um die strukturellen Eigenschaften der Zeit-reihen deutlich machen zu können. Die Untersuchung zeigt, dass die Waren- undDienstleistungsausfuhr verschiedene zyklische Verhaltensmuster aufweisen, undauch bei den saisonalen Effekten gibt es deutliche Unterschiede. Zudem machtdie Trendanalyse deutlich, dass die Warenausfuhr und der Dienstleistungsverkehrzum Teil recht unterschiedlichen Wachstumspfaden folgen.

Die Unternehmensteuerreform 2008: Deutschlands Antwort auf die Globalisierung – oder doch ein Stückwerk?Christian Baretti, Doina Maria Radulescu und Michael Stimmelmayr

Zum Jahresbeginn trat die Unternehmensteuerreform 2008 in Kraft. Christian Ba-retti, Doina Maria Radulescu und Michael Stimmelmayr untersuchen hier, inwieweitdie Reform die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland verbessert wird.Ihrer Ansicht nach wird die Senkung der Körperschaftsteuerbelastung für Kapital-gesellschaften diesem Ziel gerecht. Den weiteren – insbesondere zur Gegenfinan-zierung – ergriffenen Maßnahmen fehlt es jedoch an Stringenz. Trotz positiver Sig-nalwirkung zeugt die Steuerreform daher an vielen Stellen von Stückwerk.

ifo Konjunkturtest Januar 2008 in KürzeHans G. Russ

In der gewerblichen Wirtschaft Deutschlands hat sich das Geschäftsklima im Ja-nuar leicht verbessert. Zwar beurteilten die befragten Unternehmen ihre aktuelleGeschäftslage etwas weniger günstig als im Vormonat, die Erwartungen für daskommende halbe Jahr lassen jedoch erhöhte Zuversicht erkennen. Der Großteilder Meldungen ging allerdings noch vor dem Einsetzen der Finanzkrise ein.

Forschungsergebnisse

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Im Blickpunkt

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Aufstieg durch Bildung: DieQualifizierungsinitiative derBundesregierung

Bildung und Qualifizierung sind derSchlüssel für die Zukunft unseres Lan-des genauso wie für Wohlstand und ge-sellschaftliche Teilhabe aller Bürgerinnenund Bürger. Qualifizierte Fachkräfte si-chern das wirtschaftliche Wachstum. Wirbrauchen deshalb einen Aufbruch zumehr Bildung und Qualifizierung – in derBreite wie in der Spitze!

Eine zukunftsorientierte Wirtschaftspo-litik muss dafür sorgen, dass alle Men-schen in Deutschland ihre Fähigkeitenund Talente in ihrer Vielfalt entfalten kön-nen. Das Bundeskabinett hat in seinerSitzung am 9. Januar 2008 die Qualifi-zierungsinitiative »Aufstieg durch Bil-dung« verabschiedet. Damit wurde einwichtiges Reformwerk für die zweiteHälfte der Legislaturperiode auf den Weggebracht. Es enthält Maßnahmen, dieBildungschancen stärken, die Durchläs-sigkeit im Bildungssystem erhöhen undinnovative Impulse setzen. Diese Initia-tive ist ein wichtiger Beitrag zur besse-ren Qualifizierung der Menschen in un-serem Land und damit zur Sicherungdes künftigen Fachkräftebedarfs inDeutschland.

Die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften steigt

Das weltweit verfügbare Wissen verdop-pelt sich alle fünf Jahre. Im globalen Wett-bewerb um die besten Köpfe, um die in-novativsten Produkte, Dienstleistungenund Verfahren kann Deutschland nur mit-halten, wenn wir ganz auf Innovation,ganz auf Forschung und Entwicklungsetzen.

2007 war Deutschland Dank seiner ho-hen Innovationskraft zum fünften Mal inFolge Exportweltmeister: In der Industriezählen 65% der deutschen Unterneh-men zu den Innovatoren – mehr als in je-dem anderen europäischen Land. 2005exportierte Deutschland 428,3 Mrd. € anforschungsintensiven Industriewaren.Das sind 54% des Gesamtexportvo-lumens.

Diese Zahlen belegen: In der Wirtschaftfindet ein Strukturwandel zu wissensin-tensiven Branchen statt. Die Folge: Eineimmer größere Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften. Dieser Trendwird sich unabhängig vom konjunkturel-len Aufschwung fortsetzen. Deutschlandbraucht immer mehr Menschen mit ei-ner fundierten fachlichen akademischenAusbildung.

Schon heute verzeichnen wir einen wach-senden Fachkräftemangel. Viele Unter-nehmen beklagen, dass sie wichtige Po-sitionen nicht besetzen können, weil siekeine geeigneten Bewerberinnen und Be-werber finden. Besonders Absolventinnenund Absolventen in den Fächern Mathe-matik, Informatik, Natur- und Technikwis-senschaften, den so genannten MINT-Fä-chern, sowie mit Abschlüssen auf Tech-niker- und Meisterebene werden dringendgesucht.

Dieser Mangel an höher qualifiziertenFachkräften wird sich durch den demo-graphischen Wandel noch weiter ver-schärfen. Bis zum Jahr 2013 werden330 000 Akademikerinnen und Akade-miker im Bereich der gewerblichen Wirt-schaft – davon 70 000 Naturwissen-schaftlerinnen und Naturwissenschaft-

wird aus dem Wissenschaftsstandort Deutschland?»Blue Card« oder nationale Qualifikationsoffensive – was

In den Zukunftsbranchen besteht ein Bedarf an Fachkräften, insbesondere an Ingenieuren, aber

auch an Naturwissenschaftlern. Vor diesem Hintergrund plant die Europäische Kommission, mit

einer »Blue Card« verstärkt Experten aus Drittstaaten zu locken. Ist Europa im internationalen Wett-

bewerb um die besten Köpfe attraktiv genug? Und ist es nicht sinnvoller, in eine bessere Ausbil-

dung im Inland zu investieren?

Annette Schavan*

* Dr Annette Schavan ist Bundesministerin für Bil-dung und Forschung.

Zur Diskussion gestellt

ler sowie 85 000 Ingenieurinnen und Ingenieure – in denRuhestand gehen.

Politik und Wirtschaft müssen deshalb dringend dafür sor-gen, dass die wirtschaftliche Stärke und der Aufschwungin Deutschland nicht durch eine mangelnde Fachkräfteba-sis gefährdet werden.

Die Bundesregierung wird ein Freiwilliges Technisches Jahreinführen, um die Bereitschaft, technische und naturwissen-schaftliche Studiengänge zu wählen, zu steigern und mit-telfristig die Studienabbruchquote zu senken. Im Rahmendieses Projektes, das im Frühjahr 2008 starten soll, könnenjunge Menschen in außeruniversitären Forschungseinrich-tungen oder in innovationsstarken Unternehmen Berufs- undPraxiserfahrungen sammeln und damit die Startbedingun-gen für ihr Studium verbessern.

Die Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung:Aufbruch zu mehr Bildung und Qualifizierung – inder Breite wie in der Spitze

Das Potential der in Deutschland lebenden Menschen istgroß. Es geht deshalb bei der Debatte um den Fachkräfte-mangel stets um zweierlei: Zum einen müssen Ausbildungund Weiterbildung für die in Deutschland lebenden Men-schen gestärkt werden. Zum anderen zeichnet sich ab, dasswir ohne gezielte Zuwanderung von Fachkräften nicht aus-kommen.

Für die Bundesregierung stehen Bildung und Qualifizierungder in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger anerster Stelle. Sowohl volkswirtschaftlich als auch sozial istes nicht zu verantworten, die Fähigkeiten und Potentiale die-ser Menschen brach liegen zu lassen, anstatt sie für Wirt-schaft, Wissenschaft und Gesellschaft wirken zu lassen. Wirmüssen allen Frauen und Männern in unserm Land die Chan-ce geben, an der Entwicklung unserer Gesellschaft teilzu-haben und ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Nie-mand darf durch fehlende Bildungschancen zum Moderni-sierungsverlierer werden.

Deshalb setzen wir mit der Qualifizierungsinitiative schonbei der frühkindlichen Bildung an. Die Bundesregierung wirdim Frühjahr 2008 eine Fortbildungsinitiative für 80 000 Er-zieherinnen und Erzieher sowie Tagesmütter und Tagesvä-ter starten. Daneben unterstützen wir die Einführung von sogenannten Bildungshäusern, um das gemeinsame Lernenam Übergang von der Kindertagesstätte zur Grundschule zuverbessern. Auch die Initiative »Haus der kleinen Forscher«soll mit Unterstützung der Bundesregierung ausgebaut wer-den. Bis zum Jahr 2010 wollen wir damit 10 000 Kinderta-gesstätten erreichen. Damit wollen wir jeder Kinderbetreu-ungseinrichtung und jeder Grundschule in Deutschland den

Zugang zu unterstützenden Angeboten in den Naturwis-senschaften und in der Technik eröffnen.

Für zu viele Jugendliche endet die Schulzeit in einer Sack-gasse ohne Ausbildungsperspektive. Fast 10% der Jugend-lichen verlassen die Schule ohne einen Abschluss. Rund15% der jungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren blei-ben ohne Berufsabschluss. Das sind eindeutig zu viele.

Die Bundesregierung unterstützt die Anstrengungen der Län-der zur Halbierung der Schulabbrecherzahl. Dazu wollen wirdie Zusammenarbeit von Schulen und überberuflichen Be-rufsbildungsstätten durch Praxisphasen und -klassen für dieSchulabgängerinnen und -abgänger verbessern. Zudem sol-len etwa 1 500 so genannte harte Schulverweigerer wiederin den Schulen eingegliedert werden. Auch wollen wir denEinsatz von hauptberuflichen Berufseinstiegsbegleiterinnenund -begleitern sowie von ehrenamtlichen Ausbildungspa-tinnen und -paten fördern.

In der beruflichen Bildung fördert die Bundesregierung biszum Jahr 2010 insgesamt 100 000 zusätzliche Ausbildungs-plätze für Altbewerberinnen und Altbewerber. Betriebe, diemit besonders förderungsbedürftigen jungen Menschen ei-nen Ausbildungsvertrag abschließen, bekommen dafür ei-nen Ausbildungsbonus. Je nach Höhe der jeweiligen Aus-bildungsvergütung soll der Bonus zwischen 4 000 und6 000 € betragen.

Außerdem will die Bundesregierung junge Erwachsene oh-ne Berufsabschluss beim Nachholen von Berufsabschlüs-sen unterstützen. Dieses Programm zur Weiterentwicklungder Förderstrukturen wird im Frühjahr 2008 starten und mit-telfristig dazu führen, dass deutlich mehr junge Erwachse-ne auf dem Weg der Nachqualifizierung einen Berufsab-schluss erreichen. Dazu gehört auch, dass jeder Bildungs-weg zu einem Abschluss führt und die Übergänge durch-lässiger werden.

Absolventinnen und Absolventen der beruflichen Bildungund Berufstätigen sollen mehr Aufstiegswege aus der Be-rufsausbildung und der Berufstätigkeit heraus in die Hoch-schulen eröffnet werden. Hierzu werden wir ein Aufstiegs-stipendium einführen, das beruflich besonders Begabte zurAufnahme eines Studiums anregen soll. Wir wollen auch dasso genannte Meister-BAföG fortentwickeln, indem wir dengeförderten Personenkreis beispielsweise um Pflegeberufeerweitern und Hilfestellung beim Schritt in die Selbststän-digkeit anbieten. Die Bundesregierung schlägt den Län-dern vor, den Hochschulzugang für beruflich Qualifiziertedeutlich zu erleichtern, um die Durchlässigkeit im Bildungs-system zu verbessern.

Besonders nehmen wir auch Frauen in den Blick. Gemein-sam mit den Ländern, Verbänden, Unternehmen, For-

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Zur Diskussion gestellt

schungseinrichtungen, der Bundesagentur für Arbeit, Hoch-schulen und den Medien will die Bundesregierung einen Paktschmieden, um mehr junge Frauen für natur- und ingenieur-wissenschaftliche Berufe zu gewinnen. Im Jahr 2008 soll zu-dem gemeinsam mit den Ländern ein Professorinnenpro-gramm gestartet werden, das bis zu 200 Professuren, diemit Frauen besetzt werden, durch eine Anschubfinanzierungfördert. Auch wollen wir unser Programm zur Qualifizierungarbeitsloser Akademikerinnen und Akademiker gezielt fürBerufsrückkehrerinnen öffnen und damit die Weiterbildungvon Akademikern während Elternzeit und Berufspause un-terstützen.

Gemeinsam mit großen Stiftungen startet die Bundesregie-rung im Jahr 2008 eine Initiative zum Ausbau regionaler Wei-terbildungsstrukturen. Damit unterstützen wir das bürger-schaftliche Engagement für Bildung und bauen die Zusam-menarbeit von Bildungseinrichtungen in den Regionen aus.Darüber hinaus streben wir zusammen mit den Ländern,Kommunen und Sozialpartnern – analog zum Ausbildungs-pakt – eine Weiterbildungsallianz an. Darin sollen konkreteBeiträge aller Partner vereinbart werden, um die Weiterbil-dungsbeteiligung in Deutschland von derzeit rund 43 auf50% zu steigern. Auch wollen wir eine Bildungsprämie ein-führen, mit der die Quote der beruflichen Weiterbildung er-höht werden soll. Die Möglichkeiten umfassen die Zahlungeiner Weiterbildungsprämie in Höhe von bis zu 154 €, dasBildungssparen nach dem Vermögensbildungsgesetz so-wie zinsgünstige Weiterbildungsdarlehen.

Deutschland muss attraktiv sein im internationalenWettbewerb um die besten Köpfe

Wir wollen Deutschland zu einer international anerkanntenTalentschmiede machen. Die besten Köpfe weltweit sollenhier ihre Perspektive sehen. Dazu müssen wir vor allem dendeutschen Arbeitsmarkt attraktiv machen, um angesichtsdes weltweiten Wettbewerbs um die besten Talente undFachkräfte und angesichts des demographischen Wandelsbestehen zu können.

Dazu brauchen wir neue Regeln, die der Wirtschaft inDeutschland die Freiheit geben, Hochqualifizierte auch imAusland rekrutieren zu können, wenn in unserem Land ge-eignete Bewerber fehlen. Wir geben einer nationalen Zuwan-derungslösung den Vorrang gegenüber einer europaweiten»Blue Card«, wie sie die Europäische Kommission vorge-schlagen hat. Angesichts der sehr heterogenen Arbeits-marktverhältnisse in Europa kann eine einheitliche Regelungniemals die Bedürfnisse aller Länder gleichermaßen befrie-digen. Sollte es aber doch zu einer europäischen Regelungzur Erhöhung der Attraktivität der Europäischen Union fürHochqualifizierte kommen, muss die Zuständigkeit der ein-zelnen Mitgliedstaaten für die Arbeitsmigration gewahrt blei-

ben. Unsere nationalen Maßnahmen zur Sicherung des Fach-kräftebedarfs dürfen durch eine solche Regelung nicht be-einträchtigt werden.

Nationale Qualifizierungsinitiative für Deutschland vorantreiben

Ziel der Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung ist esdeshalb, möglichst allen jungen Menschen eine Chanceauf eine gute Ausbildung zu geben, Kindern aus bildungs-fernen Haushalten verstärkt den Zugang zu höherer Bildungzu ermöglichen, für Frauen und Männer Bedingungen zuschaffen, unter denen sie die Anforderungen der eigenenFamilie mit einer Ausbildung, einem Studium oder der Be-rufsausübung vereinbaren können. Wir wollen den Aufstiegdurch Bildung ermöglichen.

Vor allem aber will die Bundesregierung die in Deutschlandlebenden Menschen ausreichend für die Anforderungen dermodernen Arbeitswelt qualifizieren. Mit diesem Maßnahmen-bündel, das schon jetzt auch andere Akteure einschließt,wird es uns gelingen, an wichtigen Schnittstellen im Bildungs-system – in den frühen Jahren mit Blick auf die Gleichwer-tigkeit der unterschiedlichen Segmente des Bildungssys-tems, später an der Schnittstelle von beruflicher zu akade-mischer Bildung sowie von Schule und Studium – Verän-derungen herbeizuführen, die zu einer deutlichen Verbes-serung des Bildungssystems und vor allem zu einer deutli-chen Verbesserung der Bildungschancen für Jugendliche inDeutschland beitragen.

Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länderhaben deshalb mit allen zuständigen Fachministerinnen undFachministern des Bundes und der Länder vereinbart, biszum kommenden Herbst eine gemeinsame »Qualifizierungs-initiative für Deutschland« zur Sicherung des Fachkräften-achwuchses vorzulegen. Das Ergebnis soll Gegenstand ei-nes Treffens der Regierungschefs im Herbst 2008 werden.Denn Bildung ist die beste Zukunftsvorsorge, sie ist der bes-te Schutz gegen Arbeitslosigkeit und sie eröffnet jedem Ein-zelnen Lebenschancen.

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Zur Diskussion gestellt

Deutschland – das Land der Ideen?

Während des Sommertraumes, den Deutschland 2006, imJahr der Fußball-Weltmeisterschaft, erleben durfte, sah sichdie sportbegeisterte Republik mit einer großen Image-Kam-pagne konfrontiert. »Deutschland – Land der Ideen« hießdas millionenschwere Projekt, das die Stärken des Wirt-schafts- und Wissenschaftsstandortes Deutschland vor Au-gen führen wollte. Die Kampagne hat an den Gedankenangeknüpft, dass im Ausland nicht nur Produkte der Wirt-schaft, sondern auch Leistungen in Wissenschaft, Kunst undKultur mit der Herkunftsbezeichnung »Made in Germany«und »Land der Dichter und Denker« belegt werden.

Doch inwieweit stimmen Anspruch und Wirklichkeit nochüberein? Ist Deutschland ein Land der Ideen, oder will es nureines sein? Gewiss, die Vergabe des Physik-Nobelpreisesan Peter Grünberg und des Chemie-Nobelpreises an Ger-hard Ertl hat im vergangenen Jahr vielerorts zu selbstgefäl-ligem Schulterklopfen geführt, und niemand will ernsthaftbezweifeln, dass es in Deutschland nach wie vor Spitzen-wissenschaftler gibt, die Herausragendes in Forschung undLehre leisten. Aber zu überbordender Selbstzufriedenheitbesteht kein Anlass. Gerhard Ertl und Peter Grünberg wur-den für Forscherleistungen ausgezeichnet, die zeitlich weitzurückliegen und für die die gegenwärtige Bildungspolitikschon deshalb keine Lorbeeren beanspruchen kann. EinBlick in die Tageszeitungen belegt zudem: Dem »Land derIdeen« könnten alsbald die Tüftler ausgehen. Quer durch dieZukunftsbranchen herrscht ein Mangel an Fachkräften, ins-besondere an Ingenieuren, aber auch an Naturwissenschaft-lern. Eine Studie, die im Auftrag des Bundeswirtschaftsmi-nisteriums erstellt wurde, hat die Warnungen der Fachver-bände bestätigt. Im Jahre 2014 könnten in Deutschlandbis zu 95 000 Ingenieure und 135 000 Naturwissenschaft-ler fehlen. Der aus den nicht besetzbaren Stellen resultieren-

de Wertschöpfungsverlust werde Deutschland zweistelligeMilliardensummen kosten. Auch die anderen EU-Mitglied-staaten plagen Sorgen, qualifizierten Nachwuchs zu fin-den. Die Globalisierung der Märkte lässt jedoch das Gedei-hen von Forschung und Technologie für die europäischeWirtschaft zur Überlebensfrage werden. Bestürzen mussdaher, wenn nach Schätzungen der EU Europa schlicht-weg 700 000 Wissenschaftler fehlen. Allein in Deutschlandbesteht laut übereinstimmenden Angaben von DFG undHumboldt-Stiftung ein Engpass von 70 000 Forschern, umzukünftig wettbewerbsfähig zu sein.

»Blue Card« derzeit unattraktiv

Vor diesem Hintergrund sind die Pläne der EuropäischenKommission zu verstehen, mittels einer »Blue Card« ver-stärkt Fachkräfte aus Drittstaaten zu locken. Die Bundes-regierung sträubt sich gegen dieses Vorhaben, will jedochihrerseits die Zuwanderung von ausländischen Spitzenkräf-ten erleichtern und die Ausbildung im Inland mittels einerbreit angelegten »nationalen Qualifizierungsoffensive« ver-bessern.

Vor der Therapie steht bekanntermaßen die Diagnose. Dielautet lapidar: Die Misere beruht nicht zuletzt darauf, dassPolitiker jeglicher Coleur den Hochschulen über die Jahrehinweg Steine statt Brot gegeben haben. Insbesondere dieUniversitäten, die den wissenschaftlichen Nachwuchs unddie künftigen Funktionseliten für den Arbeitsmarkt ausbil-den, sind chronisch unterfinanziert. Der derzeitige Fachkräf-temangel ist auch eine Quittung für falsche Prioritäten desUnternehmers »Staat«. Kurzfristig wird dieses Defizit kaumzu begleichen sein. Insofern liegt es nahe, die Tore für Fach-kräfte europaweit zu öffnen.

Aus der Sicht des Wissenschaftlers und Universitätslehrerskann ein solcher Vorstoß durchaus mit Sympathie rechnen:Denn gerade die Wissenschaft lebt von Mobilität. Für dieInstitution Universität ist der grenzüberschreitende Austauschunerlässlich. Dies gilt nicht erst seit der Bologna-Reform, diedas Versprechen, die Mobilität von Lehrenden und Lernen-den zu erhöhen, bislang allerdings nicht einzulösen vermoch-te. Die Modularisierung der Studiengänge führt zu einer Ver-schulung, die Studierenden und Professoren kaum Freiräu-me und insbesondere den Erstgenannten keine Zeit für Aus-landsaufenthalte lässt.

Ist aber Europa im internationalen Wettbewerb um die bes-ten Köpfe überhaupt attraktiv genug? Eine jüngst erschie-nene Studie der EU-Kommission nährt zumindest für denzentralen Bereich Forschung erhebliche Zweifel. Mit einemJahreseinkommen von durchschnittlich 40 000 € beziehenForscher in Europa ein Gehalt, das international nicht kon-kurrenzfähig ist. Höher werden ihre Kollegen in Indien mit

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Bernhard Kempen*

* Prof. Dr. Bernhard Kempen ist Präsident des Deutschen Hochschulver-bandes.

Zur Diskussion gestellt

rund 45 000 €, Japan mit ca. 61 000 €, Australien und USAmit rund 62 000 und 63 000 € vergütet. Angesichts diesesGehaltsgefüges erscheint es mehr als fraglich, ob im Be-reich der Wissenschaft umworbene Spitzenkräfte nachEuropa oder Deutschland kommen werden. Mit durch-schnittlich 53 358 € reichen die Bezüge in Deutschland nichtan diejenigen heran, die in der internationalen Spitzengrup-pe gezahlt werden. Exzellente Universitäten, die sich im na-tionalen wie internationalen Wettbewerb profilieren sollenund wollen, benötigen exzellente Wissenschaftler. Über diefrisch gekürte Elite-Universität Konstanz war der Presse zuentnehmen, dass Topleute aus dem Ausland zwar zu Ge-haltseinbußen von bis 40% bereit seien, doch bei dem en-gen Rahmen des Tarifvertrags für den öffentlichen DienstVerdiensteinbußen als Elitegruppenleiter von bis zu 70% nichtmehr hinnehmen wollten. Erhalten Wissenschaftler keine at-traktiven Arbeitsbedingungen mit einer international wettbe-werbsfähigen Vergütung, werden uns die zukünftigen aus-bildenden Multiplikatoren, insbesondere in den Fächern derNatur- und Technikwissenschaften sowie der Medizin, mei-den oder den Rücken kehren. Mit 3 890 € Grundgehalt, mitdenen sich ein Viertel aller nach W2 berufenen Professorenbegnügen muss, wird es nicht im Interesse der kommen-den Studierenden-Generationen gelingen, die Besten für ei-ne wissenschaftliche Karriere zu begeistern, der eine oftmalsentbehrungsreiche und extrem lange Ausbildungszeit vor-ausgeht. Inwieweit mit dem von der Bundesregierung an-gekündigten »Wissenschaftsfreiheitsgesetz« die wichtigenWeichenstellungen hin zu einer amtsangemessenen undkonkurrenzfähigen Vergütung erfolgen werden, bleibt ab-zuwarten. Deutlich größere Spielräume beim Gehaltsrahmensind jedenfalls dringend geboten. Das Beispiel der AlfriedKrupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die ein Förder-programm zur Rückkehr deutscher Wissenschaftler aus demAusland aufgelegt hat, das auch Gehaltsdifferenzen ausglei-chen kann, zeigt, wo der Wissenschaft in Deutschland derSchuh drückt. Auch der vom Bundesministerium für Bildungund Forschung gestiftete und von der Alexander von Hum-boldt-Stiftung verliehene »Research in Germany Award« siehtab Herbst 2008 vor, dass Spitzenwissenschaftler einen ge-wissen Teil der Preissumme, der ihnen für einen fünfjähri-gen Forschungsaufenthalt zur Verfügung gestellt wird, zurGehaltsaufbesserung nutzen können.

Ausbildungsqualität muss erhalten bleiben

Angesichts der offenkundigen Versäumnisse der Vergan-genheit müssen aber auch nachhaltige nationale Lösungs-strategien entwickelt werden. Die gegenwärtigen Heraus-forderungen, vor denen die Hochschulen stehen, machendies umso dringlicher. Nach Schätzungen der Kultusminis-terkonferenz werden die Studierendenzahlen von derzeit ca.2 Millionen auf 2,7 Millionen anschwellen. Der Studierenden-andrang ist erfreulich, erfolgt jedoch in einer Zeit, in der die

mit der Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengän-ge verbundenen Zusagen, ein qualitativ besseres Lehran-gebot unterbreiten zu können, bislang Makulatur gebliebensind. Hinzu kommt die politische Vorgabe, 40% eines Al-tersjahrganges ein Studium aufnehmen zu lassen. Mit einerStudienanfängerquote von derzeit 36,6% liegt das Erreichendieses Zieles vorerst noch in der Ferne.

