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2002 Institut für Wirtschaftsforschung Sonderausgabe Aktivierende Sozialhilfe Ein Weg zu mehr Beschäftigung und Wachstum Hans-Werner Sinn Christian Holzner Wolfgang Meister Wolfgang Ochel Martin Werding ifo Schnelldienst 55. Jg., 19.–20. KW, 14. Mai 2002 9

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2002

Institut fürWirtschaftsforschung

Sonderausgabe

Aktivierende SozialhilfeEin Weg zu mehr Beschäftigung und Wachstum

Hans-Werner Sinn Christian Holzner Wolfgang Meister Wolfgang Ochel Martin Werding

ifo Schnelldienst55. Jg., 19.–20. KW, 14. Mai 2002

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ISSN 0018-974 X

Herausgeber: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München,Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, e-mail: [email protected]: Dr. Marga Jennewein.Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, Prof. Dr. Gebhard Flaig, Dr. Heidemarie C. Sherman, Dr. Gernot Nerb, Dr. Martin Werding,Dr. Robert Koll, Dr. Wolfgang Ochel.Vertrieb: ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V.Erscheinungsweise: zweimal monatlich.Bezugspreis jährlich:Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,–Studenten EUR 48,–Preis des Einzelheftes: EUR 10,–jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Pro DesignSatz und Druck: ifo Institut für Wirtschaftsforschung.Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): Nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.

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Aktivierende SozialhilfeEin Weg zu mehr Beschäftigung und WachstumHans-Werner Sinn, Christian Holzner, Wolfgang Meister, Wolfgang Ochel undMartin Werding

Der Sozialstaat wurde geschaffen, die Fehlfunktionen des Arbeitsmarktes zu kor-rigieren und mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen, als es der Markt vermag.Aber der Sozialstaat trägt seinerseits zu den sichtbaren Defekten des Arbeits-marktes bei. Besonders problematisch ist die heutige Sozialhilfe, weil sie eine festeLohnuntergrenze in das Tarifsystem einzieht. Kaum jemand ist bereit, zu einemLohn unterhalb der Sozialhilfe zu arbeiten. Andererseits stellt kein Unternehmenjemanden ein, dessen Lohn höher ist als die Wertschöpfung, die er zu leisten ver-mag. Arbeitslosigkeit im Niedriglohnbereich ist die Folge.

Das ifo Institut hat die Initiative ergriffen. Es zeigt einen Weg auf, die problemati-schen Implikationen der Sozialhilfe zu vermeiden und den Arbeitsmarkt im Nie-driglohnbereich wieder funktionsfähig zu machen. Im Wesentlichen geht es da-rum, denjenigen, die durch ihre eigene Arbeit kein hinreichendes Einkommen ver-dienen können, durch Lohnergänzungsleistungen statt durch Lohnersatzleistun-gen zu helfen. Die Bedingung für die staatliche Hilfe ist also, dass man gemäß dereigenen Leistungsfähigkeit selbst einen Beitrag leistet. Die Bedingung ist nichtmehr, wie es heute der Fall ist, dass man sich aus dem regulären Arbeitsmarkt zu-rückzieht.

Durch diese Änderung der Bedingung für staatliche Hilfe kämen die Löhne im Nie-driglohnbereich ins Rutschen, und es würde für Unternehmen und private Haus-halte attraktiv, neue Jobs zu schaffen. Der Vorschlag ist so austariert, dass für denStaat keine zusätzlichen Lasten entstehen und dass ehemalige Sozialhilfeempfän-ger trotz der Lohnsenkung bereits bei einer Halbtagsbeschäftigung in der Summeaus selbst verdientem Lohn und staatlicher Unterstützung mehr Einkommen er-zielen, als sie heute an Sozialhilfe erhalten.

Eine Zusammenfassung der Studie finden Sie auf den Seiten 49–51.

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ifo Reformvorschlag

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Existenzsicherung im Sozialstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

I. Anreize des Sozialhilfesystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4Entwicklung der Zahl der Sozialhilfeempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4Entwicklung der Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6Schwarzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Das Arbeitskräftepotenzial Geringqualifizierter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Warum die Sozialhilfe Arbeitslosigkeit erzeugt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

II. Reformansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13Das »Mainzer Modell« und andere deutsche Experimente . . . . . . . . . .13Welfare to Work in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16Steuergutschriften an Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich in Großbritannien und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .17

III. Der ifo Vorschlag: aktivierende Sozialhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19Drei Schritte zur Reform des Sozialhilfesystems . . . . . . . . . . . . . . . . . .19Begleitende Reformen der Arbeitsmarktpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21Der Sinn von Lohnzuschüssen: Verteilungs- und Anreizaspekte . . . . . .23Kommunale Beschäftigung für Sozialhilfeempfänger . . . . . . . . . . . . . .25Kinderbezogene Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .28Die Gestalt der Lohnsteuergutschrift und der Verlauf des Haushaltsnettoeinkommens bei variierendem Bruttolohn . . . . . . .30Lohn-, Beschäftigungs- und Wachstumseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . .40Verteilungswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43Fiskalische Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .45

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .49Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51

Inhalt

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55. Jahrgang – i fo Schne l ld ienst 9/2002

Existenzsicherung im Sozialstaat

Bei allem konjunkturellen Auf und Ab hatsich in Deutschland in den letzten dreißigJahren ein bedrohlicher Trend zu mehr Ar-beitslosigkeit herausgebildet, der noch im-mer nicht gebrochen ist. In jedem Wirt-schaftsboom glaubt die Politik an eineTrendwende, weil sich die Arbeitsmarkt-zahlen temporär verbessern, aber in dernachfolgenden Wirtschaftsflaute ergebensich tendenziell noch höhere Arbeitslo-senzahlen als zuvor. Für das laufende Jahrwerden im Durchschnitt rund vier Millio-nen registrierte Arbeitslose erwartet. Zahl-reiche Erwerbspersonen, die an einer re-gulären Beschäftigung interessiert wären,sind in dieser Zahl noch gar nicht enthal-ten, weil sie früh verrentet wurden, weil sievon der Altersteilzeitregel Gebrauch ma-chen, weil sie es aufgegeben haben, nachArbeit zu suchen oder weil sie sich als So-zialhilfebezieher nicht arbeitslos melden.

Besonders groß ist das Problem im Be-reich gering qualifizierter Arbeitskräfte, diehäufig als nicht mehr vermittelbar geltenoder in die Schattenwirtschaft abgedrängtwurden. Mit einem Anteil von fast 40%sind Geringqualifizierte von der Arbeits-losigkeit weit überproportional betroffen.Auch das Risiko, längere Zeit arbeitsloszu bleiben, ist für Personen ohne ausrei-chende berufliche Qualifikation deutlichhöher als im Durchschnitt.

Das ifo Institut unterbreitet hier einen Vor-schlag zur Reform des deutschen Sozi-alleistungssystems, der speziell den Ge-ringqualifizierten den Weg in den Arbeits-markt ebnet und damit zu einer allgemei-nen Belebung der Wirtschaftstätigkeitführt. Damit werden nicht alle Problemedes deutschen Arbeitsmarktes gelöst,aber es wird ein gewichtiger Beitrag zurÜberwindung der anhaltenden Beschäf-tigungskrise geleistet, von dem auch einerheblicher Wachstumsschub erwartetwerden kann.

Die Umsetzung des Reformvorschlageskann mehr als zwei Millionen neue Ar-beitsplätze im Niedriglohnsektor schaffen,verspricht einen Wachstumsschub vonknapp 2%, bedeutet für den Staat fiska-lische Entlastungen und erhöht den Ziel-erreichungsgrad der Sozialpolitik in demSinne, dass ehemalige Sozialhilfeemp-fänger die Möglichkeit erhalten, ihr Ein-kommen durch eigene Arbeit substanziellzu erhöhen. Diese scheinbar widerstrei-tenden Ziele lassen sich gemeinsam er-reichen, weil das derzeitige System derexistenzsichernden Sozialhilfe, auch undgerade im Hinblick auf die eigenen Zieleder Sozialpolitik, ineffizient ist.

Das Hauptproblem der Sozialpolitik liegtdarin, dass sie einen Gutteil der Arbeits-losigkeit, deren Konsequenzen sie ab-mildern möchte, selbst erzeugt. Spezielldie heutige Sozial- und Arbeitslosenhilfesind nämlich als Lohnersatzleistungenkonzipiert, die dann gewährt werden,wenn jemand arbeitslos geworden ist. Siewerden gekürzt oder gestrichen, wenndie Betroffenen eine neue Arbeit aufneh-men. Damit verringern sie nicht nur denAnreiz, sich um eine neue Beschäftigungzu bemühen. Der viel gravierendere Ef-fekt ist, dass sie hohe Anspruchslöhnedefinieren, zu denen nicht genug rentableArbeitsplätze geschaffen werden können,und auf diese Weise den Niedriglohnbe-reich des Arbeitsmarktes zum Austrock-nen bringen. Die Empfänger der Sozial-leistungen sind zur Untätigkeit verdammt,aus der sie sich aus eigener Kraft kaumnoch befreien können. Dies widersprichtder Philosophie der sozialen Marktwirt-schaft. Es behindert die wirtschaftlicheEntwicklung und zerstört den Sozialstaatvon innen.

Die eigentliche Aufgabe der Existenzsi-cherung im Sozialstaat liegt nicht darin,die Folgen des Verlustes eines Arbeits-platzes zu mildern, wie es das heutige So-zialleistungssystem in Deutschland vor-rangig versucht. Im Mittelpunkt sozial-

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Ein Weg zu mehr Beschäftigung und Wachstum

Hans-Werner Sinn, Christian Holzner, Wolfgang Meister, Wolfgang Ochel und Martin Werding

Aktivierende Sozialhilfe

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staatlichen Handelns sollte vielmehr die Sorge um diejeni-gen stehen, deren Qualifikation und Produktivität nicht aus-reicht, ihren Lebensunterhalt durch das Einkommen zu be-streiten, das sie bei einer regulären Beschäftigung erzielenkönnen. Ansprüche eines Individuums auf Sozialleistungensollten daher nicht in erster Linie an seinen Status als Ar-beitsloser anknüpfen, sondern an sein Einkommenspoten-zial und an die nachweisliche Anstrengung, dieses Poten-zial zu realisieren und ein eigenes Einkommen zu erwer-ben. Hilfe gebührt demjenigen, der gemäß seiner eigenenLeistungsfähigkeit alle Anstrengungen aufbietet, sich selbstzu helfen.

Für die Reform des deutschen Systems sozialer Sicherungbedeutet das konkret, dass Lohnergänzungsleistungen andie Stelle der Lohnersatzleistungen treten sollten, so wie eszahlreiche andere Länder mit Erfolg praktiziert haben. Einesolche Reform beseitigt die Lohnuntergrenze, die auf demWege über hohe Anspruchslöhne vom derzeitigen Sozial-hilfesystem gezogen wird. Sie führt zu einer Lohnsenkungfür einfache Arbeiten und regt deshalb die Unternehmen an,zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen und damit den bis-lang blockierten Niedriglohnsektor zu entwickeln. Lohner-gänzungsleistungen unterstützen alle Beschäftigten mit nied-rigem Einkommenspotenzial dabei, ihren Lebensunterhalteigenverantwortlich zu sichern und einen produktiven Bei-trag zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu leisten.

Der ifo Vorschlag für eine derartige Neuausrichtung desSozialleistungssystems ist eingebettet in die Gesamtkon-zeption einer Reform der sozialen Existenzsicherung undder Arbeitsmarktpolitik, die in der vorliegenden Untersu-chung ausführlich begründet, detailliert dargestellt und inihren Auswirkungen analysiert wird. Das ifo Institut stelltsich mit seinem Vorschlag der Fachdiskussion. Gedachtist die Studie jedoch in erster Linie als Beitrag zur wissen-schaftlichen Politikberatung, der praktikable Maßnahmenfür mehr Beschäftigung und Wachstum in Deutschland auf-zeigen soll.

I. Anreize des Sozialhilfesystems

Das gegenwärtige System existenzsichernder Sozialleis-tungen, insbesondere die Sozialhilfe, ist das entscheiden-de Hemmnis für die Beschäftigung gering qualifizierter Ar-beitskräfte, die unter den Empfängern solcher Leistungenweit überrepräsentiert sind. Die Art und Weise, wie diese So-zialleistungen in Deutschland derzeit ausgestaltet sind, hatdie Beschäftigungsmöglichkeiten für Erwerbspersonen oh-ne formellen Abschluss einer Berufsausbildung im ersten Ar-beitsmarkt deutlich reduziert und teilweise vernichtet. Vielearbeitsfähige Menschen werden durch das Sozialsystem insAbseits geschoben. Sie arbeiten nicht mehr oder, wenn über-haupt, dann nur noch in der Schattenwirtschaft. Angebot

und Nachfrage nach Arbeitskräften, die aufgrund ihrer Qua-lifikationen nur für einen »Niedriglohnsektor« des regulärenArbeitsmarktes zur Verfügung stehen, kommen aufgrundder Anreize, die das heutige Steuer-Transfer-System setzt,nicht oder nicht mehr zusammen. Eine Korrektur dieser Fehl-anreize durch Umbau des Sozialsystems ist möglich. Siewird die vielschichtigen Probleme des deutschen Arbeits-marktes zwar nicht vollständig lösen. Durch eine erheblicheVerringerung der Arbeitslosigkeit Geringqualifizierter kannsie aber entscheidend zur Überwindung von Massenar-beitslosigkeit und fehlender wirtschaftlicher Dynamik inDeutschland beitragen.

Die Argumentation, die diese These stützt, wird im Folgen-den Schritt für Schritt entfaltet. Zunächst erfolgt eine Be-standsaufnahme, die vorrangig darauf zielt, die Zahl er-werbsfähiger, gering qualifizierter Personen, die in Deutsch-land derzeit ohne Arbeit sind, zu ermitteln. Anschließend wirdder Zusammenhang herausgearbeitet, der zwischen Sozi-alhilfe, Lohnstrukturen und Arbeitslosigkeit besteht. Dies ge-schieht auch vor dem Hintergrund eines internationalen Ver-gleichs von Lösungsansätzen anderer Länder. Danach wirdder konkrete Reformvorschlag des ifo Instituts präsentiert.

Entwicklung der Zahl der Sozialhilfeempfänger

Als »Sozialhilfe im engeren Sinn« wird in Deutschland übli-cherweise die Gewährung so genannter »Hilfe zum lau-fenden Lebensunterhalt« an Personen bezeichnet, dieaußerhalb von Einrichtungen, d.h. in privaten Haushalten,leben. Die statistische Erfassung von Umfang und Struk-tur der so abgegrenzten Sozialhilfeempfänger weist im Zeit-ablauf zahlreiche Brüche auf. Trotzdem lassen die verfüg-baren Zahlen einige grundlegende Trends erkennen (vgl.Abb. 1.1). Während der sechziger Jahre schwankte die Ge-samtzahl der Empfänger, zunächst für das alte Bundes-gebiet und jeweils zum Jahresende gemessen, um 500 000und nahm dann ab 1970 weitgehend parallel zur Ent-wicklung der registrierten Arbeitslosigkeit zu (Haustein2001, S. 372 f.).1 1982 überschritt die Zahl die Ein-Millio-nen-Grenze und 1991/92 überstieg sie – nicht zuletzt durchdie Einbeziehung der neuen Bundesländer – erstmalig zweiMillionen. Eine weitere Zäsur ergab sich 1994 mit der Ein-führung des »Asylbewerberleistungsgesetzes«, aufgrunddessen zum Ende dieses Jahres rund 450 000 Personenaus dem Sozialhilfebezug herausfielen. Gleichzeitig wurdedie amtliche Sozialhilfestatistik auf eine neue Grundlage ge-stellt, um die Effekte der Sozialhilfegewährung besser ana-lysieren zu können.

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1 Vgl. dazu auch den nachfolgenden Abschnitt, insbesondere Abb. 1.2. –Aus dieser zeitlichen Parallelität folgt selbstverständlich nicht ohne Weite-res eine Kausalität, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Zubeachten ist allerdings, dass gegenwärtig knapp 40% aller erwerbsfähi-gen Sozialhilfeempfänger als Arbeitslose gemeldet sind.

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Gegenwärtig beläuft sich die Zahl der Empfänger von So-zialhilfe im engeren Sinn, ohne Asylbewerber, auf rund2,7 Mill. Personen.2 Nur ein Teil dieser Personen steht füreine Erwerbstätigkeit zur Verfügung. Viele Menschen kön-nen schon aus Altersgründen, wegen Krankheit oder In-validität sowie z.B. wegen der Betreuung von Kindern demArbeitskräftepotenzial nicht zugerechnet werden. Auf derBasis der seit 1994 erhobenen Daten hat das StatistischeBundesamt eine einfache Systematik zur Ermittlung derpotenziell erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger entwickelt(vgl. Haustein 2001, S. 378 f.). Als Bruttoarbeitskräftepo-tenzial gilt dabei die Menge aller Empfänger von Sozial-hilfe im engeren Sinn im Alter von 18 bis 59 Jahren, dienicht durch Krankheit, Behinderung, sonstige Formen derArbeitsunfähigkeit oder durch eine »häusliche Bindung«– Kinderbetreuung oder Pflege von sonstigen Angehöri-gen – von einer Erwerbstätigkeit fern gehalten werden. Eingeringer Teil dieses Bruttopotenzials ist erwerbstätig underhält lediglich die ergänzende Sozialhilfe. Ein ebenfallssehr geringer Teil unterzieht sich einer Aus- oder Fort-bildung und kann deshalb nicht am Erwerbsleben teil-nehmen. Die verbleibende Zahl erwerbsfähiger Sozialhil-feempfänger bildet das so genannte Nettoarbeitskräfte-potenzial. Dieses Potenzial wird – soweit nach densel-ben Kriterien ermittelbar – in Abbildung 1.1 ebenfalls aus-gewiesen. Es beläuft sich derzeit (2000) auf rund802 000 Personen.

Diese Zahl bildet den sichtbarsten Ausdruck der Proble-me, die das System existenzsichernder Sozialleistungenin Deutschland im Hinblick auf die Beschäftigungschan-cen Geringqualifizierter erzeugt. Sie ist aber möglicher-weise nur die Spitze des Eisbergs. Erstens könnte sich un-ter den nicht erwerbsfähigen Personen eine nicht uner-

hebliche Zahl von Menschen befinden, diebei anderen finanziellen Anreizstrukturendarauf verzichten würden, sich als nicht er-werbsfähig deklarieren zu lassen und denWeg in gering bezahlte Beschäftigungsver-hältnisse wählen würden. Und zweitens be-rücksichtigt die Zahl nicht, dass die Sozial-hilfe die gesamte Lohnskala im Niedrig-lohnbereich nach oben hin verschiebt unddeshalb auch unter Personen Arbeitslosig-keit erzeugt, die gar nicht sozialhilfebe-rechtigt sind.

Die meisten der als erwerbsfähig eingestuf-ten Personen verfügen nur über geringe be-rufliche Qualifikationen. So hat etwa die Hälf-te der Sozialhilfeempfänger im erwerbs-fähigen Alter keinen beruflichen Ausbil-dungsabschluss (Haustein 2001, S. 378).

Nimmt man die Zahl derjenigen Sozialhilfeempfänger hin-zu, für die Angaben zur beruflichen Bildung fehlen, so kommtman in der Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen auf einenAnteil der Personen ohne formelle Qualifikation von etwa65%. Man muss jedoch davon ausgehen, dass fast alleerwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger aufgrund langer Pha-sen der Arbeitslosigkeit und des damit einhergehenden Qua-lifikationsverlustes nur noch für eine Erwerbstätigkeit mit ge-ringen Qualifikationsanforderungen zur Verfügung stehen.Selbst Sozialhilfeempfänger mit abgeschlossener Lehre oderhöheren beruflichen Bildungsabschlüssen wird man nichtohne Weiteres in Positionen mit qualifizierteren Anforde-rungsprofilen zurückbringen können. Auch diese Perso-nen werden sich den Weg in qualifiziertere Positionen nurauf dem Umweg über anfänglich einfachere Positionen er-arbeiten können. Nur langfristig haben sie die Chance, ei-nen expandierenden »Niedriglohnsektor«für gering qualifi-zierte Arbeit zugunsten einer Beschäftigung mit höherenQualifikationsanforderungen wieder zu verlassen.

Gegenwärtig haben die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfän-ger, unabhängig von der exakten Abgrenzung dieses Per-sonenkreises, kaum Aussichten, im deutschen Arbeitsmarkteinen Job zu finden, unter anderem weil sie sich größten-teils in einer Art Warteschlange hinter den Beziehern vonArbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe einreihen müssenund teilweise nicht einmal (mehr) als Arbeitslose registriertsind.3

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Abb. 1.1

2 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 13, Reihe 2, 2000, Tab. A.1.1.

3 Vom zuvor genannten Netto-Arbeitskräftepotenzial der Sozialhilfeempfän-ger sind 607 500 Personen (75,7%) arbeitslos gemeldet; allerdings erhal-ten darunter nur 219 000 Personen (27,3%) Leistungen nach dem Ar-beitsförderungsgesetz, insbesondere Arbeitslosenhilfe. Anders als bei Ar-beitslosenhilfebeziehern kann bei Sozialhilfeempfängern allerdings nicht(fast) ausnahmslos unterstellt werden, dass sie bereits seit langer Zeit ar-beitslos sind und ihre früheren Qualifikationen, soweit vorhanden, weitge-hend entwertet sind.

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Entwicklung der Arbeitslosigkeit

Die Entwicklung von Arbeitslosenzahl und Arbeitslosenquotein der Bundesrepublik Deutschland ist weithin bekannt. Inden sechziger Jahren lag die Zahl der als arbeitslos gemel-deten Personen im Jahresdurchschnitt zumeist unter200 000. Danach hat sich die Arbeitslosigkeit jedoch vonWirtschaftsflaute zu Wirtschaftsflaute in jeweils etwa glei-chen Sprüngen vergrößert. Boomsituationen haben den An-stieg temporär aufgehalten und stets neue Hoffnung auf ei-ne Kehrtwende gemacht, doch hat es die Kehrtwende bis-lang nicht gegeben. Der Trend der seit dreißig Jahren an-steigenden Arbeitslosigkeit ist ungebrochen. Die aktuelle Re-zession hat die Arbeitslosigkeit abermals erhöht. Für dasJahr 2002 wird im Durchschnitt eine Zahl von vier Mill. Ar-beitslosen erwartet (vgl. Abb. 1.2).

Ein Teil dieser Probleme ist durch die neuen Bundesländerverursacht, wo die Beschäftigung Jahr um Jahr weiter zu-rückgeht. Ein sich selbst tragender Aufschwung kommt dortnach dem Versiegen des anfänglichen Strohfeuers, das durchdas »Fördergebietsgesetz« angefacht wurde, nicht zustan-de. Die hier unterbreiteten Vorschläge für die Mobilisierungdes Arbeitsmarktes sind daher insbesondere für die Ge-sundung der neuen Länder von großer Bedeutung.

Die Zahlen zur Arbeitslosigkeit erfassen unter anderem ei-nen Teil der Sozialhilfeempfänger. Wie erwähnt kann jedochauch ein nennenswerter Teil der sonstigen Arbeitslosen in-direkt mit den Wirkungen des deutschen Sozialhilfesys-tems in Verbindung gebracht werden. Auch dabei handeltes sich vor allem um Personen mit nur geringer Qualifika-tion. Abbildung 1.2 illustriert, dass von den arbeitslos ge-meldeten Personen derzeit rund 37,8% keinen beruflichenBildungsabschluss haben4, wobei diese Zahl ein Mittelwertzwischen dem westdeutschen Wert von 46,3% und demostdeutschen Wert von 22,4% ist. Der niedrige Wert für Ost-

deutschland ist noch eine Folge der Bildungspolitik der DDR:Bezogen auf alle Erwerbspersonen liegt der Anteil der Per-sonen ohne beruflichen Bildungsabschluss in den neuenBundesländern bei 7% und in den alten Bundesländern bei15%. Die spezifischen Arbeitslosenquoten von Erwerbs-personen ohne Berufsausbildung liegen daher in West-deutschland bei 23,3%, in Ostdeutschland hingegen bei53,5%.5 Alles in allem geht es bei der Schaffung neuer Be-schäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte demnachmindestens um knapp 40% der registrierten Arbeitslosen.

Neben formell nicht qualifizierten Arbeitslosen zählen auchalle Langzeitarbeitslosen mit abgeschlossener Lehre oderhöheren beruflichen Bildungsabschlüssen zur Zielgruppe ei-nes »Niedriglohnsektors« (Kaltenborn 2001, S. 12 ff.). Lang-fristig könnte sich jedoch auch für diese Personengruppedie Möglichkeit ergeben, nach einer erfolgreichen Wieder-aufnahme einer Beschäftigung in andere Arbeitsmarktseg-mente mit höheren Qualifikationsanforderungen aufzu-steigen.

Nach institutionellen Gesichtspunkten lassen sich die re-gistrierten Arbeitslosen aufgliedern in Empfänger von Ar-beitslosengeld (2000: 1 694 500 Personen) und Arbeitslo-senhilfe (1 456 500) sowie Personen, die aus verschiede-nen Gründen keine Leistungen der »passiven« Arbeits-marktpolitik erhalten (510 500), darunter auch Sozialhilfe-empfänger.6 Über die Verteilung Geringqualifizierter auf die-se Untergruppen ist nichts Genaueres bekannt.

Neben der offenen Arbeitslosigkeit gibt es auch eine Dun-kelziffer versteckter Arbeitslosigkeit. Dazu sind Adressatenbestimmter Maßnahmen der »aktiven« Arbeitsmarktpolitikzu zählen, namentlich ABM- und SAM-Beschäftigte, derenGesamtzahl sich im Jahresdurchschnitt 2000 auf316 000 Personen (davon 246 000 in Ostdeutschland) be-lief. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge-

samtwirtschaftlichen Entwicklung (2001,Tab. 21 und 15*) führt diesen Personenkreisseit Jahren – neben der »offenen« registrier-

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Abb. 1.2

4 Vgl. Bundesanstalt für Arbeit, Amtliche Nachrichten(Sondernummer): Strukturanalyse 2000, Übersicht I/1,II/1 und III/1.

5 Vgl. Bundesanstalt für Arbeit, Amtliche Nachrichten(Sondernummer): Arbeitsmarkt 2000, Kap. III. – Die-se Angaben beziehen sich auf 1998. Berechnungenspezifischer Arbeitslosenquoten für Problemgruppenergeben sich nicht aus der laufenden Arbeitsmarkt-statistik, da die Bezugsgrößen aus verschiedenen Da-tenbasen rekonstruiert werden müssen. Sie werdendaher nur unregelmäßig errechnet.

6 Die geringe Zahl (23.000) von Beziehern der Einglie-derungshilfe lt. Arbeitsförderungsgesetz kann hier ver-nachlässigt werden. Vor allem Bezieher von Arbeits-losenhilfe können ferner zugleich ergänzende Sozial-hilfe beziehen. Auf diese Überlappung der Zielgruppenverschiedener Instrumente existenzsichernder Sozi-alleistungen wird im Folgenden noch mehrfach zurückzu kommen sein.

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ten Arbeitslosigkeit – als Bestandteil der »ver-deckten« Arbeitslosigkeit auf, um ein voll-ständigeres Bild der in Deutschland herr-schenden Unterbeschäftigung zu geben. An-gesichts der geringen Erfolge bei der Plat-zierung von ABM- und SAM-Teilnehmern imersten Arbeitsmarkt sollten zumindest dieGeringqualifizierten unter ihnen in die un-mittelbare Zielgruppe von Reformen des So-zialleistungssystems einbezogen werden.

Schwarzarbeit

Verschiedene Gründe tragen in Deutschlanddazu bei, Beschäftigung in die Schatten-wirtschaft abzudrängen. Einen wichtigen Bei-trag zur Erklärung von Schwarzarbeit leisten,wie noch darzulegen sein wird, die Fehlan-reize des sozialen Sicherungssystems (Schneider und En-ste 2000). Hohe Belastungen der regulären Wertschöpfungmit Steuern und Sozialabgaben, aus denen die soziale Si-cherung finanziert wird, treten hinzu.

Es liegt in der Natur der Schattenwirtschaft, dass ihr Um-fang und ihre Strukturen sich einer direkten statistischenErfassung entziehen. Diverse Ansätze werden verwendet,um zumindest die Größe des informellen Sektors einer Volks-wirtschaft grob abschätzen zu können.7 Abbildung 1.3 zeigt,welche Entwicklung sich auf der Basis des so genannten»Geldnachfrageansatzes« für Deutschland ergibt (Mummertund Schneider 2002). Die Ergebnisse deuten darauf hin,dass die schattenwirtschaftlichen Aktivitäten in den letztendreißig Jahren stark zugenommen haben. Während ihr An-teil bezogen auf das offizielle Sozialprodukt in den sechzi-ger Jahren noch bei 2 bis 3% lag (Schneider 2000) und An-fang der siebziger Jahre 6% betrug, wird heute ein Wertvon etwa 16% erreicht. Das entspricht einer Wirtschafts-leistung im Wert von ca. 350 Mrd. r.

Noch schwieriger ist es, vom wertmäßigen Umfang schat-tenwirtschaftlicher Aktivitäten auf die Zahl der am Schwarz-markt Beschäftigten zu schließen. Eine Vorstellung der Grö-ßenordnung geben wiederum Schätzungen von Schnei-der und Enste (2000). Die Autoren beziffern die Beschäf-tigtenzahl in der Schattenwirtschaft für Deutschland imZeitraum von 1974 bis 1982 mit 2 bis 3 Mill. Personen

(8 bis 12% der Bevölkerung im Alter von 20 bis 69 Jah-ren), in den Jahren 1997/98 hingegen mit 5 Mill. Perso-nen (22%). Damit ist zwar nicht gesagt, dass die Beteilig-ten jeweils »nur« im informellen Sektor arbeiten oder diesnur nebenher tun. Es lassen sich auch keine Aussagen zurQualifikationsstruktur »hauptberuflicher« Schwarzarbeiteroder zur Zahl von Sozialleistungsempfängern ableiten,die auf Teilzeit- oder Vollzeitbasis schwarz arbeiten. Trotz-dem fällt hier ein Licht auf die dunkleren Bereiche wirt-schaftlicher Betätigung, die ihre Existenz dem staatlichenAbgaben- und Sozialsystem verdanken. Nicht nur die Grö-ßenordnung der genannten Zahlen, auch die allgemeineLebenserfahrung legen den Verdacht nahe, dass dieSchwarzarbeit sowohl unter den als arbeitslos gemelde-ten Personen als auch unter den Sozialhilfeempfängern,seien sie nun als arbeitsfähig oder als nicht arbeitsfähigklassifiziert, grassiert.

Das Arbeitskräftepotenzial Geringqualifizierter

In der Literatur, die sich mit Möglichkeiten und Motiven fürdie Erweiterung des Niedriglohnsektors im deutschen Ar-beitsmarkt befasst, herrscht im Grundsatz Einmütigkeit dar-über, dass sich das Arbeitskräftepotenzial, auf dessen Be-schäftigung solche Reformen zielen, unter den beobacht-baren Komponenten in irgendeiner Weise aus registriertenArbeitslosen, ABM- und SAM-Beschäftigten sowie Sozial-hilfeempfängern rekrutiert. Darüber hinaus wird gelegentlichnoch die quantitativ schwer zu fassende »Stille Reserve« ein-bezogen. Sie besteht aus Arbeitssuchenden, die aus ver-schiedenen Gründen nicht arbeitslos gemeldet sind (dar-unter auch Sozialhilfeempfänger), Personen, die angesichtsder aktuellen Arbeitsmarktsituation von einer Arbeitssucheentmutigt sind, und Personen, die auf der Basis diverser wei-terer Einkommenssicherungsprogramme vorzeitig aus dem

7

Abb. 1.3

7 Neben Versuchen, dies auf direktem Wege ausgehend von Mikrodatenzu tun, gibt es verschiedene indirekte Ansätze, die bei diversen Lücken inden offiziellen Wirtschaftsstatistiken ansetzen, wie z. B. Diskrepanzen zwi-schen entstehungsseitiger und verwendungsseitiger Bestimmung des Brut-toinlandsprodukts, zwischen den Entwicklungen von Erwerbs- und Be-schäftigungsquote oder zwischen den Zeittrends der Verwendung physi-scher Inputs (Stromverbrauch) bzw. der Mittel für nominale Transaktionen(Bargeldnachfrage) und offizieller Wirtschaftsaktivität. Für einen Überblickvgl. erneut Schneider und Enste (2000).