Mit dem Hochschulpakt, den Bund und Länder zum Aufbauvon zusätzlichen 90 000 Studienplätzen vereinbart haben,wurde lediglich ein erster wichtiger Schritt in die richtige Rich-tung gegangen, dem weitere, viel beherztere folgen müs-sen. Mit 5 500 €, die im Durchschnitt pro Studienplatz imJahr veranschlagt werden, können die Universitäten allen-falls »schmale Intelligenzen«, nicht jedoch umfassend ge-bildete Persönlichkeiten zu einem Abschluss führen, die sichim weltweiten Wettbewerb um Arbeitsplätze behaupten kön-nen. Der Bund der Deutschen Arbeitgeberverbände hatRecht, wenn er neben der zeitlichen Befristung bis 2010 be-mängelt, dass ein Platz in den für die Wirtschaft so entschei-denden Ingenieur- und Naturwissenschaften erheblich teu-rer sei als in der Bund-Länder-Vereinbarung veranschlagt.Laut Statistischem Bundesamt lagen die Aufwendungen,die die Hochschulen 2004 pro Studienplatz im Jahr in denNaturwissenschaften und Mathematik sowie den Ingenieur-wissenschaften erbracht haben, deutlich höher. In der ers-ten Fächergruppe betrugen sie durchschnittlich 9 000, inder zweiten durchschnittlich 8 400 €.

Studierende haben jedoch auch in Zukunft einen Anspruchauf eine hochwertige universitäre Ausbildung. Abstriche anQuantität und Qualität des Lehrpersonals darf es daher nichtgeben. Der Deutsche Hochschulverband hat anhand vonZahlen des Statistischen Bundesamtes belegen können,dass in der Dekade von 1995 bis 2005 rund 1 500 Univer-sitätsprofessuren dem Rotstift zum Opfer gefallen sind, waseinem prozentualen Verlust von 6,4% entspricht. Ein Groß-teil – 663 – entfiel auf die Geisteswissenschaften. Aber auchdie marktgängigen Ingenieurwissenschaften waren mit im-merhin 356 Stellen betroffen. Dabei ist das zahlenmäßigeVerhältnis von Studierenden zu Professor an Universitätenin Deutschland schon heute denkbar ungünstig. Mit der Re-lation von 60:1 sind wir hier international nicht konkurrenz-fähig. US-Eliteuniversitäten, die im Rahmen des Exzellenz-wettbewerbs als Messlatte für die Performance deutscherHochschulen herangezogen werden, haben einen Betreu-ungsschlüssel von 10:1. Fehlende Quantität von Hochschul-lehrern bringt eine verschlechterte Qualität des Studiums mitsich, die für Studierende von morgen auf dem weltweitenArbeitsmarkt zum Nachteil gereichen wird.

Der Hinweis der Bundesforschungsministerin, der Abbauder Universitätsprofessuren werde durch den Aufbau vonFachhochschulprofessuren kompensiert, führt in die Irre. DieVerdienste, die Fachhochschulen mit ihrer praxisnahen Aus-

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bildung innerhalb des tertiären Bildungssektors haben, sol-len damit in keiner Weise geschmälert werden. Sich ausder Forschung ständig erneuernde Lehre bieten jedoch nurdie Universitäten, die Grundlagenforschung und Ausbildungdurch Wissenschaft fruchtbar verbinden. Wenn keine zu-sätzlichen Universitätsprofessuren geschaffen werden undsich im Zuge des Studierendenandrangs die Relation vonStudierenden pro Professor weiter verschlechtert, werdenwir im globalen Wettbewerb, in dem Wissen die begehrtes-te Ressource sein wird, zu den Verlierern gehören.

Die Verlockung, den angesichts des Studierendenzuwach-ses notwendigen Ausbau an Lehrkapazitäten auf Kosten derQualität zu bestreiten, ist allerdings sehr groß: An einigenUniversitäten werden bereits Stellen als »Lecturer« für habi-litierte Nachwuchswissenschaftler ausgeschrieben, die sichfür einen Lohn unter dem von wissenschaftlichen Mitarbei-tern verdingen und ausschließlich der Lehre widmen sollen.Eine hochwertige und sich ständig aus der Forschung er-neuernde Lehre können diese kostengünstigen Lehrkräftenicht bieten. Der Vorstoß des Wissenschaftsrats, mittelfris-tig jede fünfte Professur als so genannte »Lehrprofessur«auszuweisen und mit zwölf statt der bisher üblichen acht bisneun Semesterwochenstunden Lehrdeputat zu belegen,ist abwegig. Auch hier besteht die Gefahr, dass zumindestin Teilen einmal erworbenes Wissen ohne die notwendigeAktualisierung weitergegeben wird.

Mit simplen und billigen Lösungen verliert die Universitätauf Dauer ihr wichtigstes Gut, die Qualität. Eine nochma-lige »Untertunnelung« des Studentenberges, wie in densiebziger Jahren praktiziert, wäre fatal. Die Hochschulendrohen unter dem bevorstehenden Andrang zusammen-zubrechen. Ebenso wenig zielführend ist es, Leistungsstan-dards aufzuweichen. Wer geringe Abbrecherquoten, Erfol-ge in der Frauenförderung oder die Zahl von Promotionenfinanziell belohnt, muss mögliche Qualitätseinbußen immermitbedenken. Und 60% eines Jahrgangs per Gesetz mitdem Bachelor als berufsqualifiziert einzustufen, ist auchkein überzeugender Beitrag zur nationalen Qualifizierungs-offensive.

Bildung als Chefsache

In der Bildungspolitik tut radikales Umdenken Not. Von demin Aussicht genommenen Bildungsgipfel, der unter Feder-führung des Bundesministeriums für Bildung und Forschungvorbereitet wird und zu dem die Bundeskanzlerin die Minis-terpräsidenten im Herbst des Jahres laden will, kann ein Sig-nal ausgehen. So paradox es klingen mag: Auch nach derFöderalismusreform, durch die die bildungspolitischen Kom-petenzen weitgehend den Ländern überantwortet wurden,ist der Bund als Impuls- und noch wichtiger als Geldgebergefragt. Es war richtig, dass die wissenschaftspolitischen

Akteure im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zur Föde-ralismusreform in einem gemeinsamen Kraftakt in letzter Mi-nute erwirken konnten, dem Bund eine finanzielle Mitverant-wortung bei Forschung und Wissenschaft zu belassen. Mitdem Hochschulpakt sind erste Weichenstellungen vollzo-gen worden. Weitere Anstrengungen müssen folgen. Prio-ritäten in den Haushalten von Bund und Ländern müssenneu gesetzt werden. Es ist daher gut, wenn durch den ge-planten Gipfel die Themen Bildung und Fachkräftemangelzur Chefsache erhoben werden. Nur zusätzliche Mittel kön-nen die Qualität der Ausbildung sichern. Sollten die Hoch-schulen erneut – wie in den siebziger und achtziger Jahren– ohne ausreichende Ausstattung den für die kommendenJahre prognostizierten Studierendenzustrom bewältigenmüssen, wären flächendeckende Zulassungsbeschränkun-gen die einzige Notwehrmaßnahme, die ihnen verbliebe, umdas Recht der jungen Generation auf angemessene Studi-enbedingungen und eine hochwertige Ausbildung sicher-stellen zu können.

Vor diesem Hintergrund sieht der Deutsche Hochschulver-band das Hochschulsystem und den Wissenschaftsstand-ort Deutschland an einem historischen Wendepunkt: Ver-hallen die Hilferufe der Universitäten unerhört, wird Deutsch-land seine Zukunft verdüstern. Und das Schlimme dabei wä-re: aus eigenem Versäumnis. Wo ist die nationale Anstren-gung, die das verhindert?

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Zuwanderung und Qualifizierungs-offensive – unverzichtbare Säulen einerGesamtstrategie

Ein hinreichendes Angebot an qualifizierten Fachkräftenist für Unternehmen im globalen Wettbewerb eine we-sentliche Grundvoraussetzung für den Erhalt der Wett-bewerbsfähigkeit. Es ist damit zugleich unverzichtbar fürdie Stärkung des Wirtschaftsstandortes und des wirt-schaftlichen Wachstums in Deutschland. Zwar gibt esnoch keinen generellen Fachkräftemangel. Trotz der wei-terhin hohen Arbeitslosigkeit haben inzwischen aber vie-le Unternehmen zunehmende Probleme, offene Stellenmit geeigneten Arbeitskräften zu besetzen. In einigenBranchen und Regionen sind Fachkräfteengpässe in Fol-ge des konjunkturellen Aufschwungs bereits deutlichspürbar geworden.

Die demographische Entwicklung wird dies mittel- undlangfristig noch erheblich verschärfen. Nach Prognosendes statistischen Bundesamtes werden im Jahr 2050 inDeutschland nur noch 69 bis 74 Mill. Menschen gegen-über heute fast 83 Millionen leben. Gleichzeitig wird eine erhebliche Veränderung der Altersstruktur eintre-ten. Mitte des kommenden Jahrzehnts steigen starkeJahrgänge gut ausgebildeter Arbeitnehmer altersbe-dingt aus dem Erwerbsleben aus, während gleichzeitigschwache Geburtenjahrgänge in den Erwerbsprozesseintreten.

Um zu gewährleisten, dass Fachkräftebedarfe auch ge-deckt werden können, braucht der Wirtschafts- und Wis-sensstandort Deutschland eine schlüssige und ausgewo-gene Gesamtstrategie zur Fachkräftesicherung. Neben derstärkeren Aktivierung des inländischen Erwerbspersonen-

potenzials, Reformen des Bildungssystems und gemein-samer Anstrengungen von Arbeitgebern und Arbeitneh-mern in Aus- und Weiterbildung spielt auch die Zuwande-rungspolitik eine wichtige Rolle. Notwendige Qualifizie-rungsmaßnahmen und die Öffnung für mehr ausländischeFachkräfte dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespieltwerden.

Paradigmenwechsel zu einer arbeitsmarkt-orientierten Zuwanderung fortsetzen

Mit dem im Jahre 2005 in Kraft getretenen neuen Zuwan-derungsgesetz wurden erste wichtige Weichen zu einermodernen Einwanderungspolitik gestellt und ein Paradig-menwechsel zu einer nach den Bedarfen des Arbeitsmark-tes gesteuerten Zuwanderung eingeleitet. Für eine echtearbeitsmarktbezogene Zuwanderung reichen die Vorschrif-ten des neuen Zuwanderungsgesetzes aber auch nachden jüngsten Novellierungen noch längst nicht aus. Die Ver-einfachungen für Selbständige, die Abschaffung der Vor-rangprüfung für ausländische Hochschulabsolventen undfür bestimmte Berufsgruppen aus den neuen EU-Mitglied-staaten sind zwar erfreuliche Fortschritte. Insgesamt blei-ben die Zuwanderungsregelungen aber nach wie vor zurestriktiv und die Verfahren zu bürokratisch. Die individuel-le Vorrangprüfung ist ein zu aufwändiges, in der Praxisoftmals viel zu restriktiv gehandhabtes und letztlich auchnicht zielführendes Instrumentarium. Dies hatte bereits dieunabhängige Kommission Zuwanderung in ihrem Berichtvom Juli 2001 festgestellt.

Die Zahlen zur Zuwanderung von Hochqualifizierten be-legen, dass Deutschland bei den ausländischen Fach-und Führungskräften nach wie vor leider noch nicht sehrhoch im Kurs steht. Auch wenn die Attraktivität Deutsch-lands für ausländische Fachkräfte von einer Vielzahl vonFaktoren beeinflusst wird, so nimmt das restriktive Zu-wanderungsrecht dabei doch eine wichtige Rolle ein. Not-wendig wäre daher, vor allem für die Zielgruppe der Hoch-qualifizierten ein klares positives Signal zu setzen. Mehrals bedauerlich ist deshalb, dass sich der Gesetzgeberimmer noch nicht dazu durchgerungen hat, die im Gesetzfestgelegte Regeleinkommensgrenze von fast 86 000 €pro Jahr für eine Niederlassungserlaubnis zugunstenHochqualifizierter zu erleichtern. Diese hohe Einkommens-anforderung entspricht dem rund Dreifachen des deut-schen Durchschnittseinkommens und kann selbst vonhöchstqualifizierten jungen Nachwuchskräften in Deutsch-land oft nicht erreicht werden. Deshalb kann es nicht über-raschen, dass in den Jahren 2005 und 2006 jeweils ge-rade einmal nur 70 bis 80 Niederlassungserlaubnisse aufdieser Grundlage an neu Eingereiste erteilt wurden. DieNiederlande mit vergleichbaren nationalen Einkommens-strukturen lassen für den Zugang zum Arbeitsmarkt be-

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Jürgen Wuttke*

* Dr. Jürgen Wuttke ist Abteilungsleiter Arbeitsmarkt bei der Bundesverei-nigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

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reits ein Jahreseinkommen von 45 000 € ausreichen.Selbst damit würde das deutsche Durchschnittseinkom-men immer noch um mehr als 50% überstiegen. Das istein durchaus attraktives Gehalt auch für hoch qualifizier-te Nachwuchskräfte.

Flexiblen Arbeitsmarktzugang über ein Punktesystem ermöglichen

Die BDA setzt sich außerdem dafür ein, dass Arbeitneh-mer, die hier dringend benötigte Qualifikationen besitzenund einen Beitrag zur positiven Entwicklung von Wirtschaftund Beschäftigung leisten können, zukünftig erleichtertund flexibel den Arbeitsmarktzugang über ein so genann-tes Punktesystem erhalten. Ein bedarfs- und qualifikati-onsorientiertes Punktesystem, das nach Kriterien wie Aus-bildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen gesteu-ert wird, vermag nicht nur gezielt die für Deutschland hilf-reichen Fach- und Führungskräfte auszuwählen, sondernauch deren Integration in die Gesellschaft zu erhöhen. Lei-der ist die »Zuwanderung im Auswahlverfahren« wie sieim ursprünglichen Aufenthaltsgesetzentwurf bereits vor-gesehen war, im damaligen Gesetzgebungsverfahren er-satzlos gestrichen worden. Wenn von manchen in der Po-litik Ängste vor einem erneuten Öffnen von »Schleusen«geäußert werden, dann spiegeln sich darin wohl immernoch frühere leidvolle Erfahrungen mit einer ungesteuer-ten Zuwanderung, insbesondere über das Asylrecht, dienur mit großer Mühe begrenzt werden konnte. Im Rahmeneines Punktesystems wäre es jedoch allein schon durchdie Feinsteuerung der für die jeweiligen Kriterien verge-benen Punkte möglich, die darauf beruhende Bestenaus-lese zahlenmäßig eng zu begrenzen. Die BDA hat dar-über hinaus vorgeschlagen, die Zuwanderung nach einemsolchen Punktesystem zunächst zusätzlich im Rahmenjährlich begrenzter Kontingente zu steuern. So können»gefahrlos« Erfahrungen mit dem neuen Instrument ge-sammelt werden.

EU-»Blue Card« darf arbeitsmarktorientierte Zuwanderung nicht erschweren

Die EU-Kommission hat mit Ihrem Richtlinienentwurf zurBeschäftigung Hochqualifizierter (sog. »Blu- Card«-Richt-linie) das richtige Ziel beschrieben: Im Bereich der Zuwan-derung von qualifizierten Fachkräften einfachere, unbüro-kratischere und flexiblere Lösungen bereit zu stellen. DerRichtlinienentwurf droht für Deutschland in seiner derzei-tigen Fassung aber das genaue Gegenteil zu bewirken undden besten Weg zur Anwerbung von hoch qualifiziertenKöpfen zu versperren. Denn nach den im Richtlinienent-wurf aufgestellten Mindeststandards muss zur Erteilung ei-ner »Blue Card« immer ein Arbeitsvertrag bzw. ein bin-

dendes Arbeitsplatzangebot vorliegen. Diese Vorausset-zungen würde ein Punktesystem, wie es z.B auch vonGroßbritannien im vergangenen Jahr eingeführt wurde, ge-rade in seinem Kernbereich nicht erfüllen. Denn das Punk-tesystem fußt auf der Erkenntnis, dass Fachkräfte mit be-stimmten Qualifikationen für die wirtschaftliche Entwick-lung eines Landes immer von Vorteil sind, auch wenn sienoch kein konkretes Arbeitsplatzangebot besitzen. So wä-re es z.B. geradezu absurd, einen 35-jährigen, erstklassigausgebildeten Maschinenbauingenieur mit langjährigen in-ternationalen Berufserfahrungen und ausreichendenDeutsch-Kenntnissen nur deshalb abzuweisen, weil er nochkeinen konkreten Arbeitsvertrag vorweisen kann.

Der Einwand, der »Blue-Card«-Richtlinienvorschlag tan-giere andere Zuwanderungssysteme auf nationaler Ebe-ne nicht, überzeugt nicht. Aus den Formulierungen desEntwurfs kann nicht geschlossen werden, dass die Ein-führung der »Blue Card« ein nur optionales Modell für dieMitgliedstaaten darstellt und daneben stehende, natio-nale Zuwanderungssysteme durch die Regelungen die-ses»„Blue- Card«-Richtlinienvorschlags nicht berührt wer-den. Der reine Wortlaut legt vielmehr genau das Gegen-teil nahe: Einen ausschließlichen, verdrängenden Rege-lungsanspruch. Auch die Tatsache, dass nach dem »Blue-Card«-Richtlinienvorschlag »Blue-Card«-Inhaber, die be-reits die Rechtsstellung der langfristigen Aufenthaltsge-nehmigung erhalten haben, im Rahmen von nationalenVorrangprüfungen gegenüber sonstigen Drittstaatsange-hörigen privilegiert behandelt werden, belegt, dass die Re-gelungen stark in nationale Zuwanderungssysteme ein-greifen. Aus diesem Grund besteht die Gefahr, dass dieRegelungen im »Blue-Card«-Vorschlag die Steuerung ei-ner arbeitsmarktorientierten Zuwanderung durch ein na-tionales Punktesystem unmöglich machen oder zumin-dest wesentlich einschränken.

Außerdem sind aus gutem Grund bisher die Vorschriftenund Bedingungen für die Einreise von Staatsangehöri-gen dritter Länder ausdrücklich vom Anwendungsbereichder Antidiskriminierungsrichtlinien RL 2000/78/EG und2000/43/EG ausgenommen. Durch den expliziten Ver-weis im »Blue Card«-Richtlinienvorschlag auf diese Anti-diskriminierungsrichtlinien wird das nun in Frage gestellt.Auf keinen Fall darf das Antidiskriminierungsgebot durchdie Hintertür der Erwägungsgründe auf die Vorschriftenund Bedingungen für die Einreise von Staatsangehöri-gen dritter Länder ausgeweitet werden. Es wäre völlig rea-litätsfremd, im Rahmen von Zuwanderung das Kriteriumder Sprache zur verbotenen Diskriminierung herabzuwür-digen, obwohl es in Wahrheit ein objektiv gebotenes, sach-liches Auswahlkriterium ist. Die nationale Entscheidungs-befugnis, unter potenziellen Kandidaten diejenigen zu be-vorzugen, welche die besten Sprachkenntnisse aufwei-sen, darf keinesfalls eingeschränkt werden.

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Übergangsregelungen für neue EU-Mitglied-staaten nicht mehr generell und umfassend verlängern

Im internationalen Wettbewerb »um die besten Köpfe« istein weiterer wichtiger Schritt die Öffnung des Arbeitsmark-tes für die 2004 der EU beigetretenen Staaten Mittel- undOsteuropas. Die bestehenden Übergangsregelungen dür-fen für diese Länder ab 2009 nicht mehr generell und um-fassend verlängert werden. Es sollten nur dort Restriktio-nen bestehen bleiben, wo punktuelle, branchen- oder regio-nalspezifisch begründete Begrenzungen notwendig sind. Daohnehin spätestens ab 2011 auch für Deutschland die völ-lige und uneingeschränkte Freizügigkeit gelten wird, ist esratsam, sich wie die meisten anderen EU-Staaten frühzei-tig darauf einzustellen und in der bestehenden guten Ent-wicklung am Arbeitsmarkt die damit verbundenen Chan-cen zu nutzen. Schließlich zeigen die Erfahrungen etwa inGroßbritannien und Irland, dass durch die Arbeitnehmerfrei-zügigkeit keine zusätzliche Arbeitslosigkeit entstanden undder von manchen befürchtete »Wohlfahrtstourismus« aus-geblieben ist.

Qualifizierung und Aktivierung des inländischenErwerbspersonenpotentials

Auch durch eine gezielte Zuwanderung können Fachkräf-teengpässe aber nur teilweise abgefedert werden. Eine nochwichtigere Rolle spielt die Aktivierung und Qualifizierung desinländischen Erwerbspersonenpotentials.

Die Unternehmen in Deutschland investieren heute bereitsrund 27 Mrd. € pro Jahr in die Weiterbildung ihrer Mitarbei-ter und weitere 28 Mrd. € für die Nachwuchsförderung imRahmen der dualen Berufsausbildung. Damit können aberVersäumnisse im Bildungssystem mit den Folgen hoherSchulabbrecherzahlen, einer häufig mangelnden Ausbil-dungsreife von Schulabgängern sowie der hohen Zahl anStudienabbrechern und damit zu wenig Hochschulabsol-venten nicht ausgeglichen werden.

Die im Januar 2008 gestartete Qualifizierungsinitiative derBundesregierung ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserungder Bildung und damit zur Fachkräftesicherung in Deutsch-land. Entscheidend ist vor allem, dass nun gemeinsam mitden Ländern eine Gesamtstrategie entwickelt wird, die diebildungspolitischen Themen bündelt und weiter stärkt. Wich-tig ist insbesondere das avisierte Ziel, die frühkindliche Bil-dung zu stärken, beispielsweise durch die Ausweitung desBetreuungsplatzangebotes, Fort- und Weiterbildung von Er-zieherinnen und Tagesmüttern sowie gezielte Sprachförde-rung von mehrsprachigen Kindern. Es ist notwendig, einenSchwerpunkt auf diese frühkindliche Phase zu legen, da hier

schon die Startbedingungen für bessere Ausbildungschan-cen gesetzt werden.

Gleichzeitig wird durch diese Maßnahmen die bessere be-rufliche Integration von Frauen gefördert. Denn obwohl ak-tuell mehr als die Hälfte der Eltern mit Kindern im Alter zwi-schen zwei und drei Jahren eine Ganztagsbetreuung für ih-re Kinder befürworten, fehlen nach Berechnungen des Deut-schen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) derzeit 1,2 Mill.Kinderbetreuungsplätze. Unzureichend ist zudem auch dasAngebot an Ganztagsschulen. Untersuchungen des DIWbelegen, dass eine flächendeckende Vollversorgung mit Plät-zen in Ganztagsschulen die Erwerbsbeteiligung von Frau-en im Westen um vier Prozentpunkte und im Osten um ei-nen Prozentpunkt steigern könnte. Bislang sind nur 10% derSchüler an allgemein bildenden Schulen Ganztagsschüler.Gerade die Nutzung des Potenzials der gut ausgebildetenjüngeren Frauen, ist eine der zentralen Aufgaben neben dembereits erfolgreich eingeleiteten und weiterhin konsequentfortzusetzenden Paradigmenwechsel zu noch mehr Beschäf-tigung älterer Arbeitnehmer.

Richtig ist auch das Ziel der Qualifizierungsinitiative, dieDurchlässigkeit zwischen den Bildungsbereichen, insbeson-dere der beruflichen und hochschulischen Bildung zu ver-bessern. Denn es kann nicht sein, dass motivierten, leis-tungsstarken Absolventen der beruflichen Bildung der Zu-gang zu den Hochschulen derart erschwert wird, dass siebisher gerade 1% der Studienanfänger stellen. Außerdemmuss die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bil-dung gestärkt werden. Hier werden derzeit Potentiale ver-schwendet. Gerade ein offener und transparenter Hoch-schulzugang für beruflich Qualifizierte ist eine Chance, dieunbedingt genutzt werden muss. Denn diese besonders mo-tivierte Zielgruppe birgt die Gewähr, erfolgreich und zügig zueinem Abschluss vor allem auch in den auf dem Arbeits-markt gefragten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Na-turwissenschaften, Technik) zu kommen. In der Qualifizie-rungsinitiative fehlen aber beispielsweise noch gezielte Schrit-te, um die Schul- und Studienabbrecherquoten zu reduzie-ren oder mehr Studienkapazitäten zu schaffen.

Eines wird schon aus diesem nur kursorischen Überblickzu der Vielzahl und Vielgestaltigkeit der Handlungsfelderfür die Qualifizierung und Aktivierung des inländischen Er-werbspersonenpotentials deutlich: Deutschland hat zurlangfristigen Fachkräftesicherung noch einen weiten Wegvor sich.

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Nationalen Fachkräftemarkt entwickeln,internationales Marketing des Arbeits-standortes Deutschland verbessern

Der BITKOM hat in den vergangenen Monaten Studien undPositionspapiere zum Thema Zuwanderung und Fachkräf-temangel veröffentlicht. Warum kümmert sich der Branchen-verband der ITK-Wirtschaft um Zuwanderungsthemen,möchte man fragen. Der Grund ist ganz einfach: Der Fach-kräftemangel hat sich zu einer ernstzunehmenden Wachs-tumsbremse entwickelt – die vorliegenden Daten dazu sindeindeutig. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass langfristigeTrends diese Situation noch verschärfen werden: Angesichtsder demographischen Entwicklung müssen wir davon aus-gehen, dass wir einen wachsenden Akademikermangel ver-kraften müssen, der in den Ingenieurwissenschaften beson-ders drastisch ausfallen wird.

Wenn wir das verhindern wollen, müssen wir heute handeln,und zwar nicht punktuell, sondern strategisch und umfas-send. Wir müssen sowohl den nationalen Fachkräftemarktentwickeln als auch die Zuwanderungsgesetzgebung mo-dernisieren und das internationale Marketing des Arbeits-standortes Deutschland verbessern.

Fakten

Aktuelle Entwicklungen

Eine repräsentative Umfrage unter ITK- und Anwenderun-ternehmen zeichnet ein eindeutiges Bild, deren einziger po-sitiver Aspekt die exzellenten Jobperspektiven für ITK-Spe-zialisten sind (vgl. BITKOM 2007a; 2007b). Aktuell gibt esrund 36 000 offene Stellen in der ITK-Industrie. Knapp 50%

dieser Arbeitplätze, also rund 18 000 Stellen, setzen spezi-fisches ITK-Know-how voraus. Dabei wird ITK-Know-hownicht nur in der ITK-Branche benötigt, sondern auch in zahl-reichen Anwenderbranchen: 25 000 ITK-Stellen sind in An-wenderbranchen zurzeit nicht besetzt. Mit 44% entfällt derGroßteil der offenen Stellen in den Anwenderbranchen aufden Handel, gefolgt von Dienstleistungsbetrieben mit 26%und dem verarbeitenden Gewerbe mit 13%. Damit sind inder deutschen Wirtschaft insgesamt mindestens 43 000 ITK-Stellen offen – 6 000 mehr als ein Jahr zuvor.

Die ITK-Branche braucht vor allem hochqualifizierte Soft-ware-Entwickler (70% der befragten Unternehmen). Knappdrei Viertel der Unternehmen mit offenen ITK-Stellen suchendabei ausschließlich Hochschulabsolventen – diese Zahl istbesonders deshalb interessant, weil seitens der Politik im-mer wieder gefordert wird, die ITK-Branche müsse mehrausbilden. Seit Einführung der dualen Ausbildung in vier IT-Berufen haben mehr als 100 000 junge Menschen dieseAusbildung erfolgreich absolviert. Derzeit bestehen rund38 000 Ausbildungsverhältnisse in den IT-Berufen. Die An-forderungen an neue Fachkräfte steigen jedoch permanentund beinhalten meist eine ausgeprägte Beratungskompe-tenz. Die duale Ausbildung kann den Bedarf an Hochquali-fizierten decken.

Die Auswirkungen des Fachkräftemangels sind schon heu-te gravierend: Mehr als die Hälfte der befragten ITK-Unter-nehmen sieht einen Mangel an Experten auf dem deutschenArbeitsmarkt. Drei Viertel dieser vom Mangel betroffenenFirmen geben an, dass dies die Geschäftsentwicklung ih-res Unternehmens behindert, fast die Hälfte sieht im Fach-kräftemangel sogar ein großes oder sehr großes Problemfür das eigene Business. Kleine und mittelständische Un-ternehmen sind besonders stark von den Auswirkungenbetroffen. Jedes vierte ITK-Unternehmen mit einer in denletzten zwölf Monaten nicht besetzbaren IT-Stelle gibt an,dass konkrete Projekte aufgrund des fehlenden Fachper-sonals nicht durchgeführt werden konnte. Das bedeutethochgerechnet einen Umsatzausfall von über 1 Mrd. € proJahr für die Branche.

Langfristige Perspektiven

Die Umfrageergebnisse zeichnen sicherlich eine Moment-aufnahme – allerdings gibt es kaum Hoffnung, dass bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen Besserung eintreten wird.Eher droht das Gegenteil. Schon allein aufgrund der demo-graphischen Entwicklung wird sich der Fachkräftemangelweiter verschärfen: Eine vom ZEW im Auftrag des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschung erstellte Studie haterrechnet, dass innerhalb von acht Jahren je nach wirtschaft-licher Entwicklung zwischen 23 000 und 95 000 Ingenieu-re bzw. zwischen 155 000 und fast 400 000 sonstige Aka-

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August-Wilhelm Scheer*

* Prof. Dr. Dr. h.c. August-Wilhelm Scheer ist Präsident des Bundesver-bandes BITKOM.

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demiker fehlen werden (vgl. Bundesministerium für Bildungund Forschung 2007, S.108 f.; BITKOM 2007b, 43 f.).

Handlungsansätze

Was ist also angesichts dieser Entwicklung zu tun? Einezukunftsfähige Fachkräfte-Politik basiert aus Sicht des BIT-KOM auf einem umfangreichen, abgestimmten Maßnah-menpaket, das erstens den nationalen Arbeitsmarkt wei-terentwickelt, zweitens die Zuwanderung Hochqualifiziertererleichtert und dabei nicht vergisst, Deutschland im Auslandals attraktiven Arbeitsstandort darzustellen. Nur ein umfas-sender, gesamtheitlicher Ansatz auf diesen Handlungsfel-dern kann meines Erachtens den sich verstärkenden Fach-kräftemangel wirkungsvoll verringern.

Nationale Qualifikationsinitiative für den ITK-Sektor

Eine nationale Qualifizierungsinitiative steht vor der Aufga-be, das Bildungssystem entlang der »Lernbiographie« einesMenschen – vom jugendlichen Alter bis zum Ende der Be-rufstätigkeit – auf Schwachstellen zu überprüfen und ent-sprechende Lösungen zu finden (vgl. BITKOM 2007c). Auchzukünftig wird der heimische Arbeitsmarkt den mit Abstandgrößten Teil an hoch qualifizierten Fachkräften bereitstellen.Deshalb sind Reformen in diesem Bereich besonders wich-tig und haben die größten – wenn auch erst mittelfristig wahr-nehmbaren – Effekte.

Dabei hat der erste Abschnitt der Bildungsbiographie –die Schulzeit – wohl die größten Auswirkungen. Die Grund-lagen für die moderne Wissensgesellschaft werden hier ge-legt, dementsprechend sollten wir hier auch den Reform-hebel ansetzen: Naturwissenschaften müssen aus meinerSicht einen größeren Stellenwert erlangen. Das verlangtdreierlei: Zum einen sollten Quantität und Qualität von MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften,Technik) erhöht werden: Sie sollten mindestens ein Drittelder Unterrichtszeit ausmachen, Informatik sollte ein ei-genständiges Fach in der Sekundarstufe I sein. Die Quali-tät des Unterrichts muss durch systematische Fortbildun-gen der Lehrkräfte in neuen didaktischen Methoden sicher-gestellt werden – Lehrer müssen immer auch Lernendebleiben.

Zum anderen sollten wir einen besonderen Schwerpunkt aufdie Begeisterung von Mädchen und jungen Frauen für Tech-nik und Naturwissenschaften legen. Nur wenige junge Frau-en entscheiden sich für ein naturwissenschaftliches oder eintechnisches Studium bzw. Ausbildung. Die Gründe hierfürliegen meist in der Unterrichtssituation der Schulen. Ich plä-diere dafür, ab der Sekundarstufe I in den naturwissenschaft-lichen Fächern flächendeckend Zusatzangebote für Mäd-chen anzubieten. Erfahrungen aus Schulprojekten und rei-

nen Mädchenschulen belegen, dass sich dort ein signifikanthöherer Anteil von Mädchen für entsprechende Studiengän-ge entscheidet.

Haben sich Jugendliche dann einmal für die Naturwissen-schaften entschieden, müssen sie auf ihrem Weg bestärktwerden. Noch immer ist das deutsche Bildungssystem zusehr auf Auslese statt auf Förderung ausgerichtet. An denHochschulen gelten mathematische Einführungskursescheinbar als probates Mittel, um die Zahl der Studieren-den zu reduzieren. Nicht selten werden mathematischeKenntnisse in Prüfungen verlangt, die im späteren berufli-chen Alltag nie wieder eine Rolle spielen werden. DieserAnsatz ist falsch. Die Alternative besteht dabei nicht darin,Qualität und Niveau der akademischen Bildung abzusen-ken. Die unverhältnismäßig hohe Abbrecherquote in MINT-Fächern ist ein Zeichen von falscher inhaltlicher Akzentu-ierung und mangelndem Management. Studierende müs-sen besser gefördert, in kleineren Lerngruppen intensiverbetreut und ihre Begabungen konsequenter entwickelt wer-den, um bei gleichem Niveau der Abschlüsse die Zahl derStudienabbrecher zu senken. Um Begabungen zu ver-schenken, sind die zahlenmäßig rückläufigen Jahrgängeschon heute zu klein. Eine fachdidaktische Zusatzausbil-dung angehender Dozenten ist ein erster Schritt. Studie-rende müssen das klare Signal erhalten, dass bei grund-sätzlich vorhandener Eignung und hohem Engagement einAbschluss des Studiums die Regel ist. Hierdurch wird ei-ne Eigendynamik erzeugt, die zum Durchhalten motiviert.Ziel muss es sein, die Abbrecherquote von derzeit rund50% zu halbieren.

Ein dritter Bestandteil der nationalen Qualifizierungsinitiati-ve ist die Weiterbildung der Beschäftigten. Weiterbildungist eine Lebensnotwendigkeit für eine Branche, deren Ge-schäftsmodelle, Wertschöpfungsketten und Produkte einempermanenten Wandel unterliegen. Die Sicherung des lebens-langen Lernens wird damit zu einer zentralen Aufgabe derUnternehmen. Denn ein Ausstieg aus dem Lernprozess kannfür die Mitarbeiter nach wenigen Jahren zum faktischen Ver-lust der Beschäftigungsfähigkeit führen. Unternehmen undMitarbeiter müssen das lebensbegleitende Lernen so ge-stalten, dass kein Bruch in der Bildungsbiographie entstehtund auch ältere Mitarbeiter ihre Rolle als Technologie- undProzessinnovatoren über einen längeren Zeitraum spielenkönnen. Hierfür bedarf es einer dezidierten Strategie, dieals Rahmen für die Qualifizierungsmaßnahmen von Ge-schäftsbereichen, Abteilungen und Teams dient. Sie mussfür alle Ebenen des Unternehmens Orientierung bieten undPrioritäten bei der Mittelverwendung und der inhaltlichenAusrichtung von Weiterbildungsaktivitäten setzen. Dies be-trifft nicht zuletzt die Universitäten. Sie müssen sich zu Ins-tituten wandeln, die ihre Kunden – die vormaligen Studen-ten – im Grunde ihr Leben lang mit Qualifikationsmaßnah-men begleiten.

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Eckpunkte eines zukunftsfähigen Zuwanderungssystems

Das seit 2005 geltende neue nationale Zuwanderungsrechtstellt im Vergleich zu den vorherigen Regelungen einen we-sentlichen Fortschritt dar, zeigt jedoch kaum Wirkung (vgl.BITKOM 2007a, Kap. 2.2; BITKOM 2007b). Nicht einmal1 000 Hochqualifizierte kommen auf dieser Basis pro Jahrnach Deutschland oder wandeln ihre temporäre Aufenthalts-erlaubnis in eine Niederlassungserlaubnis um. Hier wird deut-lich, dass das aktuelle System weder dazu geeignet ist,den akuten Fachkräftebedarf der Wirtschaft zu decken, nocheine Antwort auf das langfristige strukturelle Fachkräftepro-blem zu geben: Es ist schlicht undenkbar, dass mit den be-stehenden Regelungen die von der Bundesregierung at-testierte Fachkräftelücke von 23 000 bis 95 000 Ingenieu-ren bis 2014 zu schließen ist (vgl. Bundesministerium für Bil-dung und Forschung 2007).

In diesem Kontext ist die »Blue-Card«-Initiative der Europäi-schen Kommission zu begrüßen. Leider hat die deutschePolitik das »Blue-Card«-Konzept beinahe reflexartig abge-lehnt – dabei hat die Kommission genau das umgesetzt,was ihr die Staats- und Regierungschefs 2005 als Auftragmitgegeben haben: die Konkretisierung des »Policy Plan onLegal Migration«. Angesichts dieser Reflexe und der fehlen-den gesamteuropäischen Öffentlichkeit ist ein Erfolg der»Blue-Card«-Initiative unwahrscheinlich. Dies muss nach-denklich stimmen, adressiert doch die »Blue-Card« ein The-ma, das wir im nationalen Rahmen bislang viel zu wenig dis-kutiert haben: Wie positionieren wir den im Lissabon-Pro-zess hinlänglich gerühmten Innovationsraum Europa im in-ternationalen Wettbewerb um die besten Köpfe? Dass dieChancen in diesem globalen Wettbewerb bei einheitlichen,europaweiten Lösungen steigen dürften, liegt auf der Hand– hier unterscheidet sich der Arbeitsmarkt nicht von ande-ren Märkten.

Die negativen Reaktionen auf die »Blue-Card« sind umsoschädlicher, als das nationale deutsche Zuwanderungssys-tem weiterhin nicht optimal ist:

– Die Verwaltungsprozesse müssen einfacher werden. Die»Green Card« von 2000 hat bewiesen, dass die Wirkungder Verwaltungsprozesse ebenso groß sein kann wie dieder zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen.

– Die Anforderungen bei der Einzelfallzuwanderung müs-sen auf ein realistisches Maß abgesenkt werden. Die Zah-len sind hinlänglich bekannt. Eine Gehaltsanforderung fürabhängig Beschäftigte, die sich an der Beitragsbemes-sungsgrenze für die gesetzliche Krankenversicherung ori-entiert (derzeit rund 43 000 €), wäre realistisch. Dies istein Niveau, das leicht über dem üblichen Einstiegsge-halt eines Jungingenieurs liegt.

– Das Einzelfallsystem muss durch eine interessengesteu-erte, transparente Kontingentzuwanderung ergänzt wer-

den. Das heißt: Deutschland wirbt um die besten Köpfeder Welt und wählt diese durch ein transparentes Aus-wahlverfahren aus. Dieses System hat sich in Ländernwie den USA und Kanada bewährt. Die Vorteile eines sol-chen Systems liegen auf der Hand: Es ermöglicht eineflexible, gezielte und transparente Zuwanderungspolitikund ist mit jedem gewünschten Niveau der Zuwanderungkompatibel.

Internationales Arbeitsstandort-Marketing

Die Attraktivität eines Arbeitsmarktes ist nicht alleine vonZuwanderungsgesetzen abhängig (vgl. BITKOM 2007a,Kap. 2.3). Die Wahl des Lebensmittelpunktes in einem frem-den Land wird von zahlreichen anderen Faktoren beein-flusst: familiäre Bindungen, persönliche Präferenzen oderErfahrungen im Bekanntenkreis. Zuwanderungsgesetze sindwichtig, sind sie doch die Visitenkarte eines Landes im Aus-land. Aber sie sind nicht der einzige entscheidungsrele-vante Faktor.

Deutschland muss die Tatsache akzeptieren, dass es sichim weltweiten Wettbewerb um die besten Fachkräfte nichtan der Spitze befindet. Es muss daher das Ziel des Hightech-Standortes Deutschland sein, in möglichst allen Disziplinendieses Toptalente-Wettbewerbs hervorragend zu sein. Die-sem Anspruch werden wir zurzeit nicht gerecht. Deutlichwird das an so einfachen Dingen wie der Zugänglichkeitvon Informationen über die Zuwanderungsmöglichkeiten.Das derzeitige Zuwanderungsgesetz ist in seiner Kombina-tion von Gesetzestexten und Verordnungen für Immigrati-onswillige kaum zu durchschauen.

Es fehlt an grundlegenden Dingen wie zielgruppenspezi-fisch gestalteten Informationsmaterialien. Die vorhande-nen Informationsangebote auf den Websites der Bundes-regierung sind nicht ausreichend. Es kommt nicht daraufan, dass diese Informationen »irgendwo irgendwie« vorhan-den sind. Das Standort-Marketing sollte professionell undpraktisch angegangen werden. So sollte die Bundesregie-rung ein Projekt »Work in Germany« initiieren. Dazu gehö-ren die Bereitstellung eines mehrsprachigen Internet-Ange-botes sowie regelmäßige Veranstaltungen auf ausländischenFachkräftemessen. Auslandshandelskammern, Botschaf-ten und Konsulate sollten mit einer aktiven DarstellungDeutschlands als attraktives Einwanderungsland für Top-talente beauftragt werden. Sie sollten aktiver darüber in-formieren, welche Studien- und Arbeitsmöglichkeiten es inunserem Land gibt.

Zu einer solchen Werbestrategie gehört umgekehrt aucheine professionelle Methodik, um die besten ausländischenTalente auswählen zu können. Auch hier gibt es einfacheWege zur Verbesserung. Für Informatik-Fakultäten existiertoft das Problem, mit zahlreichen Abschlüssen ausländischer

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Bewerber konfrontiert zu sein, ohne deren akademischenWert einschätzen zu können. Um die Qualität der Lehre si-cherzustellen, bedarf es aber zuverlässiger Einschätzun-gen zur Leistungsfähigkeit von Kandidaten. Hier sollten prak-tische Instrumente für eine gezielte Qualitätssicherung imBereich der ITK-Hochschulbewerber eingeführt werden. Vor-bild könnte der amerikanische »GMAT«-Test sein, der Grund-kenntnisse mathematischen und naturwissenschaftlichenVerständnisses abprüft und so eine objektive Basis für dieAuswahl der Kandidaten schafft.

Ausblick

Die dargestellte Strategie bietet zahlreiche Ansatzpunkte fürkonkrete Verbesserungen – hier sind sowohl Politik, Wirt-schaft als auch Wissenschaft gefordert. Dennoch gilt: Bil-dung ist eine der vornehmsten Aufgaben der Politik. Das Bil-dungssystem ist öffentlich strukturiert, private Anbieter ha-ben kaum ein Chance, Wettbewerb ist weitgehend inexis-tent. Wenn aber private Anbieter vom Bildungssystem weit-gehend ferngehalten werden sollen, kann die Politik nichtgleichzeitig an die Verantwortung der Wirtschaft für ein leis-tungsfähiges Bildungssystem appellieren. Die Politik hat sichhier eine starke Position zugedacht, und diese Führungs-rolle muss sie auch aktiv übernehmen.

Gleichzeitig gilt: Bildung allein wird das Problem nicht lö-sen. Ebenso wenig wie Deutschland als Produktionsland je-mals völlig autark werden wird und alle Lebensmittel, Ge-brauchsgüter etc. im Inland wird herstellen können, wird esuns gelingen, alle Qualifikationen, die wir im Arbeitsmarktbrauchen, aus eigener Kraft zu Verfügung zu stellen. DieseFeststellung gilt allgemein, nicht nur für Deutschland.

Hinzu kommt: Selbst wenn wir umgehend Kindergärten,Schulen und Hochschulen reformieren, werden wir frühes-tens in fünf bis zehn Jahren spürbare Wirkungen dieser Qua-lifizierungsinitiative sehen. Wir brauchen also mehr gesteu-erte Zuwanderung, auch um eine Agonie im Arbeitsmarktin den kommenden zehn Jahren zu vermeiden.

Es muss und kann gelingen, parallel das Bildungssystemzu reformieren, Frauen für technische Berufe zu begeis-tern, das Wissen alternder Mitarbeiter aktuell zu halten unddie Zuwanderungsfrage zu lösen. Diese Themen müssenwir gleichzeitig angehen, schon allein des unterschiedli-chen zeitlichen Wirkungshorizonts wegen. Das eine tun unddas andere lassen, hilft nicht weiter.

Literatur

BITKOM (2007a), Standortnachteil Fachkräftemangel: Fakten und Lösungs-ansätze. Wie Politik, Wirtschaft und Wissenschaft den Hightech-StandortDeutschland nachhaltig stärken könnten. Berlin.

BITKOM (2007b), Standpunkte zur Zuwanderung hochqualifizierter Arbeits-kräfte. Den Wettbewerb um die besten Köpfe gewinnen, Berlin.BITKOM (2007c), Lernen für die Informationsgesellschaft! BildungspolitischesGrundsatzpapier des BITKOM, Berlin.Bundesministerium für Bildung und Forschung (2007), Bericht zur technolo-gischen Leistungsfähigkeit Deutschlands, Bonn, Berlin.

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Ist die Agenda 2010 einschützenswertes Gut?

Umstrittene und eigentlich notwendige Korrekturen der Arbeitsmarktreformen

Hat die Agenda 2010 nach nur kurzer Le-bensdauer ein Staatsbegräbnis zweiterKlasse bekommen? Ist die Republik wie-der auf dem Weg zurück in die Wohl-fahrtsstaatlichkeit der siebziger Jahre? Zudieser pessimistischen Einordnung könn-te man durchaus kommen, wenn manvielen Kommentatoren und auch denStatements zahlreicher Wirtschaftswis-senschaftler Glauben schenkt. Danacherleben wir derzeit einen »Dammbruch«der Antireformstimmung, die sich Bahnbricht in das Parlament und in die GroßeKoalition hinein. Das Aufbrechen derAgenda 2010 zugunsten der älteren Ar-beitslosen sei nur der Anfang eines nunfortschreitenden Erosionsprozesses derschmerzhaften Reformpolitik – vorange-trieben von einer bis zu nächsten Bun-destagswahl weitgehend paralysiertenGroßen Koalition und den verbalradika-len Zuspitzungen der Linkspartei und derGewerkschaften, gepaart mit einer ent-sprechend kritischen Mehrheitsstimmungin der Bevölkerung.

Aber was ist denn wirklich passiert? EinBaustein dessen, was unter dem – zu-gegeben sehr trocken daherkommenden– Kampfbegriff der »Agenda 2010« sub-sumiert wird, soll ab dem kommendenJahr aufgeweicht und zugunsten einesTeils der Arbeitslosen modifiziert werden.Womit wir aber auch schon beim Kern-problem angelangt sind, denn es handelt

sich nicht nur um eine eher randständi-ge Veränderung des Agenda-Pakets,sondern man kann die beschlossene(Wieder-)Verlängerung der Bezugszeitendes Arbeitslosengeldes I für ältere Ar-beitslose durchaus als einen Eingriff inden Kernbereich der Agenda 2010 inter-pretieren.

Die Agenda 2010 – basierend auf der Re-gierungserklärung des damaligen Bun-deskanzlers Schröder vom 14. März 2003– beinhaltet nicht nur eine Arbeitsmarkt-reform im engeren Sinne, sondern um-fasst auch andere Politikfelder wie die Fa-milienpolitik, Bildung, Steuern, Gesund-heit und Rente. Ihr lagen zwei zentrale Hy-pothesen hinsichtlich des postulierten Re-formbedarfs zugrunde: Zum einen diewettbewerblichen Herausforderungendurch die Globalisierung und zum ande-ren die Auswirkungen eines sich radikalverändernden Altersaufbaus der Bevölke-rung mit ihren Ausstrahlungen in die um-lagefinanzierten sozialen Sicherungs-systeme. Zielgröße war (und ist) ein eher(neo-)klassischer Ansatz, nämlich über ei-nen höheren Wachstumspfad der Wirt-schaft wieder zu einem höheren Beschäf-tigungsstand zu kommen. In diesem Kon-text bewegt sich dann auch die zentraleAnnahme von zu hohen Lohnkosten, de-ren Senkung einen entsprechenden An-reiz zu vermehrten Einstellungen ergebensoll. Von der Politik unmittelbar gestaltbarsind hierbei ein Teil der »Lohnnebenkos-ten«, so dass die anvisierte Senkung derSozialausgaben einen Kernbereich desGrundmodells darstellt.

Korrekturen oder Rückschritt?Nachtrag: Reform der Agenda 2010: Notwendige

Einführung von Mindestlöhnen, Reform bei der Arbeitslosenversicherung: Hat die Bundesregie-

rung in diesem Sommer eine reformpolitische Wende vollzogen? Ergänzend zu den Beiträgen im

ifo Schnelldienst 23/2007 sieht Stefan Sell unabhängig von der Frage der Laufzeit der Versiche-

rungsleistung bei den Arbeitsmarktreformen im Kontext der Agenda 2010 das zentrale Dilemma

in der Einseitigkeit dieser Reformen. Es wurde, seiner Meinung nach, versäumt, eine »Win-Win-

Situation« zu schaffen, wie sie etwa das dänische Flexicurity-Modell biete. Das Modell verbinde

erhebliche Erleichterungen z.B. beim Kündigungsschutz mit perspektivisch ausreichend hohen

und lang laufenden Lohnersatzleistungen, die aber im Regelfall, aufgrund der hohen Umschlags-

geschwindigkeit auf dem Arbeitsmarkt, kaum in Anspruch genommen werden müssten.

* Prof. Dr. Stefan Sell lehrt Volkswirtschaftslehreund Sozialpolitik an der FH Koblenz, Campus Re-magen.

Stefan Sell*

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Diese Absenkung der Sozialausgaben und damit eine Ent-lastung des Faktors sozialversicherungspflichtige Arbeit soll-te unter anderm durch die Abschaffung der Arbeitslosenhil-fe in Verbindung mit einer Absenkung der Transferleistun-gen durch eine Pauschalierung der bisher einmaligen (undvom Einzelfall abhängigen) einmaligen Leistungen erreichtwerden, in Kombination mit einer Verkürzung der Bezugs-dauer der (relativ hohen) Versicherungsleistung Arbeitslo-sengeld und einer deutlichen Reduzierung der Ausgaben fürklassische arbeitsmarktpolitische Leistungen wie ABM oderUmschulungsmaßnahmen.

Der generell angebotsseitige Fokus auf Kostensenkung beimFaktor Arbeit wurde ergänzt durch eine individualisierendeund primär arbeitsangebotsseitige Konzentration auf eineschnelle »Irgendwie-Integration« in Erwerbsarbeit, beispiels-weise durch eine Verschärfung der Zumutbarkeitskriterienin der Arbeitsvermittlung. Interessanterweise gehörte hier-zu auch die Definition von 400-Euro-Jobs als zumutbareBeschäftigung, was aber ab dem Moment einer umfängli-chen Inanspruchnahme durch viele Arbeitslosengeld-II-Empfänger und der offensichtlichen Kombination mit denaufstockenden Leistungen aus dem SGB-II-System flugszu einer »Geringfügigkeitsfalle« für Hartz-IV-Empfänger pro-blematisiert wurde und wird. Dabei liegt die Ursache hier-für einfach nur in der Existenz der im internationalen Ver-gleich bis auf Österreich einmaligen Ausgestaltung staat-lich subventionierter Teilzeitjobs in Form der Minijobs, diezugleich auch noch en passant dazu beitragen, die Finan-zierungsgrundlagen der Sozialversicherungssysteme zu un-tergraben.