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Arbeitsmarkt ausgeschieden sind.8 Unterschiede in den ge-nauen Zahlenangaben zum effektiv zu berücksichtigendenPotenzial ergeben sich durch leicht abweichende Ansätzezur Bereinigung von Doppelzählungen, durch verschieden-artige Versuche zur Eingrenzung von im engeren Sinn Er-werbsfähigen und Geringqualifizierten sowie durch wech-selnde Schwerpunktsetzungen bei der Problemanalyse.

Als statistisch greifbare Obergrenze des Arbeitskräftepo-tenzials, das prinzipiell für einen erweiterten Niedriglohn-sektor zu Verfügung stünde, lässt sich die Summe aus

• registrierten Arbeitslosen, • Teilnehmern an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und • nicht-erwerbstätigen Sozialhilfeempfängern im Alter von

18 bis 64 Jahren

angeben. Bereinigt um Doppelzählungen, aber noch ohneBerücksichtigung »harter« Einschränkungen der Erwerbs-fähigkeit und zumindest formell vorhandener Qualifikationen,sind dies gegenwärtig rund 4,5 Mill. Personen.9 Je nach-dem, ob und wie dann weitere Eingrenzungen vorgenom-men werden, um das dauerhaft verfügbare Arbeitsangebotfür eine gering entlohnte Beschäftigung im regulären Ar-beitsmarkt zu messen, liegen frühere Schätzungen des Ar-beitskräftepotenzials für einen erweiterten Niedriglohnsek-tor zwischen 4,3 und 2,2 Millionen.10

Eine sachgerechte Eingrenzung sollte keine der zuvor ge-nannten Personengruppen von vornherein ausschließen,sich dabei aber vorrangig auf gering qualifizierte Erwerbs-personen konzentrieren und hinsichtlich der effektiven Ver-fügbarkeit für den Arbeitsmarkt (»Erwerbsfähigkeit«) eine re-alistische Auswahl der Sozialhilfeempfänger einbeziehen.Dabei ist die Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes,die im Wesentlichen auf einer Selbsteinschätzung durchdie Leistungsempfänger beruht, allerdings nur von begrenzterHilfe. Welcher Anteil des ermittelten Potenzials in den erstenArbeitsmarkt überführt werden kann, hängt dann von dengewählten Politikmaßnahmen und der daraus resultieren-den Senkung der Lohnkosten ab.

Warum die Sozialhilfe Arbeitslosigkeit erzeugt

Eine der wichtigsten Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeitgering qualifizierter Arbeitskräfte in Deutschland bildet dieSozialhilfe. Die Sozialhilfe ist als Lohnersatzleistung ausge-staltet, sichert das soziokulturelle Existenzminimum bedürf-tiger Menschen ab und schützt vor einigen Risiken des Le-bens, wie z.B. dem Verlust des Arbeitsplatzes und der dar-aus resultierenden Armut. Sie ist aber nicht nur eine Antwortauf die Arbeitslosigkeit, sondern trägt ihrerseits zu deren Ent-stehen bei.

Die Sozialhilfe erzeugt eine Lohnuntergrenze, die eine markt-gerechte Lohnspreizung nach unten verhindert. Lohner-satzleistungen definieren Mindestansprüche für Marktein-kommen (und damit für Marktlöhne), denn kaum jemanddürfte bereit sein, einen Job anzutreten, der nicht ein spür-bar höheres Einkommen bietet als die Sozialleistungen, dieer ohne zu arbeiten erhält. Ein gebührender Abstand zuden Sozialhilfeleistungen wird daher regelmäßig auch beiden Tarifverhandlungen berücksichtigt. Da Löhne unterhalbdes Anspruchslohns schwerlich akzeptiert werden, legendie Lohnersatzleistungen den unteren Eckpunkt der Lohn-struktur fest, innerhalb derer die Tarifparteien sich bewegen.

Das ist ein Problem für den Arbeitsmarkt, denn die Mengeder verfügbaren Arbeitsplätze hängt entscheidend von derLohnhöhe ab. Es gibt produktive und weniger produktive Ar-beitsplätze, die Unternehmer zur Verfügung stellen können.Die Produktivität hängt von der Art des Arbeitseinsatzes, vonder persönlichen Qualifikation der Arbeitsplatzinhaber und vorallem von den Kapitalinvestitionen ab, mit denen die Unter-nehmer den Arbeitsplatz ausrüsten. Findige Unternehmerwerden alle Arbeitsplätze realisieren, die netto mehr an Wert-schöpfung erbringen, als sie kosten. Je niedriger der Lohn-satz ist, desto niedriger ist die Wertschöpfung, die erbrachtwerden muss, damit kein Verlustgeschäft entsteht, desto grö-ßer ist also die Menge der Arbeitsplätze, die Unternehmerrentabel bewirtschaften können. Deshalb führt eine Lohn-senkung zu einem Zuwachs an Arbeitsplätzen. Wie stark der

8

8 Für den Versuch einer Quantifizierung siehe Thon und Bach (1998). Ak-tuell wird diese „Stille Reserve im engeren Sinn“ mit rund 1,2 Mill. Perso-nen beziffert (Bach et al. 2001). – Aus dem unmittelbaren Adressaten-kreis einschlägiger Reformen generell ausgeschieden werden dagegenso genannte »geringfügig Beschäftigte«, die aktuell mit einem ver-gleichsweise geringen Lohn (2002: maximal 325 r monatlich) und limi-tierter Stundenzahl (regelmäßig unter 15 Stunden pro Woche) erwerbs-tätig sind. Grundsätzlich spricht manches dafür, dass viele der Betroffe-nen bei anderen institutionellen Rahmenbedingungen einen (etwas) größe-ren Erwerbsumfang wählen würden (Kolb 2000). Allerdings ist zu beach-ten, dass der Status »geringfügiger Beschäftigung« im Wesentlichen nurfür Personen interessant ist, die lediglich einen gewissen Hinzuverdienstzu einem sonstigen Lebensunterhalt realisieren möchten (Schüler und Stu-denten, Rentner jenseits der Regelaltersgrenze von 65 Jahren, »Zweit-verdiener«, die zum vorrangig auf andere Weise bestimmten Haushalts-einkommen beitragen, und bereits anderweitig erwerbstätige Personenmit »Nebenjobs«). Demgegenüber besteht beispielsweise für Empfängervon Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe aufgrund der Anrechnung des Ver-dienstes bei diesen Sozialleistungen kaum ein Anreiz, eine »geringfügi-ge« Beschäftigung auszuüben. Bei allen Unklarheiten über mögliche Über-schneidungen mit den im Text genannten Personengruppen besteht da-her Anlass zu vermuten, dass das Phänomen »geringfügiger Beschäfti-gung« und der für neue Beschäftigungschancen von Sozialleistungs-empfängern erforderliche »Niedriglohnsektor« wenig miteinander zu tunhaben.

9 Riphahn, Thalmaier und Zimmermann (1999) bestimmen diese Obergrenzeabweichend davon als Summe aus registrierten Arbeitslosen, »Stiller Re-serve in Maßnahmen« und »Stiller Reserve im engeren Sinn« (vgl. Fuß-note 8). Sie gelangen auf diese Weise zu 6,8 Mill. Personen.

10 Vgl. Riphahn, Thalmaier und Zimmermann (1999, S. 36) (4,3 Mill.), Raf-felhüschen (2001, S. 16) (2,3 Mill.) oder Kaltenborn (2001, S. 15) (2,2 Mill.).Der höhere Schätzwert bei Riphahn et al. ergibt sich unter Einbeziehungder »Stillen Reserve«, ausgehend von recht arbiträren Gewichten dafür,wie sehr die verschiedenen Komponenten der breit abgegrenzten Ar-beitslosigkeit dem Arbeitsmarkt »nahe stehen«, und ohne Berücksichti-gung ihrer Qualifikationen. Die niedrigeren Schätzwerte vernachlässigenentweder gering qualifizierte Bezieher von Arbeitslosengeld (Raffelhüschen)oder erwerbsfähige Sozialhilfebezieher (Kaltenborn).

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Effekt ist, ist eine empirische Frage. Grob gesprochen folgtaus empirischen Untersuchungen, dass eine Senkung desLohnsatzes um ein Prozent die Zahl der Arbeitsplätze mittel-fristig um etwa ein Prozent ausdehnt, wobei der Effekt um-so größer ist, je mehr Zeit der Wirtschaft für die Anpassungverbleibt (eine ausführliche Literaturübersicht wird im Abschnittüber Lohn-, Beschäftigungs- und Wachstumseffekte in Ka-pitel III gegeben).

Dies nun zeigt das Problem. Da kaum ein Anspruchsbe-rechtigter zu einem Lohn zu arbeiten bereit ist, der unterder Sozialhilfe liegt, und kaum ein Unternehmer jemandeneinstellt, wenn er weniger an zusätzlicher Wertschöpfungbringt, als er kostet, können Arbeitsplätze, die nur eine Wert-schöpfung unterhalb der Sozialhilfe erbringen würden, prin-zipiell nicht entstehen. Ja, wegen des geforderten Lohnab-standes können nicht einmal Arbeitsplätze entstehen, de-ren Wertschöpfung nicht hinreichend weit über der Sozial-hilfe der jeweils Anspruchsberechtigten läge. Den Menschen,die von diesem Problem betroffen sind, wird das Recht aufArbeit faktisch verwehrt.

Im Lichte dieser Überlegungen wundert es nicht, dass die Ar-beitslosigkeit für Personen ohne berufliche Ausbildung seitdem Jahr 1980 deutlich stärker angestiegen ist als die Ar-beitslosigkeit insgesamt und nach den jüngsten verfügbarenDaten in Westdeutschland bei 24% (Sachverständigenrat1999, Kasten 5) liegt. Bei einer marktkonformen Entwick-lung hätte die qualifikatorische Lohnspreizung bei einer Zu-nahme der Arbeitslosigkeit im Bereich einfacher Arbeit zu-nehmen müssen, wie es sich auch an der Entwicklung in an-deren EU- und OECD-Ländern ablesen lässt. Die Lohnsätzefür einfache Arbeit hätten im Vergleich zu den Facharbeiter-löhnen fallen müssen. Das aber war nicht der Fall. Die quali-fikatorische Lohnstruktur hat sich nur wenig verändert (Franz1999), sie ist eher gestaucht als ge-spreizt worden. Die Sozialhilfean-sprüche und die Löhne für ungelern-te Arbeiter haben sich seit den sech-ziger Jahren parallel entwickelt (Boss2001, S. 61). Die Anhebung der So-zialhilfeansprüche ist die wahrschein-liche Ursache dieser Entwicklung.

Die Tatsache, dass die Sozialhilfe ei-ne bindende Lohnuntergrenze in dasLohngefüge einzieht, dürfte auch dieErklärung dafür sein, dass die unters-ten Tarifgruppen, die nur knapp überder Sozialhilfe liegen, kaum genutztwerden. Dieser Tatbestand wirddurch die wenigen vorliegendenLohnstrukturerhebungen belegt (vgl.Tab. 1.1). In der Metallindustrie, derchemischen Industrie, im privaten

Versicherungsgewerbe und im Einzelhandel sind die für dieeinfachsten Tätigkeiten vorgesehenen Tarifgruppen am we-nigsten besetzt. Dies wird damit zusammenhängen, dasses einerseits für Unternehmen unrentabel ist, angesichts dergeringen Produktivität der Arbeitskräfte zu diesem LohnArbeitsplätze bereit zu stellen, und dass der Tariflohn fürgering qualifizierte Arbeitskräfte andererseits zu nahe an derSozialhilfe liegt, als dass es für die Betroffenen attraktiv wä-re, ihre Arbeitskraft anzubieten. Die Sozialhilfe definiert of-fenbar eine Untergrenze für den Anspruchslohn, die je nachSchwere der Arbeit vom Marktlohn hinreichend deutlich über-schritten werden muss. Berechnungen zeigen, dass das ver-fügbare Haushaltseinkommen von Hilfsarbeitern im produ-zierenden Gewerbe das durchschnittliche Sozialhilfeniveaunoch spürbar übertrifft. In bestimmten Dienstleistungsbran-chen übersteigt der Nettoverdienst den Sozialhilfeanspruchdagegen kaum noch oder liegt teilweise sogar darunter (En-gels 2001; Boss 2001). Die Attraktivität eines Dienstleis-tungsjobs ist für wenig Qualifizierte unter diesen Umständenäußerst gering.

Der Einfluss, den die Sozialhilfe auf die Lohnstruktur hat, wä-re vielleicht kein Problem für den Arbeitsmarkt, wenn die So-zialhilfe nur sehr gering im Vergleich zu den Durchschnitts-löhnen wäre. Das aber ist nicht der Fall. Abbildung 1.4 zeigtden Lohnabstand zur Sozialhilfe statt für die untersten Ta-rifgruppen für durchschnittliche Tarifgruppen und verschie-dene Haushaltstypen in Ost- und Westdeutschland. DieserLohnabstand gibt an, um wie viel Prozent der Sozialhilfe-bedarf unter dem verfügbaren Haushaltseinkommen einesdurchschnittlichen Erwerbstätigen liegt. Bei einer Alleinver-dienerfamilie mit zwei Kindern erreicht die Sozialhilfe, ein-schließlich des damit verbundenen Wohngelds in West-deutschland etwa 65% des durchschnittlichen Nettolohns.Rechnet man Progressionseffekte heraus und unterstellt man

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im Einklang mit der volkswirtschaftlichen Theorie des Ar-beitsmarktes, dass die Unternehmen Produktivitätslöhnezahlen, so folgt daraus, dass ein westdeutscher, an-spruchsberechtigter Haushaltsvorstand, dessen Produkti-vität weniger als 50% des Durchschnitts beträgt, auf kei-nen Fall eine Beschäftigung finden kann.11 In Ostdeutsch-land, wo die Sozialhilfe bei 75% des durchschnittlichen Net-tolohns liegt, sind noch mehr Personen zur Untätigkeit ver-dammt. Wer über eine Produktivität verfügt, die unter 65%der durchschnittlichen Produktivität liegt und sozialhilfebe-rechtigt ist, kann dort prinzipiell keine Arbeit finden, wenner sich nicht schlechter als bei der Sozialhilfe stellen will.Für Haushalte mit mehr als zwei Kindern erhöhen sich die-se Schwellen sogar noch weiter.

Verglichen mit den Ehepaaren mit zwei Kin-dern ist der Lohnabstand der Sozialhilfe beiEhepaaren mit nur einem Kind, bei Ehepaa-ren ohne Kinder und bei allein Lebenden grö-ßer. Bei diesem Personenkreis kann die Ab-weichung von der durchschnittlichen Pro-duktivität größer sein als im gerade betrach-teten Fall, ohne dass die Möglichkeit einer Be-schäftigung eliminiert wird. Gleichwohl gibt esauch für diese Personengruppen immer nochsehr hohe Hürden für eine Beschäftigung, diedurch die Sozialhilfe definiert werden. Arbei-ten darf nur derjenige, der relativ zum Durch-schnitt über eine hinreichend hohe Leis-tungsfähigkeit verfügt. Wer weniger leis-tungsfähig ist, dem wird die Möglichkeit, auflegale Weise selbst einen Beitrag zum Sozi-alprodukt zu leisten, faktisch verwehrt.

Der langfristige Rückgang der BeschäftigungGeringqualifizierter ist nicht auf Deutschlandbeschränkt, sondern lässt sich auch in denmeisten anderen europäischen Staaten be-obachten (OECD 1996; Nickell und Bell1996). In der Literatur wird dies grundsätz-lich auf den Rückgang der Arbeitsnachfra-ge der Unternehmen nach Geringqualifizier-ten aufgrund des technischen Fortschrittsund/oder zunehmender »Globalisierung« zu-rückgeführt. Während dieser Nachfrage-rückgang in den USA durch eine stärkerequalifikatorische Lohndifferenzierung kom-pensiert wurde, war er in Deutschland undden meisten anderen Ländern der Europäi-schen Union aufgrund relativ rigider Lohn-strukturen mit einem starken relativen Rück-gang der Beschäftigung Geringqualifizierter

verbunden (OECD 1996; für Deutschland vgl. z.B. Steinerund Mohr 2000). Die Rigidität der Lohnstrukturen in deneuropäischen Ländern wird zumeist auf tarifliche und ge-setzliche Mindestlöhne oder auf ein hohes soziales Siche-rungsniveau bei Arbeitslosigkeit zurückgeführt.

Empirische Hinweise auf einen Zusammenhang zwischenSozialhilfeniveau und Lohnspreizung ergeben sich auch auseinem internationalen Querschnittsvergleich, wie er von derEuropean Economic Advisory Group at CESifo (2002) durch-geführt wurde. Bei diesem Vergleich zeigte sich eine klareBeziehung zwischen der relativen Höhe der Sozialhilfe undder Spreizung der Löhne. Je kleiner der Abstand der Sozi-alhilfe vom Medianlohn war, desto geringer war auch dieSpreizung der beobachtbaren Marktlöhne. Unter realisti-schen Annahmen über die Substitutionselastizitäten zwi-schen gering qualifizierter und qualifizierter Arbeit könnendiese Beobachtungen einen großen Teil des relativen Be-schäftigungsrückgangs der Geringqualifizierten erklären.

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Abb. 1.4

11 Der Lohnabstand der Sozialhilfeleistungen ist dann Null. Soweit als An-reiz zur Beschäftigungsaufnahme ein positiver Lohnabstand erforderlichist, liegt die Schwelle für individuelle Produktivitäten, die sich unter denheutigen Rahmenbedingungen nicht vermarkten lassen, noch entspre-chend höher.

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Die in Abbildung 1.4 dargestellten Zusammenhänge ver-deutlichen die Mindestansprüche an einen Marktlohn für denFall der Vollbeschäftigung, denn dort wird das Vollzeit-Lohn-einkommen eines durchschnittlichen Arbeitnehmers mit demgesamten Sozialhilfeanspruch verglichen, den man ohne ei-ne Erwerbstätigkeit hat. Noch problematischer ist der Ein-fluss der Sozialhilfe auf den Lohnanspruch bei einer Teil-zeitbeschäftigung, denn auch bei einem hohen Lohnsatz proStunde gelingt es den Betroffenen häufig nicht, so viel zuverdienen, dass der Rückgang des Sozialhilfeanspruchs da-durch überkompensiert wird.

Abbildung 1.5 verdeutlicht diese Zusammenhänge durchKurven, die den Zusammenhang zwischen dem Brutto- unddem Nettoeinkommen für alternative Familienstände dar-stellen. Dabei werden die Sozialhilfe, das damit verbundeneKindergeld, die Lohnsteuer und die Arbeitnehmer-Sozialab-gaben berücksichtigt. Oberhalb des Erwerbstätigenbasis-freibetrags, der bei etwa 25% des Eckregelsatzes der Sozi-alhilfe liegt, führt der Bezug von Arbeitseinkommen zu einerfast vollständigen Kürzung der Hilfe zum Lebensunterhalt.Ab einem Bruttoeinkommen von gut 70 q wird die Sozial-hilfe um 85% und ab etwa 700 q um 100% gekürzt. DieGrenzbelastung des Einkommens liegt dann bei 100%. Wereinen Euro mehr verdient, dem kürzt der Staat die Unter-stützung um einen Euro. Das Haushaltsnettoeinkommenbleibt in weiten Bereichen praktisch unverändert, wenn dasBruttoeinkommen sich ändert. Die entsprechenden Kurvenverlaufen bis knapp über die 45-Grad-Linie hinaus praktischhorizontal. Erst ab einem bestimmten, nach Haushaltstypgestaffelten Bruttoeinkommen wird der Sozialhilfebereich ver-lassen, und die Grenzbelastung liegt dann unter 100%. DieKonsequenz ist, dass der Arbeitsanreiz für Beschäftigungs-verhältnisse mit nur geringem Zeiteinsatz praktisch ver-schwindet oder, anders gesagt, dass der Anspruch auf ei-

ne mindestens erforderliche Stundenentlohnung umso hö-her ist, je weniger Zeiteinsatz geplant ist.

Derzeit liegt der untere effektive Stundenlohnsatz in vielenBranchen Westdeutschlands bei etwa 8,70 q. Bei einer Halb-tagsbeschäftigung impliziert dies ein Monatseinkommen vonetwa 650 q. Offenbar reicht dies in keinem der gezeigten Fäl-le aus, den horizontalen Bereich der Kurven zu verlassenund netto sehr viel mehr Einkommen zu erwerben als im Fal-le der Nichtarbeit. Aber selbst das Doppelte dieses Betrages,also 1 300 q, das man bei einer Vollzeitbeschäftigung errei-chen könnte, führt bei Ehepaaren immer noch nicht zu ei-nem substanziellen Einkommensgewinn gegenüber der Nicht-arbeit. In allen Fällen ist eine Vollbeschäftigung sämtlichererwerbsfähiger Familienmitglieder erforderlich, um den je-weiligen Horizontalbereich zu verlassen.

Die Konsequenz dieser Verhältnisse ist, dass insbesonde-re der Einstieg in reguläre Beschäftigungsverhältnisse außer-ordentlich erschwert wird. Wer nicht arbeitet und die Chan-ce erhält, mit einem zunächst geringen Zeiteinsatz oder, wasauf dasselbe hinausläuft, zu einem geringen Lohn, ein Ar-beitsverhältnis zu beginnen, der wird so massiv durch denFörderungsentzug bestraft, dass er dumm wäre, würde erdie Chance ergreifen. Auch eine Qualifizierungsmöglichkeitbleibt so lange unattraktiv, wie sie bei einem Einkommeninnerhalb des Horizontalbereichs ansetzt.

So informativ die Abbildung 1.5 auch ist, für eine allokativeBeurteilung der Fehlanreize des Sozialsystems muss stattder Grenzbelastung des Einkommens die Grenzbelastungder Wertschöpfung der Arbeit betrachtet werden, denn esspielt letztlich kaum eine Rolle, ob eine solche Grenzbelas-tung durch eine hohe Transferentzugsrate, eine hohe Be-lastung mit Arbeitnehmerabgaben oder eine hohe Belastung

mit Arbeitgeberabgaben erzeugt wird. Nurauf die Summe aller Effekte kommt es imMarktzusammenhang an. Abbildung 1.6zeigt das Ergebnis umfangreicher Berech-nungen auf der Basis des ifo Steuermodells.Dieses Modell umfasst praktisch sämtlichelohnbezogene Transfers und Abgaben, dieeinen deutschen Arbeitnehmer betreffen. Da-zu gehören die Arbeitgeberabgaben zur So-zialversicherung genauso wie die vom Ar-beitgeber gezahlte Mehrwertsteuer, die alsWertschöpfungssteuer ebenfalls anfällt. Die-se Abgaben wirken im Marktzusammenhanggenauso wie die sichtbaren Abgaben auf denFaktor Arbeit. Sie tragen mit zur Eindämmungdes offiziellen Arbeitsmarktes für Gering-qualifizierte bei, und sie sind für die Ver-drängung der Menschen in das Nichtstunund in die Schwarzarbeit in gleichem Maßeverantwortlich wie die auf der Lohnsteuer-

11

Abb. 1.5

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karte offen ausgewiesenen Belastungen der Arbeitsein-kommen.

Bezieht man die gesamte Abgabenlast auf die Bruttowert-schöpfung der Arbeit, erhält man die in der Abbildung 1.6dargestellten Kurven der Grenzabgabenbelastung. DieseKurven zeigen, wie viel einem Arbeitnehmer durch einen ech-ten Zuwachs der Abgaben und einen Transferentzug weg-genommen wird, wenn er mittels einer Vergrößerung sei-nes Arbeitseinsatzes einen Euro an zusätzlicher Wert-schöpfung erzeugt. Man sieht, dass bei allen betrachtetenHaushaltstypen in weiten Bereichen Grenzbelastungen vonmehr als 80%, ja sogar 100% vorkommen. Der Wert-schöpfungsbereich, in dem die Grenzbelastung 100% be-

trägt, steigt mit der Familiengröße und ist selbst schon beieinem Ehepaar ohne Kinder sehr groß. Diese Verhältnissesind nicht nur problematisch, sondern in hohem Maß ab-surd (Sinn 2002, S. 22 ff.). Auch wenn man sich mehr an-strengt oder sich weiterqualifiziert, bleibt einem von dem hö-heren Bruttoeinkommen, das man so erzielen kann, nettonicht ein einziger Cent übrig.

Dass der deutsche Arbeitsmarkt unter diesen Verhältnis-sen nicht gut funktionieren kann, ist wahrlich kein Wunder.Das eigentliche Wunder ist, dass diese für eine Marktwirt-schaft untragbaren Verhältnisse so lange haben überlebenkönnen, ohne dass die Wirtschaftpolitik sich um ernsthafteReformen bemüht hat.

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Abb. 1.6

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II. Reformansätze

In den letzten Jahren wurden in Deutschland in Wissen-schaft und Politik verschiedene Vorschläge diskutiert, Lohn-subventionen als Instrument zur Verbesserung der Be-schäftigungsmöglichkeiten im Niedriglohnbereich einzu-setzen (für einen Überblick vgl. Buslei und Steiner 1999,2000). Ein Teil dieser Vorschläge bezieht sich auf Lohn-subventionen an Arbeitnehmer in Form so genannter »Kom-bilohn«-Modelle, die eine direkte Subventionierung von Ar-beitnehmern mit niedrigem Erwerbseinkommen vorsehen.Auf dieser Überlegung basiert auch das so genannte »Main-zer Modell«, das ursprünglich vom ehemaligen Sozialmi-nister von Rheinland-Pfalz, Florian Gerster, in die wirt-schaftspolitische Diskussion eingebracht worden ist. Die-ses Modell, das bisher in einigen Arbeitsamtsbezirken inRheinland-Pfalz und Brandenburg erprobt wurde, ist zum1. März 2002 in modifizierter Form auf das gesamte Bundes-gebiet ausgeweitet worden.

Vor der Darlegung des Reformvorschlags,den das ifo Institut für Wirtschaftsforschungerarbeitet hat, sollen das Mainzer Modell (inder modifizierten Form) und andere deutscheExperimente hier kurz erläutert und kritischbewertet werden. Skizziert werden ferner dieErfahrungen, die in den USA, Großbritannienund Frankreich mit Lohnsubventionen ge-macht wurden, die gezielt auf eine vermehr-te Beschäftigung im Niedriglohnsektor desersten Arbeitsmarktes ausgerichtet sind.

Das »Mainzer Modell« und anderedeutsche Experimente

Das von der Bundesregierung als Instrumentzur Förderung der Beschäftigung Gering-qualifizierter favorisierte Mainzer Modell siehteine von der Höhe des Erwerbseinkommensabhängige, degressiv gestaffelte Subven-tionierung der Sozialbeiträge von Arbeitneh-mern im Niedriglohnbereich vor, soweit ihreBezahlung tariflichen oder ortsüblichen Be-dingungen entspricht. Subventionsberech-tigt sind Alleinstehende (Verheiratete) mit ei-nem monatlichen Einkommen zwischen325q und 897q (1 707q). Alleinerziehen-de werden hinsichtlich der Fördergrenze undder Subventionshöhe wie Verheiratete be-handelt. Bei einem Arbeitsentgelt von 325qentspricht die Förderung dem Arbeitneh-merbeitrag zu Sozialversicherung und nimmtinnerhalb der Fördergrenzen stufenweise ab.Pro Kind besteht außerdem Anspruch auf ei-nen degressiv gestaffelten einkommensab-

hängigen Kindergeldzuschlag in Höhe von maximal 75 q.Gefördert werden sollen auch bisher geringfügig Beschäf-tigte bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Be-schäftigung, sofern diese innerhalb der genannten Einkom-mensgrenzen liegt und die wöchentliche Arbeitszeit min-destens 15 Stunden beträgt. Auch ist innerhalb dieser Gren-zen die Förderung beim Übergang aus einer sozialversi-cherungspflichtigen Beschäftigung in eine andere möglich,sofern damit ein Wechsel des Arbeitgebers verbunden ist.Die maximal mögliche Förderdauer beträgt 36 Monate, dasModell soll bis 2006 befristet werden.

Ein gravierender Fehler des Mainzer Modells besteht darin,dass aufgrund des starken Transferentzugs und der Re-duktion der Kindergeldzuschläge das Nettohaushaltsein-kommen bei zunehmendem Erwerbseinkommen in einemrelativ breiten Bereich effektiv sinkt. Das ist ein vielleicht nochverkraftbares Problem bei Personengruppen, die als Zweit-verdiener nicht sozialhilfeberechtigt sind. Im Zusammenspielmit der Sozialhilfe, die in der öffentlichen Diskussion weit-

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Abb. 2.1

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gehend ausgeblendet wurde, verschärft sichindes die oben dargestellte Absurdität desGesamtsystems mit seiner exzessivenGrenzbelastung noch weiter.

Abbildung 2.1 illustriert den Sachverhaltfür zwei ausgewählte Haushaltstypen.12

Man sieht, dass das Mainzer Modell zueiner Auswölbung der Kurve des Netto-einkommens nach oben führt. Dadurchentsteht an der Fördergrenze sicherlich einAnreiz, das Bruttoeinkommen durch Auf-nahme einer Beschäftigung mit möglichstgeringem Stundenumfang zu steigern,doch im Abschmelzungsbereich ist dasGegenteil der Fall. Hier kann das Netto-einkommen nicht durch eine Erhöhung,sondern durch eine Senkung des Brut-toeinkommens gesteigert werden. DerGrund für dieses perverse Ergebnis liegt darin, dass dieArbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung in vollemUmfang mit der Sozialhilfe verrechnet werden, anderer-seits aber die Förderung des Mainzer Modells nicht zu ei-ner Änderung des Sozialhilfeanspruchs führt. Die Ab-schmelzung dieser Förderung, die mit einem wachsen-den Einkommen einhergeht, hat deshalb eine Senkungdes Nettoeinkommens zur Folge.13

Abbildung 2.2 zeigt wieder die zugehörigen Grenzbelas-tungen bezüglich der Wertschöpfung der Arbeit. Währenddie Grenzbelastung an der Förderschwelle auf negative Wer-te gedrückt wird, steigt sie im Abschmelzungsbereich aufteilweise weit über 100%. Bei einem Ehepaar mit zwei Kin-dern liegt die Grenzbelastung im Bereich einer Wertschöp-fung von etwa 750 bis 1 500 q pro Monat bei 110% undliegt punktuell sogar noch bei sehr viel höheren Werten. Werdurch seine Arbeit einen Euro an zusätzlicher Wertschöp-fung erzeugt, der muss netto eine Lohnkürzung von 10 Centoder mehr hinnehmen.14

Mit einer etwas abweichenden Ausgestaltung bezüglich desZuschusses, der Förderdauer und der Zielgruppe hat dieBundesregierung das Mainzer Modell bereits ab 1999 in Mo-dellprojekten in einigen Arbeitsamtsbezirken in Rheinland-Pfalz und in Brandenburg erprobt. Ursprünglich war das Mo-dell überwiegend auf Langzeitarbeitslose und Geringquali-fizierte ausgerichtet. Diese Zielgruppenorientierung wurdejedoch 2001 aufgehoben und gilt auch nicht bei dem abMärz 2002 mit leicht modifizierten Regelungen bundesweiteingeführten Sonderprogramm. Der Grund dafür bestehtwohl darin, dass die Beteiligung an den Modellprojekten weithinter den Erwartungen der Befürworter zurückgebliebenist. Insgesamt sind bis August 2001 nur ca. 500 Anträge ge-stellt worden. Nur ein Teil der Geförderten war früher ar-beitslos, über ein Drittel bezog vor Eintritt in das ProgrammSozialhilfe, jeder Zehnte der geförderten Teilnehmer warfrüher geringfügig beschäftigt (vgl. Sozialpolitische Umschau,Ausgabe Nr. 31/2001, S. 338).

Aufgrund der Erfahrungen mit diesen Modellprojekten er-wartet die Bundesregierung für die Ausweitung des Main-zer Modells – bei veranschlagten fiskalischen Kosten vonca. 40 Mill. q – eine bescheidene Beschäftigungszunahmeim Niedriglohnbereich von 20 000 bis 30 000 Personen. Diesliegt im Bereich früherer Schätzungen zu den Beschäfti-gungseffekten vergleichbarer Vorschläge zur Einführung vonKombilohnmodellen in Deutschland (Buslei und Steiner2000). Allerdings ist zu erwarten, dass die fiskalischen Kos-ten des Mainzer Modells deutlich höher ausfallen als durchdie Bundesregierung angegeben wird. Bei deren Schätzungwird offenbar implizit davon ausgegangen, dass die Lohn-subvention auf bisher nicht sozialversicherungspflichtig Be-schäftigte beschränkt werden kann. Dies bedeutet allerdings,dass ein gegebenes Bruttoerwerbseinkommen innerhalb derFördergrenzen mit einem individuell unterschiedlichen Net-toeinkommen verbunden ist, je nachdem ob der Arbeit-

14

Abb. 2.2

12 Vergleicht man z.B. zwei alleinstehende Arbeitnehmer mit gleichem So-zialhilfeanspruch, von denen der eine 500 r brutto pro Monat verdient,der andere 850 r, so zeigt sich, dass der Arbeitnehmer mit dem niedri-geren Bruttoeinkommen ein um rund 15 r höheres Nettoeinkommen er-zielt (Abb. 2.1 a). Betrachtet man Ehepaare mit zwei Kindern, so ist derEffekt sogar noch drastischer: Wird ein Arbeitseinkommen von 750 rpro Monat erzielt, beträgt das Haushaltsnettoeinkommen – durch-schnittliche Sozialhilfeleistungen unterstellt – ca. 1 945 r, eine Familiemit einem Bruttoarbeitseinkommen von 1 500 r monatlich erhält dage-gen netto nur knapp 1 800 r, also 150 r weniger. Erst ab einem Brut-tolohn von mehr als 1 900 r kann eine Familie mit zwei Kindern über einhöheres Nettoeinkommen als 1 945 r verfügen (Abb. 2.1 b).

13 In den Richtlinien zur Durchführung des Sonderprogramms wird unmiss-verständlich klargestellt, dass die gewährten Zuschüsse nicht auf dieSozialhilfe angerechnet werden (vgl. Art. 1, Abs. 1, Bundesanzeiger vom28. Februar 2002). In den vorausgehenden Modellversuchen war diesnicht sichergestellt, und einige Sozialhilfeträger machten mit einer solchenAnrechnung den Fördereffekt faktisch zunichte.

14 Bei der im Experimentierstadium verwendeten Version lag die Grenzbe-lastung in einem weiten Bereich sogar bei 124% (vgl. Sinn 2002).

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nehmer vor Einführung des Mainzer Modells bereits be-schäftigt war oder nicht.

Bereits früher Beschäftigte mit geringem Einkommen kön-nen sich demnach finanziell verbessern, wenn sie (mit oderohne zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit) eine Beschäftigungzum gleichen Bruttolohn bei einem anderen Arbeitgeber auf-nehmen. Will man derartige Anpassungsprozesse vermei-den, müssen alle Geringverdiener unabhängig von ihrem bis-herigen Erwerbsstatus die gleiche Subvention erhalten. Dieswürde jedoch ein wesentlich höheres Subventionsvolumenbedingen. Kostenträchtig erscheint auch die Ausnahmere-gelung für bisher geringfügig Beschäftigte, für die innerhalbder gegebenen Fördergrenzen bei einem Wechsel in sozi-alversicherungspflichtige Beschäftigung ebenfalls eine Sub-ventionierung der Sozialbeiträge vorgesehen ist. Schließ-lich ergeben sich möglicherweise erhebliche fiskalische Kos-ten auch dadurch, dass, wie oben beschrieben, das Steu-eraufkommen aufgrund einer sinkenden Zahl von Arbeits-stunden der Transferempfänger sinken dürfte.

Insgesamt ist von der Ausweitung des Mainzer Modells aufdas gesamte Bundesgebiet also kein wirklicher Beitrag zurLösung der Beschäftigungsprobleme im Niedriglohnbereichzu erwarten. Insbesondere trägt es kaum zur Befreiung derGeringqualifizierten aus der Armutsfalle bei, die durch dieAnreizstrukturen der Sozialhilfe entsteht. Ja, es verschlim-mert die problematischen Anreizwirkungen für den Arbeits-markt noch weiter. Dieses Modell ist Flickwerk, das über-haupt nicht auf das Sozialhilfesystem abgestellt ist und dieProbleme auf dem Arbeitsmarkt für Geringverdiener nichtlöst.

Neben dem Mainzer Modell wurden in den letzten Jahrenin Deutschland noch andere Kombilohnmodelle erprobt undweitere Möglichkeiten zur Förderung von Arbeitslosenhilfe-und Sozialhilfeempfängern geschaffen, die hier ebenfalls kurzgewürdigt werden sollen.

Gleichzeitig mit dem Mainzer Modell wurde in den drei Ar-beitsamtsbezirken im Saarland und im ArbeitsamtsbezirkChemnitz in Sachsen das Modell der so genannten Saar-Gemeinschafts-Initiative (SGI) erprobt. Dieses Modell zieltdarauf ab, die relativ hohen Arbeitskosten sozialversiche-rungspflichtiger Beschäftigung bei einfachen Tätigkeitendurch eine degressiv gestaffelte Subventionierung der So-zialbeiträge der Arbeitgeber zu reduzieren. Anspruchsbe-rechtigt sind Unternehmen, die einen Geringqualifiziertenoder Arbeitslosen zu einem Bruttostundenlohn von unter18 DM sozialversicherungspflichtig beschäftigen. Auch derArbeitnehmeranteil der Sozialbeiträge wird bezuschusst,die Subvention erhalten aber nicht die geförderten Arbeit-nehmer. Sie wird vielmehr in einen regionalen »Qualifizie-rungsfonds« eingezahlt, der zur Finanzierung von Qualifi-

zierungsmaßnahmen für die Geförderten eingesetzt wer-den soll.

Die Beteiligung an diesem Modellversuch im Saarland warbisher insgesamt verschwindend gering, und in Sachsenwurde die Förderung praktisch nicht in Anspruch genom-men. Ein Grund dafür könnte sein, dass insbesondere inOstdeutschland andere Maßnahmen der aktiven Arbeits-marktpolitik in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen,die noch wesentlich großzügiger ausgestaltet sind. Bei-spielsweise werden bei Arbeitsbeschaffungs- und Struk-turanpassungsmaßnahmen die Lohnkosten ganz oder zu-mindest zu einem erheblichen Teil durch die Bundesanstaltfür Arbeit getragen. Auch in Westdeutschland stehen denUnternehmen für so genannte Problemgruppen des Ar-beitsmarktes (ältere Arbeitnehmer, Personen mit gesund-heitlichen Einschränkungen, Jugendliche) in Form diverser»Eingliederungstitel« attraktivere Formen von Lohnsubven-tionen als nach dem SGI-Modell zur Verfügung.

Aufgrund der geringen Beteiligung am SGI-Modell wurdenim Jahr 2001 neue Förderrichtlinien in Kraft gesetzt. Diesesehen unter anderem eine Verdoppelung der maximalen För-derdauer auf 36 Monate und eine geänderte Zielgruppen-orientierung vor. Die bisherige Beschränkung der Förderungauf Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose wurde beimSGI-Modell damit ebenfalls aufgehoben. Nunmehr könnenalle Geringverdiener mit einem Stundenlohn unter 18 DMgefördert werden (Forschungsverbund CAST 2001). Bis Ok-tober 2001 haben insgesamt 128 Teilnehmer am SGI-Mo-dell teilgenommen, davon vier in Ostdeutschland. Aufgrunddieser Zahlen erübrigt sich die Frage nach den Beschäfti-gungseffekten des SGI-Modells in der bisherigen Ausge-staltung.

Neben dem Mainzer und dem SGI-Modell existieren nochmehrere andere regional beschränkte Modellprojekte, diesowohl unterschiedliche Varianten von Kombilohnmodellenals auch direkte Lohnsubventionen an Arbeitgeber vorse-hen (vgl. den Überblick bei Kaltenborn 2001). Zielgruppedieser Initiativen sind vor allem Sozialhilfeempfänger und be-stimmte Problemgruppen des Arbeitsmarktes. Dabei wer-den die vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten zur För-derung der Arbeitsaufnahme von Sozialhilfeempfängern ge-nutzt, wie sie durch das Bundessozialhilfegesetz (§ 18 Abs. 5BSHG) seit 1996 gegeben sind. Ursprünglich war der im Ge-setz vorgesehene Arbeitnehmerzuschuss auf sechs Mona-te befristet, musste mit jedem Fördermonat reduziert wer-den und durfte bei Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigungim ersten Monat den Regelsatz nicht übersteigen. Seit 1998kann der Zuschuss bei Aufnahme einer sozialversiche-rungspflichtigen oder selbständigen Tätigkeit bis zu zwölfMonate gewährt werden; eine monatliche Kürzung ist da-bei nicht mehr zwingend vorgesehen. Auch können die Kom-

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munen mit Bezug auf eine »Experimentierklausel« befristetbis Ende 2000 davon abweichende Regelungen vorsehen.

Darauf basieren auch die Modellprojekte, die zurzeit in meh-reren Bundesländern auf kommunaler Ebene durchgeführtwerden. Zu nennen sind hier vor allem das so genannteEinstiegsgeld, das in mehreren Kommunen Baden-Würt-tembergs erprobt wird, der Hessische Kombilohn und dasKombilohnmodell Nordrhein-Westfalen (vgl. Kaltenborn2001). Gemeinsam ist all diesen Modellprojekten, dass siedie Anreize von Sozialhilfeempfängern und Langzeitarbeits-losen zur Aufnahme einer regulären Beschäftigung durchbefristete, direkte Einkommenssubventionen verbessern sol-len. Durch die strikte Beschränkung auf diese Zielgruppeund die zeitliche Befristung sollen die Kosten der Kombi-lohnmodelle beschränkt werden. Dabei gilt aber die bereitsoben bezüglich des Mainzer Modells genannte Kritik, dassVerhaltensanpassungen nicht berücksichtigt werden. Wegender zeitlichen Befristung der Subvention muss außerdemunterstellt werden, dass durch die Beteiligung an diesen Pro-grammen die individuelle Produktivität oder die Bindung andas Erwerbsleben dauerhaft steigt, so dass auch nach Weg-fall der Subvention Arbeit gegenüber dem Bezug von Sozi-alhilfe vorgezogen wird.

Die im Rahmen der genannten »Experimentierklausel« durch-geführten Modellprojekte sollen hinsichtlich ihrer Beschäfti-gungseffekte zwar wissenschaftlich evaluiert werden. Dadies im Rahmen von statistischen Ex-post-Evaluationsstu-dien erfolgen soll und die meisten dieser Modellprojekte nochandauern, liegen bisher aber keine aussagekräftigen Er-gebnisse vor. Frühere Ex-ante-Evaluationen vergleichbarerKombilohnmodelle durch Buslei und Steiner (1999) weisenjedoch darauf hin, dass die zu erwartenden Arbeitsange-botseffekte leicht erhöhter Hinzuverdienstmöglichkeiten bzw.reduzierter Transferentzugsraten beim Bezug von Sozialhil-fe und Arbeitslosenhilfe äußerst gering sind,sofern das derzeitige Leistungsniveau beidiesen Transfers aufrecht erhalten wird.

Welfare to Work in den USA

Die bisher in Deutschland durchgeführtenExperimente und Reformansätze tasten dasdeutsche Sozialsystem, das im WesentlichenLohnersatzleistungen für Nicht-Erwerbstä-tige bietet, nicht grundsätzlich an. Am ehes-ten versucht noch das nun von der Bundes-regierung adaptierte Mainzer Modell die Aus-richtung der Sozialhilfe zu verändern, indemes die Anreize erhöht, eine Arbeit aufzuneh-men. Andere Länder haben ihre Sozialsys-teme dagegen grundsätzlich reformiert undsich das Konzept einer aktivierenden Sozi-

alpolitik, die statt des Nichtstuns die Arbeit subventioniert,zu eigen gemacht.

Am konsequentesten wird dieser Politikansatz in den USAverfolgt. Wer nicht arbeitet, muss sich mit äußerst geringenSozialleistungen (Food stamps usw.) begnügen. Doch werarbeitet, wird belohnt. Beschäftigte im Niedriglohnbereichdes ersten Arbeitsmarktes erhalten eine staatliche Steuer-gutschrift, die ihr Nettoeinkommen erhöht. Mit der Gewäh-rung dieses »Earned Income Tax Credit« (EITC) sollen unteranderem Anreize zur Aufnahme einer Arbeit geschaffen wer-den. Wer erwerbsfähig ist und keine Arbeit im ersten Ar-beitsmarkt findet, dem wird kommunale Arbeit angeboten.Er erhält die normalen Sozialleistungen (»Temporary Assis-tance for Needy Families«, TANF) nur, wenn er eine solcheBeschäftigung akzeptiert. Die Gewährung von TANF wirdsomit – anders als in Deutschland – an Gegenleistungen inForm von Arbeit geknüpft.

Der EITC richtet sich an Haushalte mit niedrigen Einkom-men. Die begünstigten Gruppen unterliegen grundsätzlichder Bundeseinkommensteuer. Ist die Steuergutschrift höherals die zu entrichtende Einkommensteuer, so wird der Dif-ferenzbetrag an die Berechtigten ausgezahlt. Ansonsten er-folgt eine Verrechnung mit der Einkommensteuerschuld. An-spruchsberechtigt sind grundsätzlich nur Erwerbstätige undhier wiederum insbesondere solche mit Kindern. Die Höheder Steuergutschrift ist abhängig vom erzielten Bruttoar-beitseinkommen (Löhne und Gehälter, sonstige Entgelte undein spezifisch definiertes Einkommen von Selbständigen).Drei Bereiche sind zu unterscheiden: Zunächst nimmt dieSteuergutschrift mit steigendem Bruttoeinkommen linear zu(Abschnitt I), dann bleibt sie konstant (Abschnitt II), undschließlich nimmt sie ab einer bestimmten Einkommens-grenze wieder ab (Abschnitt III). Die Höhe der Steuergut-schrift und die Einkommensgrenzen unterscheiden sich je

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Abb. 2.3

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nach Haushaltstyp. Dabei werden Familien mit zwei undmehr Kindern, Familien mit einem Kind und Personen ohneKinder unterschieden, wobei Haushalten mit zwei und mehrKindern die höchsten Beträge gewährt werden (vgl.Abb. 2.3).

Die genauen Parameter des EITC im Jahre 2001 zeigtTabelle 2.1. Danach erhält zum Beispiel eine Familie mitzwei und mehr Kindern bei Einkommen zwischen 0 und10 020 US-$ eine Steuergutschrift von 40 Cents je hin-zuverdientem Dollar.15 Bei einem Bruttoeinkommen von10 020 US-$ erreicht die Gutschrift den maximalen Be-trag von 4 008 US-$. Dieser wird gewährt, bis das Brutto-einkommen 13 090 US-$ erreicht. Bei jedem über13 090 US-$ hinaus verdientem Dollar mindert sich dieSteuergutschrift um 21 Cents (genau: 21,06). Hieraus folgt,dass bei einem Bruttoeinkommen von 32 121 US-$ dieSteuergutschrift auf Null fällt. Durch Anrechnung des13 090 US-$ übersteigenden Bruttoeinkommens mit ei-ner Transferentzugsrate von 21,06% ist die maximale Steu-ergutschrift aufgebraucht worden. In diesem »Phase-out«-Bereich ist die Grenzbelastung des Einkommens höherals der marginale Satz der regulären Einkommensteuer. Diemarginale Gesamtbelastung beträgt im Bereich der Rück-führung der Steuergutschrift in der Regel rund 50%.

Der EITC wurde im Jahre 1999 von rund 20 Mill. Arbeit-nehmern in Anspruch genommen. Der Gesamtaufwand be-lief sich auf gut 30 Mrd. US-$, d. h. etwa 0,3% des US-ame-rikanischen Bruttoinlandsprodukts.

Die Gewährung des EITC wurde im Jahr 1996 durch einegrundlegende Reform des Sozialhilfesystems ergänzt, fürdas ein Gegenseitigkeitsprinzip eingeführt wurde. Sozial-hilfeempfänger sind seither verpflichtet, als Gegenleistungfür Transferleistungen zu arbeiten. Außerdem wurde die Dau-

er der Sozialhilfegewährung befris-tet. Im Gegenzug muss der Staat beiBedarf kommunale Arbeitsplätze be-reitstellen und für die Sozialhilfe auf-kommen.

Die öffentliche Hand bietet Personen,die keinen Job im ersten Arbeitsmarktfinden können, die Teilnahme an Ge-meinschaftsdiensten an. In Wiscon-sin, einem Bundesstaat mit einer Vor-reiterrolle in der Sozialpolitik, wird z.B.wöchentlich 30 Stunden gearbeitetund während weiterer zehn Stundenein Training absolviert. Durch die Teil-

nahme an den Gemeinschaftsdiensten können Arbeitser-fahrung und Fähigkeiten (wieder)erworben werden, die in ei-nem regulären Job verlangt werden. Hierzu zählen Pünkt-lichkeit, Verlässlichkeit, soziales Verhalten und die Fähigkeit,sich dauerhaft anzustrengen. Die Teilnehmer erhielten imJahre 2000 673 US-$ pro Monat, ohne den EITC bean-spruchen zu können. Dagegen beträgt das in Wisconsindurch diesen Personenkreis erzielbare Markteinkommen1 236 US-$ (1998) und wird durch den EITC noch aufge-stockt. Personen, die nicht in der Lage sind, Gemein-schaftsdienste zu leisten, werden therapeutische Maßnah-men, Tätigkeiten in Rehabilitationsstätten usw. angeboten(Ochel 2002b).

Die amerikanische Welfare to Work-Politik hat beträchtlicheBeschäftigungserfolge vorzuweisen. Die Erwerbsbeteiligungist im Gefolge der Reform angestiegen, und viele Arbeitslo-se haben eine Beschäftigung gefunden. Zwar arbeiten diebisher schon Beschäftigten weniger Stunden pro Woche,per saldo hat das Arbeitsvolumen in Folge der Förderungder Beschäftigung im Niedriglohnbereich durch den EITCaber zugenommen. Die Aufnahme einer Tätigkeit im erstenArbeitsmarkt ist auch durch die Einführung der Arbeitspflichtfür Sozialhilfeempfänger gefördert worden. Die Zahl der So-zialhilfeempfänger ging deutlich zurück. 70% der ehemali-gen Leistungsempfänger in Wisconsin fanden einen regu-lären Arbeitsplatz. Im Durchschnitt verbesserten sie ihr Net-toeinkommen, auch wenn nicht wenige weiterhin von er-gänzenden Sozialleistungen abhängig blieben. 30% der ehe-maligen Sozialhilfeempfänger fanden keine Arbeit. Sie sinddie Verlierer der amerikanischen Sozialhilfereform (Ochel2002c).

Steuergutschriften an Arbeitnehmer im Niedrig-lohnbereich in Großbritannien und Frankreich

Ebenso wie in den USA hat die Förderung von Erwerbstä-tigen mit niedrigem Einkommen in Großbritannien eine lan-ge Tradition. Schon 1971 wurde das »Family Income Sup-

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15 1 US-$ = 1,12 r (im Jahresdurchschnitt 2001). Die Einkommensgren-zen werden Jahr für Jahr entsprechend dem Anstieg des Preisniveaus er-höht.

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plement« eingeführt. Es wurde imJahre 1988 durch den »Family Cre-dit« ersetzt, der wiederum Ende 1999vom »Working Families Tax Credit«(WFTC) abgelöst wurde.16

Der WFTC bildet ebenfalls eine Lohn-ergänzungsleistung. Er verfolgt dasZiel, das Nettoeinkommen von Ge-ringverdienenden zu erhöhen und da-mit einen Anreiz zu schaffen, eineniedrig entlohnte Beschäftigung an-zunehmen. Den WFTC können Fa-milien mit mindestens einem Kind inAnspruch nehmen, sofern ein Er-wachsener wenigstens 16 Stundenpro Woche arbeitet. Ausgeschlossen sind Familien mit ei-nem Kapitalvermögen von 8 000 £ und mehr.17 Im Jahr 2000erfüllten 1,1 Mill. Personen die Anspruchsvoraussetzungendes WFTC, bei etwa 27 Mill. Beschäftigten insgesamt.

Die Höhe des WFTC richtet sich nach der Zusammenset-zung der Familie (vgl. Tab. 2.2). Der Regelsatz für Erwach-sene belief sich im Jahr 2001 auf 59 £ pro Woche und fürKinder je nach Alter auf 26 bis 26,75 £ pro Woche. Bei ei-ner Arbeitszeit des beschäftigten Familienmitglieds von30 Stunden und mehr erhöht sich der Transfer um 11,45 £pro Woche. Auf den WFTC wird das Nettoeinkommen –unter Berücksichtigung eines Freibetrags von 92,90 £ proWoche – mit einer Rate von 55% angerechnet und damiteine Einkommensgrenze für die Gewährung des Höchst-betrags gesetzt. Für Paare mit zwei Erwerbstätigen wird ne-ben dem WFCT ein »Child Tax Credit« in Höhe von 70%der Kinderbetreuungskosten (bis zu einem bestimmtenHöchstbetrag) gewährt. Die Durchführung des WFTC ob-liegt der Steuerverwaltung.

Durch den WFTC wird der Abstand zwischen den Leistun-gen an Arbeitslose und dem Einkommen Beschäftigter imNiedriglohnbereich beträchtlich erhöht. Während das ver-fügbare Einkommen Arbeitsloser fürein Paar mit einem Kind verglichenmit einer Beschäftigung zum Min-destlohn ohne WFTC zum Beispielbei 92% (Vollzeitbeschäftigung) liegt,»sinkt« es durch Gewährung des

WFTC auf nur noch 60% des verfügbaren Einkommens derBeschäftigten (vgl. Tab. 2.3).

Der WFTC und der in Tabelle 2.3 nicht berücksichtigte»Child Tax Credit« üben einen großen Anreiz aus, er-werbstätig zu werden. Ohne diese Fördersysteme hättenin den letzten Jahren weitaus weniger Arbeitslose eineBeschäftigung angenommen. Dabei sind insbesondere al-lein erziehende Frauen berufstätig geworden, da sie vonden Kinderbetreuungskosten erheblich entlastet wurden.Der Steigerung der Erwerbsbeteiligung steht allerdings ei-ne Einschränkung der wöchentlichen Arbeitszeit zuvorschon Beschäftigter gegenüber, die eine Folge der hohenGrenzbelastung des Einkommens im Entzugsbereich ist.Entsprechend hoch ist unter den WFTC-Beziehern der An-teil Teilzeitbeschäftigter, die 16 Stunden (oder etwas mehr)arbeiten (Ochel 2002a).

Nach den USA und Großbritannien hat im Jahr 2001 auchFrankreich eine zunächst auf drei Jahre befristete Beschäf-tigungsprämie für Niedriglohnbeschäftigte (Prime pour l’em-ploi) eingeführt.18 Die Beschäftigungsprämie wird in Form ei-ner Steuergutschrift gewährt, welche das Nettoeinkommenvon Geringverdienern – d.h. Personen, deren Verdienst imBereich des 0,3-fachen bis 1,4-fachen des gesetzlichen

18

16 Der WFTC wird unterstützt durch ein »NewDeal«-Programm (mit intensiver Arbeitsver-mittlung und temporärer öffentlicher Be-schäftigung).

17 1 £ = 1,61 r (im Jahresdurchschnitt 2001).18 Auch Finnland hat schon seit längerem ei-

nen »Earned Income Tax Credit« eingeführt,der allerdings auf Gemeindeebene angesie-delt ist (Ochel 2000).

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(Netto-)Mindestlohns (Salaire minimum interprofessionel decroissance, SMIC)19 liegt – anhebt. Die Höhe der Steuer-gutschrift entspricht folgenden Sätzen des steuerpflichtigenLohns: 2,2% (2001), 4,4% (2002), 6,6% (2003). Sie wird suk-zessive abgebaut, sobald der Lohn das SMIC übersteigt.20

Die Steuergutschrift wird jeweils im September eines Jah-res auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheids desVorjahres erstattet. Der Betrag wird entweder von der zuzahlenden Steuer abgezogen oder erstattet. Am 15. Sep-tember 2001 erhielten 8,1 Mill. steuerpflichtige Geringver-diener eine Steuergutschrift von durchschnittlich 150 q.21

Dieser Betrag wird sich 2002 verdoppeln und 2003 ver-dreifachen.

Die französische Beschäftigungsprämie erhöht den Anreizfür Arbeitslose, eine niedrig bezahlte Tätigkeit anzuneh-men. Die Arbeitsanreize werden dabei insbesondere für Paa-re erhöht. Da der gesetzliche Mindestlohn nicht unterbotenwerden darf, sind einer Absenkung der Bruttolöhne als Fol-ge der Einführung der Beschäftigungsprämie und damitder Ausweitung der Nachfrage nach niedrig qualifizierten Ar-beitskräften allerdings Grenzen gesetzt.

III. Der ifo Vorschlag: Aktivierende Sozialhilfe

Drei Schritte zur Reform des Sozialhilfesystems

Sozialpolitik betreiben heißt im Kern, dass man den ArmenGeld gibt, das man den Reichen weggenommen hat. Dasist im Prinzip in Ordnung, denn die Unsicherheit der Lebens-und Karriererisiken wird dabei in einer Weise verringert, wiees die private Versicherungswirtschaft nicht vermag. DasProblem ist allerdings, dass diese Umverteilung das Verhal-ten der Geber und Nehmer verändert und dabei den Ku-chen verkleinert, der zu verteilen ist. Deshalb hat die Um-verteilung Grenzen, und sie sollte so organisiert werden, dassdie Leistungsbereitschaft der Bürger möglichst wenig ge-hemmt wird.

Wenn man den Arbeitsmarkt im Bereich niedriger Einkom-men in Deutschland wieder funktionsfähig machen möch-te, gibt es kaum Alternativen zu einer grundlegenden Re-form des sozialen Sicherungssystems, die in die Richtungdes US-amerikanischen Modells geht. Das Niveau der in denUSA gewährten staatlichen Sozialleistungen mag aus deut-

scher und europäischer Sicht unzureichend sein. Die dorti-gen Anreizmechanismen lassen sich jedoch kopieren. Ent-scheidend ist es, den von Arbeitslosigkeit betroffenen, ge-ring qualifizierten Erwerbspersonen Lohnergänzungsleis-tungen an Stelle zumindest eines Teils der Lohnersatzleis-tungen zukommen zu lassen. Im Gegensatz zum bisherigenSozialhilfesystem schaffen Lohnergänzungsleistungen Jobsund verhelfen zugleich denen, die dabei nicht genug ver-dienen, zu einer besseren Einkommensposition, als es imderzeitigen Sozialhilfesystem der Fall ist.

Das ifo Institut schlägt ein neues System der Sozialhilfe vor,mit Hilfe dessen die Auswirkungen auf Arbeitsangebot undArbeitsnachfrage im Bereich niedriger Qualifikationen grund-legend geändert werden, ohne dass dabei Mehrbelastun-gen für den Staat entstehen. Im Gegenteil, wenn die Reformihre volle Wirkung entfaltet, kann sogar mit einer finanziel-len Entlastung des Staatshaushalts gerechnet werden.

Die Reform ist durch drei Schritte gekennzeichnet:

• Im ersten Schritt werden die staatlichen Sozialhilfean-sprüche einschließlich des pauschaliert gewährten Wohn-gelds für erwerbsfähige Personen, die, aus welchen Grün-den auch immer, keiner Beschäftigung im ersten Ar-beitsmarkt nachgehen, deutlich abgesenkt. Dieses neueMindestniveau ist so niedrig, dass der Verbleib in dieserStufe bestenfalls für schwarz arbeitende oder anderwei-tig gesicherte Personengruppen attraktiv ist.

• Der zweite Schritt besteht darin, dass die Beschäftigungim ersten Arbeitsmarkt durch eine neuartige »Lohnsteu-ergutschrift« unterstützt wird. Diese Lohnergänzungs-leistung ist so bemessen, dass man bei einer Vollzeitbe-schäftigung zum Lohnsatz für Geringqualifizierte in derSumme aus erzieltem Arbeitslohn und staatlicher Unter-stützung über ein höheres Haushaltseinkommen verfü-gen kann als bei der heutigen Sozialhilfe. Zugleich ist siebei niedrigen Einkommen höher als die Sozialhilfe fürNichterwerbstätige.

• Der dritte Schritt ist dadurch gekennzeichnet, dass derStaat ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten für er-werbsfähige Personen anbietet, die im ersten Arbeits-markt nicht oder nicht sofort unterkommen. Der Lohnhierfür ist so bemessen, dass er für Sozialleistungsemp-fänger, die als erwerbsfähig eingestuft werden, exakt dasbisherige Sozialhilfeniveau gewährleistet. Unter dieserVoraussetzung muss auch nach der Reform niemand un-ter dem soziokulturellen Existenzminimum leben, soferner, ganz im Sinne der Bestimmungen in §§ 18 und 25 desgeltenden Bundessozialhilfegesetzes, bereit ist, eineGegenleistung im Rahmen öffentlich organisierter Be-schäftigung zu erbringen.

Die Ausgestaltung der einzelnen Reformschritte wird späternoch ausführlich erläutert. Neu ist insbesondere die nach

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19 Der SMIC betrug bei einer Vollzeitbeschäftigung im Jahr 2001 brutto6,72 r pro Stunde (1 136 r im Monat) und netto 5,38 r pro Stunde(909 r im Monat). Vgl. http://www.tripalium.com/chiffres/smic/ chiffre2/htm.

20 Zu den zahlreichen Sonderregelungen im Hinblick auf die Länge derwöchentlichen Arbeitszeit, der Zahl der abhängigen Personen, der Zu-sammensetzung des Einkommens von Eheleuten vgl. z.B. http://www.impotrevenue.com/fp-PrimeEmploi.htm.

21 Vgl. http://www.impotrevenue.com/fp-PrimeEmploi.htm.

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internationalen Vorbildern gestaltete Lohnsteuergutschrift.Grundsätzlich gibt es für diese Gutschrift, je nach Einkom-men, drei Förderstufen. In einer Eingangsstufe wird der je-weils erzielte Lohn durch eine in das Steuersystem integrierteLohnsteuergutschrift so bezuschusst, dass effektiv keine vomArbeitnehmer bezahlten Abgaben anfallen, sondern dasHaushaltseinkommen je Euro selbstverdienten Lohns ummehr als einen Euro steigt.22 In der nächsten Stufe bleibt dieSteuergutschrift betragsmäßig konstant. Danach kommt alsdritte Stufe ein Abschmelzungsbereich, in dem die Gutschriftallmählich wieder reduziert wird, so dass die Bezieher mitt-lerer und hoher Bruttolöhne durch Steuern und Sozialversi-cherungsbeiträge zu Nettozahlern an den Staat werden.

Generell sollte diese Lohnsteuergutschrift so zeitnah wiemöglich gewährt werden. Dies ist wichtig, um die Effekte derReform bei individuellen Arbeitsangebotsentscheidungenunmittelbar spürbar werden zu lassen. Es wäre sinnvoll, siebereits im Zusammenhang mit den monatlichen Lohnzah-lungen, etwa auf der Basis eines entsprechenden Eintragsin der Lohnsteuerkarte, vorläufig auszuzahlen und die defi-nitive Gewährung anlässlich der späteren Einkommensteu-erveranlagung zu überprüfen. Für zusammen zur Einkom-mensteuer veranlagte Ehepaare kann für die vorläufige Ge-währung möglicherweise ein Splitting-Verfahren eingeführtwerden, das den Korrekturbedarf bei der späteren Über-prüfung der tatsächlichen Ansprüche auf Lohnzuschüsse,die jeweils auf das gesamte im Haushalt erzielte Lohnein-kommen abzustellen hat, minimiert.

Der Reformvorschlag beseitigt die negativen Auswirkun-gen des derzeitigen Systems der Sozialhilfe für den Ar-beitsmarkt. Wie erläutert, bildet die Sozialhilfe alter Art der-zeit eine Lohnuntergrenze, weil sie annähernd Eins zu Einsreduziert wird, wenn man selbst ein Arbeitseinkommen er-wirbt. Kaum ein Anspruchsberechtigter nimmt eine regulä-re Stelle an, wenn er dabei weniger verdient als die Sozial-hilfe, die er ohne Arbeit vom Staat bekäme. Da anderer-seits kein Unternehmer eine Arbeitskraft einstellt, wenn sieweniger produziert, als sie kostet, können Anspruchsbe-rechtigte, deren Arbeitsproduktivität (gemessen an der Wert-schöpfung) unter dem Sozialhilfeniveau liegt, unter heutigenBedingungen praktisch nicht beschäftigt werden. Angesichtsdes Umstandes, dass der Sozialhilfeanspruch einer vier-köpfigen Familie in Westdeutschland (in Klammern: Ost-deutschland), wie erwähnt, bereits bei 65% (75%) des durch-schnittlichen Nettolohnes liegt, was einem Bruttolohn in Hö-he von 50% (65%) des Durchschnitts entspricht, ist davonauszugehen, dass die Arbeitslosigkeit unter den Sozialhil-feempfängern weitgehend durch die Sozialhilfe selbst ver-ursacht worden ist.