Neoklassisches Modell der Arbeitsuche

Den zentralen Stellenwert der mit der Agenda 2010 vollzo-genen deutlichen Verkürzung der Bezugsdauer der Versi-cherungsleistung Arbeitslosengeld1 kann man nur nachvoll-ziehen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der ganze An-satz auf dem neoklassischen Modell der Arbeitsuche ba-siert. Danach wird die Arbeitslosenquote vor allem durch dieAbgangsrate der Arbeitslosen negativ beeinflusst. Diese Ab-gangsrate selbst wird negativ beeinflusst durch den Ak-zeptanz- bzw. Anspruchslohn der Arbeitsuchenden, also jehöher dieser ist, desto niedriger müsste die Abgangsratesein und umgekehrt. Also muss man den Akzeptanzlohnentsprechend beeinflussen. Positiv auf den Anspruchslohn

der Arbeitsuchenden – und damit verstärkend – wirken dieHöhe der Marktlöhne, die Zahl der Arbeitsangebote unddie Opportunitätskosten der Arbeit. Negativ wirken die Op-portunitätskosten der Arbeitsuche, und auf diese wieder-um wirkt die Lohnersatzrate negativ, die zugleich auch nochdirekt negativ auf die Abgangsrate wirkt. Man darf die Ar-gumentationslinie zuspitzen: Der Höhe und vor allem derDauer der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld wird ei-ne die Suchintensität reduzierende, den Anspruchslohn derArbeitslosen »überhöhende« und damit die Arbeitslosigkeittendenziell verlängernde Wirkung zugeschrieben. Insofernwaren die im Rahmen der Agenda 2010 vorgenommenenVeränderungen beim Arbeitslosengeld I hinsichtlich der ver-kürzten Bezugsdauer und die deutliche Absenkung der»Lohnersatzrate« mit dem pauschalierten »Arbeitslosen-geld II«2 durchaus zielführend – wenn denn die Annahmenstimmen.

Die Zentralität des Konzepts des Anspruchslohnes mussmehr als irritieren, wenn man Forschungsbefunde zur Kennt-nis nimmt, die sich mit der Frage befassen, welche Fakto-ren den Übergang aus der Arbeitslosigkeit in eine neue Be-schäftigung beeinflussen. So konnte beispielsweise Uhlen-dorff (2003) in einer Studie zeigen, dass es vor allem Fak-toren aus dem Bereich »Ressourcen der arbeitslosen Per-sonen in Form von beobachteten Eigenschaften und Fä-higkeiten, die für mögliche Arbeitgeber von Interesse seinkönnen« sind, die hochsignifikante Effekte auf die Übergangs-wahrscheinlichkeit in den Arbeitsmarkt haben.

Differenzierung erforderlich

Aber auch wenn man grundsätzlich an der Relevanz desAnspruchslohns für die Frage erfolgreicher Übergänge inBeschäftigung festhält, wird man konzedieren müssen, dassdie Forschungslage insgesamt darauf hinweist, dass zu-mindest eine Differenzierung erforderlich ist: Entgegen derhäufig vermuteten positiven Korrelation zwischen der Hö-he der Lohnersatzleistung und der Dauer der Arbeitslosig-keit ist es weniger die Höhe als die Dauer des Leistungs-anspruchs, der man eine den Leistungsbezug verlängern-de Wirkung zuschreiben kann. Das nun allerdings wäre ein– wenn auch differenzierterer – Befund, der gegen die ak-tuell beschlossene Verlängerung der Bezugsdauer des Ar-beitslosengeldes I für die Älteren sprechen würde. Und dar-auf verweisen ja auch kritische Stellungnahmen, die damitargumentieren, dass gerade in dem Moment, wo gleich-

1 Bis zur Arbeitsmarktreform im Kontext der Agenda 2010 hatten Arbeits-lose ab 55 Jahre Anspruch auf 32 Monate Arbeitslosengeld, der dannauf maximal 18 Monate verringert worden ist. Für alle anderen Arbeitslo-sen gilt eine maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I von zwölfMonaten. Nun soll diese Bezugsdauer ab 2008 wieder teilweise erhöhtwerden, für die 50-Jährigen und Älteren auf 15 Monate, für die über 55-Jährigen auf 18 Monate und für die über 58-Jährigen auf 24 Monate. Da-mit restauriert die Neuregelung aber immer noch nicht den alten Rechts-zustand.

2 Die Anführungsstriche beziehen sich auf den Tatbestand einer grob fahr-lässigen Terminologie, denn das »Arbeitslosengeld II« vermittelt fälschli-cherweise den Eindruck, dass wir es mit einer Versicherungsleistung zutun haben und nicht – allerdings richtigerweise – mit einer bedürftigkeits-abhängigen »Bundessozialhilfe«, die keine Anbindung mehr hat an einevorgängige versicherungspflichtige Beschäftigung, wie es noch bei der Ar-beitslosenhilfe durch den Bezug auf das frühere bereinigte Arbeitsein-kommen gegeben war.

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sam als »erste Frucht« aus den Einschnitten in der Arbeits-losenversicherung und der deutlichen Verschlechterung derKonditionen gerade für die älteren Arbeitslosen auch de-ren Arbeitslosigkeit zurückgeht und zugleich ihr Beschäfti-gungsgrad zu steigen beginnt, erneut Anreize gesetzt wer-den, die eine individuell arbeitslosigkeitsverlängernde Wir-kung auslösen werden. Was ist von dieser Argumentationzu halten?

Grundsätzlich besteht das Problem bei dieser Argumenta-tion zum einen darin, dass sich hier die klassische Fragestellt, was zuerst da war, und zum anderen werden ande-re, möglicherweise viel wirkkräftigere Einflussfaktoren nichtausreichend berücksichtigt. Dass die Arbeitslosigkeit der Äl-teren zurückgeht und zugleich auch ihre Beschäftigung zu-nimmt, hat einerseits damit zu tun, dass ein nicht geringerTeil gar nicht mehr in der offiziellen Arbeitslosenstatistik auf-taucht, weil sie die so genannte »58er-Regelung« in Anspruchnehmen (müssen)3, gleichwohl aber entsprechende Trans-ferleistungen beziehen. Zum anderen profitieren natürlichauch die Älteren bis zu einem gewissen Grad von der allge-meinen Belebung am Arbeitsmarkt, die aber weniger bzw.überhaupt nicht eine Folge der Arbeitsmarktreformen ist,sondern dem klassischen Muster eines mit einem üblichentime-lag versehenen Durchschlagens der von den Güter-märkten ausgehenden konjunkturellen Impulse auf den Ar-beitsmarkt folgt. Diese nachziehende Bewegung wird dannspeziell für die Gruppe der Älteren (die grundsätzlich eine»doppelte time-lag-Problematik«4 zu bewältigen haben) ver-stärkt, wenn es zunehmend einen erkennbaren Fachkräfte-mangel in einigen Berufen bzw. Branchen gibt, so dass auchdie Betriebe bereit sind, wieder stärker als bisher Konzes-sionen gegenüber den Arbeitsuchenden zu machen. Zumanderen – und das wird derzeit viel zu wenig gesehen – re-duzieren sich mit Blick auf die Älteren auch die Zugänge inArbeitslosigkeit und die Abgänge aus Beschäftigung, weilmit den Änderungen im Rentenrecht und hierbei vor allemdie Abschlagsregelungen und die nun schrittweise einge-führte Verlängerung der Regelarbeitszeit auf 67 Jahre weit-aus stärker wirkenden Anreize für die Betroffenen gesetzt

werden, im Erwerbsleben zu verbleiben und ganz praktischdie Option einer Frühverrentung systematisch geschlossenwurde. In diesem Kontext ließe sich argumentieren, dass die(Wieder-)Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosen-geldes I durchaus kontraproduktiv ist, denn die Verkürzungwirkt doch vor allem über die Drohkulisse, nach einer rela-tiv kurzen Frist von 12 bzw. 18 Monate (für die über 55-Jährigen) in das bedürftigkeitsabhängige Grundsicherungs-system abzustürzen. Und dass diese Drohkulisse durch-aus Wirkungen entfaltet, zeigen die neueren Befunde ausdem IAB über die Zunahme der Konzessionsbereitschaft aufSeiten der Arbeitslosen nach Einführung des neuen Grund-sicherungssystem mit dem Arbeitslosengeld II: Die Hartz-IV-Reform hat dazu geführt, dass Arbeitslose eher bereitsind, Abstriche hinsichtlich der Lohnhöhe, der Arbeitsbedin-gungen und des Qualifikationsniveaus einer Stelle zu ma-chen. Das geht aus einer repräsentativen Betriebsbefragungdes IAB hervor. Etwa jeder fünfte Betrieb gab an, dass dieKonzessionsbereitschaft arbeitsloser Bewerber im Hinblickauf die Lohnhöhe, die Arbeitsbedingungen und das Quali-fikationsniveau der Stelle gestiegen war. Vor allem die Be-triebe, die eine höhere Konzessionsbereitschaft beobach-tet haben, konnten schwer besetzbare Stellen leichter be-setzen. Sie haben auch häufiger neue Arbeitsplätze für ge-ring entlohnte Tätigkeiten geschaffen. Jeder dritte Betriebsieht einen Zusammenhang zwischen Änderungen im Be-werberverhalten und der Hartz-IV-Reform.5

Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosen-geldes I ist, isoliert betrachtet, kontraproduktiv

Diese Befunde verweisen im Prinzip darauf, dass die be-schlossene Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslo-sengeldes I nicht nur zu Recht umstritten ist, sondern iso-liert betrachtet auch kontraproduktiv wirkt. Das eigentlicheProblem liegt aber darin, dass die Befürworter einer Verlän-gerung einen ganz anderen Bezugsrahmen haben: Ihnengeht es ganz offensichtlich um eine aus ihrer Sicht grund-sätzliche Fehlkonstruktion der Arbeitsmarktreformen derge-stalt, dass es zu einer massiven Ungerechtigkeit im Versi-cherungssystem gekommen ist, da nach der Reform ein Ar-beitnehmer, der 30 Jahre in die Arbeitslosenversicherung»eingezahlt« hat, genauso behandelt wird hinsichtlich dermonetarisierbaren Versicherungsleistung wie ein Jüngerer,der gerade einmal 24 Monate Beiträge geleistet hat – unddas nach einer relativ kurzen Frist alle unabhängig von ihrerindividuellen Arbeitsbiographie im Grundsicherungssystemmit gleichen Leistungen landen. Das ist doch das Kernpro-

3 Und gerade um diese Regelung, die eigentlich zum Jahresende 2007 aus-laufen sollte, gibt es aktuell erhebliche Aufregung, die wohl zu einer Ver-längerung führen wird, denn ein Wegfall würde dazu führen, dass die Ar-beitslosen im Grundsicherungsbezug verpflichtet sind, zum frühestmög-lichen Zeitpunkt die vorrangig einzusetzende Altersrente in Anspruch zunehmen, auch wenn dies mit – lebenslang wirkenden – Abschlägen vonbis zu 18% verbunden wäre. Derzeit belaufen sich die Schätzungen überdie Größenordnung dieser Gruppe auf bis zu 400 000 Betroffene.

4 Diese grundsätzlich vorhandene und aus der ausgeprägten Selektivitätdes betrieblichen Einstellungsverhaltens resultierende doppelte Verzöge-rung positiver Arbeitsmarkteffekte für die als »Problemgruppe« diskrimi-nierten älteren Arbeitslosen kann man auch derzeit noch gut erkennenam Beispiel der Gruppe der Ingenieure, für die bereits der totale Fach-kräftemangel ausgerufen worden ist, währenddessen die Analysen desIAB zeigen können, dass immer noch in größerem Umfang arbeitsuchen-de und hierbei vor allem ältere Ingenieure vorhanden sind (vgl. hierzu Bier-sack, Kettner und Schreyer 2007). Das eigentliche Problem ist der mittel-fristig zu erwartende Fachkräftemangel, wenn die vielen Älteren aus demErwerbsleben ausscheiden.

5 Vgl. hierzu Bender et al. (2007). Allerdings zeigen die Befunde auch – ausSicht der Arbeitsvermittlung nicht überraschende – Kollateralschäden dergrößeren Konzessionsbereitschaft: So haben aufgrund des stärkeren Drucksauch die Initiativbewerbungen stark zugenommen, aber hierbei auch dieBewerbungen auf unter- und überqualifizierte Arbeitsplätze, was wieder-um die Auswahlkosten der Unternehmen erhöht und zugleich die Gefahreiner Fehlallokation bei der Stellenbesetzung vergrößert.

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blem, warum auch die Verlängerung durchaus auf große Zu-stimmung in der Bevölkerung stößt: Die Nicht-Berücksich-tigung der Lebensleistung durch den Abbau der originärenVersicherungsleistungen und die damit verbundene Verlet-zung des Prinzips der Leistungsgerechtigkeit und der Le-bensstandardsicherung (zwei Kernelemente des Sozialver-sicherungsstaates deutscher Ausprägung).6 Verstärkt wirddiese Perspektive durch eine eher lebenspraktische Wahr-nehmung der Arbeitsmarktlage dergestalt, dass die meis-ten sehr wohl wissen, dass – individueller Druck hin oder her– ältere Arbeitslose bei der Arbeitsuche statistisch diskrimi-niert werden und die Gefahr der Langzeitarbeitslosigkeit sig-nifikant hoch ist, unabhängig vom individuellen Wollen undKönnen. Dies und die Kenntnis von den nicht wegzudisku-tierenden Einschränkungen, die das Alter für die meisten Ar-beitnehmer mit sich bringt, ist auch ein wesentlicher Grundfür die große Ablehnung der Rente mit 67.

Dänisches Flexicurity-Modell vorteilhaft

Insgesamt ergibt sich vor diesem Hintergrund der zentraleBefund, dass, unabhängig von der Frage der Laufzeit derVersicherungsleistung, das zentrale Dilemma der Arbeits-marktreformen im Kontext der Agenda 2010 in ihrer Einsei-tigkeit besteht. Es wurde – und das ist der kardinale Fehlergewesen – versäumt, eine »Win-Win-Situation« zu schaffen,wie wir sie beispielsweise im dänischen Flexicurity-Modellvorfinden können, wo erhebliche Erleichterungen gerade fürdie vielen kleinen und mittleren Unternehmen z.B. beim Kün-digungsschutz verbunden sind mit perspektivisch ausrei-chend hohen und lang laufenden Lohnersatzleistungen, dieaber im Regelfall kaum in Anspruch genommen werden müs-sen aufgrund der hohen Umschlagsgeschwindigkeit auf demArbeitsmarkt.

Damit zusammenhängend sollte ein zweiter Kardinalfehlerder deutschen Arbeitsmarktreformen nicht verschwiegenwerden: Immer noch – und gerade aktuell am Beispiel deraufgeregten Arbeitslosengeld-I-Diskussion – wird die falscheAnnahme genährt, eine einseitig arbeitsangebotsseitige Stra-tegie der individuellen und im Wesentlichen über Druck lau-fenden »Aktivierung« der einzelnen Arbeitslosen könne sig-nifikante Effekte in Richtung auf eine höhere Beschäftigunginduzieren. Das ist gesamtwirtschaftlich betrachtet unsin-nig. Gerade der aktuelle Aufschwung verdeutlicht doch die»klassische« Bedeutung der Nachfrageseite und den Stel-lenwert der Binnennachfrage für die inländische Beschäfti-

gung. Insofern ist der massive Kaufkraftentzug gerade beidenjenigen, die eine marginale Konsumquote von 100% ha-ben, durchaus problematisch – potentiert durch die bei denrisikoaversen Deutschen grundsätzlich schon stark ausge-prägten psychologischen Effekte wie Angstsparen und Kon-sumzurückhaltung. Hätte man doch wenigstens die Agen-da 2010 mit ihren Lohndruck nach unten auslösenden Ef-fekten abgestützt durch die Einführung einer Schranke nachunten in Form eines Mindestlohnes, dann hätte man sichviele aktuelle Probleme ersparen können und auch die psy-chologische Botschaft an die Betroffenen wäre eindeutig ge-wesen.

Aber auch wenn man dieser eher keynesianischen Argu-mentationslinie nicht folgen mag: Zeigen nicht zahlreicheneuere Befunde, dass es weniger die Reformen auf dem Ar-beitsmarkt sind, die eine Volkswirtschaft voranbringen, son-dern vielmehr die Entwicklung der Investitionen7, die Inno-vationen und eine auf die Binnennachfrage abstellende Fis-kal- und Geldpolitik?8

Die eigentlich notwendige Reform der Arbeitsmarktreformliegt noch vor uns. Dabei wird es um die Achillesferse derdeutschen Arbeitsmarktpolitik gehen müssen, also die un-selige getrennte Trägerschaft zwischen Kommunen und BAim Grundsicherungssystem. Es wird um die Einziehung ei-ner Lohngrenze im Niedriglohnbereich gehen. Und ange-sichts der offensichtlich werdenden Fachkräftebedarfe mussauch wieder das »klassische« Instrumentarium der berufli-chen Qualifizierung z.B. in Form von Umschulungen reani-miert werden. Diese Beispiele mögen verdeutlichen: Der ei-gentliche Abschied von der Agenda 2010 steht noch be-vor, aber bis zur nächsten Bundestagswahl besteht zugleichkaum die Gefahr, dass es dazu wirklich kommt.

Literatur

Bender, S., S. Koch, S. Meßmann und U. Walei (2007), »Was muten sich Ar-beitslose zu? Lohnkonzessionen von ALG-II-Empfängern«, IAB DiscussionPaper Nr. 23., Nürnberg.Biersack, W., A. Kettner und F. Schreyer (2007), »Engpässe, aber nur keinallgemeiner Ingenieurmangel«, IAB Kurzbericht (6), Nürnberg.Uhlendorff, A. (2003), »Der Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften und so-zialen Ressourcen auf die Arbeitslosigkeitsdauer«, DIW-DiskussionspapiereNr. 338, Berlin.

6 Hier zeigt sich auch die Begrenztheit der nun beabsichtigten Reform derReform, denn würde man dem eigentlichen Argumentationsmuster folgen,dann müssten die Leistungsauszahlungen aus der Versicherung gebun-den werden an die Dauer und Höhe der biographischen Vorleistungendes Einzelnen, was aber eine Beschränkung der Verlängerung der Bezugs-dauer auf den Personenkreis der über 50-Jährigen verbieten würde, dennauch ein 45 Jahre alter Arbeitnehmer kann schon weit mehr als 20 Jahreeingezahlt haben.

7 Gerade die Entwicklung der Investitionen ist eine Achillesferse der weite-ren Entwicklung in Deutschland. Eine neue Studie des IMK verdeutlicht,dass die Nettoinvestitionsquote (also nach Abzug der Abschreibungen) inDeutschland in den Jahren von 1991 bis 2007 von 11 auf 4% zurückge-gangen ist. Ganz augenscheinlich ist die jahrelange Unterinvestition im öf-fentlichen Bereich, wo wir seit langem von der Substanz leben, wenn mansich nur die öffentliche Infrastruktur anschaut.

8 So kann gerade die britische Fiskalpolitik als Beispiel für eine gelungenekeynesianische, weil antizyklische Begleitung der Konjunkturzyklen her-angezogen werden, die kombiniert wurde mit massiven angebotsseitigenReformen.

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Im ifo Schnelldienst, Nr. 19/2007, leitet H.W. Sinn in seiner»Anmerkung zur Reallohnentwicklung in Deutschland« eineeindeutige wirtschaftspolitische Empfehlung gegen die Ein-führung von Mindestlöhnen ab. Die Daten lassen sich aberauch anders interpretieren und führen dann zu einem ent-gegengesetzten wirtschaftspolitischen Schluss.

Sinn kritisiert, die Reallohnentwicklung in Deutschland in denletzten zwei Jahrzehnten werde durch einige Massenme-dien negativ interpretiert, und er versucht, die positiven Sei-ten der kümmerlichen Entwicklung der Nettorealeinkommenje Arbeitnehmer herauszuarbeiten. Er verweist dabei zu Rechtauf einen wichtigen Struktureffekt: In den letzen Jahren (ins-besondere von 2002 bis Herbst 2004) hat sich die Zahl dergeringfügig Beschäftigten stark erhöht, während gleichzei-tig weniger Personen sozialversicherungspflichtig beschäf-tigt wurden. Dadurch ist von 1991 bis 2006 in Deutschlandder Nettoreallohn je Arbeitnehmer (+ 2,2%) und je Stunde(+ 8,7%) deutlich unterschiedlich angestiegen.

Der Struktureffekt kann zwar diese Differenz weitgehend er-klären, nicht aber das niedrige Niveau beider Zuwächse. Da-zu verweist Sinn darauf, dass »sich die Wettbewerbssituati-on der deutschen Arbeitnehmer massiv verschlechtert (hat),was eine Verlangsamung des Lohnanstiegs erzwang«. Diesführte – bei offenbar weniger massiv verschärftem Wettbe-werb auf den Gütermärkten – zu dem von Sinn geschilder-ten deutlichen Sinken der bereinigten Lohnquote. Darinkommt zum Ausdruck, dass die Reallöhne erheblich weni-ger gestiegen sind als die Arbeitsproduktivität, die im Nen-ner der Lohnquote steht. Sie sind im Durchschnitt nicht ver-teilungsneutral gestiegen, sondern weit hinter der Arbeits-produktivität zurückgeblieben. Damit sind zugleich die Lohn-stückkosten weniger gestiegen als die Preise, so dass dieStückgewinne zugenommen haben. Bei dieser Entwicklungist jedoch die Aussage von Sinn nicht zwingend, dass vieleder neuen Niedriglohnjobs ohne die niedrigen Löhne nichtentstanden wären. Vielmehr zeigen die gestiegenen Stück-gewinne, dass die Unternehmen im Durchschnitt an ihren Ar-beitskräften mehr verdient haben, zum Teil dadurch, dass siesozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze abgebaut unddann teilweise durch geringfügig Beschäftigte, die wenigermit Sozialabgaben belastet sind, ersetzt haben.

Da bei positiven Stückgewinnen im Durchschnitt genügendAbstand zwischen Lohnkosten und Preisen besteht, kön-nen die Unternehmen höhere Mindestlöhne verkraften, oh-ne Arbeitnehmer entlassen zu müssen. Sie verdienen dannallerdings weniger an ihnen. Dies erklärt zugleich die Tatsa-che, dass in den zahlreichen Staaten, in denen es einengesetzlichen Mindestlohn gibt (wie in den USA und in 18 von

25 Mitgliedstaaten der EU), empirisch überwiegend kein ne-gativer Beschäftigungseffekt einer Einführung oder Erhö-hung dieser Mindestlöhne festgestellt wurde.1

Ob Arbeitskräfte entlassen werden, hängt davon ab, ob dieUnternehmen deren Arbeitseinsatz auch bei einem höherenMindestlohn für ihre Produktion benötigen. Dies ist nicht ein-deutig abzuleiten.2 Dafür, dass die Arbeitskräfte weiter be-nötigt werden, spricht: Selbst wenn einige Arbeitnehmer ent-lassen werden, genießen erstens die weiterhin Beschäftig-ten ein höheres Einkommen, das sie vermutlich fast vollständigzur Nachfrage nach Konsumgütern verwenden. Zweitens sinktdas verfügbare Einkommen der im Niedriglohnbereich Ent-lassenen kaum, da sie als Arbeitslosengeld II nicht viel weni-ger erhalten, als sie vorher als »Aufstocker« insgesamt an Ein-kommen zur Verfügung hatten – eventuell sogar genau soviel. Daher ist insgesamt der Nachfrageeffekt auf den Kon-sum positiv, und die Unternehmen in diesem Bereich habenkeinen Grund, Arbeitnehmer zu entlassen. Sie werden even-tuell sogar zusätzliche Arbeitnehmer einstellen.

Diesen Nachfrageeffekt vernachlässigt die von Sinn zitierteStudie von Ragnitz und Thum (2007). Deren Autoren über-nehmen überdies nur ökonometrische Schätzungen ande-rer Autoren über die Lohnelastizität der Arbeitsnachfrage,bei denen außerdem fraglich ist, ob sie die Existenz vonLohnerhöhungsspielräumen genügend beachten. Das er-klärt, wieso die Berechnungen von Ragnitz und Thum sosehr von den empirischen Erfahrungen anderer Länder ab-weichen. Sie sind nicht so aussagefähig, wie Sinn meint. Da-her sollten die politischen Entscheidungsträger sich eher dieunterschiedlichen Erfahrungen in anderen Staaten mit ei-nem gesetzlichen Mindestlohn vor Augen führen. Dies istbesser, als sich von Beweisführungen leiten zu lassen, dienur bei vollständiger Konkurrenz auf allen Arbeits- und Gü-termärkten zwingend sind, weil nur unter dieser Bedingungdie Beschäftigung solange ausgedehnt wird, bis Reallohnund marginale Arbeitsproduktivität (Grenzprodukt der Arbeit)übereinstimmen.

Literatur

Bartsch, K. (2007), »Gesamtwirtschaftliche Folgen der Einführung eines ge-setzlichen Mindestlohnes in Deutschland«, WSI-Mitteilungen 11.Metcalf, D. (2007), »Why has the British National Minimum Wage had Littleor No Impact on Employment?«, CEP Discussion Paper 7881, London Schoolof Economics, Kurzfassung in Boeckler-Impuls Nr.12/2007.Ragnitz, J. und M. Thum (2007), »Zur Einführung von Mindestlöhnen: Empi-rische Relevanz des Niedriglohnsektors«, ifo Schnelldienst 60(10), 33–40.Schulten, Th. (2005), »Politische Ökonomie gesetzlicher Mindestlöhne. In-ternationale Erfahrungen und Konsequenzen für Deutschland«, in: E. Hein,A. Heise und A. Truger (Hrsg.), Löhne, Beschäftigung, Verteilung und Wachs-tum, Metropolis, Marburg.

Jürgen Kromphardt*

Eine Gegen-Anmerkung zur Reallohnentwicklung inDeutschland

* Prof. (em.) Dr. Jürgen Kromphardt, Professor für Volkswirtschaftslehre,insb. Wirtschaftstheorie an der TU Berlin, war von 1999 bis 2004 Mitglieddes Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichenEntwicklung.