Die beiden ersten Schritte des ifo Vorschlages beseitigendie Lohnuntergrenze und werden deshalb zu einer deut-lichen Absenkung des Lohnes für einfache Arbeit führen. DieBetroffenen werden bereit sein, auch zu niedrigsten Löh-nen Beschäftigung anzunehmen, weil sie mit Arbeit mehr,und jedenfalls nicht weniger staatliche Unterstützung be-kommen als ohne Arbeit. Auch die Gewerkschaften werden,soweit tarifgebundene Bereiche betroffen sind, das Ihre tun,ihrer Klientel durch die Einrichtung neuer Niedriglohngrup-pen Zugang zu den Lohnsteuergutschriften zu verschaffen.Die Unternehmen und privaten Haushalte werden anderer-seits neue Stellen schaffen, weil sie Möglichkeiten für Ge-winn- und Nutzensteigerungen realisieren wollen, die durchdie niedrigen Löhne entstehen. Durch die Marktkräfte ent-faltet sich so der Niedriglohnbereich im privaten Sektor, des-sen Entwicklung bislang durch den Staat verhindert wurde.

Die Schaffung des Niedriglohnbereichs führt zu einem an-gebotsseitig ausgelösten Wachstumsschub für die Volks-wirtschaft, weil ein brachliegender Produktionsfaktor akti-viert und in den Produktionsprozess eingegliedert wird.Wachstum entsteht durch mehr Beschäftigung, nicht um-gekehrt. Befürchtungen, das zusätzliche Angebot fände sei-ne Nachfrage nicht, sind unangebracht. Selbstverständlichschafft die zusätzliche Produktion auch zusätzliche Nach-frage. Der Wert der zusätzlichen Produktion und die dabeiverdienten zusätzlichen Einkommen aller Beteiligten, aus de-nen ein Mehr an Nachfrage finanziert werden kann, ent-sprechen einander bis zum letzten Cent.

Im Prinzip reichen bereits die beiden ersten Schritte des ifoReformvorschlags aus, die angestrebten Beschäftigungs-effekte zu erreichen.23 Die Betroffenen werden wieder in dasArbeitsleben eingegliedert und erhalten die Möglichkeit, sichdort weiter zu qualifizieren. Der Schwarzarbeit wird der Bo-den entzogen. Wie bei jeder strukturellen Reform wird aller-dings ein langer Atem erforderlich sein, bis die Umstellungdes Sozialhilfesystems ihre volle Wirkung zeitigt. Währendder erforderlichen Anpassung des Arbeitsmarktes wird dieZahl der auf diese Weise geschaffenen Jobs kaum ausrei-chen können, um allen bisherigen Sozialhilfeempfängern Ar-beit und Brot im ersten Arbeitsmarkt zu geben. Um diesesProblem in den Griff zu bekommen, führt kaum ein Weg dar-an vorbei, dass der Staat selbst Arbeitsplätze zur Verfügungstellt. Während der Übergangsphase werden das mehr Jobssein als später, doch in gewissem Umfang wird ein dauer-haftes Engagement des Staates erforderlich sein. Wie nocherläutert wird, ist es vorstellbar, dass er dabei private Leih-

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22 Allerdings fallen noch die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung sowiedie Mehrwertsteuer an. Beide Abgaben zusammen genommen implizierentrotz der Lohnsteuergutschrift, dass die Nettobelastung der Wertschöp-fung der Arbeit positiv bleibt. Vergleiche dazu Abbildungen 3.3 c) bis 3.7 c).

23 Wie erwähnt kommt es dazu auch auf die Reaktionen der Tarifpartner an.Neben institutionellen Gründen (»Insider-Outsider«-Konflikte, die im Rah-men der Tarifautonomie bisher möglicherweise einseitig gelöst werden)können allerdings auch Effizienzlohngesichtspunkte oder persönliche Merk-male der ehemals Langzeitarbeitslosen (starke Dequalifikation, bis in denBereich normaler Erwerbsgewohnheiten hinein) verhindern, dass alle Er-werbsfähigen im ersten Arbeitsmarkt absorbiert werden.

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arbeitsfirmen einschaltet, die den Betroffenen einen indi-rekten Weg in die Privatwirtschaft bahnen.

Eine Politik, die sich nur der ersten beiden Schritte bedientund eine drastische Senkung des Einkommens derjenigenzulässt, die keine Beschäftigung am Markt finden, hätte si-cherlich stärkere Anreizwirkungen und würde den privatenNiedriglohnsektor rascher entwickeln. Indes wäre eine sol-che Politik mit unvertretbaren Härten gegenüber den Be-troffenen verbunden. Sie ist in Deutschland schon deshalbnicht durchsetzbar, weil das soziokulturelle Existenzmini-mum gesichert werden muss. Leistungen in Höhe diesesExistenzminimums zu versagen, wenn jemand sich ernst-haft um Arbeit bemüht, hieße, einen Konflikt mit dem Sozi-alstaatsgebot des Grundgesetzes heraufzubeschwören, dendas Verfassungsgericht vermutlich zugunsten der Betroffe-nen lösen würde.

Unter diesen Verhältnissen würde der Verzicht auf den drit-ten Schritt faktisch auch den Verzicht auf den ersten bedeu-ten: Es wird nicht möglich sein, die Leistungen bei Nichtar-beit substanziell abzusenken, wenn den Betroffenen mit denstaatlichen Jobs nicht zugleich ein sicherer Weg eröffnet wird,das zum eigenen Unterhalt notwendige Einkommen zu er-werben. Nur wenn die staatlichen Jobs angeboten werden,ist sichergestellt, dass ein jeder die Möglichkeit hat, ein Ein-kommen in Höhe der jetzigen Sozialhilfe zu verdienen. Undnur dann ist eine beträchtliche Kürzung der Sozialleistungenfür das Nichtstun möglich, was selbst wiederum Vorausset-zung dafür ist, dass die notwendigen Anreize für den Über-tritt in das Erwerbsleben geschaffen werden können.

Die Alternative, das heutige Sozialhilfeniveau für Erwerbsfä-hige, die untätig sind, unangetastet zu lassen und die Reformso zu gestalten, dass zusätzliche staatliche Mittel für Lohn-subventionen bereitgestellt werden, existiert nur scheinbar. Indiese Richtung gehen die bekannten Vorschläge für ein »Bür-gergeld« oder eine negative Einkommensteuer. Solche Vor-schläge, die das heutige Existenzminimum garantieren, ver-ursachen nach Schätzungen des DIW (1994) und von Gern(1996) Kosten in Höhe von 80 Mrd. q brutto (bei Annahmeeiner ähnlichen Transferentzugsrate, wie sie dem ifo Vorschlagzugrunde liegt).24 Sowohl das DIW als auch Gern machen da-bei keine Angaben über die Zahl der möglichen Anspruchs-berechtigten und quantifizieren mögliche Entlastungen durchneu Beschäftigte nicht. Das DIW beziffert lediglich partielleEntlastungen von 16 Mrd. q durch Einsparungen in der »lau-fenden Hilfe zum Lebensunterhalt«. Gern stellt überhaupt kei-ne Berechnungen zu möglichen Entlastungen an, schreibtaber: »Die fiskalischen Kosten der Einführung eines Bürger-

geldes sind bei vielen Varianten – vor allem wenn das Bür-gergeld in Höhe des Sozialhilfeniveaus festgelegt wird – sohoch, dass eine verschuldungsneutrale Finanzierung durchdie Reduzierung von Ausgaben an anderer Stelle nicht mög-lich scheint« (1996, S. 425). Ein Bürgergeldsystem wird im-mer zusätzliche Kosten verursachen, da ein neuer Subven-tionstatbestand geschaffen wird, der additiv zu den beste-henden Anspruchsgrundlagen hinzutritt, statt sie zu ersetzen.

Das kann nicht der Weg sein, den Deutschland gehen kann,denn die Grenzbelastung der Arbeit ist schon heute uner-träglich hoch. Ein durchschnittlicher deutscher Arbeitneh-mer hat derzeit auf die zusätzliche Wertschöpfung, die eraufgrund einer Erhöhung der Arbeitszeit oder einer Verbes-serung seiner Qualifikation erwirtschaften könnte, eine Ab-gabenbelastung von etwa 65% zu tragen (vgl. Abb. 1.6).Dies ist im internationalen Vergleich der höchste Wert unterallen Industrieländern.25 Es gibt deshalb keine Alternative zurFinanzierung der Lohnsteuergutschriften durch eine Ab-senkung der Sozialhilfe für diejenigen, die sich entschließen,von den neuen Möglichkeiten der aktivierenden Sozialhilfekeinen Gebrauch zu machen.

Einen gangbaren Weg zu mehr Beschäftigung im Niedrig-lohnbereich und zur Aktivierung des Arbeitskräftepotenzi-als der Sozialleistungsempfänger eröffnet nur eine Reformaus einem Guss, die alle drei vom ifo Institut vorgeschlage-nen Schritte umfasst: Senkung der Sozialleistungen für Er-werbsfähige, die jede Arbeit ablehnen; Subventionierung ge-ringer Löhne bei einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt;staatlich garantierte Jobs für Personen, die keine reguläreArbeit finden.

Für die Umsetzung dieser Reformschritte ist es von großerBedeutung, den Adressatenkreis genauer einzugrenzen unddabei insbesondere die Kriterien der Erwerbsfähigkeit von So-zialleistungsbeziehern näher zu definieren. Dieses Problemist nicht neu und wird, wenn auch mit gewissen Randun-schärfen und Unsicherheiten, schon heute sowohl in der Ar-beits- und Sozialverwaltung als auch im Rahmen wissen-schaftlicher Arbeitsmarktbeobachtung gelöst. Die Analysewird auf diesen Punkt zurückkommen, wenn es um eine Quan-tifizierung der wichtigsten Parameter des ifo Reformvor-schlags, des Beschäftigungspotenzials im Bereich gering qua-lifizierter Arbeit und der fiskalischen Folgen geht. Zuvor sindeinige ergänzende Überlegungen zu den bereits genanntenund einigen weiteren Elementen der Reform anzustellen.

Begleitende Reformen der Arbeitsmarktpolitik

Der ifo Vorschlag verfolgt das Ziel, Arbeitslose in Beschäf-tigung zu bringen. Im Zentrum steht eine Reform der Sozi-

21

24 Variante 3 des DIW-Vorschlags mit 75% Anrechnungssatz, Version 3Ades Gern-Vorschlags mit 70% Anrechnungssatz (vgl. DIW 1994, Gern1996 sowie Experten-Kommission Alternative Steuer-Transfer-Systeme1996). 25 Vgl. dazu Leibfritz et al. (2000).

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alhilfe, die nicht mehr als Lohnersatzleistung, sondern alsLohnergänzung ausgestaltet werden soll. Damit der Erfolgdieser Reform nicht beeinträchtigt wird, sind jedoch auchandere Elemente der Arbeitsmarktpolitik in Hinblick auf ih-ren Beitrag zur Beschäftigungserhöhung zu überprüfen undggf. anders auszugestalten. Hierzu gehören das Arbeitslo-sengeld und die Arbeitslosenhilfe als Maßnahmen der pas-siven Arbeitsmarktpolitik sowie Beratung und Vermittlung,berufliche Weiterbildung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen(ABM) und Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) als Ins-trumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik.

Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung, die mitEintritt der Arbeitslosigkeit gewährt wird. Sie dient der Ab-sicherung des Einkommens und erlaubt den Arbeitslosen,sich für die Suche eines neuen Arbeitsplatzes Zeit zu neh-men. Die Gewährung von Arbeitslosengeld wird in der ak-tuellen Diskussion nicht in Frage gestellt.26 Wohl aber istdie Arbeitslosenhilfe in die Kritik geraten. Arbeitslosenhilfewird nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes gewährt, undzwar grundsätzlich unbefristet. Die Leistungshöhe orien-tiert sich am letzten Nettoeinkommen. Arbeitslosenhilfe wirdallerdings nur bei Bedürftigkeit gezahlt und, anders als dasArbeitslosengeld, aus allgemeinen Haushaltsmitteln des Bun-des finanziert.

Arbeitslosenhilfe trägt ihrerseits zur Entstehung von Lang-zeitarbeitslosigkeit bei. Hierfür ist primär ihre unbefristete Be-zugsdauer verantwortlich, die in der überwiegenden Zahlder anderen EU-Länder so nicht üblich ist (vgl. die Überbli-cke in der Datenbank DICE unter http://www.cesifo.de).International vergleichende Untersuchungen zeigen, dassmit der Dauer der Gewährung staatlicher Transfers die Ar-beitslosigkeit zunimmt (Nickell und Layard 1999; Nickell etal. 2002). Dies hängt damit zusammen, dass die Arbeitslo-senhilfe ebenso wie die Sozialhilfe eine Untergrenze in dieLohnstruktur einzieht und damit aus einem ähnlichen Grun-de die Schaffung von Arbeitsplätzen verhindert.

Anlass zur Kritik liefert auch die Zwitterstellung der Arbeits-losenhilfe als lohnbezogene Sozialleistung, die gleichzeitigFürsorgecharakter besitzt, und die daraus resultierendeÜberlappung mit der Sozialhilfe. Die Arbeitslosenhilfe be-misst sich nach einem viel früher erzielten Markteinkommen,das ein Langzeitarbeitsloser bei Wiedereingliederung in denArbeitsmarkt im Regelfall bestenfalls langfristig wieder er-reichen kann, an das er aber seine Lohnerwartungen im-mer noch knüpft. Insofern hält die Arbeitslosenhilfe auchdie Reservationslöhne formell höher qualifizierter Arbeitslo-ser hoch und verfestigt auch bei ihnen Arbeitslosigkeit. Im

Fall gering qualifizierter Arbeitsloser kann die Arbeitslosen-hilfe andererseits das Existenzminimum unterschreiten, sodass zugleich ergänzende Sozialhilfe beansprucht wird. Da-mit sind zwei Systeme für eine Person zuständig. Leis-tungsempfänger müssen sich mit zwei Leistungsgesetzenund Verwaltungen auseinandersetzen. Die Arbeits- und So-zialverwaltungen müssen erhebliche Doppelarbeit leisten(Berthold et al. 2000).

Die getrennte Zuständigkeit von Arbeitsverwaltung (Ar-beitslosenhilfe) und Kommunen (Sozialhilfe) bildet darüberhinaus ein gravierendes Problem für eine gezielte Bekämp-fung von Langzeitarbeitslosigkeit. Die durch Beiträge undvom Bund finanzierte Arbeitsverwaltung konzentriert ihreMaßnahmen zur Beschäftigungsförderung auf die Bezieherder Arbeitslosenhilfe, die Kommunen wenden sich dagegenbevorzugt an die Sozialhilfeempfänger. Die Trennung derAufgaben schafft Anreize, Transferempfänger von einem Sys-tem in das andere zu schieben. Bei dieser »Verschiebepo-litik« spielen fiskalische Überlegungen eine viel größere Rol-le als dies arbeitsmarkt- und sozialpolitisch geboten wäre(Feist und Schöb 1998; Hanesch und Balzter 2000).

All diese Überlegungen sprechen dafür, Arbeitslosenhilfe undSozialhilfe zusammenzufassen, wobei die Leistungen denreformierten Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes ent-sprechen sollten, wie sie hier vorgeschlagen werden.27 Dieneue Sozialhilfe sollte, der so genannten Ausführungskon-nexität folgend, auf kommunaler Ebene angesiedelt werden.Dies ist administrativ geboten und ökonomisch sinnvoll. DieBeschäftigungsförderung kann auf lokaler Ebene effizientererfolgen als zentral durch den Bund (Huber und Lichtblau2002).

Von den Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik wirdeiner intensiven Beratung und einer verbesserten Vermitt-lung der Arbeitslosen in Zukunft eine noch größere Bedeu-tung zukommen als in der Vergangenheit. Hier sind mit demJob-AQTIV-Gesetz wichtige Anstöße gegeben worden. Auchauf die Förderung der beruflichen Weiterbildung wird manin Zukunft nicht verzichten können, obwohl die für Deutsch-land vorliegenden Evaluationsstudien eine eher geringe Ef-fektivität der Maßnahmen signalisieren (Hagen und Steiner2000; Schmidt et al. 2001). Die Maßnahmen sind so aus-zugestalten, dass sie die Chancen der Teilnehmer auf demArbeitsmarkt verbessern und den Mismatch am Arbeits-markt möglichst weitgehend reduzieren.

Auf die Fortführung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmenund Strukturanpassungsmaßnahmen sollte dagegen ver-

22

26 Wohl aber wird insbesondere eine Verkürzung der Bezugsdauer (Sach-verständigenrat 2001, Ziffer 424) und eine Leistungskürzung mit zuneh-mender Dauer des Bezugs (Franz 2002) verlangt. Eine Reform der Ar-beitslosenversicherung wird im Rahmen des ifo Vorschlags nicht thema-tisiert.

27 Es wäre zu prüfen, in welcher Weise die bei Arbeitslosenhilfe und Sozial-hilfe unterschiedlichen Kriterien der Bedürftigkeitsprüfung zur Anwendungkommen sollten und ob Sozialhilfeempfänger in Zukunft Rentenanwart-schaften erwerben sollen, wie es heute für Arbeitslosenhilfeempfänger derFall ist.

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zichtet werden. Diese Maßnahmen passen nicht zu einemsozialen Sicherungssystem, das konsequent auf eine Be-schäftigung im regulären Arbeitsmarkt ausgerichtet ist, nichtzuletzt, weil diese Maßnahmen die Chancen für einen Über-tritt in den ersten Arbeitsmarkt kaum verbessert haben (Ber-gemann und Schultz 2000; Eichler und Lechner 2001). Nachder hier vorgeschlagenen Reform werden viele der typischenTeilnehmer an ABM und SAM attraktivere Arbeitsplätze imregulären (ersten) Arbeitsmarkt finden. Die restlichen Teil-nehmer werden Sozialhilfe erhalten und einer Beschäftigungunter kommunaler Kontrolle nachgehen, bei der aber eben-falls klare Anreize bestehen, bei der ersten sich bietendenGelegenheit eine reguläre Arbeit aufzunehmen. Die Be-schäftigung in kommunaler Regie kann von der Art der bis-herigen ABM-Beschäftigung sein, sie kann aber auch auf in-direkte Weise im privaten Sektor stattfinden, etwa indem dieKommunen die ihnen anvertrauten Sozialhilfeempfänger beiLeiharbeitsfirmen unterbringen.

Mit der Durchführung der hier skizzierten Reformen würdedas System der Arbeitsmarktpolitik stark vereinfacht. DieBundesanstalt für Arbeit wäre weiterhin für die Gewährungvon Arbeitslosengeld und die berufliche Weiterbildung ver-antwortlich. Die Zuständigkeit für die Auszahlung der Sozi-alhilfe und die Durchführung der öffentlichen Beschäfti-gungsmaßnahmen läge bei den Kommunen. Arbeitsver-waltung und Kommunen könnten gemeinsam auf kommu-naler Ebene Jobzentren errichten, denen die Aufgabe zu-käme, die Arbeitslosen individuell zu betreuen, sie möglichstschnell wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln28 unddie Inanspruchnahme von Leistungen der Bundesanstalt fürArbeit und der Kommunen zu organisieren (vgl. Abb. 3.1).Eine solche Lösung entspricht den »One-stop«-Modellenzur Betreuung von Arbeitslosen aus einer Hand, die auch inmehreren anderen Ländern im Zuge grundlegender Refor-men von Arbeitsmarktpolitik und sozialen Sicherungssys-temen eingeführt wurden. Dabei können die Jobzentren auchmit privaten Arbeitsvermittlern zusammenarbeiten und ih-rerseits private Leiharbeitsfirmen einschalten, um diejenigen,die auf direktem Wege keinen Zugang zu einer regulären Be-schäftigung finden, auf diese Weise in der Privatwirtschaftunterzubringen.

Mit der Abschaffung von Arbeitslosenhilfe, ABM und SAMauf der einen und der Einführung des Gegenleistungsprin-zips für Sozialhilfeempfänger auf der anderen Seite sindBe- und Entlastungen der einzelnen staatlichen Ebenen undder Bundesanstalt für Arbeit verbunden. Grob gesprochenentlastet der Wegfall der steuerfinanzierten Arbeitslosenhil-fe den Bund. Die Abschaffung von ABM und SAM entlas-tet direkt vor allem die Bundesanstalt für Arbeit und die Kom-munen, und sie belastet den Bund. Die Integration der Ar-

beitslosenhilfe in die Sozialhilfe sowie die Einführung kom-munaler Arbeit als Gegenleistung für die Gewährung von So-zialhilfe belastet schließlich die Kommunen. Welche Netto-effekte dabei für die einzelnen öffentlichen Haushalte ent-stehen und wie die per saldo belasteten Institutionen durchdie entlasteten kompensiert werden sollten, kann hier nichtdargelegt werden. Nützlich sind in diesem Zusammenhangdie Überlegungen von Huber und Lichtblau (2002) zur Zu-sammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

Der Sinn von Lohnzuschüssen: Verteilungs- undAnreizaspekte

Für viele Beobachter, insbesondere für Ökonomen, mag derVorschlag, auf breiter Basis staatliche Zuschüsse zu gerin-gen Lohneinkommen zu gewähren, befremdlich klingen. Eingewisses Misstrauen gegenüber groß angelegten Subven-tionsprogrammen, die das Verhalten von Unternehmen oderprivaten Haushalten beeinflussen sollen, ist grundsätzlichangebracht. Doch überwiegen hier die Argumente zuguns-ten solcher Lohnzuschüsse, vor allem wenn man sie mit demStatus quo vergleicht, der auf eine nicht minder groß ange-legte Subventionierung der Nicht-Beschäftigung gering qua-lifizierter Erwerbspersonen hinausläuft.

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Abb. 3.1

Quelle: ifo Institut.

28 Dabei sollten auch private Vermittler eingeschaltet werden.

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Eines der wichtigsten Motive für die Gewährung der vomifo Institut vorgeschlagenen Lohnsteuergutschrift liegt dar-in, dass nur auf diesem Wege das Lohnniveau im Niedrig-lohnsektor insgesamt und rasch abgesenkt und damit dieNachfrage nach gering qualifizierter Arbeit erhöht werdenkann. Zielgruppenspezifische Ansätze (vgl. Jerger und Sper-mann 1997; Spermann 1998) weisen ähnliche Effekte bes-tenfalls langfristig und nach umständlichen Anpassungs-prozessen auf. Vor allem basieren sie auf der problemati-schen Annahme, dass der wichtigste Engpass für vermehrteBeschäftigung in fehlenden Arbeitsanreizen oder einem durchbefristetes Training on the job korrigierbaren Leistungs-rückstand der Geringqualifizierten liegt.

Diese Einschätzung wird vom ifo Institut nicht geteilt. Viel-mehr ist davon auszugehen, dass die Betroffenen im Prin-zip arbeitswillig sind, sich aber irrational verhielten, wennsie Stellen annähmen, die nicht einmal einen Lohn in Höheder Sozialhilfe brächten. Stellen für einfache Arbeit fehlen,weil die einfache Arbeit vor diesem Hintergrund zu teuer ist.Sobald die Löhne für einfache Arbeit fallen, werden zusätz-liche Jobs entstehen, weil es dann für Arbeitgeber, seien esnun Unternehmen oder private Haushalte, rentabel wird,sie zu schaffen. Im Übrigen muss man davon ausgehen,dass es viele Menschen gibt, deren Leistungsfähigkeit trotzintensiver Ausbildung dauerhaft stärker unter dem Durch-schnitt liegt als die Sozialhilfe unterhalb des durchschnitt-lichen Nettoeinkommens an Spielraum lässt. Diese Men-schen können nur auf dem Wege über dauerhafte Lohn-senkungen in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Sofern die Arbeitskraft der Betroffenen in einer engen Subs-titutionsbeziehung zu der Arbeitskraft bereits beschäftigterPersonen steht, wird es nicht ausreichen, nur ihre eigenenLöhne abzusenken. Dies würde die Unternehmen veran-lassen, einen Teil der zu hohen Löhnen beschäftigten Ar-beitnehmer durch Neuankömmlinge zu ersetzen, die dankder Lohnsteuergutschriften zu niedrigeren Löhnen zu ar-beiten bereit sind. Um solche »Drehtüreffekte« zu vermei-den, führt an einer Senkung der Löhne aller Geringqualifi-zierten deshalb kein Weg vorbei, und insofern muss auchallen Geringqualifizierten die Lohnsteuergutschriften gewährtwerden.

Diese Überlegung zeigt, dass die Gewährung der Lohn-steuergutschrift nicht nur als Anreizinstrument, sondern vorallem auch als verteilungspolitische Maßnahme zu sehen ist.Auch der US-amerikanische Earned Income Tax Credit sollvorrangig dazu dienen, das Phänomen der »Working poor«zu bekämpfen. Vollzeitbeschäftigte mit niedrigem Lohn sol-len bezuschusst werden, damit ihr Haushaltseinkommenüber die Armutsgrenze angehoben wird. Vor diesem Hinter-grund ist es irreführend, bei der Lohnsteuergutschrift sogenannte »Mitnahmeeffekte« zu befürchten, die darin be-

stehen, dass sie nicht nur an bisher nicht-erwerbstätige Per-sonen gezahlt werden, sondern an alle Haushalte mit nied-rigen Lohneinkommen (vgl. Riphahn, Thalmaier und Zim-mermann 1999, S. 43 f.; Kaltenborn 2001, S. 47). Wenn derSinn der Lohnzuschüsse nur wäre, Beschäftigungsanreizezu schaffen, könnte man darin in der Tat ein Problem se-hen. Soweit die vom ifo Institut vorgeschlagene Reform aberbewirkt, dass die Löhne für Geringqualifizierte auf Dauer sin-ken, ist eine dauerhafte Bezuschussung der Löhne erfor-derlich, die alle Betroffenen, insbesondere auch die bereitsbeschäftigten Arbeitnehmer einbezieht. Was manchem alsmöglichst zu vermeidender »Mitnahmeeffekt« erscheint, istaus verteilungspolitischer Sicht eine ganz wesentliche Er-folgsbedingung des Reformvorschlags des ifo Instituts.

Für eine Subventionierung des Einkommens von Gering-verdienern sprechen darüber hinaus aber noch weitere,handfeste ökonomische Gründe, die in der Debatte überLohnsubventionen im Niedriglohnsektor zumeist übersehenwerden. Klarzustellen ist dabei allerdings zunächst, dass derifo Vorschlag zwar auf eine relative Begünstigung der Adres-saten der Lohnsteuergutschrift hinausläuft, aber nicht auf ei-ne absolute Subventionierung des Einsatzes relativ unpro-duktiver Arbeitskräfte.

Der Vorschlag des ifo Instituts folgt der US-amerikanischenPraxis, der Aufnahme von Arbeit nicht nur fiskalisch neutralgegenüberzustehen, sondern sie in einem gewissen Sinneinnerhalb eines Anfangsbereichs sogar zu subventionieren.Während die alte Sozialhilfe wegen des Transferentzugs inweiten Bereichen durch eine Grenzbelastung der Arbeit von100% gekennzeichnet ist, führen die Lohnzuschüsse zu ei-ner echten Subvention des Einkommens, also zu einer ne-gativen Grenzbelastung.29 Wer sich entschließt zu arbeiten,bekommt bis zu einem bestimmten Einkommen zu der So-zialhilfe für Nichterwerbstätige zusätzlich eine Lohnsteuer-gutschrift von 20% hinzu, ohne dass er Arbeitnehmerbei-träge zur Sozialversicherung oder andere lohnbezogene Ab-gaben selbst zahlen müsste.

Allerdings ist nur die Grenzbelastung des Einkommens undnicht jene der Wertschöpfung der Arbeit negativ. Wie schonerwähnt, kommt es bei einer allokativen Betrachtung nurauf letztere an, denn sie erfasst die Summe aller fiskalischenEffekte auf das Arbeitsangebot. Vom ersten Euro Lohn angerechnet fallen beim ifo Modell bereits Arbeitgeberbeiträgezur Sozialversicherung an, und außerdem muss der Arbeit-geber die Mehrwertsteuer auf die Wertschöpfung der Arbeitzahlen. Per saldo bedeutet dies, dass die anfängliche Grenz-belastung der Wertschöpfung der Arbeit trotz der Subven-tionierung des Arbeitseinkommens bei 14,3% liegt. Das ist

24

29 Dass dies – im Vergleich zu anderen Modellen existenzsichernder Sozial-leistungen – die eigentliche Besonderheit des US-amerikanischen EITC-Modells ist, hebt etwa Keen (1997) hervor.

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sehr viel weniger als die Grenzbelastung der Wertschöp-fung von ziemlich genau zwei Dritteln, die ein Lohnbeziehermit einem durchschnittlichen Einkommen in Deutschlandheute zu tragen hat (vgl. Abb. 1.6 und 3.3 bis 3.7).

Auch die relative Subventionierung der Arbeit mag man fürkritikwürdig halten, denn sie setzt besonders große Anreizefür die Beschäftigung von Geringverdienern und führt inso-fern zu einer Ungleichbehandlung verschiedener Typen vonArbeitnehmern.30 Indes sprechen für eine solche Politik ver-schiedene Gründe, die allesamt als volkswirtschaftlich ge-wichtig anzusehen sind und damit zu tun haben, dass es er-hebliche positive externe Effekte der Beschäftigung von Ge-ringverdienern gibt:

• Wer eine Beschäftigung im Niedriglohnsektor aufnimmt,wird mit gewisser Wahrscheinlichkeit später den Aufstiegin höhere Positionen der Lohnhierarchie schaffen, aus de-nen heraus er dann steuerpflichtig wird und höhere So-zialversicherungsbeiträge leistet. Damit führt der Einstiegin ein Beschäftigungsverhältnis zu einer fiskalischen Ex-ternalität mit positiven Effekten für andere Nutznießer desStaatsbudgets bzw. für die Steuerzahler. Dies rechtfer-tigt die Förderung und damit die Erhöhung der Beschäf-tigung durch staatliche Maßnahmen.

• Jede Anstellung setzt ein gewisses Maß an Einweisungund Unterrichtung des Arbeitnehmers voraus. Wegen desunbeschränkten Kündigungsrechts des Arbeitnehmerskann die Unternehmung, die die Anstellung und Unter-richtung vornimmt, sich nicht wirksam dagegen schüt-zen, dass der Arbeitnehmer das Unternehmen nach Ab-schluss der Lernphase verlässt, um das erworbene Wis-sen anderweitig zu vermarkten. Die Folge ist auf Seitender Unternehmen eine Unterinvestition in Anstrengungenzur Einstellung und Ausbildung neuer Arbeitnehmer. Die-ser Unterinvestition kann durch eine Lohnsubvention ent-gegengewirkt werden.31

• Wer sich aufgrund einer Lohnsubvention aktiv auf die Su-che nach einem Arbeitsplatz begibt, vermindert die Such-kosten, die andere Marktpartner haben. Deshalb mussauch die Existenz positiver Suchexternalitäten auf po-tenzielle Marktteilnehmer als ein wichtiges Argument fürsolche Subventionen angesehen werden.

• Wenn die Steuerzahler als Finanziers der Lohnsubven-tionen eine paternalistische Erziehungsabsicht gegen-über den Sozialhilfeempfängern hegen, so ist dies eine

Nutzenexternalität, die auch von einer liberalen Wirt-schaftspolitik zu respektieren ist.32

• Mit der Beschäftigungsaufnahme wird die familiäre Situ-ation der Betroffenen stabilisiert, wodurch insbesonderefür heranwachsende Kinder ein günstigeres Umfeld ge-schaffen wird. Die Fehlorientierung, die die bei den El-tern erlebte Arbeitslosigkeit oder Schwarzarbeit für dieKinder bedeutet, wird vermieden. Die Subventionierungder Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur Erziehungder nachfolgenden Generation.

• Die Aufnahme einer regelmäßigen Beschäftigung lenktvon problematischen Ersatzaktivitäten ab, die bis hin zukriminellen Handlungen reichen können. Der Neo-Na-zismus unter den Jugendlichen der neuen Länder ist si-cherlich großenteils auf die aus der Arbeitslosigkeit re-sultierende Erwerbs- und Perspektivenlosigkeit zurück-zuführen, die selbst wiederum zu einem hohen Maße dasErgebnis der Anreizwirkungen des Sozialsystems ist. Auchdies spricht dafür, konkrete Anreize für die Arbeitsauf-nahme zu setzen, wie es mit der Realisierung des ifoModells geschähe.33

Diese Gründe sprächen in der Summe sogar dafür, die Ar-beit der Geringverdiener in einem absoluten Sinne zu sub-ventionieren. Zumindest sollten sie aber ausreichen, die re-lative Subventionierung im Vergleich zu anderen Einkom-mensbeziehern zu legitimieren, die das Kennzeichen desifo Vorschlages ist.

Kommunale Beschäftigung für Sozialhilfe-empfänger

Die vom ifo Institut vorgeschlagene Reform des Sozialhilfe-systems wird die Beschäftigung im Niedriglohnbereich nach-haltig erhöhen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass einTeil der Langzeitarbeitslosen zumindest anfangs, bevor dieMärkte reagiert haben, keine reguläre Arbeit findet. Für die-se Personen ist der im Sozialhilferecht bestimmte Mindest-bedarf in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums si-cherzustellen. Nach dem ifo Vorschlag erhalten sie deshalbweiterhin eine Sozialhilfe in heutiger Höhe. Allerdings wirddiese Sozialhilfe nur unter der Voraussetzung gewährt, dassdie Sozialhilfeempfänger eine Gegenleistung in Form kom-munal organisierter Arbeit erbringen.

Aus der Sicht eines liberalen Ansatzes ist die staatliche Be-reitstellung von Arbeitsplätzen nicht unproblematisch, weilsie einen neuen Sektor staatlicher Beschäftigung schafft,den es vorher nicht gegeben hat. Wiederum darf man je-doch nicht übersehen, dass die staatlichen Jobs die Alter-

25

30 Vgl. etwa Breyer (2002), der auf die Fehlanreize verweist, die durch jedeArt der Subventionierung entstehen. Diese gerade für Ökonomen nahe-liegende Sicht der Dinge ist hier jedoch ebenso einfach wie trügerisch.Sie gilt nur im Rahmen einer idealen Welt mit »First-best«-Charakter odermit einem Abgabensystem, das bereits in der Ausgangssituation alle Al-lokationsprobleme im Sinne eines »Second-best«-Optimums vollständigbeseitigt.

31 Vgl. dazu Beckmann und Werding (2002).32 Vgl. Hochman und Rogers (1969).

33 Weitere allokative Begründungen für Lohnsubventionen, die sich im Kon-text von Wage-setting- und Bargaining-Ansätzen ergeben, findet manbei Layard et al. (1991, S. 490 ff.).

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native zu der staatlich finanzierten Untätigkeit sind, die esheute in Deutschland gibt. Sie sind aus verschiedenen Grün-den sicherlich als das kleinere Übel anzusehen:

• Dem Sozialhilfebezug wird durch die staatliche Arbeitein Teil seiner Attraktivität genommen, was den Anreiz,sich im privaten Sektor nach einer Beschäftigung umzu-sehen, erhöht.

• Bei gleichen Kosten für den Staat werden nützliche Ar-beiten verrichtet, die sonst nicht stattgefunden hätten, sogering die Produktivität der Betroffenen auch immer seinmag.

• Die kommunale Arbeit trägt zur Aktivierung der Sozial-hilfeempfänger bei und erleichtert ihnen den anschlie-ßenden Übergang in den ersten Arbeitsmarkt.

Eine Verpflichtung zur Arbeit ist zwar schon im § 18 desgeltenden Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) verankert, undgemäß § 25 kann die Sozialhilfe unter das gesetzliche Exis-tenzminimum gesenkt werden, wenn die Aufnahme einerzumutbaren Arbeit verweigert wird. De jure bietet die Sozi-alhilfe somit keinen Anlass, in der Untätigkeit zu verharren.In der Praxis greifen diese Regelungen aber nur unvollkom-men. Die geltende Rechtsprechung hebelt den § 18 BSHGteilweise aus. Insbesondere die Regelung in § 18 Abs. 3,nach der die Aufnahme einer Arbeit dem Hilfeempfänger zu-mutbar sein muss, sofern keine besonderen persönlichenEinschränkungen vorliegen, eröffnet Interpretationsspiel-räume für die Entscheidungen der Gerichte. Außerdem bür-det sie den Sozialämtern eine schwierige Beweislast auf, vorder diese nicht selten kapitulieren. Faktum ist, dass die So-zialhilfe derzeit, je nach Abgrenzung, von ca. 800 000 bis1 Mill. erwerbsfähigen Personen bezogen wird, die nicht,oder jedenfalls nicht im regulären Arbeitsmarkt, arbeiten.Dies zeigt, welch geringe praktische Bedeutung die recht-liche Verpflichtung zur Arbeit wirklich hat.

Das ifo Modell ist von solcherlei Schwierigkeiten befreit,weil die Sozialhilfe alter Höhe den Charakter eines Lohnesfür kommunale Arbeit hat. Aus welchen Gründen auch im-mer ein arbeitsfähiger Sozialhilfebezieher seiner Arbeit fern-bleibt, er erhält in diesem Fall nur den reduzierten Satz, derfür Nicht-Erwerbstätige vorgesehen ist. Insofern erübrigt sichdie Frage der Beweislast. Sie verlagert sich allerdings auf dieFrage, wer arbeitsfähig ist.

Wie noch näher erläutert wird, folgt der ifo Vorschlag demso genannten »Leipziger Modell«: Bei nicht erwerbstätigen,aber arbeitsfähigen Personen werden Regelsatz und ein-malige Leistungen gestrichen; nur Leistungen für Kinder so-wie das Wohngeld bleiben erhalten.34 Diese Härte ist erfor-derlich, weil sonst die gewünschten Anreizeffekte nicht er-zielt werden. Sie ist zugleich zumutbar, weil es ja die staat-liche Beschäftigung gibt. Jeder, und wirklich jeder, wird dieMöglichkeit erhalten, durch eigene Arbeitsleistung ein Ein-

kommen in Höhe der heutigen Sozialhilfe zu erwirtschaf-ten. Wenn jemand darauf verzichtet, das staatliche Be-schäftigungsangebot anzunehmen, so kann vermutet wer-den, dass er über ausreichende anderweitige Einkommenverfügt, mögen sie nun legalen oder illegalen Quellen ent-stammen. Die staatliche Beschäftigung führt zu einer Selbst-selektion der wirklich Bedürftigen und damit zu einer we-sentlich zielgenaueren Ausrichtung der Sozialhilfe, als es diebeste Sozialverwaltung vermöchte.

Wie eingangs dieses Kapitels schon erläutert wurde, liegtein unabweisbarer Grund für die Einführung der kommuna-len Beschäftigungspflicht für Sozialhilfeempfänger in derKombination aus rechtlichen und fiskalischen Beschrän-kungen, die in Deutschland nun einmal gegeben sind. Zumeinen ist es nicht möglich, jenen Personen, die keine Stelleim regulären Arbeitsmarkt finden, ein Einkommen in Höheder heutigen Sozialhilfe zu versagen. Zum anderen hat derStaat angesichts der ohnehin zu hohen Steuerbelastung derregulären Arbeit nicht die Möglichkeit, seine Ausgaben fürsoziale Zwecke weiter zu steigern. Beides erzwingt gera-dezu die Lösung, die das ifo Institut vorschlägt, denn ohnedie kommunale Beschäftigungspflicht kann man die Zah-lungen für Nichterwerbstätige nicht absenken, und ohneeine solche Absenkung lassen sich die notwendigen An-reizeffekte auf dem Arbeitsmarkt nur zu prohibitiv hohen Kos-ten für den Staat erreichen.

Für die Verpflichtung der Sozialhilfeempfänger zu kommuna-ler Arbeit sprechen darüber hinaus auch folgende Gründe:

• Persönliche, die Arbeitsfähigkeit reduzierende Ein-schränkungen können als Grund für eine Verweigerungkommunaler Arbeit kaum noch geltend gemacht werden.Anders als es im ersten Arbeitsmarkt möglich ist, kön-nen kommunale Beschäftigungsgesellschaften die Ar-beitsanforderungen an die Fähigkeiten der Beschäftigtenanpassen und den Sozialhilfeempfängern Tätigkeiten zu-weisen, für die sie noch geeignet sind. Dies wiederumermöglicht eine engere Interpretation des Begriffes der Er-werbsunfähigkeit. Auch Personen mit eingeschränkter Er-werbsfähigkeit könnten und sollten beschäftigt werden.

• Die Arbeitspflicht für Sozialhilfeempfänger dient nicht nurdazu, die Reduzierung des Sozialhilfeanspruches von Ar-beitslosen abzustützen, sondern verfolgt auch das Ziel,Sozialhilfeempfänger zu aktivieren und auf eine reguläreArbeit vorzubereiten. Sie wirkt der Dequalifizierung undDemotivierung von Langzeitarbeitslosen entgegen, die

26

34 Das vom ifo Institut vorgeschlagene Ausmaß der Absenkung der Ansprüchevon Sozialhilfeempfängern, die nicht arbeiten wollen, dürfte sich im ge-setzlichen Rahmen halten. Schon heute ist die Hilfe zum Lebensunterhaltum mindestens 25% des maßgebenden Regelsatzes zu kürzen, wenn Ar-beit verweigert wird. Darüber hinausgehende Kürzungen liegen im Er-messen des Sozialhilfeträgers (Bäcker et al. 2000, S. 381). Einzelne Kom-munen, darunter die Stadt Leipzig, haben die Sozialhilfe bei Arbeitsver-weigerung ganz gestrichen.

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mit der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nach alter Art ver-bunden ist. Mit der kommunalen Arbeit können Fähig-keiten (wieder-)erworben werden, die in einem regulärenJob verlangt werden. Hierzu zählen Pünktlichkeit, Ver-lässlichkeit, soziales Verhalten und die Fähigkeit, sich dau-erhaft anzustrengen. Durch begleitendes Training kön-nen berufsrelevante Kenntnisse erworben werden. Per-sonen, die in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt oderpsychisch labil sind, können durch Tätigkeiten in Reha-bilitationswerkstätten und begleitende therapeutischeMaßnahmen auf eine Tätigkeit im ersten Arbeitsmarkt vor-bereitet werden.

• Mit der Einführung der verpflichtenden Gegenleistung wirddie Schwarzarbeit von Sozialhilfeempfängern weitgehendunterbunden, denn wer acht Stunden am Tag für denStaat arbeitet, kann nicht zugleich einer umfangreichenTätigkeit in der Schattenwirtschaft nachgehen. Generellverliert die Sozialhilfe durch die Gegenleistung in Formkommunaler Arbeit einen großen Teil ihrer Attraktivität,was ergänzend zur Lohnsteuergutschrift den An-spruchslohn für reguläre Beschäftigungsverhältnissesenkt und mithilft, mehr Jobs zu schaffen.

• Schließlich gewinnt die Gewährung von Sozialhilfe an ge-sellschaftlicher Akzeptanz, wenn sie von den Empfän-gern verlangt, zu arbeiten und einen Beitrag zum Ge-meinwohl zu leisten.

Wegen ihrer klaren Ausrichtung auf einen möglichst raschenÜbergang in eine reguläre Beschäftigung unterscheidet sichdie kommunale Beschäftigung von Sozialhilfeempfängernwesentlich von den heutigen Arbeitsbeschaffungsmaßnah-men. Für die jeweils auszuübende Arbeit bieten sich aller-dings zunächst ähnliche Tätigkeitsfelder an, wie sie heutefür ABM typisch sind. Hierbei handelt es sich um Land-schaftspflege, Gartenbau, Handwerksleistungen, sozialeDienstleistungen, Küchen- und Wäschereidienste, Umwelt-schutz und Recycling. Diese Tätigkeiten sollen die Chan-cen der Teilnehmer auf dem Arbeitsmarkt verbessern, im öf-fentlichen Interesse liegen und möglichst hohe Werte schaf-fen. Zwar darf man in dieser Hinsicht keine Illusionen be-züglich der Produktivität und Arbeitswilligkeit der betroffe-nen Personen hegen, doch sollte man umgekehrt nicht ver-gessen, dass die Sozialhilfeempfänger im heutigen Systemgar nichts tun und überhaupt keine Werte schaffen. Weni-ge Leistungen für die Gesellschaft zu erbringen, ist immernoch besser als keine zu erbringen.

Die Durchführung kommunaler Arbeiten bzw. die Beschäf-tigung der Sozialhilfeempfänger impliziert nicht, dass dieöffentliche Verwaltung oder Wohlfahrtsverbände als Arbeit-geber auftreten. Die Kommunen sollten diese Aufgaben viel-mehr eigenständigen, gemeinnützigen oder privatwirt-schaftlichen Gesellschaften übertragen. Solche Gesell-schaften sind aufgrund ihres Personals und ihrer Professio-nalität eher in der Lage, die Beschäftigungsmaßnahmen zu

organisieren und mit einer Qualifizierung und sozialen Be-treuung zu verbinden. Ähnlich wie in dem amerikanischenBundesstaat Wisconsin könnten diese Gesellschaften vonden Kommunen per Ausschreibung für einen bestimmtenZeitraum mit der Beschäftigung von Sozialhilfeempfängernbetraut werden. Den Gesellschaften wird dabei ein festesBudget zur Verfügung gestellt werden, das von einer be-stimmten Verweildauer der Sozialhilfeempfänger in der kom-munalen Beschäftigungsmaßnahme ausgeht. Unterschrei-ten die Gesellschaften dieses Budget bei ihren Aktivitäten,so verbliebe ihnen ein Teil der Differenz als Gewinn. Damitentsteht ein finanzieller Anreiz, die Teilnehmer möglichstschnell und dauerhaft in den ersten Arbeitsmarkt zu über-führen. Die Rolle der Kommunen besteht in der Festlegungdes Budgets, der Ausschreibung, Kontrolle und Evaluierungder Maßnahmen.

Auf jeden Fall sollte den Kommunen ein hohes Maß an Wahl-freiheit gewährt werden, wenn sie den aus ihrer Sicht bes-ten Weg für die Organisation der kommunalen Beschäfti-gung suchen. Die kommunale Beschäftigung könnte bei-spielsweise auch auf dem Wege über kommunale oder pri-vate Leiharbeitsfirmen organisiert werden, die der Privat-wirtschaft Dienstleistungen gegen frei verhandelbare, dergeringen Produktivität der Betroffenen entsprechende Prei-se zur Verfügung stellen. Die Betroffenen erhalten dann fürein Vollarbeitsverhältnis keinen privaten Lohn und keine Lohn-steuergutschrift, sondern ebenfalls nur einen kommunalenLohn in Höhe der heutigen Sozialhilfe. Das Arbeitsverhält-nis besteht mit der Kommune, die ihrerseits das Recht er-hält, die ihr anvertrauten Beschäftigten mit Dienstleistun-gen für Leiharbeitsfirmen zu betrauen. Dies ist insofern ei-ne attraktive Möglichkeit, als sie die Palette der verfügba-ren Stellen erheblich erweitert und die Chance vergrößert,für die kommunal Beschäftigten produktive und lehrreicheTätigkeiten zu finden.35 Die Einschaltung privater Leihar-beitsfirmen bietet sich an, weil diese Firmen bereits sehrgute Erfahrungen mit der Beschäftigung von Arbeitnehmernverschiedenster Qualifikationsstufen haben machen kön-nen, und sie haben den nötigen Gewinnanreiz, die ihnen an-vertrauten Arbeitnehmer bestmöglich unterzubringen. Durchdie indirekte Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt wer-den ferner die denkbar besten Voraussetzungen für einenÜbergang in reguläre Beschäftigung geschaffen, wo immerAussicht darauf besteht – sei es bei der Leiharbeitsfirmaselbst oder bei den Unternehmen, die dort Kunden sind. Indiesem Zusammenhang ist ein Blick auf die Niederlandenützlich. Ein Teil des dortigen »Jobwunders« liegt darin, dassetwa 7% der holländischen Arbeitnehmer in Zeitarbeitsfir-men beschäftigt sind. Dieses Beispiel zeigt, dass Zeitar-beitsfirmen den Kommunen einen realistischen und prak-tisch gangbaren Weg bieten können, ihre Beschäftigungs-

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35 Vgl. auch Hölder (2002).

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aufgabe in enger Tuchfühlung mit dem regulären Arbeits-markt zu erfüllen.Gegen die Bereitstellung staatlicher Jobs wird häufig ange-führt, dass dadurch Aufträge an das private Gewerbe ver-drängt würden. Werden nicht in der Tat die privaten Gärt-ner leiden, wenn staatliche Gartenbaubetriebe ihre Arbeitmit Sozialhilfeempfängern verrichten? Während man diesvordergründig bejahen muss, sollte man sich doch hüten,einer partialanalytischen Illusion zu erliegen. Da der Staat fürden gesamten Sozialhilfe- und Niedriglohnbereich nach demifo Modell nicht mehr Geld ausgibt als beim heutigen Sys-tem, bleibt das Geld, das er sonst für Aufträge an die pri-vaten Gartenbaufirmen ausgegeben hätte, für andere Zwe-cke verfügbar. Der Staat kann deshalb mit diesem Geld an-dere Aufgaben und Leistungen von privaten Firmen ver-richten lassen. Es kommt also allenfalls in dem Sinne zu ei-ner Verdrängung privater Tätigkeiten, als der Staat seineNachfrage in andere Bereiche verlagert. Eine Nettoverdrän-gung privater Tätigkeiten findet hingegen nicht statt. Dasist ein ganz wichtiger Punkt, der in der öffentlichen Diskus-sion oft übersehen wird.

Mit einigem Geschick sollte es sogar möglich sein, die ausder Sozialhilfe bezahlten Jobs so einzurichten, dass Härte-fälle unter den privaten Handwerkern vermieden werdenkönnen. Zwar ist es einerseits durchaus möglich, dass kom-munale Beschäftigungsgesellschaften privaten Hand-werksbetrieben Konkurrenz machen. Auf der anderen Sei-te ist zu berücksichtigen, dass die neue Sozialhilfepolitikder Schwarzarbeit den Boden entziehen und auf diese WeiseNachfrage vom Schwarzmarkt in den regulären Markt fürhandwerkliche Leistungen umlenken würde. Im Übrigenspräche nichts dagegen, wenn Leiharbeitsfirmen die bei ih-nen beschäftigten Sozialhilfeempfänger selbst wiederum denHandwerksbetrieben als Leiharbeiter anböten. Ein Gutteilder bisher schwarz Arbeitenden würde damit faktisch unterdie Obhut von Betrieben im ersten Arbeitsmarkt gebracht.Tätigkeiten, die vorher schwarz verrichtet wurden, würdendamit nun unter regulären Bedingungen erfolgen. Von Ver-drängungseffekten zu Lasten des privaten Handwerks kanndann keine Rede mehr sein.

Kinderbezogene Leistungen

Die Fehlanreize des Sozialsystems für den Arbeitsmarkt wer-den durch die Art, wie Kinder in dieses System integriert wer-den, verstärkt. Im Bereich niedriger Bruttolöhne fallen näm-lich auch die aufgrund der Kinder bestehenden Ansprücheauf Sozialleistungen, wenn das verdiente Einkommen steigt.Je größer die Kinderzahl ist, desto größer ist der Anspruchgegen den Staat und desto breiter der Einkommensbereich,innerhalb dessen eigene Mehrarbeit nicht zu einer Erhöhungdes Nettoeinkommens führt. Die Abschmelzung der kin-derbedingten Leistungen des Staates wirkt in die gleiche

Richtung wie die Abschmelzung der Sozialhilfeleistungen fürerwachsene Erwerbspersonen. Sie bestraft die Aufnahmeeiner regulären Arbeit und erhöht die Anspruchslöhne, dieüberschritten werden müssen, damit sich eine Beschäfti-gung im regulären Arbeitsmarkt lohnt.

Hauptursache für diesen Effekt ist die für die Kinder gezahlteSozialhilfe, einschließlich mit der Kinderzahl steigender Wohn-geldansprüche; bei Alleinerziehenden kommt auch noch einMehrbedarfszuschlag hinzu.36 Bei in Westdeutschland le-benden Alleinerziehenden mit einem Kind addieren sich die-se Leistungen (im Vergleich zum Haushaltsnettoeinkommenvon Singles) auf rund 405 q im Monat, bei Ehepaaren miteinem Kind (im Vergleich zu kinderlosen Ehepaaren) auf255q und bei Ehepaaren mit zwei Kindern (im Vergleich zuEhepaaren mit einem Kind) auf 280 q. Mit zunehmendemselbst erwirtschafteten Einkommen schrumpfen diese Be-träge im Wesentlichen auf das Kindergeld in Höhe von der-zeit 154 q für die ersten drei Kinder bzw. 179 q für alleweiteren Kinder (wobei Alleinerziehende noch bis 2005 densukzessive reduzierten Haushaltsfreibetrag geltend machenkönnen).

Abbildung 3.2 zeigt, wie sich die kinderbedingten Leistun-gen aufgrund dieser Zusammenhänge mit dem Einkommenverändern. Dabei ist auch berücksichtigt, dass das Kinder-geld bei hohen Einkommen schließlich durch die Steuerer-sparnis aus dem Kinderfreibetrag im Einkommensteuertarifüberlagert wird. Die Bezuschussung eines Kindes ist gene-rell bei niedrigen Einkommen am größten, sie fällt dann aberin einem breiten Einkommensbereich sehr drastisch mit ei-nem Anstieg des Einkommens. Bei Familien mit zwei Kin-dern reicht dieser Bereich von 1 500 q bis 2 500 q. Da-nach ist sie annähernd konstant und steigt nur ganz leichtbei höheren Einkommen.

In Ostdeutschland ergeben sich der Struktur nach ganz ähn-liche Ergebnisse, wobei allerdings wegen der niedrigerenSozialhilfesätze die Differenzbeträge im untersten Einkom-mensbereich und wegen der niedrigeren Wohngeldansprü-che auch die Einkommensschwellen für die jeweils gerings-ten Gesamteffekte geringer ausfallen.

Die Gewährung eines besonderen Sozialhilfeanspruchs fürKinder ist eine sozialpolitisch gut begründete Maßnahme.Äußerst problematisch ist aber die Abschmelzung der staat-lichen Leistungen bei steigendem Einkommen, denn dieserEffekt trägt zu den hohen Anspruchslöhnen auf dem regu-lären Arbeitsmarkt nicht unwesentlich bei, die Arbeitsplätzevernichten bzw. die Schaffung derselben verhindern. DasGrundproblem der Sozialhilfe verschärft sich in diesem Zu-

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36 Das Kindergeld wird – bis auf einen Freibetrag von monatlich 10,25r fürein Kind, 20,50 r für zwei und mehr Kinder – mit der Sozialhilfe voll ver-rechnet.

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sammenhang: Je größer die Kinderzahl, desto höher istder Geldbetrag, den der Staat im Falle der Nicht-Erwerbs-tätigkeit zur Verfügung stellt und desto geringer wird dieWahrscheinlichkeit, dass in der Privatwirtschaft ein rentab-ler Job geschaffen werden kann, auf dem sich ein höheresEinkommen erzielen lässt. Dass Eltern verantwortlicher alsKinderlose handeln und wegen ihrer Kinder eher dazu nei-gen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, steht dem wederentgegen noch bietet es einen Anlass, das Problem für ge-ring zu erachten.

Dass die von der Sozialhilfe ausgehendenden Fehlanreizeauf den Arbeitsmarkt gerade bei Kinderreichen besondersstark sind, stellt perspektivisch vielleicht eines der größten

Probleme des herrschenden Sozialhilfesys-tems dar. Kinder, die Arbeitslosigkeit undSchwarzarbeit als normales Lebensmustererfahren, werden schon bei der Erziehungfehlgeleitet und neigen später als Erwach-sene möglicherweise dazu, dieses Muster zukopieren. Fertigkeiten, Fähigkeiten und Ge-wohnheiten beim Umgang mit Sozialämternhelfen bei der Etablierung alternativer Le-benswege jenseits des regulären Arbeits-marktes genauso wie die Kenntnis der Re-geln, nach denen der Schwarzmarkt funk-tioniert. Es besteht die Gefahr, dass eineUnterschicht geschaffen wird, die sich überdie Generationen hinweg verfestigt und denNährboden für all die problematischen Ero-sionseffekte der Gesellschaft bildet, die ge-meinhin beklagt werden.37

Um solche Effekte zu vermeiden, ist es wün-schenswert, Kinder im gesamten Steuer-Transfer-System so zu berücksichtigen, dassdie finanziellen Effekte möglichst wenig mitdem selbst erwirtschafteten Arbeitseinkom-men variieren und im Idealfall über alle Ein-kommensklassen hinweg konstant sind.38

Dieser Grundidee folgt auch der ifo Vorschlagzur Reform des Systems existenzsichern-der Sozialleistungen.

Wenn die kinderbezogenen Elemente desSteuer-Transfer-Systems in Zukunft mög-lichst einkommensunabhängige Wirkungenhaben sollen, ist allerdings eine ganz ent-scheidende Frage, welches Niveau sie da-bei aufweisen. Sicherlich wird es nicht mög-lich sein, die maximalen Sozialhilfeleistungenfür Kinder, wie sie im untersten Einkom-mensbereich gewährt werden, als Maßstabzu nehmen und diese Leistungen auf Fami-lien aller Einkommensklassen anzuwenden.Täte man dies, so ergäben sich so hohe fis-

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Abb. 3.2

Erläuterungen: Einbezogen sind hier durch (zusätzliche) Kinder bedingte Differenzen inden Leistungen der Sozialhilfe (inkl. einmaliger Leistungen und durchschnittlicher Wohn-kosten (lt. Engels 2001) und des Wohngelds, das Kindergeld (jedoch nicht das Erziehungsgeldfür Kinder unter 2 Jahren) sowie die Auswirkungen von Kinderfreibetrag und Haushalts-freibetrag (der bei Alleinerziehenden mit vor 2002 geborenen Kindern noch bis 2005 ge-währt wird) auf Einkommensteuerschuld (zuzüglich Solidaritätszuschlag) und Kirchen-steuerzahlungen. Maßgeblich ist der Rechtsstand für 2002.

37 In der US-Literatur zur Sinnhaftigkeit von Lohnzuschüssen für Gering-verdiener stellt dieser Aspekt ein ganz wesentliches Argument dar (vgl.Phelps 1997 oder Solow 1998).

38 Eine aus verschiedenen Gründen erwägenswerte Differenzierung der Ef-fekte nach Alter und/oder Anzahl der Kinder ist dabei nicht ausgeschlos-sen. – Aufgrund der Verfassungsgerichtsentscheidungen vom 10. No-vember 1998 (BVerfGE 99, 246) und vom 29. Mai 1990 (BVerfGE 82, 60)setzen völlig einkommensunabhängige Leistungen für Kinder allerdingsvoraus, dass deren Niveau generell oberhalb der steuermindernden Ef-fekte angemessener Kinderfreibeträge beim Spitzensteuersatz des Ein-kommensteuertarifs liegt. Anderenfalls muss aus steuersystematischenGründen der leichte Anstieg dieser Effekte mit dem zu versteuerndenEinkommen der Eltern zum Tragen kommen, sobald sie den Gegenwertsonstiger kinderbezogener Leistungen übersteigen.

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kalische Belastungen, dass die fiskalischen Effekte aller son-stigen Reformelemente bei weitem überwogen werden.

In Wissenschaft und Politik werden zurzeit diverse Reform-vorschläge erörtert, die auf erhöhte kinderbezogene Leis-tungen an Familien hinauslaufen.39 Dabei erweisen sich dieBelastungen des Staatsbudgets stets als eine wesentlicheBeschränkung. Der Vorschlag des ifo Instituts für Wirt-schaftsforschung schließt eine Erhöhung des Niveaus derkinderbezogenen Leistungen nicht aus, sofern sie der Be-dingung möglichst geringer einkommensabhängiger Varia-tionen genügen. Gleichwohl sollen entsprechende Ände-rungen hier gedanklich von den Reformen getrennt wer-den, die sich auf das Problem konzentrieren, die Beschäf-tigung Geringqualifizierter zu erhöhen.

Bei der anschließenden Präzisierung der Parameter des ifoReformvorschlags, der Skizze seiner Auswirkungen auf dieHaushaltsnettoeinkommen verschiedener Haushaltstypenund bei den daran anknüpfenden Berechnungen zu denfiskalischen Effekten werden daher weitgehend einheitlichekinderbezogene Leistungen auf dem Niveau des heutigenKindergeldes unterstellt (so dass im Bereich höherer Brut-toeinkommen auch nach wie vor die Effekte des einkom-mensteuerlichen Kinderfreibetrags erhalten bleiben). Auf wel-che Weise sich gegebenenfalls die Haushaltsmittel für er-höhte Leistungen an Kinder mobilisieren lassen und wel-che Folgewirkungen sich für die Beschäftigung der Eltern,namentlich im Bereich niedriger Lohneinkommen, ergebenwürden, liegt außerhalb des Gesichtskreises dieser Überle-gungen.

Zu beachten ist in diesem Kontext, dass die Zurechnungeinzelner Komponenten des Haushaltsnettoeinkommens zuverschiedenen Haushaltsmitgliedern, also auch die Identifi-kation von Mitteln, die als »kinderbezogene Leistungen« vor-rangig Kindern zufließen, wenig realitätsgerecht ist. Letztlichwird über die Verwendung des gesamten verfügbaren Ein-kommens innerhalb des Haushalts entschieden, unabhän-

gig von seinen Quellen und etwaigen politischen Absich-ten, die bei der Gewährung von Transfers und Steuermin-derungen Pate stehen. Insofern bedeutet die Begrenzungkinderbezogener Leistungen auf das Niveau des heutigenKindergelds nichts anderes, als dass die Anspruchslöhnevon Personen mit Kindern deutlich gesenkt werden. Gleich-zeitig werden die Arbeitsanreize dieser Personen durch dieLohnsteuergutschrift gestärkt, die das Haushaltseinkom-men bei Aufnahme selbst einer gering entlohnten Beschäf-tigung rasch und deutlich steigert.

Für den Fall, dass eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarktnicht oder nicht sofort zu finden ist, gilt ferner die Garantie,Leistungen im Umfang des bisherigen Sozialhilfeniveaus zuerhalten – unter der Voraussetzung, dass die Betroffenenbereit sind, eine kommunale Beschäftigung aufzunehmen.40

Als flankierende Maßnahme der Reform ist schließlich auchein Ausbau des Angebots an Kinderbetreuungseinrichtun-gen notwendig, der für die effektiven Erwerbsmöglichkei-ten vieler Eltern mindestens so wichtig ist wie entsprechendefinanzielle Anreize.

Die Gestalt der Lohnsteuergutschrift und derVerlauf des Haushaltsnettoeinkommens bei variierendem Bruttolohn

Bei der Konzeption und Neukonzeption von Systemen exis-tenzsichernder Sozialleistungen sind mindestens drei Ziel-setzungen nebeneinander zu verfolgen, nämlich

• ein akzeptables Niveau der sozialen Sicherung von Per-sonen mit niedrigem Einkommenspotenzial zu realisieren,

• ausreichende Anreize für den Arbeitsmarkt zu bieten• und geringe Belastungen für den Staatshaushalt bzw. für

die Finanziers dieser Leistungen zu erzeugen.