1 Siehe dazu die von Schulten (2005) auf S. 185 ff. zitierte Literatur. Sieheneuerdings auch Metcalf (2007). Kurzfassung in Boeckler-Impuls,Nr.12/2007.

2 Eine Abschätzung mit einem Simulationsmodell versucht Bartsch (2007).

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Die Hauptaussage meines Beitrages war, dass die schlech-te Entwicklung des Nettorealeinkommens je Haushalt vorallem durch Struktureffekte erklärt wird. Deutschland warvor Weihnachten 2006 durch die Nachricht verschreckt wor-den, dass das Nettorealeinkommen je Haushalt in den20 Jahren von 1986 bis 2006 nur um 0,4% gestiegen sei.Hieraus ergab sich dann die Diskussion um die Frage, obder Aufschwung an den Bürgern vorbeigehe. In meinem Bei-trag hatte ich das zwar insofern bestätigt, als ich zeigte, dassdie Lohnquote, also der Anteil der Löhne am Volkseinkom-men in den letzten Jahren stark gefallen ist. Indes hatte ichauch argumentiert, dass die zitierte Zahl einen völlig falschenEindruck von der wirklichen Entwicklung gibt, weil dahintervor allem Struktureffekte wie die Verringerung der Haus-haltsgröße, die Verringerung der Zahl der geleisteten Ar-beitsstunden sowie die Schaffung neuer Stellen im Niedrig-lohnbereich stehen. Für bereits beschäftigte Arbeitnehmerhat sich die Situation keineswegs so wenig verbessert, wiees zunächst den Anschein hatte. Pro Stunde hat sich, wieich nachwies, in der betrachteten Zeitspanne der Nettore-allohn eines ledigen Facharbeiters um 21,2% und der einesverheirateten Facharbeiters mit zwei Kindern um 33,2% ver-größert. Ich freue mich, dass J. Kromphardt dies prinzipiellbestätigt. Wir reden über die gleichen Zahlen. Er meint nur,dass die Lohnsteigerung ohne Schaden für die Beschäfti-gung noch höher hätte ausfallen können.

Kromphardt kritisiert meine Aussage, dass die Zunahmeder deutschen Beschäftigung, die über die rein konjunktu-rellen Effekte hinausging, nur deshalb möglich war, weil siezu trendmäßig niedrigen Löhnen stattfand. Er führt dazuaus, dass das von mir dargestellte Absinken der Lohnquo-te gleichbedeutend mit der Senkung der Lohnstückkostenund einer Erhöhung der Stückgewinne sei, und schließt,dass man ohne Schaden für die Beschäftigung auch hö-here Löhne hätte realisieren können. Dem muss ich wider-sprechen.

Während Kromphardts Aussagen über die Lohnstückkos-ten und die Erhöhung der Stückgewinne für sich genom-men korrekt sind, ist seine Schlussfolgerung, dass die hö-heren Stückgewinne darauf hindeuten, dass ein unausge-nutzter Spielraum für Lohnsteigerungen bestand, falsch.Es gibt in der Marktwirtschaft kein Gesetz vom festenStückgewinn.

Bei der Berechnung der Lohnstückkosten und der Stück-gewinne wird der Lohn nur mit der durchschnittlichen Ar-beitsproduktivität verglichen. Die Lohnstückkosten werdennämlich durch den Quotienten aus Lohn und durchschnitt-licher Arbeitsproduktivität gemessen, und der Stückgewinnist die sich dann ergebende Differenz zu 100%. Es hängtalso alles an der Frage, ob die durchschnittliche Arbeits-produktivität eine zuverlässige Richtschnur für die mögli-che Lohnentwicklung ist.

Das ist sie keineswegs. Die durchschnittliche Arbeits-produktivität ist einfach nur der Quotient aus Produktionund Arbeitseinsatz. Der Quotient macht keine inhaltlicheAussage darüber, in welchem Maß die Arbeit selbst zurProduktion beiträgt und in welchem Maß die Produktiondurch Einsatz von Kapital, Boden und technischem Know-how entsteht. (Genauso wenig sagt die durchschnittli-che Kapitalproduktivität, die der Quotient aus Produkti-on und Kapitaleinsatz ist, etwas darüber aus, in welchemUmfang das Kapital zur Produktion beiträgt.) Will manfeststellen, was die Arbeit allein zur Produktion beisteu-ert, muss man die Grenzproduktivität der Arbeit be-trachten. Nur sie bestimmt in der Marktwirtschaft, wiehoch der Lohn sein kann, denn die anderen Faktoren ha-ben auch ihre Grenzprodukte und wollen auch entlohntwerden. Nur bei einer Entlohnung nach dem Grenzpro-dukt reicht der Gesamtwert der Produktion überhauptaus, alle Produktionsfaktoren zu entlohnen. Wollte mandie durchschnittliche Arbeitsproduktivität zur Richtschnurfür die Löhne erheben, bliebe dem Kapital und dem Bo-den nichts. Das Kapital würde dann verbraucht oder flüch-tete ins Ausland, so dass die durchschnittliche Arbeits-produktivität im Laufe der Zeit auf einen Wert nahe nullabsinken würde.

Trotz dieser Einschränkungen ist es unter einer bestimm-ten Annahme möglich, sich zumindest beim Zuwachs derLöhne an der Zunahme der durchschnittlichen Produktivi-tät zu orientieren. Diese Annahme bezieht sich auf die sogenannte Substitutionselastizität zwischen Arbeit und Ka-pital, ein technisches Maß der Produktionsverhältnisse, daszeigt, wie leicht Arbeit und Kapital gegen einander aus-tauschbar sind. Man kann zeigen, dass bei einem Wert derSubstitutionselastizität in Höhe von 1 Grenz- und Durch-schnittsproduktivität der Arbeit in fester Relation zueinan-der stehen.

Das führt uns zu dem Fall, den Kromphardt vor Augen hat.Eine Mehrbeschäftigung ist bei gegebenem Kapitaleinsatzimmer nur möglich, wenn der Lohn gegen den Trend fällt,denn die Grenzproduktivität der Arbeit fällt auf jeden Fallmit wachsender Beschäftigung. Aber wenn die Elastizitätgleich 1 ist, dann fällt die durchschnittliche Produktivität derArbeit gegenüber ihrem Trend relativ genauso stark wie dieGrenzproduktivität, so dass die Lohnstückkosten und dieStückgewinne konstant bleiben. Steigt der Stückgewinndennoch, so könnte dies daran liegen, dass die Arbeits-märkte vermachtet sind und den Arbeitern ihr Grenzproduktvorenthalten wird.

Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Subs-titutionselastizität deutlich unter 1 liegt. Das bedeutet, dassein Zuwachs an Beschäftigung eine Verringerung der Grenz-produktivität der Arbeit im Verhältnis zu ihrer durchschnitt-lichen Produktivität impliziert. Lohnsenkungen gegen den

Hans-Werner Sinn

Replik zu Kromphardt

Kommentar

i fo Schne l ld ienst 2/2008 – 61. Jahrgang

22

Trend können deswegen nur dann zu mehr Beschäftigungführen, wenn man zulässt, dass die Stückgewinne stei-gen. Statt durch die zunehmende Vermachtung werden diesteigenden Stückgewinne durch die Produktionstechnikselbst erklärt. Steigende Stückgewinne können deshalbnicht als Gegenbeleg zu meiner Aussage angeführt werden,dass Deutschland seine neue Beschäftigungsdynamik nurdeshalb hat entfalten können, weil es eine Lohnzurückhal-tung gab.

Kromphardt behauptet sodann, dass empirisch überwie-gend kein negativer Beschäftigungseffekt einer Einführungoder Erhöhung von Mindestlöhnen festgestellt wurde. Die-se Aussage stellt die Wahrheit auf den Kopf. Dazu kann ichauf den langen Übersichtsartikel des ausgewiesenen Öko-nometrikers und Vorsitzenden des wissenschaftlichen Bei-rats beim Bundesministerium für Wirtschaft, Axel Börsch-Supan, verweisen, der in der Frankfurter Allgemeinen Zei-tung vom 19. Januar 2008 auf S. 11 erschien. Börsch-Su-pan berichtet nach Sichtung der Literatur, dass von etwa100 ökonometrischen Studien, die bislang erstellt wurden,die Hälfte negative und nur 10% positive Beschäftigungs-effekte fanden, während 40% ergebnislos verliefen. Unterden 100 Studien gibt es nach seiner Meinung nur 19, diescharfen wissenschaftlichen Kriterien standhalten. Davonkommen 18 zu dem Schluss, dass Mindestlöhne Arbeitslo-sigkeit erzeugen. Nur eine dieser Studien findet, dass kei-ne zusätzliche Arbeitslosigkeit entsteht.

Einen wissenschaftlichen Übersichtsartikel zu den Aus-wirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung ha-ben David Neumark und William Wascher veröffentlicht.1

Dort heißt es:

»A sizable majority of the studies surveyed in this monographgive a relatively consistent (although not always statisticallysignificant) indication of negative employment effects of minimum wages. In addition, among the papers we viewas providing the most credible evidence, almost all point tonegative employment effects, both for the United States aswell as for many other countries.«

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Kromphardt argumentiert weiter, dass höhere Mindestlöh-ne die Güternachfrage steigern würden, was positive Rück-wirkungen auf die Beschäftigung habe. Wer seinen Job be-hält, habe ja mehr Einkommen, und selbst wenn jemandentlassen würde, erhielte er doch immerhin noch das Ar-beitslosengeld II. Es seien somit eindeutig positive Effekteauf die Arbeitnehmereinkommen und den Konsum zu er-warten.

Dieses Argument übersieht, dass Einkommen nicht nurLohneinkommen sind. Eine Lohnerhöhung kann nie das Ein-kommen einer Volkswirtschaft erhöhen, sondern es bes-tenfalls anders verteilen. Die Arbeiter haben mehr, die Un-ternehmer weniger. Klar, die Arbeiter, die eine Lohnerhöhungerfahren, werden mehr konsumieren. Aber die Unternehmerwerden ihre Güterkäufe stattdessen einschränken. Das sindzwar keine Konsumgüter, wohl aber Investitionsgüter. Lohn-erhöhungen senken die Rentabilität von Investitionsprojek-ten, und das führt zur Verringerung der Investitionsgüter-nachfrage. Da die Schwankung der Investitionsgüternach-frage den Konjunkturverlauf erklärt, muss man befürchten,dass dieser Nachfrageeffekt dominiert.

Im Übrigen ist das Nachfrageargument nur konjunkturellrelevant und taugt nicht für längerfristige, strukturelle Ent-wicklungen. Nachfragedefizite kann es in einer Volkswirt-schaft immer nur geben, wenn Geldhorte zunehmen. DasAuf und Ab der Geldhorte, das genau spiegelbildlich zur Kon-junktur verläuft, ist zweifellos ein Problem für die Stabilitätder Wirtschaft. Aber weder gibt es eine Tendenz zur lang-fristigen Erhöhung dieser Horte, noch muss man befürch-ten, dass die Notenbank es versäumen würde, mit frisch ge-drucktem Geld nachzuhelfen, wenn es diese Tendenz tat-sächlich gäbe. Ohne einen systematischen Geldentzug istdie Nachfrage der Wirtschaft immer genauso groß wie dieProduktion, weil das Geld, das nicht konsumiert wird, ge-spart wird und dann entweder von inländischen Investorenoder, im Falle des Kapitalexports, von Ausländern aufge-nommen wird, um deutsche Waren zu kaufen. Insofern istauf längere Sicht die Nachfrage ohnehin immer genausogroß wie die Produktion. Für Strukturfragen von der Art,wie sie sich beim Mindestlohn stellen, ist das Nachfragear-gument jedenfalls deplatziert. Wenn aufgrund einer Lohn-erhöhung minder produktive Arbeitsplätze verloren gehen,fällt das Sozialprodukt und mit ihm die Gesamtnachfrageder Wirtschaft. Die Nachfrage folgt bloß dem Beschäfti-gungseffekt und ist keine eigenständige Determinante desGeschehens.

1 David Neumark und William Wascher »Minimum Wages and Employment«,IZA Discussion Paper Nr. 2570, Januar 2007.

61. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 2/2008

23

Datenanalyse

Die hier vorgenommene Analyse beruhtauf Daten der Volkswirtschaftlichen Ge-samtrechnungen, die die deutschen Ex-porte getrennt nach Waren und Dienst-leistungen ausweisen. Die Warenausfuhrbasiert auf dem grenzüberschreitendenphysischen Warenverkehr. Der Dienstleis-tungsverkehr mit dem Ausland enthält imWesentlichen Einnahmen aus dem Rei-severkehr, Transportleistungen, Finanz-und Versicherungsdienstleistungen sowieEinnahmen aus Patenten und Lizenzen.Zugrunde gelegt werden Zahlen, die diereale Entwicklung der deutschen Ausfuh-ren wiedergeben. Um lange Datenreihenuntersuchen zu können, werden von 1970bis 1990 westdeutsche Quartalsdatenverwendet, ab 1991 gelten die gesamt-deutschen Zahlen. Alle Reihen sind aufVorjahrespreisbasis berechnet. Dabei istder Kettenindex für die westdeutschenDaten sowie für die gesamtdeutschenZahlen auf 1991 = 100 normiert. In Ab-bildung 1 werden die Volumenwerte1 derWaren- und Dienstleistungsexporte in lo-garithmierter Form über den gesamtenZeitraum dargestellt. Die Verknüpfung derZeitreihen ist nicht problemlos, da im Jahr1990 westdeutsche Warenlieferungen indie ostdeutschen Gebiete sowie west-deutsche Dienstleistungen, die für dieehemalige DDR erbracht wurden, nochals Exporte verbucht wurden. Die im Ver-

einigungsjahr in den neuen Bundeslän-dern stark gestiegene Nachfrage nachwestdeutschen Waren und Dienstleistun-gen ließ die Exporte Westdeutschlands –insbesondere die der Dienstleistungen –deutlich ansteigen (vgl. Abb. 1).

Die deutsche Wiedervereinigung hatte al-lerdings keinen starken Einfluss auf dieStruktur der deutschen Ausfuhr. So sinddie Anteile des Waren- und des Dienst-leistungsexports am Gesamtexport überdie Zeit relativ stabil geblieben. Die Wa-renausfuhr weist im langfristigen Durch-schnitt von 1970:1 bis 1990:4 einen An-teil von 85% an den Exporten auf, 15%entfallen auf den Dienstleistungsverkehr.Für die gesamtdeutschen Zahlen von

Rückblick: Gibt es markante Unterschiede im Wachstum?

Monika Ruschinski

Die deutsche Dienstleistungs- und Warenausfuhr im

In den letzten Jahren erwiesen sich die deutschen Exporte als der Konjunkturmotor der deut-

schen Wirtschaft, und Deutschland wurde als Exportweltmeister noch vor den USA gefeiert. Tat-

sächlich gilt der Titel jedoch nur für die Warenausfuhr. Berücksichtigt man auch Dienstleistungs-

exporte, so haben weiterhin die Vereinigten Staaten die Nase vorn. Dies wirft die Frage auf, ob die

Wachstumspfade der deutschen Waren- und Dienstleistungsexporte generell unterschiedlich sind.

Insbesondere im Hinblick auf Prognosen kann es bedeutsam sein, den Verschiedenheiten der

Zeitreihen Rechnung zu tragen. In diesem Beitrag werden daher Datenreihen für die deutsche

Warenausfuhr und für die deutsche Dienstleistungsausfuhr getrennt über einen langen Zeitraum

hin untersucht, um die strukturellen Eigenschaften der Zeitreihen deutlich machen zu können. Mit-

tels stochastischer Zeitreihenmodelle werden die Teilaggregate in Trend-, Zyklus- und Saison-

komponenten zerlegt. Dabei wird sowohl auf die Gemeinsamkeiten als auch auf die Unterschiede

zwischen den Warenexporten und dem Dienstleistungsverkehr mit dem Ausland eingegangen.

1 Das Volumen in Euro entspricht dem Kettenin-dex/100 multipliziert mit dem Jahresdurchschnittder nominalen Werte des Basisjahres.

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

2.0

2.5

3.0

3.5

4.0

4.5

5.0

5.5 Waren Dienste

Anmerkungen: Bis 1990:4 westdeutsche Zahlen, ab 1991:1 gesamtdeutsche Zahlen. Volu-men logarithmiert (Mrd. Euro).

Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts.

Abb. 1 Die deutsche Waren- und Dienstleistungsausfuhr (real, logarithmiert)

Forschungsergebnisse

1991:1 bis 2007:2 liegt der Anteil der Wa-renausfuhr bei durchschnittlich 86,7%, undder Anteil der Dienstleistungsexporte macht13,3% aus. Der Wandel von einer industriellgeprägten Wirtschaft zu einer Dienstleis-tungsgesellschaft, der in Deutschland in denletzten 40 Jahren stattgefunden hat2, spie-gelt sich in der deutschen Exportstruktur so-mit nicht wider. Auch im Vergleich zu den tra-ditionell finanzmarkt- und dienstleistungsori-entierten englischsprachigen Staaten, USAund Großbritannien, erscheint der Anteil derdeutschen Dienstleistungsausfuhren am Ge-samtexport als eher gering. In den beidenangelsächsischen Ländern haben die Dienst-leistungsexporte einen Anteil von über 30%am Gesamtexport. Wie in Deutschland sinddort aber die Exportanteile der Waren undDienste über den Betrachtungszeitraumebenfalls relativ unverändert geblieben.3

Die Zeitreihen in Abbildung 1 weisen ei-nen Trend4 und einen deutlich saisonalen Verlauf auf, wo-bei die Saisonfigur beim Dienstleistungsverkehr noch aus-geprägter zu sein scheint als bei der Warenausfuhr. Ab-bildung 2 zeigt die Autokorrelationsfunktionen für dietrendbereinigten Reihen der Waren- und Dienstleistungs-exporte. Dabei wurden die Differenzen zum Vorjahres-quartal gebildet, um gleichzeitig saisonale Effekte auszu-schalten. Die Autokorrelationsfunktionen der saisongefil-terten Reihen weisen ein ausgeprägtes zyklisches Mus-ter auf, wobei beachtet werden muss, dass saisonale Dif-

ferenzenfilter die Saisonkomponenten nicht vollständigerfassen.

Zyklische Eigenschaften einer Zeitreihe können besser ana-lysiert werden, wenn die Zeitreihe im Frequenzbereich ab-gebildet wird. In Abbildung 3 sind daher die Spektren derZeitreihen dargestellt. Dabei werden bereits Unterschiede inden zyklischen Komponenten zwischen der Warenausfuhrund dem Dienstleistungsverkehr sichtbar. Zum einen ist derErklärungsgehalt der einzelnen zyklischen Komponenten beiden Dienstleistungen höher als bei der Güterausfuhr, zum

anderen sind unterschiedliche Zyklusperi-oden für die Reihen auszumachen.

So lässt die erste Erhebung des Spektrums fürdie Warenausfuhr auf einen langen Zyklus vonca. acht bis neun Jahre schließen, währendder höchste Gipfel auf einen Zyklus von dreiJahren hinweist. Die dritte Ausprägung be-schreibt einen kurzen Zyklus von ca. 1,5 Jah-

i fo Schne l ld ienst 2/2008 – 61. Jahrgang

24

0 5 10 15 20 25 30 35 40

0

1 Correlogramm Dienste (Saisonfilter)

* Bei der Waren- und Dienstleistungsausfuhr wurde ein saisonaler Differenzenfilter für Quar-talsreihen (∆ X4) verwendet.

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

0 5 10 15 20 25 30 35 40

0

1 Correlogramm

Waren (Saisonfilter)

Abb. 2 Autokorrelationsfunktion der Waren- und Dienstleistungsausfuhr*

0 10 20 30 40 50 60 70

0.001

0.002

Spektrum_Waren

0 10 20 30 40 50 60 70

0.002

0.004

Spektrum_Dienste

Abb. 3Das Spektrum der Waren- und Dienstleistungsausfuhr*

* Bei der Waren- und Dienstleistungsausfuhr wurde ein saisonaler Differenzenfilter für Quar-talsreihen (∆ X4) verwendet. Das Spektrum SX(> j) wird als Funktion von j (Quartale) darge-stellt mit der Frequenz > j = 2 = j /T, wobei T die Anzahl der Beobachtungen ist (vgl. Hamil-ton 1994). Die Periode eines Zyklus ist gleich 2 = /> j = T/j.

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

2 In den siebziger Jahren lag der Anteil des deutschenDienstleistungssektors an der Bruttowertschöpfungnoch bei knapp 50%. Heute liegt der Anteil bei nahe-zu 70%.

3 Für Berechnungen bei den angelsächsischen Ländernwurde die Datenbasis des »Oxford Economic GlobalMacro« Modells herangezogen. Der Analyse liegen his-torische Werte von 1980–2007:2 zugrunde.

4 Die Unterscheidung zwischen einem stochastischenTrend und einem trendstationären Prozess ist oftmalssehr schwer zu treffen, da bei endlichen Stichprobendie Macht der Einheitswurzeltests (Augmented Dickey-Fuller-Test, Philipps-Perron-Test etc.) sehr gering ist(vgl. Stier 2001, 307 ff.). Die hier untersuchten Reihenweisen in der um einen deterministischen Trend be-reinigten Darstellung weiter deutliche Autokorrelationauf, so dass in der Analyse von einem stochastischenTrend ausgegangen wird.

Forschungsergebnisse

ren. Bei den Dienstleistungen fallen ebenfalls drei Zyklen insGewicht, jedoch sind die Zykluslängen von denen der Waren-ausfuhr verschieden. Hier dominieren kürzere Zyklen das Bild.Der erste Zyklus hat eine Länge von fünf Jahren, gefolgt voneinem zwei- bis dreijährigen Zyklus und einem kurzen Zyklusvon ebenfalls ca. 1,5 Jahren. Ausgeprägt beim Dienstleistungs-verkehr sind darüber hinaus sehr kurze zyklische Einflüsse. Dievierte Erhebung entspricht einem etwa halbjährigen Zyklus. Dieim Spektrum bei beiden Reihen sichtbaren kurzen Zyklen sindeinerseits zum Teil auf die durch den Saisonfilter noch nichtgänzlich erfasste Saisonkomponente zurückzuführen, ande-rerseits können auch Kalendereffekte eine Rolle spielen.

Das strukturelle Komponentenmodell

Die Datenanalyse macht deutlich, dass die Waren- undDienstleistungsausfuhr einen Trend und eine Saisonfigur so-wie auch Zykluskomponenten aufweisen. Strukturelle Kom-ponentenmodelle5, die vor allem auf Harvey (1990) zurück-gehen, bauen auf dieser traditionellen Reihenzerlegung auf.Die einzelnen Komponenten werden dabei mit Hilfe spe-zieller stochastischer Prozesse modelliert. In diesem Beitragwird das »Basic Structural Model« nach Harvey (1990) fürdie Zeitreihen angewendet. Dabei stellen Xt die Beobach-tungen der Zeitreihe zum Zeitpunkt t dar, <t wird als stochas-tischer Trend modelliert, ψt erfasst die Zykluskomponenteund St die Saisonfigur. εt ist der Störterm oder IrreguläreKomponente, die weißes Rauschen mit einem Erwartungs-wert von 0 und einer Varianz δ 2

ε ist. Das Modell lässt sichdamit folgendermaßen formulieren:

mit dem stochastischen linearen Trend6

Die Zyklus- und Saisonkomponenten werden durch trigo-nometrische Funktionen erfasst, die flexible Verlaufsmusterzulassen. Die Modelle wurden mit dem Programm Stamp 6.2geschätzt, das den Kalman-Filter einsetzt. Dieses rekursive

Verfahren eignet sich auch gut, um Strukturbrüche in denZeitreihen aufzuspüren. In der Schätzung können dann dieStrukturbrüche durch adäquate Interventionsvariablen (Dum-mies) modelliert werden.

Ergebnisse

Strukturbrüche

In den Zeitreihen der Waren- und Dienstleistungsausfuhr lie-gen allein durch die Verknüpfung von west- und gesamt-deutschen Zahlen Strukturbrüche vor. Für die Warenausfuhrwird darüber hinaus ein weiterer Strukturbruch durch dieZeitreihenanalyse ermittelt. Dabei tritt der erste Strukturbruch1975:1 nach dem Ölpreisschock aus dem Jahr 1974 auf.Wohl aufgrund der stark gestiegenen Ölpreise ging die Welt-nachfrage insbesondere nach Fahrzeugen und Maschinenzurück, was die deutsche Güterausfuhr dämpfte. Der zwei-te Strukturbruch ist dann im Zusammenhang mit der deut-schen Wiedervereinigung zu sehen. Im Wiedervereinigungs-boom wurde ein Teil der bisher westdeutschen Exporte durchdie Nachfrage in den neuen Bundesländern absorbiert. Imstrukturellen Komponentenmodell werden diese Brüche beider Warenausfuhr durch Niveauverschiebungen nach untenerfasst. Beide Interventionsvariablen sind hoch signifikant(vgl. Tab. 1).

In Abbildung 4 werden die Ursprungswerte und der Trendder Warenexporte dargestellt. Dabei werden die Niveau-verschiebungen des Trends aufgrund der identifizierten Struk-turbrüche berücksichtigt.

Beim Dienstleistungsverkehr wird lediglich die Verknüp-fung der west- mit der gesamtdeutschen Reihe als Struk-turbruch angezeigt. Die Zeitreihenanalyse mittels Kalman-filter weist darauf hin, dass im Jahr 1990 die außerge-wöhnlich hohen Werte für die Dienstleistungsausfuhr alsaußerordentliche Abweichungen in der irregulären Kom-ponente interpretiert werden können. Impulsinterventio-nen (Dummies) können diesen Ausreißern Rechnung tra-gen (vgl. Tab. 2). Es wurden zwei Quartale angezeigt, indenen die Werte deutlich vom normalen Verlauf abwichen.In Abbildung 4 sind die Ursprungswerte und der mit Im-pulsinterventionen modellierte Trend der Dienstleistungs-ausfuhr dargestellt.