Alle drei Ziele zugleich zu verwirklichen, ist nicht einfach, abermöglich. Das geltende Sozialhilfesystem konzentriert sicheinseitig auf das erste und das letzte dieser Ziele, reduziertaber wegen der hohen Transferentzugsraten unweigerlichdie Arbeitsanreize der Sozialhilfeempfänger. Um diese An-reize zu verstärken, ohne das gegenwärtige Mindestsiche-rungsniveau aufzugeben, könnte man erwägen, den Trans-ferentzug bei der Aufnahme einer regulären Arbeit zu unter-lassen und alle beschäftigten Geringqualifizierten so zu be-zuschussen wie jetzt nur die nicht erwerbstätigen Sozialhil-febezieher. Dies wäre die großzügige »Bürgergeldlösung«,die hier eingangs schon verworfen wurde. Die Einkom-mensverteilung würde weiter egalisiert, weil für Geringqua-

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39 So empfiehlt etwa der Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen (2001,S. 251 f.) als Element eines grundlegenden Umbaus familienpolitischerMaßnahmen die Einführung eines einheitlichen Kindergelds, mit dem ex-terne Effekte familiärer Leistungen ausgeglichen werden sollen. Die ex-akte Höhe der erforderlichen Zahlungen bleibt dabei allerdings ebenso of-fen wie die Frage, inwieweit sie in das parallel dazu angesprochene Sys-tem einer »negativen Einkommensteuer« für Kinder integriert werden kön-nen (S. 250 f.). Während die Maßnahmen der amtierenden Bundesregie-rung im Bereich der Familienbesteuerung im Wesentlichen durch Vorga-ben des Bundesverfassungsgerichts geprägt sind (vgl. BVerfGE 99, 216),bildete der konsequente Ausbau des einkommensunabhängigen Kin-dergelds in der laufenden Legislaturperiode einen Schwerpunkt der Re-gierungspolitik (vgl. Bundesministerium der Finanzen 2001). In ihrem Wahl-programm kündigt die SPD (vgl. SPD-Parteivorstand 2002) an, diesenKurs im Falle eines Wahlerfolges fortzusetzen und das Kindergeld »mit-telfristig« auf 200 r anzuheben. Die CDU/CSU-Fraktion im DeutschenBundestag (2001) verfolgt bereits seit einiger Zeit die Idee, Kindergeld undErziehungsgeld in einem einheitlichen, nur nach Kindesalter differenzier-ten »Familiengeld« in Höhe von 300 bis 600 r für Kinder unter 18 Jah-ren zu bündeln.

40 Je nach genauer Festlegung des reduzierten Sozialhilfeniveaus im Fall vonFamilienhaushalten kann diese Garantie erfordern, die rechnerischen Stun-denlöhne im zweiten Arbeitsmarkt nach Familienstand bzw. Kinderzahlzu differenzieren.

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lifizierte das Lohneinkommen zu einem staatlichen Einkom-menszuschuss in Höhe der heutigen Sozialhilfe hinzuträte,doch wäre der Preis einer solchen Lösung in Form zusätz-licher fiskalischer Kosten immens. Man müsste mindestensmit einer weiteren Belastung des Staatsbudgets in Höhe von80 Mrd.q rechnen. Angesichts der ohnehin angespanntenHaushaltslage ist dies kein gangbarer Weg. Das dritte dergenannten Ziele wird offenkundig verletzt.

Davon abgesehen müsste auch bei einer solchen Politikder Transferentzug bei steigenden Einkommen trotzdemirgendwo stattfinden oder es müsste, was auf das Gleichehinausläuft, bei höheren und mittleren Einkommen einen ent-sprechenden Anstieg der Grenzsteuerbelastung geben, umdas Staatsbudget auszugleichen. Die negativen Auswir-kungen einer hohen Transferentzugsrate auf den Arbeits-markt würden somit nur zu höheren Einkommen hin ver-schoben, und man müsste befürchten, dass das Arbeits-angebot von Personen mit höherer Produktivität fällt.

Aus diesen Gründen führt kein Weg daran vorbei, das Si-cherungsniveau für erwerbsfähige Personen ohne eigenesEinkommen abzusenken und ein System zu schaffen, dasdie Möglichkeiten zum eigenen Einkommenserwerb vergrö-ßert. Der Wechsel von Lohnersatz- zu Lohnergänzungsleis-tungen, der den Kern des ifo Vorschlags ausmacht, etabliertein solches System. Die Lohnergänzung, die geringe Ein-kommen auf das soziale Zielniveau anhebt, schafft nicht nurBeschäftigung, weil sie die Anspruchslöhne senkt. Sie hatgegenüber der beschriebenen Bürgergeldlösung darüber hin-aus den Vorteil, dass sie die Fördersätze senkt und deshalbim Abschmelzungsbereich deutlich niedrigere Transferent-zugseffekte aufweist. Außerdem kann der Staat, wie zu zei-gen sein wird, seine Sozialausgaben reduzieren. Zwar nimmtdie Zahl der geförderten Personen zu, doch wird der fiskali-sche Effekt durch die Abnahme der Sozialleistungen pro Kopfüberkompensiert. Zugleich wird der Zielerreichungsgrad derSozialpolitik gegenüber dem heutigen System gehalten odersogar verbessert, weil in der Summe aus eigenem Verdienstund staatlicher Förderung mindestens ein Einkommen in Hö-he der heutigen Sozialhilfe, meistens aber mehr erreicht wird.So gelingt es, den scheinbaren Konflikt zwischen den ein-gangs genannten Zielen zu überwinden.

Entscheidend für die Auswirkungen der Reform auf Brutto-löhne, Arbeitsnachfrage, Arbeitsanreize der Sozialleistungs-bezieher und fiskalische Kosten ist letztlich der Gesamtver-lauf der Haushaltsnettoeinkommen im Bereich niedriger Lohn-einkommen bzw. geringer Wertschöpfung unter Berücksich-tigung zahlreicher weiterer Elemente des deutschen Steuer-und Transfersystems. Dazu gehören, wie erläutert, die per-sönliche Einkommensteuer und die Arbeitnehmerbeiträge zurSozialversicherung genauso wie die Arbeitgeberbeiträge unddie Mehrwertsteuer.41 Das abgesenkte Mindestniveau exis-tenzsichernder Sozialleistungen und die Parameter der Lohn-

steuergutschrift müssen daher so festgelegt werden, dass diein Abbildung 1.5 illustrierten Profile, die sich nach dem bishe-rigen Recht ergeben, in geeigneter Weise modifiziert werden.

Eine isolierte Betrachtung einzelner Instrumente, auch dieForm der neuen Lohnzuschüsse als solcher, ist demge-genüber zweitrangig. Dies wird bei vielen Reformvorschlä-gen nicht bedacht. Häufig sind sie partialanalytischer Naturund berücksichtigen nicht, welche Wechselwirkungen sichmit dem Rest des Fiskalsystems ergeben und wie sich derVerlauf der effektiven Grenzbelastungen der Einkommen ver-ändert. Für den Vorschlag des ifo Instituts wird hier daherjeweils ein vollständiger Überblick über den Verlauf der Grenz-belastungen der Wertschöpfung der Arbeit angeboten, wieer sich durch das Zusammenspiel praktisch aller relevantenfiskalischen Effekte ergibt.

Im Einzelnen ist die vom ifo Institut vorgeschlagene Lösungdurch folgende Aspekte bestimmt:

• Die Sozialhilfeansprüche für erwerbsfähige Leistungs-bezieher ohne Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt, dieauch eine kommunale Beschäftigung ablehnen, werdenin Anlehnung an das so genannte »Leipziger Modell«42

drastisch reduziert. Der Regelsatz und einmalige Leis-tungen im Rahmen der laufenden Hilfe zum Lebens-unterhalt entfallen für die Betroffenen vollständig.

• Von den bisherigen Mindestansprüchen auf existenzsi-chernde Sozialleistungen bleiben jedoch die Ansprücheauf Wohngeld, zumindest der Höhe nach, bestehen. Bei-spielsweise soll der minimale Sozialleistungsanspruch ei-nes Alleinlebenden in Westdeutschland in Zukunft nichtmehr 624 q (Sozialhilfe + durchschnittliches Wohngeld,inkl. Heizkosten), sondern nur mehr 293 q (Wohngeld-anspruch ohne eigenes Einkommen) betragen.

• Die Sozialhilfeansprüche weiterer, nicht-erwerbsfähigerErwachsener im Haushalt bleiben von solchen Sozial-leistungskürzungen für Erwerbspersonen tendenziell un-berührt. Dies gilt uneingeschränkt für die auf sie entfal-lenden Regelsatzansprüche, dagegen nicht in vollem Um-fang für einmalige Leistungen (u. a. weil diese Leistungennicht alle individuell zurechenbar sind).

• Als nicht-erwerbsfähig gelten Erwachsene, die krank,invalide oder behindert sind oder durch die Betreuungvon Angehörigen, namentlich von Kindern, häuslich ge-bunden sind. Nicht-Erwerbsfähigkeit durch solche Be-treuungsaktivitäten kann in Haushalten mit mehreren er-wachsenen Personen in der Regel nur von einem Er-wachsenen in Anspruch genommen werden. Bei der Kin-derbetreuung wird Nicht-Erwerbsfähigkeit in der Regelals gegeben unterstellt, wenn

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41 Die Mehrwertsteuer, die auf vom Arbeitnehmer selbst erzeugte Wert-schöpfung anfällt, ist beispielsweise für den Anreiz, in die Schwarzarbeitzu wechseln, genauso relevant wie die Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-beiträge zur Sozialversicherung oder die persönliche Einkommensteuer.

42 Vgl. Feist und Schöb (1998) sowie Schöb (2002).

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– mindestens ein Kind jünger ist als vier Jahre,– mindestens zwei Kinder jünger sind als sieben Jahre– oder mindestens drei Kinder jünger sind als zwölf Jahre.

• Für im Haushalt lebende Kinder werden in Zukunft ein-heitliche, vom (Arbeits-) Einkommen der Eltern unab-hängige Beträge in Höhe des gegenwärtigen Kindergelds(im Regelfall 154 q, bei vierten und weiteren Kindern179q) gezahlt.43 Der erhöhte Bedarf von Familien im Be-reich der Wohnkosten wird durch die Orientierung der mi-nimalen Sozialleistungen am bisherigen Wohngeld aller-dings implizit berücksichtigt.

• Das reformierte Modell existenzsichernder Sozialleistun-gen ist so angelegt, dass das Haushaltsnettoeinkommenim Bereich geringer Bruttolöhne allein durch das reduzierteMindestniveau der Sozialleistungen und durch die Effek-te der Bezuschussung niedriger Lohneinkommen bestimmtwird. Die marginalen Effekte aller anderen Transferleistun-gen, Transferreduktionen und Abgaben werden in das neueSystem integriert und dabei weitestgehend überlagert.44

• Personen, die keine Beschäftigung im regulären Ar-beitsmarkt finden und nach heutigem Recht Sozialhilfebeanspruchen können, haben Anspruch auf eine Be-schäftigung bei den Kommunen, für die sie in Höhe derheutigen Sozialhilfe entlohnt werden.

Für erwerbsfähige Einzelpersonen, die ein Arbeitseinkom-men durch Beschäftigung im regulären Arbeitsmarkt erzie-len, wird die Lohnsteuergutschrift konkret so gestaltet, dassdas Haushaltsnettoeinkommen unter Berücksichtigung desgesamten im Haushalt erzielten Bruttoarbeitseinkommensfolgenden Verlauf aufweist:

• Bruttoarbeitseinkommen bis 200 q im Monat werden ef-fektiv durch keinerlei vom Arbeitnehmer zu zahlende Ab-gaben oder Transferreduktionen belastet, sondern mit ei-nem Satz von 20% bezuschusst: Die Lohnsteuergutschriftgleicht einkommensabhängige Kürzungen der reduziertenSozialhilfe vollständig aus, und für jeden Euro selbst erziel-ten Arbeitseinkommens erhalten die Betroffenen 0,20 qvom Staat hinzu, so dass das Nettoeinkommen um 1,20qsteigt. Erstattet werden auch die Sozialversicherungsbei-

träge der Arbeitnehmer (Rentenversicherung, Kranken- undPflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung). Nicht er-stattet werden hingegen die Arbeitgeberbeiträge zur So-zialversicherung. Unter Berücksichtigung der Mehrwert-steuer entsteht so im Eingangsbereich netto über alle Kom-ponenten gerechnet eine Grenzbelastung der Wertschöp-fung von insgesamt ca. 14,3%.

• Bei Arbeitseinkommen im Bereich von 200 q bis 400 qim Monat bleibt die Lohnsteuergutschrift betragsmäßigkonstant, doch besteht eine volle Sozialversicherungs-pflicht. Von jedem zusätzlichen Euro Bruttoarbeitsein-kommen absorbiert der Staat rund 20 Cent an Arbeit-nehmerbeiträgen, und von jedem zusätzlichen Euro Wert-schöpfung beansprucht er in der Summe aller Sozial-versicherungsbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitge-ber sowie der Mehrwertsteuer etwa 43 Cent.

• Bei darüber hinausgehenden Arbeitseinkommen wird dieSteuergutschrift mit einer Rate von 50% abgeschmolzen.Unter Berücksichtigung der Sozialversicherungspflicht er-gibt sich eine gesamte Grenzbelastung des Bruttoein-kommens von rund 70%. Werden zudem die Arbeitge-berbeiträge zur Sozialversicherung und die Mehrwertsteuerberücksichtigt, so errechnet sich in diesem Bereich eineGrenzbelastung der Wertschöpfung von knapp 80%.

Leben in einem Haushalt zwei (oder mehr) erwerbsfähigePersonen, die ein Arbeitseinkommen durch Beschäftigungim ersten Arbeitsmarkt erzielen können, wird die Lohn-steuergutschrift, angelehnt an die Staffelung der Sozialhil-feregelsätze, so gestaltet, dass sich die Einkommensgren-zen jeweils um 80% der Sätze für Einzelpersonen erhö-hen. Bezüglich der Sozialversicherungspflicht und derGrenzsteuerbelastungen der Wertschöpfung gilt im We-sentlichen das oben Gesagte. Es verschieben sich lediglichdie Einkommensgrenzen zwischen den Bereichen:

• Arbeitseinkommen bis 360 q im Monat werden effektivmit einem Satz von 20% bezuschusst, doch entsteht imVerein mit der Mehrwertsteuer und den Arbeitgeberbei-trägen zur Sozialversicherung eine Grenzbelastung derWertschöpfung von 14,3%.

• Bei Arbeitseinkommen im Bereich von 360 q bis 720 qim Monat bleibt die Steuergutschrift betragsmäßig kon-stant. Die Grenzbelastung des Bruttoeinkommens be-trägt unter Berücksichtigung der Arbeitnehmer-Sozial-versicherungsbeiträge rund 20%, und die gesamte Grenz-belastung der Wertschöpfung beträgt unter Berücksich-tigung aller Komponenten wiederum 43%.

• Bei Arbeitseinkommen oberhalb von 720 q ergibt sicheine Grenzbelastung des Bruttoeinkommens von insge-samt rund 70% und der Wertschöpfung von 80%. Abeiner bestimmten Einkommensschwelle, die je nachHaushaltstyp variiert, geht auch hier das Nettohaus-haltseinkommen nach der Reform in dasjenige über, dassich bereits nach dem Status quo ergibt.

32

43 Höhere Beträge sind möglich, werden hier aber nicht betrachtet. Vgl. da-zu den Abschnitt »Kinderbezogene Leistungen«.

44 Ob z.B. das Wohngeld in Zukunft nicht nur als (historische) Orientie-rungsgröße, sondern auch als eigenständige Transferleistung erhaltenbleiben soll, ist im Wesentlichen eine administrative Frage. Außerdem sinddie nachfolgenden Illustrationen so angelegt, dass bereits ab dem erstenEuro Lohneinkommen Sozialversicherungsbeiträge anfallen, so als ob derStatus geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse abgeschafft würde.Gleichzeitig ist der Lohnzuschuss aber so ausgestaltet, dass er auch dieArbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge im untersten Ein-kommensbereich deckt und darüber hinaus noch direkte Zuschüsse zumBruttolohn bewirkt. Bei etwas höherem und weiter steigendem Einkom-men bleibt die Lohnsteuergutschrift dann konstant und wird schließlichwieder mit einer konstanten Transferentzugsrate abgeschmolzen. Jen-seits des Arbeitseinkommen, bei dem nach bisherigem Recht die Lohn-steuerpflicht (inklusive Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) einsetzte,werden die zusätzlichen Belastungen durch eine verlangsamte Redukti-on der neuen Steuergutschrift kompensiert, um die gesamte Grenzbela-stung beim vorgegebenen Niveau konstant zu halten.

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ifo Reformvorschlag

Wendet man diese Überlegungen auf einige ausgewählteHaushaltstypen an, so ergeben sich die in den Abbildun-genen 3.3 bis 3.7 am Beispiel in Westdeutschland leben-der Haushalte verdeutlichten Muster

a) für den Verlauf des Haushaltsnettoeinkommens in Ab-hängigkeit vom jeweils erzielten Bruttoarbeitseinkommen,

b) für die Verteilungseffekte hinsichtlich des Nettotrans-fers und des Unterschieds zum Status quo,

c) für die damit jeweils einher gehende Gesamt-Grenzbe-lastung der Wertschöpfung sowie die Grenzbelastungdes Bruttolohneinkommens.

Zu Vergleichszwecken werden in allen Graphiken jeweilsauch die Effekte des bisherigen Rechts (bzw. die Differen-zen dazu) ausgewiesen. Weitere Orientierung bieten die An-gaben zum bisherigen und zum neuen Mindestniveau exis-tenzsichernder Sozialleistungen (»Sozialhilfeniveau alt« und»Sozialhilfeniveau neu«) sowie zum bisherigen Haushalts-nettoeinkommen bei Vollzeitbeschäftigung für einen typi-schen Stundenlohn Geringqualifizierter (»Vollzeit-Niedriglohnalt«)45 und zum Haushaltsnettoeinkommen eines Durch-schnittsverdieners.46 Bei Haushalten mit zwei Erwerbsper-sonen verdoppeln sich die jeweils zugrunde liegenden Brut-toverdienste im Niedriglohnsektor und für durchschnittlicheArbeitnehmer.

Alle in den Abbildungen 3.3 bis 3.7 illustrierten Berechnun-gen beziehen sich nur auf Fälle mit mindestens einer er-werbsfähigen Person im Haushalt (im Sinne der oben skiz-zierten Bedingungen), da sich nur dann Abweichungen vomStatus quo ergeben können. Beispielsweise sind Alleiner-ziehende mit einem Kind unter drei Jahren oder Ehepaare,bei denen ein Partner krankheitsbedingt nicht arbeitsfähigist und der andere wiederum durch Kinderbetreuung ge-bunden ist, nicht durch die Reform betroffen. Erinnert sei fer-ner daran, dass es im Prinzip jedem Haushalt freisteht, überein Einkommen im Bereich des bisherigen Sozialhilfeniveaus

zu verfügen, falls alle erwerbsfähigen Mitglieder eine kom-munal organisierte Beschäftigung annehmen.

Für Haushalte, die in Ostdeutschland leben, ergeben sichjeweils ganz analoge Verläufe. Die reduzierten Sozialhilfeni-veaus für erwerbsfähige Personen, die keine Beschäftigungausüben, fallen wegen der im Durchschnitt niedrigerenWohnkosten in den neuen Bundesländern allerdings etwasniedriger aus als im alten Bundesgebiet (vgl. Tab. 3.1).

Die Einkommensschwellen für die Einführung und Ab-schmelzung der Lohnsteuergutschrift in Ostdeutschland blei-ben gegenüber Westdeutschland unverändert. Je nach Ver-lauf des bisherigen Haushaltsnettoeinkommens verschie-ben sich jedoch die Bruttoarbeitseinkommen, bei denen derAbschmelzbereich, in dem die maximale Grenzbelastungder Bruttolöhne bei 70% liegt, endet. Anschließend sinkt die-se Grenzbelastung auf das in Deutschland übliche Niveauvon 40 bis 65%, und die Reform verändert das verfügbareEinkommen der Haushalte bei gegebenem Lohn nicht mehr.

Die Auswirkungen des ifo Reformvorschlags auf individuel-le Anreize zur Beschäftigungsaufnahme und zur Festlegungdes Erwerbsumfangs (Teilzeit, Vollzeit, Überstunden) sind imGrundsatz klar. Obwohl eine sichere Quantifizierung nichtmöglich ist47, kann erwartet werden, dass sich für alle er-werbsfähigen Personen, die nicht über anderweitige Ein-kommensquellen verfügen (Unterstützung durch Angehöri-ge oder sonstige Dritte, Schwarzarbeit), aus der Reduktiondes Sozialhilfeniveaus im Verein mit der Gewährung derLohnsteuergutschrift ein erheblicher Anstoß zu einer Er-werbsbeteiligung ergibt. Die marginale Bezuschussung unddie anschließende, äußerst geringe Grenzbelastung niedri-ger Löhne werden gleichzeitig eine gewisse Sogwirkung zu-gunsten einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt aus-üben.

Eine pessimistische Einschätzung der Wirkungen der Re-form läge vor, wenn man unterstellen würde, dass viele derbislang Erwerbslosen unter dem neuen System nur einenErwerbsumfang wählen, der sie bis an den Punkt heranführt,bei dem der Abschmelzungsbereich der Lohnsteuergut-

33

45 Für eine Beschäftigung im Niedriglohnsektor wird dabei ein Stundenlohnvon 8,70 r angesetzt, der gegenwärtig den unteren Rand tatsächlicherLohnsätze bei einfachen Dienstleistungen markiert. Das unterstellte Ar-beitsvolumen beträgt 150 Stunden im Monat. Daraus errechnet sich einmonatlicher Bruttoverdienst von rund 1 300 r.

46 Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 16, Reihe2.3, Oktober 2001) betrug der durchschnittliche Bruttomonatsverdiensteines Arbeitnehmers in den Wirtschaftsbereichen Produzierendes Ge-werbe, Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz und Gebrauchs-gütern, Kredit- und Versicherungsgewerbe im Jahr 2000 in Deutschland2 665 r. Hochgerechnet auf das Jahr 2002 dürfte dieser Durch-schnittswert rund 2 760 r betragen.

47 Dazu sind die Änderungen des Zusammenhangs zwischen Bruttolöhnenund Haushaltsnettoeinkommen zu groß. Insbesondere im Bereich von Ar-beitseinkommen unterhalb der bisherigen Sozialhilfeniveaus lassen aufder Basis des Status quo gewonnene Daten kaum Schlüsse hinsichtlichder zu erwartenden Änderungen des Erwerbsverhaltens zu, wenn sichdie Individuen völlig neuen Budgetbeschränkungen gegenüber sehen.Dasselbe gilt für Reaktionen auf die neuartige Verpflichtung zu kommu-naler Arbeit für erwerbsfähige Sozialleistungsempfänger, die bis auf Wei-teres keine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt finden.

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Abb. 3.3

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Abb. 3.4

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Abb. 3.5

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Abb. 3.6

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Abb. 3.7

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schrift beginnt (vgl. Abb. 3.3 bis 3.7). Dann entstünde im Fal-le einer einzelnen Erwerbsperson ein Bruttolohn von mo-natlich rund 400q und im Falle von zwei Erwerbspersoneninnerhalb ein und desselben Haushalts ein Bruttolohn vonmonatlich rund 720q. Das ifo Modell ist so konstruiert, dassdas dazu gehörige Haushaltsnettoeinkommen in allen Fäl-len zumindest bei dem bisherigen Sozialhilfeniveau für Nicht-erwerbstätige liegt, das ja bei einer kommunalen Vollzeit-beschäftigung auch in Zukunft gewährleistet bleiben soll.Welcher Erwerbsumfang diesen Löhnen im Rahmen einesregulären Beschäftigungsverhältnisses jeweils entspricht,hängt von der individuellen Produktivität und vom Niveauder Lohnsätze für gering qualifizierte Arbeit ab, das sich nachder intendierten Ausweitung des Niedriglohnsektors ergibt.Auf der Basis der im nächsten Abschnitt erläuterten Be-rechnungen zu den Lohneffekten, die sich auf dem Ar-beitsmarkt ergeben werden, ist zu erwarten, dass nicht ein-mal eine Halbtagsbeschäftigung benötigt wird, um diese Ein-kommensniveaus zu erreichen.48

Dieser Umstand demonstriert die Natur des ifo Modells nunauch in quantitativer Hinsicht. Auch in Zukunft soll es denSozialhilfeempfängern nicht schlechter gehen als heute, abereine gewisse Eigenleistung ist erforderlich. Wer einen Jobim privaten Sektor annimmt, kann mit seinem Lohn und derLohnsteuergutschrift das jetzige Sozialhilfeniveau bereits miteiner Halbtagstätigkeit erreichen, und wer einen solchen Jobnicht findet, kann dieses Niveau zumindest durch eine Voll-zeitbeschäftigung bei einer der kommunal beaufsichtigtenLeiharbeitsfirmen erreichen. Wer sich indes anstrengt undeiner Vollzeitbeschäftigung im privaten Sektor nachgeht, wirdin der Summe aus eigenem Lohn und der staatlichen Lohn-steuergutschrift sehr viel mehr als nur die heutige Sozialhil-fe verdienen können. Der Reformvorschlag des ifo Institutsläuft deshalb nicht auf einen Sozialabbau hinaus, sondernführt ganz im Gegenteil zu einer sehr deutlichen Verbesse-rung der Einkommenssituation der Betroffenen. Er bietet denAusweg aus der Armutsfalle.

Im Abschmelzungsbereich der Lohnsteuergutschrift unter-liegt der Bruttolohn jeweils einer kumulierten Grenzbelas-tung von maximal 70%. Dieser Wert liegt deutlich unter demNiveau der Transferentzugsraten des gegenwärtigen Sozi-alhilfesystems und nur wenig oberhalb der in Deutschlandgeltenden Grenzbelastung für Durchschnittsverdiener, dieim Bereich von 60% angesiedelt ist. Ein Anreiz zur weiterenAusdehnung der Erwerbstätigkeit ist daher gewährleistet.

Man darf allerdings nicht verkennen, dass solche Grenzbe-lastungen immer noch sehr hoch sind. Dieser Eindruck wird

bestärkt, wenn man in den jeweils mit c) benannten Teildia-grammen die Höhe der Grenzbelastungen der Wertschöp-fung beachtet, die wie erläutert auch die Arbeitgeberbeiträ-ge und die Mehrwertsteuer umfassen. Danach liegen dieGrenzbelastungen für durchschnittliche deutsche Arbeitneh-mer unabhängig von der Reform beim internationalen Spit-zenniveau von 65%, und im Abschmelzungsbereich werdenim Niedriglohnbereich Grenzbelastungen von 80% erreicht.Diese Werte sind alles andere als befriedigend. Sie relativie-ren sich nur, wenn man bedenkt, dass das alte Sozialhilfe-system im Abschmelzungsbereich eine Grenzbelastung von100% hat und dass der Reformvorschlag des Mainzer Mo-dells, wie in Abbildung 2.2 gezeigt, eine Grenzbelastung vonüber 110% aufweist. Eine allgemeine Senkung der Abga-benlast, insbesondere der Sozialbeiträge, ist sicherlich erfor-derlich, und wenn sie realisiert wird, dann fällt auch die Grenz-belastung im Abschmelzungsbereich der Lohnsteuergutschriftnach dem ifo Vorschlag. Die Analyse solcher weiter gehen-der Reformideen liegt aber jenseits der Aufgabe, die sichdas Institut in dieser Untersuchung gestellt hat.

Im Ganzen ergeben sich trotz dieser Einschränkungengegenüber dem heutigen Stand der Dinge erhebliche An-reizeffekte, die in den Abbildungen 3.3 bis 3.7 jeweils im Teil-diagramm b) an den Kurven für die Differenz zum Status quoabzulesen sind. Der Unterschied zwischen dem Anfangs-punkt dieser Kurven und ihrem Wert bei einem bestimmtenBruttoeinkommen misst im Vergleich zum alten System denzusätzlichen fiskalischen Anreiz, dieses Bruttoeinkommendurch eigene Anstrengungen zu erwerben. Alle Diagrammezeigen unisono, dass dieser Anreiz sehr groß ist. Misst manden Abstand beispielhaft bezüglich eines selbst verdientenBruttoeinkommens von 500 q pro Kopf, so ergeben sich,wiederum pro Kopf, Effekte von

• 307,70 q bei erwerbsfähigen Alleinlebenden (Abb. 3.3),• 331,30q bei zwei erwerbsfähigen Ehepartnern ohne Kin-

der (Abb. 3.4),• 307,70 q bei erwerbsfähigen Alleinerziehenden mit ei-

nem Kind (Abb. 3.5),• 331,30 q bei zwei erwerbsfähigen Ehepartnern in Ein-

Kind-Familien (Abb. 3.6) und• 307,70q bei einem erwerbsfähigen Ehepartner in Zwei-

Kind-Familien (Abb. 3.7).

So groß ist also jeweils das Mehr an Nettoeinkommen, dasder ifo Reformvorschlag im Vergleich zum derzeitigen Sozi-alsystem impliziert, wenn man, statt nicht zu arbeiten, 500qdurch eigene Anstrengung erwirbt. Die Beträge sind nichtgering. Sie legen die Vermutung nahe, dass es auf dem Marktfür Geringqualifizierte nach der Reform erhebliche Bewe-gungen geben wird.

Dies gilt trotz einer einschränkenden Bemerkung, die hiernicht unerwähnt bleiben soll: Ein Reformvorschlag, der ei-

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48 Nach den im nächsten Schritt anzustellenden Schätzungen zu den Aus-wirkungen des ifo Vorschlags auf das Lohnniveau im Niedriglohnsektor,entspricht einem Bruttolohn von 400 r pro Monat ein Erwerbsumfangvon rund 15 bis 17 Stunden pro Woche.

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ne Senkung der Transferentzugsra-te im Bereich der gegenwärtigen So-zialhilfeschwelle bewirken soll, musssich grundsätzlich mit der Schwie-rigkeit auseinandersetzen, dass es ineinem gewissen Einkommensbereichjenseits des Punktes, bei dem die So-zialhilfe alter Art ausläuft, im Vergleichzum bisherigen System zu einemleichten Anstieg der Grenzbelastun-gen kommt.49 Dieses Problem istkaum zu vermeiden. Zwar sind dieBelastungen in diesem Einkom-mensbereich hier nicht prohibitiv,aber sie führen bei den Betroffenengegenüber dem Status quo unterUmständen zu gewissen Einschrän-kungen des Erwerbsumfangs. Der ifoVorschlag ist unter anderem daraufangelegt, diesen Bereich und die darauf entfallenden Än-derungen von Haushaltseinkommen und marginalen Ab-gabenquoten so schmal wie möglich ausfallen zu lassen.Unter den gegebenen Restriktionen wird so der bestmög-liche Kompromiss zwischen rivalisierenden Reformzielen ge-sucht.

Lohn-, Beschäftigungs- und Wachstumseffekte

Da der Reformvorschlag die Lohnuntergrenze beseitigt, dievom derzeitigen Sozialsystem errichtet wird, ist damit zurechnen, dass die Arbeitslosigkeit im Niedriglohnbereichbis auf eine verbleibende friktionelle Arbeitslosigkeit besei-tigt wird. Ausgehend von dieser theoretisch gut begründe-ten Hypothese versucht dieser Abschnitt abzuschätzen, wel-che Lohnreaktionen sich dabei ergeben werden. Als Basisfür die Berechnungen wird zunächst versucht, genauere An-haltspunkte für das Beschäftigungspotenzial im Niedrig-lohnbereich zu gewinnen.

Das für ein Niedriglohnsegment im ersten Arbeitsmarkt mo-bilisierbare Arbeitskräftepotenzial setzt sich aus registriertenArbeitslosen, Teilnehmern an Arbeitsbeschaffungs- undStrukturanpassungsmaßnahmen und den darin noch nichtenthaltenen erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern zusam-men. Dabei handelt es sich vorrangig um Geringqualifizier-te, d.h. Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung.50

Es wird angenommen, dass als arbeitslos gemeldete Per-sonen und Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnah-

men ausnahmslos als erwerbsfähig eingestuft werden kön-nen. Bei den Sozialhilfeempfängern werden Kranke und In-valide sowie Personen in Aus- oder Weiterbildung ausge-nommen. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit durchhäusliche Bindung werden im Grundsatz ebenfalls berück-sichtigt, allerdings nach den etwas strengeren Maßstäbenhinsichtlich Alter und Zahl zu betreuender Kinder, die im vor-angegangenen Abschnitt definiert wurden. Ferner werdenhier, abweichend von der Klassifikation des StatistischenBundesamtes, grundsätzlich alle Personen im Alter von18 bis 64 (statt 18 bis 59) Jahren einbezogen.