Die Trendkomponente

Aus der oberen Betrachtung wird deutlich, dass die Wa-ren- und Dienstleistungsausfuhr nicht einem einheitlichenkonstanten Wachstumspfad folgen. Beide Trendverläufe wei-sen Phasen mit unterschiedlichen Steigungen auf. Betrach-tet man die Trendwachstumsraten, so erkennt man die un-terschiedlichen Wachstumsphasen der deutschen Waren-

61. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 2/2008

25

tttttSX ��µ +++= , Tt ,...,2,1= mit

t� ~ NID(0,

2

�� ),

tttt��µµ ++= �� 11

, mit t

� ~ NID(0,2

�� ),

ttt��� += �1 , mit

t� ~ NID(0,

2

�� ).

5 Die Methode der strukturellen Komponentenmodelle wurde bereits oft er-folgreich für die Analyse des Bruttoinlandsprodukts in verschiedenen Län-dern angewendet. Siehe für Deutschland Flaig (2002) und Gerlach (1998)für die Eurozone; für Kanada siehe Kichian (1999).

6 Das »Basic Structural Model« enthält den deterministischen linearen Trendals Spezialfall. Für

Bei der Trendberechnung der Warenausfuhr wird eine Variante des »locallinear trend model«, der so genannte »smooth trend«, geschätzt (vgl. Har-vey 1998).

2

�� = 0 und 2

�� = 0 gilt .1

consttt

== ��� und

tt

��µ +=0

mit 0

� =0

µ .

Forschungsergebnisse

und Dienstleistungsausfuhr besser. In Abbildung 5 wird da-her das Trendwachstum der deutschen Warenausfuhr dar-gestellt.

So schwächte sich von 1973 bis 1983 das Trendwachs-tum der Warenausfuhr kontinuierlich ab. Dabei halbierte sichdie Wachstumsrate von 8% im Jahr 1973 auf 4% im Jahr1982. Eine mögliche Erklärung ist, dass nach dem Zusam-menbruch des Bretton Woods Systems im Jahr 1973 dieDM erheblich aufwertete und sich die preisliche Wettbe-werbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft über Jahre hin ver-schlechterte. Zudem verlief nach der weltweiten Rezessionim Jahr 1975 auch das Wachstum des Welthandels schwä-cher als in der Dekade davor. Multivariate Zeitreihenmodel-le, die zusätzlich den Welthandel berücksichtigen, bestäti-gen einen vergleichbaren Rückgang.

Nach dem zweiten Ölpreisschock zu Beginnder achtziger Jahre erreichte das Trend-wachstum dann seinen Tiefpunkt, und diedeutschen Warenexporte gewannen nachder Rezession 1983 zuerst nur allmählich anSchwung, obwohl sich seit Beginn der acht-ziger Jahre die preisliche Wettbewerbsfähig-keit der deutschen Unternehmen wiedermerklich verbessert hatte. In den Jahren1986 und 1987 nahm das Exportwachstumdann jedoch merklich an Fahrt auf. Doch be-reits im Jahr 1988 – nach dem weltweitenEinbruch der Börsenkurse im Herbst 1987– schwenkten die deutschen Warenexporteauf einen vorerst konstanten Wachstums-pfad mit mageren 4,7% ein, der auch in derPhase der Wiedervereinigung bis 1992 an-hielt. In der Zeit von 1993 bis 1998 hingegenverbesserte sich die Trendwachstumsratekontinuierlich und erreichte mit einer Jahres-rate von 7,4% im Jahr 1998 einen deutlichhöheren Wachstumspfad als in den zwei De-kaden davor. Ausschlagend für den deut-schen Erfolg waren zum einen sicherlich dieSchaffung eines europäischen Binnen-markts, zum anderen die wirtschaftliche In-tegration von Schwellenländern und ehema-ligen Ostblockstaaten in den internationa-len Handel.

Der Anstieg der deutschen Trendwachs-tumsrate im Auftrieb der Globalisierung en-dete jedoch bereits deutlich vor dem Millen-niumboom. Multivariate Modelle zeigen pa-rallel eine Verstetigung der Wachstumsra-ten beim Welthandel nach den Finanzkrisenin den asiatischen Schwellenländern im Jahr1997. Die Vollendung des europäischen Bin-nenmarkts mit Einführung des Euro im Jahr1999 konnte dem Trendwachstum der deut-

schen Ausfuhr keine weitere Dynamik verleihen. Seit 1999blieb das Trendwachstum der deutschen Warenausfuhr inetwa konstant und lag am aktuellen Rand bei einer hohenjährlichen Rate von 7,5%.

Die Betrachtung der Trendwachstumsraten für den Dienst-leistungsverkehr ergibt ein etwas anderes Bild als bei derWarenausfuhr. So ist zunächst in den siebziger Jahren kei-ne Abnahme des Trendwachstums bei der Dienstleistungs-ausfuhr auszumachen. Im Gegenteil, das Trendwachstumnahm trotz DM-Aufwertung und Ölkrisen bis Ende 1980 –wenn auch nach der Ölkrise im Jahr 1974 in schwächererForm – kontinuierlich zu (vgl. Abb. 6). Allerdings waren dieWachstumsraten in den siebziger Jahren noch sehr nied-rig. Im Jahr 1970 betrug die Trendwachstumsrate nicht ein-

i fo Schne l ld ienst 2/2008 – 61. Jahrgang

26

Tab. 1

Interventionsvariablen bei der Warenausfuhr

Variablen Koeffizient Fehlermaß* t-Wert

Niveau 1975: 1 – 0.1279 0.0281 – 4.5542 [0.0000]Niveau 1991: 2 – 0.1411 0.0273 – 5.1780 [0.0000]

*Wurzel des mittleren quadratischen Fehlers.

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

2.0

2.5

3.0

3.5

4.0

4.5

5.0

5.5 Waren Dienste Trend-Dienste

Trend-Waren

Abb. 4Der Trend der Waren- und Dienstleistungsexporte (real, logarithmiert)

Anmerkungen: Volumen logarithmiert (Mrd. Euro).

Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des ifo Instituts.

Tab. 2Interventionsvariablen bei der Dienstleistungsausfuhr

Variablen Koeffizient Fehlermaß* t-Wert

Impuls 1990: 3 0.3956 0.0497 7.9661 [0.0000]Impuls 1990: 4 0.5106 0.0497 10.2680 [0.0000]

*Wurzel des mittleren quadratischen Fehlers.

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

Forschungsergebnisse

mal ganz 2% und stieg bis Ende 1980 kon-tinuierlich bis auf 3,5% an.

Mit dem zweiten Ölpreisschock zu Beginnder achtziger Jahre kam die Zunahme in denWachstumsraten des Dienstleistungsver-kehrs zum Erliegen. Die Wachstumsrateschwächte sich dann von 1981 bis 1986 so-gar spürbar ab. In den Jahren 1986 bis ein-schließlich 1990 gewann die Dienstleistungs-ausfuhr wieder an Dynamik und wuchs miteiner durchschnittlichen Jahresrate von gut3%. Ab dem Jahr 1991 nahm die deutscheDienstleistungsausfuhr dann allerdings deut-lich Fahrt auf. Das Trendwachstum stieg bisEnde 1998 auf 6,7% an. Seit 1999 verste-tigte sich die Wachstumsrate des Dienstleis-tungsverkehrs analog zum Warenverkehr. Amaktuellen Rand wächst die deutsche Dienst-leistungsausfuhr mit einer hohen Jahresrate– im Vergleich zu den vorangegangenen De-kaden – von 6,4%. Das Trendwachstum desDienstleistungsverkehrs fällt damit jedoch umeinen ganzen Prozentpunkt niedriger aus alsdie Zuwachsrate der Warenexporte.

Die Zykluskomponente

Wie bereits bei der Datenanalyse festgestelltwurde, folgt die Waren- und die Dienstleis-tungsausfuhr nicht nur einem saisonalenMuster, sondern darüber hinaus sind weite-re zyklische Bewegungen auszumachen. Dasstrukturelle Zeitreihenmodell identifiziert ana-log zur Spektralanalyse bei der Warenaus-fuhr drei Zyklen.7 Der eher regelmäßige kur-ze Zyklus von einer Länge von 1,2 Jahren hatjedoch nur geringe Bedeutung. Er macht amaktuellen Rand gerade einmal 0,3% desTrends aus. Vernachlässigt man diesen –wahrscheinlich auf Kalendereffekten beru-henden – Zyklus, so ändert sich nichts amVerlauf der Trendwachstumsrate. Den größ-ten Einfluss auf das Ergebnis hat dagegender mittlere Zyklus mit einer Periode von dreiJahren. Seine Amplitude beträgt näherungs-weise 1,9% des Trends. Im Modell wird er alsdeterministischer Zyklus identifiziert, d.h. dieSchwingungen bleiben über die Zeit hinwegkonstant. Von Interesse ist auch der länge-

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27

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 4.4

4.8

5.2

5.6

6.0

6.4

6.8

7.2

7.6

8.4 Trendwachstum-Waren

8.0

Abb. 5Die Veränderung des Trends*

* Annualisierte Wachstumsrate der Warenausfuhr zum Vorquartal in %.

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

2.4

3.2

4.0

4.8

5.6

6.4 Trendwachstum-Dienste

Abb. 6Die Veränderung des Trends*

* Annualisierte Wachstumsrate der Warenausfuhr zum Vorquartal in %.

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

-0.01

0.00

0.01

0.02

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

-0.050

-0.025

0.000

0.025

0.050 Zyklus 2_Waren

Zyklus 1_Waren

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

Abb. 7Die Zyklen bei der Warenausfuhr

7 Die gängigen Auswahlkriterien wie der Wert der Like-lihood-Funktion und die Prediction Error Variance spre-chen für die Berücksichtigung von drei Zyklen, berück-sichtigt man jedoch die Akaike-und-Schwartz-Infor-mationskriterien, so ist ein Modell mit zwei Zyklen vor-zuziehen.

Forschungsergebnisse

re ungleichmäßige Zyklus von 8,5 Jahren,dessen Ausschläge 0,8% des Trends aus-machen (vgl. Abb. 7).

Es liegt die Vermutung nahe, dass die deut-sche Warenausfuhr durch ausländische In-vestitionszyklen geprägt wird. In makro-ökonomischen Reihen werden oft zwei Zy-klen identifiziert – der Kitchin-Zyklus mit ei-ner Dauer von etwa 40 Monaten und derlange Juglar-Zyklus von etwa neun Jah-ren (vgl. Langmantel 2005). Die durch dasstochastische Komponentenmodell ermit-telten Ergebnisse bestätigen bei der Wa-renausfuhr zwei unterschiedlich lange Zy-klen, deren Periodizitäten denen von Inves-titionszyklen gleichen.

Das zyklische Muster bei dem deutschenDienstleistungsverkehr weist zwar Parallelenzur Warenausfuhr auf (vgl. Abb. 8), die Peri-odizitäten der Zyklen unterscheiden sich jedoch markant.

Es werden ebenfalls drei Zyklen identifiziert: Ein kurzer Zy-klus mit einer Länge von ca. 1,2 Jahren, ein mittlerer Zy-klus mit 2,1 Jahren und ein dritter Zyklus mit 5,4 Jahren.Wie zuvor ist der kurze Zyklus wohl eher technischer Na-tur und wird daher nicht gesondert berücksichtigt.8 In die-sem Fall hat der über fünfjährige Zyklus den größten Ein-fluss. Er macht annäherungsweise 2% des Trends aus, wäh-rend die Amplituden des gut zweijährigen Zyklus lediglich0,6% des Trends betragen. Beide Zyklen sind allerdings de-terministisch. Die Länge der Zyklen beim Dienstleistungs-verkehr folgt daher nicht dem klassischen Muster von In-

vestitionszyklen. In einem univariaten Ansatz kann die Ur-sache der zyklischen Komponente jedoch nicht abschlie-ßend geklärt werden.

Die Saisonkomponente

Der Trend wird neben der zyklischen Komponente auch vonder Saisonfigur überlagert. Die Warenausfuhr zeigt über denlangen Zeitraum betrachtet eine relativ konstante Saison auf(vgl. Abb. 9).

Allerdings haben die Saisonausschläge im Zeitablauf merk-lich abgenommen. Durchgehend ausgeprägt sind die Un-terschiede zwischen dem dritten und dem vierten Quartal.

Während im Sommer im Durchschnitt 2,1%weniger Waren exportiert werden, ist dieAusfuhrtätigkeit in den Herbstmonaten über-durchschnittlich hoch. Dann werden durch-schnittlich 2,5% mehr Waren ausgeführt. Diesaisonale Unterscheidung zwischen Winterund Frühling spielt bei der Warenausfuhr da-gegen keine bedeutsame Rolle (vgl. Tab. 3).

Das Saisonmuster bei der Dienstleistungs-ausfuhr unterscheidet sich ebenfalls sicht-lich von dem der Warenexporte (vgl. Abb. 9).Zum einen sind die saisonalen Ausschlägeweit höher als bei der Warenausfuhr, zum an-deren gibt es bei den Dienstleistungen zwi-schen den Herbst- und den Wintermonatendie größten Unterschiede (vgl. Tab. 4).

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28

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

-0.0050

-0.0025

0.0000

0.0025

0.0050

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 -0.02

-0.01

0.00

0.01

0.02

Zyklus 1_Dienste

Zyklus 2_Dienste

Abb. 8Die Zyklen bei der Dienstleistungsausfuhr

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

-0.025

0.000

0.025

1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

-0.05

0.00

0.05

0.10

Saison-Waren

Saison-Dienste

Abb. 9Saisonfigur der Waren- und Dienstleistungsausfuhr

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

8 Wie zuvor bei der Warenausfuhr sprechen die Akai-ke-und-Schwartz-Informationskriterien für ein Modellmit nur zwei Zyklen. Die Vernachlässigung des kurzenZyklus ändert nichts an den sonstigen Ergebnissen.

Forschungsergebnisse

So werden im Herbst 7,1% mehr Dienstleistungen expor-tiert als im Durchschnitt, während im Winter 7,1% wenigerausgeführt werden. Zudem verringerten sich die Saisonaus-schläge in den achtziger Jahren, nahmen aber ab Mitte derneunziger Jahre wieder deutlich zu.

Fazit

Strukturelle Komponentenmodelle eignen sich gut, Eigen-schaften langer Zeitreihen deutlich zu machen. Mit Hilfedieses Instruments konnten bei der deutschen Waren- undDienstleistungsausfuhr insbesondere durch die Wiederver-einigung bedingte Strukturbrüche identifiziert und durch In-terventionsvariable adäquat modelliert werden. Die Zeitrei-hen weisen die klassischen Komponenten – Trend, Saisonund Zyklus – auf. Die Untersuchung zeigt, dass die Waren-und Dienstleistungsausfuhr verschiedene zyklische Verhal-tensmuster aufweisen, und auch bei den saisonalen Effek-ten gibt es deutliche Unterschiede. Zudem macht die Trend-analyse deutlich, dass die Warenausfuhr und der Dienst-leistungsverkehr zum Teil recht unterschiedlichen Wachs-tumspfaden folgen.

Hervorzuheben ist, dass im Zuge der Integration vonSchwellenländern und Ostblockländern in den internatio-nalen Handel sowohl die deutsche Waren- als auch dieDienstleistungsausfuhr deutlich an Dynamik gewannen.Dennoch liegt die Trendwachstumsrate des Dienstleis-tungsverkehrs am aktuellen Rand um einen Prozentpunktniedriger als die langfristige Wachstumsrate der Warenaus-fuhr. Würde man diese Entwicklung in der Zukunft fort-schreiben, hieße dies, dass der Anteil der Dienstleistungs-ausfuhr am Gesamtexport nicht konstant bliebe, sondernstetig abnehmen würde. Die starke Abhängigkeit der Ex-portleistung vom produzierenden Gewerbe würde sich da-mit tendenziell verfestigen.

Zudem zeigt die Analyse, dass die Waren-ausfuhr zyklischen Schwankungen unter-liegt, die typischen Investitionsmustern zu-zuschreiben sind. Dies ist nicht verwunder-lich, liegt doch die Stärke der deutschenAusfuhr bei Investitionsgütern insbesonde-re bei Gütern des Maschinen- und Fahrzeug-baus. Aufgrund des hohen Warenanteils amGesamtexport wird der deutsche Außenhan-del daher stark von den güterwirtschaftlichenKonjunkturzyklen bei den ausländischenHandelspartnern beeinflusst. Es liegt die Ver-mutung nahe, dass die Abhängigkeit vomweltweiten Investitionszyklus in den finanz-und dienstleistungsorientierten angelsäch-sischen Ländern aufgrund des höherenDienstleistungsanteils an der Ausfuhr gerin-ger ist, da dort andere zyklische Komponen-ten – insbesondere des Finanzsektors –

mehr zum Tragen kommen. Da in Deutschland im klassi-schen Konjunkturaufschwung die Initialzündung von denExporten ausgeht, ist die Beobachtung ausländischer In-vestitionszyklen bei Konjunkturprognosen unumgänglich(vgl. Deutsche Bundesbank 2007, 20).

Literatur

Deutsche Bundesbank (2007), Monatsbericht, Dezember, Frankfurt am Main.Flaig, G. (2002), »Unobserved Components Models for Quarterly GermanGDP«, CESifo Working Paper No.681.Gerlach, S. und F. Smets (1998), »Output Gaps and Monetary Policy in theEMU Area«, European Economic Review 43, 801–812.Hamilton, J.D. (1994), Time Series Analysis, Princeton University Press,Princeton. Harvey, A.C. (1990), The Econometric Analysis of Time Series, Phillip Allan,London.Harvey, A.C. (1998), Forecasting, Structural Time Series Models and theKalman Filter, Cambridge University Press, Cambridge UK.Kichian, M. (1999), »Measuring Pontential Output within a State-Space Fra-mework«, Working Paper No. 99, Bank of Canada.Langmantel, E. (2005), »Identifying the German Inventory Cycle: A Multiva-riate Structural Time Series Approach Using Survey Data«, Journal of Eco-nomics and Statistics 225, 675–687.Stier, W. (2001), Methoden der Zeitreihenanalyse, Springer Verlag, Berlin.

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Tab. 3

Saisonfaktoren der Warenausfuhr

1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal

Wert – 0.0030 – 0.0006 – 0.0215 0.0251

Anti-log 0.9970 0.9994 0.9787 1.0254Prozent – 0.2986 – 0.0615 – 2.1271 2.5423

Chi^2(3) Test auf Saisonalität: 19.6795 [0.0002].

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

Tab. 4Saisonfaktoren der Dienstleistungsausfuhr

1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal

Wert – 0.0755 – 0.0019 0.0086 0.0688Anti-log 0.9272 0.99813 1.0087 1.0712Prozent – 7.2762 – 0.18744 0.86782 7.1200

Chi^2(3) Test auf Saisonalität: 23.9497 [0.0000].

Quelle: Berechnungen des ifo Instituts.

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Mit dem Inkrafttreten der Unternehmen-steuerreform zum 1. Januar 2008 wurdedie Ertragsbesteuerung in Deutschland ei-nigen grundlegenden Änderungen unter-worfen. Bis zuletzt war dies in Politik, Wirt-schaft und Wissenschaft äußerst umstrit-ten. Jüngste Äußerungen aus der Politiklassen erahnen, dass die Reform der Un-ternehmensbesteuerung schon in derkommenden Legislaturperiode wieder aufder politischen Agenda stehen wird (Be-cker und Fuest 2007). Was bringt nunaber diese so heftig diskutierte Steuerre-form, und warum wurde sie überhauptverabschiedet?

In ihren Grundzügen zielt die Unterneh-mensteuerreform 2008 zum einen auf dieSicherung der internationalen Wettbe-werbsfähigkeit Deutschlands – durch Ab-senkung der Unternehmensteuerbelas-tung – und zum anderen auf die Siche-rung der deutschen Steuerbasis – durchVerbreiterung der Bemessungsgrundlagebeziehungsweise Einschränkung derSteuergestaltungsmöglichkeiten – ab. So-mit ist die Unternehmensteuerreform alstax-cut-cum-base-broadening-Reformkeineswegs ein Novum, sondern vielmehreine Nachahmung des vor 20 Jahren um-gesetzten »US 1986 Tax Reform Act«(Joint Committee on Taxation 1986), demim Laufe der vergangenen Jahre bereits

viele europäische Staaten gefolgt sind.1,2

Im Zuge des zunehmenden europäischenund weltweiten Steuerwettbewerbs ist ei-ne Senkung der Körperschaftsteuer, sowie es durch die Reform vorgesehen ist,durchaus eine zweckmäßige Maßnahme.Allerdings verursacht jede Steuersatzsen-kung auch Steuerausfälle, so dass sichdie Frage stellt, wie diese Steuerausfällesinnvoll durch eine Verbreiterung der Be-messungsgrundlage aufgefangen werdenkönnen.

Wie aus Abbildung 1 ersichtlich ist, ver-bessert sich die Position Deutschlandsnach Umsetzung der Unternehmensteu-erreform 2008 erheblich. Führte Deutsch-land vor der Reform mit einer tariflichenBelastung von rund 38,6% noch die Rie-ge der Hochsteuerländer in Europa an,so platziert es sich nach der Unterneh-mensteuerreform 2008 mit einer tarifli-chen Belastung von knapp unter 30%im europäischen Mittelfeld. Auch dasenorme Steuersatzdifferential zwischenDeutschland und den neuen EU-Mitglied-staaten, das gewaltige Anreize für Ge-winnverschiebung und Unternehmens-

Antwort auf die Globalisierung – oder doch ein Stückwerk?

Christian Baretti, Doina Maria Radulescu und Michael Stimmelmayr*

Die Unternehmensteuerreform 2008: Deutschlands

Zum Jahresbeginn trat die Unternehmensteuerreform 2008 in Kraft. Durch sie soll vor allem die

Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland verbessert werden. Die Senkung der Körper-

schaftsteuerbelastung für Kapitalgesellschaften wird diesem Ziel durchaus gerecht. Den weite-

ren – insbesondere zur Gegenfinanzierung – ergriffenen Maßnahmen fehlt es jedoch an Stringenz:

Ein Teil der umgesetzten Neuerungen verteuern die Fremdkapitalfinanzierung, andere Neuerun-

gen benachteiligen wiederum die Verwendung von Eigenkapital. Zudem werden durch die Reform

Realinvestitionen gegenüber Finanzinvestitionen unattraktiver. Im Hinblick auf Kapitalgesellschaf-

ten begünstigt die Reform vor allem die Ebene der Gesellschaft. Die Einführung der Abgeltungs-

steuer auf Dividenden und Veräußerungsgewinne, welche vorwiegend deutsche Anleger betrifft,

wirkt tendenziell strukturkonservierend. Aus Sicht ausländischer Investoren, die ausschließlich an

der Definitivbesteuerung der Gesellschaft interessiert sind, ist die Reform positiv zu bewerten. Für

Personengesellschaften fehlen klare Entlastungssignale allerdings gänzlich. Trotz positiver Sig-

nalwirkung zeugt die Steuerreform daher an vielen Stellen von Stückwerk.

* Dr. Christian Baretti ist ehemaliger Mitarbeiter desifo Instituts, Dr. Doina Maria Radulescu und Dr. Mi-chael Stimmelmayr sind wissenschaftliche Mitar-beiter am Center for Economic Studies (CES) ander Universität München.

1 So haben beispielsweise Dänemark 2001 oder Ita-lien 1998 ihr Steuersystem durch ähnliche tax-cut-cum-base-broadening-Reformen den internationa-len Herausforderungen der Globalisierung ange-passt (vgl. Carone und Salomäki 2001).

2 Auch wenn die Steuerreform 2000 ebenfalls ein zö-gerlicher Schritt in Richtung einer tax-cut-cum-ba-se-broadening-Reform war, rangierte Deutschlandvor Inkrafttreten der UntSt-Reform 2008 im inter-nationalen Vergleich immer noch unter den Län-dern mit der höchsten Steuerbelastung für Kapital-gesellschaften (vgl. BMF 2005).

Forschungsergebnisse

61. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 2/2008

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abwanderung bot, kann durch die steuerlichen Entlastun-gen im Zuge der Unternehmensteuerreform 2008 erheblichverringert werden.3

Die Unternehmensteuerreform 2008

Ein Kernelement der Unternehmensteuerreform 2008 ist zumeinen die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes von25 auf 15%. Zum anderen wird die für Kapitalgesellschaf-ten bereits einheitliche Gewerbesteuermesszahl von 5 auf3,5% reduziert, so dass sich die tarifliche Belastung von ein-behaltenen Gewinnen von Kapitalgesellschaften von derzeit38,6 auf 29,8% verringert (vgl. BMF 2006).

Personen- und Einzelunternehmen, deren ertragsteuerlicheBehandlung – mit Ausnahme der Gewerbesteuer – auf Ebe-ne der Gesellschafter und deren persönliche Einkommen-steuer erfolgt, profitieren indessen nicht von einer Steuer-satzsenkung. Im Gegenteil, mit Inkrafttreten der Reform ent-fällt die Entlastung für gewerbliche Einkünfte bei der »Rei-chensteuer« im Rahmen der Einkommensteuerveranla-gung4, wodurch sich der Spitzensteuersatz um 3 Prozent-punkte auf 45% erhöht. Zugleich ergeben sich auch für Per-sonen- und Einzelunternehmen einige Änderungen bei derGewerbesteuer, deren Wirkung stark von der Ertragslageund dem jeweiligen Hebesatz der Betriebsstättengemein-de des Unternehmens abhängen: Zum einen fällt der bis-herige Staffeltarif bei der Gewerbesteuermesszahl weg. Die-ser setzte bisher nach dem Freibetrag in Höhe von 24 500 €ein und stieg in 1 Prozentschritten pro 12 000 € Gewer-

beertrag von 1 auf 5% an. Nunmehr beträgtdie Gewerbesteuermesszahl – wie bei denKapitalgesellschaften – einheitlich 3,5%. DerFreibetrag von 24 500 € bleibt jedoch er-halten. Zudem wurde der Anrechnungsfak-tor der Gewerbesteuer auf die Einkommen-steuerschuld nach § 35 EStG von 1,8 auf3,8 angehoben. Neu ist hierbei, dass dieSteueranrechnung nur bis zur tatsächlichgezahlten Gewerbesteuer erfolgen darf, wasfür Betriebe von Bedeutung ist, die in Ge-meinden mit einem Hebesatz von unter380% angesiedelt sind.5 Durch diese Maß-nahme soll ein Steuerwettbewerb der Ge-meinden zu Lasten des Einkommensteuer-fiskus verhindert werden. Eine weitere Neu-regelung im Rahmen der Gewerbesteuer,die sowohl Kapital- als auch Personenge-

sellschaften und Einzelunternehmen betrifft, ist die Einstu-fung der Gewerbesteueraufwendungen als nicht-abziehba-re Betriebsausgabe bei Einkommen-, Körperschaft- undGewerbesteuer.