Einen Überblick über das derzeit ungenutzte Arbeitskräfte-potenzial gibt Tabelle 3.2. Bereinigt um solche Sozialhilfe-empfänger, die zugleich Arbeitslosengeld oder Arbeitslo-senhilfe beziehen, ergibt sich eine Gesamtzahl von rund4,5 Mill. erwerbsfähigen Personen im Alter von 18 bis 64 Jah-ren. Der weitaus größte Teil dieser Personen empfängtgegenwärtig Sozialleistungen, ein kleiner Teil erhält keineLeistungen oder ist in Maßnahmen der aktiven Arbeits-marktpolitik beschäftigt. Auf der Basis der obigen Überle-gungen sind davon 2,7 Mill. Personen dem Potenzial Ge-ringqualifizierter zuzurechnen, die für eine Beschäftigung

40

49 In den mit a) bezeichneten Teildiagrammen der Abbildungen 3.3 bis 3.7beginnt dieser Bereich dort, wo die Nettoeinkommenskurve nach derReform am weitesten über der Nettoeinkommenskurve vor der Reformliegt. Er endet dort, wo beide Nettoeinkommenskurven wieder zusam-menfallen.

50 Nach den in Kapitel 1 präsentierten Daten sind rund 37% aller registrier-ten Arbeitslosen in diesem Sinne gering qualifiziert. Diese Quote wird hiervereinfachend sowohl für alle Untergruppen der registrierten Arbeitslo-sigkeit – Bezieher von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sowie Ar-beitslose ohne Leistungsbezug – als auch für die Teilnehmer an Arbeits-beschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen angesetzt. Bei for-mal qualifizierten Beziehern von Arbeitslosenhilfe wird jedoch davon aus-gegangen, dass ihre Qualifikation durch die in der Regel seit mindestenseinem Jahr andauernde Arbeitslosigkeit weitgehend wertlos geworden ist,so dass sie kurz- bis mittelfristig ausnahmslos nur eine Beschäftigung imNiedriglohnsektor finden können. Bei den erwerbsfähigen Sozialhilfe-empfängern im Alter von 18–64 Jahren beträgt der Anteil Geringqualifi-zierter (einschließlich Personen, deren berufliche Qualifikation unbekanntist) 63,7%. Hinzu kommen solche Empfänger ergänzender Sozialhilfe,die zwar formal qualifiziert sind, als Arbeitslosenhilfeempfänger aber eben-falls unter die Vermutung entwerteter Qualifikationen fallen. Über die Dau-er der Nichterwerbstätigkeit sonstiger, formal qualifizierter Sozialhilfe-empfänger ist nichts Näheres bekannt.

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im Niedriglohnsektor in Frage kommen. Auf die Wiederein-gliederung dieses Personenkreises in reguläre Beschäfti-gung ist der ifo Vorschlag in erster Linie zugeschnitten.

Empfänger von Arbeitslosengeld und Teilnehmer an ar-beitsmarktpolitischen Maßnahmen, die über eine abge-schlossene Lehre oder höherwertige Qualifikationen verfü-gen, spielen bei der angestrebten Erweiterung des Niedrig-lohnsektors möglicherweise vorübergehend eine Rolle, z. B.weil ihr Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nach längerer Ar-beitslosigkeit realistischerweise nur über eine Beschäftigungerfolgen kann, die ihrem formalen Qualifikationsniveau nichtentspricht. Dauerhaft können sie jedoch in Beschäfti-gungsverhältnisse mit höheren Qualifikationsanforderungenaufsteigen, sofern neben den negativen Anreizeffekten vonLohnersatzleistungen auch andere Hemmnisse für mehr Be-schäftigung in Deutschland beseitigt werden.51 ZusätzlicheReformen, die vorrangig auf die Überwindung der Arbeits-losigkeit in anderen Arbeitsmarktsegmenten zielen und vorallem auf eine generelle Flexibilisierung tarifvertraglicher Lohn-vereinbarungen und auf Änderungen beim Kündigungs-schutz für reguläre (unbefristete) Arbeitsverhältnisse hin-auslaufen müssten, werden hier keinesfalls ausgeschlossen.Sie liegen jedoch außerhalb des Gesichtskreises des hierkonkretisierten Reformvorschlags.52

Bei der Schätzung in Tabelle 3.2 wird berücksichtigt, dasses im Niedriglohnsektor wie in jedem Arbeitsmarktsegmentlangfristig ein gewisses Niveau »friktioneller Arbeitslosig-keit«geben kann, die zwar in jedem Einzelfall nur vorüberge-hend ist, aber im Aggregat einen Dauerzustand darstellt. DieExistenz dieses schwer bezifferbaren Phänomens lässt es alsunrealistisch erscheinen, zu einem gegebenen Zeitpunkt je-weils das gesamte Arbeitskräftepotenzial, das für diesen Sek-tor zur Verfügung steht, in Beschäftigung zu bringen.53 Ver-anschlagt man den Anteil solcher durch laufende Eintritte inund Austritte aus Beschäftigung verursachten (registrierten)Arbeitslosigkeit im Niedriglohnsektor mit rund 20% des gegen-wärtigen Volumens54, so ist davon auszugehen, dass nachder Änderung der Rahmenbedingungen für Arbeitsnachfra-

ge und -angebot im Niedriglohnsektor rund 2,26 Mill. neueBeschäftigungsverhältnisse geschaffen werden können.

Die entscheidende Frage ist nun, welche Lohnänderungenerforderlich sind, um bei den Arbeitgebern in diesem Um-fang zusätzliche Nachfrage nach gering qualifizierter Ar-beit, also Niedriglohnjobs, entstehen zu lassen. Konkret lau-tet die Frage: »Um wie viel Prozent müssen sich die derzei-tigen Löhne für gering qualifizierte Erwerbstätige ändern, um2,26 Mill. zusätzliche Niedriglohnjobs zu schaffen?« Für diezu erwartenden größeren Beschäftigungsänderungen lässtsie sich mit Hilfe der Formel

∆ ln w = ∆ ln B

η

beantworten, wobei η die (als konstant unterstellte) Lohn-elastizität der Arbeitsnachfrage, w den Lohnsatz und B dieBeschäftigung im Niedriglohnsektor kennzeichnet. Das ∆vor einer Variablen zeigt die Änderung eben dieser Variablenan.55 Für die Lohnelastizität der Arbeitsnachfrage finden sichin der Literatur verschiedene empirisch fundierte oder auf-grund vorliegender Untersuchungen bzw. theoretischerÜberlegungen abgeleitete Schätzungen, die sich allerdingsteilweise auf unterschiedliche Einzeleffekte konzentrieren,die die gesamten Lohn- oder Beschäftigungsanpassungenbeeinflussen, einen unterschiedlichen Zeithorizont innerhalbdes Anpassungsverlaufs betreffen und sich auf unter-schiedliche Arbeitsmarktsegmente und Länder beziehen.Unterschieden werden dabei üblicherweise

• eine Elastizität, die bei unverändertem Output den Ersatzvon Kapital durch Arbeit bzw. von qualifizierter durch un-qualifizierte Arbeit betrifft und relativ klein ausfällt;

41

51 Die hier vorgeschlagene Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, die ja nichtnur die generelle Lohnuntergrenze beim gegenwärtigen Sozialhilfeniveaustützt, sondern für qualifizierte Erwerbspersonen auf individueller Basisnoch höhere Reservationslöhne fixiert, trägt bereits entscheidend zur Mo-bilisierung eines Teils dieses Personenkreises bei.

52 Klar ist allerdings, dass alle Arbeitslosen, qualifizierte und unqualifizierte,auf der Basis des ifo Reformvorschlags vor dieselben rechtlichen Rah-menbedingungen gestellt werden. Auch erwerbsfähige Sozialhilfeemp-fänger mit beruflicher Qualifikation unterliegen der Verpflichtung, eine kom-munale Beschäftigung auszuüben, wenn sie Leistungen im Umfang desbisherigen Sozialhilfeniveaus in Anspruch nehmen wollen. Unter der Vor-aussetzung weiterer Arbeitsmarktreformen sollte allerdings der Großteildieser Personen dann eine reguläre Beschäftigung im ersten Arbeits-markt aufnehmen. Mögliche Kosten der Beschäftigung qualifizierter Ar-beitskräfte im zweiten Arbeitsmarkt werden bei den nachfolgenden fiska-lischen Berechnungen ausgeklammert, um die verschiedenen Problem-kreise zu trennen und vorrangig die Effekte der hier vorgeschlagenen Re-form auszuloten.

53 Als Faustregel wird heute häufig davon ausgegangen, dass ein Viertel derderzeitigen Arbeitslosenquote von annähernd 10%, also 2,5%, das »Voll-beschäftigungsniveau« kennzeichnet. Diese Festlegung erscheint aller-dings als willkürlich, denn in den sechziger Jahren wurde eine Arbeitslo-senquote von unter 1% für normal gehalten. Da die Suche nach Nied-riglohnjobs wegen der relativ geringen Bedeutung der arbeitsplatzspezi-fischen Ausbildung unterdurchschnittlich lange dauern dürfte, sofern sol-che Jobs zur Verfügung gestellt werden, sollte die friktionelle Arbeitslo-sigkeit im Niedriglohnbereich im Übrigen eher niedriger liegen als im ge-samten Arbeitsmarkt.

54 Das ist immer noch ein recht hoher Wert, der eher zur Unterschätzung dermöglichen Beschäftigungseffekte der vorgeschlagenen Reformmaßnahmenführt. Angenommen wird dabei, dass zwar die Zahl friktionell Arbeitsloser,keinesfalls aber die Identität der Betroffenen im Zeitablauf unverändert bleibt.Im Rahmen der an diese Schätzungen anknüpfenden Berechnungen fis-kalischer Effekte ist daher zu beachten, dass von dauerhaft auftretenderFluktuationsarbeitslosigkeit Betroffene – aufgrund der im Durchschnitt we-sentlich geringeren Dauer ihrer Arbeitslosigkeit – aller Voraussicht nachfast ausnahmslos Ansprüche auf Arbeitslosengeld haben.

55 Die allgemeine Formel für eine entsprechende Arbeitsnachfragekurve lau-tet B = A wη, wobei A ein beliebiger Skalierungsparameter ist, der sichaus der Form der Produktionsfunktion, dem Kapitalstock und seinen An-passungen sowie dem Stand technischen Wissens ergibt. Soweit die an-genommene Elastizität η auf Schätzungen basiert, die nur für kleine, eher»marginale« Änderungen der relevanten Größen angestellt wurden, wer-den dabei allerdings mangels besserer Daten verallgemeinernde Schluss-folgerungen gezogen, die sich auf Änderungen einer in der Realität nichtbeobachtbaren Größenordnung nur eingeschränkt übertragen lassen.

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• eine Elastizität, die die bei unver-ändertem Kapitaleinsatz eintre-tenden Substitutions- und Ska-leneffekte erfasst und wegen derbei Lohnsenkungen erhöhten Pro-duktion deutlich größer ist;56

• eine Elastizität, die darüber hinausauch berücksichtigt, dass Lohn-senkungen eine Vergrößerung desKapitaleinsatzes lohnend machen,was die Nachfrageelastizität nochweiter vergrößert.57

Des Weiteren kann man die Elasti-zitäten nach der Zeitdauer zwischender Lohnsenkung und der Reaktion der Unternehmen unter-scheiden. Kurzfristig sind die Möglichkeiten für die in allenFällen erforderlichen technischen Substitutionsprozesse ehergering, doch je mehr Zeit verstreicht, desto größer sind dieReaktionen.

Entscheidend sind für die hier betrachtete Fragestellungauf jeden Fall nur die Angaben für den zweiten und drittendieser Werte, denn sicherlich wird es nach einer Lohnsen-kung nicht zu einer Kapitalabwanderung kommen. EinenÜberblick über die wichtigsten Ergebnisse hinsichtlich derLohnelastizität gibt Tabelle 3.3. Teilweise bleibt es unklar, aufwelche der Elastizitäten sich die Schätzungen beziehen undwie groß die Reaktionszeit ist. Die Schätzungen im Bereichdes Werts von 2 beziehen sich auf mittel- bis langfristige Re-aktionen, die bei gegebenem Kapitaleinsatz stattfinden. Diegeringeren Werte beziehen sich eher auf kurze Fristen undElastizitäten vom ersten Typ.

Leider ist auch nicht klar, ob die Schätzungen sich auf dieBeschäftigungseffekte innerhalb homogener Qualitätsklas-sen des Faktors Arbeit beziehen, wie es theoretisch eigentlicherforderlich wäre. Die vorhandenen Schätzungen vermit-teln durch Nichterwähnung dieses Punktes eher den Ein-

druck, dass die nötige Homogenität jeweils nur angenom-men wurde. Es ist deshalb zu vermuten, dass sich die Schät-zungen partiell auf die Nachfrageeffekte einer marginalenAbsenkung der Lohnkosten beziehen, ohne dass damit ei-ne Senkung der intramarginalen Lohnkosten impliziert ist,wie man es bei homogenen Klassen erwarten müsste.

Insofern ist das Bild, das die genannten Schätzungen lie-fern, äußerst grob. Vereinfachend wird für die mittel- bis lang-fristig relevante Elastizität im Folgenden ein »mittlerer« Wertfür die Lohnelastizität der Arbeitsnachfrage von – 1 ange-nommen.58 Als Faustregel für die Rechnungen gilt also, dassein Prozent Lohnsenkung im Niedriglohnbereich ein Prozentmehr Beschäftigung schafft.

Die Faustregel unterstellt, dass die Beschäftigungsan-passung nicht durch langsamere oder weniger starke Re-aktionen des Arbeitsangebots limitiert wird, sondern, beigegebenem Arbeitsangebot, allein von den Reaktionender Nachfrageseite abhängt. Geht man unter diesen An-nahmen davon aus, dass die gegenwärtige Beschäftigungim Niedriglohnsektor (B) näherungsweise durch die Zahlsozialversicherungspflichtig Beschäftigter ohne Abschlusseiner beruflichen Ausbildung (2000: 4,640 Mill. Perso-nen) erfasst werden kann59, während der angestrebte An-stieg (∆B) durch die in Tabelle 3.2 hergeleitete Zahl ge-geben ist, so ergibt sich, dass eine Senkung der derzeitgeringsten Lohnsätze innerhalb des Niedriglohnsektorsum rund ein Drittel (32,9%) erforderlich ist, um die ca.2,26 Mill. Arbeitsplätze zu schaffen, die dort auf Dauerentstehen sollen.

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56 Bei linear-homogenen Produktionsfunktionen gleicht diese Elastizität,soweit sie sich auf alle Arbeitskräfte bezieht, dem Quotienten aus derSubstitutionselastizität zwischen Arbeit und Kapital und der partiellen Pro-duktionselastizität des Kapitals. Da letztere im Bereich von etwa 0,3 understere im Bereich von etwa 0,6 liegt, ergibt sich der genannte Wert fürdie Nachfrageelastizität von ungefähr 2. Wird eine Teilmenge eines ho-mogenen Arbeitsmarkts betrachtet, so ist die Elastizität wegen der ge-ringeren Bezugsbasis größer, wird eine Teilmenge betrachtet, die ein Kom-plement zu anderen Teilmengen ist, kann sie kleiner sein.

57 »Extrem langfristig« ist die Lohnelastizität der Arbeitsnachfrage in einemeinfachen neoklassischen Modell offener Volkswirtschaften sogar un-endlich hoch: Die relativen Knappheiten von Arbeit und Kapital bzw. al-len anderen Produktionsfaktoren sind dann im Weltmaßstab definiert.Die angesichts dessen effiziente, für alle Volkswirtschaften frei verfügba-re Technologie fixiert die Faktorpreise. Und bei Lohnsatzvariationen in ein-zelnen Volkswirtschaften ergibt sich entweder – bei »richtiger« Wahl derFaktorpreisrelation – Vollbeschäftigung oder anderenfalls eine Arbeitslo-sigkeit von 100%. In der Realität werden zwar die dadurch gekennzeich-neten Gleichgewichtsmechanismen spürbar, die Anpassungen kommenaufgrund diverser Friktionen und fortlaufend neuer Schocks aber nie anein Ende.

58 Für eine relativ niedrige Elastizität spricht, dass der Niedriglohnsektor ineinem eher komplementären Verhältnis zum Rest der Wirtschaft steht. Füreine relativ hohe Elastizität spricht, dass hier nur ein Teilsegment des Ar-beitsmarktes betrachtet wird. Eine gegebene Lohnsenkung, die ein be-stimmtes Maß an Mehrbeschäftigung hervorruft, führt ja zu einer umsogrößeren prozentualen Zunahme der Beschäftigung, je kleiner die Teil-menge des Arbeitsmarktes ist, auf die dieses Maß bezogen wird. Vgl.European Economic Advisory Group at CESifo (2002, S. 78). Die sich indiesem Zusammenhang ergebenden empirischen Fragen sind noch lan-ge nicht gelöst.

59 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 4.2.1, 1999, S. 18.

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Wenn man auf der Basis dieser Schätzungen den gegen-wärtigen Stundenlohn für gering qualifizierte Arbeitskräftemit rund 8,70q (17 DM) ansetzt60, so müsste dieser Lohn-satz somit auf rund 5,80q (11,40 DM) sinken. Bei einer Voll-zeit-Beschäftigung mit rund 150 Stunden je Monat ergibtsich daraus ein monatlicher Bruttolohn in Höhe von ca.870q, der durch die neu eingeführte Lohnsteuergutschrift,je nach Haushaltstyp in verschiedenem Maße, aufgestocktwird. Das dazugehörige Nettohaushaltseinkommen liegtnach Umsetzung des ifo Reformvorschlages dann zwischen830 q (alleinlebende Erwerbsperson) und 1 635 q (Allein-verdiener-Ehepaare mit zwei Kindern).

Ebenso wichtig wie die Beschäftigungseffekte des ifo Vor-schlags sind schließlich die Auswirkungen der Reformen aufdas gesamtwirtschaftliche Wachstum. Die Zahl von knapp2,3 Mill. Arbeitskräften, für die mittelfristig zusätzliche Be-schäftigung im Niedriglohnsektor entstehen kann, ist gleich-bedeutend mit einer Erhöhung der Erwerbstätigenzahl umannähernd 6%. Da es sich jedoch um gering qualifizierte undentsprechend niedrig entlohnte Arbeit handelt, fällt ihr Bei-trag zum Sozialprodukt unterdurchschnittlich aus. Gleich-wohl ist der Wachstumseffekt der Reform nennenswert.

Ausgangspunkt für die Abschätzung der Zunahme des ge-samtwirtschaftlichen Outputs aufgrund der zusätzlichen Be-schäftigten ist die von ihnen erwirtschaftete Wertschöpfung,also der Lohnsumme zuzüglich der Arbeitgeberbeiträge zurSozialversicherung und der Mehrwertsteuer. Für den Fall,dass das gesamte Arbeitskräftepotenzial vom regulären Ar-beitsmarkt absorbiert wird, errechnet sich ein aggregiertesLohneinkommen der zusätzlich Beschäftigten im Niedrig-lohnsektor in Höhe von knapp 22 Mrd. q und eine dem Fak-tor Arbeit zusätzlich zurechenbare Wertschöpfung von30,7 Mrd. q.61 Dies ist eine Untergrenze für die tatsächli-che zusätzliche Wertschöpfung, weil die Zunahme der Stei-gerung der Einkommen komplementärer Faktoren (Kapital-erträge und Lohneinkommen für qualifiziertere Arbeit) nochhinzugerechnet werden muss. Aufgrund einer einfachen Ab-schätzung ergibt sich ein jährlicher Wohlfahrtsgewinn von

38,4 Mrd. q.62 Dies entspricht einer Steigerung des Brut-toinlandsprodukts um etwa 1,9%. Dieser zusätzliche Wachs-tumsschub fällt im Zuge der Ausweitung des Niedriglohn-sektors zwar nur einmalig und unter Umständen auf meh-rere Jahre verteilt an. Er steigert das Niveau des Wachs-tumspfades und damit die jährliche Wirtschaftsleistung aberdauerhaft. In jedem Jahr wird das Bruttoinlandsprodukt um1,9% größer sein, als es ohne die Reform der Fall gewesenwäre. Bei einem langfristigen Zins von real 4% und selbstbei einer nur statischen Berechnung impliziert dies einenBarwert des langfristigen Wohlfahrtsgewinns in Höhe vonknapp der Hälfte des derzeitigen deutschen Sozialproduktsoder 1 000 Mrd. q. Diese Zahl zeigt sehr deutlich, um wel-che Dimensionen es bei der Schaffung eines Niedriglohn-sektors in Deutschland wirklich geht.

Verteilungswirkungen

Die in den vorangegangenen Abschnitten erläuterte Re-form des Sozialhilfesystems hat komplexe Verteilungswir-kungen, die durch die Reaktion des Lohnsatzes und die Ge-währung einer neuartigen Lohnsteuergutschrift für Be-schäftigte im Niedriglohnbereich bestimmt werden. Wie ein-zelne Individuen bzw. Haushalte von der Reform betroffenwerden, hängt in erster Linie davon ab, ob sie zuvor Sozi-alleistungsempfänger oder bereits im Niedriglohnsektor be-schäftigt waren.

Erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger werden nach der Re-form entweder im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt sein, wo-bei ihre gefallenen Löhne durch die Lohnsteuergutschriftüber das heutige Sozialhilfeniveau hinaus aufgestockt wer-den, oder sie werden einer kommunalen Beschäftigungnachgehen und dafür exakt den bisherigen Sozialhilfesatzbeziehen. Nur wenn sie auch die staatlich organisierte Be-schäftigung ablehnen, erhalten sie stark reduzierte Sozial-leistungen der Eingangsstufe. Durch eine Selbstselektionder Betroffenen wird es sich dabei in aller Regel um Perso-nen handeln, die über andere Einkommensquellen verfü-gen (Unterstützung durch Dritte, Schwarzarbeit, Vermö-genserträge und dgl.), die in den hier angestellten Berech-nungen aber nicht erfasst sind.

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60 Dieser Schätzwert ergibt sich auf der Basis der Angaben in Bundesminis-terium für Arbeit und Sozialordnung (2002, Tab. 5) und WSI (2001), wo-bei versucht wird, einen Mittelwert für niedrige Löhne zu verwenden, dereher auf Effektiv- als Tariflöhne abstellt, und damit der geringeren Lohn-drift im Dienstleistungssektor im Vergleich zum verarbeitenden GewerbeRechnung zu tragen.

61 Diesen Schätzungen liegen dieselben Berechnungen zugrunde wie beider anschließenden Bestimmung der fiskalischen Effekte des ifo Re-formvorschlags. Für den Fall einer vollständigen Eingliederung des Ar-beitskräftepotenzials von 2,26 Mill. Personen in den ersten Arbeitsmarktergeben sich dort aus der Lohnsumme der zusätzlich Beschäftigten inHöhe von 21 959 Mill. r, bei kumulierten Beitragssätzen zu Sozialversi-cherung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber von 41,3% Sozialbeiträge inHöhe von 9 069 Mill. r (vgl. Tab. 3.7, Variante 1). In der angegebenenLohnsumme noch nicht enthalten sind allerdings die Arbeitgeberbeiträ-ge selbst (20,65%) sowie die anfallende Mehrwertsteuer (16%). Fügt mandiese Posten hinzu, beläuft sich die auf den Faktor Arbeit entfallende zu-sätzliche Wertschöpfung zu Marktpreisen auf rund 30 732 Mill. r.

62 Ausgehend von der Annahme einer isoelastischen Arbeitsnachfrage(mit η = – 1), die zugleich den Verlauf der Grenzwertschöpfung der zu-sätzlich eingesetzten Arbeit angibt, lässt sich das Integral unter dieser Kur-ve wie folgt abschätzen: Da die Beschäftigung im Niedriglohnsektorannähernd verdoppelt wird und sich die Löhne (mindestens der Neube-schäftigten) gegenüber dem vorherigen Lohnsatz daher um rund ein Drit-tel reduzieren, liegt die marginale Wertschöpfung des »ersten« Neube-schäftigten um rund die Hälfte über der des »letzten«. Verwendet man ver-einfachend (trotz des gekrümmten Kurvenverlaufs) die Dreiecksformelzur Bestimmung des Teils der Wertschöpfung, der durch Bruttolohnsum-me, einschließlich Arbeitgeberanteile der Sozialversicherungsbeiträge, undindirekte Steuern noch nicht erfasst ist, so erhöht sich der Betrag von30,7 Mrd. r um ein weiteres Viertel.

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Personen, die bereits vor der Reform im Niedriglohnbereichbeschäftigt waren, müssen Lohnsenkungen hinnehmen, diemit der Ausweitung dieses Arbeitsmarktsegments einher ge-hen. Betroffen von diesem Effekt sind insbesondere Perso-nen, deren Einkommen nicht sehr weit über dem bisheri-gen Sozialhilfeniveau lag, denn es ist davon auszugehen,dass ihre Arbeitsleistung ein besonders enges Substitut zurArbeitsleistung der neu in den Markt Tretenden ist. Es wirddavon ausgegangen, dass das Einkommen dieser Arbeit-nehmergruppe (bei als unverändert unterstelltem Arbeits-volumen) um 33% zurückgeht. Für Beschäftigte, deren Ein-kommen vom bisherigen Sozialhilfeniveau dank ihrer höhe-ren Produktivität am stärksten abweicht und deren Arbeits-leistung durch die neu in den Markt Tretenden kaum er-setzt werden kann, werden nur geringe Einkommensein-bußen von 2,4% unterstellt. Im Durchschnitt aller 11 Ein-kommensklassen, in welche der Niedriglohnsektor bei denBerechnungen unterteilt wurde, ergibt sich ein Einkom-mensrückgang von 16,5%. Dies entspricht der Hälfte desUmfangs der Senkung der untersten Bruttolöhne im Nied-riglohnbereich (33%), die erforderlich ist, um 2,26 Mill. neueArbeitsplätze zu schaffen. Die von der Lohnsenkung be-troffenen Altbeschäftigten kommen aber mehrheitlich eben-so wie die Neubeschäftigten in den Genuss der Lohnsteu-ergutschriften. Dadurch werden sie weitgehend für die Lohn-senkung kompensiert, die als Folge der aktivierenden Sozi-alhilfe zu erwarten ist. Dies ist der viel kritisierte, aber schonbei der Diskussion der Gründe für eine breite Subventionie-rung geringer Erwerbseinkommen geforderte »Mitnah-meeffekt«, der aus verteilungspolitischen Gründen für dieFunktionsweise des ifo Modells unverzichtbar ist.

Ein einfacher, aber grober Überblick über die Verteilungs-wirkungen lässt sich gewinnen, wenn man, ausgehend vondiesen Alternativen, die Veränderungen des Einkommensanalysiert, die sich für einige ausge-wählte Haushaltstypen ergeben. Be-trachtet werden dabei zum einenehemalige Sozialhilfeempfänger, dieneu in den Arbeitsmarkt eintreten. Beieiner Vollzeitbeschäftigung von150 Stunden im Monat und einemBruttostundenlohn von 5,80 q be-läuft sich ihr Bruttoeinkommen auf870 q im Monat. Zum anderen wirduntersucht, wie sich das Einkommenvon bisher schon im Niedriglohnsek-tor beschäftigten Arbeitnehmern ver-ändert. Verdiente ein Beschäftigterbisher z.B. 1 300 q im Monat, sosinkt sein Bruttoeinkommen durchdie Erweiterung des Niedriglohnsek-tors auf 1 110 q im Monat ab. Eshandelt sich hier also um einen Fall,der mit einer Lohnsenkung von 15%

ungefähr dem mittleren Typus aus der Gruppe der Niedrig-lohnempfänger entspricht.

Um die Veränderung der Haushaltsnettoeinkommen zu er-mitteln, müssen von den Bruttoeinkommen die Steuern undSozialversicherungsbeiträge in Abzug gebracht und das Kin-dergeld und die Lohnsteuergutschriften hinzugefügt wer-den. Tabelle 3.4 verdeutlicht, dass der Übergang in die Er-werbsarbeit für alle ehemaligen Sozialhilfeempfänger klarefinanzielle Vorteile bringt. Je nach Haushaltstyp beläuft sichdie Differenz der Haushaltsnettoeinkommen vor und nachder Reform auf rund 90 bis 420 qmonatlich. Das impliziertaußerdem, dass es einen entsprechend hohen Lohnabstandzwischen einer kommunalen Beschäftigung und einer re-gulären Vollzeitbeschäftigung gibt, der bei vermehrter Ar-beitsnachfrage nennenswerte Anreize schafft, einen staat-lich bereit gestellten Job so rasch wie möglich wieder auf-zugeben, um eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt an-zunehmen.

Ein differenzierteres Bild ergibt sich bei den Personen, dieschon vor der Reform im Niedriglohnsektor beschäftigt wa-ren. Tabelle 3.4 weist aus, dass in allen Haushalten mit ei-ner Erwerbsperson die Einbeziehung in das System derLohnsteuergutschriften die durch die Reform ausgelöstenLohnsenkungen weitgehend ausgleicht. Bei Alleinstehen-den und Alleinerziehenden mit einem Kind ergeben sichgeringe Einbußen beim Haushaltsnettoeinkommen von gut30 q im Monat. Finanzielle Einbußen erleiden durch die Re-form ebenfalls Haushalte mit zwei Erwerbspersonen, die bei-de vollzeitbeschäftigt sind. Die Haushaltseinkommen sinkenin diesen Fällen um etwa 140 bis 210 q. Der wichtigsteGrund für diese Effekte ist die erwartete Lohnsenkung auchfür bereits Beschäftigte, die durch die Ausweitung des Nied-riglohnsektors bewirkt wird, nicht dagegen die Verringe-

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rung von Transferansprüchen. Bemerkbar macht sich hierallerdings auch, dass die Summe zweier vollwertiger Brut-toarbeitseinkommen in den obigen Beispielfällen vor der Re-form rund 2 600 q, nach der Reform immer noch 2 220 qerreicht und damit im Abschmelzungsbereich der Lohn-steuergutschrift oder sogar jenseits dieses Bereichs liegt,auch wenn beide Löhne im Niedriglohnsektor erzielt wer-den. Die für diese Fälle geltende Annahmenkombination,insbesondere eine Vollzeitbeschäftigung beider Partner inFamilienhaushalten, ist allerdings vergleichsweise extrem.Bei einer Kombination von Vollzeitbeschäftigung eines Part-ners mit Teilzeitbeschäftigung des anderen kann die Lohn-steuergutschrift ihre kompensierende Wirkung beispiels-weise schon wieder fast voll entfalten.

Nicht betrachtet werden hier die ehemaligen Empfänger vonArbeitslosenhilfe, deren Sozialleistungsansprüche vor der Re-form höher gewesen sein können als das alte Sozialhilfeni-veau. Auch bei gering qualifizierten Arbeitslosenhilfeempfän-gern, deren Ansprüche tendenziell gering sind, ist eine finan-zielle Schlechterstellung nur bei solchen Beziehern von Ar-beitslosenhilfe auszuschließen, die zugleich ergänzende So-zialhilfe erhalten. Durch die Zusammenlegung der Arbeitslo-senhilfe mit der Sozialhilfe werden die sonstigen Arbeitslo-senhilfebezieher finanziell unter Umständen zunächst schlech-ter gestellt. Ihnen wird aber durch die Aufnahme einer Nied-riglohnbeschäftigung die Möglichkeit eröffnet, später höhereArbeitseinkommen zu erzielen. Außerdem sind mit der Öff-nung des ersten Arbeitsmarktes für Langzeitarbeitslose undPersonen ohne berufliche Qualifikation für diese weitere Vor-teile verbunden wie Lerneffekte, die Herstellung sozialer Kon-takte, eine erhöhte Selbstachtung und die Vermeidung vonBedürftigkeitsprüfungen. Hinzu kommen das Wiederaufle-ben von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld und der Erwerb vonRentenanwartschaften, die sich ebenfalls nicht oder nicht so-fort im Haushaltsnettoeinkommen niederschlagen.

Fiskalische Effekte

Bei der Berechnung der fiskalischen Wirkungen des ifo Re-formvorschlags werden die Belastungen, die sich primärdurch die Gewährung der neuartigen Lohnsteuergutschriftan Beschäftigte im Niedriglohnbereich ergeben, den Ent-lastungen gegenüber gestellt, die durch zusätzliche Ein-nahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen und Einkom-mensteuern der zusätzlichen Beschäftigen (»Neubeschäf-tigten«) sowie aus Einsparungen im sozialen Sicherungs-system entstehen. Außerdem werden die Kosten der kom-munalen Beschäftigung berücksichtigt.