Ferner sieht die Reform eine Thesaurierungsbegünstigungfür Personenunternehmen vor. Entsprechend dieser Be-günstigung werden einbehaltene Gewinne lediglich mit ei-nem proportionalen Steuersatz von 28,25% (zzgl. Solida-ritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer) belastet.Entnahmen aus der Thesaurierungsrücklage abzüglich derbereits auf die thesaurierten Gewinne gezahlten Steuern un-terliegen einem reduzierten Einkommensteuersatz in Höhevon 25%, wobei die thesaurierten Gewinne vorrangig voranderen Gewinnrücklagen und vor früheren Einlagen alsentnommen gelten. Somit soll zum einen die Verwendungvon Eigenkapital in Personenunternehmen gefördert wer-den. Zum anderen soll die nominale Steuerbelastung vonKapitalgesellschaften und Personenunternehmen angegli-chen werden.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Reform ist die Ein-führung einer sog. Abgeltungssteuer in Höhe von 25% (zu-züglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) auf Kapi-taleinkünfte – allerdings erst ab 2009. Diese Maßnahmekann sowohl als tax-cut als auch als base-broadening Ele-ment betrachtet und interpretiert werden: Unterlagen Zins-einkünfte vor der Reform noch der Einkommensteuer miteinem Spitzensteuersatz von 45%, so sinkt diese Belas-tung der Zinseinkünfte (für die Anleger in der höchsten Pro-gressionsstufe) um 20 Prozentpunkte. Mit Einführung derAbgeltungssteuer wird aber auch für Anteile im Privatver-

37.3

35.0 34.4 34.032.5

30.0 29.628.0 27.5

26.0 25.5 25.0 25.024.0

22.020.0

19.018.0

15.0

12.5

10.0

38.6

29.0 28.5

0

5

10

15

20

25

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40

45

DE IT

MT

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DE

(a)

EU

-15

SE

PT FI

NL

GR

AT

,SI

CS

DK

,EE

HU

PL

,SK

LT

LV IE CY

Quelle: Schratzenstaller (2007).

Tarifliche Belastung von Kapitalgesellschaften 2007

in %

(a) Nach Umsetzung der Unternehmensteuerreform 2008.

Abb. 1

3 Bei einer durchschnittlichen Steuerbelastung von rund 18% für Kapital-gesellschaften in den neuen EU-Mitgliedstaaten, hat sich durch die UntSt-Reform 2008 das Steuerdifferential zwischen Deutschland und diesen Staa-ten um 8 Prozentpunkte von circa 20 auf 12% verringert.

4 Gemäß § 52 Abs. 44 EStG wird § 32c EStG, der die Entlastung der Ge-winneinkünfte von der Reichensteuer vorschreibt, letztmalig für den Ver-anlagungszeitraum 2007 angewendet.

5 Bei einem Hebesatz von 380% beträgt die Gewerbesteuerbelastung 380%der Gewerbesteuermesszahl. Gleichzeitig ergibt sich bei der Einkommen-steuer eine Anrechnung von 3,8 der Gewerbesteuermesszahl. Da die An-rechnung auf die tatsächlich bezahlte Steuer begrenzt ist, ergibt sich beiHebesätzen unter 380% eine geringere Anrechnung, als der Maximalfak-tor 3,8 zulässt.

Forschungsergebnisse

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mögen das Halbeinkünfteverfahren abgeschafft, so dassnun nicht mehr nur die Hälfte der Einkünfte aus Dividen-den der persönlichen Einkommensteuer unterliegen, son-dern die gesamten Ausschüttungen der Abgeltungssteu-er unterworfen werden. Ferner sind auch Veräußerungs-gewinne, die bisher nach Ablauf der einjährigen Spekula-tionsfrist nicht besteuert wurden, nun von der Abgeltungs-steuer betroffen. Trotz dieser Verbreiterung der Bemes-sungsgrundlage für Einkünfte aus Dividenden und Veräu-ßerungsgewinne steigt aber die Grenzsteuerbelastung fürDividenden für den Fall von Spitzeneinkommen nur gering-fügig an.6

Werden Beteiligungen an Kapitalgesellschaften jedoch imBetriebsvermögen z.B. einer OHG oder eines Einzelgewer-betreibenden gehalten, sind die Erträge aus Veräußerun-gen und Gewinnausschüttungen ab 2009 nach dem sog.Teileinkünfteverfahren zu besteuern. Sie sind dann zu 40%(statt bisher zur Hälfte) von der Einkommensteuer freigestellt.Insoweit ist die Abgeltungssteuer nicht anzuwenden. Bei Ka-pitalgesellschaften bleibt es auch in Zukunft bei der (weit-gehenden) Freistellung dieser Erträge von der Körperschaft-steuer. Ebenfalls von der Abgeltungsteuer ausgenommensind Erträge aus der Veräußerung von Beteiligungen an Ka-pitalgesellschaften im Privatvermögen, sofern die Beteiligungmindestens 1% beträgt. Auch hier greift ab 2009 das Teil-einkünfteverfahren.

Außerdem gilt die Abgeltungssteuer nicht, wenn die Be-steuerung mit dem persönlichen progressiven Steuersatzgünstiger ist und der Steuerpflichtige auf die Abgeltungs-steuer verzichtet.

Für das Jahr 2008 bleibt es – trotz Absenkung des Körper-schaftsteuersatzes – beim Halbeinkünfteverfahren. Die indiesem Jahr erzielten und vorab ausgeschütteten Gewinneunterliegen somit einer historisch einmalig niedrigen Aus-schüttungsbelastung (15% Körperschaftsteuer plus hälftigeEinkommensteuer).

Des Weiteren betrifft die Verbreiterung der Bemessungs-grundlage im Zuge der Unternehmensteuerreform 2008auch die Gewerbesteuer. Hier wird die hälftige Hinzurech-nung von Dauerschuldzinsen zum steuerpflichtigen Gewer-beertrag durch eine 25%ige Hinzurechnung aller Zinsauf-wendungen ersetzt. Dies bedeutet, dass nun auch die Ent-gelte für kurzfristig überlassenes Fremdkapital (mit Ausnah-me von Skonti und Boni) zu 25% bei der Ermittlung des Ge-werbeertrags hinzuzurechnen sind. Außerdem sind 25%der fiktiven »Zinsanteile« von Mieten, Pachten, Lizenzen und

Leasingraten hinzuzurechnen, und zwar unabhängig vonder gewerbesteuerlichen Behandlung beim Empfänger die-ser Zahlungen.

Zu erwähnen ist jedoch, dass bei dieser Hinzurechnungvon tatsächlichen Zinsen und fiktiven »Zinsanteilen« ein Frei-betrag von 100 000 € besteht. Des Weiteren entfällt – wiebereits erwähnt – die Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuerals Betriebsausgabe.

Ein weiteres base broadening Element der Reform ist dieTatsache, dass bei Konzernen der Abzug von Fremdkapi-talzinsen7 sowohl für Kapitalgesellschaften als auch für Per-sonenunternehmen unter bestimmten Voraussetzungen aufmaximal 30% des Gewinns vor Zinsaufwand und Abschrei-bung (EBITDA) beschränkt wird. Mit Hilfe dieser Zinsschran-ke soll zum einem die Steuergestaltungsmöglichkeit durchinterne Kreditvergabe eingeschränkt und zum anderen ver-hindert werden, dass Investitionen im Ausland voll zu Las-ten des deutschen Gewinns finanziert werden (vgl. BMF2006). Um jedoch die Fremdkapitalfinanzierung von klei-nen und mittleren Unternehmen nicht zu erschweren, greiftdie Zinsschranke erst jenseits einer Freigrenze von 1 Mill. €pro Jahr und kommt nicht zur Anwendung, wenn ein Kon-zern nachweisen kann, dass die Fremdkapitalquote der Un-ternehmungen in Deutschland die Fremdkapitalquote desGesamtkonzerns um nicht mehr als 1% überschreitet (»Escape-Klausel«).

Weiterhin erfolgt durch die Abschaffung der degressiven Ab-schreibung und Einschränkungen bei der Sofortabschrei-bung geringwertiger Wirtschaftsgüter eine zusätzliche Ver-breiterung der Bemessungsgrundlage.

Implikationen der Unternehmensteuerreform2008

Anreize für die Unternehmensfinanzierung und die Kapitalstruktur

Für den Fall, dass Fremdkapitalzinsen nicht oder nur teilwei-se von der Bemessungsgrundlage der Unternehmensteuerabzugsfähig sind – wie es bei der Gewerbesteuer und derFremdkapitalzinsen oberhalb der Freigrenze der Zinsschran-ke zutrifft – so erinnert die Reform an die so genannte Com-prehensive Business Income Tax (CBIT).8

6 Unterlagen Dividenden vor der Reform aufgrund des Halbeinkünftever-fahrens noch einer effektiven Steuerlast von 22,5% (für den Fall von Spit-zeneinkommen), so werden diese nach Einführung der Abgeltungssteuerpauschal mit 25% belastet.

7 Gemeint ist der Nettozinsaufwand, also Zinsaufwendungen abzüglich Zins-erträge.

8 Die CBIT wurde Anfang der neunziger Jahre von dem US Treasury Department (1992) mit dem Ziel entwickelt, einen Abgleich der Finanzie-rungskosten unter Verwendung von Eigen- und Fremdkapital herbeizu-führen. Auch wenn die CBIT bis heute noch in keinem Land in ihrer Rein-form umgesetzt wurde, spielt sie dennoch immer wieder eine wichtigeRolle bei den steuerpolitischen Debatten in den USA (President’s Adviso-ry Panel on Tax Reform 2006), und nun auch in Deutschland.

Forschungsergebnisse

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Aus ökonomischer Sicht sticht die CBIT vor allem dadurchhervor, dass sie die Finanzierungsentscheidung einer Un-ternehmung nicht beeinflusst, da weder die mit Fremdka-pital noch die mit Eigenkapital finanzierten Investitioneneinen Steuervorteil erhalten. Unter Berücksichtigung derpersönlichen Einkommensteuer der Kreditgeber bezie-hungsweise Anteilseigner wird im Fall der Unternehmens-teuerreform 2008 diese Finanzierungsneutralität allerdingsnur bei Überschreiten der Zinsschranke erreicht.9 Der par-tielle Wegfall des Steuerprivilegs für Fremdkapitalzinsenkann unter Umständen dazu führen, dass die Fremdkapi-talkosten steigen und somit die Unternehmen vermehrt aufEigenkapital zurückgreifen werden. Folglich ist davon aus-zugehen, dass sich die Eigenkapitalquote der Unterneh-men, die von der Zinsschranke betroffen sind, langfristigerhöhen wird.

Geht man jedoch davon aus, dass in einer Vielzahl der Fälledie Zinsschranke nicht greift, kommt es ab 2009 hingegenzu einer Bevorzugung von Fremd- gegenüber Eigenkapital.Hintergrund ist hier die steuerliche Behandlung bei den Ka-pitalgebern und deren Rückwirkung auf die Kapitalkosten.Für einen Gesellschafter ist es, solange das Unternehmennicht von der Zinsschranke betroffen ist, steuerlich vorteilhaft,seiner Gesellschaft ein Darlehen zu geben, anstatt eine Ei-genkapitalerhöhung durchzuführen (vgl. auch Endres, Spen-gel und Reister 2007). Generell gilt: Eigenkapital wird teurerals Fremdkapital, weil Fremdkapitalgeber einer niedrigerenSteuerbelastung unterworfen sind als Eigenkapitalgeber. Beider Gewerbesteuer wird ebenfalls tendenziell die steuerlicheBehandlung von Fremdkapital verbessert: Die Hinzurechnungvon Dauerschuldzinsen wurde von 50 auf 25% abgesenktund zudem ein Freibetrag von 100 000 € geschaffen. Nur fürkurzfristiges Fremdkapital, das bisher nicht hinzuzurechnenwar, verschlechtert sich oberhalb des Freibetrags die ge-werbesteuerliche Behandlung.

Angesichts der strukturellen Eigenkapitalschwäche der deut-schen Wirtschaft wirkt die Steuerreform in diesem Punkteher kontraproduktiv. Festzuhalten bleibt, dass die Reformim Hinblick auf die Finanzierungsanreize keine klare Wir-kungsrichtung hat. Dies ist jedoch auch nicht verwunder-lich, da Finanzierungsneutralität kein Ziel der Unternehmen-steuerreform war.

Auswirkungen auf das Investitionsverhalten

Untersucht man die theoretische Wirkung der Unterneh-mensteuerreform 2008 auf das Investitionsverhalten der Ka-

pitalgesellschaften, so sind zwei gegenläufige Effekte zu un-terscheiden: Zum einen führt die Verbreiterung der Bemes-sungsgrundlage durch die partielle Nichtabzugsfähigkeit derFremdkapitalzinsen zu einem Anstieg der Kapitalkosten.10

Zum anderen bewirkt die Absenkung des Unternehmen-steuersatzes allerdings eine Verringerung der Kapitalkosten.Aus theoretischer Sicht ist es also nicht eindeutig, welcherder beiden Effekte überwiegt und ob die Kapitalkosten unddamit die Investitionsanreize mit Einführung der Reform an-steigen oder fallen werden. Da der Anstieg in den Kapital-kosten aber lediglich den Anteil der fremdfinanzierten In-vestitionen beeinflusst, zugleich aber beide Finanzierungs-wege von dem niedrigeren Unternehmensteuersatz profitie-ren, ist davon auszugehen, dass die Kapitalkosten insbe-sondere für Unternehmen mit einem geringen Fremdfinan-zierungsanteil fallen werden.11 Die Berechnungen von Ra-dulescu und Stimmelmayr (2008) zeigen, dass eine tariflicheEntlastung der Kapitalgesellschaften die Investitionstätigkeitim Sektor der Kapitalgesellschaften durch die Unterneh-mensteuerreform 2008 negativ beeinflusst. Dieses Ergeb-nis ist damit zu erklären, dass zum einen die Zinsschrankeder tariflichen Entlastung der Kapitalgesellschaften entge-genwirkt. Zum anderen unterliegen mit Einführung der Ab-geltungssteuer auf Dividenden und Wertzuwächse die Ge-winne von Kapitalgesellschaften einer vollen Doppelbesteue-rung. Unterlagen die Zinseinkünfte bisher dem vollen per-sönlichen Steuersatz, so wurden die bereits bei einer Kapi-talgesellschaft versteuerten ausgeschütteten Gewinne nurdem halben Einkommensteuersatz unterworfen. Mit Einfüh-rung der Abgeltungssteuer werden beide Einkunftsquellenin Zukunft gleichermaßen mit einem Steuersatz von 25%(plus SolZ und Kirchensteuer) belegt. Die Gesamtbelastungauf ausgeschüttete Gewinne ist somit höher als auf Zinser-träge und somit werden Investitionen in Finanzkapital ge-genüber Investitionen in Sachkapital bevorzugt.

Hinzu kommt, dass die Verschlechterung der Abschrei-bungsbedingungen Investitionen in Sachkapital unattrakti-ver macht. Die erweiterte Substanzbesteuerung im Bereichder Gewerbesteuer verstärkt diesen Effekt: Auch angemie-tetes Vermögen erhöht die Steuerlast. Bezieht man diesenEffekt der Reform mit ein, wird vor allem eines deutlich: Ka-pitalintensive Unternehmen werden weniger stark entlas-tet, als kapitalarme. Der Staat verstärkt damit den Struktur-wandel zur Dienstleistungsgesellschaft.

Vermeidung von Gewinnverlagerungen

Die Unternehmensteuerreform 2008 versucht – auch im Hin-blick auf den internationalen Steuerwettbewerb – der inter-

9 Unterliegt die marginale Investition einer vollkommenen Nichtabzugsfähig-keit der Fremdkapitalzinsen, so hat sowohl die mit Eigen- als auch mitFremdkapital finanzierte Investition auf Firmenebene die gleiche effektiveUnternehmensteuerlast zu tragen. Da zudem auf Ebene der Anteilseignerjeweils die einheitliche Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkommen greift, istdie effektive Steuerlast für die marginale Investition bei beiden Finanzie-rungswegen identisch.

10 Die Entwicklung der Fremdkapitalkosten hängt davon ab, ob das Unter-nehmen unter die Zinsschranke fällt.

11 Je geringer der Fremdfinanzierungsanteil eines Unternehmens ist, destowahrscheinlicher ist es, dass für solch ein Unternehmen die Kapitalkos-ten fallen, da die Reduzierung des Unternehmensteuersatzes stärker insGewicht fällt als die Verteuerung der Fremdkapitalkosten.

Forschungsergebnisse

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nationalen Gewinnverlagerung von multina-tionalen Unternehmen gegenzusteuern (BMF2006). Wenn Fremdkapitalzinsen steuerlichabzugsfähig sind, so können multinationaleUnternehmen mittels interner Kreditverga-be oder Lizenzgebühren ihre Gewinne vonHochsteuerländern in Niedrigsteuerländerverlagern.12 Auch wenn die Zinseinnahmendes Tochterunternehmens im Niedrigsteuer-land versteuert werden müssen, kann einederartige interne Kreditvergabe für einenKonzern von Vorteil sein, wenn das Steuer-satzdifferential zwischen Hoch- und Niedrig-steuerland ausreichend groß ist.13 Soweit dieZinsschranke greift, wird dieser Effekt in Zu-kunft vermieden. Auch die Senkung der Ef-fektivbelastung für nicht ausgeschüttete Ge-winne von Kapitalgesellschaften reduziertden Anreiz zur Gewinnverlagerung. In diesel-be Richtung wirkt die Besteuerung von Funk-tionsverlagerungen im neu formulierten § 1 des Außensteu-ergesetzes.14

Belastungsänderung bei Kapitalgesellschaften und deren Anteilseignern

Da wesentliche Maßnahmen der Reform vor allem die Ka-pitalgesellschaften betreffen, soll im Folgenden kurz aufge-zeigt werden, wie sich diese Neuerungen auf Kapitalgesell-schaften und ihre Gesellschafter auswirken.

Wir stellen uns hierzu eine GmbH mit einem Gewinn von55 000 € vor. Die Steuerbelastung vor und nach der Un-ternehmensteuerreform 2008 ist in Tabelle 1 abzulesen.Zur Vereinfachung wurde beim Vergleich auf den Rechts-stand ab 2009 abgestellt, wenn die einzelnen Neuerun-gen der Reform inklusive der Abgeltungssteuer in vollemUmfang wirken.15 Zudem sind wir bei den Berechnungenvon einem Gewerbesteuerhebesatz von 400% ausgegan-gen und haben unterstellt, dass der Anteilseigner außerdem Ertrag seines Unternehmens keine weiteren Einkünf-te erzielt. Für 2007 konnte der Anteilseigner Grundfreibe-trag und Progression voll für die mit dem Halbeinkünfte-

verfahren belegte Dividende verwenden (Besteuerung nachESt-Grundtarif).

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass der Effekt der Reform vorallem die Ebene der Gesellschaft betrifft. Für sie sinkt dieSteuerlast um annähernd 10 Prozentpunkte. Bezieht mandie Ebene der Gesellschafter mit ein, kommt es letztlich imkonkreten Beispielsfall zu einer Mehrbelastung um über5 Prozentpunkte. Dies ist allerdings auch dem extremen Bei-spiel zuzuschreiben: Bei einem Einkommen von 55 000 €ausschließlich aus Gewinnanteilen ist im neuen System ei-ne Option zur Regelbesteuerung (also ein grundsätzlich zu-lässiger Verzicht auf die Abgeltungssteuer) nicht opportun.Hintergrund ist, dass bei dem Verzicht auf die Abgeltungs-steuer der volle Einkommensteuersatz Anwendung findetund nicht wie bisher der halbe.16

Für den Fall, dass der Anteilseigner bereits vor Gewinn-ausschüttung mit seinen Einkünften bei einem Steuer-satz von 42% liegt, beträgt in 2007 gemäß des Halbein-künfteverfahren die Grenzbelastung für Gewinnausschüt-tungen 21% und 2009 bei Abgeltungssteuer 25%. Folg-lich beläuft sich die Gesamtbelastung für Gesellschaft undGesellschafter im Jahr 2007 auf 52,24% und im Jahr 2009auf 48,33%. Von der Entlastung auf Ebene der Kapital-gesellschaft kommen nun knapp 4 Prozentpunkte beimAnteilseigner an.

Wesentlich für die Veränderung der Gesamtbelastung sindalso die Einkunftsverhältnisse des Anteilseigners: Je höher

16 Bei 55 000 € liegt der Durchschnittsteuersatz im Grundstarif bei 27,61%also über den 25% der Abgeltungssteuer. Ein Optieren zur Veranlagungim normalen ESt-Tarif würde also zu einer Verschlechterung führen undwäre überdies aufgrund der vom Finanzamt von Amts wegen durchzu-führenden Günstigerprüfung auch gar nicht möglich.

Tab. 1Belastungsvergleich altes vs. neues Recht bei einer GmbH mit

Jahresüberschuss von 55 000 � bei Vollausschüttung(Gewerbesteuerhebesatz 400%)

Rechtsstand

2007

Rechtsstand

2009

Gewerbesteuer 9 166,67 7 700,00

Körperschaftsteuer 11 458,33 8 250,00Solidaritätszuschlag auf KSt 630,21 453,75Steuer auf Gesellschaftsebene 21 255,21 16 403,75

Steuerlast in % (entsprichtBesteuerung thesaurierter Gewinn) 38,65 29,83

Ausschüttung (Gewinn nach Steuern) 33 744,79 38 596,25 Einkommensteuer Anteilseigner(2007: Halbeinkünfteverfahren bei

Steuersatz 42%, 2009:Abgeltungssteuer) 2 018,00 9 649,06Solidaritätszuschlag Anteilseigner 110,99 530,70

Gesamtsteuer auf Vollausschüttung 23 384,20 26 583,51 Belastung in % 42,52 48,33

Quelle: Berechnungen der Autoren.

12 Für eine Gewinnverschiebung über interne Kredite nimmt der in einemHochsteuerland angesiedelte Konzernteil einen Kredit bei einem Tochter-unternehmen in einem Niedrigsteuerland auf. Durch die Tilgungszahlun-gen werden die Gewinne des Konzernteils im Hochsteuerland (künstlich)reduziert und somit die Steuerlast des Konzernteil im Hochsteuerland.

13 Gemäß Weichenrieder (2007) oder Huizinga und Laeven (2007) hängtdie Gewinnverlagerung der multinationalen Unternehmen entscheidendvon dem bilateralen Steuersatzunterschied zwischen Hoch- und Nied-rigsteuerland ab.

14 §1 AStG in der Fassung des Unternehmensreformgesetzes regelt, dassbei Geschäftsbeziehungen zu verbundenen Unternehmen im Auslandeinem Fremdvergleich standhalten müssen. Dadurch soll verhindert wer-den, dass über überhöhte Verrechnungspreise innerhalb eines Konzernsdeutsche Gewinne ins Ausland verlagert werden.

15 Die Belastung nicht ausgeschütteter Gewinne wird bereits 2008 erreicht.

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das zu versteuernde Einkommen, desto größer die Ent-lastungswirkung. Als problematisch erweist sich an dieserStelle, dass die Unternehmensteuerreform zwar grundsätz-lich einen Verzicht des Steuerpflichtigen auf die Anwen-dung der Abgeltungssteuer erlaubt, aber die Besteuerungin diesem Fall nicht konsequenterweise mit dem Teilein-künfteverfahren erfolgt, sondern eine Doppelbesteuerungbilligend in Kauf genommen wird. Hier besteht insbeson-dere zugunsten von Kleinanlegern dringender Nachbesse-rungsbedarf, der auch aus steuersystematischen Gründennotwendig wäre.

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die Entlastungder Kapitalgesellschaften vor allem die Ebene der Gesell-schaft betrifft. Folglich wird die Ausschüttung und Investiti-on in neue Projekte steuerlich deutlich benachteiligt gegen-über einem Belassen der Gewinne im Unternehmen. Die Re-form wirkt insoweit strukturkonservierend.

Die oben erwähnten Maßnahmen betreffen aber lediglich dieinländischen Investoren. Mit Blick auf ausländische Inves-toren, die ausschließlich an der Definitivbesteuerung der Ge-sellschaft interessiert sind, ist das von der Reform ausge-hende Signal jedoch als äußerst positiv zu werten.

Für Kleinanleger mit einem niedrigen Grenzsteuersatz wirddie Aktienanlage hingegen steuerlich uninteressanter.

Wirkung auf Personengesellschaften und Einzelunternehmen

Neben den Kapitalgesellschaften sind auch die Folgewir-kungen für die Personengesellschaften zu untersuchen. Da-bei fällt auf, dass im Einkommensteuergesetz keine der Ab-senkung des Körperschaftsteuersatz vergleichbare Maß-nahme vorgenommen wurde. Vielmehr wirken sich insbe-sondere die Verschärfung der Abschreibungsregelungen ne-gativ auf die Personengesellschaften und Einzelunterneh-men aus. Die im Zuge der Reform vorgenommenen Erleich-terungen bei den Sonderabschreibungen sind hierbei nurein leichtes Korrektiv. Zumal der Wegfall der Existenzgrün-derförderung im Rahmen der Ansparabschreibung auch hiereine Verschlechterung bedeutet.