Bei allen Rechnungen werden die direkten Kosten und Er-träge berücksichtigt. Außerdem werden die Effekte in Rech-nung gestellt, die von Anpassungen der Bruttolöhne der schonzuvor im Niedriglohnsektor Beschäftigten (»Altbeschäftigten«)

ausgehen. Deren Bruttolöhne werden einem Anpassungs-druck durch die Integration der bisher Arbeitslosen in denNiedriglohnbereich des ersten Arbeitsmarktes ausgesetzt.Wie es im vorigen Abschnitt schon erläutert wurde, dürftendie dadurch ausgelösten Lohnsenkungen umso höher aus-fallen, je ähnlicher die ausgeübte Arbeit zur Arbeit der neu ein-gestellten Personen ist, und damit wohl, je näher der Lohn inder Ausgangslage beim Niveau der alten Sozialhilfe liegt. Nied-riglöhne, die relativ weit vom Sozialhilfeniveau entfernt sind,werden wahrscheinlich an Personen gezahlt, deren Arbeits-leistung kein sehr enges Substitut zur Leistung derjenigen ist,die durch die Reform und die damit einhergehende Beseiti-gung der Lohnuntergrenze Beschäftigung finden. Diese Löh-ne werden nur wenig sinken. Umgekehrt werden Löhne, dienur knapp über der alten Sozialhilfe liegen, durch die Reformstärker reduziert. Für unsere Berechnungen wurde ange-nommen, dass das Ausmaß der Lohnsenkung der Altbe-schäftigten im Durchschnitt 50% der Lohnänderung aus-macht, die erforderlich ist, um 2,26 Mill. zusätzliche Niedrig-lohnjobs zu schaffen. Das heißt, die Löhne der schon Be-schäftigten sinken in diesem Fall um durchschnittlich 16,5%.

Um die Rechnung zu vereinfachen und bei den Abschätzun-gen auf der sicheren Seite zu bleiben, werden einige Effekte,die für sich genommen zu einer Entlastung des Staatsbud-gets führen würden, ausgeklammert. So werden die aus Ent-lastungen der öffentlichen Haushalte resultierenden indirek-ten Effekte nicht berücksichtigt. Des Weiteren wird vernach-lässigt, dass es aufgrund der Abnahme der Arbeitslosigkeitzu einer Senkung der Ausgaben der Bundesanstalt für Ar-beit kommen wird. Genauso wenig wird in Betracht gezogen,dass aufgrund einer erhöhten Wertschöpfung das Mehr-wertsteueraufkommen steigt. Auf der anderen Seite werdendie Kosten für den erforderlichen Ausbau von Kinderbetreu-ungseinrichtungen ebenfalls nicht in Rechnung gestellt.

Bei der Bestimmung der fiskalischen Effekte braucht die Ver-ringerung der Steuern und Sozialabgaben nicht berück-sichtigt zu werden, die als Folge der Lohnsenkung bei denAltbeschäftigten zu erwarten ist. Diese Lohnsenkung, die jamit der vermehrten Beschäftigung im Niedriglohnsektor ein-hergeht, führt nämlich zu einer Steigerung der Einkommenkomplementärer Produktionsfaktoren in exakt gleicher Hö-he, weil sich das Wertgrenzprodukt dieser Faktoren erhöht.Sie ist eine bloße Umverteilung von den substitutiven zu denkomplementären Produktionsfaktoren, zu denen vor allemauch die höherwertige Beschäftigung gehört. In erster Nä-herung kann angenommen werden, dass diese Umvertei-lung zwar zu einer Verlagerung, nicht aber zu einer Verrin-gerung der Einnahmen des Staates führt. Wenn überhaupt,so ist tendenziell eher eine Erhöhung der Einnahmen zu er-warten, weil die Begünstigten höher in der Progression desEinkommensteuertarifs stehen und deshalb wahrscheinlicheine größere prozentuale Abgabenbelastung zu tragen ha-ben als die Geringverdiener, die als Anbieter substitutiver

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Leistungen Einkommensverluste erleiden. Dessen unge-achtet ist freilich in Rechnung zu stellen, dass diejenigen,deren Einkommen wegen der Reform fallen, nun mögli-cherweise in den Genuss der Lohnsteuergutschrift kommenund insofern eine Nettokostenbelastung für den Staat im-plizieren.

Die Verschiebung der Einkommen der Altbeschäftigten wirdin Abbildung 3.8 noch einmal für ein in sich homogenes Teil-segment des Niedriglohnsektors veranschaulicht. Durch denAnstieg der Beschäftigung in diesem Segment von B0 auf B1

steigt die Wertschöpfung, allerdings bei sinkender Grenz-produktivität, um die gesamte Fläche unter der Arbeitsnach-fragekurve. Der Lohn sinkt von w0 auf w1. Bei den bereits vorder Reform Beschäftigten fallen daher, trotz der für ihren Be-reich unveränderten Wertschöpfung, die Lohnzahlungen.Spiegelbildlich dazu steigen die Einkommen komplementä-rer Faktoren, z.B. qualifizierter Arbeit, und die Gewinne derUnternehmen genau im Umfang der Lohneinbußen der Alt-beschäftigten an. Die relevante Fläche (w0 – w1) B0 ist in derGraphik hervorgehoben. Dadurch kommt es zu einem Mehran Steuereinnahmen und Sozialbeiträgen an anderer Stelle.

Von zentraler Bedeutung für die Abschätzung der fiskali-schen Wirkungen ist die Frage, in welchem Umfang die zu-vor nicht-erwerbstätigen Sozialleistungsempfänger im Ge-folge der Reform eine sozialversicherungspflichtige, nicht als»geringfügig« eingestufte Beschäftigung aufnehmen wer-den. Es werden drei Varianten betrachtet, wobei von einermöglichen Änderung der Stillen Reserve abstrahiert wird.In Variante 1 werden alle 2,26 Mill. gering qualifizierten Ar-beitslosen vom ersten Arbeitsmarkt absorbiert. In Variante 2finden nur 1,8 Mill. Personen (80%) des gesamten, hier zu-grunde gelegten Arbeitskräftepotenzials eine reguläre Ar-beit, 300 000 leisten kommunale Arbeit und 150 000 Per-sonen ziehen es vor, nicht zu arbeiten. In der unwahr-

scheinlichen Variante 3 finden nur 1,4 Mill. Personen (60%)eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt.

Die fiskalischen Belastungen des ifo Vorschlags ergeben sichin erster Linie aus der Gewährung der Lohnsteuergutschrif-ten.63 Die Lohnsteuergutschriften werden sowohl Altbe-schäftigten als auch Neubeschäftigten gewährt, sofern be-stimmte Grenzen des Haushaltseinkommens nicht über-schritten werden. Diese Grenzen variieren je nach Haus-haltstyp. Um zu ermitteln, wie viele Altbeschäftigte in denGenuss einer Lohnsteuergutschrift kommen, muss in einemersten Schritt festgestellt werden, wie viele Beschäftigte inDeutschland den einzelnen Haushaltstypen zuzurechnensind, für die ja, wie oben erläutert wurde, jeweils ein eigen-ständiger Tarif der Lohnsteuergutschriften vorgesehen ist.Die Grundlage für diese Berechnungen bildet die Haushalts-und Familienstatistik des Statistischen Bundesamtes. Diean Hand des Mikrozensus ermittelte Haushaltsstruktur derBeschäftigten wird auf die Gesamtzahl der sozialversiche-rungspflichtig Beschäftigten und der Beamten in Höhe von29,0 Mill. im Jahr 2000 übertragen (vgl. Tab. 3.5).64

In einem weiteren Schritt wird dann festgestellt, welcher An-teil der Beschäftigten die relevanten Einkommensgrenzennicht überschreitet. Zu diesem Zweck wird die Verteilung derHaushaltseinkommen nach Haushaltstypen geschätzt. DieGrundlage hierfür bildet die Verteilung der Bruttoverdiensteder sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 1995.65 Eswird angenommen, dass sich diese Verteilung bis zum Jah-re 2001 ihrer Struktur nach nicht verändert hat. Allerdingswerden die Einkommensgrenzen mit der Zuwachsrate desBruttoarbeitseinkommens (8% für den Zeitraum von 1995 bis2001) fortgeschrieben.66 Außerdem wird, wie oben ausge-führt, unterstellt, dass die Haushaltseinkommen der Altbe-schäftigten durch die Konkurrenz der Neubeschäftigten imDurchschnitt um 16,5% (Variante 1), um 14% (Variante 2) bzw.um 11,3% (Variante 3) sinken. Eine weitere Annahme mussfür die Haushalte getroffen werden, in denen beide Ehepart-ner arbeiten, da es bei der Berechnung der Lohnsteuergut-schriften auf das gemeinsame Haushaltseinkommen an-kommt. Hier wird unterstellt, dass beide Partner ein gleichhohes Arbeitseinkommen erzielen.67 Auf der Grundlage derso berechneten Verteilungen der Haushaltseinkommen kannermittelt werden, dass 4,5 Mill. Altbeschäftigte in den Genuss

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Abb. 3.8

63 Hinzu kommen geringe Belastungen durch Gewährung aufstockender So-zialhilfe, die aber vom Umfang her mit der aufstockenden Sozialhilfe alterArt nicht zu vergleichen ist.

64 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 3, 2000, S. 37, 41,134, 144, 145, Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 4.2.1, 1999,S. 17, sowie Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Heft 10,2001, S. 801.

65 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 4.2.2, 1995, S. 17, so-wie Fachserie 16, Lohnstrukturerhebung 1995, Heft 1, S. 29 und 277.

66 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 3, 4. Vierteljahr 2001.67 Dies führt zu einer Überschätzung der fiskalischen Kosten, da bei der Paa-

rung eines niedrigen mit einem hohen Einkommen fast alle Haushalte mitzwei Erwerbspersonen ein so hohes Haushaltseinkommen erzielen, dasskein Anspruch auf Lohnsteuergutschrift mehr besteht.

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der Lohnsteuergutschriften kommen (vgl. Tab. 3.5).68 Mit Hil-fe der so bestimmten Verteilung der Haushalte nach ihremHaushaltseinkommen und der einzelnen Tarifverläufe derLohnsteuergutschriften lassen sich dann auch die Kosten derLohnsteuergutschrift für die verschiedenen Haushaltstypenerrechnen. Sie belaufen sich auf insgesamt 11,6 Mrd. r fürdie Altbeschäftigten (vgl. Tab. 3.5).

Die Berechnung der Lohnsteuergutschriften für die Neube-schäftigten erfolgt nach einem ähnlichen Muster wie die fürdie Altbeschäftigten. Es gibt aber einen wesentlichen Unter-schied. Infolge der vorgeschlagenen Reform der Sozialhilfewird der Bruttolohn am unteren Ende der Lohnskala sin-ken. Entsprechend der zitierten Elastizitätsschätzungen wirdangenommen, dass der Mindestlohn um 33% abnehmenwird. Daraus resultiert, dass die Neubeschäftigten im Durch-schnitt ein Bruttoeinkommen erzielen, das stärker abgesenktwird als das der Altbeschäftigten des Niedriglohnbereichs(deren Einkommen ja nur um durchschnittlich 16,5% zu-rückgeht, weil es sich hierbei, wie erläutert, teilweise um Per-sonen handelt, die keine engen Substitute zu den Neube-schäftigten sind). Außerdem weicht dadurch die Verteilungder Haushaltseinkommen von der der Altbeschäftigten ab.

Um diese Änderung zu berücksichtigen, wird zwar die Ver-teilung der Bruttoarbeitseinkommen der Altbeschäftigten

(siehe oben) zugrunde gelegt, abergleichzeitig angenommen, dass dieNeubeschäftigten durch eine Ver-schiebung der Verteilungsfunktionnicht mehr als 1 370 r pro Monatverdienen. Die Kosten der Lohnsteu-ergutschriften ergeben sich analogaus der Haushaltsstruktur der Neu-beschäftigten und den einzelnen Ta-rifen für Lohnsteuergutschriften nachHaushaltstypen. Sie werden sich fürdie Neubeschäftigten auf 7,7 Mrd. rbelaufen, wobei allerdings nicht alleNeubeschäftigten die Lohnsteuer-gutschrift beanspruchen können, daviele Ehepaare mit zwei Erwerbstäti-gen die Grenze für das maximaleHaushaltseinkommen überschreitenwerden (vgl. Tab. 3.5).69

Die gesamten Kosten für die Lohn-steuergutschriften werden sich die-sen Schätzungen zufolge in Varian-te 1, d.h. bei maximalem Beschäfti-gungseffekt im regulären Arbeits-markt, auf insgesamt 19,4 Mrd. rbe-

laufen. Das entspricht einem Anteil am BIP in Höhe von0,96%. In den USA lag der Anteil des EITC am BIP im Jah-re 1999 bei 0,3%. Großbritannien wendet etwa 0,6% desBIP für den WFTC auf (OECD 1999, S. 156).

Zusätzliche fiskalische Belastungen können entstehen, wennnur ein Teil des Arbeitskräftepotenzials eine reguläre Arbeitfindet. Die übrigen Arbeitskräfte werden entweder kommu-nale Arbeit verrichten und insgesamt Leistungen in Höhe derbisherigen Sozialhilfe erhalten, oder sie arbeiten nicht undhaben dann nur einen deutlich reduzierten Sozialhilfean-spruch. Die Kosten im Falle kommunaler Arbeit setzen sichaus den Sozialhilfeleistungen in Höhe von durchschnittlich7 490 r pro Person und Jahr und den Personal- und Sach-kosten der kommunalen Beschäftigungsgesellschaften bzw.Leiharbeitsfirmen zusammen. Aktuelle Durchschnittswerte,welche die Ausgaben der Träger pro Teilnehmer in ABM oderähnlichen Maßnahmen wiedergeben und die für einschlägi-ge Kostenschätzungen herangezogen werden könnten, las-sen sich nur schwer finden. Die wenigen vorliegenden An-gaben70 lassen Ausgaben pro Teilnehmer und Jahr von rund5 000 r als nicht unrealistisch erscheinen. Es finden sichaber auch höhere Werte.71 Für die Berechnungen wird des-halb angenommen, dass im Durchschnitt der kommunalen

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68 Da bei sehr niedrigen Arbeitseinkommen die Lohnsteuergutschrift nichtausreicht, um das neue Niveau der Sozialhilfe zu erreichen, wird in sol-chen Fällen eine aufstockende Sozialhilfe bezahlt. Der Berechnung lie-gen dieselben Annahmen wie bei den Lohnsteuergutschriften zugrunde.

69 Bei der aufstockenden Sozialhilfe wird entsprechend vorgegangen.70 Vgl. Schultz (2002); Schöb (2002) sowie Spitznagel und Bach (2000).71 So werden für das Siegener Modellprojekt für Dauerarbeitslose Projekt-

kosten von 11 230 p pro Teilnehmer und Jahr angegeben (vgl. Empterund Frick 1999, S. 100).

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Beschäftigungsmaßnahmen 7 500 rpro Teilnehmer und Jahr aufgewen-det werden müssen. Die abgesenk-te Sozialhilfe, die ohne Arbeit gewährtwird, beläuft sich auf 4 112 r proPerson und Jahr.72

Den mit dem ifo Vorschlag verbun-denen fiskalischen Belastungen ste-hen im Wesentlichen zwei Typen vonEntlastungen gegenüber. Dies sindzum einen die Sozialversicherungs-beiträge (Arbeitgeber- und Arbeit-nehmeranteile) und die Lohnsteuer,welche die Neubeschäftigten zu ent-richten haben. Bei der Ermittlung die-ser zusätzlichen öffentlichen Einnah-men wird davon ausgegangen, dassdie Neubeschäftigten sich in dersel-ben Weise auf die Bruttoarbeitsein-kommensklassen verteilen, wie es oben bei der Berech-nung der Lohnsteuergutschrift für Neubeschäftigte darge-legt wurde. Der zweite Entlastungsposten sind die Einspa-rungen bei Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe so-wie ABM und SAM, die daraus resultieren, dass ein Teil derLeistungsempfänger seine Ansprüche durch Aufnahme ei-ner regulären Beschäftigung im Niedriglohnbereich verliert.73

Es wird überwiegend davon ausgegangen, dass sich die Aus-gaben für die einzelnen Leistungsbereiche grundsätzlich pro-portional zum Anteil Geringqualifizierter an den jeweiligenLeistungsempfängern reduzieren.74 Bei den Einsparungenbeim Arbeitslosengeld wird jedoch berücksichtigt, dass ge-ring qualifizierte Arbeitslose nur einen unterdurchschnittlichhohen Leistungsanspruch haben75, so dass die Einsparun-gen durch ihren Abgang niedriger ausfallen als wenn durch-schnittliche Leistungsempfänger aus dem Sicherungssys-tem ausscheiden würden. Die Ergebnisse der Berechnun-gen sind in Tabelle 3.6 wiedergegeben. Durch die Reformdes sozialen Sicherungssystems werden Einsparungen inHöhe von insgesamt 16,3 Mrd. r (Variante 1) erzielt.

Neben diesen beiden Haupteinsparpotenzialen ergibt sicheine weitere Entlastung der öffentlichen Haushalte dadurch,dass die Altbeschäftigten keine aufstockende Sozialhilfe nachdem alten Muster mehr erhalten werden. In den Genussder aufstockenden Sozialhilfe kamen im Jahre 1999150 000 Erwerbstätige (65 000 Vollzeit, 85 000 Teilzeit) (Hau-stein 2001, S. 377). Ein Teil von ihnen, 40 000 Teilzeitbe-schäftigte, dürfte zur Gruppe der hier nicht berücksichtig-ten geringfügig Beschäftigten gehören. Für die verbleiben-den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wurde (man-gels besserer statistischer Informationen) angenommen,dass sie einen Sozialhilfeanspruch in Höhe des Nettoan-spruchs eines vollzeit- bzw. teilzeitbeschäftigten Singles inHöhe von 259 r bzw. 297 r pro Monat haben.76 Dement-sprechend ergeben sich zusätzliche Einsparungen in Höhevon 362 Mill. r pro Jahr.

In Tabelle 3.7 werden die gesamten fiskalischen Be- undEntlastungen einander gegenüber gestellt und bilanziert.Falls es gemäß Variante 1 gelingt, alle 2,26 Mill. Arbeitslosein den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, würde dies persaldo zu fiskalischen Einsparungen in Höhe von 6,2 Mrd.rpro Jahr führen. Mehrbelastungen durch die Steuergut-schriften in Höhe von 19,4 Mrd. r stünden Entlastungendurch zusätzliche Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von9,1 Mrd. r und Einsparungen bei den Sozialleistungen inHöhe von 16,3 Mrd. r gegenüber. Auch wenn es gelingt,nur 1,8 Mill. Arbeitslose in reguläre Arbeit zu bringen (Vari-ante 2), würden die öffentlichen Gebietskörperschaftenimmerhin um 2,8 Mrd. r entlastet. Erst für den Fall, dassnur 60% des Arbeitskräftepotenzials eine reguläre Be-schäftigung finden (Variante 3), entstehen geringe fiskalischeKosten.

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72 Es wurde der gewichtete Durchschnitt nach Haushaltstypen unterstellt.73 Nach dem ifo Vorschlag entfallen Leistungen für Arbeitslosenhilfe und ABM

und SAM in Zukunft völlig. Außerdem werden erwerbsfähige Sozialhilfe-empfänger keine Leistungen mehr nach den alten Bedingungen erhal-ten. Bei unseren Berechnungen werden aber nicht die gesamten Ein-sparungen betrachtet, die sich aus diesen Rechtsänderungen ergeben,sondern nur diejenigen, die mit dem Ausscheiden niedrig qualifizierterArbeitsloser aus den Sicherungssystemen verbunden sind. Empfängervon Arbeitslosenhilfe mit abgeschlossener Berufsausbildung werden we-gen der bei ihnen zu beobachtenden Dequalifizierung als Folge der lang-andauernden Arbeitslosigkeit als niedrig qualifiziert eingestuft. Arbeitslo-sengeldempfänger erhalten weiterhin Arbeitslosengeld, sofern sie keinereguläre Beschäftigung finden.

74 Zur Berechnung des Arbeitskräftepotenzials vgl. einen früheren Abschnitt.75 Die Höhe des Arbeitslosengeldes von niedrig qualifizierten Leistungs-

empfängern wurde an Hand der Daten der Bundesanstalt für Arbeit überdie Empfänger von Arbeitslosengeld, gegliedert nach der Höhe der emp-fangenen Leistungen (September 1998), berechnet. Vgl. Bundesminis-terium für Arbeit und Sozialordnung (2000), S. 118 ff.

76 Berechnungen auf der Grundlage des Mikrodatenfiles der repräsentativen25%-Stichprobe der Sozialhilfeempfänger (Statistisches Bundesamt 2000).

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Die Berechnung der fiskalischen Wirkungen ist unter teil-weise restriktiven Annahmen erfolgt. So ist z.B. unberück-sichtigt geblieben, dass die höheren Nettoeinkommen derNeubeschäftigten zu einem Anstieg der Mehrwertsteuer-einnahmen führen und weitere indirekte Effekte auslösen.Außerdem wurde bei den obigen Berechnungen generell einunmittelbarer Übergang zu einem neuen »Gleichgewichts-zustand« unterstellt. Länger andauernde Anpassungspro-zesse hätten zur Folge, dass die Bilanz der fiskalischen Be-und Entlastungen zunächst von Jahr zu Jahr anders aus-fällt, bis die hier betrachtete Gleichgewichtssituation erreichtwird. Tendenziell wird man erwarten können, dass die Bud-geteffekte anfangs weniger günstig ausfallen, sich aber imLaufe der Zeit immer mehr verbessern, weil ein wachsen-der Teil der Betroffenen den Weg in eine höherwertige Be-schäftigung im privaten Sektor findet.

Zusammenfassung

Das gegenwärtige System existenzsichernder Sozialleis-tungen, insbesondere die Sozialhilfe in ihrer Funktion als ei-ner lohnunabhängigen Untergrenze für Ansprüche gegenden Staat, bildet ein entscheidendes Hemmnis für die Be-schäftigung gering qualifizierter Arbeitskräfte in Deutschland.Die Sozialhilfe zieht eine Untergrenze in das Lohngefügeein und erzeugt dadurch Arbeitslosigkeit. Kein Unternehmerstellt jemanden ein, dessen Wertschöpfung kleiner ist als der

Lohn, den er für ihn bezahlen muss,und kaum ein Anspruchsberechtig-ter wird eine Stelle annehmen, de-ren Nettolohn nicht hinreichend weitüber der Sozialhilfe liegt. Anspruchs-berechtigte, deren Produktivität nichtoder nur wenig über dem Sozialhil-feniveau liegt, sind nicht vermittelbar.Daher ist der Arbeitsmarkt für Ge-ringqualifizierte ausgetrocknet, undein wichtiger ökonomischer Produk-tionsfaktor liegt brach.

Der ifo Vorschlag zur Reform des So-zialleistungssystems zielt darauf ab,den deutschen Arbeitsmarkt im Be-reich niedriger Einkommen wiederfunktionsfähig zu machen, ohne denerreichten Standard des sozialenSchutzes zu verringern und ohne dasStaatsbudget zusätzlich zu belasten.Dieses Ziel kann durch eine grundle-gende Reform der Sozialhilfegewäh-rung erreicht werden, die auf einenWechsel vom derzeitigen System derLohnersatzleistungen zu einem Sys-tem der Lohnergänzungsleistungen

hinaus läuft. Dieser Wechsel beseitigt die Lohnuntergren-ze, führt zu Lohnsenkungen und veranlasst die nach Ge-winn strebenden Arbeitgeber, zusätzliche Arbeitsplätze be-reit zu stellen.

Das ifo Institut hat dazu einen detaillierten Vorschlag erar-beitet und im Hinblick auf seine allokativen, verteilungspoli-tischen und budgetären Konsequenzen durchgerechnet.Wird dieser Vorschlag realisiert, können mittelfristig 2,3 Mill.Arbeitskräfte im Niedriglohnbereich Beschäftigung finden.Das bedeutet einen Beschäftigungszuwachs um rund 6%.

Das Mehr an Beschäftigung impliziert zugleich ein Mehr anSozialprodukt und ein Mehr an gesamtwirtschaftlicher Nach-frage. Der Zuwachs des Sozialprodukts kann auf rund 1,9%oder 38,4 Mrd. r geschätzt werden. Dies bedeutet eineneinmaligen Wachstumsschub, der das Sozialprodukt jedochdauerhaft über das Niveau hinaus erhöht, das sonst erreichtworden wäre. Die Devise, dass Wachstum Beschäftigungschaffe, wird vom Kopf auf die Füße gestellt. Beschäftigungschafft Wachstum.

Im Einzelnen empfiehlt das ifo Institut die folgenden dreiReformschritte:

• Die Sozialhilfeansprüche einschließlich des pauschaliertgewährten Wohngelds werden für erwerbsfähige Perso-nen, die keiner Beschäftigung im privaten (ersten) Ar-beitsmarkt nachgehen, deutlich abgesenkt. Das neue

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Mindestniveau, das durch staatliche Sozialleistungen ga-rantiert wird, ist so niedrig, dass es nur dann attraktiv ist,wenn man über anderweitige Einkommen verfügt.

• Der zweite Schritt besteht darin, eine Beschäftigung imersten Arbeitsmarkt durch Gewährung eines Zuschus-ses zu niedrigen Löhnen zu unterstützen. Die zu diesemZweck neu zu schaffende Lohnsteuergutschrift ist so be-messen, dass Geringverdiener in der Summe aus erziel-barem Arbeitslohn und staatlicher Unterstützung bereitsbei einer Teilzeitbeschäftigung über ein Haushaltsein-kommen in der Höhe der bisherigen Sozialhilfe verfügenund es bei einer Vollzeitbeschäftigung sogar deutlich über-schreiten.

• Im dritten Schritt bietet der Staat Jobs für erwerbsfähi-ge Personen an, die im regulären Arbeitsmarkt nicht unter-kommen. Der Lohn für diese Jobs wird so bemessen,dass das Haushaltseinkommen der Empfänger im Re-gelfall genau dem bisherigen Sozialhilfeniveau entspricht.

Alle drei Reformschritte bedingen einander in ihrer Wirk-samkeit und dürfen nicht isoliert verwirklicht werden. Nurdurch ihre Kombination lassen sich die grundlegenden Zie-le des Sozialstaates und das Erfordernis einer staatlichenBudgetkonsolidierung gemeinsam erfüllen.

Um die Lohnuntergrenze, die eine Beschäftigung gering qua-lifizierter Arbeitskräfte verhindert, zu eliminieren, darf derStaat Geringverdienern in der Privatwirtschaft nicht weni-ger Fördermittel zukommen lassen als erwerbsfähigen Per-sonen, die keiner Beschäftigung nachgehen. Wollte er die-se Bedingung einhalten, indem er die bisherige Sozialhilfeweiterhin in voller Höhe gewährt und den Kreis der An-spruchsberechtigten durch eine verringerte Transferent-zugsrate auf relativ viele Beschäftigte ausdehnt (Bürgergeld),so fielen Jahr für Jahr zusätzliche Kosten von etwa 80 Mrd.ran. Angesichts der bereits überbordenden Sozialausgabenund der allgemeinen Haushaltszwänge ist dies kein gang-barer Weg.

Unter Berücksichtigung realistischer fiskalischer Hand-lungsspielräume können die nötigen Anreizwirkungen nurso hergestellt werden, dass die Sozialhilfe für erwerbsfähi-ge, aber nicht erwerbstätige Personen abgesenkt wird. Erstdiese Absenkung setzt die Mittel frei, die zur Förderung derBeschäftigung durch Lohnzuschüsse benötigt werden, undsie erhöht zugleich die Anreize, eine reguläre Beschäftigungaufzunehmen.

Das Problem bei einer solchen Reform liegt darin, dass dieAbsenkung der Sozialhilfeansprüche Gefahr läuft, Personen,die zunächst noch keine regulären Jobs finden, unter dassoziokulturelle Existenzminimum zu drücken und einen Kon-flikt mit dem Sozialstaatsgebot der Verfassung heraufzube-schwören. Zur Lösung dieses Problems dient der dritteSchritt des ifo Vorschlags. Indem die Kommunen verpflich-

tet werden, jedermann die Möglichkeit anzubieten, zu einemLohn in Höhe der jetzigen Sozialhilfe zu arbeiten, können so-ziale Härten wirksam vermieden werden. Ohne den drittenSchritt kann man den ersten nicht realisieren, und ohne denersten Schritt wird der zweite Schritt unbezahlbar.

Der dritte Schritt schwächt die Anreize, in die Privatwirtschaftzu wechseln, eliminiert sie aber nicht. Zum einen wird derSozialhilfe und der durch sie finanzierten Schattenwirtschaftein erheblicher Teil der Attraktivität genommen. Zum ande-ren liegt die Entlohnung der kommunalen Arbeit bei nur et-wa der Hälfte des Einkommens, das Geringqualifizierte inder Privatwirtschaft verdienen können. Der Wechsel von derkommunalen Beschäftigung in die private Beschäftigungführt trotz der Lohnsenkung, die wegen der Reform zu er-warten ist, zu einem erheblichen Einkommenszuwachs.

Die Kommunen sollten die Aufgabe, Sozialhilfeempfängerzu beschäftigen, eigenständigen gemeinnützigen oder pri-vatwirtschaftlichen Gesellschaften übertragen und ihnen An-reize gewähren, die Sozialhilfeempfänger möglichst effizientauf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten. Dabei könnensich die Kommunen auch der Mithilfe privater Leiharbeits-firmen bedienen, um einen Teil der ihnen anvertrauten Per-sonen, die nicht direkt vermittelbar sind, auf indirektem We-ge in der Privatwirtschaft unterzubringen. Diese Personenbleiben dann formal bei den Kommunen beschäftigt und er-bringen in deren Auftrag Dienstleistungen für den privatenSektor. Leiharbeitsfirmen haben in Deutschland und ande-ren Ländern mit großem Erfolg zur Integration Geringquali-fizierter in den regulären Arbeitsmarkt beigetragen.

Zusätzlich zu den drei genannten Kernelementen der Sozi-alhilfereform verlangt der ifo Vorschlag, die Arbeitslosenhil-fe sowie Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungs-maßnahmen bisherigen Typs abzuschaffen und in das neueSozialhilfesystem zu überführen. Kinderbezogene staatlicheLeistungen sollen nicht mehr mit wachsendem Einkommenabgeschmolzen werden, sondern so festgelegt werden, dassihre weitgehende Konstanz über alle Einkommensklassengewährleistet ist.

Die fiskalischen Effekte der Reform werden per saldo posi-tiv sein. Falls es gelingt, alle 2,3 Mill. gering qualifizierten Ar-beitslosen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, aufderen Beschäftigung der ifo Vorschlag zielt, führt dies zufiskalischen Einsparungen in Höhe von 6,2 Mrd.r pro Jahr.Mehrbelastungen durch die Steuergutschriften in Höhe von19,4 Mrd.r stehen Entlastungen durch zusätzliche Sozial-versicherungsbeiträge in Höhe von 9,1 Mrd. r und Ein-sparungen bei den bisherigen Sozialleistungen und ar-beitsmarktpolitischen Maßnahmen in Höhe von 16,3 Mrd.rgegenüber. Auch wenn es gelingt, nur 1,8 Mill. Arbeitslose(80% der Zielgruppe) in reguläre Arbeit zu bringen, würdendie öffentlichen Gebietskörperschaften immerhin um

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2,8 Mrd. r entlastet. Erst für den Fall, dass nur 60% desArbeitskräftepotenzials eine reguläre Beschäftigung fänden,entstünden geringe fiskalische Kosten.

Im Ganzen würde die Umsetzung des Reformvorschlags zueiner erheblichen Mobilisierung und Effizienzverbesserungam Arbeitsmarkt führen, so dass es kaum Verlierer, wohl aberviele Gewinner gibt. Jedenfalls würde der Zielerreichungs-grad der Sozialpolitik gemessen am Einkommen typischerGeringqualifizierter, die derzeit Sozialhilfe beziehen, deutlicherhöht. Zugleich könnte die Abgabenlast der Arbeitendengesenkt werden. Ausgehend von einer Situation, in der sichder Anteil der Arbeitenden an der Erwerbsbevölkerung zu-gunsten der Nichtarbeitenden laufend verringert, weil dieArbeitenden immer mehr Einkommenstransfers an die Nicht-arbeitenden leisten müssen, ist es möglich, Reformen zurealisieren, die den Sozialstaat stärken, ohne das Sozial-budget auszudehnen. Das ifo Institut hat mit seinem Gut-achten eine entsprechende Reformidee spezifiziert.

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ifo Institut für Wirtschaftsforschung

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