Die »Thesaurierungsrücklage«

Für die Personengesellschaften und Einzelgewerbetreiben-den hat der Gesetzgeber – als »kleinen Bruder« der deutli-chen Steuersatzsenkung bei der Körperschaftsteuer die sog.Thesaurierungsrücklage nach § 34a EStG geschaffen. Eshandelt sich aber dabei leider um eine etwas bürokratischeMaßnahme. Zwar werden nicht entnommene Gewinne mit28,25% (unter Berücksichtigung des Solidaritätszuschlags:29,8%) relativ niedrig besteuert, allerdings sind die Risikenfür die Unternehmer hoch:

Der begünstigt besteuerte Gewinn ist bei Entnahme mit 25%plus Solidaritätszuschlag nachzuversteuern. Einer Entnah-me gleich gestellt sind dabei Betriebsaufgaben, Veräuße-rungen und Umwandlungen in eine Kapitalgesellschaft.

Problematisch ist insbesondere die Definition der Entnah-me: Sie liegt vor, wenn der positive Saldo aus Entnahme undEinlage den Gewinn übersteigt. Entnahmen erfolgen dahergrundsätzlich vorrangig aus der Thesaurierungsrücklage.Zur Verdeutlichung ein Beispiel:

Der Einzelunternehmer X hat im Jahr 2008 einen Gewinnvon 100 000 € begünstigt versteuert und thesauriert. In 2009tätigt er eine Einlage in Höhe von 150 000 €. Im Jahr 2015möchte er 50 000 € entnehmen.

Das Kapital setzt sich bei der Entnahme wie folgt zu-sammen:

Begünstigt versteuerter Gewinn aus 2008: 100 000 €Einlage aus 2009: 150 000 €Gesamtkapital 250 000 €

Die gewünschten 50 000 € sind zwingend aus der Thesau-rierungsrücklage zu entnehmen und nachzuversteuern, ob-wohl X in 2009 (also nach Bildung der Rücklage) eine gro-ße Einlage getätigt hat. An dieses Geld kommt er jedoch erstwieder nach vollständiger Auflösung der begünstigten Rück-lage in Höhe von 100 000 € heran.

Da Einzelunternehmer oder Gesellschafter einer Personen-gesellschaft – anders als beispielsweise Gesellschafter-Ge-schäftsführer einer GmbH – steuerlich keine Gehälter vonihrem Unternehmen beziehen können, sind sie jedoch auchin Verlustperioden auf Entnahmen angewiesen. In der Pra-xis wird die Thesaurierungsrücklage daher wohl kaum eineRolle spielen.17 Sie lohnt sich am ehesten bei sehr hohenGewinnen und sehr langen Thesaurierungsdauern (vgl. En-dres, Spengel und Reister 2007).

Gesamtwirkung von Einkommen- und Gewerbesteuer

Somit bleibt für die Einkommensteuer festzuhalten, dasses keine nennenswerte Besserstellung der Gewerbetreiben-den gibt. Vielmehr wurden – wie bereits erwähnt – nun auchgewerbliche Einkünfte in die »Reichensteuer« von 45% ein-bezogen.

Unklar ist die Wirkung der Gewerbesteuerreform: Zum ei-nen wurden Staffeltarif und Abzugsfähigkeit der Gewerbe-steuer als Betriebsausgabe abgeschafft, zum anderen derAnrechnungssatz auf die Einkommensteuer deutlich von

17 Simulationsergebnisse für Musterunternehmen von Spengel, Elschner,Grünewald und Reister (2007) bestätigen diese Auffassung.

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1,8 auf 3,8 erhöht. Lässt man die Reform derHinzurechnungen außen vor, hängt die Wir-kung der Reform bei den Personengesell-schaften und Einzelunternehmen eindeutigvom Gewerbesteuerhebesatz ab. Denn so-bald der Hebesatz den Wert von 380% über-steigt, kommt es zu einer effektiven Gewer-besteuerbelastung.18 Bis zu dieser Schwel-le sind Gewerbesteuerbelastung und Anrech-nung deckungsgleich. Eine – in der Vergan-genheit mögliche – Überkompensation durchdie Anrechnung ist ausgeschlossen, da die-se auf die tatsächlich bezahlte Steuer be-grenzt ist.

In Abbildung 2 ist die Grenzbelastung einesgewerblichen Einzelunternehmens bzw. ei-ner Personengesellschaft mit einem Gewinnvon 55 000 € in Abhängigkeit vom Hebe-satz nach altem und neuen Recht dargestellt.

Die Graphik zeigt, dass nur in einem relativengen Korridor eines Hebesatzes von 325% bis zu einemHebesatz von unter 460% die Reform zu einer geringerenGrenzsteuerbelastung aus Gewerbesteuer, Einkommen-steuer und Solidaritätszuschlag führt. Im restlichen Bereichist die alte Regelung günstiger. Der durchschnittliche He-besatz in Deutschland liegt bei ca. 433%.19 Insbesonderein Großstädten ist er häufig deutlich höher (beim Spitzen-reiter München, z.B. 490%). Gerade gewerbliche Unterneh-men in den Metropolen werden daher durch die Reformschlechter gestellt.

Haben die Gesellschafter einer Personengesellschaft oderder Einzelgewerbetreibende als getrennt Veranlagte ein zuversteuerndes Einkommen von über 250 000 € (Zusammen-veranlagung 500 000 €), so liegt die Grenzbelastung nach

der Reform aufgrund der Reichensteuer um 3% höher undsomit nach unseren Berechnungen deutlich über der Grenz-belastung vor der Reform. In dieser ungünstigen Fallkonstel-lation übersteigt die Grenzbelastung die Gesamtbelastungbei den Kapitalgesellschaften.

Die reine Grenzbetrachtung liefert jedoch ein nicht ganzwirklichkeitsgetreues Bild: Zu berücksichtigen sind auchder progressive Charakter der Einkommensteuer und diesich daraus ergebenden Durchschnittssteuersätze. Ausdiesem Grund soll nachfolgend eine Simulationsrechnungfür ein Personenunternehmen mit einem Gewinn von55 000 € durchgeführt werden. Vereinfachend wird an-genommen, dass der getrennt veranlagte Unternehmerkeine weiteren Einkünfte erzielt. Die Simulation wird beieinem Gewerbesteuerhebesatz von 400% und einem He-

besatz von 490% (Höchstsatz in Deutsch-land) durchgeführt.

Tabelle 2 zeigt, dass bei einem Gewerbesteu-erhebesatz von 400% kaum Veränderungenfür Personengesellschaften bzw. Einzelun-ternehmen eintreten. Beim derzeitigen bun-desweiten Spitzenhebesatz (München) von490% tritt demgegenüber eine Mehrbelas-

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200 225 250 275 300 325 350 375 400 425 450 475 490

alte Rechtslage neue Rechtslage

Quelle: Berechnungen der Autoren.

Gesamtsteuergrenzbelastung für Personengesellschaften und Einzelgewerbe-

treibende in Abhängigkeit vom Gewerbesteuersatz

Steuerbelastung in %

GewSt Hebesatz in %

Abb. 2

Tab. 2

Vergleich Steuerbelastung für gewerbliche Einkünfte vor und nachUnternehmensteuerreform Gewinn: 55 000 �, Gewerbesteuer-Hebesatz400 bzw. 490%

Hebesatz 400% Hebesatz 490%

Vor Reform

NachReform

Vor Reform

NachReform

Gewinn vor Steuer 55 000,00 55 000,00 55 000,00 55 000,00

Gewerbesteuer – 1 982,14 – 4 270,00 – 2 370,97 – 5 230,75Einkommensteuer(Grundtarif) – 14 353,00 – 15 186,00 – 14 190,00 – 15 186,00

Solidaritätszuschlag – 789,42 – 835,23 – 780,45 – 835,23

Anrechnung GewSt 891,96 4 056,50 870,97 4 056,50

Steuer gesamt – 16 232,59 – 16 234,73 – 16 470,45 – 17 195,48

Nettoeinkommen 38 767,41 38 765,27 38 529,55 37 804,52Reformwirkung (+: Belastung,

–: Entlastung) + 2,14 + 725,03

Belastung in % 29,51 29,52 29,95 31,26

Quelle: Berechnungen der Autoren.

18 Wie bereits erläutert, beträgt die Gewerbesteuerschuldbei einem Hebesatz von 380% genau das 3,8-Fachedes Gewerbesteuermessbetrags. Gleichzeitig sinktdie Einkommensteuerlast nach § 35 EStG um das 3,8-Fache des Gewerbesteuermessbetrags (höchstensjedoch um die festgesetzte Gewerbesteuer). In die-sem Fall neutralisieren sich Gewerbesteuerzahlungund Einkommensteuerentlastung.

19 Betrachtet werden hierbei Gemeinden mit mehr als50 000 Einwohnern (vgl. u.a. Endres, Spengel undReister, 2007).

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tung von 725,03 € ein. Die Standortwahl innerhalb Deutsch-lands wird somit für die Unternehmenspolitik ein wichtigerParameter (vgl. Endres, Spengel und Reister 2007).

In einer alternativen Situation haben wir die Auswirkungender Steuerreform bei einem deutlich höheren Einkommenvon 200 000 € untersucht. Wiederum wurde von Einzelver-anlagung und Gewerbesteuerhebesätzen von 400% bzw.490% ausgegangen (vgl. Tab. 3).

Dabei zeigt sich, dass bei einem höheren Einkommen derEffekt des Gewerbesteuerhebesatzes auf die Wirkung derReform deutlich zunimmt. Während sich bei einem Hebe-satz von 400% eine Entlastung ergibt, steigt bei einem He-besatz von 490% die Steuerbelastung an. Tendenziell pro-fitieren c.p. Gewerbetreibende bzw. Gesellschafter einer Per-sonengesellschaft mit höherem Einkommen stärker von derReform.

Hinsichtlich der Wirkung auf Personengesellschaften undEinzelunternehmen lässt sich somit kein einheitliches Ergeb-nis feststellen. Sie hängt letztlich vom Einkommen bzw. vomHebesatz ab, dem der Gewerbebetrieb unterworfen ist. Ei-ne deutliche Entlastung ist für diese Unternehmen jedochnicht zu erkennen.

Grundsätzlich eröffnet die Unternehmensteuerreform zwardie Möglichkeit, die Grenzbelastung auf thesauriere Gewin-ne zu senken. Jedoch ist dies aufgrund der Regelungenzur Nachversteuerung wenig attraktiv. Zwar zielt auch hierdie Richtung der Reform auf eine Förderung einbehaltenerGewinne. Anders als bei den Kapitalgesellschaften sind dieAnreize, Gewinne im Unternehmen zu belassen jedoch we-niger stark ausgeprägt.

Zudem setzt die Ungleichbehandlung vonKapitalerträgen im Unternehmen (progressi-ver Steuersatz) und im Privatvermögen (Ab-geltungssteuer) einen Anreiz, den Unterneh-men Liquidität zu entziehen, was die Eigen-kapitalausstattung auch bei Personengesell-schaften eher schwächen wird (vgl. Endres,Spengel und Reister 2007). Es findet somiteine Bevorzugung der Fremdkapitalfinanzie-rung statt, da die unternehmerischen Zins-aufwendungen die hohe progressive Ein-kommensteuerschuld mindern und die Zin-sen auf ins Privatvermögen entnommeneGewinne des Personenunternehmens nurmit der niedrigeren Abgeltungssteuer be-lastet werden.

Fazit

Mit einer weiteren Absenkung der tariflichenSteuerbelastung für Kapitalgesellschaften und einer partiel-len Einschränkung der Abzugsfähigkeit der Fremdkapital-zinsen folgt die Bundesregierung mit der Unternehmen-steuerreform 2008 dem Leitbild des tax-cut-cum-base-broadening-Ansatzes. Im Hinblick auf den zunehmendeninternationalen Steuerwettbewerb und der aktiven Gewinn-verlagerung von multinationalen Unternehmen war eine der-artige Reform längst überfällig, um auf die Herausforde-rungen des anhaltenden Globalisierungsprozesses adäquatzu reagieren.

Als positiv ist an der Unternehmensteuerreform 2008 her-vorzuheben, dass durch die Absenkung der Steuerbelas-tung für Kapitalgesellschaften Deutschland seine Positionim internationalen Steuerwettbewerb erheblich verbessernkonnte und somit nun fit ist für die Herausforderungen desglobalen Wettbewerbs. Was jedoch die übrigen Reformbe-standteile betrifft, ergibt sich ein ambivalentes Bild. Von ei-ner Reform »aus einem Guss« und mit einer klaren Zielrich-tung kann – mit Ausnahme der Steuersatzsenkung – nichtdie Rede sein.

Auch wenn sich durch die Absenkung der Körperschaftsteu-er der Steuerkeil auf Ebene der Gesellschaften im Sektor derKapitalgesellschaften erheblich verringert hat, kommt esdurch die Einführung der Abgeltungssteuer auf Wertzuwäch-se zukünftig zu einer Doppelbesteuerung der Kapitalgesell-schaften. Folglich werden mit der Umsetzung der Unterneh-mensteuerreform 2008 Realinvestitionen gegenüber Finanz-investitionen erheblich benachteiligt und die Investitionstä-tigkeit im Sektor der Kapitalgesellschaften wird durch dieReform ebenfalls beeinträchtigt.

Was die steuerliche Behandlung von Fremd- vs. Eigenkapi-tal betrifft, so ist keine eindeutige Aussage zu treffen. Die

Tab. 3Vergleich Steuerbelastung für gewerbliche Einkünfte vor und nachUnternehmensteuerreform Gewinn: 200 000 �, Gewerbesteuer-

Hebesatz 400 bzw. 490%

Hebesatz 400% Hebesatz 490%

Vor Reform

NachReform

Vor Reform

NachReform

Gewinn vor Steuer 200 000,00 200 000,00 200 000,00 200 000,00

Gewerbesteuer – 25 250,00 – 24 570,00 – 29 813,25 – 30 098,25Einkommensteuer(Grundtarif) – 65 481,00 – 76 086,00 – 63 564,00 – 76 086,00

Solidaritätszuschlag – 3 601,46 – 4 184,73 – 3 496,02 – 4 184,73

Anrechnung GewSt 11 362,50 23 341,50 10 951,81 23 341,50

Steuer gesamt – 82 969,96 –81 499,23 – 85 921,47 – 87 027,48

Nettoeinkommen 117 030,05 118 500,77 114 078,53 112 972,52Reformwirkung

(+: Belastung, –: Entlastung) – 1 470,73 + 1 106,01

Belastung in % 41,48 40,75 42,96 43,51

Quelle: Berechnungen der Autoren.

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Einführung der Zinsschranke erhöht zwar die Kosten fürFremdkapital – aber lediglich für Unternehmen mit sehr ho-hen Zinsaufwendungen. Bei der Gewerbesteuer wird dem-gegenüber die steuerliche Behandlung von Fremdkapitalverbessert. Gleichzeitig führt die Einführung der Abgeltungs-steuer zu einer stärkeren Neigung der Anleger, Fremd- an-stelle von Eigenkapital zu gewähren. Angesichts der struk-turellen Eigenkapitalschwäche der deutschen Wirtschaftwirkt also die Reform in diesem Punkt eher kontraproduk-tiv. Letztendlich ist noch festzuhalten, dass es durch dieReform für Personengesellschaften und Einzelunternehmenunter Umständen zu einer höheren steuerlichen Belastungkommen kann und die Entlastungswirkungen der Reformvor allem die Ebene der Gesellschaft bei den Kapitalgesell-schaften erfassen. Die Einführung der Abgeltungssteuer fürDividenden und Veräußerungsgewinne wirkt daher für inlän-dische Anteilseigner tendenziell strukturkonservierend. Fürausländische Anteilseigner, die ausschließlich an der Defi-nitivbesteuerung auf Ebene der Gesellschaft hingegen inte-ressiert sind, ist die Reform durch die deutliche Senkung derKörperschaftsteuer äußerst willkommen.

Insgesamt mangelt es der Reform aber an einer klaren Stoß-richtung. Die einzelnen Bestandteile wirken teilweise in ge-gensätzliche Richtungen, so dass die Reform an manchenStellen als Stückwerk wirkt.

Literatur

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In der gewerblichen Wirtschaft Deutsch-lands hat sich das Geschäftsklima im Ja-nuar leicht verbessert (Saldowert: 5,9 Pro-zentpunkte). Zwar beurteilten die befrag-ten Unternehmen ihre aktuelle Geschäfts-lage (Saldowert: 11,6 Prozentpunkte) etwasweniger günstig als im Vormonat, die Er-wartungen für das kommende halbe Jahrlassen jedoch erhöhte Zuversicht erkennen(Saldowert: 0,4 Prozentpunkte). Der Per-sonalaufbau wird in den nächsten Mona-ten anhalten, wenngleich die Zahl derarti-ger Meldungen etwas abgenommen hat.Die Ergebnisse des Konjunkturtests bestä-tigen erneut, dass sich die gewerbliche Wirt-schaft weiterhin in einer robusten Verfas-sung befindet. (Der Großteil der Meldun-gen ging allerdings noch vor dem Einsetzender Finanzkrise ein).

Das Geschäftsklima in den neuen Bundesländern tendier-te ebenfalls nach oben. Hier verschlechterte sich die aktu-elle Lage etwas deutlicher als im Bundesdurchschnitt, an-dererseits war die Aufwärtsentwicklung der Erwartungen et-was ausgeprägter.

Am stärksten stieg auf Bundesebene der Klimaindikator imBauhauptgewerbe an; in Ostdeutschland fiel die Aufwärts-tendenz sogar überdurchschnittlich aus. Im verarbeitendenGewerbe war eine geringe Klimabesserung zu beobachten,in den neuen Bundesländern ist der Indikator dagegen ge-sunken. Das Geschäftsklima im Großhandel blieb stabil, in Ost-deutschland ergab sich eine leichte Aufwärtstendenz. Im Ein-zelhandel hat der Indikator auf Bundesebene trotz einer Bes-serung im Osten sogar etwas nachgegeben (vgl. Abbildung).

Die Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes beurteil-ten ihre derzeitige Geschäftslage zu Jahresbeginn 2008 un-verändert positiv. Die laufende Nachfrage konnte sich aufdem Stand vom Vormonat halten, die Produktion wurde so-gar hochgefahren. Trotzdem nahmen auch die Auftrags-polster noch etwas zu und übertrafen das Normalmaß. Et-was stärker bemerkbar machte sich aber der Lagerdruck.Der Auslastungsgrad der Gerätekapazitäten stieg wiederleicht an, er entsprach mit 87,5% etwa dem vergleichba-ren Vorjahreswert. Die Auftragsbestände nahmen auf3,1 Produktionsmonate zu, dies war der höchste Wert seitEinführung dieser Fragestellung auf Bundesebene 1992.Der künftigen Geschäftsentwicklung sahen die Unterneh-men wieder etwas zuversichtlicher entgegen. Dies gilt al-

lerdings nur für den Konsumgüterbereich, während bei denInvestitionsgüterherstellern der Optimismus erneut nach-gelassen hat und bei den Vorleistungsgüterproduzenten so-gar eine leichte Skepsis aufkam. Nahezu unverändert op-timistisch äußerten sich die Unternehmen hinsichtlich deskünftigen Exportgeschäfts. Ihrer Ansicht nach hat sich dieWettbewerbsfähigkeit in den letzten Monaten auf den in-ländischen Märkten und auf den ausländischen Märkten –vor allem innerhalb der EU – abermals verbessert. Die Pro-duktionspläne kündigten weitere Steigerungen an. Aller-dings klagten die Firmen nach wie vor über Beeinträchti-gungen der Produktionstätigkeit durch das Fehlen von Fach-kräften. Der Anteil der Unternehmen, die in den nächstenMonaten zusätzliches Personal einstellen wollen, hat etwasabgenommen.

In den neuen Bundesländern dominierten die positiven Ge-schäftslageurteile etwas weniger als im Vormonat. Auchdie Zuversicht in den Erwartungen hat sich – anders als imBundesdurchschnitt – etwas abgeschwächt. Die Maschi-nen waren am Ende des vierten Quartals mit 85,6% eben-so hoch ausgelastet wie in der Vorperiode und zur gleichenZeit des Vorjahres, die Reichweite der Auftragsreserven (2,6Monate) ist allerdings gesunken.

Im Bauhauptgewerbe äußerten sich die Firmen kaum we-niger unzufrieden mit ihrer aktuellen Geschäftslage als imVormonat. Einer geringen Besserung im Hochbau standeine Abwärtstendenz im Tiefbau gegenüber. Der Nut-zungsgrad des Maschinenparks nahm um 3 Prozentpunkteauf 66% ab und lag auch unter dem entsprechenden Vor-jahreswert (67%). Die Reichweite der Auftragsbeständeveränderte sich nicht, sie betrug wie schon seit der Jah-resmitte 2,5 Produktionsmonate. Deutlich aufgehellt ha-ben sich die Aussichten für das kommende halbe Jahr,

Hans G. Russ

ifo Konjunkturtest Januar 2008 in Kürze1

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Einzelhandel (O)

Einzelhandel (BRD)

1)

Saisonbereinigte Werte. BRD = Bundesrepublik Deutschland, O = Ostdeutschland.

Quelle: ifo Konjunkturtest.

Klima positiv

aber verschlechtert

Klima positiv

und verbessert

Klima negativ

aber verbessertKlima negativ

und verschlechtert

Großhandel (BRD)

Geschäftsklima nach Wirtschaftsbereichen im Januar 20081)

Bauwirtschaft (BRD)

Bauwirtschaft (O)

Verarbeitendes Gewerbe (BRD)Verarbeitendes Gewerbe (O)

Großhandel (O)

1 Die ausführlichen Ergebnisse des ifo Konjunkturtests, Ergebnisse vonUnternehmensbefragungen in den anderen EU-Ländern sowie des IfoWorld Economic Survey (WES) werden in den »ifo Konjunkturperspekti-ven« veröffentlicht. Die Zeitschrift kann zum Preis von 75,– EUR/Jahrabonniert werden.

Im Blickpunkt

i fo Schne l ld ienst 2/2008 – 61. Jahrgang

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vor allem im Tiefbau. Auch die Bereitschaft, die Beleg-schaftszahl zu erhöhen, hat zugenommen. Den Meldun-gen zufolge ist in den nächsten Monaten mit steigendenBaupreisen zu rechnen.

Auch die Baufirmen in Ostdeutschland stuften ihre mo-mentane Geschäftlage weitgehend unverändert negativ einund blickten optimistischer als zuletzt in die Zukunft. Bei ver-haltener Bautätigkeit waren die Geräte nur zu 65% ausge-lastet (Vormonat: 71%). Für die nächsten Monate sahendie befragten Unternehmen wieder etwas mehr Spielräu-me für Heraufsetzungen der Baupreise. Die Zahl der Mitar-beiter soll etwas erhöht werden.

Der Großhandel bewertete seine aktuelle Geschäftslage wie-der etwas positiver als im Vormonat. Besserungen warenbeim Produktionsverbindungshandel sowie im Verbrauchs-güterbereich zu verzeichnen, während bei langlebigen Kon-sumgütern und im Nahrungs- und Genussmittelsektor Ab-wärtstendenzen gemeldet wurden. An dem leichten Lager-druck hat sich im Durchschnitt nichts verändert. Etwas ein-getrübt haben sich – mit Ausnahmen des Produktionsver-bindungshandels – die Perspektiven für das kommende hal-be Jahr. Die Unternehmen haben demzufolge ihre Order-pläne auch nach unten korrigiert, sahen aber andererseitswieder etwas größere Chancen, die Verkaufspreise in dennächsten Monaten heraufzusetzen.

Die ostdeutschen Großhändler meldeten bei einem unfrei-willigen Lageraufbau eine geringfügige Verschlechterung ih-rer Geschäftssituation. Die Skepsis hinsichtlich der künfti-gen Entwicklung hat aber erneut nachgelassen, was sichauch in den weniger restriktiven Bestellplanungen nieder-geschlagen hat. Die Verkaufspreise dürften weiter deutlichangehoben werden.

Im Einzelhandel hat die Enttäuschung über den Geschäfts-verlauf erneut zugenommen. Besonders negativ fielen dieBewertungen im Non-Food-Bereich aus, während der Nah-rungs- und Genussmitteleinzelhandel weitgehend zufriedenwar. Hinsichtlich der Geschäftsaussichten für das kommendehalbe Jahr zeigten sich die Firmen wieder etwas zuver-sichtlicher. Da aber die Lagerüberhänge weiter zugenom-men haben, planten sie nach wie vor, weniger Order zu plat-zieren als vor Jahresfrist. Die Verkaufspreise konnten weiterangehoben werden; der Anstieg dürfte sich in den nächs-ten Monaten fortsetzen, allerdings abgeschwächt. Mit Stei-gerungen ist nach wie vor allem bei Nahrungs- und Ge-nussmitteln zu rechnen.

Auch der Einzelhandel in den neuen Bundesländern stufteseine momentane Geschäftslage ungünstiger ein. Die Be-stände an unverkaufter Ware wurden wieder häufiger alsüberhöht bezeichnet, so dass die Orderpläne trotz deutlichverbesserter Perspektiven insgesamt weiter nach unten zeig-

ten. Die Verkaufspreise werden nach Einschätzung der Test-teilnehmer weiter kräftig steigen.

Das Geschäftsklima im Dienstleistungsgewerbe2 (ohne Han-del, Kreditgewerbe, Leasing, Versicherungen und ohne Staat)hat sich im Januar erneut aufgehellt. Zurückzuführen ist diesauf den deutlich erhöhten Optimismus in den Geschäftser-wartungen, während die aktuelle Situation zum vierten Malin Folge etwas weniger positiv bewertet wurde als im Vor-monat. Die vergleichbaren Vorjahresumsätze wurden erneutübertroffen, mit ihrer Auftragslage insgesamt waren die Un-ternehmen jedoch nach wie vor nicht ganz zufrieden. Für dienächsten Monate rechneten sie wieder vermehrt mit einemAnstieg der Nachfrage. Es ist geplant, den Personalbestandweiter aufzustocken, zumal der Mangel an Fachkräften dieGeschäftstätigkeit in unvermindertem Maß beeinträchtigt.Den Meldungen nach zu schließen werden auch die Ver-kaufspreise weiter heraufgesetzt.

2 In den Ergebnissen für die »gewerbliche Wirtschaft« nicht enthalten.

im Internet: http://www.ifo.de

ifo Institut für Wirtschaftsforschung